Tutorial: Wie schreibe ich eine Kampfszene? Teil 1: Das Erleben des Protagonisten
Vorwort
Herzlich willkommen zu den Tutorials zum Thema „Wie schreibe ich eine Kampfszene?”.
So schnell wie diese Überschrift formuliert ist, so umfassend ist doch das Thema. Kampfszenen können in jedem Genre und in jeder Art Geschichte in mannigfaltigen Varianten vorkommen. Von einer halbwegs freundschaftlichen 1:1-Situation in einem koordinierten Training bis hin zum epischen Schlachtengetümmel. Angefangen von der leeren Hand kann einfach alles zur Waffe werden und jede Waffe kann auf unterschiedliche Weisen verwendet werden. Die Möglichkeiten sind nahezu unerschöpflich!
Deshalb wird es hier keine konkrete Anleitung zum Schreiben geben, sondern vielmehr Tipps und Hinweise, was man vor, während und nach der Kampfszene schreiberisch bedenken sollte.
Kampfszenen sind ein großes Thema. Daher haben wir verschiedene Bereiche ausgewählt, die wir in vier einzelnen Tutorials behandeln wollen. Diese Tutorials nehmen zwar aufeinander Bezug, bauen aber nicht zwangsläufig aufeinander auf, sodass sie auch unabhängig voneinander bzw. einzeln für sich gelesen werden können.
Ihr befindet euch HIER:
Kampfszenen Teil 1: Das Erleben des Protagonisten
Kampfszenen Teil 2: Die Wahl der Qual
Kampfszenen Teil 3: Die Variation des Kampfs
Kampfszenen Teil 4: Die Kampfkunst aus dem Tintenfass
Das Erleben des Protagonisten
Einführung
Eine Kampfszene steht also bevor. Diese soll sich nahtlos in die Geschichte einfügen. Das heißt konkret, dass alle Handlungen sowohl zu den Beteiligten als auch zu den örtlichen Gegebenheiten passen.
Allgemein bedeutet das Schreiben eine Kampfszene:
- Jemand tut jemand anderem Gewalt an.
- Jemand kann oder soll verletzt und eventuell getötet werden.
- Gefühle sind stets vorhanden und nehmen aktiv Einfluss auf die Handlung.
- Die Stimmung bzw. Atmosphäre ist angespannt.
- Für jede Kampfhandlung gibt es einen Grund.
- Die gesamte Umgebung, der Zeitpunkt und alle Anwesenden bestimmen den Handlungsspielraum.
Dieses Tutorial widmet sich der Frage, warum diese Aspekte so wichtig sind, und wie sie nicht zur Stolperfalle werden. Für die folgenden Beispiele zum Erleben des Protagonisten betrachten wir immerzu dieselbe Situation und schauen, wie sie sich entwickeln kann:
Luna kam nach Hause. Heute etwas früher als sonst. Auf dem Weg zur Garderobe schloss sie im Vorbeigehen die Tür ihres Putzschranks, die einen kleinen Spalt aufstand. Sie wollte ihren Mantel wie jeden Abend auf einen Kleiderbügel an der Garderobe neben dem Schrank hängen, doch der Kunststoffbügel mit den kräftigen schwarzen Armen entglitt ihr und polterte zu Boden. Luna bückte sich, um ihn aufzuheben. Als sie sich aufrichtete stand ein Fremder vor ihr. In der Hand hielt er einen spitzen Gegenstand und drohte: "Ganz ruhig – Du machst jetzt ganz genau, was ich von Dir will, wenn Dir Dein Leben lieb ist!"
Alles, was in diesem Beispiel zunächst überflüssig erscheint, wird im folgenden Konflikt relevant. Obgleich die Leser dies jetzt noch nicht wissen müssen, gibt diese Beschreibung einerseits schon Anlass zur Spekulation, andererseits schafft sie ganz beiläufig ein Bild vom Raum: Hartboden (kein Teppich), Hauswirtschaftsschrank, Garderobe mit mindestens einem Mantelbügel aus Hartplastik (weder aus Holz noch aus Metall), klassisch schwarz, also nichts Besonderes, aber eben halbwegs stabil (kein hochwertiges Designstück). Möge das Kopfkino beginnen ...
Die Möglichkeiten
Ort, Zeit und Beteiligte stehen fest. Damit sich hieraus eine Kampfszene entwickelt, gilt es die vorliegenden Gegebenheiten auszuloten. Wie wird der Protagonist reagieren? Wird er sich fügen, fliehen oder sogar kämpfen?
Natürlich steht das Ziel für den Autor oftmals schon fest, die Frage ist nur: wie gelangt der Protagonist dorthin? Spätestens jetzt lohnt es sich, falls vorhanden, die Steckbriefe aller Anwesenden nebeneinander zu legen, um deren Charaktereigenschaften, Fähigkeiten und Defizite gegeneinander aufzuwiegen.
Es klingt vielleicht etwas überraschend, aber die körperliche Verfassung spielt bei der Entscheidung Kampf oder Flucht nur eine untergeordnete Rolle. Sie fällt erst für den Ausgang des Konflikts ins Gewicht. Vorher bestimmen andere Faktoren die Entscheidung für oder gegen die Auseinandersetzung.
