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Life, Love and Freedom

Kurzbeschreibung
GeschichteDrama, Liebesgeschichte / P18 / Het
10.08.2023
01.10.2023
18
55.145
6
Alle Kapitel
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18.09.2023 4.006
 
Es schüttet bereits seit Stunden wie aus Eimern, weswegen die Gruppe gezwungen war vor dem Erreichen von Hurricane Hills, Rast zu machen. Dementsprechend liegt Alyssa nun seit über zwei Stunden in ihrem Zelt und lauscht, wie der Regen auf den Stoff ihres Zeltes prasselt.
Wenn das so weiter geht, befürchtet sie, dass sie nicht mehr lange im Trockenen liegt. Das Zelt macht nämlich keinen hochwertigen Eindruck.
Sie summt mal wieder die Melodie von Mockingbird, da sie einfach nicht in den Schlaf findet.
Und wie vermutet, dauert es nicht lange, bis sie die ersten Tropfen an der Innenseite ihres Zeltes entlanglaufen sieht.
Bitte nicht, betet sie. Doch nur wenige Minuten später tropft es ihr zusätzlich noch mitten ins Gesicht. Statt sich irgendwie davon wegzubewegen, erträgt sie es für eine Weile, als würde sie die Herausforderung annehmen, die ihr Gott mit diesem Tag auferlegt hat. Zudem ist sie der Meinung, dass sie einmal gehört hat, wie so etwas ähnliches als Foltermethode verwendet wird. Somit nimmt sie das noch zusätzlich als Prüfung einer These. Jedoch hält sie es tatsächlich nicht einmal fünf Minuten aus, bevor sie hektisch hochspringt und ihr Zelt verlässt.
Da wird man ja wirklich verrückt, stellt sie für sich fest und ist erleichtert, als sie draußen ist. Das währt aber nur kurz. Denn sie steht nun mitten im Regen und hat keine Ahnung, was sie machen soll. Es ist dunkel, es ist kalt und da sie nur das leichte Shirt von Julian und darunter lediglich ihre Unterwäsche trägt, ist sie eigentlich schon so gut wie durchgenässt.
Sie geht ein paar Schritte, bis sie über etwas stolpert und etwas zu laut flucht.
Das kann doch nur ein Alptraum sein, ist sie sich sicher und lässt sich daher demonstrativ an einem Baum nieder. Sie macht sich unglaublich klein, indem sie die Beine anzieht und ihre Arme darum schlingt. Dann schließt sie die Augen und stimmt erneut Mockingbird an.

„Verdammt, Alyssa!“ Sie spürt plötzlich zwei unglaublich warme Hände an ihren Armen. „Was zum Teufel machst du hier?“ Sie schaut nicht auf, weiß jedoch, dass Julian vor ihr kniet.
„Weiß … es … nicht.“ Ihre Stimme zittert so sehr, dass sie noch nicht einmal einen kompletten Satz zusammenkriegt.
Er legt die Arme um sie und hebt sie hoch. Sie hat noch nicht einmal Kraft dazu sich zu wehren. Sie will es aber auch nicht, denn für sie ist er gerade wie eine schöne, mollige Heißdecke. Daher schmiegt sie sich nur noch enger an ihn.
Soweit sie das noch mitkriegt, trägt er sie in sein Zelt. Er setzt sie auf etwas weichem ab und als er ihr das triefend nasse Shirt ausziehen will, kann sie weder was dagegen sagen noch groß mitmachen, um ihm dabei zu helfen. Sie sitzt einfach nur da und zittert.
„Wie lange sitzt du schon da draußen?“ Er schleudert das nasse Shirt in eine Ecke.
„Weiß … nicht.“ Er packt sie an den Hüften und hebt sie auf seinen Schoß. Dann drückt er sie an sich, schlingt die Arme um sie und reibt ihr mit den Händen über den Rücken.
„Und warum saßt du da draußen?“ Das Warum betont er in ihren Ohren besonders stark.
„Zelt … undicht.“
„Warum hast du nichts gesagt?“
„Weiß … nicht.“ Langsam spürt sie, wie die Wärme von ihm auf sie übergeht, weswegen sie ihre verkrampften Hände löst und auf seiner Brust ablegt. Erst da fällt ihr auf, dass er ebenso kein Shirt trägt.
