Crimson Clouds
von AnnieP
Kurzbeschreibung
Eine neue Schule, ein neues Leben. Von nun an kann es nur besser werden. Oder? /// Reallife-FF zu Naruto Shippuuden, OC, viel Drama und Sex~
GeschichteDrama, Schmerz/Trost / P18 / Het
Hidan
Kakashi Hatake
Kakuzu
Madara Uchiha
Yahiko / Pain
30.07.2023
28.09.2023
31
213.545
5
Alle Kapitel
3 Reviews
3 Reviews
Dieses Kapitel
noch keine Reviews
noch keine Reviews
18.09.2023
10.565
Link zur Website: https://crimson-clouds.jimdosite.com/
~~~
TRIGGERWARNUNG
Diese Geschichte enthält TEILWEISE detaillierte Einzelheiten über Suizid, Selbstverletzung, Nahtoderfahrungen, Todeswünsche, Mobbing, Drogenkonsum und -missbrauch, sexuelle Übergriffe u.A. an Kindern (nicht detailliert), Misshandlungen u.A. von Kindern (nicht detailliert) und Sex (nicht mit Kindern).
~~~
Die Feiertage waren schnell vorbei und Samya dachte erst wieder an Kakashi, als dieser ihr am 31. Dezember ein Selfie von sich und Pakkun zusammen mit Geburtstagswünschen schickte. Sie fürchtete sich ein wenig vor dem Gespräch mit ihm, zumal sie sich vorgenommen hatte, auch ihm die Wahrheit zu sagen. Als sie am Mittag von Kakuzu zu Kakashis Wohnung gebracht wurde, stieg sie mit einem mulmigen Gefühl die Treppen hoch. Sie schloss die Tür auf und wie erwartet brannte in der Küche Licht und Pakkun kam ihr mit freudig wedelndem Schwanz entgegengelaufen. „Hii, Schatzi, frohes Neues!“
Kakashis Kopf schob sich um die Ecke zum Flur und er grinste sie an. „Willkommen im Jahr 2023.“
„Gleichfalls“, lächelte Samya zurück, stellte ihre Reisetasche ab, zog sich Mantel und Schuhe aus und kam zu Kakashi in die Küche, wo er auf dem Esstisch eine Zeitung ausgebreitet hatte. Daneben lag ein Geschenk. Sie wurde etwas nervös bei dem Anblick. „Ähm.. Ist das für mich?“
„Ja. Noch mal persönlich herzlichen Glückwunsch“, antwortete Kakashi, setzte sich vor seine Zeitung und schob das Paket über den Tisch, wo sich Samya ebenfalls niederließ. „Das.. Das wäre nicht nötig gewesen.“ Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte, dass Kakashi sie beschenkte, nachdem er sie nackt gesehen und ein Gespräch angekündigt hatte. Der kleine Teufel auf ihrer Schulter schrie gierig nach einem Set Dessous, der Engel jedoch befürchtete das Schlimmste. Wegen ihrem unausgesprochenen Ehrenwort gegenüber Tsunade ignorierte sie den Teufel und entpackte einen Kerzenständer, auf den „Du bist wichtig“ graviert war. „Oooh“, machte Samya.
„Ich bin ziemlich unkreativ, was Geschenke angeht“, sagte Kakashi und fuhr sich durch die Haare. „Aber ich fand die Symbolik dahinter auch toll. Damit machst du dir Licht, wenn es um dich herum zu dunkel ist. Na ja. In meinem Kopf klang das besser. Ich hab’s in einem Laden in Osaka gesehen und musste sofort an dich denken.“
„Danke“, sagte Samya aufrichtig und lächelte ihn breit an. „Das ist wirklich schön.“ Sie stellte den Halter neben sich auf die Tischplatte und betrachtete ihn. „So viele Geschenke habe ich echt noch nie bekommen.“ Gedankenverloren fuhr sie mit der Hand zu dem Entengesicht, das unter dem Herz-Anhänger an einer Kette baumelte.
„Was gab es dieses, beziehungsweise letztes Jahr denn noch?“
„Mh, also von Kakuzu diese Kette“, sie hielt die Ente hoch, „von Katen und Cara ein Flaschenlicht, von Ino, Sakura und Hinata eine doppelwandige Tasse mit Katzengesicht und von Hidan, Madara, Pain, Itachi und Kisame ein Kartenspiel.“
„Klingt interessant. Sollen wir das mal in unsere Spieleabende integrieren?“
Samya hob die Augenbrauen. „Ich glaube eher nicht. Das ist so ein Ding für Partys und so. Also.. ein Sex-Spiel. Quasi wie ‚Ich hab noch nie‘. Man muss trinken, wenn man das auf der Karte schon mal gemacht hat. Für uns war das echt lustig, Hidan war ziemlich besoffen, als er gegangen ist, aber für uns beide wäre das wohl nicht so wirklich geeignet.“
Kakashi nickte langsam. „Verstehe. Da hast du vermutlich recht.“ Er machte ein Gesicht, als wäre ihm etwas unangenehm, und Samya ergriff die Gelegenheit beim Schopf und sagte: „Du wolltest mit mir über etwas reden, wenn wir wieder hier sind.“ Nervös rutschte sie auf ihrem Stuhl herum und betete, obwohl sie nie betete, dass er sie nicht vor die Tür setzen würde.
„Äh, ja. Wir sind im Grunde schon beim Thema. Es geht mir um diese.. ich weiß nicht, wie ich es nennen soll, ohne dir zu nahe zu treten, aber man könnte es fast als Spannung bezeichnen. Wenn man zusammenlebt, was ja für uns als Lehrer und Schülerin sowieso sehr ungewöhnlich ist, kann es schon mal vorkommen, dass man den anderen in Lagen sieht, in denen man ihn nicht sehen sollte. Spezifisch meine ich damit.. na ja, den Moment vor meiner Abreise, oder den Morgen, als ich verschlafen habe, oder andere Sachen. Auch wenn wir uns aktuell eine Wohnung teilen und wir uns generell eher nahe stehen, würde ich behaupten, ist es doch unangebracht, dass wir beide in solche Situationen geraten. Das ist absolut kein Vorwurf gegen dich, du kannst da am wenigsten für. Wenn ich die Badezimmertür nicht abschließe oder meinen Wecker nicht stelle und du dann eben.. du weißt, was ich meine, dann ist das meine Schuld. Ich hätte auch letzte Woche aufpassen und nicht einfach ohne Ankündigung hereinstürmen sollen. Es war nicht meine Absicht, dich so zu sehen.“
„Ist nicht schlimm“, warf Samya sofort ein. Kakashi tat ihr leid, wie er da so mit geröteten Wangen vor sich hin druckste. „Irgendwie sind wir ja jetzt quitt. Ich hab dich gesehen, du hast mich gesehen.“
„Doch, eigentlich ist das schlimm“, erwiderte er. „Samya, wir sind keine Kinder, die aus Neugierde ihre Geschlechtsteile miteinander vergleichen. Wir sollten uns so nicht sehen, das ist auf allen Ebenen unangebracht. Du bist, beziehungsweise warst bis gestern noch minderjährig“, er machte eine kurze Pause und atmete tief ein, „und du bist meine Schülerin. Wie gesagt, man kann es nicht immer unbedingt vermeiden, aber wir, besonders ich, sollten viel mehr darauf achten, dass wir solche Begebenheiten zukünftig nicht mehr zulassen. Irgendwie müssen wir einfach die letzten Wochen bis zu deinem Abschluss rumkriegen – und hoffentlich ohne weitere Zwischenfälle.“ Er seufzte. „Ich will nicht aufdringlich wirken, aber hast du dich schon nach einer Wohnung umgesehen? Oder willst du warten, bis du die Ergebnisse der Prüfungen hast?“
Wieder wurde Samya nervös. „Mh, da will ich lieber warten. Ich weiß ja noch nicht genau, was ich machen werde. Aber versprochen: sobald ich das weiß, kümmer ich mich um was Eigenes.“
„Und hast du dir schon überlegt, ob du Suta anzeigen möchtest?“
Samyas Nervosität wurde nicht besser. Sie hatte sich in den endlosen Nächten ohne Schlaf viele Gedanken darüber gemacht und war schon vor langer Zeit zu seinem Entschluss gekommen. „Ich werde sie nicht anzeigen.“
„Wieso nicht?“, stieß Kakashi hervor und als er Samyas unsicheren Blick bemerkte, senkte er die Stimme: „Ich weiß, dass das schwer ist, aber du solltest das nicht einfach auf dir sitzen lassen. Sie hat dich jahrelang misshandelt, vergiftet–“
„Ich weiß“, fiel Samya ihm ins Wort und atmete entschlossen ein. „Ich verstehe, wenn das niemand nachvollziehen kann, besonders du nicht, aber ich will diesen Schritt nicht gehen. Ich möchte eher daran arbeiten, also wirklich“ – sie schmunzelte – „dass ich irgendwann reif genug bin, ihr gegenüberzutreten. Das ist nicht jetzt und das wird vielleicht auch nicht mehr dieses Jahr passieren, aber.. Ich weiß nicht, für mich ist es irgendwie feige, wenn ich mich an die Justiz wende. Wahrscheinlich würde sie eh nur Bewährung kriegen und was bedeutet das schon? Nein.“ Sie ruckte mit dem Kopf. „Ich will das für mich alleine klären, wenn ich stark genug dafür bin. Ich hoffe, du akzeptierst meine Entscheidung.“ Kakashi nickte, auch wenn sein Blick wehmütig wirkte. Samya räusperte sich, um den anschwellenden Kloß in ihrem Hals zu lösen. Es war Zeit. Hitze, bestehend aus Angst und einem Hauch Verzweiflung ließen Samyas Blick verschwimmen. „Ich muss dir etwas sagen.. Bitte, sei nicht böse auf mich.“
Überrascht hob Kakashi die Augenbrauen. „Was ist los?“
Nur mit Mühe erzählte sie Kakashi die Wahrheit. Sie nutzte ein paar von Kakuzus Argumenten, dass eine Therapie ja nichts brachte, wenn man sie selber nicht wollte, und dass sie in ihrem eigenen Tempo heilen müsste. Sie traute sich während ihres Monologs nicht, Kakashi in die Augen zu sehen, und als sie geendet hatte, starrte sie weiterhin die Maserung der Tischplatte an.
Kakashi seufzte erneut, dieses Mal schwerer. „Danke, dass du mir das sagst. Es muss dich eine Menge Überwindung gekostet haben.“
Samya nickte.
„Ich kann nicht behaupten, dass ich nicht enttäuscht bin, aber ich verstehe dich. Therapie ist schwierig und wenn du noch nicht dazu bereit ist, deine Vergangenheit zu verarbeiten, dann ist das eben so.“
Samya nickte erneut.
Kakashi stand auf, kam um den Tisch herum, hockte sich neben Samyas Stuhl und sah ihr von unten in die wässrigen Augen. „Hey, es ist okay. Du musst dich dafür nicht fertig machen.“ Er lächelte ihr aufmunternd zu. „Vergessen wir das einfach, ja?“
Samya konnte es einfach nicht fassen, wie verständnisvoll Kakuzu und Kakashi die Wahrheit aufgefasst hatten. Sie hätte alles erwartet, nur keine Vergebung. Auch wenn es ihr mental nicht sehr viel besser ging und sie noch immer mit ihren Gedanken an Suta, Hiroki und Kassie kämpfen musste, war es doch eine Erleichterung, dass sie sich nun zumindest nicht mehr verstecken musste. Gespräche waren doch gut, man sollte nur nicht unbedingt alles falsch interpretieren.
Mit einem viel leichteren Herzen konnte sich Samya für den Endspurt Richtung Aufnahmeprüfungen machen, die am ersten Wochenende nach den Winterferien stattfinden sollten. Die letzten Tests, die die Lehrer schreiben ließen, sahen bei Samya ganz gut aus. Selbst in Physik hatte sie mittlerweile zu ihrer eigenen Überraschung eine 5 erreicht. Wenn sie diese Leistung in den Prüfungen halten könnte, würde sie die Qualifikation für die Shinshu schaffen – obwohl sie sich noch immer nicht allzu große Hoffnungen machte.
Nach Nächten des Lernens, last-minute Nachhilfestunden bei Kakuzu und mindestens zwei Panikattacken war es endlich Samstag, der 14. Januar 2023. Alle Schüler der Higashi und Minami Oberschule fanden sich im Gemeindezentrum ein, in dessen Räumen das Testzentrum aufgebaut worden war. Samya versuchte krampfhaft, nicht ihre ehemaligen Mitschüler anzusehen. Aus dem Augenwinkel erkannte sie Asuka und Masahiro, die trotz der Eskapaden mit Samyas Blowjob-Foto nach wie vor ein Paar waren. Wie eine Königin stolzierte sie durch die Gänge und bedachte jeden anderen mit einem abfälligen Gesichtsausdruck. Samya hasste sich selbst dafür, dass sie es jemals zugelassen hatte, sich von so einer fertigmachen zu lassen. Setsuko und ihre Clique waren von ähnlichem Schlag, wenn auch nicht so schlimm. Seit Samya es sich angewöhnt hatte, ihre Sprüche zu ignorieren, kamen viel seltener welche.
Im Vorbeigehen erhaschte sie auch einen Blick auf Mariko, die allein mit ihrer Tasche in der Hand in einer Ecke stand und leise vor sich hinmurmelte, als würde sie mathematische Formeln wiederholen. Sie wirkte ehrlich gesagt ein wenig durchgeknallt und Samya verspürte Mitleid ihr gegenüber. Seit ihrem Gespräch im August hatte sie nichts mehr von ihrer ehemaligen besten Freundin gehört. Sie hatte sich nicht bereit dazu gefühlt, Mariko ihren Verrat zu vergeben. Asuka hatte eine sehr manipulative Ader, daher konnte Samya nachvollziehen, warum Mariko ihr geglaubt hatte, doch sie hätte erwartet, dass ihr die Freundschaft zu Samya mehr wert wäre als „zu den Coolen zu gehören“. Klar, Samya war nicht cool, würde sie auch nie sein, aber nur wegen dämlicher Oberschul-Prestige eine langjährige Freundschaft zu kündigen war absolut niederträchtig. Nun jedoch schien Mariko einsam zu sein. Keiner von der Minami machte Anstalten, zu ihr zu gehen. Dieses Gefühl kannte Samya nur zu gut und trotz all der Enttäuschung wollte sie nicht, dass Mariko sowas durchmachen musste. Sie wollte gerade auf Mariko zugehen, als eine vertraute Stimme hinter ihr sagte: „Hi, Samya.“
Samya drehte sich um und starrte wie eingefroren in die kalten, grau-grünen Augen von Masahiro. Von Asuka war keine Spur. „Wo ist denn dein Frauchen?“, fragte Samya und war selber überrascht über ihren Mut.
„Sie holt uns einen Kaffee. Willst du auch was trinken?“ Er grinste widerlich und Samya wusste, worauf er anspielte.
„Gibt’s hier ein Problem?“, fragte Kakuzu, der mit zwei To-Go-Bechern in der Hand hinter Masahiro stand und ihn um einen ganzen Kopf überragte. Masahiro schien zu schrumpfen, als er Kakuzus Muskeln unter dem Pulli und generell seine schiere Größe musterte. „Äh.. Nein, ich wollte nur mal ‚Hallo‘ sagen“, stotterte Masahiro vor sich hin und duckte sich weg.
Kakuzu reichte Samya einen der Becher, der bis an den Rand gefüllt war mit einem dampfenden Latte Macchiato. „Wer war das?“, fragte er.
Samya schüttelte abwertend den Kopf. „Nur einer der Wichser von der Minami. Er war der Grund, weshalb das alles angefangen hat, aber jetzt bemerke ich, wie dumm das eigentlich alles war. Lass uns nicht darüber reden, sonst werde ich noch wütend.“
Ein Gong hallte durch die Flure und kündigte an, dass die Prüfungsräume geöffnet wurden. Mit ihrem Leitzettel in der Hand trennte sich Samya von Kakuzu, der einem anderen Raum zugeteilt war, ließ sich von dem alten Prüfer vorne am Tisch direkt am Eingang ihre Anwesenheit quittieren und suchte die Tischnummer, die auf dem Zettel vermerkt war. Als sie sich hingesetzt, ihr ausgeschaltetes Handy offen vor sich auf den Tisch gelegt und sich Stifte bereitgelegt hatte, blickte sie sich um. Mit ihr wurden noch 17 andere Schüler geprüft und zu Samyas Erleichterung stelle sie fest, dass keiner davon zu den Mobbern von der Minami gehörte. Weiter vorne erkannte sie den Hinterkopf von Choji, zwei Reihen neben sich Akane und hinten in der Ecke saß Deidara, ansonsten kannte sie die Gesichter nur flüchtig.
Der Prüfer schloss die Tür und teilte ihnen allen versiegelte Umschläge aus, die sie bis Punkt 9 Uhr geschlossen halten sollten. Zuerst war Japanisch dran und eigentlich fühlte sich Samya gut vorbereitet. Sie hatte nie Probleme mit den ganzen Schriftzeichen oder der Grammatik gehabt. Sie fragte sich nur, 15 Sekunden vor 9, ob sie versagen würde und Kakashi enttäuscht von ihr wäre. Doch bevor sie diesen Gedanken richtig ausschlachten konnte, gongte es erneut und alle öffneten ihre Umschläge.
29,5 Stunden und sechs Prüfungen später war es vorbei. Am Sonntag um halb 3 strömten die Schüler von Okaya erleichtert ins Freie. Sie hatten es geschafft. Solange keiner von ihnen ein Ronin wurde und die Prüfungen nächstes Jahr wiederholen musste, waren sie frei von allen Lasten. Es hatte sich entschieden, ob und an welche Uni sie gehen würden, und von nun an hieß es nur noch warten. In sechs Tagen würden die Ergebnisse auf der Seite der Stadt bekannt gegeben werden und anschließend konnten die zukünftigen Absolventen sich darum kümmern, Gespräche mit den Universitäten zu führen. Egal ob Samya die Noten für die Shinshu geschafft hatte oder nicht, hatte sie davor noch am meisten Angst. Zwar probten sie in der Schule ab und zu solche Gespräche und die Lehrer teilten ihnen mit, welche Fragen dort gestellt würden, doch Samya wusste, dass sie versagen würde. Sie war sozial einfach nicht kompetent genug, besonders wenn es um ihre Zukunft ging.
Samya hatte sich vorgenommen, sobald die Prüfungen vorbei waren und sie sich darum keine Sorgen mehr machen müsste, würde sie es endlich wagen, Mariko zu verzeihen. Ihr Anblick war bemitleidenswert gewesen und Samya wollte ihr eine bessere Freundin sein, als jede von ihnen es der anderen gewesen war. Ja, Mariko hatte sich völlig daneben benommen und Samya hatte sie dafür leiden lassen wollen, dennoch hatte sie die Isolation nicht verdient. Mit dem leisen Hintergedanken, ob es nicht doch ein Fehler sein könnte, schrieb Samya Mariko noch an diesem Nachmittag eine Nachricht, ob sie sich zur Feier des Prüfungsendes treffen wollten, und Mariko antwortete sofort mit einem eventuell sehr verzweifelt klingenden „Ja“.