Mutige, aggressive oder kampferprobte Persönlichkeiten, um nur einige Attribute zu nennen, werden sich tendenziell eher für den Kampf entscheiden; vorsichtige, introvertierte oder diplomatische Charaktere ziehen möglicherweise die Flucht vor, wohingegen sehr ängstliche, impulsive oder unerfahrene Protagonisten zu kopflosen Aktionen neigen. Die jeweiligen Eigenschaften tragen aber nur einen Teil zur Entscheidung bei.
Nicht immer sind die Steckbriefe eindeutig, wie das nächste Beispiel veranschaulichen soll (hier sollen nur relevante Details herausgepickt sein, die sich den Lesern bereits aus dem Verlauf der Geschichte erschließen sollten; das geschickte Einflechten in die Kampfszene ist zwar auch möglich, allerdings deutlich anspruchsvoller zu schreiben, wenn es nicht auf einen "Infodump" hinauslaufen soll):
Protagonist: "Luna" ist eine gesellige, junge Frau, manchmal neigt sie zu Stimmungsschwankungen, ist aber normalerweise ausgeglichen und freundlich. In der Schule hat sie an einem Selbstverteidigungskurs teilgenommen, was aber schon eine Weile her ist. Alles was sie davon behalten hat, ist die Erkenntnis, dass es immer besser ist, sich der Gefahrensituation zu entziehen. Falls dies nicht möglich ist, schüchtert Unberechenbarkeit den Gegenüber ein (z.B. lautes Singen auf der Straße und dazu wildes Trommeln auf parkenden Autos) und wenn er noch immer nicht ablassen will, hat sie nicht nur zwei Hände, sondern auch Füße, Knie und Ellenbogen, und überhaupt den ganzen Körper, um sich zur Wehr zu setzten. Bisher hat sie all das nie gebraucht. Sie möchte anderen eigentlich weder wehtun, noch deren Eigentum beschädigen.
Antagonist: Der "Fremde" in Lunas Wohnung ist einen Kopf größer als Luna, sportliche Statur, Gelegenheitsdieb, diverse kleinere Delikte und Einbrüche, um sich über Wasser zu halten, aber auch schon in Messerstechereien und eine Geiselnahme verwickelt. Er ist eher introvertiert, kann aber schnell aggressiv werden, wenn ihn eine Situation überfordert.
...mit solchen Eigenschaften ist alles offen. Derartige Beschreibungen helfen jedoch ungemein, wenn es darum geht, wie sich der Charakter in bestimmten Situationen vorzugsweise entscheiden wird. Kleine Änderungen der Ausgangslage können viel bewirken. Sie helfen dabei, den Protagonisten glaubwürdig, aber für den Leser unauffällig, ans gewünschte Ziel, in diesem Fall in den Kampf, zu geleiten.
Um das zu erreichen, muss der Protagonist in Zugzwang geraten.
Der Stresstest
Ein Konflikt ist eine Stresssituation. In Stresssituationen neigt zwar jeder dazu, in sein charaktertypisches Schema zu verfallen, kann aber, je nach persönlichem Empfinden, auch davon abweichen. Ob jemand hierbei zum Angriff übergeht, dem Fluchtinstinkt folgt oder eine völlig unlogische Panikreaktion zeigt, liegt nämlich auch an der Ausgangslage.
Je nachdem, wie der Protagonist in den Konflikt geraten ist, wird er (re)agieren: hat der Protagonist die kämpferische Auseinandersetzung bereits geplant, erwartet oder ist er davon überrumpelt worden?
Damit verbunden ist stets die Frage nach dem Grund: Warum entscheidet sich der Charakter für den Kampf?
Je eher ein Protagonist dazu neigt, einem Konflikt aus dem Weg zu gehen oder je unerfahrener er im Kampf respektive im Umgang mit der zu Verfügung stehenden Waffe ist, desto mehr Überwindung wird es ihn kosten, zu kämpfen. Hier dürfen für die Leser keine Zweifel offenbleiben, damit sie in die Kampfszene einsteigen und mitgehen können.
Es lohnt sich also, die Ausgangslage genau zu hinterfragen und alle Möglichkeiten auszuschöpfen:
[Protagonist] Luna erkennt in dem spitzen Gegenstand des Fremden ihren Brieföffner, ein Erbstück ihres Urgroßvaters, das sie in ihrem stets verschlossenen Sekretär aufbewahrt – zusammen mit ihrem Schmuck und etwas weitaus Kostbarerem.
[Antagonist] Dies ist die letzte Chance des Fremden, sich dem Boss zu beweisen. Wenn er es nicht schafft, Lunas Geheimnis zu stehlen, dann ...
Achtung: solch wichtige Informationen und deren Tragweite sollten den Lesern nicht erst kurz vor der Kampfszene eröffnet werden, sondern im Idealfall längst bekannt sein. Spätestens in der Auflösung müssen sie deutlich werden. Nichtsdestotrotz sollte man sich als Autor darüber im Klaren sein, ob diese Beweggründe ausreichen, dafür zu kämpfen, insbesondere wenn eine Auseinandersetzung vermeidbar scheint oder wider der Natur des Protagonisten laufen würde.
Die Entscheidung zu Kämpfen
Bei einer Konfrontation laufen im Körper des Protagonisten unweigerlich folgende physiologische Prozesse ab: Die Muskulatur spannt sich an, Puls und Atemfrequenz sind erhöht, der Blutdruck steigt, die Pupillen weiten sich und die Aufmerksamkeit ist vollkommen auf den Gegner gerichtet.