„Du bist so dickköpfig. Das warst du schon immer.“
„‘tschuldigung.“
„Oh je. Es muss dir schlechter gehen, als ich dachte, wenn du dich dafür schon entschuldigst.“
„Mag … keine … Kälte.“
„Ich weiß.“ Er wringt ihr die Haare aus und reibt ihr danach über die Arme. Sie lässt währenddessen erschöpft den Kopf auf seine Schulter sinken und schließt die Augen.
„Wird es langsam besser?“
„Mmh.“ Mehr kriegt sie in diesem Moment nicht raus. Denn seine Wärme und Streicheleinheiten lullen sie so ein, dass sie auf der Stelle einschlafen könnte. Doch dann wird ihr etwas bewusst.
„Julian?“, murmelt sie.
„Ja?“ Seine Hände gehen nun zu ihren Beinen über.
„Bitte … schick mich … nicht zurück … in mein Zelt.“
„Was? Nein! Wie kommst du denn darauf?“
„Dann darf ich … die Nacht … bei dir schlafen?“
„Natürlich!“ Darauf entspannt sie sich wieder und ist endlich bereit in den Schlaf zu gleiten.
„Danke“, haucht sie und ist so gut wie weg.
„Nicht dafür“, hört sie ihn noch, was ihr irgendwie bekannt vorkommt. Sie spürt noch irgendetwas auf ihrer Stirn, bevor die Müdigkeit sie endgültig übermannt.

Nachdem Alyssa wach wird, fällt ihr auf, wie unglaublich warm ihr ist. Als sie sich auf den Rücken dreht, kann sie auch feststellen, warum das so ist. Sie liegt in einem Schlafsack, jedoch nicht allein. Zwischen Julian und ihr liegen nur wenige Millimeter. Ihre Körper berühren sich nicht, dennoch strahlt er solch eine Hitze aus, dass ihr das schon fast zu viel ist. Sie würde gerne irgendwie aus dem Schlafsack kommen, würde es aber nicht schaffen, ohne ihn zu wecken. Nach ein paar unbeholfenen Versuchen gibt sie es auf und starrt zum Zelthimmel.
Sie könnte ihn auch einfach wecken, denkt sie sich. Doch nachdem, was er gestern für sie getan hat, wäre das nicht sehr fair. Wer weiß, wie lange er sie noch gewärmt hat und wann er eingeschlafen ist. Lange wird er sowieso nicht mehr schlafen, denn es dämmert schon. Und er will mit Sicherheit so früh wie möglich los, um endlich den nächsten Ort zu erreichen. Schließlich haben sie alle seit gestern nichts mehr gegessen.
In diesem Glauben ist Alyssa geduldig. Doch Geduld ist eine Tugend, die sie so gar nicht beherrscht. Sie langweilt sich und weiß nicht, was sie tun soll. Daher wandert ihr Blick immer wieder zu Julian, um zu checken, ob er kurz vorm Aufwachen ist. Nach einer Weile dreht sie sich ihm ganz zu und beobachtet ihn. Seit sie vor ein paar Tagen wieder auf ihn getroffen ist, ist es ihr gar nicht so sehr aufgefallen, doch jetzt merkt sie, dass es schon fast schmerzt ihn anzusehen. Seine Züge ähneln May einfach zu sehr.
Was würde sie jetzt dafür tun, noch einmal mit ihr sprechen zu dürfen? Sie wüsste, wie sie mit ihm umzugehen hätte, damit sie hier irgendwie heil herauskommen, ohne sich vorher gegenseitig in den Wahnsinn zu treiben.
Ihr Blick wandert von seinem Gesicht, den Hals hinab, bis hin zu seiner Brust. Ihre Finger machen sich selbstständig und fahren leicht das Geburtsmal nach, das auch May an dieser Stelle hatte.
Er bewegt sich plötzlich, weswegen sie umgehend ihre Hand zurückzieht. Sie befürchtet ihn geweckt zu haben, doch seine Augen sind weiterhin geschlossen. Seine Züge wirken jedoch verkrampft und er windet sich leicht. Alyssa hat die Vermutung, dass er gerade schlecht träumt.
Soll sie ihn wecken? Würde sie gerne aus einem Alptraum geweckt werden wollen?
