Tutorial: Wie schreibe ich gute Kritiken?
"Gute" Kritik im Sinne dieses Tutorials ist Feedback, das dem Autor hilft, seine Geschichten zu verbessern. Es ist wichtig, sich bewusst zu machen, dass verschiedene Intentionen hinter einem kritischen Review stehen können. Mögliche Ziele neben konstruktiver Hilfe für den Autor sind, den eigenen Gefühlen Luft zu machen, die Mitleser mit einem polemischen Resümee zu unterhalten oder die über den Tag angestaute Aggression am Autor abzuarbeiten. Solange das Review regelkonform ist, sprich keine Beleidigungen oder persönlichen Angriffe enthält, ist die Motivation irrelevant. Beim Schreiben im Allgemeinen und bei Feedback im Besonderen ist es wichtig, sich über das verfolgte Ziel im Klaren zu sein. Sämtliche Überlegungen zur inhaltlichen und formalen Herangehensweise an den Text bauen darauf auf. Selbst intuitiven Schreibern, die nicht bewusst über stilistische Mittel reflektieren, können Überlegungen über die eigene Intention helfen, im Nachhinein zu bewerten, ob das geschriebene Review die beabsichtigte Wirkung erzielen wird. Außerdem ist es schwierig, mit einem Text mehrere Ziele gleichwertig zu verfolgen. Ein Review, das mit dem Ziel geschrieben wurde, dem Autor mögen die Augen beim Lesen genauso bluten wie dem Reviewer beim Lesen der Geschichte, ist in der Regel nicht dazu geeignet, vom Autor als konstruktive Kritik wahrgenommen zu werden. Autoren sind auch nur Menschen, und je geringer die Dichte an hilfreicher Kritik ist, desto unwahrscheinlicher ist es, dass sie überhaupt wahrgenommen wird. Welche Intention man letztendlich verfolgt, oder wie man bei komplexeren Ansichten (z.B. die Geschichte war gut, deshalb will ich den Autor nicht vor den Kopf stoßen, aber sie hat mich psychisch zerstört, deshalb hasse ich ihn gerade) den Schwerpunkt setzt, bleibt jedem Reviewer selbst überlassen.
Dieses Tutorium dient als Hilfestellung für Reviewer, um für den Autor hilfreiche Kritik zu verfassen. Diese lässt sich gut mit folgenden Schlagworten beschreiben: konkret, kurz, konstruktiv.
Konkrete Kritik
Manchmal gibt es Situationen/Charaktere/Formulierungen, die fühlen sich einfach "falsch" an. Auch dieses Bauchgefühl zu erwähnen, kann schon ein wertvoller Hinweis für den Autor sein, wie die eigenen Texte wirken. Je konkreter sich die Aussagen auf die Geschichte beziehen, desto verständlicher ist das Feedback für Autor und Mitleser und desto deutlicher ist die eigene Position nachvollziehbar. Das gilt sowohl für negative als auch für positive Kritik (Lob).
Beispiel:
"Die Darstellung der Charaktere hat mir nicht gefallen."
"Die Darstellung der Charaktere ist unlogisch."
"Die Darstellung der Charaktere ist unlogisch. In der Geschichte hat Frank starke Stimmungsschwankungen, für die es keinen richtigen Grund gibt. Im ersten Kapitel ist er richtig gemein zu Lea, im zweiten flirtet er mit ihr und im vierten feindet er sie wieder an."
Wie man sieht wird der Sachverhalt umso klarer, je konkreter die Beschreibung ist.
- Begründung
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Wenn man Szenen oder Dinge benennen kann, die nicht gefallen haben, ist das bereits eine große Hilfe. Noch besser wird es, wenn man begründen kann, warum etwas nicht gefällt. (Auch hier gilt das gleiche für Lob).
Beispiel:
"Dadurch, dass die Handlung aus Leas Sicht beschrieben wird, wird nicht auf Franks Gedanken und Gefühle eingegangen. Auch Beschreibungen, die darauf schließen lassen, wie er sich fühlt, gibt es nicht. Dadurch kann man als Leser nicht nachvollziehen, warum er sich mal so und mal so verhält." - Lösungsvorschläge
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Das Sahnehäubchen auf einer konkreten und begründeten (negativen) Kritik ist der Verbesserungsvorschlag. Auch da hat man nicht immer einen passenden parat, aber falls doch, schadet es nicht, ihn anzugeben. Beispiel: "Du könntest einzelne Szenen aus Franks Sicht ergänzen, damit man seine Beweggründe besser versteht."