Binnen Sekunden fällt das Unterbewusstsein die Entscheidung über Angreifen, Flüchten oder Totstellen. Das letztgenannte entspricht der Schreckensstarre. "Freeze, flight, fight, or fright" nennt sich diese Reaktion in der Psychologie.
Als "lesbares" Ergebnis formt sich in der "Innenwelt" des Protagonisten die entsprechende Emotion, die unbedingt verschriftlicht werden muss, um sie zu den Lesern zu transportieren. Das altbewährte "Show, don't tell", also dem Umschreiben gegenüber dem direkten Benennen den Vorzug zu geben, gilt hier insbesondere.
Fühlende Wesen können ihre Gefühle nur in den seltensten Fällen abstellen, und so kommen sie schon emotional vorbelastet an. Genau hier liegt das Potential, das man als Autor nicht ungenutzt lassen sollte: Man kann den Protagonisten mit den unterschiedlichsten Emotionen ins Rennen schicken.
Hierzu nochmals die Eingangsszene, emotional unterschiedlich gefärbt:
Luna kam nach Hause. Heute etwas früher als sonst. Sie war fix und fertig. Erst der Feueralarm, dann ein Beinaheunfall – mehr Aufregung musste wirklich nicht sein. Auf dem Weg zur Garderobe schloss sie im Vorbeigehen die Tür ihres Putzschranks, die einen kleinen Spalt aufstand. Seltsam. Luna war sich sicher, dass die Tür heute früh zu war. Sie wollte ihren Mantel wie jeden Abend auf einen Kleiderbügel an der Garderobe neben dem Schrank hängen, da vernahm sie ein Geräusch. Kurz abgelenkt, entglitt ihr der Bügel mit den kräftigen schwarzen Kunststoffarmen und polterte zu Boden. Luna bückte sich, um ihn aufzuheben. Sie hätte schwören können, dass das Geräusch aus ihrer Wohnung kam. Also hielt sie inne – ihr Blick huschte zur Wohnungstür – nichts. Womöglich sollte sie sich einfach ins Bett legen, die Augen fielen ihr sowieso schon fast zu. Schwerfällig wie eine Greisin richtete sie sich auf und ächzte dabei, als ob der Kleiderbügel durch und durch aus Blei wäre. Erst als sie den Blick hob, bemerkte sie den Fremden, der plötzlich vor ihr stand. Im selben Augenblick verpasste ihr Herz einen Schlag. Die Müdigkeit wie fortgefegt. Ihr Magen schnürte sich zusammen. In der Hand hielt der Typ ein Messer und drohte: "Ganz ruhig – Du machst jetzt ganz genau, was ich von Dir will, wenn Dir Dein Leben lieb ist!"
Schreck lass nach! Nach so einem Tag auch noch ein Überfall. Da will man doch nur noch weg, oder?
Luna tänzelte nach Hause. Heute etwas früher als sonst. Sie hatte nachher noch ein Date! Auf dem Weg zur Garderobe tippte sie, ein Lied auf den Lippen, im Vorbeigehen die Tür ihres Putzschranks an, die einen kleinen Spalt aufstand. Verliebt liebkoste sie die Arme des Kleiderbügels, auf den sie eigentlich wie jeden Abend ihren Mantel an die Garderobe neben dem Schrank hängen wollte, doch der Kunststoffbügel mit den kräftigen schwarzen Armen entglitt ihren Streicheleinheiten und polterte zu Boden. Mit einem Seufzer bückte sich Luna, um ihn aufzuheben. Heute war die Welt rosarot und es würde noch besser werden... Doch als sie sich aufrichtete stand ein Fremder vor ihr. Lunas Herz klopfte ihr sofort bis zum Hals. Sie spürte Schweiß auf ihrer Kopfhaut perlen. In der Hand hielt der Mann ein Messer und drohte: "Ganz ruhig – Du machst jetzt ganz genau, was ich von Dir will, wenn Dir Dein Leben lieb ist!"
Tja. Manchmal kommt es eben anders als man denkt. Gerade noch im siebten Himmel und dann das!
Was für ein grauenvoller Tag! Luna schlug die Tür hinter sich zu, froh endlich zu Hause zu sein. Heute etwas früher als sonst, denn wenn sie noch länger geblieben wäre, wäre sie gewiss Amok gelaufen. Auf dem Weg zur Garderobe rammte sie im Vorbeigehen die Tür ihres Putzschranks zu, die einen kleinen Spalt aufstand. Mistding! Sie wollte ihren Mantel wie jeden Abend auf einen Kleiderbügel an der Garderobe neben dem Schrank hängen, doch erst rutschte ihr der Mantel aus der Hand, dann entglitt ihr zu allem Überfluss auch noch der dicke Kunststoffbügel und polterte zu Boden. "Aaargh!" Warum musste heute alles schiefgehen? Luna bückte sich, um ihn aufzuheben, da platze auch noch die Naht am Hosenboden. "Das gibt's doch gar nicht!" Sie war auf hundertachtzig – am liebsten würde sie den Kleiderbügel mit rohen Kräften zerbrechen und in die Ecke pfeffern. Und die verdammte Jeans gleich mit! Wenn das so weiterging, brachte sie heute noch jemanden um! Ganz sicher: der nächste, der sie heute ansprach, starb. Als sie sich aufrichtete stand da ein Fremder. In der Hand hielt er ein Messer und drohte: "Ganz ruhig – Du machst jetzt ganz genau, was ich von Dir will, wenn Dir Dein Leben lieb ist!"
Der Fremde hat hier wohl eher schlechte Karten.