Da er sich jetzt schon fast hin und her wälzt, ist die Frage für sie beantwortet. Sie schüttelt ihn sanft an der Schulter.
„Julian!“ Es braucht ein zweites Mal, bis er endlich die Augen aufschlägt. Er atmet heftig und sein Blick geht ins Leere, als wäre er noch nicht ganz in der Realität angekommen.
Sie berührt ihn leicht am Arm, worauf er zurückschreckt.
„Alles gut. Ich bin’s. Du hast nur geträumt.“ Er sieht sie so seltsam an und sie fragt sich, ob er noch weiß, warum sie neben ihm liegt oder ob er es bereut sie hier schlafen gelassen zu haben.
Er wendet den Blick wieder von ihr ab und kneift sich in die Nasenwurzel.
„Schlimmer Traum?“ Er antwortet ihr nicht, aber sie bildet sich ein, ein leichtes Nicken zu erkennen. „Manchmal hilft es darüber zu reden.“ Er sieht einfach nur nach oben. Sie streicht ihm zögerlich über den Arm, um ihn im Falle zu beruhigen. Daraufhin dreht er sich auf die Seite, womit sie sich nun mit ziemlich geringem Abstand gegenüber liegen.
„Sah jemanden sterben“, flüstert er, worauf sie erstaunt die Augenbrauen hochzieht. Weder hat sie damit gerechnet, dass er sich ihr tatsächlich öffnet, noch dass es sich um so einen heftigen Traum gehandelt hat.
„May?“, fragt sie aus dem ersten Impuls heraus. Darauf antwortet er erneut nicht. „Jemanden auf deiner Flucht?“, versucht sie es weiter. Doch auch darauf kommt nichts. Er sieht sie einfach nur an. „Weißt du, der Tod in Träumen muss nicht immer zwangsläufig auch der Tod bedeuten. Er kann auch eine Veränderung in deinem Leben symbolisieren oder dass ein bestimmter Lebensabschnitt zu Ende geht. Dein Unterbewusstsein verabschiedet sich quasi von diesem Teil.“ Langsam wird es unangenehm, so wie er sie ansieht, vor allem, da sie nicht weiß, was sie jetzt noch sagen kann.
„Woher nimmst du eigentlich immer dieses Wissen?“ Die Frage überrascht sie, dennoch zuckt sie automatisch mit den Achseln.
„Ich lese viel.“
„Offensichtlich“, nuschelt er. Er sieht noch immer nicht so aus, als wäre er über den Traum hinweg, weswegen sie abermals beruhigend über seine Haut streicht.
„Ich denke, es ist normal zu diesen Zeiten mit solchen Träumen konfrontiert zu werden. Und gerade bei dir ist das verständlich.“
„Wie meinst du das?“
„Naja, du hast dir eine Verantwortung für sieben Menschen auferlegt. Du fühlst dich gezwungen stark und mutig zu sein. Da ist es doch nicht verwunderlich, dass es Momente gibt, wo du es nicht mehr sein kannst.“ Er sieht so aus, als würde er über ihre Worte nachdenken, bis sein Blick abdriftet. Erst da wird ihr bewusst, dass ihre Finger sich selbstständig gemacht haben. Von seinem Arm sind sie über seine Schulter, über seine Brust, bis hinunter zu seinem Bauch gewandert.
„Doch du musst nicht immer stark sein“, sagt sie nun unglaublich leise und beobachtet ihre Finger, die seine Bauchmuskeln nachfahren, als wären es fremde Finger. „Es ist okay auch einmal Schwäche zu zeigen.“ Sie ist sich gerade nicht sicher, zu wem sie das sagt.
Sie ist schon fast am Bund seiner Boxershorts angekommen, weswegen sie wieder zu ihm aufsieht. Sein Blick ist unglaublich intensiv, was ihre Haut unerklärlicherweise kribbeln lässt.
„Willst du mich nicht anfassen?“, flüstert sie. Sie sieht, wie er hart schluckt, doch weder antwortet er darauf noch kriegt sie das, wonach sie sich gerade sehnt. „Letzte Nacht hattest du kein Problem damit.“ Seine unerklärliche Zurückhaltung lässt sie fast verrückt werden, feuert das Verlangen, das in den letzten Minuten von ihr Besitz ergriff, jedoch weiter an.
