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Rumäniens Straßenhunde

Kurzbeschreibung
GeschichteDrama, Romance / P16 / Het
Bill Weasley Charlie Weasley Fenrir Greyback Nymphadora Tonks OC (Own Character) Remus "Moony" Lupin
31.08.2023
18.09.2023
4
12.076
5
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Dieses Kapitel
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18.09.2023 4.300
 
Wenn auch ziemlich spät heute, aber Happy New  Week, ihr Lieben ;)
Wie versprochen geht's hier mit Charlie weiter. Und nicht nur mit ihm. Wir wollen ja auch schließlich ein paar bekannte Gesichter sehen hier in dieser FF ;)



oOo


Alte und neue Bekannte



Charlie kannte Tonks schon lange. Er hatte sie während seiner Schulzeit in Hogwarts kennengelernt, sie hatten einige Fächer zusammen und über gemeinsame Freunde, gemeinsames Lernen und gemeinsames Interesse an Quidditch hatten auch sie beide irgendwann Freundschaft geschlossen. Seit er sie kannte, konnte er eines mit Sicherheit sagen: Sie war definitiv immer für eine Überraschung gut – sei es, weil sie in Zaubertränke plötzlich die gleiche Hakennase und das fettige Haar des Tränkemeisters persönlich auf dem Kopf hatte, wenn Snape ihr den Rücken zugewandt hatte und mit diesem Erscheinungsbild höchst unsnapehafte Grimassen schnitt, weil sie es allein dank eines Stolperns um ein Haar versehentlich geschafft hätte Zonkos niederzubrennen oder weil sie während eines Ordentreffens gut und gerne mal bis zu zwanzig verschiedene Haarfarben oder Gesichtsformen annahm, wenn sie sich stark auf Dumbledores Worte konzentrierte und mit ihrem ständig wechselnden Äußeren sämtliche Mitglieder irritierte. Doch noch nie zuvor hatte sie Charlie überrascht, indem sie unangemeldet und mit einem erschreckend unscheinbaren Erscheinungsbild bei ihm zuhause auf ihn gewartet hatte, um ihn dann ins Kreuzverhör zu nehmen, so wie früher seine Mutter, wenn er sich heimlich mit Bill hinaus geschlichen hatte, um mitten in der Nacht Quidditch zu spielen.

„Wo bist du gewesen?“, fuhr sie ihn an, gerade als er die Tür hinter sich ins Schloss fallen ließ. Charlie erschrak so heftig, dass er die Garderobe zu Boden riss – eine Aktion, die besser zu seiner unerwarteten Besucherin gepasst hätte.
„Und seit wann hast du einen Hund?“, fügte sie hinzu, noch bevor sich sein Pulsschlag wieder normalisiert hatte. Innerlich fluchend sagte er sich, dass er sich in Zukunft wirklich besser zusammenreißen musste. Schließlich herrschte Krieg, es war durchaus möglich, dass er früher oder später einem Todesser in die Arme laufen konnte, wenn sie ihre Macht tatsächlich über die Landesgrenzen hinaus ausweiten sollten…
„Tonks“, war das erste, was er heraus brachte, sehr darauf konzentriert, nicht zu verärgert zu klingen, weil sie ihm diesen Schrecken eingejagt hatte.
„Ich weiß, wie ich heiße“, knurrte sie. Charlie konnte sich nicht erinnern, sie jemals zuvor in vergleichbar schlechter Stimmung erlebt zu haben.
„Alles in Ordnung?“, fragte er vorsichtig. Offensichtlich war es das nicht, doch ihm fiel keine bessere Frage ein.
„Natürlich. Und jetzt sag schon, wo bist du gewesen. Dich trennt doch sonst nichts von deinen feuerspeienden Riesenechsen.“ Ihre Worte klangen fast schon wie ein Vorwurf, vielleicht sollte es auch einer sein. Nur leider hatte Charlie keine Ahnung, womit er diesen so plötzlich verdient hatte.
„Was ist dein Problem?“, wollte er leicht gereizt wissen. Es tat ihm ja leid, dass sie auf ihn hatte warten müssen, doch er hatte schließlich nicht gewusst, dass sie vorhatte vorbei zu schauen, da brauchte er wirklich nicht ihre schlecht gelaunten Vorwürfe über sich ergehen lassen.
„Tut mir leid“, entschuldigte sie sich, nachdem sie einige Minuten lang offensichtlich mit sich gerungen hatte.
„Schon okay“, winkte er ab, auch wenn ein Teil von ihm sie gern angeherrscht hätte, was dieses Benehmen sollte. Doch er schluckte jeglichen bissigen Kommentar hinunter und fragte stattdessen nur: „Also, was ist passiert?“
Sie schwieg und so verbrachte er die nächsten Minuten damit, ihr viel zu unscheinbares, mausbraunes Haar und ihre so untypisch glanzlosen Augen zu betrachten.