Allein durch den unterschiedlichen Einstieg in die Szene ist deren Ausgang schon fast vorprogrammiert. Das sprichwörtliche Zünglein an der Waage ist letzten Endes immer die Gefühlswelt des/der Protagonisten.
Wenn der Protagonist sowieso schon bereit ist, zum Angriff überzugehen, dann sollte man den Moment nicht länger als unbedingt nötig hinauszögern.
Stocksauer presste Luna die Arme des Kleiderbügels zusammen, sodass er mit einem lauten Knall zerbarst. Um sie herum wirbelten Plastiksplitter und hinterließen zwei mit scharfen Zinken bewehrte Endstücke in ihren Händen. So bewaffnet straffte sich Luna und starrte dem verdutzten Fremden direkt in die Augen. "Verschwinde oder ich mach Dich kalt." In ihrer Stimme schwang so eisiger Zorn, dass kein Platz für Furcht blieb. Zweifellos hat der Fremde nicht mit ihrer Reaktion gerechnet, denn er glotze sie an wie ein Reh den Scheinwerfer. "Ich mein's ernst!", fauchte sie. Als er noch immer nicht reagierte, machte sie einen Schritt auf ihn zu. Instinktiv wich er zurück. Doch schon im nächsten Moment schüttelte sich der Fremde, fluchte und fuchtelte mit dem Brieföffner vor ihr herum. Was nun?
Der Katalysator
Nicht immer lässt sich der Einstieg so klar definieren, und doch soll es zum geplanten Kampf kommen. Manchmal benötigt es noch den letzten Stupser oder wahlweise auch den Wink mit dem Zaunpfahl: Die Intention – also die Frage nach dem "Warum?"
Dann kann es sich an dieser Stelle lohnen, mit den Lesern nochmals eine Runde mit dem Gedankenkarussell zu drehen, bis der Protagonist bereit ist, zu kämpfen. Und sei es nur, weil der Fluchtweg versperrt ist oder zunächst die Schreckensstarre gelöst werden muss.
Das Herz klopfte Luna bis zum Hals. Was tat der Typ hier in ihrem Zuhause? Wie war er hineingelangt? Waren noch mehr da? Angst. ANGST! Hektisch blickte Luna zwischen Tür und Fremden hin und her, nicht fähig, sich zu rühren. "So ist's brav", flüsterte er in ihr Gewissen.
Jetzt erst erkannte sie, dass das kein Messer, sondern ihr Brieföffner war – es war ihm also gelungen, das Schloss ihres Sekretärs zu knacken. Womöglich hatte der Fremde schon längst ihr Kleinod an sich gerissen? Etwas, das niemals in die falschen Hände geraten sollte! Pure Verzweiflung riss sie aus ihrer Starre, mobilisierte Kräfte, von denen sie nie erwartet hätte, dass sie in ihr schlummerten.
Sie warf dem Fremden den Kleiderbügel an den Kopf. Zugegeben, nicht ihr cleverster Einfall, denn nun setzte er auf sie zu, stieß den Brieföffner nach vorn. Geistesgegenwärtig riss Luna die Schranktür auf, sodass der Angriff des Fremden dort endete und sich ihr ein Sammelsurium nutzloser Gegenstände darbot. Und jetzt?
Die wortlose Rede
Wenn etwas innerhalb einer Kampfszene nicht mehr funktioniert, dann ist das ein sinnstiftender Dialog. Kommuniziert wird trotzdem – auf einer anderen Ebene. Nachdem der Kampf nun auf die eine oder andere Weise begonnen hat, kommt ein wichtiges Werkzeug hinzu: die Körpersprache!
Je nach Art des Kampfes ist dies mehr oder weniger möglich. Das ergibt sich individuell.
Was man aber beachten sollte, ist das, was instinktiv stattfindet: der Drohende/Angreifende macht sich tendenziell größer, mit raumgreifenden Bewegungen, das Opfer macht sich eher kleiner, begibt sich schutzsuchend in geduckte Abwehr-Haltung.
Ausnahme: das Training an der Waffe gibt die Bewegung mit dieser vor – je geübter der Umgang damit, desto fließender, organischer sind die Abläufe und dies steht über der Täter/Opfer-Haltung. Antrainierte Abläufe sind dann in Fleisch und Blut übergegangen, wie es so schön heißt und somit instinktiv abrufbar.
Was man auch gut über die Körpersprache beschreiben kann: Nicht jeder kann und will jede Waffe benutzen! Abgesehen davon kostet es auch Überwindung, eine Waffe gegen einen anderen zu richten, wenn man darin nicht in irgendeiner Form "trainiert" ist.
Jemand, der noch nie einen anderen verletzt hat, wird also zögern oder in letzter Sekunde die Bewegung abbrechen. Es sei denn, er kämpft direkt um sein Leben. Dann schaltet der Kopf auf "Autopilot". Das bedeutet, dass Gewissen und Moralvorstellungen Pause haben, bis sich der Betroffene der akuten Gefahrenlage entzogen hat. Erst dann oder viel später holen ihn die Zweifel an seinem Tun ein, manchmal mit voller Wucht bis hin zur posttraumatischen Belastungsstörung, das soll aber nicht Thema dieses Tutorials sein.
