Tutorial: Wie baue ich gut POV-Wechsel ein?
In diesem Tutorial wollen wir uns ein wenig mit den POV-Wechseln beschäftigen. Fangen wir doch gleich einmal mit einem Beispiel an:
Ich sah ihr tief in die Augen.
Er sah mir tief in die Augen. Woran er wohl dachte?
Ich dachte nur noch daran, wie schön ihre dunklen Augen doch waren, und wie gerne ich sie küssen würde.
Ich lehnte mich ein klein wenig vor. Ich wollte endlich einen Kuss.
Nun, ich hoffe, ich muss hierzu nicht sehr viel mehr sagen als: "So (bitte) nicht!"
Für mich gibt es in diesem Beispiel drei Probleme:
- Die einzelnen Absätze pro Perspektive sind viel zu kurz. Satzweises Wechseln macht es schwierig, der Geschichte zu folgen, außerdem kann man als Leser so nur sehr schwer eine Beziehung zu den Figuren aufbauen.
- Der Perspektiven-Wechsel wird per A/N eingebaut. *POV Kasperl*, "Lieschens Perspektive" oder Ähnliches reißt den Leser aus dem Textfluss, ebenso wie es normale A/Ns tun, beispielsweise "A/N: Sind sie nicht süß?".
- Beide Perspektiven sind Ich-Erzähler.
Hier habe ich für mich eine feste Regel: Wenn ich einen Ich-Erzähler verwende, dann auch wirklich nur einen. Sollte ich eine zweite Perspektive benötigen, dann in der dritten Person - oder der zweiten, wenn es ganz ausgefallen sein soll. Für die Leser ist es dadurch einfacher, sich mit dem Haupterzähler zu identifizieren. Außerdem kann man so Verwirrungen vorbeugen.
Ich persönlich war am Ende von "Twilight: Eclipse" sehr irritiert, warum Bella sich plötzlich in einen Wolf verwandeln kann. Nach drei Büchern aus ihrer Sicht kam der neue Ich-Erzähler, trotz Ankündigung, so unerwartet, dass ich mit ihm einfach nicht klarkam. Sorry, Jacob. In "Twilight: Breaking Dawn" ging das dann schon besser, weil sein Teil hier auch deutlich länger war.
Welche Perspektivenwechsel gibt es?
- Möglichkeit 1: Auktorialer Erzähler
-
Bei obigem Beispiel wäre der auktoriale Erzähler wohl um einiges besser geeignet gewesen. Da dieser Erzähler allwissend ist, kennt er die Gedanken und Gefühle jeder Person und kann diese dann natürlich auch beschreiben. Wenn man eine Geschichte verfasst und in jeder Szene gerne das Innenleben aller Charaktere gleichzeitig beleuchten möchte, würde ich diesen Erzähltyp empfehlen. Hierbei gibt es auch keine Perspektivenwechsel, da der auktoriale Erzähler auf alle Perspektiven Zugriff hat und sie sozusagen parallel abrufen kann.
Kasperl sah Lieschen tief in die Augen. Sie erwiderte den Blick. Zu gerne würde sie jetzt wissen, woran er gerade dachte. Kasperl bekam davon natürlich nichts mit. Sein ganzes Denken war davon beherrscht, wie wunderschön er Lieschens dunklen Augen fand und wie gerne er sie küssen würde. Auch Lieschen wünschte sich einen Kuss. Sie lehnte sich ein klein wenig nach vorne.Achtung: Der auktoriale Erzähler sollte nicht mit dem Ich-Erzähler kombiniert werden, außer eure Hauptperson kann Gedanken und Gefühle lesen oder ist die Gottheit eurer Welt.
- Möglichkeit 2: Personaler Erzähler
-
Außerhalb des auktorialen Erzählers gilt: Qualität vor Quantität.
In unserem Fall hier bedeutet dies: Legt eine Handvoll Personen fest, aus deren Perspektive ihr erzählen wollt. Klassischerweise sollte es sich dabei um die Hauptfiguren handeln. Wie "Game of Thrones" uns vormacht, kann die Anzahl der Erzähler im Laufe der Geschichte abnehmen. Es können aber auch neue Erzähler hinzukommen, wenn sich Wege trennen oder eine neue wichtige Figur in einem späteren Band auftritt.