„Du siehst fürchterlich aus“, stellte er fest, als er seine Musterung beendet hatte.
Sie schnaubte und antwortete augenverdrehend: „Charmant wie immer, Mr Weasley. Ganz ehrlich, es wundert mich nicht, dass du keine Freundin hast, wenn du mit allen Frauen so redest.“
„Ich meine…“, hilflos gestikulierte er in ihre Richtung, während er nach den richtigen Worten suchte, nicht sicher, ob er sie ernsthaft verletzt hatte oder ob sie ihn bloß aufzog. „Du siehst überhaupt nicht… Komm schon, du weißt, was ich meine.“
„Ja, ich weiß“, brummte sie, stapfte schlecht gelaunt auf das Sofa zu, stolperte über die Teppichkante und schaffte es wenig elegant sich gerade noch an der Sofalehne abzufangen, was ihre schlechte Laune nur noch weiter steigerte.
Mühsam unterdrückte Charlie ein Kichern, in der Befürchtung, dass dies nicht der richtige Zeitpunkt war, um mit ihr über ihre Tollpatschigkeit zu lachen. Irgendwie gelang es ihm, eine ernste Mine aufrecht zu erhalten und er setzte sich neben sie.

„Bist du den weiten Weg wirklich nur gekommen, um mich wütend auszuschimpfen, weil ich es gewagt habe, mal für ein paar Stunden das Reservat zu verlassen?“, fragte er irgendwann.
Tonks stieß mit einem lauten Seufzen die Luft aus und schüttelte den Kopf, den Blick dabei unentwegt auf die Wand gegenüber gerichtet.
„Ich will jetzt nicht darüber reden“, verkündete sie mit einer Dramatik, die er nicht von ihr kannte. Nickend nahm er das zur Kenntnis. Er konnte Drachen in andere Länder transportieren, sich ihnen nähern und ihre Krallen ausmessen oder ihnen Medizin verabreichen. Er konnte auf seinem Besen den gefährlichen Flammen ausweichen oder sich in einem steilen Sturzflug auf den Schnatz stürzen, der nur wenige Meter über dem Boden flatterte. Doch er konnte kein Gespräch mit einer mürrischen Tonks führen! Er wusste nicht, was ihr den Zauberstab verknotet hatte und er wusste noch weniger, wie er das herausfinden sollte. Um ehrlich zu sein, hätte er lieber einem brütenden ungarischen Hornschwanz sein Gelege entwendet, als sich vorsichtig an das heikle Thema rund um Tonks' Gefühlswelt heranzutasten.