Ob und wie viel respektive was der Protagonist während des Kampfes denkt, hängt stark von der Art und der Geschwindigkeit des Kampfes ab. Hier gilt es, ein Mittelmaß zu finden zwischen der Innenwelt des Protagonisten einerseits und dem äußeren Kampfgeschehen andererseits. Niemand will eine trockene Choreografie lesen, aber ganz ohne geht es nicht. Dasselbe gilt für das Erleben des Protagonisten: Wenn dessen Gedanken und Emotionen zu viel Raum einnehmen, verliert man beim Lesen schnell den Faden, was tatsächlich gerade passiert.
Die Wahrnehmung
Wie bereits erwähnt, ist die Wahrnehmung des Protagonisten im Kampfgeschehen reduziert oder besser gesagt fokussiert auf den Gegner. Je erfahrender der Protagonist ist, desto eher kann er über den Tellerrand schauen und seine Umgebung im Blick behalten. Jemand, der mit der Situation überfordert ist, wird so ziemlich gar nichts mehr denken, oder seine Gedanken werden in einer Schleife festhängen, die sich wiederholt und wiederholt und wiederholt, während der Körper mehr reagiert als agiert.
Luna griff in den Putzschrank. „Oh Mist, oh Mist, oh Mist!” Wahllos zerrte sie ein Putzmittel nach dem anderen hervor und warf es dem Fremden entgegen. Badreiniger! Chlorbleiche! Rohrfrei! Es hinderte ihn zwar am Näherkommen, aber er wehrte alle Geschosse mit dem Arm ab. Möbelpolitur! Bohnerwachs! Der Schrank wurde leerer und leerer. „Mist! Mist! Mist!”
Die letzte Flasche war ein uraltes Insektenspray ohne Kappe. Panisch grapschte Luna danach, holte aus, wollte es schon schmeißen – doch dann fühlte sie unter ihrem Zeigefinger den Sprühkopf. In letzter Sekunde entschied sie sich um, hielt dem Fremden die Düse ins Gesicht und drückte zu. Mit dem Zischen standen sie in einer stinkenden Nebelwolke. Der Fremde stach den Brieföffner ins Leere, riss dann die Hände vor die Augen, schrie und fluchte. Er wandte sich ab. „Oh”, machte Luna. Erst jetzt realisierte sie das Bügeleisen. Sie nahm es am Griff aus dem Schrank, holte aus, hatte aber doch Hemmungen, dem Eindringling damit eins überzubraten. Der Fremde drehte sich zurück zu ihr: „Ich bring Dich um!”, versprach er lauthals und verpasste der Schranktür dabei einen so jähen Tritt, dass diese nicht nur zu, sondern sogleich wieder aufflog und Luna nur knapp verfehlte. Mit einem weiteren Schritt stand er bei ihr, drängt sie gegen die Wand. Seine Augen waren ganz rot, seine Wangen nass von Tränen und Insektenspray und trotzdem bleckte er die Zähne wie ein räudiger Hund. Luna geriet erneut in Panik. Ehe sie sich versah, hatte der Fremde das Bügeleisen im Gesicht. Ihr Arm war eigenmächtig ausgefahren! Der dumpfe Aufschlag ging ihr durch Mark und Bein. Wie ein Sack voll Sand kippte der Typ um und blieb inmitten des Chaos reglos liegen. „Oh... Mist.”
Wenn der Protagonist der Stärkere oder zumindest der Angreifer ist, wird ihm wesentlich mehr durch den Kopf gehen. Zu weit sollte man seine Gedanken jedoch nicht abschweifen lassen, sonst wird die Szene schnell unglaubwürdig.
Doch schon im nächsten Moment schüttelte sich der Fremde, fluchte und fuchtelte mit dem Brieföffner vor ihr herum. Was nun? Als ob ihr der Typ mit dem Brieföffner etwas Ernsthaftes antun könnte! Lunas Hände zitterten vor Zorn. Und Anspannung. Sie witterte die Zweifel des Fremden. Wieder machte sie einen Schritt auf ihn zu. „Geh!”, empfahl sie unmissverständlich, „jetzt.” Sein Blick floh nervös zwischen den beiden abgebrochenen Kleiderbügelarmen hin und her. Für einen Moment ließ er seine Waffe sinken. Jetzt! Sie nutzte die Gunst der Stunde und kickte mit aller Kraft gegen seine Hand. Der Brieföffner flog gegen die Wand. Nur Sekunden später rammte sie dem Fremden die scharfkantigen Zinken in die Flanken. Er schrie auf. Doch statt nachzugeben, vergrub er seine Finger in ihrem Hals und drückte zu. Entsetzt ließ Luna die Plastikstücke fallen. So hatte sie sich das nicht vorgestellt...
Innerhalb eines Kampfes kann die Täter/Opferrolle auch wechseln. Derjenige, der gerade die Oberhand hat, wird eher von seinen Gedanken, der Unterlegene mehr von seinen Gefühlen gelenkt und begleitet. Es spricht auch nichts dagegen, dass die Innenwelt des Protagonisten ins Irrationale abrutscht, solange es in den Kontext passt.
Luna schwanden die Sinne. Ihre Augen suchten die Garderobe nach Hilfe ab. Die Schramme, die der Brieföffner an der Tapete hinterlassen hatte, sah übel aus. Dabei hatte sie gerade erst frisch gestrichen. Selbst schuld, was musste sie auch die Heldin spielen ...
Je mehr Zeit in einer Position verharrt wird, desto mehr Aufmerksamkeit kann der Protagonist seiner Umgebung gönnen. Trotzdem muss er immer wieder ins Geschehen zurückfinden.
