Tutorial: Wie schreibe ich eine Kampfszene? Teil 4: Die Kampfkunst aus dem Tintenfass
Vorwort
Herzlich willkommen zu den Tutorials zum Thema „Wie schreibe ich eine Kampfszene?”.
So schnell wie diese Überschrift formuliert ist, so umfassend ist doch das Thema. Kampfszenen können in jedem Genre und in jeder Art Geschichte in mannigfaltigen Varianten vorkommen. Von einer halbwegs freundschaftlichen 1:1-Situation in einem koordinierten Training bis hin zum epischen Schlachtengetümmel. Angefangen von der leeren Hand kann einfach alles zur Waffe werden und jede Waffe kann auf unterschiedliche Weisen verwendet werden. Die Möglichkeiten sind nahezu unerschöpflich!
Deshalb wird es hier keine konkrete Anleitung zum Schreiben geben, sondern vielmehr Tipps und Hinweise, was man vor, während und nach der Kampfszene schreiberisch bedenken sollte.
Kampfszenen sind ein großes Thema. Daher haben wir verschiedene Bereiche ausgewählt, die wir in vier einzelnen Tutorials behandeln wollen. Diese Tutorials nehmen zwar aufeinander Bezug, bauen aber nicht zwangsläufig aufeinander auf, sodass sie auch unabhängig voneinander bzw. einzeln für sich gelesen werden können.
Ihr befindet euch HIER:
Kampfszenen Teil 1: Das Erleben des Protagonisten
Kampfszenen Teil 2: Die Wahl der Qual
Kampfszenen Teil 3: Die Variation des Kampfs
Kampfszenen Teil 4: Die Kampfkunst aus dem Tintenfass
Die Kampfkunst aus dem Tintenfass
...und Action! Kämpfen bis der Arzt kommt
Die Kampfszene ist geplant und durchdacht, jetzt geht es ans Schreiben. Wie schreitet man nun am besten zur Tat?
Eines vorneweg: Es gibt nicht den einen einzigen Weg. Dieses Tutorial hat auch keineswegs den Anspruch auf Vollständigkeit. Es soll lediglich Hilfestellung zur Herangehensweise bieten. Zweifellos ist die Darstellung einer mitreißenden Kampfszene allein mit Worten eine der Königsdisziplinen des Schreibhandwerks.
Geschichten haben gegenüber Filmen den Vorteil, dass sie auch die Gedanken des Protagonisten erfassen können. Dies sollte man sich auch zunutze machen. Anders als im Film muss das Bild jedoch aufwändig durch Beschreibungen erzeugt werden, sonst tappt der Leser im wahrsten Sinne des Wortes im Dunkeln. Die Stimmung vor Ort kann weder durch Bilder noch durch Geräusche wirken, sie muss aus dem Kopfkino des Autors zum Leser transportiert werden. Damit dies auch klappt, bedarf es guter Vorbereitung.
Je nach Erzählstil der Geschichte ist der Blickwinkel natürlich eher subjektiv oder objektiv. Nichtsdestotrotz sollten die Leser in die Kampfszene mitgenommen werden. Als kleine Eselsbrücke kann man sich an den W-Fragen orientieren, die man beantworten muss, wenn man einen Notruf absetzt:
- Wo ist es passiert?
- Was ist geschehen?
- Wie viele Betroffene?
- Welche Verletzungen?
- Wer meldet?
- Warten auf Rückfragen!
Das klingt im ersten Moment vielleicht etwas merkwürdig – noch ist doch überhaupt nichts passiert. Andererseits befinden sich die Leser genauso wenig im Kopfkinosaal des Autors wie die Leitstelle am Unfallort – es benötigt schon konkrete Hinweise zum Geschehen, um das Gesamtbild der Lage erfassen zu können.
Wie kann man die Antworten darauf innerhalb der Kampfszene im Detail vermitteln, ohne den Faden zu verlieren? Generell gilt: im "Notfall" (wie auch im Falle eines Kampfs) schreibt man so wenig wie möglich, aber doch so viel wie nötig. Kurz. Klar. Deutlich. Zwei weitere "große" W-Fragen (die wohl eher die Polizei stellt, nicht der Rettungsdienst) sind in den meisten Fällen bereits vor der eigentlichen Kampfszene beantwortet: Sie betreffen einerseits das Erleben des Protagonisten und andererseits die Waffen, mit denen gekämpft werden soll:
Warum wird gekämpft?
Aus welchem Grund kämpft jeder einzelne der Akteure? Wenn es für den Leser nicht eindeutig ist, bietet es sich an, das ein oder andere Motiv zum Beispiel innerhalb eines Dialogs aussprechen zu lassen.