„Weißt du, ich hatte schon ein ziemlich langes Gespräch mit deiner Mum“, begann sie nach einer gefühlten Ewigkeit eine Art Erklärung, in der Charlie bloß neben ihr gesessen und voller Unbehagen an die Wand gegenüber gestarrt hatte. Noch nie zuvor war ihm aufgefallen, dass er besser auf seine Mutter gehört und mal ein paar Bilder aufgehängt hätte – Familienfotos zu betrachten wäre sicher netter gewesen, als die ganze Zeit über Interesse an der Maserung der Holzwände vorzutäuschen…
„Mmmh“, machte Charlie nur, da er nicht sicher war, wohin diese Unterhaltung führen sollte. Worüber hatte sie mit seiner Mum geredet. Und warum hatte sie das überhaupt getan. Er hatte gar nicht mitbekommen, dass sie sich so richtig miteinander angefreundet hatten…
Nach weiteren unbehaglichen Minuten des Schweigens fügte sie hinzu: „Sie meint auch, dass er sich lächerlich anstellt. Warum seid ihr Männer immer so bescheuert?“
Heilfroh nun zumindest einen groben Anhaltspunkt zu haben, was ihr auf der Seele lastete, ignorierte er den Seitenhieb auf das männliche Geschlecht und er beschloss auch die Frage, warum sie ihren Liebeskummer mit seiner Mutter diskutierte hinten anzustellen. Stattdessen wartete er darauf, dass sie weiter sprach.
„Ich kann sehr gut selbst entscheiden, in wen ich mich verliebe, findest du nicht?!“
„Ähm“, lautete seine einfallsreiche Antwort. Die Erleichterung darüber endlich den Grund ihrer schlechten Laune zu kennen, war genauso schnell wieder verflogen, wie sie aufgekommen war. Wenn es um Beziehungsratschläge ging, hatte sie sich ganz klar, den falschen Weasley ausgesucht. Plötzlich erschien ihm die Seltsamkeit bedingt durch das anscheinend so innige Verhältnis zwischen seiner alten Schulfreundin und seiner Mutter gar nicht mehr so wichtig. Stattdessen hatte sich Charlie die Frage aufgedrängt, warum Tonks ihn aufsuchte, nachdem seine Mum ja allem Anschein nach keine nennenswert hilfreichen Tipps hervorgebracht hatte. Ihm lag schon die Bemerkung auf der Zunge, dass sie sich doch besser an Bill wenden sollte, wenn sie eine zweite Meinung hören wollte, doch er schluckte den Kommentar hinunter und sagte bloß: „Weißt du was, ich glaube, du musst mal unter Leute. Komm mit.“


Da Charlie keine Lust gehabt hatte, all die Kommentare seiner Freunde und Kollegen über sich ergehen zu lassen, was er und Tonks wohl schönes bei einer Flasche Bier (oder auch etwas Hochprozentigerem) zu besprechen hatten, hatte er sie kurzerhand in die einzige kleine Kneipe in dem nahe gelegenen, kleinen Muggeldorf geschleppt. Als Tonks innerhalb weniger Minuten bereits ihr zweites Glas Whiskey in großen Zügen leerte, traute er sich endlich, noch einmal auf das heikle Thema zu sprechen zu kommen.
„Also, magst du mir jetzt erzählen, was genau passiert ist? Ich ahne bereits, es geht um einen Mann…“
„Gut beobachtet, Sherlock“, lobte sie spöttisch, doch dann wurden ihre Gesichtszüge weicher und sie seufzte ergeben (er verkniff sich die Frage, wer oder was ein Sherlock war).
„Tut mir leid“, entschuldigte sie sich. „Ich wollte meine schlechte Laune wirklich nicht an dir auslassen. Es ist nur… keine Ahnung. Ich hab mich einfach noch nie so verzweifelt gefühlt, verstehst du?“
Langsam nickte Charlie, auch wenn er sich selbst noch nie in einer vergleichbaren Lage gesehen hatte.
„Um wen geht es überhaupt?“
Einen Moment lang zögerte sie, dann sah sie ihm einen Moment fest in die Augen, bevor sie ihren Blick wieder auf das inzwischen leere Glas vor sich richtete.
„Um Remus.“
„Okay…“, kam die geistreiche Antwort von ihm. Er wusste nicht so recht, was er erwartet hatte. Vielleicht hatte er gehofft, es wäre einfacher, wenn er erst einmal wusste, wer der „Idiot“ war, von dem sie gesprochen hatte. Doch so wirklich besser fühlte er sich jetzt nicht. Er kannte Remus nicht besonders gut. Wenn er ihn mal bei einer der Versammlungen begegnet war, dann war er ihm durch seine ruhige, überlegte Art nie sonderlich aufgefallen. Unwillkürlich fragte Charlie sich, womit Remus Tonks' Interesse geweckt haben könnte – nicht, dass er ihre Wahl infrage stellte. So wie er Tonks kannte, wusste sie ganz genau, was – oder in diesem speziellen Falle wen sie wollte. Und ja, jetzt wo er so darüber nachdachte, kam ihm auch in den Sinn, dass sie mit ihrer quirligen, aufgeweckten Art durchaus jemanden mit seiner Geduld gebrauchen konnte. Außerdem – so hatte ihm jedenfalls Sirius nach einem Ordenstreffen bei einem Glas Feuerwhiskey erzählt – war Remus in seiner Schulzeit durchaus an dem ein oder anderen Schülerstreich beteiligt gewesen.
Nur half ihm diese Erkenntnis jetzt auch nicht wirklich weiter, wenn es darum ging, Tonks aufzuheitern…