„Oder gefalle ich dir nicht, jetzt, wo du fast alles von mir gesehen hast?“ Sie zieht provokativ den Schlafsack nach unten, womit sie jetzt nur noch im BH und Slip vor ihm liegt.
Sein Blick wandert einmal ihren Körper hinab und sie kann sehen, dass dem nicht so ist. Also, warum hält er sich zurück?
Sie fährt mit ihrer Hand den Weg von seinem Bauchnabel zurück, hoch bis zu seiner Schulter. Dann greift sie ihn in den Nacken und zieht sich somit näher an ihn, womit sie sich nun komplett berühren.
„Du willst mich nicht“, raunt er und seine Stimme bestätigt ihr noch einmal ihren Verdacht.
„In diesem Moment offensichtlich schon.“ Sie führt ihr Gesicht langsam zu seinem Ohr. „Fass mich an!“, fordert sie. Es dauert noch einige Sekunden, doch dann spürt sie seine Hand, wie sie sachte ihre Seite hinunterfährt. Dann folgen überraschenderweise seine Lippen, die nun genauso ihren Hals entlangwandern wie im Kanal vor ein paar Tagen. Sie schließt die Augen und genießt das alles, denn das letzte Mal, dass sie solch eine Intimität genoss, ist schon über einen Monat her. Und gerade jetzt kann sie diese angenehme Ablenkung gut gebrauchen.
Es überrascht sie leicht, dass er nach einer kurzen Zögerungsphase deutlich einnehmender wird. Er presst sie an sich, die gehauchten Küsse an ihrem Hals werden härter und seine Hand hat den Weg zu ihrem Hintern gefunden, wo er ordentlich zupackt. Mittlerweile kann sie spüren, dass er nun das gleiche will wie sie.
Sie dreht sich auf den Rücken und zieht ihn mit sich, womit er jetzt komplett auf ihr liegt. Seine Lippen wandern ihr Kinn hinauf und sie kann es gar nicht erwarten, dass er sie wieder auf dieselbe Weise küsst wie beim letzten Mal. Es sind nur noch Millimeter, die sie voneinander trennen, als sie unsanft unterbrochen werden.
„Julian?“ Sams Stimme vor dem Zelt lässt sie innehalten.
„Was?“ Auf Julians harten Tonfall muss sich Alyssa ein Grinsen verkneifen. Man kann ihm ordentlich anhören, dass er gar nicht davon begeistert ist, dass Sam sie gestört hat.
„Ähm… ich sage es dir ja nur sehr ungern. Doch …“ Sam zögert, was Alyssa etwas neugierig macht.
„Nun hau schon raus!“, pampt Julian ihn ungeduldig an.
„Alyssa ist verschwunden!“ Alyssa muss verdammt stark die Lippen zusammenpressen, um nicht loszulachen.
„Sie ist nicht verschwunden“, sagt Julian nun etwas sanfter.
„Was?“
„Sie ist nicht verschwunden. Und mehr muss dich in diesem Moment nicht interessieren. Und jetzt verschwinde!“
„Ähm… okay?!“ Man kann Sam anhören, wie verwirrt er ist, was Alyssa nur noch mehr amüsiert.
Nachdem man Sams entfernende Schritte vernehmen kann, will Julian da weitermachen, wo sie aufgehört haben, doch Alyssa drückt ihn an der Brust von sich.
„Ich glaube, deine Pflicht ruft.“ Er sieht sie völlig perplex an.
„Du scherzt.“ Sie grinst ihn frech an, schiebt ihn von sich und richtet sich auf. Mit dem Blick auf das noch immer nasse Shirt in der Ecke wird ihr klar, dass sie rein gar nichts anzuziehen hat.
„Du hast nicht zufällig noch ein Shirt für mich?“ Er zögert einen Moment und sieht noch immer alles andere als zufrieden aus. Doch dann greift er sich sein Rucksack, zieht ein Shirt heraus und reicht es ihr.
Sie zieht es sich über und kommt auf die Beine. Beim Verlassen des Zeltes entgeht ihr nicht, wie Sam sie mit aufgerissenen Augen anstarrt.
„Morgen!“, sagt sie nur und gibt ihm im Vorbeigehen ein höfliches Lächeln.
„Morgen“, gibt er ihr völlig bedeppert zurück. Sie geht auf ihr Zelt zu, dreht sich nach ein paar Schritten jedoch noch einmal um.