Was hat jeder Akteur zu verlieren oder zu gewinnen? Dies ist zwar gut zu wissen, muss aber nicht für jeden Einzelnen innerhalb der Geschichte explizit festgeschrieben sein, es ist ausreichend, wenn man als Autor den Überblick behält. Ein eingestreutes Detail kann jedoch genutzt werden, um die Spannung zu erhöhen. Das kann auch in der Form geschehen, dass die Leser gegenüber dem Protagonisten einen Wissensvorsprung haben.
Achtung: Ein Grund muss nicht nur plausibel sein, sondern auch der Frage standhalten, ob es sich wirklich lohnt, dafür zu kämpfen. Und wenn nicht: Was ist die wahre/unterbewusste Motivation für den Kampf? Oder gibt es diese bei genauerem Hinsehen nicht? Auch das kann man schreiben, indem man beispielsweise den inneren Kampf des Protagonisten hervorhebt und stattdessen die Kampfhandlungen zumindest zeitweise in den Hintergrund rücken lässt, bis hin zur Ablenkung oder totalen Aufgabe.
Womit wird gekämpft?
Welche Waffen stehen zu Verfügung und auf welche Weise kann man diese benutzen? Oder ganz allgemein: Welche Gegenstände stehen zu Verfügung, wie kann man sie als Waffe oder Schild gebrauchen? Je kreativer man hierbei wird, desto abwechslungsreicher lässt sich eine Kampfszene gestalten. Wenn die Akteure Dinge tun, mit denen die Leser nicht rechnen, kann man sich das Überraschungsmoment zunutze machen, um eine Wendung einzuführen. Wer es nicht ganz so plötzlich mag, kann zuvor den Blick des Protagonisten auf den Gegenstand lenken oder den Gegenstand auf andere Art und Weise in den Fokus der Leser rücken.
Wo passiert es?
Als Autor hat man zumindest eine vage Vorstellung vom Ort des Geschehens. Die Leser sehen jedoch nur das, was der Erzähler preisgibt, beispielsweise aus Sicht des Protagonisten. Bevor es also zur Sache geht, sollte sich der Protagonist etwas umsehen, denn auch, wenn es manchmal so scheint: Es ist niemals "nichts" außenherum – die Dimensionen stehen doch eigentlich ebenso fest wie der Zeitpunkt!
Das Betrachten und somit auch Festlegen der Gegebenheiten an Ort und Stelle bedeutet gleichzeitig Chancen und Risiken schaffen. Was können sich die Kämpfenden zu Nutze machen, was behindert sie? Das klingt vielleicht unnötig, aber spätestens, wenn wie aus dem Nichts ein Hindernis oder die erlösende Lösung auftaucht, wird die Szene unübersichtlich und schlimmstenfalls unglaubwürdig. Aber keine Sorge: Niemand braucht ein vollständiges Bild. Zu viele Details behindern den Lesefluss.
Als Faustregel kann man sich merken: Wichtige Gegebenheiten frühzeitig erwähnen. Kleinigkeiten, die das Bild abrunden, zwischendurch einstreuen. Unwichtiges komplett weglassen, es sei denn, man möchte die Leser dadurch gezielt in die Irre führen.
Alex kletterte durchs Fenster. Er wusste, dass er alleine war und alle Zeit der Welt hatte. Also sah er sich erst einmal um. Im Flur neben der Garderobe stand ein mannshoher Schrank. Neugierig lugte er hinein: Putzkram. Hätte er sich ja denken können. Er versetzte der Tür einen leichten Stoß, doch sie schloss sich nicht vollständig.
Wie viele Beteiligte?
Je mehr sich vor Ort befinden, desto mehr muss man gleichzeitig beschäftigen – selbst, wenn sie nur Schaulustige sind. Sonst kann es passieren, dass man in einem Review gefragt wird, warum niemand eingegriffen hat. Also sollte man sich lieber vorher schon mit der Frage befassen, wer die Hauptakteure der Kampfszene sind, ob es weitere Anwesende gibt und falls ja: Was tun die? Was sind deren Stärken und Schwächen, und wie stehen sie zueinander? Gibt es jemanden unter den Anwesenden, der zu Ungunsten Einfluss auf das vom Autor geplante Ende nehmen könnte, und falls ja: wie kann man das verhindern?