Es ist auch möglich, für eine der gewählten Perspektive eine Randfigur zu verwenden, die nicht allzu viel mit den Geschehnissen zu tun hat. Sie könnte immer dann genutzt werden, wenn die Ereignisse neutral oder von außen betrachtet werden sollen. Ein Händler zum Beispiel, der das Glück oder eher Pech hat, immer wieder in denselben Orten aufzutauchen wie unser Held, der bei seinen Abenteuern meist großes Chaos hinterlässt.
Von Konstruktionen wie "er spähte durchs Schlüsselloch und beobachtete die beiden anderen Erzähler dabei, wie sie gemeinsam ins Bett stiegen" bitte ich aber abzusehen, wenn es nicht wirklich nötig ist. Zum einen ist eine solche Handlung moralisch recht fragwürdig und zum anderen fiebern eure Leser vermutlich darauf hin, dass die beiden Erzähler, die seit Beginn der Geschichte umeinander tanzen, endlich diesen Schritt wagen. Dann sollte es auch drin sein, dass dieser Schritt aus einer der beiden Perspektiven geschrieben wird, die wirklich daran beteiligt sind. Der Händler kann in der Zeit ganz gemütlich in seinem Bett liegen und sich maximal über die Geräusche echauffieren, die aus dem Nachbarzimmer dringen. Allerdings kann es natürlich auch sein, dass es wichtig für die Geschichte ist, dass der dritte Erzähler die beiden anderen bei ihrem Stelldichein beobachtet. Dann könnt ihr die Schlüsselloch-Methode natürlich verwenden, ihr solltet allerdings den Grund dafür auch euren Lesern mitgeben. Wie bei vielem kommt es hier also auf die Geschichte an, welche Perspektive die richtige für diese Szene ist.
- Möglichkeit 2a: Kapitelweises Wechseln
-
Dies ist die wohl einfachste und meiner Meinung nach schönste Möglichkeit. Jedes Kapitel wird komplett aus einer Perspektive geschrieben, wobei es natürlich möglich ist, mehrere Kapitel aus der einen Perspektive zu schreiben, bevor eine andere dran ist. Diese kann im Kapiteltitel bereits erwähnt werden oder den Titel alleine ausmachen. Ihr könnt auch verschieden Stile für die Kapiteltitel verwenden, um die Perspektive deutlich zu machen. So gehören zu Erzähler A beispielsweise solche Titel, die aus immer drei Verben bestehen, Erzähler B hat stets nur ein Nomen und Erzähler C weist sich durch Sprichwörter aus. Der Stil sollte hierbei natürlich zum jeweiligen Erzähler passen. Wenn ihr es euren Lesern etwas einfacher machen wollt, könnt ihr das natürlich in eurem Vorwort erwähnen, aber normalerweise sollten sie es nach einer Weile selbst merken.
Kapitel 1: Einkaufen, graben und gießen
Erzähler A geht auf große Einkaufstour: neue Erde, Samen, kleine Blumenpflänzchen. Anschließend gräbt er das Beet um, pflanzt die neuen Sachen ein und gießt dann den Garten.Kapitel 2: BlumenbeetKapitel 3: Abwarten und Tee trinken
Erzähler B ist den ganzen Tag in der Arbeit, obwohl wirklich schönes Wetter ist. Als er schließlich mies gelaunt nach Hause kommt, erwartet Erzähler A ihn und nervt ihn jetzt auch noch mit dem neuen Blumenbeet.
Da Erzähler B so unleidlich ist, kommt Erzähler A zu Besuch bei Erzähler C und klagt sein Leid. Erzähler C tischt Kaffee und Kuchen auf und gibt den Rat, einfach abzuwarten, bis es in der Arbeit von Erzähler B nicht mehr ganz so stressig ist.Wenn Kapitel 4 jetzt "Beförderung" heißt, ist sofort klar, dass es wieder die Perspektive von Erzähler B hat.
