Tutorial: Show don't tell: Was ist das und wie setzt man es um?
Show, don't tell. Wir alle kennen diese drei so harmlos klingenden Worte, wir wissen auch alle, was sie bedeuten: Nicht erzählen, zeig's lieber! Es klingt an sich ganz einfach, aber dieses Thema ist komplexer, als man denkt.
Das Problem liegt vor allem darin, dass jeder, der Show, don't tell verstanden hat, auch weiß, wann und wie man es einsetzt.
Wer dahingegen schon mal ein "Show, don't tell" in seinen Reviews vorgefunden hat, kann oft mit dieser Aussage nicht viel anfangen, weil sie in keiner Weise erklärt, was genau eigentlich schiefgelaufen ist.
Auch eine nähere Erklärung ist nur selten hilfreich:
"Ähhh ... ja, gut. Aber wie kann ich das ändern?"
"Ganz einfach, indem du so schreibst, dass beim Leser das Kopfkino in Gang gesetzt wird. Show, don't tell ist nichts anderes als eine Erzählweise, die bewirkt, dass die Handlung beim Leser in Gedanken als Film abläuft. Jetzt klar?"
"Ähhh ... nein. Denn wie zum Geier schreibt man denn so?"
"Indem du das Geschehen zeigst, statt es nur zu erzählen."
...
Womit wir wieder am Anfang wären.
Dann schauen wir jetzt mal, dass wir aus diesem Teufelskreis herauskommen. Hier ist der Beginn einer neuen Story.
- Version 1, "tell":
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Wahrscheinlich gab es auf der Welt keinen chaotischeren Menschen als Klara Graumüller. Ordnung war ihr ein ebensolches Fremdwort wie Pünktlichkeit; man konnte nur staunen, wie sie es immer wieder schaffte, sich erfolgreich durchs Leben zu schlampen und zu schusseln. Es war völlig sinnlos, ihr deswegen Vorhaltungen zu machen, denn sie hatte so eine witzig-entwaffnende Art, mit der sie jedem den Wind aus den Segeln nahm.
Heute war alles wieder einmal besonders heftig. Klara fiel im letzten Moment ein, dass sie in der ersten Stunde ein Referat halten musste - und sie war schon jetzt viel zu spät dran. Das würde Ärger geben, doch glücklicherweise war ihr Vater so nett, sie zur Schule zu fahren. So ergab sich einer der seltenen Tage, an denen sie pünktlich zum Unterricht erschien, dafür musste sich Frau Brunzmeier dann darüber aufregen, dass Klara ihre Pausenbrote in die Vortragsnotizen gepackt hatte. Typisch, Lehrer hatten offenbar immer etwas auszusetzen ...
In diesem Absatz habe ich euch aus unpersönlicher Erzählersicht diverse Fakten aufgezählt, die ihr mir so, wie ich sie hier behaupte, glauben müsst, denn ihr habt keine Möglichkeit, sie nachzuprüfen. Ihr wisst jetzt, wer Klara Graumüller ist, wie sie in den Tag startet, und ihr kennt auch die wesentlichen Eckdaten ihres Charakters. Nicht mehr und nicht weniger.
- Version 2, "show":
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7 Uhr 31. "Verdammt, schon so spät!" Mit einer raschen Bewegung schlüpfte Klara in ihre Latzhose, nur um als Nächstes festzustellen, dass oben der rechte Knopf fehlte. Peanuts am Morgen, dachte sie und wühlte aus dem Haufen undefinierbarer Dinge vor ihrem Bett einen kleinen Gegenstand hervor.
"Na bitte, das wichtigste Accessoire im Leben einer Frau: die Sicherheitsnadel". Sie befestigte den Träger und stutzte dann. War heute tatsächlich Mittwoch? Katastrophe, das bedeutete, erste Stunde Biologie bei Frau Brunzmeier. Und wenn sie sich richtig erinnerte, war sie heute dran mit ihrem Referat.7 Uhr 38. Klara raste die Treppe hinunter in die Küche, wo die restliche Familie noch beim Frühstück saß. "Morgen allerseits!"
Ihre Mutter machte gerade belegte Brote zurecht, super, Marschverpflegung. Klara schnappte sich zwei davon, förderte dann ein paar lose Blätter aus ihrer Schultasche zutage und knüllte sie um die Schnitten herum. Perfekt.
"Wohl wieder mal spät dran, was?" Ihr Vater schaute kurz von seiner Zeitung auf.7 Uhr 42. In diesem Moment fuhr die letzte U-Bahn, die sie noch pünktlich zur Schule gebracht hätte, gerade ab. Das würde übel werden!
"Hab jetzt ein Bio-Referat, muss mich etwas beeilen", würgte sie zwischen einem Schluck Kaffee und einem Mundvoll Müsli hervor.