„Ach, Sam! Du schuldest mir noch eine Bluse!“ Er sagt darauf nichts und starrt sie noch immer an, als sehe er ein Alien. Während sie ihren Weg fortsetzt, kann sie nicht anders als zufrieden zu lächeln.

Als das Ortseingangsschild von Hurricane Mills erscheint, bleiben alle unwillkürlich stehen.
„Das ist es?“, fragt Evan und sieht sich völlig entgeistert um.
„Das ist ja noch kleiner als Pegram“, kommt es von Emery.
„Kleiner? Dass das überhaupt eine Ortsbezeichnung hat.“ Sam klingt ebenso enttäuscht.
„Bist du sicher, dass das keine Geisterstadt ist? Ich meine schon vor dem Krieg.“ Amanda sieht zu Marvin, der noch einmal die Karte checkt.
„Das kann man auf der Karte natürlich nicht sehen, aber hier sind mehrere Camping Plätze eingezeichnet.“
„Sehr gut“, sagt Julian und löst sich von der Gruppe, um vorzugehen. „Das heißt, hier muss es somit auch einen Laden für den täglichen Bedarf als auch für Campingausrüstung geben.“
„Bist du dir da sicher?“, fragt Sam und folgt ihm.
„Ich weiß ja nicht“, murmelt Amanda und setzt sich unsicher in Bewegung.
„Jetzt kommt schon Leute. Denkt doch mal nach. Desto kleiner und abgelegener der Ort, desto geringer die Gefahr. Wenn wir Glück haben, können wir hier unser Proviant neu auffüllen, ohne auf jemanden zu stoßen.“
Als Julian nach und nach an den ersten Blockhütten vorbeigeht, an dem sehr veraltete und ausgeblichene Geschlossen-Schilder hängen, kommt ihm allmählich der Verdacht, dass Amanda gar nicht so unrecht haben könnte. Da er noch nicht ein Wohnhaus gesehen hat, handelt es sich hier wahrscheinlich ausschließlich um ein touristisches Ziel für Camper und Naturfreunde, das jedoch schon vor Jahren aufgegeben wurde. Somit schwindet seine Hoffnung, dass sie hier groß etwas Nützliches finden. Jedes Mal, wenn er ein Schild sieht, steht da etwas von einer Loretta Lynn – Loreatta Lynn’s Campgrounds, Loretta Lynn’s Ranch, Loratte Lynn’s Country Store.
Der muss wohl die Stadt gehört haben, denkt sich Julian. Er versucht sein Glück in Richtung des Country Stores, als plötzlich Sams Stimme ertönt.
„Hey! Du hattest recht. Da drüben ist ein Camp Store.“ Julian dreht sich zu ihm um und sieht, wie er wohl in die entgegengesetzte Richtung gehen will. „In einer halben Stunde wieder hier?“, fragt Sam und Julian nickt. Als hätte sich das vom letzten Mal irgendwie eingebürgert, folgen Marvin, Lucille und Amanda Sam, während die Zwillinge zu ihm aufschließen. Doch da fehlt noch jemand. Julian sieht sich nach Alyssa um, die völlig versunken mit ihrer Bluse beschäftigt ist und anscheinend nicht einmal mitbekommt, dass sie sich gerade an einer Weggabelung befindet. Bevor sie von der Straße abkommt, greift er sich sie und zieht sie mit sich.
„Jetzt vergiss doch mal diese Bluse. Wir besorgen dir etwas Neues.“ Das klang in seinen Ohren schon wieder etwas zu schroff. Doch er kann nicht leugnen, dass er noch etwas angepisst von heute Morgen ist. Erst küsst sie ihn, dann macht sie ihm die Hölle heiß, dann fordert sie ihn regelrecht heraus über sie herzufallen, um ihn dann wieder von sich zu stoßen. Er weiß nicht mehr, wo ihm der Kopf steht und vor allem weiß er nicht, wo er bei ihr steht. Das macht ihn fertig und lenkt ihn zu sehr vom Wesentlichen ab.