Selbst wenn der Protagonist um sein Überleben kämpft, sollte man tunlichst nicht sein ganzes Leben Revue passieren lassen. Als Faustregel kann man sich merken: je länger der Kampf andauert, desto weniger wird der Protagonist dabei denken und fühlen. Ganz einfach, weil er nicht mehr die Kraft dazu hat.
Möglichkeiten der Wahrnehmungsverzerrung
Da ist sie – die perfekte Szene oder zumindest die Idee – doch Vorsicht: Eine Geschichte ist kein Film! Im Film bestimmt der Regisseur, was die Zuschauer sehen. Hier entsteht Spannung besonders leicht durch Details, die dem Protagonisten verborgen bleiben. In einer Geschichte ist so etwas verzwickter, denn als Autor muss man mit Worten Welten erschaffen und läuft stets Gefahr, dass die Welt im Kopf des Lesers nicht mit der des Autors übereinstimmt. Wenn man aus der subjektiven Perspektive des Protagonisten schreibt, kommt erschwerend hinzu, dass dieser nicht alles wissen und wahrnehmen kann. Was außerhalb des Wahrnehmungsradius liegt, darf auch nicht beschrieben werden!
Dennoch gibt es ein paar Möglichkeiten. Fokus und Gedankenkreisen haben genauso ihre Berechtigung wie z.B. Gedankenrasen: wenn die Gedanken durch das Adrenalin im Blut schneller sind als die eigentliche Handlung, die Eindrücke plötzlich auf den Protagonisten einprasseln, erscheint die Außenwelt, um den Protagonisten für Sekundenbruchteile wie in Zeitlupe abzulaufen. Hierbei kann der Protagonist zufällig einen Glücksgriff erhaschen – aber alles mit Maß und Ziel. Was außer Reichweite liegt, muss auch für den Wimpernschlag der Zeitlupe außer Reichweite bleiben. Allein die Frage, ob der Protagonist es schafft, kann wiederum Spannung erzeugen.
Kämpfen bis zur Erschöpfung
Je nach Art der Auseinandersetzung und eingesetzten Waffen strapaziert die Kampfhandlung die Beteiligten. Selbst das schnellste Pferd im Stall bricht irgendwann zusammen, wenn es zu lange rennt, und genauso verhält es sich bei jeglicher Art körperlicher Auseinandersetzung.
Wenn mit Fernwaffen gekämpft wird und die Szene vornehmlich aus Zielen, Schießen, Deckung suchen und Nachladen besteht, dauert es natürlich üblicherweise länger, bis sich der Zustand völliger Erschöpfung einstellt, als bei einem Faustkampf. Aber nicht unbedingt. Jetzt kommt es nämlich auf die Konstitution, also die körperliche Verfassung der Kämpfer an. Wie steigen sie in den Kampf ein, welche Verletzungen tragen sie davon, wie lange können sie das noch durchhalten?
Die physischen Auswirkungen werden leider gerne vergessen. Verletzungen verursachen Schmerzen, und zwar mitunter so stark, dass sie den Protagonisten massiv einschränken, mehr als es dem Autor vielleicht lieb wäre. Abgesehen davon geht selbst bei körperlicher Unversehrtheit mit der Dauer der Kampfhandlungen eine psychische Erschöpfung einher: Die Aufmerksamkeit lässt nach, ebenso wie die Motivation. Die Bewegungen werden ungenau, was in einer verminderten Trefferquote und deutlich mehr Gegentreffern gipfelt. Immer.
Erst als der Fremde Luna rücklings zu Boden drücken wollte, gelang es ihr, seine Daumen kurzzeitig zu lockern. Er griff sofort nach, doch die Zeit reichte für einen Atemzug. Mit dem Sauerstoff kamen neuer Lebensmut und die Erkenntnis, dass ihre Füße genau zwischen seinen standen. Rasch zog sie ihr Knie hoch und rammte es ihm zwischen die Beine. Seine Augen quollen aus den Höhlen und er presste die Lippen aufeinander. Während er sich krümmte, glitten seine Hände von ihrer Kehle. Luna befreite sich aus seinem Griff, doch statt zu flüchten, wurde ihr schwummrig. Alles drehte sich. Sie musste sich erst einmal an der Wand abstützen. Sie bemerkte, dass der Eindringling Blut an seinem Shirt kleben hatte. Sie hatte den Dreckskerl also doch erwischt. Jetzt drückte er mit der Hand dagegen. Sie musste hier raus! Weit kam sie aber nicht, denn ihr wurde gleich wieder schwindelig. Sie wankte gegen ihren Putzschrank, lehnte sich gegen die Wand, um nicht umzukippen, während sie die Tür öffnete.
Ziellos wanderte Ihr Blick über den Inhalt. Von hinten näherte sich schon wieder der Fremde. Luna konnte keinen klaren Gedanken fassen – was sollte sie mit dem Zeug anfangen? Als sie die Hand des Typen halbherzig zupackend in ihrem Nacken spürte, blieben ihre Augen am Bügeleisen kleben. Das Ding war unhandlich und schwer. Wenn sie ihn nicht damit treffen würde, wären sowohl das Bügeleisen als auch der Boden im Eimer – war es das überhaupt wert?
Manche Autoren entwickeln eine perfide Freude daran, ihre Protagonisten zu quälen. Nichtsdestotrotz sollte die Gewalt und Leidensdarstellung innerhalb einer Kampfszene nicht übertrieben werden. Das sprichwörtliche Ende mit Schrecken ist allemal besser als der Schrecken ohne Ende.