Es tat gut, selber jemandem zu vergeben. Insgeheim hatte Samya Mariko immer vermisst, auch wenn sie es nie zugegeben hätte. Früher hatten sie über alles reden können, ohne dass Samya sich Gedanken machen musste, was Mariko von ihr halten würde. Sie kannten gegenseitig ihre dunkelsten Geheimnisse. Mariko wusste, dass Samya trotz ihrer vorgegaukelten Vergangenheit ihren Vater geliebt hat, und Samya wusste, dass Mariko dafür verantwortlich war, dass der Kindergarten abgebrannt ist, auf dessen Grundstück nun das Haus stand, in dem Samya den Großteil ihres Lebens verbracht hatte. Mariko hatte damals, obwohl es ihr von den Kindergärtnerinnen mehrfach verboten war, mit Streichhölzern gezündelt. Niemand war verletzt worden, alle Kinder und Erwachsene sind rechtzeitig rausgekommen, doch Mariko hatte sich seitdem ständig Vorwürfe gemacht. All die Jahre war nie ans Licht gekommen, was den Brand verursacht hatte. Nur Samya und Mariko kannten die Wahrheit. Und das Vertrauen zwischen ihnen war bis letztes Jahr auch groß genug gewesen, dass Samya niemals darüber geredet hätte.
Jetzt war sich Samya allerdings nicht sicher, was sie Mariko verraten konnte. Natürlich erzählte sie, was mit Hiroki, Kassie, Madara und Hotaru los war, doch ihre heimlichen sexuellen Fantasien mit Kakashi behielt sie dennoch für sich. Vielleicht war es auch deshalb, weil sie sich selbst nicht eingestehen wollte, überhaupt an ihren Lehrer zu denken, wie er nackt unter der Dusche steht, sie küsst, sie berührt, sie gnadenlos an die Wand fickt. Das war etwas, womit sie alleine klarkommen musste.
Alles in allem war Samya froh, ihre alte Freundin wiederzuhaben. Und auch Mariko war froh, wieder mit jemandem reden zu können. Sie hatte seit Samyas Abgang von der Minami viel durchgemacht und sich von allen zurückgezogen, was Samya nur allzu gut nachvollziehen konnte. Trotz der bestehenden Geheimnisse zwischen ihnen dauerte es nicht lange, bis ihre Freundschaft auf längst vergessene Höhen katapultiert worden war. Es war, als wäre nie irgendetwas geschehen. Samya lud Mariko sogar zum Flimmer-Tag bei den Uchihas ein. So wurde jener Tag genannt, an dem die Prüfungsergebnisse online gestellt wurden. Aufgrund der Spannung, die in den Schülern und ihren Familien herrschte, flimmerte die Luft quasi wie eine Art drohendes Gewitter.
Bei den Uchihas wurde gleichzeitig eine kleine Party im Poolhaus veranstaltet, die das Ende ihrer Schullaufbahn einläuten sollte. Es kamen nicht viele Gäste, da die meisten am Mittag bei ihren Familien sein wollten, um die Ergebnisse zu zelebrieren oder die Zukunft zu besprechen. 12 Uhr rückte immer näher und trotz der erheiternden Klänge von Avicii im Hintergrund wirkte jedes Lachen gezwungen.
„Es ist gleich so weit, kommt mal alle her“, rief Madara und schaltete die Musik aus.
Alle waren: Samya, Mariko, ganz Akatsuki, Sasuke, Sakura, Ino, Akane, Daisuke und Shiro. Sie drängten sich um die Couch und Madara übertrug seinen Laptop-Bildschirm auf den großen Fernseher an der Wand. Auf der Internetseite der Stadt prangte über allen sonstigen Artikeln und Ankündigungen ein leuchtend roter Button, der den Besucher zum Login der Prüfungsstelle führte.
„Wer will zuerst?“, fragte Madara und schaute in die Runde.
„Ich“, kam es von Daisuke. „Dann kann ich gleich meine Ma anrufen.“ Er tippte seinen Anmeldecode und das Passwort ein, die sie alle nach den Prüfungen erhalten hatten, und nach einer kurzen Ladezeit erschien auf dem Bildschirm die Zahl „95/120“
Daisuke ließ ein erlöstes Seufzen vernehmen. „Halleluja! Ich kann mich für die Shinshu bewerben.“
Deidara klopfte ihm auf die Schulter, gab nun seine Anmeldedaten ein und freute sich über die 86. Sasori hatte eine 89 erreicht und war damit nur knapp an der Shinshu vorbeigeschlittert, Madara hingegen stellte mit einem lauten Aufschrei fest, dass er genau 90 hatte und umarmte stolz Itachi, als dieser ebenfalls mit 93 auf die Shinshu gehen konnte. Kakuzu schoss den Vogel ab, als seine 114 durch den kleinen Raum funkelte. Alle jubelten und Deidara rief laut: „Da ist unser Streber!“ Akane war mit ihren 112 nur sehr knapp dahinter, nahm den zweiten Platz aber mit einem breiten Grinsen an. „Für meine Eltern ist das mehr als genug“, sagte sie fröhlich und setzte sich wieder, um den anderen die Möglichkeit zu geben, ihre Ergebnisse abzurufen. Bei Shiro waren es 70, Kisame hatte 79, Pain 76, Ino 69, Sakura 61, Sasuke 84, wodurch auch er leider nicht an die Shinshu gehen konnte, und Mariko 92. Mit zittrigen Fingern ging Samya zu Madara, meldete sich an und starrte gespannt auf den Monitor, auf der die Seite lud und ihr nach endlosen, schweißgebadeten Minuten eine große „101/120“ in die Fresse drückte.
Samya bekam den Tumult um sie herum kaum mit. Die 101 vor ihr verschwamm ein wenig und irgendwo, ganz tief in ihr drinnen, löste sich ein Knoten. Allmählich begriff sie, was diese Zahl bedeutete. 101 Punkte. 101 von 120 möglichen Punkten. Damit hatte sie die Anforderung für die Shinshu weit überschritten.
Erst jetzt spürte sie einen Arm um sich. Madara, der neben ihr auf der Couch saß, drückte sie und grinste sie an. Schwerfällig lächelte sie zurück. Sie konnte ihren Körper noch gar nicht wieder richtig spüren. Alles in ihr war taub und sie hatte Mühe damit, diese unfassbar positive Nachricht zu verarbeiten.
„Freu dich doch mal!“, lachte Kisame und wuschelte Samya durch das Haar.
„Tu ich ja, nur..“ Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. „Es fühlt sich so surreal an.“
Akanes blauer Haarschopf schob sich in Samyas Blickfeld. „Ganz ehrlich? Ich glaube, mit dem Ergebnis bist du an der Higashi auf dem dritten Platz. Das ist wirklich krass.“ Auch sie umarmte Samya kurz.
Automatisch erhob sie sich und glitt ohne große Bewegungen zurück zu Mariko, Hidan und Kakuzu, die ihr entgegen grinsten. Unterwegs klopften ihr noch Ino, Sakura, Itachi und Pain auf die Schultern und gratulierten ihr. „Ich habe Physik bestanden“, sagte Samya tonlos, als sie bei den anderen angekommen war. „Das ist dein einziger Gedanke?“, lachte Hidan und drückte Samya, was ihm Mariko und Kakuzu gleich taten.
„Du weißt aber, was das heißt, oder?“, fragte Mariko und richtete Samyas Pony, den ihr Kisame durcheinander gebracht hatte. „Wir können auf die Shinshu.“
Samya nickte und es war, als hätte jemand die Lautstärke aufgedreht. Plötzlich hörte sie wieder die Stimmen und das Gelächter der anderen und allmählich sackte die Tatsache in ihr Gehirn: Sie konnte tatsächlich auf die Shinshu gehen. Das, was sie sich seit der Mittelschule gewünscht hatte, um einen guten Job zu finden, viel Geld zu verdienen und unabhängig von Suta zu sein, war endlich eingetreten. Sie konnte sich bewerben. Sie konnte sich an der Shinshu bewerben. Ihre Zukunft war gesichert.
Hidan räusperte sich und ging als letztes zur Couch, meldete sich an und wartete gespannt auf sein eigenes Ergebnis. Die Stimmung, die wegen des erfolgreichen Tages so ausgelassen war, gefror, als alle Blicke den Fernseher trafen. Mit einem Mal war es völlig still.
„Tja“, machte Hidan, erhob sich, sodass sein Kopf die „39/120“ verdeckte, drehte sich mit einem aufgesetzten Grinsen um und fragte in einem Tonfall, der übertrieben fröhlich klang: „Machen wir jetzt richtig Party, oder was?“
Keiner rührte sich. Alle Augen waren auf Hidans blasses Gesicht geheftet, der die Blicke mied, hinüber zur Stereoanlange ging und die Musik wieder einschaltete. Der Bass wummerte los und ließ die anderen zusammenzucken. Madara stand ebenfalls auf, holte aus der Hosentasche einen Joint und zündete ihn an. Die Gespräche flammten wieder auf und das Gelächter fing wieder an, doch Samya beobachtete Hidan, wie er mit dem Rücken zum Raum neben der Anlage stand und nichts weiter tat. Vorsichtig näherte sie sich ihm. „Hidan?“
Er ruckte den Kopf in ihre Richtung und grinste so falsch, dass es fast schon wie die Parodie eines Grinsens aussah. „Ich freu mich für dich.“
Samya wusste nicht genau, was sie zu ihm sagen sollte. Im Grunde hatte jeder geahnt, dass er die Prüfungen nicht bestehen würde, Hidan inklusive, doch es nun tatsächlich bestätigt zu wissen, war wie ein Schlag in die Magengrube. Selbst solche pseudo-aufmunternden Aussagen wie „Hey, viele werden zum Ronin und probieren es nächstes Jahr einfach noch mal“ waren wenig hilfreich, weil die Ronin-Quote an der Higashi sehr niedrig war und wie Samya ahnte, war Hidan dieses Jahr der Einzige, der die Prüfungen nicht bestanden hatte. Daher wollte sie über eine andere Schiene an ihn herankommen und fragte: „Sollen wir uns die Birnen wegdröhnen?“
Nach einem kurzen Zögern nickte Hidan und folgte Samya zur Couch, um sich an dem Gras bedienen. Sie war erleichtert darüber, dass er sie nicht weggeschickt oder ignoriert hatte. Je weiter der Nachmittag voranschritt und Mitternacht immer näher rückte, desto größer wurden Samyas Sorgen. Sie konnte und wollte Hidan nicht alleine lassen. Wenn er betrunken und bekifft war, war er wenigstens ablenkt, aber was war mit morgen? Und den nächsten Wochen? Natürlich konnte sie nicht 24/7 bei ihm sein und sie wusste, dass er sich schneiden würde. Alles, was sie hoffen konnte, war, dass Hidan sie anrief, wenn dieser Fall eintrat, und sie ihm zur Seite stehen konnte.
Durch Hidans Ergebnis war Samyas Freude über ihr eigenes ein wenig gedämpft. Erst als sie mit dem Zweitschlüssel die Tür zu Kakashis Wohnung aufschloss und feststellte, dass er noch im Wohnzimmer saß und eine Tierdoku schaute, fiel es ihr wieder ein. Kaum hatte Samya die Tür hinter sich geschlossen und die Schuhe ausgezogen, stand Kakashi schon vor ihr. Er wirkte müde und sie fragte sich, ob er nur auf sie gewartet hatte. „Wie sieht’s aus?“
Samya atmete tief durch und sagte: „101.“
Es verging eine Sekunde des Schweigens, dann riss Kakashi die Augen auf und er strahlte von Ohr zu Ohr. „Wirklich? 101 Punkte? Das ist besser, als ich damals war.“ Er nahm sie in den Arm und hob sie hoch. „Ich bin so verdammt stolz auf dich.“ Er setzte sie wieder ab, ließ sie aber noch nicht los, sondern sah ihr mit blitzenden Augen ins Gesicht. „Und du hast dir Sorgen gemacht, du würdest nicht mal bestehen. 101.. Meine Güte. Damit steht dir die ganze Welt offen.“
Samya, dessen Wangen sich nicht nur vor Freude rot gefärbt hatten, sah beschämt auf einen von Kakashis Hemdknöpfen. „Ich weiß.. Ich mach mich immer kleiner, als ich eigentlich bin. Es ist eklig, aber ich bin eine von diesen, die sagen, sie seien voll schlecht, und dann haben sie ‘ne 10 geschrieben. Bah.“ Sie schaute hoch in Kakashis Gesicht, das noch immer glühte. „Weißt du was? Wir sollten zur Feier des Tages was trinken.“
„Äh“, machte Samya und hob die Augenbrauen. „Ich hab schon ein bisschen was getrunken. Und geraucht. Und du bist doch erwachsen, du solltest mir keinen Alkohol geben.“
„Scheiß drauf“, erwiderte Kakashi und löste sich von ihr. „So ein Ergebnis darf man nicht unbedacht lassen. Außerdem gibt es nichts Besseres als betrunken Twister zu spielen.“
Samya war sich nicht sicher, ob ein unkontrollierter Körperkontakt angemessen war, doch sie ließ sich darauf ein und sah dabei zu, wie Kakashi seine schmalzige Old-School-Musik anmachte, eine Flasche Whisky aus dem Kühlschrank holte, die Twistermatte im Wohnzimmer auf dem Boden ausbreitete und ihr ein Glas reichte. „Wir machen es immer so, dass wir bei jedem Dreh einen Schluck trinken müssen. Das wird lustig.“ Er lächelte verschmitzt, Samya nahm das Glas und fing an. Sie trank, platzierte ihren linken Fuß auf blau und danach dauerte es nicht lange, bis die beiden gehörigen Spaß an dem Spiel hatten. Mit dem steigenden Alkoholwert und der Verknotung ihrer Körper vertrieb es Samya zunehmend alle Hemmungen. Wo sie es zu Beginn noch vermieden hatte, Kakashi zu berühren, war es ihr eine Stunde später in keinster Weise unangenehm, dass ihr linker Arm zwischen seinen Beinen auf gelb hing und ihr Gesicht an seinem Bauch klebte. Mühsam nahm Kakashi die Hand von rot, nahm einen Schluck, wobei er die Hälfte seines Glases auf der Matte verteile, und musste seine linke Hand auf grün setzen. Auf dem Weg dahin knuffte er Samya in die Seite.
„Schiebung!“, rief Samya empört und trat zurück, wobei sie das Gleichgewicht verlor und Kakashi mit zu Boden riss. Mit einem gespielten Schrei fiel Samya auf den Rücken und Kakashi landete mit dem Kopf in ihrem Schoß, wo er lachend liegen blieb. „Du hast ja überhaupt keine Kontrolle über deinen Körper“, stieß er keuchend hervor und rieb sich den Ellbogen. „Oder ich werde einfach zu alt.“
„Du bist doch nicht alt..“, sagte Samya leise und strich ihm mit dem Finger über die schmalen Falten auf seiner Stirn. Sie unterdrückte den Drang, im Rausch noch mehr von ihm zu berühren.
Kakashis dunkle Augen huschten hoch zu Samyas Gesicht. „Du sollst nicht lügen.“
Samya legte den Kopf schief. „Okay, wenn man deinen Musikgeschmack betrachtet, bist du schon alt. Ich meine.. Britney Spears?“ Sie lachte kurz auf.
„Sag bloß keinen schlechten Ton über sie“, mahnte Kakashi und hob den Zeigefinger. „Die gute Britney-Bitch war zu meiner Schulzeit heiß begehrt. Damals hatte kein Junge sie nicht als Poster im Schrank hängen und hat.. Na ja.“ Es dudelte gerade „Sometimes“ aus den Boxen und plötzlich wurde Kakashis Lächeln schwächer und er starrte gedankenverloren die Zimmerdecke an. „Wow, das ist lange her.. Das lief auf unserem Abschlussball damals. Ich hab mit Shizune getanzt. Eigentlich kannten wir uns kaum, aber wir beide brauchten noch ein Date. Ich wär lieber mit Rin gegangen, aber da hätte Obito bestimmt was gegen gehabt.“ Pakkun kam an und schnüffelte an Kakashis Wange. Er hob die Hand, streichelte den Mops und sagte in weiterhin abwesendem Ton: „Ich habe es so geliebt, wenn sie getanzt hat. Am liebsten zu irgendwelchen Balladen. Die haben noch härter gekickt, wenn wir high waren. Und wir waren immer high, selbst beim Sex. Es gab eine Zeit, da konnte ich nicht mal einen hochkriegen, ohne vorher was geraucht oder geschluckt zu haben. Rin ging es genauso. Obito weiß das bis heute nicht, aber Rin und ich haben oft zusammen irgendwelche Pillen eingeworfen und miteinander geschlafen. Es war einfach viel intensiver dadurch. Vielleicht ein bisschen zu intensiv.“ Er seufzte. „Sie hat die ganze Zeit davon geredet, dass sie Stimmen hört und düstere Gedanken hat. Ich wollte nur abspritzen und hab sie ignoriert. Sie hat sich gewehrt, ich glaube jedoch nicht gegen mich, keine Ahnung, trotzdem hat sie mich verletzt. Ich war nur noch sauer darüber, dass sie mir das Gesicht zerkratzt hat und dass wir unseren Fick nicht mal beendet haben. Dann ist sie zum Rand des Daches. Ich habe nur halbherzig versucht sie aufzuhalten. Mein Verstand war einfach komplett weg. Ich habe nicht wirklich begriffen, was sie vorhatte, bis sie nicht mehr da war. Keine Ahnung, wie lange ich einfach nur dastand und nichts gemacht habe. Irgendwann bin ich runter gerannt. Diesen Anblick, von ihrem Gesicht, alles voll mit Blut, und ihre Augen dabei.. Das habe ich nie vergessen. Ihre Arme und Beine waren gebrochen und der Schädel war offen. Das letzte, das sie zu mir gesagt hat, war ‚Kakashi‘. Ich konnte sehen, wie sie stirbt, aber ich habe nichts dagegen getan. Weißt du, was ich getan habe? Ich habe ihre Hose geschlossen, damit niemand auf die Idee kommt, dass wir Sex hatten. Danach bin ich weggelaufen. Obito hat keine Ahnung, warum Rin auf dem Dach war, und dass sie noch gelebt hat, nachdem sie unten aufgeschlagen ist. Ich konnte ihm das nie sagen. Er hasst mich nur für die Tatsache, dass ich die Drogen besorgt habe und dadurch indirekt für Rins Tod verantwortlich bin. Wenn er wüsste, dass ich es hätte verhindern können.. Er würde mich viel mehr hassen. Und er hätte jedes Recht dazu. Ich bin ein verachtenswerter Mensch, Samya.“
Nach einer langen Pause schluckte Samya, unsicher bei dem radikalen Stimmungswechsel, und murmelte: „Das warst du früher vielleicht, aber jetzt bist du besser. Guck dir doch mal an, was du für mich und so viele andere Schüler machst. Du hast Hidan geholfen, eine Bleibe zu finden. So einen Menschen sollte man nicht verachten.“
Kakashis Blick traf wieder den ihren, was durch ihre große Oberweite kaum möglich war. „Denkst du das wirklich?“ Er stützte sich auf, drehte sich um und waren mit seinem Gesicht nun sehr nah an Samyas dran. Sie merkte, wie ihre Atmung schneller wurde und ihr Hitze ins Gesicht stieg. „Ich versuche seitdem ständig, meinen Fehler wiedergutzumachen, auch wenn ich das nicht kann. Wenigstens soll es anderen nicht ähnlich ergehen. Versprichst du mir etwas?“
Hastig nickte Samya und hatte Mühe damit, nicht in diese dunklen Iriden, die sich in ihre Seele zu bohren schienen, zu sehen.
