Tutorial: Was man beim Weltenbau beachten sollte
Du hast eine Idee für eine Reise in eine phantastische Welt? Sagen wir, ein Mädchen namens Hanna muss aus ihrem Dorf fliehen, weil sie als Hexe angeklagt wird, und am Ende ist sie in der Hauptstadt und stürzt mit ihren Freunden den bösen Großinquisitor, der den eigentlichen König zur Marionette gemacht hat. Mit dem "Hexe" -Thema befindest du dich fast schon sicher im frühen oder Hochmittelalter bis maximal Renaissance, an das du deine Welt anlehnen willst.
Wunderbar. Dann sehen wir uns einmal die Vorarbeiten an. Schiebe den Computer beiseite, und nehme dir ein Blatt Papier, mindestens DINA 4.
Ist die Welt, in der deine Geschichte spielen soll, eine Insel oder Teil eines Kontinents? Zeichne den Umriss mal grob ein.
Gibt es dort Berge oder Flüsse oder Seen? Zeichne sie ein.
Und jetzt überlege einmal, wo deine Insel liegen soll - mehr in gemäßigten Breiten, mehr an Afrika angelehnt? Als Muster nehme ich jetzt mal das mediterrane Klima. Und ja, das Klima auf der Reise wird noch sehr wichtig werden.
Bei einem Blick auf deine Landkarte solltest du dir überlegen, wo denn eigentlich der Wind hauptsächlich herkommt - die Seiten der Gebirge, auf die er als erstes trifft, sind gewöhnlich regenreicher, im Regenschatten der Berge wird es deutlich trockener. Du hast unter Umständen, je nach Zone, also Regenwald und Steppe, gar Monsunregen. Ein Gebiet, das rundherum von Bergen umgeben ist, wird wohl eher Steppe bis Wüste sein.
Je nachdem wird sich auch die Kultur der dort Lebenden verändern, gleich ob Menschen, Zwerge, Elfen, Drachen... Es gibt andere Tiere und Pflanzen.
In einen fernen Urwald oder eine Wüste gehen Menschen nur, wenn dort etwas Verlockendes lauert: Gold, Edelsteine, Pfeffer? Wenn du eine Bergwerkregion beschreibst - denke auch an Verhüttung und Schmieden. Sie sind laut, verbreiten intensive Gerüche, für eine Bauerntochter sicher sehr ungewohnt.
Suche dir einmal die Kleidung heraus, im Internet oder in Büchern, das Leute in dieser Zeit tragen würden. Natürlich kannst du selbst etwas erfinden und variieren, aber der Unterschied zwischen Bauer und Edelmann sollte ebenso bleiben, wie der zwischen Nonne und "lüstigem Fräulin". Es gibt in den meisten Kulturen klare Regeln, wer was tragen darf. Aus was wird die Kleidung hergestellt? Gibt es Stoffe auf dem Markt zu kaufen oder stellt jeder Haushalt die selbst her?
Aber wir haben ja deine Idee: wo liegt das Dorf, aus dem Hanna stammt und wo liegt die Hauptstadt? Dabei solltest du bedenken, dass eine Hauptstadt das meist nicht ohne Grund geworden ist - liegt sie an der Kreuzung wichtiger Handelsstraßen? Ist sie strategisch gut zu verteidigen auf einem Hochplateau? Im letzteren Fall kann sie nicht größer als das Plateau werden. Zeichne das mal auf deiner Karte ein.
Denk daran, wenn deine Gruppe an einen Fluss kommt - die meisten Leute im Mittelalter konnten nicht schwimmen. Da sie auf der Flucht sind, wäre es auch nicht unbedingt klug in den nächsten Marktflecken zu gehen und mit der dortigen Fähre überzusetzen. Vielleicht finden sie einen Fischer? Was geben sie ihm? Oder sie bauen ein Floß? Gib den Gebirgen, Flüssen und Städten Namen.
Sagen wir, Hanna stammt aus einem Dorf im Süden, in den Bergen, sie kennt nichts anderes als ihr Dorf. Wenn sie nicht gerade die Tochter des örtlichen Ritters ist, und auch dann wohl nicht, kann sie nicht lesen und schreiben. Umgekehrt sollte ihr der Priester vor Ort auch als Adelige nicht unbedingt übel wollen - er hängt von dem Ritter ab, ist im Zweifel mit ihm verwandt. Warum also sollte sie auffallen? War ihre Mutter eine Hexe und sie wurde als Kleinkind, und Bauerntochter, von einer wohlmeinenden Familie adoptiert, deren Kühe auch jetzt sterben? Hat sie etwas besonderes? Haarfarbe, Buckel, Hautfarbe? Warum? Wird in dem Dorf aus lauter Verzweiflung über die Hungersnot einfach gewürfelt?
Du hast deine Ideen? Gut. Dann nimm dir ein zweites Blatt und schreibe Hanna auf: wie alt ist sie, wie sieht sie aus, welche Vorbildung hat sie? Welche Familie, Freunde im Dorf? Was macht sie? Und - warum ändert sich ihr Status so, dass sie fliehen muss?