Gerade bei Verbesserungsvorschlägen ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass es sich um Vorschläge handelt und nicht um Befehle. Auch wenn man sich einige Mühe gegeben hat, diese Vorschläge zu finden und zu formulieren, und es ein gutes Gefühl ist, wenn jemand dem eigenen Rat folgt, entscheiden sich Autoren häufig für eine Abwandlung oder eine komplett andere Lösung (wenn sie sich überhaupt an die Überarbeitung machen).
Kurze Kritik
Der Begriff "kurz" bezieht sich hier nicht auf die tatsächliche Länge des Reviews, sondern darauf, möglichst auf unnötige Exkurse zu verzichten. Während Lob nicht so schnell unangenehm wird, kann man übermäßige, negative Ausführungen schnell als "herumreiten" interpretieren. Außerdem spart man dann selbst Zeit beim Schreiben des Reviews. Daher ist gerade bei negativer Kritik wichtig, den Aspekt ausreichend detailliert zu schildern, aber nicht unnötig weitschweifend zu sein.
- Geschichtennahes Feedback
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Wie schon in den Reviewtipps festgehalten, sollte das Review sich größtenteils auf die Geschichte beziehen. Natürlich sind die Grenzen fließend, beispielsweise wenn es um persönliche Erfahrungen geht, die in direktem Zusammenhang zur Geschichte stehen.
Beispiel:
"Ich glaube nicht, dass Frank mit einer akuten Blinddarmentzündung noch drei Tage lang rumlaufen kann. Als ich damals eine Blinddarmentzündung hatte, hat das so weh getan, dass ich mich fast nicht mehr bewegen konnte.""So wie beschrieben ist, dass Lea töpfert, kann da nie im Leben ein Vogel rauskommen. Besorg dir doch etwas Ton oder Fimo und probiere es selbst mal aus."Allerdings sollte man vermeiden zu sehr in einer Anekdote abzudriften, anhand der Geschichte das komplette Leben des Autoren psychologisch aufzurollen oder Ratschläge zu geben, die sehr persönlich ("Lass dich mal richtig flachlegen, dann werden auch deine Sexszenen besser") oder weit hergeholt sind ("Wenn man mal am Great Barrier Reef tauchen war, kann man Unterwasserlandschaften viel lebhafter beschreiben."). Weicht man zu sehr von der Geschichte ab, verwickelt man sich schnell in Nebendiskussionen. Die Verbesserungsvorschläge zur Geschichte bleiben dann auf der Strecke.
Beispiel:
"Die Geschichte zeigt ziemlich offensichtlich, dass du als Kind von deinen Eltern vernachlässigt wurdest."Das mag stimmen (oder auch nicht), aber der Autor kann schlecht sein Elternhaus austauschen, um sich schriftstellerisch zu verbessern. Dieser Kommentar ist also überflüssig - abgesehen davon, dass er darüber hinaus auch beleidigend ist und somit ohnehin gegen die Regeln von FanFiktion.de verstößt.
- Fundamentale Kritik
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Eine weitere Art von Kritik, die zwangsläufig mit wenig/keinem konstruktiven Effekt verhallt, ist fundamentale Kritik. Jede Geschichte geht von gewissen Prämissen aus, die unbedingt notwendig sind und von den Autoren nicht geändert werden können, damit das Konzept der Geschichte funktioniert.
Beispiel:
Franks dunkles Geheimnis ist, dass er schwanger werden kann. Die gesamte Geschichte soll sich ab Kapitel 5 um seine Schwangerschaft, die Geburt und die gesellschaftlichen Konflikte, die mit einer Männerschwangerschaft einhergehen, drehen. Eine männliche Schwangerschaft ist damit eine Grundvoraussetzung für die Geschichte.Ein Reviewer findet, männliche Schwangerschaften sind ein absolutes No-Go. Ganz gleich wie ausführlich und sachlich der Reviewer begründet, warum männliche Schwangerschaften blanker Unsinn sind, der Autor kann nur an der Begründung feilen oder die Geschichte komplett verwerfen. Da Letzteres recht unwahrscheinlich ist, wird dies sowohl für Reviewer als auch Autor schnell ermüdend.