„Bitte verlier niemals das Vertrauen in mich. Es bedeutet mir so viel, dass du an mich glaubst. Ich bin dir dankbar dafür.“ Für einen kurzen, wilden Moment lang glaubte Samya, dass sie sich jetzt küssen würden. Sie bereitete sich emotional bereits darauf vor, seine Lippen zu schmecken, doch alles, was sie heute Abend noch erreichte, war: „Wir sollten schlafen gehen.“
Am Sonntag wachten Kakashi und Samya zu Tode verkatert auf. Im Gegensatz zu Samya konnte sich Kakashi nicht an das erinnern, was nach Mitternacht noch geschehen war, und so beschränkten sie ihr Frühstück auf Onigri aus dem kleinen Kiosk ein paar Häuser weiter und brachten ihren Sauf-Abend nie wieder zur Sprache. Samya würde sich davor hüten, irgendein Wort über Kakashis Geschichte zu verlieren. Unter keinen Umständen wollte sie herausfinden, was passieren würde, wenn er herausfand, was er ihr alles erzählt hatte. Sie musste selber erst einmal damit klarkommen. Hatte sich ihr Verhältnis zu Kakashi verändert, nun, da sie wusste, dass er für den Tod eines Menschen verantwortlich war? Zu ihrer eigenen Überraschung lautete die Antwort „Nein“. Nach allem, was sie immer vermutet hatte, war ihr klar gewesen, dass Kakashi eine dunkle Vergangenheit verbarg. Niemand, der nicht solch grausame Dinge durchgemacht hat wie er, kümmert sich so intensiv um das Wohlbefinden anderer. Was immer Obito von Kakashi hielt, in ihren Augen hatte Kakashi für seine Sünden gebüßt und musste sich nicht mehr für Rins Tod schuldig fühlen.
Während Kakashi mit einer Packung Schmerztabletten auf der Couch lag und döste, musste Samya wieder einmal ihre Tasche packen. Sie war noch nie in Nagano gewesen und sie freute sich schon darauf, ihre Hauptstadt mal kennenzulernen. Der Iken-Kontest machte ihr zwar Angst, doch ihr überragendes Prüfungsergebnis milderte ihre Furcht. Direkt nach dem Aufwachen hatte sie sich noch einmal auf der Seite der Stadt angemeldet und die Details der Ergebnisse durchgelesen. In Bio hatte sie die vollen 20 Punkte erreicht und selbst ihre schlechteste Prüfung in Chemie und Physik waren immer noch 12 Punkte gewesen. Beides waren bei Weitem nicht ihre Glanzfächer, aber überhaupt mehr als die Hälfte der Punkte in einem Test zu erreichen, der Physik zum Inhalt hatte, war mehr, als Samya sich je hätte erträumen können. Sie war stolz auf sich. All das Pauken, Kakuzus Nachhilfe und Sennins Geduld hatten sich ausgezahlt. Wenn sie es jetzt noch schaffen würde, der Higashi zum ersten Platz beim Iken-Kontest zu verhelfen, würde sie die Oberschule mit der besten Reputation verlassen, die ihr möglich war.
Der Kleinbus, der Samya, Kakuzu, Hidan, Kisame, Akane und Daisuke nach Nagano fahren würde, holte die fünf Schüler am Montagmorgen zusammen mit ihrem Gepäck am Tor der Schule ab. Die anderen Schüler und Lehrer jubelten ihnen hinterher und Samya hatte das Gefühl, sie wären in Distrikt 1 und würden zu den Hungerspielen abreisen. Sie waren Champions. Hoffentlich würden sie das auch noch in drei Tagen sein.
Die Fahrt nach Nagano war unerwartet kurz und unspektakulär. Die sechs waren einfach zu müde, um groß quatschen zu können. Samya war die ganze Zeit über an Kakuzus Schulter gekuschelt und überlegte sich alle Szenarien, die sie in den nächsten Tagen erwarten würden. Der Kleinbus fuhr halb durch Nagano durch, wobei Samya wie ein Kleinkind fasziniert aus dem Fenster sah, und hielt endlich an einem großen Hotel, wo bereits andere Kleinbusse und viele Jugendliche standen. Samya hatte überhaupt nicht darüber nachgedacht, wie viele Menschen hier sein würden. In der Präfektur Nagano gab es 80 öffentliche Schulen und wenn jede davon sechs Teilnehmer zu dem Wettbewerb karrte, waren es 480 Schüler. Und gegen 79 davon musste Samya sich in Biologie behaupten. Sie hoffte inständig, dass sie nicht einen Blackout erlitt und vor den Augen der ganzen Präfektur versagte.
Eine hektisch wirkende junge Frau kam zu ihrem Bus, als sie gerade ihr Gepäck ausluden, und fragte kurz angebunden: „Welche Schule?“
„Higashi Oberschule, Okaya-shi“, antwortete Akane prompt.
Die Frau sah auf einer Liste auf ihrem Klemmbrett nach, wühlte dann in einem Beutel und holte ein Bündel Schlüsselbänder mit blassblauen Karten daran hervor. „Das sind eure. Tragt die bitte die ganze Zeit, wenn ihr auf dem Gelände unterwegs seid. Daran erkennt man, wer ihr seid und wo ihr hingehört.“ Ohne ein weiteres Wort eilte sie zum nächsten Kleinbus.
„Wie auf dem Fließband werden wir hier abgefertigt“, maulte Hidan.
„Was erwartest du? Bei der Menge an Leuten müssen die das so handhaben“, erwiderte Kakuzu.
Keiner von ihnen wusste so recht, wo sie jetzt hingehen sollten, bis sich Akane zu der Frau, die ihnen die Pässe gegeben hatte, durchkämpfte, einige Minuten später zurückkehrte und sagte: „Wir können schon rein und uns in unsere Zimmer einchecken.“
„Boah, endlich ‘ne Heizung“, kam es erleichtert von Hidan, der ihnen voran durch die Schülermassen in das Hotel stratzte. In der Lobby war es ruhiger, weil sich hier weniger Teilnehmer aufhielten. Sie meldeten sich an, erhielten drei Schlüsselkarten und machten sich auf den Weg in das vierte Stockwerk, wo ihre Zimmer lagen. Kakuzu und Hidan waren in Nummer 408, Kisame und Daisuke in 409 und Akane und Samya in 410. Die Zimmer waren nicht zu vergleichen mit dem im Zaitaku, in dem Kakuzu und Samya übernachtet hatten, doch sie waren alles andere als hässlich. Links an der Wand standen zwei einzelne Betten, gegenüber an der Wand hing ein Fernseher über einer Kommode, rechts ging ein kleines Badezimmer ab und hinten in der Ecke stand ein Tisch mit Mikrowelle und Wasserkocher.
„Lässt sich aushalten, oder?“, sagte Akane, als sie ihren Koffer auf das Bett am Fenster wuchtete und das Bad inspizierte.
Samya schmiss sich zusammen mit ihrer Reisetasche auf das andere Bett und stöhnte. „Viel besser als die Schlafcouch.“ Akane hatte sie kaum gehört, weil sie ausprobierte, welche Modi die Duschbrause hatte.
Die Mädchen waren gerade dabei, sich häuslich einzurichten, als plötzlich ein lauter Piepton durch den Raum schallte und eine Nachricht auf dem Fernseher aufploppte. „An alle Teilnehmer des Iken-Kontests.“
Gespannt setzten sich Akane und Samya auf Samyas Bett und sahen dabei zu, wie der Text in einer billigen Transition zu dem Gesicht eines alten Mannes wurde. „Guten Tag, sehr geehrte Schülerinnen und Schüler. Mein Name ist Akira Kitano. Ich bin seit 30 Jahren der Veranstalter des Iken-Kontests und heiße euch herzlich willkommen in Nagano-shi. Ihr seid sicherlich alle noch sehr aufgeregt und dafür haben wir Verständnis. Heute könnt ihr euch noch ausruhen, der Zimmerservice steht euch natürlich frei zur Verfügung. Morgen starten die ersten Wettkämpfe. In euren Zimmern liegt ein Programmheft aus, dem ihr die Termine entnehmen könnt. Wir bitten alle Teilnehmer, pünktlich zu erscheinen. Wie ihr wisst, wird der gesamte Kontest im Fernsehen übertragen. Diejenigen, die gerade nicht antreten, können entweder in ihren Zimmern auf Programm 9 den Wettbewerb verfolgen oder live in den Austragungshallen dabei sein.“
„Hallen?“, fragte Samya, war aber sofort wieder still, weil Kitano weiterredete.
„Selbstverständlich sollte währenddessen und auch vor und nach den Wettkämpfen Ruhe bewahrt werden, um die anderen Gäste und Teilnehmer nicht zu stören. Damit sei alles gesagt. Ich wünsche euch allen viel Glück und Erfolg. Vielen Dank.“
Der Bildschirm wurde wieder schwarz und Akane stand auf, nahm von dem Tisch in der Ecke einen Flyer, den sie bisher gar nicht beachtet hatten, und sie blätterte ihn auf. Biologie war morgen direkt als erstes um 10 Uhr. Samya war darüber sehr froh, weil sie es dadurch schneller hinter sich hatte.
Es klopfte an der Tür und die Jungs traten ein. „Yo, habt ihr das auch gelesen?“, fragte Daisuke und schwenkte die Broschüre durch die Luft.
Akane hielt ihre hoch. „Ich bin erst Mittwoch dran.“
„Direkt nach mir“, grinste Kisame und Samya spürte das Knistern zwischen ihnen.
„Ja geil, und ich bin als letztes dran“, murrte Hidan, warf sich neben Samya auf ihr Bett und legte die Hände aufs Gesicht.
Daisuke ließ sich auf Samyas anderer Seite nieder und sie rutschte ein wenig nervös umher. Seit er ihr die Droge verkauft hatte, durch die sie fast Suizid begangen hatte, war sie ihm nicht mehr so nahe gewesen. Auch ihren Kuss hatte sie nicht vergessen. „Das wird alles richtig spannend, Leute. Aber bis dahin können wir noch ein bisschen chillen. Sollen wir uns irgendwo ein ruhiges Plätzchen suchen?“ Er zog aus der Hosentasche eine Plastiktüte mit einem Joint.
„Lass lieber hinterher, ich bin viel zu nervös“, sagte Kisame, der sehr eng neben Akane saß.
„Aber die bringen einen runter“, entgegnete Daisuke und wippte mit den Augenbrauen.
Kakuzu, der als einziger nicht saß, sondern an der Wand lehnte, murmelte: „Wenn ich high bin, kann ich schneller denken, also warum nicht?“
„Noch schneller?“, lachte Kisame. „Vielleicht hättest du vor der Prüfung kiffen sollen, dann hättest du die volle Punktzahl erreicht.“
Kakuzu hob die Schultern. Daisuke schwang sich wieder auf die Beine. „Alles klar. Will noch wer?“
„Ach, warum nicht..“, murmelte Kisame, stand auf und hielt Akane die Hand hin. „Kommst du mit?“
„Und ihr?“, fragte Kakuzu an Hidan und Samya, die beide den Kopf schüttelten.
„Ich beginne morgen früh, da will ich vernünftig schlafen“, antwortete Samya.
Kakuzu bedachte die zwei mit einem undefinierbaren Blick, folgte aber Daisuke, Kisame und Akane aus dem Zimmer.
„Gute Entscheidung“, grinste Hidan und setzte sich auf. „Gras macht mich nur noch nervöser als ich eh schon bin. Ich will das nicht versauen, so wie meinen Abschluss.“
Samya kniff die Lippen zusammen. „Hast du dir denn schon überlegt, was du jetzt machen willst? Probierst du es noch mal?“
Hidan knibbelte an einem Loch in seiner Socke herum. „Keine Ahnung.. Darüber will ich mir keine Gedanken machen. Es wär mir lieber, wenn ich es einfach jetzt schon geschafft hätte. Ich weiß nicht, ob ich klug genug bin, um das alles noch mal lernen zu können.“
„Ich kann dir dabei helfen“, sagte Samya und ergriff seine Hand.
Hidan sah auf und lächelte vorsichtig. „Du hast mir doch schon geholfen. Trotzdem habe ich in Bio nur 10 Punkte gekriegt. Das war immerhin das Höchste, was ich hatte, also besser konnte es nicht werden.“ Er seufzte. „Ich werde einfach zum Bau gehen oder so. Da werden auch Leute gebraucht, weißt du?“
In Samyas Kopf tauchte sofort dieser Satz „Perle vor die Säue werfen“ auf, doch zum einen hasste Samya es, wenn Erwachsene dies zu ihr sagten, und zum anderen würde es Hidan nicht helfen. So sehr es sie auch schmerzte, dies zugeben zu müssen, aber aus akademischer Sicht hatte er einfach keine Perlen vorzuweisen. Sein Prüfungsergebnis war der stichfeste Beweis. „Sieh es doch positiv“, fing Samya an, ihn hoffentlich aufbauen zu können, „du bist heute hier, weil du der Beste in deinem Fach bist.“
„Pft“, machte Hidan. „Sport. Was soll man dabei schon verkacken? Deidara hat recht. Das ist nichts wert.“
„Sieh mich an“, sagte Samya und konnte nicht anders als lachen. „Wenn ich laufe, seh ich aus wie ein fetter Corgi. Ich nutze ständig aus, dass sich Gai keine Gesichter und Namen merken kann, um den Schwimmunterricht zu schwänzen. Bei Sport hechel ich nur in der hintersten Reihe rum und hoffe, dass mich keiner dabei sieht. Stell dich nicht unnötig unter den Scheffel. Du hast die beste Ausdauer von allen und fängst nicht mal nach diesem Monster-Marathon, den Gai uns ständig laufen lässt, an zu schwitzen. Du rockst das übermorgen, okay? Dann wirst du allen zeigen, wie gut du darin bist. Und vielleicht sieht dich ja irgendein Sport-Coach oder sowas im Fernsehen und wirbt dich an. Wer weiß.“
Auf Hidans Gesicht legte sich erneut ein Lächeln, dieses Mal war es breiter und es wirkte ehrlich. „Danke dir, das meine ich ernst.“ Er sah hinab auf seinen kaputten Socken. „Es tut mir leid, dass ich mich bei dir nicht mehr gemeldet habe.“
Samya schluckte schwer. „Hast du es getan?“
Wortlos zog sich Hidan das Shirt aus und offenbarte seinen vollkommen zerschnittenen Oberkörper. Überall auf seinen Oberarmen und seinem Bauch waren halbverheilte Wunden, die teilweise so tief waren, dass sie noch bluteten. Samya stand der Mund offen. So hatte Hidan sehr viel Ähnlichkeit mit Kakuzu und sie erschauderte.
„Ich kann einfach nicht damit aufhören“, flüsterte Hidan und Samya bemerkte eine gewisse Röte in seinen Augen. „Wenn ich die Klinge an meine Haut setze, vergeht der Schmerz für einen Moment. Aber er kommt wieder. Es wird nicht besser.“
Samya biss sich auf die Unterlippe. „Wie kann ich dir dabei helfen?“
„Gar nicht“, antwortete Hidan und zog sich wieder an. „Für mich gibt es keine Hilfe mehr. Ich habe keinen Sex mehr deswegen. Ich will nicht, dass das jemand sieht.“
„Aber du hattest doch vorher auch schon Narben“, sagte Samya leise und deutete auf seinen Schritt, wo er ihr damals im Kaufhaus die Verletzungen gezeigt hatte.
Hidan schnaubte. „Das? Die waren schon alt und lange verheilt. Die hab ich mir zugefügt, als ich zwölf war. Damals, als ich auf der Straße gelebt habe, hab ich einen Typen getroffen, Hiro. Er war mein Held, ironisch, ich weiß. Er hat mir gezeigt, wie man es richtig macht. Wie tief und in welche Richtung man schneiden muss, wenn man sich nur weh tun will oder wenn man sterben will.“
„Willst du denn sterben?“, fragte Samya und war unsicher, ob sie die Antwort überhaupt hören wollte.
Nur sehr langsam schüttelte Hidan den Kopf. „Ich glaube nicht. Dafür hab ich noch zu viel Hoffnung, dass es irgendwann besser wird. Ich will noch ein paar Sachen machen, weißt du? Das Leben genießen und so, keine Ahnung.“
Mühselig zwang sich Samya zu einem Lächeln. „Okay. Aber du weißt, dass du mich jederzeit anrufen kannst, oder? Ich bin für dich da.“ Endlich verstand sie, wie es Kakuzu ergangen war. Hidan war nun in Samyas Position, wollte sich isolieren, sich niemandem anvertrauen, und Samya versuchte wie Kakuzu bei ihr Hidan davon zu überzeugen, dass er ihr wichtig war. Sie hatte Angst, die falschen Worte gewählt zu haben, wodurch sie Hidan noch weiter von sich entfernen ließ. Doch Hidan nickte. „Ich werd’s versuchen.“
Nach diesem deprimierenden Gespräch fand Samya nur sehr schwer Schlaf und als am nächsten Morgen um 8 Uhr der Wecker klingelte, hätte sie gut und gerne bis mittags pennen können. Sie ging duschen, machte sich die Haare, schminkte sich wie üblich, zog sich ihren Glücks-Hoodie an, der irgendwann wieder aufgetaucht war, und stopfte Pepper in die Bauchtasche. Ohne emotionale Unterstützung konnte sie dem Wettkampf nicht beitreten. Begleitet von Kakuzu, Hidan, Kisame, Daisuke und Akane machte sie sich auf den Weg in die Lobby, wo sie ein Schild durch ein paar Gänge in einen riesigen Konferenzsaal leitete. Vor einer ausladenden Bühne standen hunderte von Stühlen. Die anderen setzten sich auf die der Higashi zugewiesenen Plätze. Samya ging nach vorne, zeigte einem Security-Typen ihren blassblauen Pass, nannte ihren Namen und wurde in einen kleineren Raum geführt, in dem bereits an die 50 Schüler warteten. Das waren also die Bio-Brains von Nagano. Nervös hielt sich Samya im Hintergrund und hoffte, und hoffte es gleichzeitig auch nicht, ein bekanntes Gesicht zu sehen. Das eine bekannte Gesicht wäre nämlich von der Minami. Wer auch immer von dort zum Iken-Kontest geschickt worden war, könnte Samya den Verstand verlieren lassen.
Der Raum füllte sich weiter und etwa fünf Minuten später trat die junge Frau von gestern vor sie, erklärte ihnen den Ablauf und ließ sie nach und nach auf die Bühne gehen. Jeder von ihnen wurde von einem Mann, den man nicht sehen konnte, namentlich vorgestellt, was Samya nur noch nervöser machte. Jeder würde sie sehen. Jeder könnte sie versagen sehen.
Als der Sprecher „Samya Tamashi, Higashi Oberschule, Okaya-shi“ ausrief, stolperte Samya auf die Bühne und wurde sogleich von Applaus und blendenden Scheinwerfern begrüßt. Sie konnte nichts weiter sehen als die schmalen Tische und Stühle auf der Bühne und die grellen, weißen Lichter, zwischen denen ab und zu kleine, rote Lampen aufleuchteten. Das mussten die Kameras sein. Samya hob kurz eine zitternde Hand, schlängelte sich durch die Tischreihen hindurch und ließ sich auf dem nächsten freien Stuhl nieder. Nun, da sie endlich nicht mehr gehen musste, spürte sie, wie weich ihre Knie waren. Wie konnten die sie überhaupt bis hierher tragen?! Sie presste ihre Hände zusammen und wartete, bis der letzte Schüler sich gesetzt hatte und eine unnötig dramatische Musik ertönte.