„Aber ich mag diese Bluse.“ Die Traurigkeit in ihrer Stimme überrascht ihn, weswegen er sie loslässt und das Tempo drosselt. „Das ist eins der letzten Teile, die noch von mir sind.“ Er kann sie verstehen. Man war gezwungen von einem Tag auf den anderen alles aufzugeben, da ist es nicht verwunderlich, dass man sich an so etwas Trivialem wie eine Bluse klammert, wenn es das Letzte ist, was einem aus dem alten Leben bleibt.
„Verdammter Sam“, nuschelt sie.
„Sam?“, fragt er irritiert.
„Er hat sie kaputt gemacht.“
„Wie das denn?“ Das würde ihn jetzt brennend interessieren, da er weiß, dass alle Knöpfe davon abgerissen sind.  
„Frag nicht!“ Schon wieder diese Antwort, die alles andere als befriedigend ist. Dann muss er wohl Sam mal auf den Zahn fühlen.
„Wir können ja mal gucken, was dieser Country Store zu bieten hat.“ Nun spricht er um einiges mitfühlender mit ihr und sie lässt sich sogar von ihm in die entsprechende Richtung leiten.

„Das kann ich unmöglich anziehen.“ Julian und Alyssa stehen vor dem einzigen Kleiderständer in dem Laden. Und während die beiden die wenigen Klamotten darauf durchgehen, durchforsten die Zwillinge die Regale. So, wie es hier aussieht, muss der Laden doch noch bis zum Krieg geöffnet gewesen sein, er ist nur schon Jahrzehnte alt und dementsprechend heruntergekommen.
Alyssa geht zum dritten Mal die Holzfällerhemden durch.
„Warum nicht?“, fragt Julian, während er sich auf den Kleiderständer stützt.
„Wie sehe ich denn damit aus?“ Sie nimmt einen Bügel vom Ständer und hält das Hemd vor sich hoch. Dabei zieht sie eine angewiderte Mine.
„Ich glaube nicht, dass du zu diesen Zeiten besonders eitel sein musst. Und abgesehen davon, kann ich mir nicht vorstellen, dass es etwas gibt, was dir nicht steht.“ Sie sieht verblüfft zu ihm. „Du kannst es dir ja am Bauch irgendwie hübsch knoten, wenn du willst, dass es etwas weiblicher wirkt.“
„Mmh.“ Sie begutachtet es jetzt auf eine andere Art und kaum, dass er sich versieht, drückt sie ihm das Hemd in die Hand und zieht das Shirt aus, was sie von ihm hat. Es gefällt ihm, dass sie einfach keinerlei Hemmungen zu haben scheint.
Er sieht kurz an ihr vorbei zu den Zwillingen, doch die sind dieses Mal zu beschäftigt, um das mitzukriegen.
Als sie ihm das Hemd aus der Hand reißt, konzentriert er sich wieder auf sie. Nachdem sie es sich anzieht, drapiert sie es sich so, dass sie nicht ganz so verloren darin aussieht. Er muss zugeben, dass es gar nicht so schlecht aussieht. Dennoch fällt ihm gerade in diesem Moment etwas ganz anderes auf.
„Und?“, fragt sie ihn unsicher.
„Weißt du was? Warum behältst du nicht meine Shirts und ich nehme die Hemden?“
„Was macht das für einen Unterschied? Wären beides Männerklamotten.“ Er geht auf sie zu und bleibt nur Zentimeter vor ihr stehen.
„Du gefällst mir in meinen Shirts einfach besser.“ Das raunt er ihr so ins Ohr, dass nur sie das hören kann. Dann drückt er ihr sein Shirt in die Hand und greift sich dafür ein paar der Bügel mit den Holzfällerhemden, bevor er an ihr vorbeigeht und sich zu den Zwillingen gesellt.

Alyssa sieht Julian verblüfft hinterher. Das hat sie nicht kommen sehen, doch es hatte definitiv seine Wirkung. Sie ist sich mittlerweile sicher, dass das heute morgen eindeutig zu weit gegangen ist. Sie hat dadurch eine Tür geöffnet, die sie jetzt nicht mehr verschließen kann.
Sie kämpft gerade heftig dagegen an, den Fehler nicht zu wiederholen, doch da sie gefühlt noch seinen Atem an ihrem Ohr spürt, der ihr eine Gänsehaut beschert hat, muss sie sich dieser Herausforderung geschlagen geben.
Sie dreht sich zu den Dreien um.