- Möglichkeit 2b: Szenenweises Wechseln
-
Im Grunde eine Sonderform des kapitelweisen Wechsels. Sie wird genutzt, wenn die einzelnen Abschnitte nicht lang genug für eigene Kapitel sind. Natürlich ist es Ansichtssache, ab wann ein Kapitel lang genug ist, allerdings versuche ich, alle Kapitel ungefähr gleich lang zu halten, weshalb ich häufiger szenenweise wechsle, als kapitelweise, damit es am Ende aufgeht. Wobei es auch vorkommen kann, dass ich manche Kapitel komplett aus einer Perspektive schreibe und in anderen Kapiteln wechseln sich meine beiden Erzähler wieder szenenweise ab. Die Geschichte bestimmt somit im Grunde, ob die Perspektivenwechsel gerade szenen- oder kapitelweise vollzogen werden sollen. Meine große Empfehlung an dieser Stelle: Versucht nicht, diesen Perspektivenwechseln entgegenzuwirken. Wenn es sich beim Schreiben richtig anfühlt, jetzt einer anderen Figur das Mikro zu übergeben, damit sie erzählen kann, dann lasst euren aktuellen Erzähler eine Pause machen. Er meldet sich schon, wenn er wieder dran sein will.
Beim szenenweisen Wechseln gibt es allerdings eine Kleinigkeit, die die Sache etwas komplizierter macht als die kapitelweisen Wechsel: Da ich hier nicht vorher mithilfe des Kapiteltitels ankündigen kann, wessen Sicht nun kommt - *POV Erzähler* und ähnliche Stilblüten sind keine (für mich) akzeptable Möglichkeit - versuche ich, den Namen des aktuellen Erzählers spätestens im zweiten Satz unterzubringen. Es sollte außerdem immer mindestens eine Leerzeile zwischen Absätzen unterschiedlicher Erzähler geben, damit der Leser leichter den Überblick behalten kann.
Ihr könnt auch unterschiedliche Formatierungen für die einzelnen Erzähler verwenden - in der "Unendlichen Geschichte" sind beispielsweise die Kapiteltexte je nach Welt, in der wir uns gerade befinden, in einer anderen Farbe gehalten - oder unterschiedliche Schriftarten. Hierbei ist natürlich zu beachten, dass solche Formatierungen auf fanfiktion.de nicht dargestellt werden können. Wenn ihr zwei Perspektiven habt, könnt ihr zwischen "normal" und "kursiv" wechseln, eventuell noch "fett" für eine dritte, aber einige Menschen finden das unschön zu lesen, weshalb das Deutlichmachen mithilfe des Namens relativ zu Beginn der Szene am sinnvollsten ist. Außerdem haben diese Standardformatierungen für viele schon eine festgelegte Bedeutung, beispielsweise Gedanken, weshalb das auch zu Verwirrungen führen kann.
- Möglichkeit 2c: Szenenweises Wechseln plus kapitelweise zusätzliche Erzähler
-
Der Name dieser Möglichkeit ist etwas kompliziert. Im Grunde möchte ich damit aussagen, dass eine Mischung der beiden vorherigen Varianten auch möglich ist. Ihr habt drei Hauptpersonen, die sich in den Kapiteln szenenweise abwechseln. Jetzt kann es aber auch spannend sein, zwischendurch den Bösewicht zu beobachten, der gerade die Falle für eure Helden aufbaut. Da ihr ihn nicht als Hauptperson betrachtet bzw. ihm nicht so viel Screentime zugestehen wollt, eignet er sich nicht als szenenweiser Erzähler. Allerdings wollt ihr unbedingt die Vorbereitung und die Falle aus seiner Sicht beschreiben. Hier könnt ihr jetzt ganz einfach ein komplettes Kapitel aus seiner Perspektive einbauen. Dies sollte meiner Meinung nach bereits im Kapiteltitel deutlich gemacht werden, aber wie euch vielleicht inzwischen aufgefallen ist, bin ich sowieso ein Fan "sprechender" Kapiteltitel. Damit dieses eine Kapitel im Gesamtüberblick der Geschichte dann nicht völlig alleine dasteht, könnt ihr zum Beispiel auch alle fünf Kapitel eines aus Sicht des Bösewichts einbauen.
Oder vielleicht merkt ihr, dass das Kapitel doch nicht unbedingt nötig ist, dann nutzt es doch einfach als zusätzlichen OneShot für eure Geschichte. Das könnt ihr übrigens immer machen, wenn ihr - zum Beispiel als Hintergrundrecherche für euch - nur eine Szene oder ein Kapitel aus Sicht einer Figur schreiben wollt, die nicht zu den Erzählern gehört. Hierbei solltet ihr nur darauf achten, dass eure Leser diese Szene/dieses Kapitel nicht unbedingt lesen müssen, um den weiteren Verlauf der Geschichte zu verstehen. Sobald das nötig ist, postet den Teil lieber in euren eigentlichen Text statt als Outtake.