„Akt 1 des Iken-Kontests 2023 in Biologie“, sagte dieselbe unsichtbare Stimme, die sie vorgestellt hatte. „Diese Aufgabe dient dazu, die langsamsten Schüler zu eliminieren. Jeder Teilnehmer hat ein Tablet vor sich. Dort werden kurze Fragen auftauchen, die innerhalb einer bestimmten Zeit beantwortet werden müssen. Wer es nicht schafft, vor Ablauf des Timers die Antwort abzuschicken, fliegt automatisch raus. Los geeeeht’s.“
Samya versuchte, ihren Puls zu beruhigen. Sie musste nur schnell sein, mehr nicht. Das Tablet auf dem Tisch schaltete sich ein, zeigte einen Timer von 10 Sekunden und die Stimme las die Frage vor, die auch auf dem Display erschienen war. „Wer prägte den Begriff ‚Gen‘?“
‚Gen.. Gen.. Was zum Teufel ist ein Gen? Gen. Genom. Generation. My Generation. Das Lied. Die Band. The Who. Der Sänger. Ein Brite. Pete irgendwas. Pete kommt bestimmt von Peter. Peter Parker. Superhelden haben immer so wilde Namen. Spider-Man. Spinnen sind eklig. Die Spinne bei Harry Potter hätte bei der Folter durch Moody geschrien, wenn sie eine Stimme gehabt hätte. Schreien ist auch wild. In irgendwie jedem Film kommt der Wilhelm-Schrei vor. Uaaah. Wilhelm. Wilhelm.. Wilhelm Johannsen!‘
Samyas Finger flogen über die Tastatur. Sie kontrollierte hastig, ob sie den Namen richtig geschrieben hatte, drückte auf „senden“ und der Timer hielt bei vier Sekunden an. Ein lautes Dröhnen erklang und um sie herum änderte sich das Licht. Samya und einige andere wurden von grünem Licht beschienen, aber sehr viele andere saßen unter roten Leuchten. Ein Raunen ging durch die Menge. Die junge Frau kam auf die Bühne und bat alle mit rotem Licht aufzustehen und zu gehen. Bestimmt 60 Schüler erhoben sich und folgten der Anweisung. Eilig kamen einige Helfer, trugen die leeren Tische und Stühle raus, rückten die der übrigen zusammen, die während der kurzen Pause, in der die Zuschauer bestimmt irgendein Einspieler zu sehen bekamen, an der hinteren Wand gewartet hatten. Die Frau bat sie, sich wieder auf ihre Plätze zu setzen und Samya, die nun ein wenig ruhiger geworden war, sah sich um. Sie zählte noch 22 Teilnehmer, die alle genauso blass waren wie sie sich fühlte.
Erneut fing die Musik an und die Stimme sagte: „Es geht in Runde 2! Dasselbe Spielchen wie eben, allerdings gibt es nun ein wenig mehr Zeit, dafür ist die Frage schwerer. Und looos! Wie wirken Drogen wie zum Beispiel Kokain, Ecstasy und Marihuana im Gehirn?“
‚Lol‘, dachte sich Samya und während sie die Antwort „meist kompetitiv mit Neurotransmittern oder blockierend auf deren Produktion“ tippte, fragte sie sich, wie viele der hier Anwesenden bereits persönliche Erfahrungen gemacht hatten.
Nach Ablauf der Zeit wurden wieder einige Teilnehmer rot beleuchtet und das ganze Spiel ging von vorne los. Die nächste Frage, „Was versteht man unter Senologie?“, beantwortete Samya ebenfalls richtig mit „Lehre der weiblichen Brust“ in der vorgegebenen Zeit und am Ende dieser Runde waren nur noch fünf Schüler übrig. Dieses Mal allerdings verschwanden die einzelnen Tische komplett und in einer längeren Pause wurde ein geschwungenes Pult aufgebaut, an dem sich die fünf aufstellten. Nun erkannte Samya die aktivierten Kameras viel besser und die Stimme sagte: „Nach einer kurzen Werbeunterbrechung heiße ich Sie herzlich Willkommen zur letzten Runde Biologie beim Iken-Kontest 2023. Die Finalisten haben sich bereits aufgestellt und erwarten genauso gespannt wie die Zuschauer, was immer da kommen mag. Die Fragen werden natürlich nicht leichter, schließlich steht hier die Elite der Elite und möchte sich beweisen.“
‚Ich möchte, dass es endlich vorbei ist‘, dachte Samya und scharrte ungeduldig mit dem Schuh über den Filzteppich.
„Die folgenden Fragen werden den Teilnehmern zufällig und ohne Reihenfolge gestellt. Wenn die Antwort nicht innerhalb von fünf Sekunden gesagt wird, folgt automatisch die Eliminierung. Also los!“ Mit einem salbungsvollen und musikalisch untermaltem Blitzgewitter wechselten die Scheinwerfer über ihnen das Licht, bis es schließlich auf einem schwarzhaarigen Jungen landete. „Definiere Polygenie!“, sagte die Stimme und der Junge blinzelte. „Ähm.. Äh.. Viele Gene für die Ausbildung eines Merkmals“, stammelte er, das Licht wurde grün und er schien mehr als nur erleichtert zu sein.
„Rrrrichtig!“, rief die Stimme. Das Licht wechselte erneut sehr schnell und blieb auf einem Mädchen mit blonden Locken hängen. „Welcher Karyotyp liegt beim Klinefelter Syndrom vor?“, fing die Stimme an und das Mädchen antwortete ohne Zögern: „XXY.“
„Korrekt!“
Dieses Mal war Samya dran und kaum hatte das Licht ihren Scheitel endgültig berührt, brach sie in Schweiß aus. Sie hörte die Stimme wie aus weiter Ferne fragen: „Wie viele Eizellen produziert eine Frau während der gesamten Zeit der Geschlechtsreife?“
In Samyas Hirn fing es an zu rattern. Es waren sehr viele, wobei sie bis zur Geschlechtsreife weniger wurden. Sie hatte schon eine Zahl in ihrem Mund geformt, als ein kleines Fitzelchen Logik wisperte: ‚Wie kann man das genau sagen? Jede Zahl, die du jetzt nennen würdest, wäre eine Schätzung. Es muss aber etwas geben, was genau trifft, ansonsten würde die Antwort nicht zählen.‘ Binnen Millisekunden entschied sich Samya für die einzig plausible Antwort und sagte: „Keine. Sie sind bereits vor der Geburt da und sie werden lediglich durch Hormone gereift.“
„Das ist absolut richtig!“
Samya atmete erleichtert aus. Die erste Frage hatte sie geschafft. Direkt nach ihr beantwortete ein Junge mit E-Boy-Look seine Frage falsch und stand nun in rotem Licht. Anschließend kam wieder Samya dran, die richtig antwortete, dann der schwarzhaarige, der ebenfalls richtig lag, ein Junge mit grünen Haaren, der Mitose und Meiose verwechselte, wieder das blonde Mädchen, wieder der schwarzhaarige Junge, der sich so stark verhaspelte, dass seine Antwort nicht zählte, und schließlich standen nur noch Samya und das blonde Mädchen nicht in rotem Licht. Das Mädchen lächelte Samya über das Pult hinweg zu, was Samya mächtig verunsicherte. Sie war jetzt dran und die Stimme fragte: „Welche Zellstrukturen sind an der Translation beteiligt?“
‚Das ist einfach‘, dachte Samya und sagte laut: „Ribosomen, t-RNA und mRNA.“
„Korrekt.“
Das blonde Mädchen wurde gefragt: „Wo erfolgt die Vermehrung des HI-Virus?“ Sie stutzte, öffnete den Mund, schloss ihn wieder, öffnete ihn erneut und sagte: „In.. T-Suppressorzellen.“
‚Das ist falsch‘, schoss es Samya durch den Kopf und die Stimme gab ihr recht. „Diese Antwort ist leider nicht korrekt. Es sind die T-Helferzellen und Makrophagen. Und damit, verehrte Zuschauerinnen und Zuschauer, steht die Gewinnerin des Fachs Biologie beim Iken-Kontest 2023 fest! Samya Tamashi von der Higashi Oberschule in Okaya-shi!“
Samyas Hals wurde trocken, als sie dumpf den Applaus des Publikums unten vernahm. Sie starrte irgendwo einen der Scheinwerfer an, hoffte vielleicht zu erblinden, und bewegte sich erst, als ein Mann, den sie irgendwann mal im Fernsehen gesehen hatte, neben ihr sie am Handgelenk packte und ihren Arm in die Höhe streckte. Zum Glück trug sie schwarz, sonst würde jetzt ganz Nagano ihre Schweißflecken sehen können. Der Mann, dem die Stimme gehörte, sagte irgendwas, was Samya nicht verstand, und plötzlich wurde ihr ein Mikrofon vor den Mund gehalten. „Äh“, machte sie und hörte ihre eigene Stimme durch die Lautsprecher verstärkt im gesamten Raum widerhallen. Ihr Gesicht glühte. „Entschuldigung. Was haben Sie gesagt?“
Der Mann lachte gekünstelt und fragte erneut: „Wie fühlst du dich gerade mit dem Wissen, die beste Biologie-Schülerin der Präfektur Nagano zu sein?“
„Ähm“, machte Samya erneut und versuchte, ihren Gaumen zu befeuchten. „Ich bin ziemlich überrascht, denke ich.“
„Ja, das merkt man. Möchtest du denn die Gelegenheit nutzen, jemanden zu grüßen? Deine Nachhilfe? Deine Familie?“
„Also.. Ich danke auf jeden Fall meinem Lehrer Kakashi Hatake, dass er mir das hier ermöglicht hat. Auf allen Ebenen: Danke. Ohne dich wäre ich nicht hier.“ Samya schaute irgendwo in die Dunkelheit, wo eine kleine, rote Lampe leuchtete, und hoffte, sie würde die aktive Kamera treffen, um Kakashi so gesehen persönlich anzusprechen.
Der Moderator nahm das Mikrofon von ihr weg und sagte: „Das war es mit dem ersten Teil für heute. Nun folgt eine Stunde Pause und dann geht es schon weiter mit Geschichte.“ Er grinste noch einen Moment lang, dann rief irgendjemand: „Aus!“ und er verlor augenblicklich seine aufgesetzte Art. „Glückwunsch, Kleines.“ Er drehte sich um und verließ die Bühne.
„Kleines..?“, murmelte Samya sich selbst zu, schüttelte den Kopf, ging ebenfalls von der Bühne, durchquerte den Raum, in dem sie zuvor gewartet hatten, und eilte den Gang entlang zu der Stelle, wo Kakuzu, Hidan, Kisame, Akane und Daisuke standen und jubelten. „Du hast es gemacht!“, rief ihr Kisame entgegen.
„Ja“, keuchte Samya und wusste noch immer nicht so recht, wie es ihr gerade ging. Das Adrenalin in ihrem Körper ließ sie nur noch zittern. Sie fiel, auch vor Erschöpfung, Kakuzu um den Hals.
„Du warst großartig“, säuselte er ihr ins Ohr, küsste sie und strich ihr grinsend über die Wange, während die anderen weiterhin klatschten und johlten.
Samya strahlte über das ganze Gesicht. Endlich sackte die Erkenntnis in ihr Bewusstsein, dass sie es geschafft hatte. Sie hatte den ersten Platz gemacht. Stolzer konnte sie auf sich selbst nicht sein.
Mit viel leichterem Herzen schaute Samya den anderen bei ihren Wettkämpfen zu. Daisuke wurde in Geschichte zweiter, Kakuzu in Mathe erster, am nächsten Tag Kisame in Englisch dritter, Akane in Chemie erste und Hidan schließlich in Sport vierter. Er war beim Sprint am Ende mit dem Fuß umgeknickt und hatte dadurch die Führung verloren. Seine Platzierung nahm ihn schwer mit. Alle waren mindestens Top 3 gewesen, nur er hatte es nicht bis aufs Treppchen geschafft.
„Das war doch nicht dein Versagen“, versuchte Kisame, ihn aufzuheitern, doch Hidan schlug seine Hand weg und drückte das Kühlpack an seinem Knöchel fester. „Leck mich. Platz 4 ist scheiße.“
Die anderen tauschten Blicke. Sie konnten nicht wirklich etwas sagen, schließlich waren sie tatsächlich alle besser gewesen und jedes Wort käme vermutlich hochnäsig rüber.
Sie verabredeten sich für den Abend zu einer kleinen Party, bevor morgen bei der Preisverleihung ihre Platzierung bekanntgegeben wurde und sie wieder abreisen mussten. Kisame klaute aus einer Mini-Bar, die nicht einem Schüler gehörte, kleine Flaschen Alkohol, Daisuke brachte das Gras mit und sie trafen sich ein Stück hinter dem Hotel auf einem leeren Spielplatz, wo zu dieser Zeit wohl kaum jemand herkommen dürfte.
„Auf uns“, riefen sie und stießen mit ihren Fläschchen an. Hidan exte seins sofort und kauerte sich auf die schneebedeckte Schaukel.
Samya nippte an ihrem eiskalten Sake und ging zu ihm. „Hey. Willst du was von mir abhaben?“ Sie hielt ihm die Flasche hin, doch er schüttelte den Kopf, also setzte sie sich neben ihn. „Mach dir nicht so einen Kopf, Hidan. Platz 4 von 80 ist immer noch sehr gut.“
„Jaja“, murrte Hidan und schob mit dem Schuh den Schnee unter sich zusammen. „Am Ende liegt’s an mir, wenn wir nicht gewinnen.“ Er atmete tief durch, was wegen der Minustemperaturen gut sichtbar war. „Na ja, ich muss es positiv sehen: Wenigstens hab ich keine Eltern, die mein Versagen live sehen mussten.“
Überraschte verschluckte sich Samya an ihrem Sake. „Wie kommst du jetzt auf deine Eltern?“
Hidan wandte ihr das Gesicht zu. „Irgendwann im Januar haben die mich in die Babyklappe gesteckt. Ich weiß nicht genau wann, aber das war der Zeitpunkt, an dem sie entschieden haben, dass sie mich nicht wollten.“
Wieder wusste Samya nicht, was sie darauf erwidern sollte. Normalerweise sprach Hidan nie über seine Eltern, zumindest nicht in so einem bedauerlichen Tonfall. Er tat immer so, als sei es ihm egal. Aber es war ihm wohl nicht egal, wenn sich seine Abschiebung nun zum 17. Mal jährte. Und Samya verstand ihn nur zu gut. Für sie war es auch all die Jahre schlimm gewesen, wenn der Tag kam, an dem ihr Vater aus ihrem Leben verschwunden war. „Deine Eltern waren dumm“, sagte Samya leise. „Wie können sie denn jemanden wie dich nicht wollen? Sie haben eine Menge verpasst.“
Hidan lächelte kurz, hörte jedoch wieder auf, als Kakuzu zu ihnen herüber kam und ihnen den Joint reichte. „Hier. Er ist gleich weg und wir wollen auch wieder rein. Es ist viel zu kalt hier draußen.“
Samya und Hidan zogen beide an der Tüte, bis nichts mehr übrig war, und machten sich mit den anderen auf den Weg zurück in das beheizte Hotel.
Kisame, der vor ihnen ging und sich mittlerweile traute, seinen Arm um Akane zu legen, drehte sich zu ihnen um und blieb stehen. „Na, was ist? Wollen wir heute Zimmer tauschen?“
„Was?“, fragte Kakuzu.
„Na, du weißt schon“, sagte Kisame und nickte zu Samya herunter. „Ihr zwei, wir zwei, wir mixen einmal alle durch und können noch ein bisschen Zeit alleine genießen.“
„Super Idee“, warf Hidan brummig ein. „Ihr vögelt euch glücklich und Daisuke und ich spielen Taschenbillard, oder was?“
Daisuke protestierte: „Ne, ich wichse nicht in deiner Gegenwart, und du hoffentlich auch nicht.“
„Was meinst du?“, fragte Kakuzu an Samya gerichtet. Sie hatte heute trotz Hidans Niederlage dermaßen gute Laune, dass sie sich gerne mit Kakuzu herumwälzen würde. Und wen juckte es hier auch? Es war ja nicht so, als würde jemand kontrollieren, ob sie um 10 schon brav im Bettchen lagen. Also nickte sie, packte oben schnell ihre Sachen zusammen und ging in Zimmer 408, während Hidan zu Daisuke zog und Kisame ihr im Vorbeigehen zuzwinkerte. Wegen der ungewohnten Umgebung konnte sich Samya nicht so fallen lassen, wie sie es gerne getan hätte, zumal sie die anderen nicht mit ihrem Geschrei stören wollte, daher war es nur eine ruhige, dennoch angenehme Erfahrung, die Samya weit nach Mitternacht wohlig in Kakuzus Arme gekuschelt einschlafen ließ.
Am nächsten Tag strömten alle Schüler schwatzend in jenen Saal, in dem alle Wettkämpfe außer Sport stattgefunden hatten. Die sechs setzten sich auf ihre Plätze und warteten gespannt auf die Preisverleihung. Diese dauerte sehr lange, da alle 80 Schule mit ihrer erreichten Punktzahl genannt wurden. Die Minami hatte es nicht mal in die Top 50 geschafft, was Samya sehr zufrieden und schadenfroh grinsen ließ. Je höher der Moderator in der Platzierung kam, desto unruhiger wurden Samya und die anderen. Die Higashi wurde auch bei Platz 10 nicht erwähnt, auch nicht bei Platz 5, und nicht bei 3.
Sie warfen sich Blicke zu.
„Und nun bitte ich die beiden topplatzierten Schulen, die Higashi Oberschule in Okaya-shi, und die Kokusai Oberschule in Meguro, Tokio-shi, zu mir auf die Bühne“, sagte der Moderator.
Die zehn Schüler erhoben sich und stellten sich auf der Bühne im Hintergrund nebeneinander auf. Samya stellte fest, dass das Mädchen mit den blonden Locken auf die Kokusai ging.
„Beide Schulen haben eine Punktzahl von mehr als 470 erreicht, was alleine schon sehr stark ist und bisher noch nie erreicht wurde. Die Plätze unterscheiden sich auch nur durch einen einzigen Punkt. Also ein Sieg war ausschlaggebend für das Ergebnis. Es war noch nie so spannend beim Iken-Kontest. In Biologie hat Samya Tamashi aus Okaya-shi besser abgeschnitten. In Geschichte war es Yoshi Tatsuge aus Tokio-shi. In Mathematik Kakuzu Kizuato aus Okaya-shi. In Englisch Yumene Mizunaka aus Tokio-shi. In Chemie Akane Senshi aus Okaya-shi. Sie sehen also, es ist ein ausgeglichenes Duell zwischen der Higashi Oberschule und der Kokusai Oberschule. Beide Schulen haben aufgrund ihrer Leistungen in den vergangenen zwei Tagen bewiesen, dass sie es verdienen, hier oben zu stehen. Und es entscheidet sich, wie gesagt, nur durch einen einzigen Punkt.“
Der Moderator machte eine lange Pause, ließ die Spannung wirken.
„Und mit einem Punkt Vorsprung, genauer gesagt mit einer Gesamtpunktzahl von 474 von 480 möglichen Punkten, gewinnt.. die.. HIGASHI OBERSCHULE AUS OKAYA-SHI!“
Musik ertönte, Applaus brandete auf, der Moderator klatschte Beifall, die anderen um Samya herum jubelten, schlugen ein, lachten, hüpften, die Schüler der Kokusai kamen vorbei, schüttelten den Siegern die Hände, Akane ging nach vorne, nahm den Pokal entgegen, hielt eine Dankesrede. Alles passierte, nur Samya nahm nichts mehr davon auf. Sie stand auf der Bühne und weinte, weinte vor Freude, und sie schämte sich nicht dafür. Es war beinahe so, als könnte sie hören, wie die Lehrer und Schüler der Higashi Oberschule, 93 Kilometer von hier entfernt, applaudierten und feierten, dass sie zum ersten Mal den Iken-Kontest gewonnen hatten. Es war, als könnte sie Kakashis stolzes Gesicht vor sich sehen, wie er eine Träne verdrückte, dass ausgerechnet sie zu diesem Sieg beigetragen hatte. Alles, was in den letzten Monaten geschehen war, machte dieser eine Moment wieder wett.