In Seelenruhe durchforstete Alex den aufgebrochenen Sekretär. Herr und Frau Müller von gegenüber waren glücklicherweise verreist. Erst gestern hatten sie mit zwei großen Koffern und für diese Jahreszeit zu sommerlicher Kleidung das Haus verlassen. Nur sie hätten Alex beim Einstieg beobachten können. Hervorragend! Es gab also keinen Grund, sich Sorgen zu machen ... da hörte er, wie sich der Schlüssel im Schloss umdrehte. Er erstarrte. Luna konnte doch unmöglich schon zurück sein! Er war unbewaffnet eingedrungen. Reflexartig griff er den Brieföffner. Zu schwungvoll: Ein Stapel Papiere rutschte raschelnd zu Boden. Verdammt!
Was geschieht?
Jetzt geht es an die Choreographie. Die Akteure bewegen sich innerhalb der vorgegebenen Zeit durch den Raum und interagieren miteinander. Genauso trocken und öde wie der letzte Satz liest sich eine Kampfszene, wenn allein die Handlung beschrieben wird. Die Spannung steht und fällt nicht mit den Bewegungen, sondern mit dem Gesamtpaket, das die Leser abholt und am Geschehen teilhaben lässt. Ziel sollte sein, dass die Leser mitfiebern und mitleiden. Dafür braucht es natürlich Dynamik und Tempo. Beides kann man durch geschicktes Formulieren der Sätze erreichen:
Eine Szene wird dynamisch durch abwechslungsreiche Beschreibung der Ereignisse. Es ist vergleichbar mit einer Reise: Handlung, Umgebung, Wahrnehmung des Protagonisten und dessen Gefühle dabei wechseln sich stetig ab. Ein wahres Wunderelixier ist hierbei die Sprache: kurze Hauptsätze, nur wenig bis gar keine Nebensätze. Auch die Wortwahl sollte nicht immer gleich, doch stets prägnant sein.
Die folgenden zwei Beispiele sollen dies verdeutlichen:
Leise ging Alex zur Tür, um vorsichtig in den Flur zu sehen und festzustellen, dass Luna tatsächlich schon zurück war. Er wurde nervös, weil er noch nicht das hatte, wonach er suchte. Als ihr der Kleiderbügel aus der Hand und geräuschvoll zu Boden fiel, nutzte er die Gelegenheit, ging hin und stellte sich vor sie, um sie mit dem Brieföffner zu bedrohen. Er sagte: "Ganz ruhig – Du machst jetzt ganz genau, was ich von Dir will, wenn Dir Dein Leben lieb ist!"
... in diesem Beispiel ist keinerlei Dynamik enthalten, im Gegenteil: Es erscheint gähnend langweilig. Zu lange Sätze, zu wenig Abwechslung, zu viele erzählende Einschübe. Das gleiche Beispiel, anders formuliert:
Auf Zehenspitzen schlich Alex zur Tür. Sein Puls raste. Er linste um die Ecke in den Flur. Tatsächlich: Luna! Ganz nah. Und nun? Seine Finger krampften sich um den Brieföffner. Sie besaß etwas, das Alex wollte. Das er noch nicht gefunden hatte. Ohne das er hier nicht weggehen würde. Koste es, was es wolle. Plötzlich polterte etwas zu Boden – jetzt oder nie! Zwei Schritte, dann baute er sich vor ihr auf. Sie hob gerade einen Kleiderbügel auf. "Ganz ruhig – Du machst jetzt ganz genau, was ich von Dir will, wenn Dir Dein Leben lieb ist!", drohte Alex. Den Brieföffner hielt er dabei gleich einem Messer.
Die kurze, aber deutliche Sprache (z.B. schlich statt ging leise; die krampfenden Finger als Zeichen für Nervosität) haucht der Szene ein Eigenleben ein – wenn man es nicht übertreibt. Packt man den Text zu voll und arbeitet mit zu vielen Metaphern wirkt es zunehmend zäh, verwirrend und mitunter sogar lächerlich:
Wie ein Mäuschen in der Speisekammer huschte Alex zur Tür, um zu sehen, ob die Katze, Luna, dort draußen lauerte – hatte er den Speck, nach dem er suchte, doch noch nicht gefunden. Aber war nicht eigentlich Er das Raubtier? Der Bluthund? Käsedieb hin oder her – als es im Flur polterte, wusste Alex: Es ist an der Zeit, die Falle zuschnappen zu lassen! Flugs sprang er hervor, den Brieföffner eines Messers gleich auf Luna gerichtet, bellte er mit gefletschten Zähnen: "Ganz ruhig – Du machst jetzt ganz genau, was ich von Dir will, wenn Dir Dein Leben lieb ist!"