- Möglichkeit 3: Ich-Erzähler
-
Wie oben bereits gesagt, würde ich mich auf einen Ich-Erzähler beschränken und die anderen Perspektiven als personale Erzähler schreiben. Wenn ihr allerdings gerne mehrere Ich-Erzähler verwenden wollt, empfehle ich, nur kapitelweise Wechsel zu verwenden. Hier könnt ihr im Kapiteltitel die Perspektive erwähnen, denn die Nennung des eigenen Namens, um den Perspektivenwechsel zu verdeutlichen, klingt bei Ich-Erzählern meistens ziemlich gestellt.
Ansonsten könnt ihr dem Ich-Erzähler immer ganze Kapitel geben, während ihr die zusätzlichen personalen Erzähler in den anderen Kapiteln szenenweise abwechseln lasst. Kapitel, in denen sich Ich-Erzähler und personaler Erzähler abwechseln, würde ich persönlich vermeiden, auch, da ich es sinnvoller finde, dem Ich-Erzähler lange Abschnitte zu geben, damit die Leser beginnen können, sich mit ihm zu identifizieren, was meist ja der Grund für die Wahl des Ich-Erzählers ist.
Außerdem ist beim Ich-Erzähler wichtig zu beachten, dass er nichts außerhalb seiner eigenen Wahrnehmung mitbekommt. Er eignet sich daher am besten für persönliche Erlebnisberichte, da sonst leicht die Gefahr besteht, Dinge zu erwähnen, die der Erzähler eigentlich gar nicht weiß. Dazu ein kleines Beispiel aus dem "Harry Potter"-Fandom:
Der Ausflug in den Zoo gefällt mir sehr gut. Vor allem das Schlangenhaus finde ich sehr faszinierend. Dass die Schlange mich verstehen kann, überrascht mich. Natürlich weiß ich nicht, dass das auch unter Magiern etwas Besonderes ist.Merkt ihr, was ich meine? Harry weiß zu diesem Zeitpunkt weder, dass er ein Magier ist, noch, dass es ungewöhnlich ist, dass er mit Schlangen sprechen kann. Wenn ihr diese Informationen hier schon unterbringen wollt, müsst ihr den auktorialen Erzähler oder zumindest einen personalen Erzähler, der beide Dinge weiß, verwenden.
Wann sollten überhaupt unterschiedliche POVs verwendet werden?
Dafür gibt es wohl kein Patentrezept. Ein Krimi kann durchaus an Spannung gewinnen, wenn nicht nur aus Sicht der Ermittler, sondern auch aus der des Täters geschrieben wird. Andererseits kann es viel kaputt machen, wenn der Leser schon im ersten Kapitel den Namen des Mörders erfährt. Hier sollte also für den Täter ein Stil verwendet werden, der es unnötig macht, ihn beim Namen zu nennen. Dies muss übrigens nicht die Ich-Perspektive sein. Auch ein personaler Erzähler kann so geschrieben werden, dass man seinen Namen nicht erfährt. Oder der Täter hat sich - ganz im Stil von Joker und Co. - ein Pseudonym gegeben, den ihr hier nutzen könnt. Ihr könnt hier aber auch ein wenig spielen und den Namen in der Täter-Perspektive erst dann verwenden, wenn die Ermittler ihm einen gegeben haben (wie z. B. Zodiac oder Jack the Ripper) oder ihm bereits auf die Spur gekommen sind und seinen echten Namen kennen.
Wenn ihr dagegen eine Fanfiction in einem Fandom schreibt, in dem der Name des Täters den Fans und somit euren Lesern bereits bekannt ist, könnt ihr ihn natürlich auch sofort nutzen. Die wenigsten werden überrascht sein, wenn der Gegner in einer "Sherlock"-Fanfiction James Moriarty ist. In anderen Fandoms, in denen die Gegner sich Namen geben und Masken tragen, solltet ihr dagegen lieber diese Namen verwenden, um eure Leser nicht unnötig zu spoilern. Außerdem kann es wirklich spannend sein, die Enthüllung selbst zu schreiben. Dann sollten eure Leser nicht bereits aus der Täter-Perspektive wissen, wer sich hinter der Maske verbirgt.