~~~
TRIGGERWARNUNG
Diese Geschichte enthält TEILWEISE detaillierte Einzelheiten über Suizid, Selbstverletzung, Nahtoderfahrungen, Todeswünsche, Mobbing, Drogenkonsum und -missbrauch, sexuelle Übergriffe u.A. an Kindern (nicht detailliert), Misshandlungen u.A. von Kindern (nicht detailliert) und Sex (nicht mit Kindern).
~~~
Die Feiertage waren schnell vorbei und Samya dachte erst wieder an Kakashi, als dieser ihr am 31. Dezember ein Selfie von sich und Pakkun zusammen mit Geburtstagswünschen schickte. Sie fürchtete sich ein wenig vor dem Gespräch mit ihm, zumal sie sich vorgenommen hatte, auch ihm die Wahrheit zu sagen. Als sie am Mittag von Kakuzu zu Kakashis Wohnung gebracht wurde, stieg sie mit einem mulmigen Gefühl die Treppen hoch. Sie schloss die Tür auf und wie erwartet brannte in der Küche Licht und Pakkun kam ihr mit freudig wedelndem Schwanz entgegengelaufen. „Hii, Schatzi, frohes Neues!“
Kakashis Kopf schob sich um die Ecke zum Flur und er grinste sie an. „Willkommen im Jahr 2023.“
„Gleichfalls“, lächelte Samya zurück, stellte ihre Reisetasche ab, zog sich Mantel und Schuhe aus und kam zu Kakashi in die Küche, wo er auf dem Esstisch eine Zeitung ausgebreitet hatte. Daneben lag ein Geschenk. Sie wurde etwas nervös bei dem Anblick. „Ähm.. Ist das für mich?“
„Ja. Noch mal persönlich herzlichen Glückwunsch“, antwortete Kakashi, setzte sich vor seine Zeitung und schob das Paket über den Tisch, wo sich Samya ebenfalls niederließ. „Das.. Das wäre nicht nötig gewesen.“ Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte, dass Kakashi sie beschenkte, nachdem er sie nackt gesehen und ein Gespräch angekündigt hatte. Der kleine Teufel auf ihrer Schulter schrie gierig nach einem Set Dessous, der Engel jedoch befürchtete das Schlimmste. Wegen ihrem unausgesprochenen Ehrenwort gegenüber Tsunade ignorierte sie den Teufel und entpackte einen Kerzenständer, auf den „Du bist wichtig“ graviert war. „Oooh“, machte Samya.
„Ich bin ziemlich unkreativ, was Geschenke angeht“, sagte Kakashi und fuhr sich durch die Haare. „Aber ich fand die Symbolik dahinter auch toll. Damit machst du dir Licht, wenn es um dich herum zu dunkel ist. Na ja. In meinem Kopf klang das besser. Ich hab’s in einem Laden in Osaka gesehen und musste sofort an dich denken.“
„Danke“, sagte Samya aufrichtig und lächelte ihn breit an. „Das ist wirklich schön.“ Sie stellte den Halter neben sich auf die Tischplatte und betrachtete ihn. „So viele Geschenke habe ich echt noch nie bekommen.“ Gedankenverloren fuhr sie mit der Hand zu dem Entengesicht, das unter dem Herz-Anhänger an einer Kette baumelte.
„Was gab es dieses, beziehungsweise letztes Jahr denn noch?“
„Mh, also von Kakuzu diese Kette“, sie hielt die Ente hoch, „von Katen und Cara ein Flaschenlicht, von Ino, Sakura und Hinata eine doppelwandige Tasse mit Katzengesicht und von Hidan, Madara, Pain, Itachi und Kisame ein Kartenspiel.“
„Klingt interessant. Sollen wir das mal in unsere Spieleabende integrieren?“
Samya hob die Augenbrauen. „Ich glaube eher nicht. Das ist so ein Ding für Partys und so. Also.. ein Sex-Spiel. Quasi wie ‚Ich hab noch nie‘. Man muss trinken, wenn man das auf der Karte schon mal gemacht hat. Für uns war das echt lustig, Hidan war ziemlich besoffen, als er gegangen ist, aber für uns beide wäre das wohl nicht so wirklich geeignet.“
Kakashi nickte langsam. „Verstehe. Da hast du vermutlich recht.“ Er machte ein Gesicht, als wäre ihm etwas unangenehm, und Samya ergriff die Gelegenheit beim Schopf und sagte: „Du wolltest mit mir über etwas reden, wenn wir wieder hier sind.“ Nervös rutschte sie auf ihrem Stuhl herum und betete, obwohl sie nie betete, dass er sie nicht vor die Tür setzen würde.
„Äh, ja. Wir sind im Grunde schon beim Thema. Es geht mir um diese.. ich weiß nicht, wie ich es nennen soll, ohne dir zu nahe zu treten, aber man könnte es fast als Spannung bezeichnen. Wenn man zusammenlebt, was ja für uns als Lehrer und Schülerin sowieso sehr ungewöhnlich ist, kann es schon mal vorkommen, dass man den anderen in Lagen sieht, in denen man ihn nicht sehen sollte. Spezifisch meine ich damit.. na ja, den Moment vor meiner Abreise, oder den Morgen, als ich verschlafen habe, oder andere Sachen. Auch wenn wir uns aktuell eine Wohnung teilen und wir uns generell eher nahe stehen, würde ich behaupten, ist es doch unangebracht, dass wir beide in solche Situationen geraten. Das ist absolut kein Vorwurf gegen dich, du kannst da am wenigsten für. Wenn ich die Badezimmertür nicht abschließe oder meinen Wecker nicht stelle und du dann eben.. du weißt, was ich meine, dann ist das meine Schuld. Ich hätte auch letzte Woche aufpassen und nicht einfach ohne Ankündigung hereinstürmen sollen. Es war nicht meine Absicht, dich so zu sehen.“
„Ist nicht schlimm“, warf Samya sofort ein. Kakashi tat ihr leid, wie er da so mit geröteten Wangen vor sich hin druckste. „Irgendwie sind wir ja jetzt quitt. Ich hab dich gesehen, du hast mich gesehen.“
„Doch, eigentlich ist das schlimm“, erwiderte er. „Samya, wir sind keine Kinder, die aus Neugierde ihre Geschlechtsteile miteinander vergleichen. Wir sollten uns so nicht sehen, das ist auf allen Ebenen unangebracht. Du bist, beziehungsweise warst bis gestern noch minderjährig“, er machte eine kurze Pause und atmete tief ein, „und du bist meine Schülerin. Wie gesagt, man kann es nicht immer unbedingt vermeiden, aber wir, besonders ich, sollten viel mehr darauf achten, dass wir solche Begebenheiten zukünftig nicht mehr zulassen. Irgendwie müssen wir einfach die letzten Wochen bis zu deinem Abschluss rumkriegen – und hoffentlich ohne weitere Zwischenfälle.“ Er seufzte. „Ich will nicht aufdringlich wirken, aber hast du dich schon nach einer Wohnung umgesehen? Oder willst du warten, bis du die Ergebnisse der Prüfungen hast?“
Wieder wurde Samya nervös. „Mh, da will ich lieber warten. Ich weiß ja noch nicht genau, was ich machen werde. Aber versprochen: sobald ich das weiß, kümmer ich mich um was Eigenes.“
„Und hast du dir schon überlegt, ob du Suta anzeigen möchtest?“
Samyas Nervosität wurde nicht besser. Sie hatte sich in den endlosen Nächten ohne Schlaf viele Gedanken darüber gemacht und war schon vor langer Zeit zu seinem Entschluss gekommen. „Ich werde sie nicht anzeigen.“
„Wieso nicht?“, stieß Kakashi hervor und als er Samyas unsicheren Blick bemerkte, senkte er die Stimme: „Ich weiß, dass das schwer ist, aber du solltest das nicht einfach auf dir sitzen lassen. Sie hat dich jahrelang misshandelt, vergiftet–“
„Ich weiß“, fiel Samya ihm ins Wort und atmete entschlossen ein. „Ich verstehe, wenn das niemand nachvollziehen kann, besonders du nicht, aber ich will diesen Schritt nicht gehen. Ich möchte eher daran arbeiten, also wirklich“ – sie schmunzelte – „dass ich irgendwann reif genug bin, ihr gegenüberzutreten. Das ist nicht jetzt und das wird vielleicht auch nicht mehr dieses Jahr passieren, aber.. Ich weiß nicht, für mich ist es irgendwie feige, wenn ich mich an die Justiz wende. Wahrscheinlich würde sie eh nur Bewährung kriegen und was bedeutet das schon? Nein.“ Sie ruckte mit dem Kopf. „Ich will das für mich alleine klären, wenn ich stark genug dafür bin. Ich hoffe, du akzeptierst meine Entscheidung.“ Kakashi nickte, auch wenn sein Blick wehmütig wirkte. Samya räusperte sich, um den anschwellenden Kloß in ihrem Hals zu lösen. Es war Zeit. Hitze, bestehend aus Angst und einem Hauch Verzweiflung ließen Samyas Blick verschwimmen. „Ich muss dir etwas sagen.. Bitte, sei nicht böse auf mich.“
Überrascht hob Kakashi die Augenbrauen. „Was ist los?“
Nur mit Mühe erzählte sie Kakashi die Wahrheit. Sie nutzte ein paar von Kakuzus Argumenten, dass eine Therapie ja nichts brachte, wenn man sie selber nicht wollte, und dass sie in ihrem eigenen Tempo heilen müsste. Sie traute sich während ihres Monologs nicht, Kakashi in die Augen zu sehen, und als sie geendet hatte, starrte sie weiterhin die Maserung der Tischplatte an.
Kakashi seufzte erneut, dieses Mal schwerer. „Danke, dass du mir das sagst. Es muss dich eine Menge Überwindung gekostet haben.“
Samya nickte.
„Ich kann nicht behaupten, dass ich nicht enttäuscht bin, aber ich verstehe dich. Therapie ist schwierig und wenn du noch nicht dazu bereit ist, deine Vergangenheit zu verarbeiten, dann ist das eben so.“
Samya nickte erneut.
Kakashi stand auf, kam um den Tisch herum, hockte sich neben Samyas Stuhl und sah ihr von unten in die wässrigen Augen. „Hey, es ist okay. Du musst dich dafür nicht fertig machen.“ Er lächelte ihr aufmunternd zu. „Vergessen wir das einfach, ja?“
Samya konnte es einfach nicht fassen, wie verständnisvoll Kakuzu und Kakashi die Wahrheit aufgefasst hatten. Sie hätte alles erwartet, nur keine Vergebung. Auch wenn es ihr mental nicht sehr viel besser ging und sie noch immer mit ihren Gedanken an Suta, Hiroki und Kassie kämpfen musste, war es doch eine Erleichterung, dass sie sich nun zumindest nicht mehr verstecken musste. Gespräche waren doch gut, man sollte nur nicht unbedingt alles falsch interpretieren.
Mit einem viel leichteren Herzen konnte sich Samya für den Endspurt Richtung Aufnahmeprüfungen machen, die am ersten Wochenende nach den Winterferien stattfinden sollten. Die letzten Tests, die die Lehrer schreiben ließen, sahen bei Samya ganz gut aus. Selbst in Physik hatte sie mittlerweile zu ihrer eigenen Überraschung eine 5 erreicht. Wenn sie diese Leistung in den Prüfungen halten könnte, würde sie die Qualifikation für die Shinshu schaffen – obwohl sie sich noch immer nicht allzu große Hoffnungen machte.
Nach Nächten des Lernens, last-minute Nachhilfestunden bei Kakuzu und mindestens zwei Panikattacken war es endlich Samstag, der 14. Januar 2023. Alle Schüler der Higashi und Minami Oberschule fanden sich im Gemeindezentrum ein, in dessen Räumen das Testzentrum aufgebaut worden war. Samya versuchte krampfhaft, nicht ihre ehemaligen Mitschüler anzusehen. Aus dem Augenwinkel erkannte sie Asuka und Masahiro, die trotz der Eskapaden mit Samyas Blowjob-Foto nach wie vor ein Paar waren. Wie eine Königin stolzierte sie durch die Gänge und bedachte jeden anderen mit einem abfälligen Gesichtsausdruck. Samya hasste sich selbst dafür, dass sie es jemals zugelassen hatte, sich von so einer fertigmachen zu lassen. Setsuko und ihre Clique waren von ähnlichem Schlag, wenn auch nicht so schlimm. Seit Samya es sich angewöhnt hatte, ihre Sprüche zu ignorieren, kamen viel seltener welche.
Im Vorbeigehen erhaschte sie auch einen Blick auf Mariko, die allein mit ihrer Tasche in der Hand in einer Ecke stand und leise vor sich hinmurmelte, als würde sie mathematische Formeln wiederholen. Sie wirkte ehrlich gesagt ein wenig durchgeknallt und Samya verspürte Mitleid ihr gegenüber. Seit ihrem Gespräch im August hatte sie nichts mehr von ihrer ehemaligen besten Freundin gehört. Sie hatte sich nicht bereit dazu gefühlt, Mariko ihren Verrat zu vergeben. Asuka hatte eine sehr manipulative Ader, daher konnte Samya nachvollziehen, warum Mariko ihr geglaubt hatte, doch sie hätte erwartet, dass ihr die Freundschaft zu Samya mehr wert wäre als „zu den Coolen zu gehören“. Klar, Samya war nicht cool, würde sie auch nie sein, aber nur wegen dämlicher Oberschul-Prestige eine langjährige Freundschaft zu kündigen war absolut niederträchtig. Nun jedoch schien Mariko einsam zu sein. Keiner von der Minami machte Anstalten, zu ihr zu gehen. Dieses Gefühl kannte Samya nur zu gut und trotz all der Enttäuschung wollte sie nicht, dass Mariko sowas durchmachen musste. Sie wollte gerade auf Mariko zugehen, als eine vertraute Stimme hinter ihr sagte: „Hi, Samya.“
Samya drehte sich um und starrte wie eingefroren in die kalten, grau-grünen Augen von Masahiro. Von Asuka war keine Spur. „Wo ist denn dein Frauchen?“, fragte Samya und war selber überrascht über ihren Mut.
„Sie holt uns einen Kaffee. Willst du auch was trinken?“ Er grinste widerlich und Samya wusste, worauf er anspielte.
„Gibt’s hier ein Problem?“, fragte Kakuzu, der mit zwei To-Go-Bechern in der Hand hinter Masahiro stand und ihn um einen ganzen Kopf überragte. Masahiro schien zu schrumpfen, als er Kakuzus Muskeln unter dem Pulli und generell seine schiere Größe musterte. „Äh.. Nein, ich wollte nur mal ‚Hallo‘ sagen“, stotterte Masahiro vor sich hin und duckte sich weg.
Kakuzu reichte Samya einen der Becher, der bis an den Rand gefüllt war mit einem dampfenden Latte Macchiato. „Wer war das?“, fragte er.
Samya schüttelte abwertend den Kopf. „Nur einer der Wichser von der Minami. Er war der Grund, weshalb das alles angefangen hat, aber jetzt bemerke ich, wie dumm das eigentlich alles war. Lass uns nicht darüber reden, sonst werde ich noch wütend.“
Ein Gong hallte durch die Flure und kündigte an, dass die Prüfungsräume geöffnet wurden. Mit ihrem Leitzettel in der Hand trennte sich Samya von Kakuzu, der einem anderen Raum zugeteilt war, ließ sich von dem alten Prüfer vorne am Tisch direkt am Eingang ihre Anwesenheit quittieren und suchte die Tischnummer, die auf dem Zettel vermerkt war. Als sie sich hingesetzt, ihr ausgeschaltetes Handy offen vor sich auf den Tisch gelegt und sich Stifte bereitgelegt hatte, blickte sie sich um. Mit ihr wurden noch 17 andere Schüler geprüft und zu Samyas Erleichterung stelle sie fest, dass keiner davon zu den Mobbern von der Minami gehörte. Weiter vorne erkannte sie den Hinterkopf von Choji, zwei Reihen neben sich Akane und hinten in der Ecke saß Deidara, ansonsten kannte sie die Gesichter nur flüchtig.
Der Prüfer schloss die Tür und teilte ihnen allen versiegelte Umschläge aus, die sie bis Punkt 9 Uhr geschlossen halten sollten. Zuerst war Japanisch dran und eigentlich fühlte sich Samya gut vorbereitet. Sie hatte nie Probleme mit den ganzen Schriftzeichen oder der Grammatik gehabt. Sie fragte sich nur, 15 Sekunden vor 9, ob sie versagen würde und Kakashi enttäuscht von ihr wäre. Doch bevor sie diesen Gedanken richtig ausschlachten konnte, gongte es erneut und alle öffneten ihre Umschläge.
29,5 Stunden und sechs Prüfungen später war es vorbei. Am Sonntag um halb 3 strömten die Schüler von Okaya erleichtert ins Freie. Sie hatten es geschafft. Solange keiner von ihnen ein Ronin wurde und die Prüfungen nächstes Jahr wiederholen musste, waren sie frei von allen Lasten. Es hatte sich entschieden, ob und an welche Uni sie gehen würden, und von nun an hieß es nur noch warten. In sechs Tagen würden die Ergebnisse auf der Seite der Stadt bekannt gegeben werden und anschließend konnten die zukünftigen Absolventen sich darum kümmern, Gespräche mit den Universitäten zu führen. Egal ob Samya die Noten für die Shinshu geschafft hatte oder nicht, hatte sie davor noch am meisten Angst. Zwar probten sie in der Schule ab und zu solche Gespräche und die Lehrer teilten ihnen mit, welche Fragen dort gestellt würden, doch Samya wusste, dass sie versagen würde. Sie war sozial einfach nicht kompetent genug, besonders wenn es um ihre Zukunft ging.
Samya hatte sich vorgenommen, sobald die Prüfungen vorbei waren und sie sich darum keine Sorgen mehr machen müsste, würde sie es endlich wagen, Mariko zu verzeihen. Ihr Anblick war bemitleidenswert gewesen und Samya wollte ihr eine bessere Freundin sein, als jede von ihnen es der anderen gewesen war. Ja, Mariko hatte sich völlig daneben benommen und Samya hatte sie dafür leiden lassen wollen, dennoch hatte sie die Isolation nicht verdient. Mit dem leisen Hintergedanken, ob es nicht doch ein Fehler sein könnte, schrieb Samya Mariko noch an diesem Nachmittag eine Nachricht, ob sie sich zur Feier des Prüfungsendes treffen wollten, und Mariko antwortete sofort mit einem eventuell sehr verzweifelt klingenden „Ja“.
Es tat gut, selber jemandem zu vergeben. Insgeheim hatte Samya Mariko immer vermisst, auch wenn sie es nie zugegeben hätte. Früher hatten sie über alles reden können, ohne dass Samya sich Gedanken machen musste, was Mariko von ihr halten würde. Sie kannten gegenseitig ihre dunkelsten Geheimnisse. Mariko wusste, dass Samya trotz ihrer vorgegaukelten Vergangenheit ihren Vater geliebt hat, und Samya wusste, dass Mariko dafür verantwortlich war, dass der Kindergarten abgebrannt ist, auf dessen Grundstück nun das Haus stand, in dem Samya den Großteil ihres Lebens verbracht hatte. Mariko hatte damals, obwohl es ihr von den Kindergärtnerinnen mehrfach verboten war, mit Streichhölzern gezündelt. Niemand war verletzt worden, alle Kinder und Erwachsene sind rechtzeitig rausgekommen, doch Mariko hatte sich seitdem ständig Vorwürfe gemacht. All die Jahre war nie ans Licht gekommen, was den Brand verursacht hatte. Nur Samya und Mariko kannten die Wahrheit. Und das Vertrauen zwischen ihnen war bis letztes Jahr auch groß genug gewesen, dass Samya niemals darüber geredet hätte.