Geschmäcker sind unterschiedlich, auch was die Wortgewalt angeht. Allerdings spätestens, wenn die Leser raten müssen, was gemeint ist, behindert dies den Lesefluss und sämtliche Dynamik geht flöten. Es kann helfen, die Szene auf unterschiedliche Weisen zu schreiben und zu sehen, wie dies wirkt. Hierzu kann man auch frühzeitig ehrliche Freunde oder, wenn man hat, gnadenlose Betaleser befragen. Aber nicht verzweifeln, falls die erste Kritik vernichtend ausfällt: Mit der Zeit kommt auch die Übung und man entwickelt ein Gespür, was die Geschichte braucht, damit sie dynamisch funktioniert.
Der Kampf steht nun unmittelbar bevor. Spätestens jetzt kommt zur Dynamik noch das Tempo hinzu. Die Geschwindigkeit wird zu einem wesentlichen Teil von der Art der Waffe bestimmt: Unterschiedliche Waffen und Kampftechniken brauchen hierbei unterschiedlich viel Zeit und Raum. Eine Armbrust hat nicht dieselbe Feuerfrequenz wie ein Revolver und ein Profi-Boxer ist im Faustkampf flinker als ein Betrunkener. Ein Anderthalbhänder ist länger und schwerer als ein Giftdolch, aber möglicherweise weniger tödlich. Zaubersprüche brauchen Zeit, um sie zu formulieren, bis sie wirken – Zeit, in der eine Kugel längst getroffen hat.
Es geht also ans Eingemachte: Gute Recherche ist das eine, räumliche Vorstellungskraft das andere: Wie kann ein Kind ein Schwert führen, welches beinahe so groß und schwer ist wie das Kind selbst? Wartet der Berserker wirklich, bis der Zauberer seinen Spruch vollendet hat oder haut er ihm vorher sein Schild um die Ohren? Ist ein kaputter Blaster wirklich nicht noch als Keule zu gebrauchen? Es kann auch sehr hilfreich sein, eine Bewegung vor dem Spiegel nachzustellen. Da merkt man schnell, ob das funktioniert oder nicht.
Damit es auch innerhalb der Kampfszene läuft, sollte man die Satzlänge nicht wahllos variieren, sondern direkt an die Handlung anknüpfen; sozusagen mit der Waffe schreiben, nicht gegen sie. Konkret heißt das: Während man beim Spannen eines Bogens längere Sätze nutzen kann, sollten sie beim Nachladen und Schießen mit einer Faustfeuerwaffe eher kurz sein, bis hin zu den berüchtigten Einwortsätzen.
Ebenso verhält es sich mit der Distanz: Die Satzlänge sollte mit der Entfernung in Einklang stehen, je näher sich die Kontrahenten sind, desto kürzer sollte man sich fassen. Auch hier gibt es wieder Ausnahmen: Während des Verharrens in einer Position kann mehr beschrieben werden, was der Protagonist wahrnimmt oder denkt. Je schneller eine Handlung abläuft, desto weniger kann währenddessen gefühlt, gedacht und geredet werden.
Aber bitte nicht in Comic-Sprache („Zack!”/”Boom!”) verfallen! Stattdessen lieber knapp umschreiben, was geschieht.
Ehe Alex sich versah, traf ihn der Kleiderbügel am Kopf. Perplex zuckte er weg. Nach dem kurzen Schreckmoment setzte er auf Luna zu. Stieß die stumpfe Klinge vor. Mit voller Wucht! Doch statt zwischen ihre Rippen prallte er gegen die Schranktür, die sie aufgerissen hatte. Seine Faust schrappte über den Brieföffner nach vorn. Beinahe hätte Alex ihn verloren. Sein Handgelenk pochte. Schmerzen. Er biss die Zähne zusammen. Schon flog ihm eine Sprühflasche entgegen. Dann eine dicke, runde Kunststoffflasche. Danach noch etwas. So eine Verrückte! Er duckte sich. Nur mit Mühe konnte er die Geschosse abwehren.
Welche Verletzungen?
Wo gehobelt wird, da fallen Späne, und wo gekämpft wird, wird Leid und Zerstörung verursacht. In wem bei diesem Gedanken ein ungutes Gefühl aufkeimt, der sollte besser die Finger von Kampfszenen lassen.
Je weiter das Kampfgetümmel voranschreitet, desto mehr Ressourcen werden verbraucht: Munition, Körperkraft, Konzentration, Leben(senergie) etc. Das Leid, ebenso wie die Zerstörung, muss glaubhaft beschrieben werden. Da darf auch geflucht, geschrien und geblutet werden! Das Chaos nimmt zu, je mehr Unheil und Verwüstung angerichtet werden. Dies bedeutet konkret, dass den Gegebenheiten entsprechend auch mehr im Weg steht oder herumliegt, das überwunden werden muss.