„Er hat gesagt,  er sei viel zu gefährlich für mich“, fuhr sie fort, nachdem sie bei der Kellnerin ein weiteres Glas beordert hatte. „Das ist doch bescheuert, ich meine, es gibt doch inzwischen diesen Wolfsbanntrank und wenn es ihn beruhigt müssen wir die Vollmondnächte ja auch meinetwegen nicht in einem Haus verbringen – auch wenn ihn seine Verwandlung nicht davon abgehalten hat, sich in einem Schloss voller Schüler aufzuhalten, die allesamt keine Ausbildung zu Auroren gemacht haben!“
Charlie musste ihr zustimmen – auch wenn er zugeben musste, dass seine Messlatte in der Kategorie „Potentielle Gefahren“ möglicherweise ein wenig höher lag, als die der übrigen Zauberergesellschaft.

„Hast du ihm das gesagt?“

Wieder einmal schnaubte sie. „Natürlich hab ich das! Was denkst du denn?“

„Ich meinte damit, ob du ihm deine Meinung vernünftig erklärt hast oder ob du in einem ähnlich netten Tonfall mit ihm gesprochen hast, wie mit mir gerade.“

„Ich hab ein ganz ruhiges und entspanntes Gespräch mit ihm geführt… anfangs zumindest. Aber er… Er will mir einfach nicht zuhören, verstehst du?“

„Dann ist er wirklich ein Idiot.“

„Allerdings! Und als ob er mir das endgültig beweisen müsste, hat er sich jetzt in eine Selbstmordmission gestürzt! Ich weiß nicht mal, ob er das wirklich nur macht, um von mir weg zu kommen oder ob er es sich unbedingt in den Kopf gesetzt hat, Sirius in den Tod zu folgen und welche Option mir lieber wäre…“

Eine Zeitlang schwiegen sie beide. Schon wieder wusste Charlie nicht, was er sagen sollte, also leerte auch er stumm sein Glas. Er wünschte, er hätte mehr für sie tun können, als sich ihre Sorgen anzuhören und sich mit ihr zu betrinken.

„Weißt du was?“, meinte sie plötzlich und auf ihrem Gesicht breitete sich so überraschend ein schelmisches Grinsen aus, dass es Charlie beinahe unheimlich war. „Vergessen wir das Thema und reden lieber über etwas fröhlicheres.“
„Okay… Sehr gerne“, stimmte er ihr einigermaßen erleichtert zu, auch wenn der Zweifel blieb, wie sie es so plötzlich geschafft hatte, ihren inneren Schalter umzulegen. Möglicherweise entfaltete so langsam einfach der Whiskey seine volle Wirkung.

„Was gibt es sonst so neues in England?“

„Hast du mir nicht zugehört? Ich sagte, ich will mit dir über etwas fröhliches reden. Ehrlich, du brauchst dringend eine Freundin, die würde dir das Zuhören schon beibringen.“

Charlie lachte, doch Tonks' Augen blitzten begeistert auf, sodass sie ihm nach und nach immer mehr nach ihr selbst vorkam.

„Hey, das ist ein gutes Thema?“

„Was?“

„Na, wir haben jetzt so viel über mein deprimierendes Liebesleben gesprochen, jetzt bist du dran!“

„Da gibt‘s aber nicht viel zu erzählen.“
Hin und wieder schloss er sich mal seinen Kollegen an die hier oder in einem anderen Ort mit Muggelmädchen flirteten. Ersthaft verliebt, so wie Tonks das gerade war, hatte er sich dabei nie. Darum ging es nicht.

Tonks legte nachdenklich den Kopf schief. „Na, dann sollten wir das ändern.“
„Was?“, wiederholte Charlie skeptisch.
„Wir werden dir jetzt eine Freundin suchen. Oder zumindest einen passenden kleinen Flirt. Ich find schon die Richtige für dich – gleich hier und jetzt!“, verkündete sie strahlend.
„Okay, ich glaube, du hattest genug hiervon“, entschied Charlie und nahm Tonks das Glas aus der Hand, doch ihre Begeisterung war ungebrochen.