"Schaffst du nie, die Brunzmeier wird dich vierteilen!", quäkte ihr stimmbruchgeplagter Bruder Nico mit hämischem Grinsen.
Jüngere Brüder - der letzte Irrtum der Natur, das war längst wissenschaftlich erwiesen. Doch in diesem Fall lag die kleine Kröte leider völlig richtig.
"Brunzmeier?" Ihr Vater horchte erneut auf. "Dann komm, ich fahre dich. Das ist echt ein Notfall." Er hatte offenbar wenig Lust, schon wieder von der ollen Schnepfe in die Sprechstunde zitiert zu werden. Konnte man ihm nicht verdenken."Puh, das war knapp!" Mit dem 8-Uhr-Klingeln schoss Klara als Letzte in den Biologiesaal.
"Oh, welch Glanz in unserer bescheidenen Hütte!", tönte ihr der Brunzmeier'sche Kreissägensopran entgegen. "Ich hätte jetzt gewettet, dass der Gong eine Viertelstunde nachgeht. Mindestens." Dann, mit lauerndem Unterton: "Nun, Fräulein Graumüller, wie steht es mit deinem Referat?"
"Sofort fertig, kann gleich durchstarten." Mit geübten Handgriffen wickelte Klara ihre Brote aus und strich die Papiere glatt.
"Sag mal, findest du es wirklich angebracht, Pausenbrote in deine Vortragsnotizen zu packen?", kreissägte es weiter. "Recycling in allen Ehren, aber das ist einfach nur unappetitlich."Klara musterte die Schnitten in ihrer einen, dann die Papiere in ihrer anderen Hand. "Sie haben vollkommen recht, Frau Brunzmeier", meinte sie dann. "Ein Schinkenbrot, das in einen Vortrag über vegane Ernährung gewickelt ist, das ist echt ein Unding!"
- Was fällt auf?
- Mit keinem Wort wurden Beschreibungen wie schlampig, schusselig, chaotisch etc. verwendet, trotzdem habt ihr hier eine viel genauere, eingängigere Vorstellung von Klaras Charakter, Aussehen und den ganzen Umständen als beim ersten Text.
- Wie hat das genau funktioniert?
- Statt euch wie in Version 1 nur Fakten zu liefern, habe ich hier Klara agieren und euch dabei zuschauen lassen. Ihr müsst nicht auf die Behauptungen eines unpersönlichen Erzählers vertrauen, sondern könnt euch vielmehr selbst davon überzeugen, was alles passiert.
- Und warum funktioniert das so?
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Weil diese Szene aus Klaras Sicht gezeigt wird. Ihr hört ihre Gedanken, erlebt ihre Handlungen und seht alles mit ihren Augen. Sie ist zum Leben erwacht und hat Persönlichkeit entwickelt, der Text erscheint lebendiger - und damit auch interessanter. Es ist keine trockene Szene mehr, das Kopfkino startet und die Handlung läuft vor dem geistigen Auge als Film ab.
Diese Art zu schreiben (geht auch in Ich-Form, ist aber nicht notwendig) hält den Leser eng am Geschehen und lässt ihn sofort eine Beziehung zu einer Figur aufbauen.
- Was fällt noch auf?
- Natürlich, der zweite Text ist fast dreimal so lang wie der erste, ein Effekt, der Vor- und Nachteile hat.
- Show, don't tell lässt sich also erreichen, indem man eine rein beschreibende, unpersönliche Szene durch Handlung und Dialoge in eine lebendige, persönlichere umwandelt.
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Es wäre natürlich auch kürzer gegangen, ich habe die Szene absichtlich so ausführlich dargestellt, um euch noch etwas (Nützliches) zu zeigen: Auf diese Weise lassen sich nämlich dem Leser wunderbar jede Menge Informationen unterjubeln, ohne dass es im Mindesten stört. Tatsächlich merkt er nicht einmal, dass er gerade gebrieft wird.
Schauen wir mal, was haben wir außer Klaras Art noch alles erfahren?
- Sie lebt offenbar in einer einigermaßen intakten Familie (zwei Elternteile, kein Streit)
- Sie hat einen jüngeren Bruder im Teenager-Alter (Stimmbruch)
- Er nervt sie (Kleine Brüder - der letzte Irrtum der Natur)
- Sie wohnt in einer größeren Stadt (es gibt eine U-Bahn)
- Sie hat eine wenig sympathische Biologielehrerin (selbst ihr Vater mag sie nicht)
- die ziemlich streng und furchterregend ist (die Brunzmeier wird dich vierteilen)
- und eine extrem unangenehme Stimme hat (der Brunzmeier'sche Kreissägensopran)
- Es hat da schon mal Ärger gegeben (schon wieder in die Sprechstunde)
- Klara ist trotz des Referatsthemas keine Veganerin (Schinkenbrot)
All diese Dinge sind dem Leser jetzt bekannt, und zwar ohne dass man sie extra erwähnen oder gar näher erklären musste. Er kann alles nachfühlen, fühlt sich in Klaras Universum bereits ein wenig heimisch und möchte wissen, wie es weitergeht. Und wenn irgendetwas davon später noch wichtig werden sollte, ist hiermit schon mal das Terrain vorbereitet.