Jetzt war sich Samya allerdings nicht sicher, was sie Mariko verraten konnte. Natürlich erzählte sie, was mit Hiroki, Kassie, Madara und Hotaru los war, doch ihre heimlichen sexuellen Fantasien mit Kakashi behielt sie dennoch für sich. Vielleicht war es auch deshalb, weil sie sich selbst nicht eingestehen wollte, überhaupt an ihren Lehrer zu denken, wie er nackt unter der Dusche steht, sie küsst, sie berührt, sie gnadenlos an die Wand fickt. Das war etwas, womit sie alleine klarkommen musste.
Alles in allem war Samya froh, ihre alte Freundin wiederzuhaben. Und auch Mariko war froh, wieder mit jemandem reden zu können. Sie hatte seit Samyas Abgang von der Minami viel durchgemacht und sich von allen zurückgezogen, was Samya nur allzu gut nachvollziehen konnte. Trotz der bestehenden Geheimnisse zwischen ihnen dauerte es nicht lange, bis ihre Freundschaft auf längst vergessene Höhen katapultiert worden war. Es war, als wäre nie irgendetwas geschehen. Samya lud Mariko sogar zum Flimmer-Tag bei den Uchihas ein. So wurde jener Tag genannt, an dem die Prüfungsergebnisse online gestellt wurden. Aufgrund der Spannung, die in den Schülern und ihren Familien herrschte, flimmerte die Luft quasi wie eine Art drohendes Gewitter.
Bei den Uchihas wurde gleichzeitig eine kleine Party im Poolhaus veranstaltet, die das Ende ihrer Schullaufbahn einläuten sollte. Es kamen nicht viele Gäste, da die meisten am Mittag bei ihren Familien sein wollten, um die Ergebnisse zu zelebrieren oder die Zukunft zu besprechen. 12 Uhr rückte immer näher und trotz der erheiternden Klänge von Avicii im Hintergrund wirkte jedes Lachen gezwungen.
„Es ist gleich so weit, kommt mal alle her“, rief Madara und schaltete die Musik aus.
Alle waren: Samya, Mariko, ganz Akatsuki, Sasuke, Sakura, Ino, Akane, Daisuke und Shiro. Sie drängten sich um die Couch und Madara übertrug seinen Laptop-Bildschirm auf den großen Fernseher an der Wand. Auf der Internetseite der Stadt prangte über allen sonstigen Artikeln und Ankündigungen ein leuchtend roter Button, der den Besucher zum Login der Prüfungsstelle führte.
„Wer will zuerst?“, fragte Madara und schaute in die Runde.
„Ich“, kam es von Daisuke. „Dann kann ich gleich meine Ma anrufen.“ Er tippte seinen Anmeldecode und das Passwort ein, die sie alle nach den Prüfungen erhalten hatten, und nach einer kurzen Ladezeit erschien auf dem Bildschirm die Zahl „95/120“
Daisuke ließ ein erlöstes Seufzen vernehmen. „Halleluja! Ich kann mich für die Shinshu bewerben.“
Deidara klopfte ihm auf die Schulter, gab nun seine Anmeldedaten ein und freute sich über die 86. Sasori hatte eine 89 erreicht und war damit nur knapp an der Shinshu vorbeigeschlittert, Madara hingegen stellte mit einem lauten Aufschrei fest, dass er genau 90 hatte und umarmte stolz Itachi, als dieser ebenfalls mit 93 auf die Shinshu gehen konnte. Kakuzu schoss den Vogel ab, als seine 114 durch den kleinen Raum funkelte. Alle jubelten und Deidara rief laut: „Da ist unser Streber!“ Akane war mit ihren 112 nur sehr knapp dahinter, nahm den zweiten Platz aber mit einem breiten Grinsen an. „Für meine Eltern ist das mehr als genug“, sagte sie fröhlich und setzte sich wieder, um den anderen die Möglichkeit zu geben, ihre Ergebnisse abzurufen. Bei Shiro waren es 70, Kisame hatte 79, Pain 76, Ino 69, Sakura 61, Sasuke 84, wodurch auch er leider nicht an die Shinshu gehen konnte, und Mariko 92. Mit zittrigen Fingern ging Samya zu Madara, meldete sich an und starrte gespannt auf den Monitor, auf der die Seite lud und ihr nach endlosen, schweißgebadeten Minuten eine große „101/120“ in die Fresse drückte.
Samya bekam den Tumult um sie herum kaum mit. Die 101 vor ihr verschwamm ein wenig und irgendwo, ganz tief in ihr drinnen, löste sich ein Knoten. Allmählich begriff sie, was diese Zahl bedeutete. 101 Punkte. 101 von 120 möglichen Punkten. Damit hatte sie die Anforderung für die Shinshu weit überschritten.
Erst jetzt spürte sie einen Arm um sich. Madara, der neben ihr auf der Couch saß, drückte sie und grinste sie an. Schwerfällig lächelte sie zurück. Sie konnte ihren Körper noch gar nicht wieder richtig spüren. Alles in ihr war taub und sie hatte Mühe damit, diese unfassbar positive Nachricht zu verarbeiten.
„Freu dich doch mal!“, lachte Kisame und wuschelte Samya durch das Haar.
„Tu ich ja, nur..“ Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. „Es fühlt sich so surreal an.“
Akanes blauer Haarschopf schob sich in Samyas Blickfeld. „Ganz ehrlich? Ich glaube, mit dem Ergebnis bist du an der Higashi auf dem dritten Platz. Das ist wirklich krass.“ Auch sie umarmte Samya kurz.
Automatisch erhob sie sich und glitt ohne große Bewegungen zurück zu Mariko, Hidan und Kakuzu, die ihr entgegen grinsten. Unterwegs klopften ihr noch Ino, Sakura, Itachi und Pain auf die Schultern und gratulierten ihr. „Ich habe Physik bestanden“, sagte Samya tonlos, als sie bei den anderen angekommen war. „Das ist dein einziger Gedanke?“, lachte Hidan und drückte Samya, was ihm Mariko und Kakuzu gleich taten.
„Du weißt aber, was das heißt, oder?“, fragte Mariko und richtete Samyas Pony, den ihr Kisame durcheinander gebracht hatte. „Wir können auf die Shinshu.“
Samya nickte und es war, als hätte jemand die Lautstärke aufgedreht. Plötzlich hörte sie wieder die Stimmen und das Gelächter der anderen und allmählich sackte die Tatsache in ihr Gehirn: Sie konnte tatsächlich auf die Shinshu gehen. Das, was sie sich seit der Mittelschule gewünscht hatte, um einen guten Job zu finden, viel Geld zu verdienen und unabhängig von Suta zu sein, war endlich eingetreten. Sie konnte sich bewerben. Sie konnte sich an der Shinshu bewerben. Ihre Zukunft war gesichert.
Hidan räusperte sich und ging als letztes zur Couch, meldete sich an und wartete gespannt auf sein eigenes Ergebnis. Die Stimmung, die wegen des erfolgreichen Tages so ausgelassen war, gefror, als alle Blicke den Fernseher trafen. Mit einem Mal war es völlig still.
„Tja“, machte Hidan, erhob sich, sodass sein Kopf die „39/120“ verdeckte, drehte sich mit einem aufgesetzten Grinsen um und fragte in einem Tonfall, der übertrieben fröhlich klang: „Machen wir jetzt richtig Party, oder was?“
Keiner rührte sich. Alle Augen waren auf Hidans blasses Gesicht geheftet, der die Blicke mied, hinüber zur Stereoanlange ging und die Musik wieder einschaltete. Der Bass wummerte los und ließ die anderen zusammenzucken. Madara stand ebenfalls auf, holte aus der Hosentasche einen Joint und zündete ihn an. Die Gespräche flammten wieder auf und das Gelächter fing wieder an, doch Samya beobachtete Hidan, wie er mit dem Rücken zum Raum neben der Anlage stand und nichts weiter tat. Vorsichtig näherte sie sich ihm. „Hidan?“
Er ruckte den Kopf in ihre Richtung und grinste so falsch, dass es fast schon wie die Parodie eines Grinsens aussah. „Ich freu mich für dich.“
Samya wusste nicht genau, was sie zu ihm sagen sollte. Im Grunde hatte jeder geahnt, dass er die Prüfungen nicht bestehen würde, Hidan inklusive, doch es nun tatsächlich bestätigt zu wissen, war wie ein Schlag in die Magengrube. Selbst solche pseudo-aufmunternden Aussagen wie „Hey, viele werden zum Ronin und probieren es nächstes Jahr einfach noch mal“ waren wenig hilfreich, weil die Ronin-Quote an der Higashi sehr niedrig war und wie Samya ahnte, war Hidan dieses Jahr der Einzige, der die Prüfungen nicht bestanden hatte. Daher wollte sie über eine andere Schiene an ihn herankommen und fragte: „Sollen wir uns die Birnen wegdröhnen?“
Nach einem kurzen Zögern nickte Hidan und folgte Samya zur Couch, um sich an dem Gras bedienen. Sie war erleichtert darüber, dass er sie nicht weggeschickt oder ignoriert hatte. Je weiter der Nachmittag voranschritt und Mitternacht immer näher rückte, desto größer wurden Samyas Sorgen. Sie konnte und wollte Hidan nicht alleine lassen. Wenn er betrunken und bekifft war, war er wenigstens ablenkt, aber was war mit morgen? Und den nächsten Wochen? Natürlich konnte sie nicht 24/7 bei ihm sein und sie wusste, dass er sich schneiden würde. Alles, was sie hoffen konnte, war, dass Hidan sie anrief, wenn dieser Fall eintrat, und sie ihm zur Seite stehen konnte.
Durch Hidans Ergebnis war Samyas Freude über ihr eigenes ein wenig gedämpft. Erst als sie mit dem Zweitschlüssel die Tür zu Kakashis Wohnung aufschloss und feststellte, dass er noch im Wohnzimmer saß und eine Tierdoku schaute, fiel es ihr wieder ein. Kaum hatte Samya die Tür hinter sich geschlossen und die Schuhe ausgezogen, stand Kakashi schon vor ihr. Er wirkte müde und sie fragte sich, ob er nur auf sie gewartet hatte. „Wie sieht’s aus?“
Samya atmete tief durch und sagte: „101.“
Es verging eine Sekunde des Schweigens, dann riss Kakashi die Augen auf und er strahlte von Ohr zu Ohr. „Wirklich? 101 Punkte? Das ist besser, als ich damals war.“ Er nahm sie in den Arm und hob sie hoch. „Ich bin so verdammt stolz auf dich.“ Er setzte sie wieder ab, ließ sie aber noch nicht los, sondern sah ihr mit blitzenden Augen ins Gesicht. „Und du hast dir Sorgen gemacht, du würdest nicht mal bestehen. 101.. Meine Güte. Damit steht dir die ganze Welt offen.“
Samya, dessen Wangen sich nicht nur vor Freude rot gefärbt hatten, sah beschämt auf einen von Kakashis Hemdknöpfen. „Ich weiß.. Ich mach mich immer kleiner, als ich eigentlich bin. Es ist eklig, aber ich bin eine von diesen, die sagen, sie seien voll schlecht, und dann haben sie ‘ne 10 geschrieben. Bah.“ Sie schaute hoch in Kakashis Gesicht, das noch immer glühte. „Weißt du was? Wir sollten zur Feier des Tages was trinken.“
„Äh“, machte Samya und hob die Augenbrauen. „Ich hab schon ein bisschen was getrunken. Und geraucht. Und du bist doch erwachsen, du solltest mir keinen Alkohol geben.“
„Scheiß drauf“, erwiderte Kakashi und löste sich von ihr. „So ein Ergebnis darf man nicht unbedacht lassen. Außerdem gibt es nichts Besseres als betrunken Twister zu spielen.“
Samya war sich nicht sicher, ob ein unkontrollierter Körperkontakt angemessen war, doch sie ließ sich darauf ein und sah dabei zu, wie Kakashi seine schmalzige Old-School-Musik anmachte, eine Flasche Whisky aus dem Kühlschrank holte, die Twistermatte im Wohnzimmer auf dem Boden ausbreitete und ihr ein Glas reichte. „Wir machen es immer so, dass wir bei jedem Dreh einen Schluck trinken müssen. Das wird lustig.“ Er lächelte verschmitzt, Samya nahm das Glas und fing an. Sie trank, platzierte ihren linken Fuß auf blau und danach dauerte es nicht lange, bis die beiden gehörigen Spaß an dem Spiel hatten. Mit dem steigenden Alkoholwert und der Verknotung ihrer Körper vertrieb es Samya zunehmend alle Hemmungen. Wo sie es zu Beginn noch vermieden hatte, Kakashi zu berühren, war es ihr eine Stunde später in keinster Weise unangenehm, dass ihr linker Arm zwischen seinen Beinen auf gelb hing und ihr Gesicht an seinem Bauch klebte. Mühsam nahm Kakashi die Hand von rot, nahm einen Schluck, wobei er die Hälfte seines Glases auf der Matte verteile, und musste seine linke Hand auf grün setzen. Auf dem Weg dahin knuffte er Samya in die Seite.
„Schiebung!“, rief Samya empört und trat zurück, wobei sie das Gleichgewicht verlor und Kakashi mit zu Boden riss. Mit einem gespielten Schrei fiel Samya auf den Rücken und Kakashi landete mit dem Kopf in ihrem Schoß, wo er lachend liegen blieb. „Du hast ja überhaupt keine Kontrolle über deinen Körper“, stieß er keuchend hervor und rieb sich den Ellbogen. „Oder ich werde einfach zu alt.“
„Du bist doch nicht alt..“, sagte Samya leise und strich ihm mit dem Finger über die schmalen Falten auf seiner Stirn. Sie unterdrückte den Drang, im Rausch noch mehr von ihm zu berühren.
Kakashis dunkle Augen huschten hoch zu Samyas Gesicht. „Du sollst nicht lügen.“
Samya legte den Kopf schief. „Okay, wenn man deinen Musikgeschmack betrachtet, bist du schon alt. Ich meine.. Britney Spears?“ Sie lachte kurz auf.
„Sag bloß keinen schlechten Ton über sie“, mahnte Kakashi und hob den Zeigefinger. „Die gute Britney-Bitch war zu meiner Schulzeit heiß begehrt. Damals hatte kein Junge sie nicht als Poster im Schrank hängen und hat.. Na ja.“ Es dudelte gerade „Sometimes“ aus den Boxen und plötzlich wurde Kakashis Lächeln schwächer und er starrte gedankenverloren die Zimmerdecke an. „Wow, das ist lange her.. Das lief auf unserem Abschlussball damals. Ich hab mit Shizune getanzt. Eigentlich kannten wir uns kaum, aber wir beide brauchten noch ein Date. Ich wär lieber mit Rin gegangen, aber da hätte Obito bestimmt was gegen gehabt.“ Pakkun kam an und schnüffelte an Kakashis Wange. Er hob die Hand, streichelte den Mops und sagte in weiterhin abwesendem Ton: „Ich habe es so geliebt, wenn sie getanzt hat. Am liebsten zu irgendwelchen Balladen. Die haben noch härter gekickt, wenn wir high waren. Und wir waren immer high, selbst beim Sex. Es gab eine Zeit, da konnte ich nicht mal einen hochkriegen, ohne vorher was geraucht oder geschluckt zu haben. Rin ging es genauso. Obito weiß das bis heute nicht, aber Rin und ich haben oft zusammen irgendwelche Pillen eingeworfen und miteinander geschlafen. Es war einfach viel intensiver dadurch. Vielleicht ein bisschen zu intensiv.“ Er seufzte. „Sie hat die ganze Zeit davon geredet, dass sie Stimmen hört und düstere Gedanken hat. Ich wollte nur abspritzen und hab sie ignoriert. Sie hat sich gewehrt, ich glaube jedoch nicht gegen mich, keine Ahnung, trotzdem hat sie mich verletzt. Ich war nur noch sauer darüber, dass sie mir das Gesicht zerkratzt hat und dass wir unseren Fick nicht mal beendet haben. Dann ist sie zum Rand des Daches. Ich habe nur halbherzig versucht sie aufzuhalten. Mein Verstand war einfach komplett weg. Ich habe nicht wirklich begriffen, was sie vorhatte, bis sie nicht mehr da war. Keine Ahnung, wie lange ich einfach nur dastand und nichts gemacht habe. Irgendwann bin ich runter gerannt. Diesen Anblick, von ihrem Gesicht, alles voll mit Blut, und ihre Augen dabei.. Das habe ich nie vergessen. Ihre Arme und Beine waren gebrochen und der Schädel war offen. Das letzte, das sie zu mir gesagt hat, war ‚Kakashi‘. Ich konnte sehen, wie sie stirbt, aber ich habe nichts dagegen getan. Weißt du, was ich getan habe? Ich habe ihre Hose geschlossen, damit niemand auf die Idee kommt, dass wir Sex hatten. Danach bin ich weggelaufen. Obito hat keine Ahnung, warum Rin auf dem Dach war, und dass sie noch gelebt hat, nachdem sie unten aufgeschlagen ist. Ich konnte ihm das nie sagen. Er hasst mich nur für die Tatsache, dass ich die Drogen besorgt habe und dadurch indirekt für Rins Tod verantwortlich bin. Wenn er wüsste, dass ich es hätte verhindern können.. Er würde mich viel mehr hassen. Und er hätte jedes Recht dazu. Ich bin ein verachtenswerter Mensch, Samya.“
Nach einer langen Pause schluckte Samya, unsicher bei dem radikalen Stimmungswechsel, und murmelte: „Das warst du früher vielleicht, aber jetzt bist du besser. Guck dir doch mal an, was du für mich und so viele andere Schüler machst. Du hast Hidan geholfen, eine Bleibe zu finden. So einen Menschen sollte man nicht verachten.“
Kakashis Blick traf wieder den ihren, was durch ihre große Oberweite kaum möglich war. „Denkst du das wirklich?“ Er stützte sich auf, drehte sich um und waren mit seinem Gesicht nun sehr nah an Samyas dran. Sie merkte, wie ihre Atmung schneller wurde und ihr Hitze ins Gesicht stieg. „Ich versuche seitdem ständig, meinen Fehler wiedergutzumachen, auch wenn ich das nicht kann. Wenigstens soll es anderen nicht ähnlich ergehen. Versprichst du mir etwas?“
Hastig nickte Samya und hatte Mühe damit, nicht in diese dunklen Iriden, die sich in ihre Seele zu bohren schienen, zu sehen.