Wen soll sie auf dem Weg treffen? Wenn du Vorstellungen hast, schreibe auch für diese Personen ihre jeweilige Biografie auf.
Je nach Vorbildung ändert sich auch die Sprache und die Denkweise. Eine Adelige wird anders sprechen als ein Mühlenknecht, so oder so werden sie jeweils andere Dinge kennen. Jemanden mit umfassenden Wissen gibt es praktisch nicht.
Hanna ( und/ oder die Gruppe) wandern also durch die Gegend. Da sie auf der Flucht sind, wäre es unbeholfen in den umliegenden Dörfern nach Essen zu fragen. Woher bekommen sie es also? Hat jemand unter ihnen Ahnung vom Feuermachen? Von der Jagd? Warum und woher?
Wenn sie durch die regnerische Seite der Berge kommen - sie werden nass, wenn sie nichts dabei haben, sie werden frieren - und sie können dank nassem Holz kein Feuer anzünden. Das steigert die Stimmung keineswegs. Ist Hanna noch alleine, kann sie sich fragen, warum sie das Ganze auf sich genommen hat, ist es schon eine Gruppe, wäre das ein hervorragender Zeitpunkt die Truppe zu sprengen oder zumindest sich streiten zu lassen. Man kann keine Bäume oder Regen hassen - man sucht sich immer den Nachbarn.
Und, was eine Folge von solch einem miesen Wetter ist, garantiert wird jemand krank. Nicht unbedingt schön melodramatisch mit Lungenentzündung, ein einfacher, ordinärer, Schnupfen schafft es auch, jemanden eine Woche lang ziemlich außer Gefecht zu setzen. Man kommt langsamer voran. Schlecht, auf einer Flucht. Natürlich, vorausgesetzt, das Ganze wird als so dramatisch eingestuft, dass man Männer/Hunde/Pferde tatsächlich auf die Jagd nach irgendeinem Mädchen aus einem winzigen Dorf schickt. Wenn ja, solltest du eine Begründung dafür haben.
Wie kommt deine Gruppe eigentlich über die Berge? Wie finden sie den Pass oder das passende Flusstal, um weiter zu gehen? Klettern sie? Wenn ja, sollte zumindest irgendjemand mal ausrutschen und sich den Knöchel verstauchen oder ähnliches. Wer kümmert sich um das Problem und hat medizinische Vorkenntnisse? Wenn ja, woher?
Angenommen, Hanna oder die Gruppe kommen über die Berge, werden sie sich in einer deutlich trockeneren Landschaft wiederfinden. Nicht nur, dass die Vegetation anders ist, es wird auch kaum Bauern geben, eher Schafe und Ziege samt deren Hirten. Weiter unten Bauern, aber die pflanzen etwas anderes an als die Gruppe kennt. Wieder stellt sich das Problem - sie sind auf der Flucht und fremd hier. Wieso sollte ihnen jemand auch nur etwas zu essen geben? Haben sie Geld? Woher? Können sie etwas eintauschen oder den Leuten hier irgendwie helfen? Warum?
Und warum sind sie überhaupt auf dem Weg in die Hauptstadt? Hoffen sie, dass der König ihnen zuhört und begnadigt? Reiner Zufall, weil sie immer dem größeren Weg folgen, den sie treffen?
Städte im Mittelalter sind in aller Regel von einer Mauer umgeben und die Tore bewacht. Welchen Grund sollten die Soldaten haben eine Gruppe Unbekannter in die Stadt zu lassen? Denk dir etwas aus, das realistisch klingt.
Wenn deine Gruppe in der Stadt ist - sie waren noch nie in einer. Die Lautstärke, die Gerüche, die vielen Menschen müssen auf sie mehr als beeindruckend wirken.
Zu deinem Bösewicht: du solltest auch für ihn eine ausführliche Biografie haben. Wieso wurde er, wie er ist? Schon Shakespeare sagt: Niemand wird plötzlich zum Schurken. Hatte er ein traumatisches Erlebnis, will er eigentlich das "Gute", nur mit den falschen Mitteln? Warum akzeptieren das alle um ihn? Mit einem charakterlich gut ausgearbeiteten Gegenspieler steht und fällt eine Geschichte.
In diesem Beispiel: er ist Großinquisitor. Wie kommt man dazu? Welche Ausbildung hat er? Wie sieht die Religion in dieser Welt aus? Was ist seine Aufgabe auf Erden und im Jenseits? Welche Macht hat er konkret - und wie nutzt er sie aus? Ist er verheiratet?
Nicht zu vergessen: das Happy End. Das kann auch so aussehen, dass alle wieder in ihre Dörfer zurückgehen und ihr altes Leben, wenngleich mit vielen neuen Erfahrungen, wieder aufnehmen. Natürlich werden sie etwas dort verändern wollen - ob sie es können, wenn der Rest des Dorfes anderer Meinung ist, wird sich in Jahren zeigen. Es muss nicht auf Biegen und Brechen eine Hochzeit sein, in der das Ganze endet, wenn sich das nicht ohne jeden Restzweifel auflösen lässt.