Konstruktive Kritik
Die Unterschiede zwischen als konstruktiv wahrgenommener Kritik und als beleidigend wahrgenommenem Verriss beruhen zu einem nicht unwesentlichen Teil auf dem gewählten Tonfall. Außerdem ist der Tonfall des Reviews (im Gegensatz zu Einsicht oder allgemeiner Kritikfähigkeit des Autors) der einzige Aspekt, den man als Reviewer aktiv beeinflussen kann. Daher werden nachfolgend einige Möglichkeiten vorgestellt wie man den Gesamteindruck des eigenen Reviews modifizieren kann. Natürlich sollte man sie - wie alle stilistischen Mittel - in einer Dosis einsetzen, die dem angestrebten Ergebnis angemessen erscheint.
- Tatsachen und subjektive Einschätzung
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Kritik ist meist eine Mischung aus subjektivem Empfinden und tatsächlichen Fakten, auf die sich dieses Empfinden stützt. Vom Autor kann das klare Benennen von Fakten ohne Wertung als hilfreich, aber auch als entwaffnend (weil schwer zu relativieren) empfunden werden. Allerdings muss über die Wertung Konsens bestehen. "In den ersten drei Sätzen der Geschichte sind fünf Rechtschreibfehler" wird nur dann als Kritik wahrgenommen, wenn Konsens darüber herrscht, dass fünf Rechtschreibfehler in drei Sätzen zu viel sind. Eine Wertung (selbst eine mit breitem Konsens) ist damit immer auch eine subjektive Einschätzung.
Beispiel:
"Ich finde, deine Rechtschreibung ist schlecht."
"Deine Rechtschreibung ist schlecht."Das Verwenden von Formulierungen, die verdeutlichen, dass es sich bei der Einschätzung um eine subjektive Einschätzung handelt ("Meiner Meinung nach ...", "... wirkt auf mich ..." , "ich denke ..."), relativieren die eigene Aussage. Das gezielte Verdeutlichen der Subjektivität kann die Härte von einzelnen Aussagen abschwächen, während ein sehr häufiges Betonen einen unsicheren oder sehr zahmen Eindruck machen kann. (Apropos 'machen kann': Auch Konjunktiv ist geeignet einen relativierenden Eindruck zu vermitteln.)
- Anregung und Befehle
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Alle Tipps und Verbesserungsvorschläge sind genau das, was der Name sagt: Vorschläge. Ich kann sie als Reveiwer geben, habe allerdings keinerlei Einfluss darauf, ob der Autor sie zur Kenntnis nimmt oder umsetzt. Diese Vorschläge können als Anregung formuliert werden ("Man könnte das auch soundso umsetzen ...", "Du könntest dies ...", "An deiner Stelle würde ich jenes ..."), als dringendes Anliegen ("Du solltest unbedingt ...") oder als Befehl ("Korrigier gefälligst diesen Fehler!"). Sind in einem Feedback Vorschläge größtenteils als solche formuliert und nur sehr sporadisch die Dringlichkeit der wichtigsten Punkte durch die Verwendung der Modalverben "sollen" und "müssen" unterstrichen, erscheint dem Leser (in diesem Fall dem Autor der Geschichte oder interessierten Mitlesern) der Text wie ein sanft verpackter, gut gemeinter Ratschlag. Sind die Anregungen größtenteils als Imperative verfasst, werden sie nicht als Anregung, sondern als Befehl wahrgenommen, was beim Leser die Frage aufwirft, wieso der Reviewer meint, eine Befehlsgewalt über den Geschichtenautor zu haben. Diese Frage lenkt von den Verbesserungsvorschlägen im Text ab, und die möglichen Antworten, die sich der Leser des Reviews gibt, könnten negative Gefühle wecken. Deshalb sind Imperative kein gutes stilistisches Mittel, damit ein Text als hilfreich empfunden wird.