Was kann man fühlen, sehen, hören, schmecken, riechen? Kann man nach dieser Verletzung oder mit jener Wunde wirklich noch weiterkämpfen? Wenn ja: wie lange noch? Natürlich sind Schmerzreize reduziert, aber wenn die physiologische Funktion zu stark eingeschränkt ist, geht trotzdem nichts mehr. Auch hier gilt: Recherche, Recherche, Recherche! Körper sind nicht nur wabbelige Hüllen, die sich irgendwie bewegen!
Niemand muss dafür ein Medizin-Studium absolvieren. Wir haben im Forum einen Nachhilfe-Bereich, wo man fragen kann, wie sich z.B. ein Treffer in die Nieren oder eine Milzruptur medizinisch auswirkt, was bei einer Gehirnerschütterung passiert und so weiter. Da sind viele liebe User, die ihr Fachwissen gerne für solche und andere Fragen bereitstellen. Nutzt das!
Einige Flaschen platzten beim Aufprall auf die Wand und ergossen sich über den Boden. Alex rutschte bei jedem Schritt über den Schmierfilm. Die Dämpfe stanken zum Himmel. Schlimmer: Sie brannten in seiner Lunge. Nichts in der Welt war den Scheiß wert! Trotzdem schaffte er sich vorwärts. Irgendwann musste der vermaledeite Schrank doch leer sein?
"Mist! Mist! Mist!", schrie sie in den Schrank. Endlich. Alex schlitterte heran, packte Luna am Arm und zerrte sie dort weg. Doch nur einen Wimpernschlag später starrte er in die Düse einer Sprühdose. Eine Giftwolke zischte ihm entgegen. Er drehte sich sofort weg. Zu spät! Das Zeug fraß sich in seine Augäpfel. Schien Schicht um Schicht aufzulösen. Brannte wie die Hölle! Alex schrie auf. Doch der Dunst raubte jeglichen Atem. Tränen trübten seine Sicht vollends. Blind stach er den Brieföffner ins Leere. Er konnte überhaupt nichts mehr sehen. Schließlich wendete er sich ab, riss er die Arme vors Gesicht und rieb. "Scheiße! Verdammte Scheiße!"
Zwischen den Tränen erahnte er Schemen. Genug, um die Sache zu Ende zu bringen. Er drehte sich wieder zu Luna. "Ich bring Dich um!”, versprach er lauthals und verpasste der Schranktür dabei einen so jähen Tritt, dass diese nicht nur zu, sondern sogleich wieder aufflog und Luna nur knapp verfehlte. Mit einem weiteren Satz stand Alex bei ihr, drängte sie gegen die Wand. Mit einer Hand umklammerte er noch immer den Brieföffner, die andere drückte Lunas Kehle zu. Unerbittlich.
Bei den Beschreibungen sollte das verursachte Leid im Vordergrund stehen, niemals die Lust am Quälen. Selbst wenn man beim Schreiben voll im „Flow” und der Antagonist abgrundtief böse ist, ist dies keine Entschuldigung für sinnlose Gewalt. Die Schmerzgrenze der Leser ist individuell sehr unterschiedlich. Wo beim Einen nicht mal angekratzt, ist sie beim Andern längst überschritten: Hier stellt sich nicht nur die Frage nach dem Zuviel, sondern auch nach der Notwendigkeit der Zurschaustellung. In obigem Beispiel hätte es vollkommen gereicht, wenn das Spray höllisch in den Augen brennt.
Wer meldet?
Oder besser: Wer soll als Sieger hervorgehen, wer als Verlierer und wer wird nicht überleben? Ist das unter den gegebenen Umständen überhaupt realistisch und falls nicht: Was muss verändert werden, damit das Ziel ohne Logikbrüche erreicht werden kann?
Je nachdem, ob das Ende abrupt oder sukzessive herbeigeführt werden soll, kann man die Geschwindigkeit beibehalten oder aber nach und nach etwas längere Sätze schreiben und die eigentliche Kampfhandlung in den Hintergrund rücken lassen, um der Innenwelt des Protagonisten den Vorzug zu geben. Je erschöpfter die Akteure, desto mehr Spielraum bleibt für Gedanken und Verschnaufpausen.
Sie hatte nichts anderes verdient. Ihr Kleinod würde er auch ohne sie finden! Alex hätte schon längst mit der Klinge zustoßen können, doch er benötigte eine Pause – bekam er doch selbst kaum noch Luft. Aus seiner Nase rann Rotz. Er spürte seine Sinne schwinden. Im Hals schmeckte er das blecherne Aroma von Blut.