Auch Doppelspionage ist ein Thema, bei dem ihr lieber nicht die Perspektive des Agenten verwendet, außer ihr wollt, dass eure Leser anders als eure restlichen Hauptpersonen von Anfang an Bescheid wissen. Beispiel gefällig? Es hätte die FF-Schreiber bestimmt gefreut, wenn "Harry Potter" teilweise aus Sicht von Severus Snape erzählt worden wäre, es hätte aber den Twist am Ende von Band 6 und dessen Auflösung in Band 7 ziemlich zunichte gemacht.
Perspektivenwechsel sind hauptsächlich dann sinnvoll, wenn eure Hauptpersonen unterschiedliche Wissensstände haben, oftmals getrennt unterwegs sind oder auch, wenn eine Figur ihre Gefühle nie nach außen zeigt. Ein Blick "in das Innere", sprich, Szenen aus ihrer Perspektive, freut eure Leser dann bestimmt.
Wie wechselt man die Perspektive?
Wir wissen jetzt, welche Möglichkeiten es für Perspektiven gibt und wann unterschiedliche Perspektiven sinnvoll sind. Wir wissen auch schon, welche Arten von Wechseln es gibt. Nur wie wechselt man jetzt am geschicktesten zwischen den einzelnen Perspektiven?
Zuerst einmal sollten wir uns überlegen, wann wir die Perspektive wechseln wollen.
- Variante 1: Die Geschichte bzw. Handlung entscheidet
-
Diese Möglichkeit wurde ja bereits oben angesprochen. Wenn es sich richtig anfühlt, jetzt die Perspektive zu wechseln, dann tut es einfach. Solltet ihr die Geschichte unbedingt nur aus einer Perspektive schreiben wollen, nun, dann tut es trotzdem - würde ich zumindest vorschlagen. Diese Szene aus der "falschen" Perspektive hilft euch vielleicht, die Szene aus der "richtigen" Perspektive nochmal zu schreiben. Ihr lernt so außerdem eine weitere Figur etwas näher kennen und vielleicht bemerkt ihr dadurch dann auch, dass eure Geschichte viel besser wird, wenn ihr mehrere Perspektiven verwendet. Wenn ich ehrlich bin, hab ich bis jetzt ein einziges Mal vorher geplant, dass ich mehrere Perspektiven verwende. Bei den restlichen Geschichten ist es einfach passiert.
Und falls euch die neue Perspektive doch nicht gefällt, dann seht diese Szene einfach als Schreibübung an - oder als Outtake, den ihr später noch veröffentlichen könnt, wenn ihr wollt.
- Variante 2: Die Planung entscheidet
-
Wie gesagt: Ich bin kein planender Autor. Ich tippe einfach drauflos und schaue, wo mich die Geschichte hinführt. Deshalb ist es für mich auch völlig in Ordnung, wenn eine Figur beschließt, dass jetzt ihre Perspektive dran ist.
Aber natürlich gibt es auch die Autoren, die genau planen, was in ihrer Geschichte passieren soll. Jedes Kapitel steht fest, eventuell jede Szene. Dann könnt ihr dazu natürlich auch gleich noch planen, aus welcher Perspektive ihr an dieser Stelle dann schreiben wollt. Das kann vor allem sinnvoll sein, wenn ihr jeder erzählenden Figur ungefähr gleich viel Aufmerksamkeit geben wollt, da ihr so genau sehen könnt, wer schon wie viele Szenen zu erzählen hat. Natürlich kann es dann trotzdem sein, dass es sich falsch anfühlt, die Szene aus der geplanten Perspektive zu schreiben. Erneut mein Tipp: Erzwingt es nicht. Nehmt euren Plan in die Hand, überlegt, welche Figur jetzt gerade besser geeignet wäre, und tauscht die beiden Erzähler einfach aus.
- Variante 3: Die Figuren bzw. das Setting entscheidet
-
Das ist im Grunde eine Mischung aus den beiden oberen Varianten. Wenn ihr mehrere Figuren(gruppen) habt, die sich an unterschiedlichen Orten befinden, dann müsst ihr zwischen ihnen natürlich öfter wechseln. Das ist dann geplant. Gleichzeitig entscheidet natürlich die Handlung, wann ein Wechsel zwischen den einzelnen Gruppen stattfinden kann.
