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Mephistos Leiden

Kurzbeschreibung
GeschichteÜbernatürlich / P16 / Gen
Engel & Dämonen
17.09.2023
30.09.2023
6
5.454
2
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19.09.2023 1.387
 
Der Ratschlag des Todes

Nachdenklich saß Agares in seinem Arbeitszimmer an seinen Schreibtisch und dachte über Mephisto nach. Sein Reittier war lethargisch und wollte nicht einmal fressen, er lag nur noch am Ufer herum und wollte sich nicht bewegen. Dieses untypische Verhalten besorgte den Großherzog sehr. Mephisto neigte zur Faulheit, war mürrisch und manchmal etwas hinterhältig. War es möglich, dass sein Krokodil im Sterben lag? Aber das konnte nicht sein, Mephisto war unsterblich, es musste etwas anderes sein. Der Dämon fuhr sich durch seinen grauen Bart und dachte nach, sein Krokodil war weder verzaubert noch verflucht. Flüche und Zauber hinterließen immer Spuren und er konnte jede Form von Magie entdecken. Was war es, das sein Krokodil so verändert hatte? Er hatte mehrere Heilzauber auf sein Reittier ausgesprochen, doch nichts half.

Agares fragte andere Dämonen um Rat, doch entweder verspotteten sie ihn, oder wollten nicht helfen. Dämonen waren selten hilfsbereit und Luzifer war auch keine Ausnahme. „Lass mich mit deinen Sorgen in Frieden, Agares! Such dir von mir aus ein anderes Krokodil.“ So die Worte des Herrn der Hölle, wirklich hilfreich. Doch fiel dem Großherzog noch einer ein, der ihm helfen konnte – der Tod.

Von Gott abgesehen gab es kein älteres Wesen im Universum. Wenn ihm jemand bei seinem Problem helfen konnte, dann er. Schon sehr lange pflegte Agares eine gute Beziehung zum Tod, sie trafen sich immer wieder zum Tee und redeten über alles Mögliche. Es gab nur ein kleines Problem, der Tod lebte nicht in der Hölle, sondern in seinem eigenen Zwischenreich, dass Gott für diesen geschaffen hatte. Und dorthin durfte der Großherzog nicht gehen, sein Sperber konnte auch nicht ins Reich des Todes eindringen. Der Sensenmann schickte ihm immer eine Nachricht, wenn er sich dazu entschied den Dämon zu besuchen, doch in letzter Zeit hatte sich der Tod nicht mehr bei ihm gemeldet.

Er stand von seinem Schreibtisch auf und ging zu seinem hohen, dunklem Bücherregal, das mit alten Büchern und Schriftrollen vollgestopft war. Einiger dieser Bücher waren echte Raritäten und sehr schwer zu bekommen. Unter diesen Raritäten war eine Originalausgabe von Dante Alighieris „Die Göttliche Komödie“ der Dichter hatte es sogar selber signiert. Von allen Beschreibungen der Hölle gefiel dieses Werk Agares am besten, es war natürlich in altitalienisch verfasst. Mehrere Zauber verhinderten ein Zerfall des Buches, das Werk selbst hatte der Großherzog eher zufällig auf einem Markt erstanden. Früher hatte sich der Dämon in menschlicher Gestalt unter die Sterblichen gemischt, doch das war schon mehrere Jahrhunderte her, inzwischen hatte die Menschenwelt seinen Reiz für ihn verloren.

Nach kurzem Suchen fand Agares zwischen zwei Buchseiten versteckt das gesuchte Ritual, um den Tod selbst zu beschwören. Unzählige Rituale hatte der Großherzog schon gemacht, doch dieses war neu für ihn. Er sagte die lange, furchtbar schwülstige, Beschwörungsformel auf und wartete auf seinen Freund.

Das Zimmer verdunkelte sich und eine in schwarze gekleidete Gestalt erschien. „Wer wagt es, den Tod zur rufen?“, fragte dieser mit seiner kalten Stimme und drehte sich um. „Agares! Schön dich wiederzusehen“, sagte der Sensenmann nun im freundlicheren Tonfall und stellte seine Sense ab. Gevatter Tod hatte schon immer eine enorme Präsenz, nur Gott selbst konnte sie übertreffen. Den Tod umgab immer eine sehr kalte und bedrohliche Aura, ihn bei sich zu haben vermittelte immer das Gefühl der Vergänglichkeit. Als Unsterblicher hatte es Agares nie gestört, diese Aura um sich zu haben.

„Auch schön, dich wiederzusehen, Tod. Ich hoffe, ich habe dich nicht gestört.“

Dieser lachte und setzte sich auf einen Stuhl, den ihm der Dämon anbot. Als beide saßen, musterte Agares seinen Freund genauer. Der Tod war groß und schlank, sein Gesicht war totenbleich, mit zwei kalten, dunkelbraunen Augen, die schwarze Kutte bestand aus feinem Samt.

„Du weißt doch, Agares, ich habe immer viel zu tun. Aber warum hast du mich gerufen?“

Der Großherzog beschloss gleich zur Sache zu kommen. „Es geht um mein Krokodil Mephisto, er scheint irgendein Leiden zu haben, aber ich weiß nicht, was er hat. Könntest du ihn dir mal ansehen und mir sagen, wo das Problem liegt?“

Der Sensenmann überschlug die Beine und sah nachdenklich aus. „Dein Krokodil leidet? Merkwürdig, als unsterbliches Wesen sollte dies nicht vorkommen. Ich sehe ihn mir gerne an, ich bin neugierig.“

Ein sanft geschwungener Kiesweg führte von Agares Haus zu dem künstlichen Sumpf, während die Unsterblichen diesen entlang liefen, fragte Agares seinen Freund: „Wie geht es eigentlich deiner Frau, der Pest?“ Der Tod stöhnte genervt.