Warten!
Zeit ist relativ. Ein schier endloser Kampf kann schnell beschrieben sein und Sekundenbruchteile können wie eine kleine Ewigkeit erscheinen – die Betonung liegt hier auf kleine Ewigkeit, d.h. rein physiologisch ist die Wahrnehmung derart geschärft oder anders gesagt das Denken derart beschleunigt, dass der Protagonist einzelne ausgewählte Augenblicke durchaus wie in Zeitlupe erleben darf.
Doch Vorsicht: Nur weil er die Situation besser erfasst, heißt das nicht, dass er automatisch schneller reagieren kann! Das Raumzeit-Gefüge kann nur insofern aufbrechen, dass zwar der Raum eng wird, also der Fokus ganz bei einer einzigen Sache liegt, die Zeit muss aber für wirklich alles gleich ablaufen.
Luna straffte sich unter seinem Würgegriff. Als ob sie noch eine Chance hätte ... Alex holte ein letztes Mal mit der stumpfen Klinge des Brieföffners aus. Da erkannte er aus dem Augenwinkel, was Luna vorhatte: In der Hand hielt sie ein Bügeleisen. Wie in Zeitlupe hob sie es an und presste es Alex geradewegs ins Gesicht, während er rein gar nichts dagegen tun konnte. Er lockerte noch seinen Griff, wollte ausweichen, den Arm schützend heben, doch alles, was er spürte, war kaltes Metall an seiner Wange. Es schob sich weiter vorwärts, drückte ihm die Backe platt, trümmerte dumpf gegen sein Nasenbein. Knirschen im Innern war das letzte, das er vernahm. Die Wucht des Aufschlags warf seinen Schädel nach hinten. Der Brieföffner entglitt ihm ...
Der Dreipunkt ist ein beliebtes Satzzeichen an dieser Stelle, um Pausen oder Verzögerungen zu verschriftlichen. Dies ist jedoch kein Muss.
Und das Ende vom Lied?
Wie reagieren die Überlebenden? In Teil 1 dieses Tutorials wurde bereits erklärt, dass unterschiedliche Charaktere je nach Hintergrund auf verschiede Art und Weise aus dem Kampf gehen und dies bzw. die Erinnerung daran ein Stück weit die Weiterentwicklung des Charakters bestimmt. Ebenso verhält es sich mit dem Umfeld, das nach dem Kampf situationsbedingt reagiert.
Wenn es noch etwas auf dem Schlachtfeld zu holen gibt (Munition/Pfeile/Waffen, Schätze/Brieftasche etc.), sollte das auch erwähnt werden. So etwas kann sehr nützlich sein, insbesondere wenn die nächste Auseinandersetzung vielleicht schon bevorsteht und alles eigene Pulver bereits verschossen ist.
Im Grunde kann man all das, was man gerade so mühselig zusammengetragen hat von unten nach oben aufrollen und schauen, was tatsächlich am Ende übrigbleibt. Wenn man das ausprobiert und dabei so etwas wie "nach dem Kampf ist vor dem Kampf" herauskommt, dann ist bei der Planung mächtig was schiefgegangen oder vergessen worden, denn jede Kampfszene sollte deutliche Spuren hinterlassen, sonst ist sie für die Geschichte nutzlos.
Für den Fall, dass der Kampf mit dem Tod des Protagonisten enden soll: Ja, das kann man machen. Nur bitte ohne künstlich in die Länge gezogene Monologe. Je nachdem wie die Geschichte weitergehen soll, muss dann der Blickwinkel wechseln. Der neue Blickwinkel kann zeitlich später einsetzen.
Was, wenn einer die Masern bekommt?
Jeder Autor kennt das: Manchmal steckt man in einer Sackgasse fest. Wenn sich beispielsweise die Kampfszene beim Schreiben verselbstständigt und am Ende der Falsche triumphiert. Tief durchatmen. Die meisten Probleme lassen sich durch Nachdenken lösen.
In solchen Fällen profitiert man von sorgfältiger Vorbereitung. Gut durchdachte Rahmenbedingungen gleichen einem Füllhorn an Möglichkeiten. Geht man diese Schritt für Schritt durch, findet sich meist irgendwo eine ungenutzte Gelegenheit. Sei es eine Wurzel, über die der Protagonist schon zweimal gestolpert ist, ein hupendes Auto, eine kreischende Katze oder das blendende Licht einer gekippten Fensterscheibe. Es muss also nicht immer ein Gegenstand sein: Eine kleine Ablenkung zur rechten Zeit kann alles verändern.