„Bitte verlier niemals das Vertrauen in mich. Es bedeutet mir so viel, dass du an mich glaubst. Ich bin dir dankbar dafür.“ Für einen kurzen, wilden Moment lang glaubte Samya, dass sie sich jetzt küssen würden. Sie bereitete sich emotional bereits darauf vor, seine Lippen zu schmecken, doch alles, was sie heute Abend noch erreichte, war: „Wir sollten schlafen gehen.“
Am Sonntag wachten Kakashi und Samya zu Tode verkatert auf. Im Gegensatz zu Samya konnte sich Kakashi nicht an das erinnern, was nach Mitternacht noch geschehen war, und so beschränkten sie ihr Frühstück auf Onigri aus dem kleinen Kiosk ein paar Häuser weiter und brachten ihren Sauf-Abend nie wieder zur Sprache. Samya würde sich davor hüten, irgendein Wort über Kakashis Geschichte zu verlieren. Unter keinen Umständen wollte sie herausfinden, was passieren würde, wenn er herausfand, was er ihr alles erzählt hatte. Sie musste selber erst einmal damit klarkommen. Hatte sich ihr Verhältnis zu Kakashi verändert, nun, da sie wusste, dass er für den Tod eines Menschen verantwortlich war? Zu ihrer eigenen Überraschung lautete die Antwort „Nein“. Nach allem, was sie immer vermutet hatte, war ihr klar gewesen, dass Kakashi eine dunkle Vergangenheit verbarg. Niemand, der nicht solch grausame Dinge durchgemacht hat wie er, kümmert sich so intensiv um das Wohlbefinden anderer. Was immer Obito von Kakashi hielt, in ihren Augen hatte Kakashi für seine Sünden gebüßt und musste sich nicht mehr für Rins Tod schuldig fühlen.
Während Kakashi mit einer Packung Schmerztabletten auf der Couch lag und döste, musste Samya wieder einmal ihre Tasche packen. Sie war noch nie in Nagano gewesen und sie freute sich schon darauf, ihre Hauptstadt mal kennenzulernen. Der Iken-Kontest machte ihr zwar Angst, doch ihr überragendes Prüfungsergebnis milderte ihre Furcht. Direkt nach dem Aufwachen hatte sie sich noch einmal auf der Seite der Stadt angemeldet und die Details der Ergebnisse durchgelesen. In Bio hatte sie die vollen 20 Punkte erreicht und selbst ihre schlechteste Prüfung in Chemie und Physik waren immer noch 12 Punkte gewesen. Beides waren bei Weitem nicht ihre Glanzfächer, aber überhaupt mehr als die Hälfte der Punkte in einem Test zu erreichen, der Physik zum Inhalt hatte, war mehr, als Samya sich je hätte erträumen können. Sie war stolz auf sich. All das Pauken, Kakuzus Nachhilfe und Sennins Geduld hatten sich ausgezahlt. Wenn sie es jetzt noch schaffen würde, der Higashi zum ersten Platz beim Iken-Kontest zu verhelfen, würde sie die Oberschule mit der besten Reputation verlassen, die ihr möglich war.
Der Kleinbus, der Samya, Kakuzu, Hidan, Kisame, Akane und Daisuke nach Nagano fahren würde, holte die fünf Schüler am Montagmorgen zusammen mit ihrem Gepäck am Tor der Schule ab. Die anderen Schüler und Lehrer jubelten ihnen hinterher und Samya hatte das Gefühl, sie wären in Distrikt 1 und würden zu den Hungerspielen abreisen. Sie waren Champions. Hoffentlich würden sie das auch noch in drei Tagen sein.
Die Fahrt nach Nagano war unerwartet kurz und unspektakulär. Die sechs waren einfach zu müde, um groß quatschen zu können. Samya war die ganze Zeit über an Kakuzus Schulter gekuschelt und überlegte sich alle Szenarien, die sie in den nächsten Tagen erwarten würden. Der Kleinbus fuhr halb durch Nagano durch, wobei Samya wie ein Kleinkind fasziniert aus dem Fenster sah, und hielt endlich an einem großen Hotel, wo bereits andere Kleinbusse und viele Jugendliche standen. Samya hatte überhaupt nicht darüber nachgedacht, wie viele Menschen hier sein würden. In der Präfektur Nagano gab es 80 öffentliche Schulen und wenn jede davon sechs Teilnehmer zu dem Wettbewerb karrte, waren es 480 Schüler. Und gegen 79 davon musste Samya sich in Biologie behaupten. Sie hoffte inständig, dass sie nicht einen Blackout erlitt und vor den Augen der ganzen Präfektur versagte.
Eine hektisch wirkende junge Frau kam zu ihrem Bus, als sie gerade ihr Gepäck ausluden, und fragte kurz angebunden: „Welche Schule?“
„Higashi Oberschule, Okaya-shi“, antwortete Akane prompt.
Die Frau sah auf einer Liste auf ihrem Klemmbrett nach, wühlte dann in einem Beutel und holte ein Bündel Schlüsselbänder mit blassblauen Karten daran hervor. „Das sind eure. Tragt die bitte die ganze Zeit, wenn ihr auf dem Gelände unterwegs seid. Daran erkennt man, wer ihr seid und wo ihr hingehört.“ Ohne ein weiteres Wort eilte sie zum nächsten Kleinbus.
„Wie auf dem Fließband werden wir hier abgefertigt“, maulte Hidan.
„Was erwartest du? Bei der Menge an Leuten müssen die das so handhaben“, erwiderte Kakuzu.
Keiner von ihnen wusste so recht, wo sie jetzt hingehen sollten, bis sich Akane zu der Frau, die ihnen die Pässe gegeben hatte, durchkämpfte, einige Minuten später zurückkehrte und sagte: „Wir können schon rein und uns in unsere Zimmer einchecken.“
„Boah, endlich ‘ne Heizung“, kam es erleichtert von Hidan, der ihnen voran durch die Schülermassen in das Hotel stratzte. In der Lobby war es ruhiger, weil sich hier weniger Teilnehmer aufhielten. Sie meldeten sich an, erhielten drei Schlüsselkarten und machten sich auf den Weg in das vierte Stockwerk, wo ihre Zimmer lagen. Kakuzu und Hidan waren in Nummer 408, Kisame und Daisuke in 409 und Akane und Samya in 410. Die Zimmer waren nicht zu vergleichen mit dem im Zaitaku, in dem Kakuzu und Samya übernachtet hatten, doch sie waren alles andere als hässlich. Links an der Wand standen zwei einzelne Betten, gegenüber an der Wand hing ein Fernseher über einer Kommode, rechts ging ein kleines Badezimmer ab und hinten in der Ecke stand ein Tisch mit Mikrowelle und Wasserkocher.
„Lässt sich aushalten, oder?“, sagte Akane, als sie ihren Koffer auf das Bett am Fenster wuchtete und das Bad inspizierte.
Samya schmiss sich zusammen mit ihrer Reisetasche auf das andere Bett und stöhnte. „Viel besser als die Schlafcouch.“ Akane hatte sie kaum gehört, weil sie ausprobierte, welche Modi die Duschbrause hatte.
Die Mädchen waren gerade dabei, sich häuslich einzurichten, als plötzlich ein lauter Piepton durch den Raum schallte und eine Nachricht auf dem Fernseher aufploppte. „An alle Teilnehmer des Iken-Kontests.“
Gespannt setzten sich Akane und Samya auf Samyas Bett und sahen dabei zu, wie der Text in einer billigen Transition zu dem Gesicht eines alten Mannes wurde. „Guten Tag, sehr geehrte Schülerinnen und Schüler. Mein Name ist Akira Kitano. Ich bin seit 30 Jahren der Veranstalter des Iken-Kontests und heiße euch herzlich willkommen in Nagano-shi. Ihr seid sicherlich alle noch sehr aufgeregt und dafür haben wir Verständnis. Heute könnt ihr euch noch ausruhen, der Zimmerservice steht euch natürlich frei zur Verfügung. Morgen starten die ersten Wettkämpfe. In euren Zimmern liegt ein Programmheft aus, dem ihr die Termine entnehmen könnt. Wir bitten alle Teilnehmer, pünktlich zu erscheinen. Wie ihr wisst, wird der gesamte Kontest im Fernsehen übertragen. Diejenigen, die gerade nicht antreten, können entweder in ihren Zimmern auf Programm 9 den Wettbewerb verfolgen oder live in den Austragungshallen dabei sein.“
„Hallen?“, fragte Samya, war aber sofort wieder still, weil Kitano weiterredete.
„Selbstverständlich sollte währenddessen und auch vor und nach den Wettkämpfen Ruhe bewahrt werden, um die anderen Gäste und Teilnehmer nicht zu stören. Damit sei alles gesagt. Ich wünsche euch allen viel Glück und Erfolg. Vielen Dank.“
Der Bildschirm wurde wieder schwarz und Akane stand auf, nahm von dem Tisch in der Ecke einen Flyer, den sie bisher gar nicht beachtet hatten, und sie blätterte ihn auf. Biologie war morgen direkt als erstes um 10 Uhr. Samya war darüber sehr froh, weil sie es dadurch schneller hinter sich hatte.
Es klopfte an der Tür und die Jungs traten ein. „Yo, habt ihr das auch gelesen?“, fragte Daisuke und schwenkte die Broschüre durch die Luft.
Akane hielt ihre hoch. „Ich bin erst Mittwoch dran.“
„Direkt nach mir“, grinste Kisame und Samya spürte das Knistern zwischen ihnen.
„Ja geil, und ich bin als letztes dran“, murrte Hidan, warf sich neben Samya auf ihr Bett und legte die Hände aufs Gesicht.
Daisuke ließ sich auf Samyas anderer Seite nieder und sie rutschte ein wenig nervös umher. Seit er ihr die Droge verkauft hatte, durch die sie fast Suizid begangen hatte, war sie ihm nicht mehr so nahe gewesen. Auch ihren Kuss hatte sie nicht vergessen. „Das wird alles richtig spannend, Leute. Aber bis dahin können wir noch ein bisschen chillen. Sollen wir uns irgendwo ein ruhiges Plätzchen suchen?“ Er zog aus der Hosentasche eine Plastiktüte mit einem Joint.
„Lass lieber hinterher, ich bin viel zu nervös“, sagte Kisame, der sehr eng neben Akane saß.
„Aber die bringen einen runter“, entgegnete Daisuke und wippte mit den Augenbrauen.
Kakuzu, der als einziger nicht saß, sondern an der Wand lehnte, murmelte: „Wenn ich high bin, kann ich schneller denken, also warum nicht?“
„Noch schneller?“, lachte Kisame. „Vielleicht hättest du vor der Prüfung kiffen sollen, dann hättest du die volle Punktzahl erreicht.“
Kakuzu hob die Schultern. Daisuke schwang sich wieder auf die Beine. „Alles klar. Will noch wer?“
„Ach, warum nicht..“, murmelte Kisame, stand auf und hielt Akane die Hand hin. „Kommst du mit?“
„Und ihr?“, fragte Kakuzu an Hidan und Samya, die beide den Kopf schüttelten.
„Ich beginne morgen früh, da will ich vernünftig schlafen“, antwortete Samya.
Kakuzu bedachte die zwei mit einem undefinierbaren Blick, folgte aber Daisuke, Kisame und Akane aus dem Zimmer.
„Gute Entscheidung“, grinste Hidan und setzte sich auf. „Gras macht mich nur noch nervöser als ich eh schon bin. Ich will das nicht versauen, so wie meinen Abschluss.“
Samya kniff die Lippen zusammen. „Hast du dir denn schon überlegt, was du jetzt machen willst? Probierst du es noch mal?“
Hidan knibbelte an einem Loch in seiner Socke herum. „Keine Ahnung.. Darüber will ich mir keine Gedanken machen. Es wär mir lieber, wenn ich es einfach jetzt schon geschafft hätte. Ich weiß nicht, ob ich klug genug bin, um das alles noch mal lernen zu können.“
„Ich kann dir dabei helfen“, sagte Samya und ergriff seine Hand.
Hidan sah auf und lächelte vorsichtig. „Du hast mir doch schon geholfen. Trotzdem habe ich in Bio nur 10 Punkte gekriegt. Das war immerhin das Höchste, was ich hatte, also besser konnte es nicht werden.“ Er seufzte. „Ich werde einfach zum Bau gehen oder so. Da werden auch Leute gebraucht, weißt du?“
In Samyas Kopf tauchte sofort dieser Satz „Perle vor die Säue werfen“ auf, doch zum einen hasste Samya es, wenn Erwachsene dies zu ihr sagten, und zum anderen würde es Hidan nicht helfen. So sehr es sie auch schmerzte, dies zugeben zu müssen, aber aus akademischer Sicht hatte er einfach keine Perlen vorzuweisen. Sein Prüfungsergebnis war der stichfeste Beweis. „Sieh es doch positiv“, fing Samya an, ihn hoffentlich aufbauen zu können, „du bist heute hier, weil du der Beste in deinem Fach bist.“
„Pft“, machte Hidan. „Sport. Was soll man dabei schon verkacken? Deidara hat recht. Das ist nichts wert.“
„Sieh mich an“, sagte Samya und konnte nicht anders als lachen. „Wenn ich laufe, seh ich aus wie ein fetter Corgi. Ich nutze ständig aus, dass sich Gai keine Gesichter und Namen merken kann, um den Schwimmunterricht zu schwänzen. Bei Sport hechel ich nur in der hintersten Reihe rum und hoffe, dass mich keiner dabei sieht. Stell dich nicht unnötig unter den Scheffel. Du hast die beste Ausdauer von allen und fängst nicht mal nach diesem Monster-Marathon, den Gai uns ständig laufen lässt, an zu schwitzen. Du rockst das übermorgen, okay? Dann wirst du allen zeigen, wie gut du darin bist. Und vielleicht sieht dich ja irgendein Sport-Coach oder sowas im Fernsehen und wirbt dich an. Wer weiß.“
Auf Hidans Gesicht legte sich erneut ein Lächeln, dieses Mal war es breiter und es wirkte ehrlich. „Danke dir, das meine ich ernst.“ Er sah hinab auf seinen kaputten Socken. „Es tut mir leid, dass ich mich bei dir nicht mehr gemeldet habe.“
Samya schluckte schwer. „Hast du es getan?“
Wortlos zog sich Hidan das Shirt aus und offenbarte seinen vollkommen zerschnittenen Oberkörper. Überall auf seinen Oberarmen und seinem Bauch waren halbverheilte Wunden, die teilweise so tief waren, dass sie noch bluteten. Samya stand der Mund offen. So hatte Hidan sehr viel Ähnlichkeit mit Kakuzu und sie erschauderte.
„Ich kann einfach nicht damit aufhören“, flüsterte Hidan und Samya bemerkte eine gewisse Röte in seinen Augen. „Wenn ich die Klinge an meine Haut setze, vergeht der Schmerz für einen Moment. Aber er kommt wieder. Es wird nicht besser.“
Samya biss sich auf die Unterlippe. „Wie kann ich dir dabei helfen?“
„Gar nicht“, antwortete Hidan und zog sich wieder an. „Für mich gibt es keine Hilfe mehr. Ich habe keinen Sex mehr deswegen. Ich will nicht, dass das jemand sieht.“
„Aber du hattest doch vorher auch schon Narben“, sagte Samya leise und deutete auf seinen Schritt, wo er ihr damals im Kaufhaus die Verletzungen gezeigt hatte.
Hidan schnaubte. „Das? Die waren schon alt und lange verheilt. Die hab ich mir zugefügt, als ich zwölf war. Damals, als ich auf der Straße gelebt habe, hab ich einen Typen getroffen, Hiro. Er war mein Held, ironisch, ich weiß. Er hat mir gezeigt, wie man es richtig macht. Wie tief und in welche Richtung man schneiden muss, wenn man sich nur weh tun will oder wenn man sterben will.“
„Willst du denn sterben?“, fragte Samya und war unsicher, ob sie die Antwort überhaupt hören wollte.
Nur sehr langsam schüttelte Hidan den Kopf. „Ich glaube nicht. Dafür hab ich noch zu viel Hoffnung, dass es irgendwann besser wird. Ich will noch ein paar Sachen machen, weißt du? Das Leben genießen und so, keine Ahnung.“
Mühselig zwang sich Samya zu einem Lächeln. „Okay. Aber du weißt, dass du mich jederzeit anrufen kannst, oder? Ich bin für dich da.“ Endlich verstand sie, wie es Kakuzu ergangen war. Hidan war nun in Samyas Position, wollte sich isolieren, sich niemandem anvertrauen, und Samya versuchte wie Kakuzu bei ihr Hidan davon zu überzeugen, dass er ihr wichtig war. Sie hatte Angst, die falschen Worte gewählt zu haben, wodurch sie Hidan noch weiter von sich entfernen ließ. Doch Hidan nickte. „Ich werd’s versuchen.“
Nach diesem deprimierenden Gespräch fand Samya nur sehr schwer Schlaf und als am nächsten Morgen um 8 Uhr der Wecker klingelte, hätte sie gut und gerne bis mittags pennen können. Sie ging duschen, machte sich die Haare, schminkte sich wie üblich, zog sich ihren Glücks-Hoodie an, der irgendwann wieder aufgetaucht war, und stopfte Pepper in die Bauchtasche. Ohne emotionale Unterstützung konnte sie dem Wettkampf nicht beitreten. Begleitet von Kakuzu, Hidan, Kisame, Daisuke und Akane machte sie sich auf den Weg in die Lobby, wo sie ein Schild durch ein paar Gänge in einen riesigen Konferenzsaal leitete. Vor einer ausladenden Bühne standen hunderte von Stühlen. Die anderen setzten sich auf die der Higashi zugewiesenen Plätze. Samya ging nach vorne, zeigte einem Security-Typen ihren blassblauen Pass, nannte ihren Namen und wurde in einen kleineren Raum geführt, in dem bereits an die 50 Schüler warteten. Das waren also die Bio-Brains von Nagano. Nervös hielt sich Samya im Hintergrund und hoffte, und hoffte es gleichzeitig auch nicht, ein bekanntes Gesicht zu sehen. Das eine bekannte Gesicht wäre nämlich von der Minami. Wer auch immer von dort zum Iken-Kontest geschickt worden war, könnte Samya den Verstand verlieren lassen.
Der Raum füllte sich weiter und etwa fünf Minuten später trat die junge Frau von gestern vor sie, erklärte ihnen den Ablauf und ließ sie nach und nach auf die Bühne gehen. Jeder von ihnen wurde von einem Mann, den man nicht sehen konnte, namentlich vorgestellt, was Samya nur noch nervöser machte. Jeder würde sie sehen. Jeder könnte sie versagen sehen.
Als der Sprecher „Samya Tamashi, Higashi Oberschule, Okaya-shi“ ausrief, stolperte Samya auf die Bühne und wurde sogleich von Applaus und blendenden Scheinwerfern begrüßt. Sie konnte nichts weiter sehen als die schmalen Tische und Stühle auf der Bühne und die grellen, weißen Lichter, zwischen denen ab und zu kleine, rote Lampen aufleuchteten. Das mussten die Kameras sein. Samya hob kurz eine zitternde Hand, schlängelte sich durch die Tischreihen hindurch und ließ sich auf dem nächsten freien Stuhl nieder. Nun, da sie endlich nicht mehr gehen musste, spürte sie, wie weich ihre Knie waren. Wie konnten die sie überhaupt bis hierher tragen?! Sie presste ihre Hände zusammen und wartete, bis der letzte Schüler sich gesetzt hatte und eine unnötig dramatische Musik ertönte.