„Es ist zurzeit wirklich schlimm mit ihr, seit dieses Coronavirus die Welt der Menschen heimsucht, ist sie nur noch am Jammern. Yersinia ist der Meinung in Vergessenheit geraten zu sein und, dass sie wesentlich schlimmer und tödlicher ist als Corona. Meine Frau will einfach nicht einsehen, dass ihre Zeit vorbei ist. Yersinia hatte ihre Hochsaison im 14. Jahrhundert, damals hatte sie ein Drittel der Bevölkerung Europas dahingerafft. Sie war die tödlichste Krankheit der damaligen Zeit, ich habe mich schnell in sie verliebt. Und jetzt tobt eine neue Pandemie und Yersinia kann sich nicht damit abfinden, nicht mehr die Nummer 1. zu sein. Ihr Name steht in sämtlichen Geschichtsbüchern und trotzdem ist meine Frau unzufrieden.“

„Das tut mir leid, mein Freund“, sagte Agares mitfühlend.

Gevatter Tod winkte ab. „Das muss es nicht, alle Ehen haben ihre Höhen und Tiefen. Aber jetzt kümmern wir uns um Mephisto.“

Nun war dem Großherzog klar, warum sich der Tod nicht mehr bei ihm gemeldet hatte.

Am Sumpf angelangt sah Agares Mephisto am schlammigen Ufer liegen, er hob nur den Kopf, zeigte aber sonst keine Reaktion. Der Tod kniete sich hin und legte seine kalten Hände auf die raue, schuppige Haut und konzentrierte sich, das Krokodil zeigte keine Reaktion. „Ja, du hast recht, er leidet wirklich, da ist irgendwas in ihm, ich kann es spüren.“

„Eine Krankheit?“, fragte der Dämon.

Gevatter Tod schüttelte den Kopf. „Nein, keine Krankheit, ich kenne jede Krankheit der Welt. Irgendwas verbrennt Mephisto von innen, wäre er nicht unsterblich, hätte ich ihn schon längst geholt.“

„Kannst du etwas dagegen machen?“

„Nein, kann ich nicht, was auch immer ihn verbrennt, ich kann nichts für ihn tun. Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen, Agares.“

Gequält sah der Dämon zu seinem Krokodil, er hatte Mephisto, seit dieser aus dem Ei geschlüpft war, und das war schon einige tausend Jahre her. „Ist es etwas Magisches?“

Der Tod stand auf und legte den Kopf schief. „Ist nicht auszuschließen, nur weiß ich nicht, was es sein könnte. Eine Krankheit ist es jedenfalls nicht.“

Der Großherzog wusste nicht, ob er sich darüber freuen sollte. Agares lief auf und ab und grübelte, wie er seinem Reittier helfen konnte. „Wenn Magie nicht hilft, was soll ich tun, Tod?“

„Du könntest einen Tierarzt aufsuchen, die wissen, was zu tun ist.“

„Einen Tierarzt? Ist das dein Ernst, ich soll in die Menschenwelt?“ Der Dämon klang entsetzt.

„Du hast mich nach meiner Meinung gefragt. Entweder gehst du in die Welt der Sterblichen oder Mephisto leidet weiter.“

Der Großherzog stieß einen frustrierten Schrei aus und sah wieder zu seinem Krokodil. „Mephisto verdient es nicht zu leiden, nur weil ich zu stur bin. Kennst du einen guten Tierarzt?“

„Ja, ich kannte einen, der ist letzte Woche gestorben.“

„Sehr witzig. Ich meinte einen, der noch am Leben ist.“

„Es gibt sehr viele gute Tierärzte, du musst dich nur richtig umschauen.“

Plötzlich sah Gevatter Tod nach oben, er schien zu lauschen. Agares folgte seinem Blick, konnte aber nichts hören. „Tut mir leid, Agares, ich muss los, es gab einen schlimmen Unfall in einer Fabrik. Wir sehen uns und viel Glück.“ Und schon war der Tod verschwunden.

Nach wenigen Gehminuten war der Großherzog wieder in seinem Haus und überlegte, was genau er jetzt tun sollte. Der Tod hatte ihm einen guten Ratschlag gegeben, das Problem war nur, dass Agares nicht in die Menschenwelt wollte, zuletzt, war er 1322 dort gewesen. Er kannte sich in dieser Welt auch nicht mehr aus, sie war im ständigen Wandel. Unabhängig davon musste er sich Luzifers Erlaubnis einholen, um noch oben zu gehen und er brauchte eine Vertretung. Dazu kam auch noch, dass er Mephisto mitnehmen musste, er konnte keinen Sterblichen einfach in die Hölle mitnehmen und dann wieder gehen lassen, das war gegen die Regeln. Es war doch lächerlich, dass er, trotz all seiner Macht als Dämon, nicht einmal seinem Krokodil helfen konnte. Doch was war es, dass Mephisto innerlich verbrannte? Agares konnte sich keinen Reim darauf machen.
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