„Was hältst du von der dort? Oh nein, warte, ihre Nase ist komisch, siehst du?“, sie deutete auf ihre eigene Nase, die just in diesem Augenblick auf die Größe einer Kartoffel anschwoll.

„Erstens: Du hast zu viel getrunken, so groß ist die Nase der armen Frau auch wieder nicht. Und zweitens: Hör auf damit! Wir sind hier unter Muggeln und uns hat man schon beim letzten Mal nicht wirklich geglaubt, dass das eine Allergie war, weswegen deine Ohren auf einmal so groß waren.“

„Was denn? Ich wollte halt mal wissen, ob diese Katie vom Tisch nebenan nun von diesem Johnny angerufen wurde oder nicht“, zuckte Tonks unbekümmert mit den Schultern, ließ ihre Nase glücklicherweise aber wieder auf Normalgröße schrumpfen. „Ihr Verdacht, dass er fremd gegangen ist, war nach allem, was wir mithören konnten, durchaus berechtigt! Und jetzt hör mal auf, hier vom eigentlichen Thema abzulenken! Die dort drüben sieht doch ganz hübsch aus. Moment, nein, doch nicht, ich kann ihre Augenbrauen nicht leiden.“
Charlie runzelte die Stirn, als er ihrem Blick folgte. Er wusste nicht, was Tonks an den Augenbrauen auszusetzen hatte. Überhaupt bemerkte er, dass er sich noch nie zuvor um die Augenbrauen einer Person Gedanken gemacht hatte. Tonks dagegen schien nicht zum ersten Mal über dieses Thema nachzudenken, denn sie erklärte gerade: „Die sind überhaupt nicht symmetrisch. Das erinnert mich total an Maggie aus meinem Schlafsaal damals in Hogwarts. Jeden Morgen hat sie darüber geklagt! Stell dir das vor: Jeden Morgen! Und die da vorne stört sich sicher auch daran. Und du ahnst ja gar nicht, wie lästig es sein kann, wenn du dir über Jahre hinweg dieses morgendliche Genörgel anhören musst.“
„Ich bekomm gerade eine ungefähre Vorstellung davon“, murmelte er in das Glas hinein, das er gerade an seine Lippen gesetzt hatte.
Tonks schien seine Bemerkung nicht gehört zu haben oder aber sie hatte großzügig beschlossen, sie zu überhören.

„Okay, aber die da, die sieht wirklich nicht schlecht aus und sie erinnert mich auch an niemanden, den ich kenne. Oder doch? Ich glaub, ich hab mal eine im Ministerium getroffen, die hatte entfernt Ähnlichkeit mit ihr. Aber die war wirklich nett, keine Sorge. Sie hieß Alice, wenn ich mich recht erinnere… Wäre es nicht witzig, wenn die hier auch Alice hieße? Wobei, ich finde, sie sieht mehr aus wie eine –“

„Tina“, stellte Charlie fest, als er endlich herausgefunden hatte, auf wen Tonks wild gestikulierend deutete.
„Tina? Meinst du wirklich?“, meinte sie mit skeptisch schief gelegtem Kopf. „Ich hatte eigentlich Lizzie vorschlagen wollen…“
„Nein, sie heißt wirklich Tina“, erklärte Charlie. „Sie hat es am Dienstag fast fertig gebracht, sich von einem Drachen fressen zu lassen, ich musste sie dann obliviieren.“
Tonks strahlte ihn an.
„Das ist ja fabelhaft.“ (Charlie konnte nicht so ganz einsehen, inwiefern die Tatsache, dass die arme Frau um ein Haar Drachenfutter geworden wäre, fabelhaft war, doch er kam nicht dazu, seinen Einwand kundzutun.) „Warum hast du das nicht gleich gesagt?“, sie klang nun beinahe vorwurfsvoll, doch sie ließ ihm wieder keine Zeit zum Antworten.