„Akt 1 des Iken-Kontests 2023 in Biologie“, sagte dieselbe unsichtbare Stimme, die sie vorgestellt hatte. „Diese Aufgabe dient dazu, die langsamsten Schüler zu eliminieren. Jeder Teilnehmer hat ein Tablet vor sich. Dort werden kurze Fragen auftauchen, die innerhalb einer bestimmten Zeit beantwortet werden müssen. Wer es nicht schafft, vor Ablauf des Timers die Antwort abzuschicken, fliegt automatisch raus. Los geeeeht’s.“
Samya versuchte, ihren Puls zu beruhigen. Sie musste nur schnell sein, mehr nicht. Das Tablet auf dem Tisch schaltete sich ein, zeigte einen Timer von 10 Sekunden und die Stimme las die Frage vor, die auch auf dem Display erschienen war. „Wer prägte den Begriff ‚Gen‘?“
‚Gen.. Gen.. Was zum Teufel ist ein Gen? Gen. Genom. Generation. My Generation. Das Lied. Die Band. The Who. Der Sänger. Ein Brite. Pete irgendwas. Pete kommt bestimmt von Peter. Peter Parker. Superhelden haben immer so wilde Namen. Spider-Man. Spinnen sind eklig. Die Spinne bei Harry Potter hätte bei der Folter durch Moody geschrien, wenn sie eine Stimme gehabt hätte. Schreien ist auch wild. In irgendwie jedem Film kommt der Wilhelm-Schrei vor. Uaaah. Wilhelm. Wilhelm.. Wilhelm Johannsen!‘
Samyas Finger flogen über die Tastatur. Sie kontrollierte hastig, ob sie den Namen richtig geschrieben hatte, drückte auf „senden“ und der Timer hielt bei vier Sekunden an. Ein lautes Dröhnen erklang und um sie herum änderte sich das Licht. Samya und einige andere wurden von grünem Licht beschienen, aber sehr viele andere saßen unter roten Leuchten. Ein Raunen ging durch die Menge. Die junge Frau kam auf die Bühne und bat alle mit rotem Licht aufzustehen und zu gehen. Bestimmt 60 Schüler erhoben sich und folgten der Anweisung. Eilig kamen einige Helfer, trugen die leeren Tische und Stühle raus, rückten die der übrigen zusammen, die während der kurzen Pause, in der die Zuschauer bestimmt irgendein Einspieler zu sehen bekamen, an der hinteren Wand gewartet hatten. Die Frau bat sie, sich wieder auf ihre Plätze zu setzen und Samya, die nun ein wenig ruhiger geworden war, sah sich um. Sie zählte noch 22 Teilnehmer, die alle genauso blass waren wie sie sich fühlte.
Erneut fing die Musik an und die Stimme sagte: „Es geht in Runde 2! Dasselbe Spielchen wie eben, allerdings gibt es nun ein wenig mehr Zeit, dafür ist die Frage schwerer. Und looos! Wie wirken Drogen wie zum Beispiel Kokain, Ecstasy und Marihuana im Gehirn?“
‚Lol‘, dachte sich Samya und während sie die Antwort „meist kompetitiv mit Neurotransmittern oder blockierend auf deren Produktion“ tippte, fragte sie sich, wie viele der hier Anwesenden bereits persönliche Erfahrungen gemacht hatten.
Nach Ablauf der Zeit wurden wieder einige Teilnehmer rot beleuchtet und das ganze Spiel ging von vorne los. Die nächste Frage, „Was versteht man unter Senologie?“, beantwortete Samya ebenfalls richtig mit „Lehre der weiblichen Brust“ in der vorgegebenen Zeit und am Ende dieser Runde waren nur noch fünf Schüler übrig. Dieses Mal allerdings verschwanden die einzelnen Tische komplett und in einer längeren Pause wurde ein geschwungenes Pult aufgebaut, an dem sich die fünf aufstellten. Nun erkannte Samya die aktivierten Kameras viel besser und die Stimme sagte: „Nach einer kurzen Werbeunterbrechung heiße ich Sie herzlich Willkommen zur letzten Runde Biologie beim Iken-Kontest 2023. Die Finalisten haben sich bereits aufgestellt und erwarten genauso gespannt wie die Zuschauer, was immer da kommen mag. Die Fragen werden natürlich nicht leichter, schließlich steht hier die Elite der Elite und möchte sich beweisen.“
‚Ich möchte, dass es endlich vorbei ist‘, dachte Samya und scharrte ungeduldig mit dem Schuh über den Filzteppich.
„Die folgenden Fragen werden den Teilnehmern zufällig und ohne Reihenfolge gestellt. Wenn die Antwort nicht innerhalb von fünf Sekunden gesagt wird, folgt automatisch die Eliminierung. Also los!“ Mit einem salbungsvollen und musikalisch untermaltem Blitzgewitter wechselten die Scheinwerfer über ihnen das Licht, bis es schließlich auf einem schwarzhaarigen Jungen landete. „Definiere Polygenie!“, sagte die Stimme und der Junge blinzelte. „Ähm.. Äh.. Viele Gene für die Ausbildung eines Merkmals“, stammelte er, das Licht wurde grün und er schien mehr als nur erleichtert zu sein.
„Rrrrichtig!“, rief die Stimme. Das Licht wechselte erneut sehr schnell und blieb auf einem Mädchen mit blonden Locken hängen. „Welcher Karyotyp liegt beim Klinefelter Syndrom vor?“, fing die Stimme an und das Mädchen antwortete ohne Zögern: „XXY.“
„Korrekt!“
Dieses Mal war Samya dran und kaum hatte das Licht ihren Scheitel endgültig berührt, brach sie in Schweiß aus. Sie hörte die Stimme wie aus weiter Ferne fragen: „Wie viele Eizellen produziert eine Frau während der gesamten Zeit der Geschlechtsreife?“
In Samyas Hirn fing es an zu rattern. Es waren sehr viele, wobei sie bis zur Geschlechtsreife weniger wurden. Sie hatte schon eine Zahl in ihrem Mund geformt, als ein kleines Fitzelchen Logik wisperte: ‚Wie kann man das genau sagen? Jede Zahl, die du jetzt nennen würdest, wäre eine Schätzung. Es muss aber etwas geben, was genau trifft, ansonsten würde die Antwort nicht zählen.‘ Binnen Millisekunden entschied sich Samya für die einzig plausible Antwort und sagte: „Keine. Sie sind bereits vor der Geburt da und sie werden lediglich durch Hormone gereift.“
„Das ist absolut richtig!“
Samya atmete erleichtert aus. Die erste Frage hatte sie geschafft. Direkt nach ihr beantwortete ein Junge mit E-Boy-Look seine Frage falsch und stand nun in rotem Licht. Anschließend kam wieder Samya dran, die richtig antwortete, dann der schwarzhaarige, der ebenfalls richtig lag, ein Junge mit grünen Haaren, der Mitose und Meiose verwechselte, wieder das blonde Mädchen, wieder der schwarzhaarige Junge, der sich so stark verhaspelte, dass seine Antwort nicht zählte, und schließlich standen nur noch Samya und das blonde Mädchen nicht in rotem Licht. Das Mädchen lächelte Samya über das Pult hinweg zu, was Samya mächtig verunsicherte. Sie war jetzt dran und die Stimme fragte: „Welche Zellstrukturen sind an der Translation beteiligt?“
‚Das ist einfach‘, dachte Samya und sagte laut: „Ribosomen, t-RNA und mRNA.“
„Korrekt.“
Das blonde Mädchen wurde gefragt: „Wo erfolgt die Vermehrung des HI-Virus?“ Sie stutzte, öffnete den Mund, schloss ihn wieder, öffnete ihn erneut und sagte: „In.. T-Suppressorzellen.“
‚Das ist falsch‘, schoss es Samya durch den Kopf und die Stimme gab ihr recht. „Diese Antwort ist leider nicht korrekt. Es sind die T-Helferzellen und Makrophagen. Und damit, verehrte Zuschauerinnen und Zuschauer, steht die Gewinnerin des Fachs Biologie beim Iken-Kontest 2023 fest! Samya Tamashi von der Higashi Oberschule in Okaya-shi!“
Samyas Hals wurde trocken, als sie dumpf den Applaus des Publikums unten vernahm. Sie starrte irgendwo einen der Scheinwerfer an, hoffte vielleicht zu erblinden, und bewegte sich erst, als ein Mann, den sie irgendwann mal im Fernsehen gesehen hatte, neben ihr sie am Handgelenk packte und ihren Arm in die Höhe streckte. Zum Glück trug sie schwarz, sonst würde jetzt ganz Nagano ihre Schweißflecken sehen können. Der Mann, dem die Stimme gehörte, sagte irgendwas, was Samya nicht verstand, und plötzlich wurde ihr ein Mikrofon vor den Mund gehalten. „Äh“, machte sie und hörte ihre eigene Stimme durch die Lautsprecher verstärkt im gesamten Raum widerhallen. Ihr Gesicht glühte. „Entschuldigung. Was haben Sie gesagt?“
Der Mann lachte gekünstelt und fragte erneut: „Wie fühlst du dich gerade mit dem Wissen, die beste Biologie-Schülerin der Präfektur Nagano zu sein?“
„Ähm“, machte Samya erneut und versuchte, ihren Gaumen zu befeuchten. „Ich bin ziemlich überrascht, denke ich.“
„Ja, das merkt man. Möchtest du denn die Gelegenheit nutzen, jemanden zu grüßen? Deine Nachhilfe? Deine Familie?“
„Also.. Ich danke auf jeden Fall meinem Lehrer Kakashi Hatake, dass er mir das hier ermöglicht hat. Auf allen Ebenen: Danke. Ohne dich wäre ich nicht hier.“ Samya schaute irgendwo in die Dunkelheit, wo eine kleine, rote Lampe leuchtete, und hoffte, sie würde die aktive Kamera treffen, um Kakashi so gesehen persönlich anzusprechen.
Der Moderator nahm das Mikrofon von ihr weg und sagte: „Das war es mit dem ersten Teil für heute. Nun folgt eine Stunde Pause und dann geht es schon weiter mit Geschichte.“ Er grinste noch einen Moment lang, dann rief irgendjemand: „Aus!“ und er verlor augenblicklich seine aufgesetzte Art. „Glückwunsch, Kleines.“ Er drehte sich um und verließ die Bühne.
„Kleines..?“, murmelte Samya sich selbst zu, schüttelte den Kopf, ging ebenfalls von der Bühne, durchquerte den Raum, in dem sie zuvor gewartet hatten, und eilte den Gang entlang zu der Stelle, wo Kakuzu, Hidan, Kisame, Akane und Daisuke standen und jubelten. „Du hast es gemacht!“, rief ihr Kisame entgegen.
„Ja“, keuchte Samya und wusste noch immer nicht so recht, wie es ihr gerade ging. Das Adrenalin in ihrem Körper ließ sie nur noch zittern. Sie fiel, auch vor Erschöpfung, Kakuzu um den Hals.
„Du warst großartig“, säuselte er ihr ins Ohr, küsste sie und strich ihr grinsend über die Wange, während die anderen weiterhin klatschten und johlten.
Samya strahlte über das ganze Gesicht. Endlich sackte die Erkenntnis in ihr Bewusstsein, dass sie es geschafft hatte. Sie hatte den ersten Platz gemacht. Stolzer konnte sie auf sich selbst nicht sein.
Mit viel leichterem Herzen schaute Samya den anderen bei ihren Wettkämpfen zu. Daisuke wurde in Geschichte zweiter, Kakuzu in Mathe erster, am nächsten Tag Kisame in Englisch dritter, Akane in Chemie erste und Hidan schließlich in Sport vierter. Er war beim Sprint am Ende mit dem Fuß umgeknickt und hatte dadurch die Führung verloren. Seine Platzierung nahm ihn schwer mit. Alle waren mindestens Top 3 gewesen, nur er hatte es nicht bis aufs Treppchen geschafft.
„Das war doch nicht dein Versagen“, versuchte Kisame, ihn aufzuheitern, doch Hidan schlug seine Hand weg und drückte das Kühlpack an seinem Knöchel fester. „Leck mich. Platz 4 ist scheiße.“
Die anderen tauschten Blicke. Sie konnten nicht wirklich etwas sagen, schließlich waren sie tatsächlich alle besser gewesen und jedes Wort käme vermutlich hochnäsig rüber.
Sie verabredeten sich für den Abend zu einer kleinen Party, bevor morgen bei der Preisverleihung ihre Platzierung bekanntgegeben wurde und sie wieder abreisen mussten. Kisame klaute aus einer Mini-Bar, die nicht einem Schüler gehörte, kleine Flaschen Alkohol, Daisuke brachte das Gras mit und sie trafen sich ein Stück hinter dem Hotel auf einem leeren Spielplatz, wo zu dieser Zeit wohl kaum jemand herkommen dürfte.
„Auf uns“, riefen sie und stießen mit ihren Fläschchen an. Hidan exte seins sofort und kauerte sich auf die schneebedeckte Schaukel.
Samya nippte an ihrem eiskalten Sake und ging zu ihm. „Hey. Willst du was von mir abhaben?“ Sie hielt ihm die Flasche hin, doch er schüttelte den Kopf, also setzte sie sich neben ihn. „Mach dir nicht so einen Kopf, Hidan. Platz 4 von 80 ist immer noch sehr gut.“
„Jaja“, murrte Hidan und schob mit dem Schuh den Schnee unter sich zusammen. „Am Ende liegt’s an mir, wenn wir nicht gewinnen.“ Er atmete tief durch, was wegen der Minustemperaturen gut sichtbar war. „Na ja, ich muss es positiv sehen: Wenigstens hab ich keine Eltern, die mein Versagen live sehen mussten.“
Überraschte verschluckte sich Samya an ihrem Sake. „Wie kommst du jetzt auf deine Eltern?“
Hidan wandte ihr das Gesicht zu. „Irgendwann im Januar haben die mich in die Babyklappe gesteckt. Ich weiß nicht genau wann, aber das war der Zeitpunkt, an dem sie entschieden haben, dass sie mich nicht wollten.“
Wieder wusste Samya nicht, was sie darauf erwidern sollte. Normalerweise sprach Hidan nie über seine Eltern, zumindest nicht in so einem bedauerlichen Tonfall. Er tat immer so, als sei es ihm egal. Aber es war ihm wohl nicht egal, wenn sich seine Abschiebung nun zum 17. Mal jährte. Und Samya verstand ihn nur zu gut. Für sie war es auch all die Jahre schlimm gewesen, wenn der Tag kam, an dem ihr Vater aus ihrem Leben verschwunden war. „Deine Eltern waren dumm“, sagte Samya leise. „Wie können sie denn jemanden wie dich nicht wollen? Sie haben eine Menge verpasst.“
Hidan lächelte kurz, hörte jedoch wieder auf, als Kakuzu zu ihnen herüber kam und ihnen den Joint reichte. „Hier. Er ist gleich weg und wir wollen auch wieder rein. Es ist viel zu kalt hier draußen.“
Samya und Hidan zogen beide an der Tüte, bis nichts mehr übrig war, und machten sich mit den anderen auf den Weg zurück in das beheizte Hotel.
Kisame, der vor ihnen ging und sich mittlerweile traute, seinen Arm um Akane zu legen, drehte sich zu ihnen um und blieb stehen. „Na, was ist? Wollen wir heute Zimmer tauschen?“
„Was?“, fragte Kakuzu.
„Na, du weißt schon“, sagte Kisame und nickte zu Samya herunter. „Ihr zwei, wir zwei, wir mixen einmal alle durch und können noch ein bisschen Zeit alleine genießen.“
„Super Idee“, warf Hidan brummig ein. „Ihr vögelt euch glücklich und Daisuke und ich spielen Taschenbillard, oder was?“
Daisuke protestierte: „Ne, ich wichse nicht in deiner Gegenwart, und du hoffentlich auch nicht.“
„Was meinst du?“, fragte Kakuzu an Samya gerichtet. Sie hatte heute trotz Hidans Niederlage dermaßen gute Laune, dass sie sich gerne mit Kakuzu herumwälzen würde. Und wen juckte es hier auch? Es war ja nicht so, als würde jemand kontrollieren, ob sie um 10 schon brav im Bettchen lagen. Also nickte sie, packte oben schnell ihre Sachen zusammen und ging in Zimmer 408, während Hidan zu Daisuke zog und Kisame ihr im Vorbeigehen zuzwinkerte. Wegen der ungewohnten Umgebung konnte sich Samya nicht so fallen lassen, wie sie es gerne getan hätte, zumal sie die anderen nicht mit ihrem Geschrei stören wollte, daher war es nur eine ruhige, dennoch angenehme Erfahrung, die Samya weit nach Mitternacht wohlig in Kakuzus Arme gekuschelt einschlafen ließ.
Am nächsten Tag strömten alle Schüler schwatzend in jenen Saal, in dem alle Wettkämpfe außer Sport stattgefunden hatten. Die sechs setzten sich auf ihre Plätze und warteten gespannt auf die Preisverleihung. Diese dauerte sehr lange, da alle 80 Schule mit ihrer erreichten Punktzahl genannt wurden. Die Minami hatte es nicht mal in die Top 50 geschafft, was Samya sehr zufrieden und schadenfroh grinsen ließ. Je höher der Moderator in der Platzierung kam, desto unruhiger wurden Samya und die anderen. Die Higashi wurde auch bei Platz 10 nicht erwähnt, auch nicht bei Platz 5, und nicht bei 3.
Sie warfen sich Blicke zu.
„Und nun bitte ich die beiden topplatzierten Schulen, die Higashi Oberschule in Okaya-shi, und die Kokusai Oberschule in Meguro, Tokio-shi, zu mir auf die Bühne“, sagte der Moderator.
Die zehn Schüler erhoben sich und stellten sich auf der Bühne im Hintergrund nebeneinander auf. Samya stellte fest, dass das Mädchen mit den blonden Locken auf die Kokusai ging.
„Beide Schulen haben eine Punktzahl von mehr als 470 erreicht, was alleine schon sehr stark ist und bisher noch nie erreicht wurde. Die Plätze unterscheiden sich auch nur durch einen einzigen Punkt. Also ein Sieg war ausschlaggebend für das Ergebnis. Es war noch nie so spannend beim Iken-Kontest. In Biologie hat Samya Tamashi aus Okaya-shi besser abgeschnitten. In Geschichte war es Yoshi Tatsuge aus Tokio-shi. In Mathematik Kakuzu Kizuato aus Okaya-shi. In Englisch Yumene Mizunaka aus Tokio-shi. In Chemie Akane Senshi aus Okaya-shi. Sie sehen also, es ist ein ausgeglichenes Duell zwischen der Higashi Oberschule und der Kokusai Oberschule. Beide Schulen haben aufgrund ihrer Leistungen in den vergangenen zwei Tagen bewiesen, dass sie es verdienen, hier oben zu stehen. Und es entscheidet sich, wie gesagt, nur durch einen einzigen Punkt.“
Der Moderator machte eine lange Pause, ließ die Spannung wirken.
„Und mit einem Punkt Vorsprung, genauer gesagt mit einer Gesamtpunktzahl von 474 von 480 möglichen Punkten, gewinnt.. die.. HIGASHI OBERSCHULE AUS OKAYA-SHI!“
Musik ertönte, Applaus brandete auf, der Moderator klatschte Beifall, die anderen um Samya herum jubelten, schlugen ein, lachten, hüpften, die Schüler der Kokusai kamen vorbei, schüttelten den Siegern die Hände, Akane ging nach vorne, nahm den Pokal entgegen, hielt eine Dankesrede. Alles passierte, nur Samya nahm nichts mehr davon auf. Sie stand auf der Bühne und weinte, weinte vor Freude, und sie schämte sich nicht dafür. Es war beinahe so, als könnte sie hören, wie die Lehrer und Schüler der Higashi Oberschule, 93 Kilometer von hier entfernt, applaudierten und feierten, dass sie zum ersten Mal den Iken-Kontest gewonnen hatten. Es war, als könnte sie Kakashis stolzes Gesicht vor sich sehen, wie er eine Träne verdrückte, dass ausgerechnet sie zu diesem Sieg beigetragen hatte. Alles, was in den letzten Monaten geschehen war, machte dieser eine Moment wieder wett.