"Ich bring Dich um!”, versprach er lauthals und verpasste der Schranktür dabei einen so jähen Tritt, dass diese nicht nur zu, sondern sogleich wieder aufflog und Luna nur knapp verfehlte. Neben dem ohrenbetäubenden Knall rumpelte etwas aus dem Schrank. Alex brodelte – das Drecksding war noch immer nicht leer? Gleichzeitig erblickten sie den Schrubber, der herausgekippt war. Blitzschnell griff Luna zu und rammt den Stiel in Alex' Magengrube.
Jede neue Ebene des Kampfes verdient ein bisschen Aufmerksamkeit. Vielleicht ergibt sich ein Dialog?
Dieser muss nicht durchgängig gesprochen werden – dazu bietet sich meist keine Gelegenheit, es sei denn, jemand ruft einem anderen aus der Deckung etwas zu –, sondern darf durch die Handlung immer wieder unterbrochen werden. Hierbei sollten weder Handlung noch Dialog kompliziert oder zu lang sein, sonst bleibt der Zusammenhang auf der Strecke. Inmitten des Kampfs tendenziell der Handlung den Vortritt lassen.
Er konnte ausweichen, zog nun seinerseits daran. "Lass los!", herrschte er sie an. Luna stolperte ihm entgegen. Nicht gewillt, aufzugeben. "Niemals!", keuchte sie. Beide zogen und zerrten. "Ich ..." – hin. "... werde ..." Her – "nie" – Hin. Her. "aufgeben!" Ihre Füße eierten auf dem glitschigen Boden, versuchten, den anderen mit dem Gerangel zu Fall zu bringen. Alex war stärker. Er konnte nachfassen. Luna krallte sich nur noch ans untere Ende des Schrubbers. Verbissen kämpfte sie darum. Trat aus, traf nur Alex' Oberschenkel. Jetzt reicht's! Mit einem Ruck zog er sie nach vorn. Luna quietschte vor Schreck. Plötzlich ließ sie los. Der Schrubber floh durch ihre gespreizten Finger.
Dialog und verzögerte Wahrnehmung sollte man jedoch besser nicht kombinieren, es sei denn, man zieht auch die gesprochenen Worte wie Kaugummi in die Länge, was schnell lächerlich wirken kann, oder man beraubt den Protagonisten kurzzeitig seines Gehörs:
Jedem Gegengewicht beraubt, verlor Alex das Gleichgewicht. Er kippte nach hinten. Vergeblich versuchte er, sich auszupendeln, rutschte aus und fiel. Er sah, wie Luna sich aufrichtete. Ihre Lippen formten ein Schimpfwort, das nur dumpf an sein Ohr drang. Dann platschte er rücklings in die Sauerei.
Die Zeitlupe kann eindeutig beendet werden, ebenso wie man die Zeit nach und nach erst schneller drehen kann – kommt auf die Situation drauf an.
Beim Aufprall seiner Schultern entglitt ihm der Brieföffner, klimperte gegen die Wand. Noch bevor er nachfassen konnte, war Luna zur Stelle, kickte das Ding außer Reichweite. Geistesgegenwärtig packte er ihren Knöchel und holte sie von den Beinen.
Je enger der Körperkontakt der Kontrahenten ist, desto mehr Körperteile sind normalerweise auch in den Kampf involviert. Die sollte man sich allesamt zunutze machen. Auch die Wortwahl darf "handfester" werden.
Sie stürzte über ihn. Kreischte und kratze – wie eine Wildkatze! Er hatte alle Mühe, gegen ihr Gestrampel anzukommen. Sie wälzten sich über die tranige Pampe. Seine Hose und sein Rücken waren schon völlig durchweicht. Die Haare klebten ihr überall. Luna wirkte wie eine Furie. Alex' Haut brannte von dem ätzenden Zeug, das sich mit seinem Schweiß vermischte. Es gelang ihm, sich auf Luna zu wuchten. Endlich hat er das zappelnde Weib unter sich begraben. Beinahe Nase an Nase lagen sie da, schnappten nach Luft. Sie starrten einander eine Weile in die Augen. Bis Luna ihm ins Gesicht spie! Igitt! Aus dem Affekt hob er schützend den Arm. Zu spät. Seine Finger klebten und stanken nach Chlor – mit dieser Siffe konnte er sich unmöglich trockenwischen. Ekelhaft. Also holte er einfach weiter damit aus und peitschte Luna mit dem Handrücken über die Wange. Ihr Schädel flog jäh zur Seite. Doch schon funkelte sie ihn wieder böse an. Von der Unterlippe quoll Blut. Sie leckte über das Rinnsal und verzog angewidert den Mund. "Elender Drecksack", schimpfte sie. "Exakt", flüsterte Alex, ballte die Hand zur Faust und schlug noch einmal zu.