„Los, komm mit.“

„Was haben wir denn vor?“

„Na, wir setzen uns jetzt zu deiner Tina.“

Meiner Tina?“

„Spreche ich etwa undeutlich?“

Charlie versuchte sie genervt zum Umdrehen zu bewegen.
„Tonks, das ist lächerlich, siehst du denn nicht? Sie ist mit Freunden da“, erklärte er, als er auch Grace und Marc erkannte.
„Na und?“, wischte Tonks seine Einwände einfach beiseite. „Wenn das neben ihr nicht ihr fester Freund ist, sehe ich kein Problem.“
Während sie entschlossenen Schrittes voran durch den Raum auf Tina und ihre Freunde zu stiefelte, rempelte sie mehr als einmal unschuldige Gäste an, die ihr verärgert und manche hustend, manche schimpfend hinterher schauten. Als sie auf halbem Wege dann stolperte und gleich einen ganzen Tisch mit zu Boden riss, konnte Charlie sich der Aufmerksamkeit sämtlicher Pubbesucher gewiss sein. Am liebsten wäre er auf der Stelle im Erdboden versunken oder zumindest disappariert, doch vor den Augen der anwesenden Muggel war das kaum möglich, also entschuldigte er sich bei einem der Kellner für die Umstände, zog Tonks wieder auf die Beine und versuchte die Blicke der anderen zu ignorieren.

„Charlie!“, freute sich Grace, die ihn nach dieser Aktion natürlich bemerkt hatte, und winkte ihn sogleich heran. Tina hob alarmiert den Kopf, warf ihrer Freundin einen warnenden Blick zu und fing sogleich an, leise auf sie einzureden, doch sie verstummte, als Tonks vor ihnen stehen blieb und gut gelaunt in die Runde blickte.
„Sie haben gar nicht erwähnt, dass Sie eine Freundin haben!“, bemerkte Grace gewohnt offenherzig, wobei sie ihn vorwurfsvoll ansah.
„Das ist Tonks. Und sie ist nicht meine Freundin“, versicherte er schnell, während diese bekräftigend nickte.
„Seltsamer Name“, kommentierte Grace stirnrunzelnd, dann streckte sie ihr auch schon die Hand entgegen. „Aber cooler Auftritt gerade – tut's noch weh?“ Als Tonks verneinte fügte sie immer noch fröhlich hinzu: „Gut. Ich bin Grace, schön Sie kennenzulernen. Das ist meine Freundin Tina und das ist Marc.“
„Und die beiden sind ein Paar?“, erkundigte sich Tonks in der selben unbekümmerten Art, die auch Tinas Freundin an den Tag legte.
„Nein, er ist schließlich Krebs“, kam es prompt von Charlie, ohne dass er die Worte hätte aufhalten können. Er wusste selbst nicht, wo er diese Schlagfertigkeit hernahm (vielleicht trugen all die Jahre, die mit den Zwillingen unter einem Dach gelebt hatte, ihren Teil dazu bei). Und es überraschte ihn noch mehr, wie locker sich seine Stimme anhörte, immerhin hatte er sich eigentlich für Tonks' Benehmen schämen wollen. Zumindest brachte er sie mit dieser Bemerkung durcheinander, wie er einigermaßen erfreut feststellte. Ein klein wenig schadenfroh durfte er schließlich sein, nachdem sie ihn hier so blamierte.

Auf Grace‘ Gesicht breitete sich ein Grinsen aus. „Das haben Sie sich also gemerkt, ja? Dann wissen Sie hoffentlich auch noch, was ich sonst noch über Tinas Liebesleben gesagt habe?“
Tonks stieß Charlie mit einem wenig verstohlenen Zwinkern den Ellenbogen schmerzhaft in die Rippen.

„Schluss damit!“, unterbrach Tina energisch. „Für diese Unterhaltung bin ich eindeutig noch nicht betrunken genug!“
„Das lässt sich schnell ändern“, fand Marc und winkte sogleich den Kellner heran, um für alle zu bestellen.