Noch ein Beispiel?
- Version 1, "tell":
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Anna erwachte mit dem Kater ihres Lebens. Sie hatte mörderische Kopfschmerzen, einen ekligen Geschmack im Mund, und sie fühlte sich sterbenselend. Zumindest schaffte sie es gerade noch ins Bad, als sie sich auch schon übergeben musste.
- Version 2, "show":
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Kann bitte mal einer diesem fiesen, kleinen Gnom in meinem Kopf den Hammer wegnehmen?
Anna setzte sich im Bett auf und versuchte, sich zurechtzufinden. Gar nicht so einfach nach dem Durcheinander von gestern Abend: Piña colada, Sex on the Beach und dann noch zwei Bacardi Cola ... Scheiß Happy Hour!
Na gut, erst mal Zähne putzen, und eine Dusche wäre auch nicht verkehrt. Und die paar Meter ins Bad sind ja wohl zu schaffen!
Sie schaffte es, aber nur gerade so.
Verdammt, ist mir schlecht! Ich glaube, ich muss gleich ...
Nie wieder, schwor sie sich, als ihr restlicher Mageninhalt den umgekehrten Weg nahm. Zu meinem nächsten Geburtstag gibts Kräutertee!Die persönliche Sicht, die man für "show" benötigt, muss nicht unbedingt über Dialoge und Action definiert werden, genauso gut funktioniert es auch wie hier mit Gedanken, Gefühlen und Metaphern (der fiese kleine Gnom im Kopf).
- "Ok, super, ich hab's verstanden. Aber woher weiß ich jetzt, wann ich "show" und wann ich "tell" nehmen soll? Oder soll ich gleich alles in "show" schreiben?'"
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Letztere Frage zuerst: Nein, niemals und auf gar keinen Fall!
Mit "show" geschriebene Szenen sind immer länger und ausführlicher als das unpersönlich erzählende "tell", das haben wir bereits festgestellt, und das lässt sich auch nicht vermeiden. Show-Texte halten den Leser enger am Geschehen, man behält sie leichter im Gedächtnis, sie bekommen mehr Bedeutung und wirken wichtig. Genau das ist der Grund, warum man "show" nicht immer und überall verwenden sollte.
Jede Geschichte enthält außer ihren Höhepunkten, Hauptfiguren und sonstigen wichtigen Teilen auch jede Menge nebensächliche Elemente. Das sind all die Dinge, die zwar dazu und erwähnt gehören (z.B. wenn der Protagonist zwischendurch mal eben schnell Brötchen holen geht), die aber niemand näher und in aller Ausführlichkeit wissen will bzw. muss. Dementsprechend müssen wir mit ihnen umgehen:
- Für alle Nebensächlichkeiten ist das unpersönlichere "tell" besser geeignet. Warum?
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Würde man die nebensächlichen Dinge genauso ausführlich zeigen wie die wichtigen, bekämen sie dadurch ebenfalls eine Bedeutung. Diese muss sich aber früher oder später im Plot widerspiegeln, soll heißen, irgendwann muss der Leser nachvollziehen können, warum auf xyz so viel Wert gelegt worden ist. Wenn das ausbleibt, gerät das ganze Handlungsgefüge aus dem Gleichgewicht.
Eine komplette Story rein mit "show" zu verfassen, würde die wirklich wichtigen Elemente egalisieren und die weniger relevanten über Gebühr aufblähen. Beides sind Effekte, die man vermeiden sollte, deswegen ist es sehr wichtig, genau abzuwägen, wo in einem Plot die Schwerpunkte liegen. Diese kann man dann mit gutem Gewissen nach Herzenslust ausbauen und als "show"-Szene ausarbeiten. Für alles andere ist "tell" in den allermeisten Fällen die bessere Wahl.
- Als Fazit und grober Überblick - wann verwende ich was?
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"show" eignet sich für:
- die Eingangsszene eines Romans
- sämtliche Szenen, in denen wichtige, storyrelevante Dinge geschehen
- spannende Szenen
- Passagen zur Auflockerung zwischen vielen Beschreibungen
- Szenen, die sehr persönlich und nahe am Leser erscheinen sollen
"tell" nimmt man besser für:
- alles, was nebensächlich und nicht so wichtig ist
- überbrückende Passagen
- reinen Erzähltext, der die Story voranbringt
Alles klar soweit?
Dann hoffe ich, meine Show-don't-tell-Abhandlung hat euch ein bisschen weitergeholfen.