„Hey, Jungs?“ Sie wenden sich ihr alle zu.
„Könntet ihr Julian und mich für eine Minute allein lassen?“ Evan und Emery nicken. Sie greifen noch einmal ins Regal, packen das Zeug in ihre Rucksäcke und verlassen den Laden.
„Was hast du vor?“, fragt Julian. Sie zieht sich ohne zu zögern das Hemd aus.
„Du wolltest doch tauschen. Also, los!“
„Ich verstehe nicht.“ Das tut er anscheinend wirklich nicht.
„Ich will das Shirt, das du gerade anhast.“ Es braucht einen Moment, bis es wohl endlich klick macht und dann bildet sie sich ein, dass sein Mundwinkel für einen Bruchteil der Sekunde zuckt.
„Gut, wie du willst.“ Er zieht sich umgehend das Shirt über den Kopf und sie kann nicht anders, als abermals festzustellen, wie unglaublich gut er gebaut ist. Dieses Schwimmen hat offenbar seine Vorteile.
Er streckt ihr nun das Shirt entgegen.
„Dann hol es dir!“ Allmählich mag sie dieses Spiel. Das ist doch tausend Mal besser als zu streiten.
Sie geht langsam auf ihn zu und als sie sich das Shirt greifen will, packt er sie heftig am Arm und zieht sie an sich. Sie hält sich an seinen Oberarmen fest und hat den Blick auf seine Brust gerichtet. Und währenddessen versucht sie ihren Puls unter Kontrolle zu halten. Sie will nicht, dass er mitkriegt, was das Wenige jetzt schon in ihr auslöst.
„Ist es das, was du wolltest?“ Schon wieder diese raue Stimme an ihrem Ohr und zudem fährt er ihr jetzt mit den Händen über die Haut.
„Das Shirt, ja!“ Eine Hand von ihm gleitet plötzlich über ihre Hose auf ihren Hintern. Das macht es ihr schwer weiter klar zu denken. „Es ist wirklich lieb von dir, dass du mir dabei hilfst es anzuziehen.“ Darauf lacht er leicht auf.
„Ich will es dir aber nicht anziehen. Mir gefällt es so, wie es gerade ist.“ Sie fährt ihm mit den Händen über die Schulter auf die Brust.
„Dann willst du, dass ich friere?“ Sie spürt seinen Atem, wie er ihren Hals hinuntergeht. Sie wartet regelrecht darauf wieder seine Lippen dort zu spüren.
„Du solltest langsam mitgekriegt haben, dass ich dich nicht frieren lasse.“
„Richtig! Und wie gehst du es heute an?“
„Willst du, dass ich es dir zeige?“
„Ja“, raunt sie nun am Ende ihrer Willenskraft. Er lässt sie noch für einige Momente zappeln, was sie in den Wahnsinn treibt. Nun will sie das Spiel nicht mehr spielen.
„Julian“, fleht sie, worauf er leicht aufknurrt. Dann packt er sie so heftig an der Taille, dass es schon fast wehtut, aber das turnt sie nur noch mehr an. Sie kann seinen Atem schon spüren, weswegen sie sich an seiner Schulter festkrallt und sich auf die Zehenspitzen stellt, um ihm entgegenzukommen. Doch bevor sie sich berühren, geht die Ladentür hinter ihnen lautstark auf, was Alyssa zusammenzucken lässt.
„Julian?“
„Das kann ja wohl nicht wahr sein“, schreit Julian plötzlich. Er lässt sie so heftig los, dass sie schon leicht taumelt. Dann fegt er einige Sachen aus dem Regal, bevor er Evan entgegengeht und ihn beiseite schubst, um den Laden zu verlassen.
„Ähm… habe ich was Falsches gesagt?“ Wie gern auch Alyssa gerade aus Frust schreien möchte, doch der Anblick von Evan, der gerade drei Nummern kleiner wirkt, stimmt sie milde.
„Nein, Evan. Nur ganz schlechtes Timing.“
„‘tschuldigung“, nuschelt er eingeschüchtert.
„Schon gut.“ Sie schenkt ihm ein Lächeln und sammelt Julians Shirt vom Boden auf, was sie offensichtlich irgendwann fallen lassen hat. Dann zieht sie es sich über, geht auf Evan zu und verlässt mit ihm den Laden.
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