Je länger sie beisammen saßen, desto ausgelassener wurde die Stimmung. Zumindest für die meisten. Charlie wurde mit der Zeit immer nervöser, denn mit stetig anwachsendem Alkoholpegel hatte Tonks gelegentlich Schwierigkeiten, die Kontrolle über ihre Fähigkeiten zu behalten. Er hatte durchaus bemerkt, dass ihre Augen längst nicht mehr einen unscheinbaren Braunton angenommen hatten, sondern inzwischen in einem leuchtenden Blau aufblitzten. Allerdings wusste er nicht, wie er sie unauffällig davon in Kenntnis setzen sollte; glücklicherweise schien das bis jetzt noch niemandem sonst aufgefallen zu sein.
Grace hatte ohnehin in der Zwischenzeit angefangen hemmungslos mit Marc zu flirten. Irgendwann verkündete sie: „Ich glaub, ich muss mal an die frische Luft“ und es dauerte keine zwei Minuten, da hatte sich auch Marc erhoben – nur, um nach ihr zu sehen, versteht sich!

„Sie kann ganz ehrlich auch normal sein“, versicherte Tina, den Blick auf die Tür gerichtet, durch die ihre Freundin gerade verschwunden war.
„Normal ist langweilig“, beteuerte Tonks und machte eine wegwerfende Handbewegung, wobei sie Tinas Glas vom Tisch fegte (Charlie hatte seines in weiser Voraussicht in die Hand genommen, sobald er bemerkt hatte, dass Tonks ihren Arm erhob).
„Oh das tut mir leid, ich mach das schon“, beteuerte sie. Alarmiert hielt Charlie sie am Handgelenk fest, nicht sicher, ob sie gerade tatsächlich vorhatte, die Sache mit ihrem Zauberstab zu richten.
„Ich glaube, das ist keine gute Idee“, warf er hastig ein. So langsam glaubte er zu wissen, wie sich Tina am Nachmittag gefühlt haben musste.
„Ach Charlie, entspann dich und vertrau mir“, zwinkerte sie ihm zu und wollte auch schon eine weitere Runde bestellen, doch Tina winkte ab.
„Nein, ehrlich, ich glaub, ich hab genug für heute“, fand sie und fasste sich an den Kopf. „Ich seh sogar schon, wie ihre Haare die Farbe wechseln. Vielleicht sollte ich öfter mal was trinken gehen, damit ich mehr vertrage…“
Charlie fuhr herum und bemerkte mit Entsetzen, wie Tonks' gerade noch so glanzlose Haarfarbe langsam immer mehr an ein strahlendes Rot erinnerte.

„Reiß dich zusammen“, zischte er in ihr Ohr.

„Oh, entschuldige!“

„Vielleicht ist es an der Zeit, dass ich dich nach Hause bringe“, überlegte Charlie mit strengem Blick auf Tonks.
„Nein, ich will noch nicht gehen“, erwiderte diese, wie ein quengeliges Kind, was Charlie genervt ausatmen ließ. „Warum glaubt ihr Männer immer über uns bestimmen zu können?“

„Ich hab doch gar nicht –“

„Tina, was meinen Sie? Warum sind Männer solche Trottel? Ich meine, wenn man ihnen sagt, dass man sie liebt, dann laufen sie einfach davon!“

Tina schnaubte. „Nun ja, manche laufen auch nicht vor einem weg, sondern auf eine andere zu… Zumindest wenn sie ihre Bluse nie richtig zuknöpft und die Röcke auch mit jedem Tag kürzer werden!“

Charlie fühlte sich mehr als fehl am Platz. Nicht zum ersten Mal an diesem Abend bereute er, dass er mit Tonks das Reservat verlassen hatte. Jegliche Kommentare seiner Kollegen wären immer noch besser als das.

„Der Kerl, der Sie verlassen hat, ist ein Idiot, hab ich nicht recht, Charlie?“, wollte Tonks mit einem erneuten schmerzhaften Hieb ihres Ellenbogens in seine Seite wissen. „Sie sind hübsch und witzig, Sie betrinken sich mit Fremden in einer Bar und Ihr Name ist einfach wundervoll.“

Tina lachte stirnrunzelnd. „Mein Name ist furchtbar. Florentina.“

„Daran ist nichts auszusetzen. ,Flo' klingt doch ganz niedlich.“

„Ja, und man ist beim Familientreffen bis in alle Ewigkeit die niedliche, kleine Flo, die mit ihren Gummistiefeln durch den Bach hüpft und hinfällt!“