- Vermeiden von abschätziger Wortwahl
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Es gibt Worte und Umschreibungen, die sind recht wertneutral, und solche, bei denen eine positive oder negative Konnotation mitschwingt. Beispielsweise hat die Umschreibung "der Text mit vielen Rechtschreibfehlern" eine neutralere Konnotation als "der durch Autokorrekt verstümmelte Text". Während die erste Formulierung rein beschreibend ist, weckt die Verwendung des Wortes "verstümmelt" im zweiten Text negative Assoziationen. Nicht jeder hat ein gut ausgeprägtes Gefühl für Sprache. Will man als Reviewautor Texte stilistisch bewerten und mit dieser Bewertung auch ernst genommen werden, ist es wichtig, im eigenen Review zu zeigen, dass man entsprechendes Fingerspitzengefühl besitzt. Möchte man eine konstruktive Kritik verfassen, ist es sinnvoll, Worte und Umschreibungen zu wählen, die eine neutrale oder positive Konnotation besitzen. Verwendet man in einem Feedback häufig Worte und Formulierungen, die negative Assoziationen hervorrufen, wird das Feedback als destruktiv empfunden.
Dieser Hinweis ist besonders für intuitive Schreiber wichtig, die mit sehr viel Emotion an ein Review gehen, denn entsprechend stark durchtränkt diese Emotion den resultierenden Text. Um dem gegenzusteuern, ist es manchmal notwendig, das Review vor dem Hochladen in einem ruhigeren Moment gegenzulesen (oder damit zu leben, dass es nicht als so hilfreich wahrgenommen wird, wie es hätte sein können). Gerade bei einem sehr ausführlichen Review (ganz gleich ob positiv oder negativ) kann man auch einen Betaleser bemühen, schließlich sind solche Texte gleichwertig mit Rezensionen und anderen Sachtexten.
Das gleiche gilt für die Verwendung von Ironie, Sarkasmus und Polemik.
"Obwohl Polemiken typischerweise durch starke Emotionen, etwa Hass, motiviert sind, müssen diese, um dem Angriff zum Erfolg zu verhelfen, in einer Weise stilisiert werden, die den literarischen Techniken des Dramas vergleichbar ist, und in eine kühl überlegte Strategie inkorporiert werden." [Quelle: Wikipedia]
Wie die Definition schon zeigt, ist es bei diesen stilistischen Mitteln naheliegend, von vorsätzlicher und bewusster Verwendung auszugehen. Daher sind sie für einen sachlichen Text unpassend. Da sich konstruktive Kritik und polemischer Verriss in Intention, Verwendung von stilistischen Mitteln und dem Adressaten unterscheiden, kann ein Review nicht beide Funktionen erfüllen.
- Vermeiden von unpassender Vertrautheit
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Auf Fanfiktion.de ist es allgemein üblich, sich in Reviews zu grüßen und zu duzen. Trotzdem kann man aus dem Review (oder dem Reviewverlauf) in der Regel leicht herauslesen, ob Geschichtenautor und Reviewer sich kennen und wie nahe sie einander stehen. Diese Vertrautheit spiegelt sich beispielsweise im öffentlichen Ansprechen privater Lebensumstände oder in der Verwendung von Kosenamen wieder. Die Grenzen anderer zu respektieren und nur mit Einverständnis zu überschreiten, ist - wie das Verb schon sagt - ein Zeichen von Respekt. Falsche Vertrautheit, beispielsweise eine vertrauliche Ansprache ("Das geht so aber nicht, Süße"), ohne dass eine entsprechende Bindung existiert, ist ein sehr starkes stilistisches Mittel, weil damit ganz bewusst die professionelle Distanz außer Kraft gesetzt wird. Wird dieses Mittel in Kombination mit Abneigung oder Kritik eingesetzt, wird das in der Regel als persönlicher Angriff wahrgenommen oder als Herablassung gewertet. Von einer Verwendung von Kosenamen, um Kritik "abzumildern", ist also dringend abzuraten.
Positiver Abschluss
Falls es etwas Nettes oder Aufmunterndes zur Geschichte zu sagen gibt, sollte man das tun. Das kann eine Sache sein, die einem ganz gut (oder nicht so schlecht wie der Rest) gefallen hat, oder ein Ausblick, dass sich die vorgeschlagenen Verbesserungen lohnen. Wenn man selbst der Meinung wäre, bei der Geschichte seien Hopfen und Malz verloren, hätte man sich die Mühe für ein konstruktives Review gespart. Sich mit einer an sich negativen Kritik noch einmal selbst zu vergegenwärtigen, warum man konkret für diese Geschichte Arbeit in ein detailliertes Review gesteckt hat, hilft, das Review mit einem positiven Fazit abzuschließen. Das wiederum beruhigt das Nervenkostüm des Autors etwas und signalisiert ihm, dass die Kritik nicht böswillig gemeint ist, sondern eine gute Absicht dahintersteckt.