Nicht jede Grausamkeit, die möglich wäre, muss auch durchgeführt werden. Manchmal ist weniger mehr.
Das Ende
Irgendwann ist auch der epischste Kampf zu Ende. Ob durch Über-/Unterlegenheit, Zufallstreffer oder höhere Gewalt (also durch ein nicht von Pro- und Antagonisten herbeigeführtes Ereignis) – nicht immer lässt sich dieses Ende klar mit Sieg, Niederlage oder Unentschieden beziffern. Das ist auch nicht notwendig. Oft gibt es Verluste auf beiden Seiten. Die Frage lautet an dieser Stelle: Wie gehen der Protagonist oder auch die Überlebenden mit der Situation um? Hat der Protagonist überhaupt noch die Kraft, zu feiern, oder bricht er gleich zusammen? Spätestens jetzt sollte der ursprüngliche Charakter des Protagonisten wieder zutage treten, durchaus geläutert durch den Kampf.
Jemand, der zum ersten Mal einen Mord begangen hat, den lässt das nicht kalt. Vielleicht läuft er panisch umher wie ein aufgescheuchtes Huhn? Oder wird er sich in eine Ecke kauern und vor sich hinstarren? Wohingegen ein Mörder, der seinen erbittertsten Feind endlich zur Strecke gebracht hat, auf diesen spucken könnte oder dessen Leichnam in einer anderen Form schändet.
Wird ein ehrlicher Sieger im Ring mehr gefeiert als der Gewinner der Prügelei im Bahnhofsviertel, der gerade einen Polizisten k.o. geschlagen hat? Sammelt der Bogenschütze seine kostbaren Pfeile ein oder reitet er mit leerem Köcher von dannen?
Im Film wird so etwas gerne übergangen, in der eigenen Geschichte sollte man wenigstens mal einen Gedanken daran verschwenden – wer weiß, wofür man das noch braucht.
Es war vorbei. Sie hat überlebt! Schwer atmend kauerte Luna auf dem Boden. Sie zitterte. Der Typ regte sich nicht mehr. Sein Schädel lag getunkt im eigenen Blut. Ob er noch lebte, hatte sie nicht überprüft. Zu groß war die Sorge, eine Leiche im Flur liegen zu haben. Was sollte sie denn jetzt machen? Der Dunst nach einer Mischung aus Chlorbleiche und Toilettenreiniger biss in der Nase. Nach einer Weile erhob sie sich und sammelte erst den kaputten Kübel und anschließend die Putzmittelflaschen ein. Manche waren aufgeplatzt, der Inhalt mischte sich in bunten Schlieren. Den blauen Streifen Bodenreiniger würde sie vermutlich nicht so schnell von der Tapete gewischt bekommen. Und den Kratzer, den der Brieföffner auf dem Boden hinterlassen hatte, auch nicht. Mist. Resigniert ließ sie alles, was sie gerade aufgelesen hatte, wieder fallen, schlug die Hände vors Gesicht und weinte.
Nicht selten stellt sich nach dem Kampf so eine Art emotionale Leere ein, selbst wenn einem andere lobend auf die Schulter klopfen. Das Geschehen muss erst einmal verkraftet und verarbeitet werden. Wie, das ist ganz individuell und vor allem abhängig von den Verlusten: Sind andere verletzt worden oder zu Tode gekommen? Was ist mit den Verbündeten oder auch den Gegnern? Sind Unbeteiligte zu Schaden gekommen? Wird jemand gefangengenommen?
Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt gekommen, dass sich der Protagonist einmal umsieht, was der Kampf so für Kollateralschäden angerichtet hat. So etwas in beschreibende Worte zu fassen, ist nicht immer einfach. Hierbei kann es hilfreich sein, die Augen zu schließen und sich als „Mäuschen” in die Situation hineinzuversetzen: Was gibt es ganz objektiv betrachtet zu sehen? Auf welche Weise verlässt der Protagonist den Schauplatz des Geschehens? Was hat sich durch den Kampf verändert?
Ist ein wichtiger Ort zerstört worden? Sind relevante Personen verletzt oder verstorben?
Was hat der Kampf emotional mit dem Protagonisten gemacht?
Jemand, der überfallen worden ist, wird zukünftig an ähnlichen Orten für mindestens eine Weile Angst haben, dass ihm dies nochmals widerfährt, und solche Situationen meiden. Ist jemand in seinem Ressort überfallen worden (egal ob zuhause, auf Arbeit oder an einem öffentlichen Ort), wird er an dieser Stelle stets ein ungutes Gefühl haben und dort möglicherweise nicht bleiben wollen.
Jemand, der Mord oder Totschlag begangen hat, wird sich zeitlebens an sein Opfer erinnern.
Nach einer Niederlage werden die Gedanken kreisen, was man hätte anders machen können, ebenso bei herben Verlusten.
Niemand, nicht einmal ein professioneller Killer, geht ohne Emotionen aus der Kampfszene. Trotzdem muss die Geschichte nach der Kampfszene (meistens) weitergehen, also sollte schon vorher klar sein, inwieweit der Kampf den Verlauf der Geschichte beeinflusst.
Hier gilt es zu beachten, dass Wunden Zeit brauchen, um zu heilen, auch der Akku ist nicht sofort wieder voll und der Körper muss sich erholen.