„Ist immer noch besser als Nymphadora! Ich geb ja die Theorie nicht auf, dass Mum sich eigentlich nie ein Kind gewünscht hat und der Name die Bestrafung dafür ist.“

„Hör auf, so einen Unsinn zu reden“, schritt Charlie an dieser Stelle entschieden ein. „Du gehörst jetzt wirklich ins Bett!“
„Ein guter Plan“, stimmte Tina ihm zu. „Ich sollte mich auch langsam auf den Rückweg machen. Grace und Marc sind inzwischen vermutlich längst wieder bei Hope. Oder in einem Hotel...“
„Na schön, wie es aussieht bin ich überstimmt“, seufzte Tonks und erhob sich ebenfalls, wobei sie ihren Stuhl umschmiss. „Charlie wird Sie nach Hause bringen. Ich geh schon mal ins Bett. In dein Bett übrigens, du wirst auf dem Sofa schlafen“, fügte sie wie selbstverständlich an ihn gewandt hinzu. Charlie fand, dass das ein angemessener Preis war, wenn sie dafür endlich aufhörte Unsinn zu reden oder zu machen.

„Gute Nacht“, verabschiedete sie sich und wankte auch schon davon. Während Charlie sich still fragte, ob es nicht sehr unverantwortlich von ihm war, sie in ihrer momentanen Verfassung allein apparieren zu lassen, bemerkte Tina nachdenklich: „Das ist aber nicht der Ausgang, da lang geht es zum Hinterhof.“
„Ich bin mir sicher, das wird sie gleich merken. Los, kommen Sie“, forderte er sie auf, bevor sie noch mitbekam, dass Tonks wohl nicht aus dem Hof zurückkehren würde. Die Sorge, ob sie auch wirklich dort ankam, wo sie hin wollte, war nicht verschwunden, doch auf der anderen Seite wollte er Tina wirklich nicht allein durch die Straßen laufen lassen. Tonks hätte einfach mitkommen können, ein kleiner Spaziergang an der frischen Luft hätte ihr sicher gut getan…

„Sie müssen mich wirklich nicht begleiten. Ich glaube, ich bin noch deutlich klarer im Kopf, als Ihre Freundin“, meinte Tina, als er gemeinsam mit ihr vor die Tür trat.

„Ich werd mich sofort um sie kümmern. Zuerst bring ich Sie nach Hause.“

„Das ist nett – und wenn ich nicht so eine miserable beste Freundin hätte, wäre das auch völlig unnötig!“

„Gönnen Sie Grace doch das Vergnügen, nachdem sie sich heute Nachmittag so um Sie bemüht hat.“

Charlie bemerkte, wie Tinas vom Alkohol ohnehin schon geröteten Wangen, eine noch rosigere Farbe annahmen.
„Es tut mir so leid, wie sie sich benommen hat“, entschuldigte sie sich zum wiederholte Mal an diesem Tag.
„Muss es nicht, ehrlich“, winkte er ab. „Und falls es ein Trost ist, denken Sie immer daran, dass Sie nicht die einzige sind, die heute von einer Freundin in Verlegenheit gebracht wurde. Und glauben Sie mir, zumindest die Tollpatschigkeit lag nicht allein an Tonks' Alkoholkonsum heute Abend – so wie viele ihrer Kommentare, fürchte ich, leider auch nicht…“
Tina lachte. „Danke, jetzt fühl ich mich wirklich ein wenig besser.“
Schweigend gingen sie weiter.
Natürlich hatte Charlie nicht vor, sich in sie zu verlieben, so wie Tonks das diesen Abend beschlossen hatte. Trotzdem konnte er diese gewisse Sympathie für sie nicht leugnen. Sie war erfrischend anders, als alle Muggel, denen er vor ihr begegnet war; selbst als sie dem Drachen begegnet war, hatte sie einen vergleichsweise kühlen Kopf bewahrt, das hatte er nicht vergessen. Ob er es wollte oder nicht, aber ihr Verhalten hatte ihn durchaus beeindruckt. Und wenn er unter dem Einfluss des Alkohols ganz ehrlich zu sich selbst war, musste er sich eingestehen, dass er es mit seinem Besuch im Shelta durchaus darauf angelegt hatte, ihr noch einmal zu begegnen. Nur würde er das Tonks ganz sicher nicht auf die Nase binden.
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