Die letzte Hürde
Ob und wie lange ein Kampf sich fortsetzt, bleibt natürlich jedem Autor selbst überlassen. Solang es nicht nur ständige Wiederholungen sind und der Konflikt nicht zu erschöpfend ist, spricht nichts dagegen, ihn am Laufen zu halten. Irgendwann schwindet jedoch die Aufmerksamkeit der Leser. Wohl dem, der jetzt noch einen Joker hat – Stichwort: Betaleser.
Wenn man eine Kampfszene geschrieben hat, tut man gut daran, sich diese selbst oder einem gnädigen Zuhörer einmal laut vorzulesen. Hierbei findet man schon viele unrunde Stellen und Ungereimtheiten.
Es ist auch ratsam, jemanden drüberlesen zu lassen, der ehrlich genug ist, den Finger auf Fehler und in die Wunde zu legen.
Wo ist es zu mager, wo zu viel? Was ist noch unverständlich? Solche Kritik ist Gold wert!
Sprecht darüber – vielleicht kommen Euch gemeinsam Ideen, wie die Szene besser beschrieben werden kann, damit das Kopfkino des Autors in die Köpfe der Leser projiziert werden kann und die Kampfszene im Geiste lebendig wird.
Zusammenfassung: Kampfkunst aus dem Tintenfass
Vorbereitung:
- W-Fragen beantworten
- Bewegungen vor dem Spiegel (mit oder ohne Behelfsgegenstände) nachstellen und sich selbst dabei kritisch beobachten: Wie sieht das aus? Geht das überhaupt?
- Bei komplexen Kampfszenen Umgebung und Choreographie skizzieren
Stil:
- Kurze Sätze, nicht verschachteln
- Deutliche Sprache, aber umschreiben, wo sinnvoll
- Unterbrechungen knapp halten
Dynamik:
- Abwechslung! Handlung – Umgebung – Wahrnehmung/Gefühl – Handlung
- Comic-Sprache (Zack! Bumm! Peng!) vermeiden, lieber show, don't tell!
- Verschiedene Ebenen ausschöpfen.
Tempo:
- Mit der Waffe schreiben, nicht gegen sie, d.h. die Länge der Sätze an die Geschwindigkeit des Tuns angleichen.
- Ebenso verhält es sich mit der Distanz: Die Satzlänge sollte mit der Entfernung in Einklang stehen, je näher sich die Kontrahenten sind, desto kürzer sollte man sich fassen.
- Auch hier gibt es wieder Ausnahmen: Während des Verharrens in einer Position kann mehr geschrieben werden, was der Protagonist wahrnimmt oder denkt.
- Zeitverzögerungen nur sparsam einbauen
Spannung:
- Stimmung erzeugen!
- Leser durch die Augen des Protagonisten mit hineinziehen
- Gefühle nutzen und zum Leser transportieren
- Gezieltes Auslassen von Informationen kann Spannung erzeugen
Letzter Schliff:
- Text laut vorlesen!
- Lasst jemanden anderen drüberlesen!
- Nicht immer gelingt es, das Kopfkino so in Worte zu fassen, dass es ein anderer versteht.
- Üben und Neues ausprobieren.
Die Feder ist stärker als das Schwert und Worte können tiefere Wunden reißen als jede andere Waffe es vermag. Dessen sollte man sich als Autor stets bewusst sein. Doch wie mit allen Waffen, will der Umgang damit wohlüberlegt und gut geübt sein, um sich damit nicht ins eigene Fleisch zu schneiden (kritische Reviews kassieren) oder jemanden (hier: die Leser) aus Versehen zu verletzen (z.B. durch überzogene Gewaltdarstellung/Gewaltverherrlichung oder taktloser Umgang mit sensiblen Themen).
Nachwort
Dies ist der Abschluss des vierteiligen Kampfszenen-Tutorials.
Trotz des Umfangs gibt es mit Sicherheit noch viele weitere Aspekte, die zu beleuchten interessant wäre. Wer sich nun ans Schreiben einer Auseinandersetzung wagen will, sollte hiermit dennoch ein – hoffentlich – hilfreiches Begleitwerk an der Hand haben. Also nichts wie los – bewaffnet mit dem Schreibgerät der Wahl heißt es nun:
Auf in den Kampf!