Ist der Tatort zu reinigen oder muss jemand ärztlich behandelt werden? Auch das nimmt Zeit in Anspruch, wohingegen die Sparringpartner einfach aus dem Ring steigen, sich erschöpft den Schweiß von der Stirn wischen und plaudernd in der Umkleidekabine verschwinden.
Die Zeit heilt alle Wunden, heißt es. Daher muss man der Geschichte auch genau das geben: Zeit.
Vorher, nachher und auch während der Kampfszene.
Planung ist alles
Genauso wie Pro- und Antagonist haben auch alle anderen in der SzeneAnwesenden spezielle Charaktereigenschaften, Fähigkeiten und Defizite, die darüber entscheiden, ob und wie sie sich an der Kampfhandlung beteiligen.
Sind mehrere Kämpfende beteiligt, so werden die nicht herumstehen, bis sie an die Reihe kommen. Ja, im Film ist das oft so – aber in einer echten Rangelei geht es drunter und drüber! Auch hier ist Augen- und Mittelmaß gefragt, damit die Leser den Durchblick behalten. Im Zweifelsfalle muss man die Anwesenden anderweitig beschäftigen oder schlicht deren Anzahl reduzieren.
Je mehr Beteiligte und je enger der Raum, desto eher empfiehlt es sich tatsächlich, sich mit Papier und Stiften zu bewaffnen und die Szene zu skizzieren: Wer steht wo, was steht im Weg, welche Möglichkeiten können sich daraus ergeben? Der Putzschrank aus dem Beispiel ist eine wunderbare Quelle für unkonventionelle Waffen aller Art. Dazu muss er aber früh genug erwähnt werden. Nur deshalb steht die Tür im Beispiel offen: alles soll unauffällig darauf hinauslaufen, dass sich da eine Quelle befindet, deren Inhalt benutzt werden wird.
Also plant schon früh, was ihr in die Szene einfließen lassen wollt – nichts reißt einen mehr aus dem Lesefluss als Dinge, die vorher nicht da gewesen sind. Andererseits kann es die Leser Nerven ohne Ende kosten, wenn sie wissen, dass hinter dem Busch eine Axt für den ersten, der sie findet, bereit liegt.
Auch ein spontaner Kampf sollte also von langer Hand geplant sein. Je mehr Zeit man vorab investiert, desto einfacher geht die Kampfszene von der Hand und umso mehr Spaß und Spannung haben die Leser daran. Außerdem tun sich vielleicht Auswege auf, die man sonst nie bedacht hätte.
Fazit: Das 4x4 zum Erleben des Protagonisten
Jedem Kampf innerhalb der Geschichte muss außerhalb eine hinreichende Planung vorausgehen. Gute Vorbereitung und Recherche sind eine ebenso tragende Säule wie das Einfühlen in die vorliegende Situation.
Kampfszenen sind wie Offroad-Fahren: Man muss immer mit dem Unvorhersehbaren rechnen. Ohne "Allrad-Antrieb" kann man schnell in gefährlicher Schieflage festhängen... Um aus jeder Kampfszene heil rauszukommen, sollte man neben den Bewegungsbeschreibungen, Sinneseindrücken und schreibhandwerklichen Kniffen stets auf 4x4 Aspekte achtgeben:
Die Art und Weise, wie der Protagonist die gesamte Kampfszene erlebt hängt von vier großen Faktoren ab:
- Individuelle Charaktereigenschaften
- Intention
- Emotion
- Konstitution
Vier wichtige Co-Faktoren bestimmen den Hergang der Kampfszene maßgeblich:
- Lokale Ausgangslage
- Zeitpunkt
- Weitere Anwesende
- Art der verwendeten Waffen
Nach Ende der Kampfhandlungen durchlebt der Protagonist (psychisch, physisch und/oder materiell) vier einschneidende Auswirkungen:
- Verlust
- Schmerz
- Emotionen
- Veränderung
Möchte man eine Kampfszene schreiben sollte man sich dabei von Beginn bis Ende immer wieder vier Fragen stellen:
- Ist der Einstieg wirklich plausibel hergeleitet oder kämpfen sie nur, weil ich das jetzt will?
- Sind die geplanten Kampfhandlungen wirklich durchführbar oder geht es mir nur um Eyecatcher-Momente?
- Sind wirklich alle in der Szene Anwesenden hinreichend beschäftigt oder ist noch jemand tatenlos?
- Fühlt sich das Ende natürlich herbeigeführt an oder hört die Kampfhandlung einfach folgenlos auf?
Unabhängig vom Blickwinkel sollte jede noch so irrationale Handlung einer inneren Logik folgen. Logiklücken oder -brüche entstehen dann, wenn man eine Szene nicht ausreichend durchdacht hat. Manchmal fällt einem erst beim Schreiben auf, dass die Szene so, wie man sich das vorstellt, keinen Sinn ergibt oder schlimmstenfalls zu einem völlig "falschen" Ergebnis führen würde. Dann sollte man entweder die Szene umschreiben (also den Kampf anders ablaufen lassen), komplett bleibenlassen (Auflösung ganz ohne Kampfszene) oder den Mut haben, die nachfolgenden Ereignisse an das plausible Ende der Kampfhandlung anzupassen, einschließlich aller Konsequenzen.
Nachbemerkung
Hier geht es mit dem nächsten Teil zum Thema Kampfszenen weiter:
Wie schreibe ich eine Kampfszene? Teil 2: Die Wahl der Qual