Da ich sehr gerne Filme und Serien schaue, ist meine Überlegung bei dieser Variante meistens: Wann würde der Regisseur einen Schnitt zu einer anderen Figur/Gruppe setzen? Das kann in einer besonders spannenden Szene passieren, um einen Cliffhanger zu erhalten, oder in einer sehr ruhigen Szene, damit keine Langeweile aufkommt. Exklusiv beim Schreiben kann in einer erotischen Szene von der nervösen, unerfahrenen Person zur erfahrenen gewechselt werden, damit die Szene eben nicht nur von Nervosität überlagert wird.
Wir können wechseln, wenn eine Person den Raum verlässt, um ihr sozusagen folgen zu können, oder - im anderen Fall - den Zurückgebliebenen zu beobachten. Wir können situationsbedingt wechseln, vom Opfer zum Täter oder vom unwissenden Schüler zum Lehrer, der innerlich gerade verzweifelt. Ich könnte hier jetzt noch unendlich viele Varianten aufzählen, aber im Grunde wird es immer darauf hinauslaufen, dass sich ein Perspektivenwechsel "richtig" anfühlen muss.
Damit kommen wir zu der entscheidenden Frage dieses Tutorials: Wie baut man die POV-Wechsel ein?
Beim kapitelweisen Wechsel ist das einfach: Das eine Kapitel endet und das nächste Kapitel ist entweder in der gleichen oder einer anderen Perspektive verfasst.
Beim szenenweisen Wechsel gibt es aufs Einfachste heruntergebrochen zwei Möglichkeiten: Entweder erfolgt der Wechsel abrupt oder wir bauen eine Überleitung ein, sodass der Wechsel etwas sanfter ist. Bei solch einer Überleitung können wir mit der neuen Perspektive zum Beispiel etwas vor dem Ende der vorherigen Szene einsetzen:
Tommy lag im Bett und lauschte seiner Mutter, die ihm nach langem Betteln endlich noch eine Geschichte erzählte. Er war schon so müde, aber sie erzählte wirklich spannende Geschichten. Er wollte eigentlich noch gar nicht einschlafen. Aber er konnte seine Augen einfach nicht mehr offenhalten.**Sara seufzte leise in sich hinein, aber sie setzte sich trotzdem auf den Stuhl, der neben Tommys Bett stand. Seinem bittenden Blick konnte sie einfach nicht dauerhaft widerstehen. Also erzählte sie ihm noch eine zweite Gute-Nacht-Geschichte, obwohl sie sich eigentlich dringend um den Haushalt kümmern musste. Sie streichelte sanft über die Bettdecke. Endlich fielen Tommys Augen zu und sein Atem wurde ganz ruhig. Er war eingeschlafen.Wie ihr seht, habe ich hier zusätzlich noch ein Trennsymbol eingefügt, um die beiden Perspektiven voneinander abzugrenzen. Das ist nicht unbedingt nötig, mir gefällt es so einfach besser.
Der abrupte Wechsel der Perspektiven in der gleichen Geschichte würde zum Beispiel so aussehen:
Tommy lag im Bett und lauschte seiner Mutter, die ihm nach langem Betteln endlich noch eine Geschichte erzählte. Er war schon so müde, aber sie erzählte wirklich spannende Geschichten. Er wollte eigentlich noch gar nicht einschlafen. Aber er konnte seine Augen einfach nicht mehr offenhalten.***Sara streichelte sanft über die Bettdecke. Endlich fielen Tommys Augen zu und sein Atem wurde ganz ruhig. Ihr Sohn war eingeschlafen. Leise stand Sara auf und verließ das Zimmer. Sie musste sich dringend um den Haushalt kümmern und endlich lernen, Tommys bittendem Blick zu widerstehen.Auf keinen Fall, das wiederhole ich gerne nochmal, solltet ihr den Perspektivenwechsel mit Autorenkommentaren (*POV Figur* oder ähnliches) einbauen. Es reißt aus dem Lesefluss und sieht einfach ungeschickt aus. Es gibt elegantere Möglichkeiten und eure Leser sind clever genug, zu verstehen, wenn sie eine neue Perspektive lesen, solange ihr ihnen die Möglichkeit dazu gebt - sprich, den Namen oder ein eindeutiges Attribut des aktuellen Erzählers recht schnell erwähnt. Wenn ihr euch unsicher seid, nutzt Trennsymbole statt Trennwörter. Diese kann man als Leser außerdem viel leichter "überlesen".
Worauf ist sonst noch zu achten?
Vielleicht am wichtigsten bei unterschiedlichen Erzählperspektiven ist: Ihr müsst euch immer im Klaren darüber sein, wer was wann weiß. Das betrifft sowohl eure Figuren als auch die Leser. Angenommen, ihr habt drei Erzählperspektiven: Den Ermittler, den Täter und das nächste Opfer. Nun schreibt ihr das Kapitel aus der Perspektive des Opfers, in dem es vom Täter ermordet wird. In diesem Kapitel enthüllt ihr - dem Opfer und den Lesern gegenüber - wer sich hinter dem Täter verbirgt. Der Ermittler weiß dies allerdings noch nicht, er darf sein Verhalten dem Täter gegenüber nicht ändern oder gar ihn plötzlich verhaften. Ihr braucht hier eine zweite Offenbarung für den Ermittler, auch wenn es euch und euren Lesern vielleicht schwerfällt, den Ermittler nicht einfach zu schütteln und zu rufen "Da ist er doch!"
Namen dürft ihr natürlich auch nur dann verwenden, wenn die aktuelle Perspektive den Namen ihres Gegenübers tatsächlich kennt, selbst wenn das eure andere Hauptperson sein sollte. Dazu ein Beispiel:
Frau Schmidt wird Opfer eines Raubüberfalls. Der Täter entkommt unerkannt.
Sein Vorgesetzter knallt ihm die Fallakte vor die Nase. "So, Jürgen, das ist für dich." Kelloggs stöhnt und denkt sich "Scheißtag", schnappt sich aber die Akte und fährt eine Weile später los, um die Frau zu befragen.
Sie öffnet dem Inspektor die Tür. Sie ist noch ganz fahrig und verwirrt, überfordert von den Fragen. Es erfolgt keine Wertung ihrer Antworten, weil sie das natürlich nicht interessiert und sie auch nicht weiß, worauf der Inspektor achtet.
Der Verbrecher beobachtet das Grundstück aus dem Gebüsch und schnaubt über die Anwesenheit des Bullen. Er kennt weder den Namen der Frau noch den des Inspektors. Auch der Name des Täters wird nicht erwähnt, um die Spannung zu halten.
Kelloggs verlässt das Haus und geht durch, was besprochen wurde, ruft einen Kollegen/den Chef an und kotzt sich aus. Wertung der Zeugenaussage. Er weiß nicht, dass er aus dem Gebüsch beobachtet wird, und kennt natürlich den Namen des Täters nicht.
Wie bereits erwähnt, ist es außerdem wichtig, dass die Leser sofort zuordnen können, aus wessen Perspektive sie gerade lesen. Dies geht am einfachsten dadurch, dass der Name des Erzählers in einem der ersten Sätze erwähnt wird.
Aber auch durch verschiedene Schreibstile können die unterschiedlichen Perspektiven verdeutlicht werden. Im Grunde würde ich behaupten, dass es schwieriger ist, eine Geschichte aus verschiedenen Perspektiven zu schreiben, da hier eben mehrere Schreibstile benötigt werden. Schließlich denkt die eine Person ganz anders als die andere, und das sollte sich auch verdeutlichen, wenn sie "am Ruder" ist. Wenn wir unsere "Harry Potter"-Fanfiction aus den Perspektiven von Harry und Snape schreiben, dann könnte es sich zum Beispiel gut eignen, für Harry eine relativ lockerere, geradlinige Erzählstruktur zu verwenden, während Snape eher Schachtelsätze bekommt und einige Fremdwörter.
Wenn ihr noch nicht so viel Erfahrung habt, in verschiedenen Stilen zu schreiben, würde ich euch empfehlen, mit OneShots zu beginnen. Nehmt euch eine Szene aus eurem Fandom und schreibt sie aus einer anderen Perspektive. Oder schaut euch im Forum um. Dort gibt es sehr viele Projekte, bei denen ihr bestimmt auch mit verschiedenen Erzählperspektiven und -stilen herumprobieren könnt. Ich persönlich nutze als Übung gerne die Projekte und schreibe dann aus der Sicht eines Tieres oder verwende Stile, die ich in längeren Geschichten momentan als ungeeignet betrachten würde, z.B., indem ich denselben Satz immer wieder einbaue oder nur Schachtelsätze schreibe, bzw. genau das Gegenteil mache und kein Satz länger werden darf als zehn Wörter.
Probiert einfach ein bisschen aus, und vielleicht findet ihr dadurch ja den perfekten Erzählstil für eine eurer nächsten Hauptpersonen.