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Die Jäger im Schatten

von aesculap
Kurzbeschreibung
GeschichteFreundschaft, Übernatürlich / P16 / Mix
03.07.2023
22.09.2023
82
111.649
4
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Dieses Kapitel
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18.09.2023 1.231
 
"Nicht so hektisch", lacht der schwarzhaarige Junge. Seine Hand ruht auf dem nackten Bauch seines Freundes.

"Das sagst du so einfach!" erwidert der atemlos.

"Du bist zu unkoordiniert", erklärt der schwarzhaarige Junge.

"Lass ja nicht los", bittet der braunhaarige Junge und schafft es mit großer Willensanstrengung, seine Bewegungen zu verlangsamen. Alles in ihm schreit, dass er nicht langsamer werden darf.

Dann plötzlich ist die Hand auf seinem Bauch nur mehr federleicht, hält ihn nicht mehr und doch geschieht nichts.

"Siehst du, ich hab doch gesagt, du kannst es!" lacht der schwarzhaarige Junge.

Wie versprochen, lässt er seine Hand weiterhin auf dem Bauch seines Freundes. Aber der hält sich inzwischen von selbst über Wasser.

"Langsam und koordiniert. Wenn du panisch wirst, gehst du unter."

"Das sagst du so leicht", grummelt der braunhaarige Junge. Aber irgendwie ist er auch ein wenig stolz, wie er da um seinen Freund herum schwimmt.

"Wenn du dich sicher genug fühlst, können wir morgen ja vielleicht in tieferes Wasser gehen?" fragt der schwarzhaarige Junge und richtet sich wieder ganz auf. Wenn er steht, geht ihm das Wasser nur bis zur Hüfte.

"Mal sehen."

Der schwarzhaarige Junge sieht seinem Freund weiter zu, wie der um ihn herum schwimmt, und lächelt.

~~~


Offenbar war das Leben nach dem Tod gar nicht das Leben nach dem Tod.

Das, was Viktor wieder aufweckte, war die Stimme einer Frau, die ganz hingebungsvoll und von seichtem Gedudel begleitet vor sich hin schmachtete.

"Ich hör' die Sterne flüstern leise,
Die Liebe trägt uns auf der Reise.
In deinen Augen seh' ich Glanz,
Für immer halt' ich an dir fest, mein Schatz."

Mit einem gequälten Stöhnen bewegte er sich ein wenig, worauf die grauenvolle Musik von einem lauten Piepsen überdeckt wurde. Das war nicht wirklich besser.

Rasche Schritte näherten sich ihm.

Er wollte nachsehen, was um ihn passierte, aber seine Augen kooperierten nicht.

"Ist er wach?" fragte eine männliche Stimme. Sie klang sehr jung, deutlich jünger als Viktor. Vielleicht Mitte zwanzig, wenn überhaupt.

Das Piepsen erstarb. Das Gedudel wurde wieder hörbar.

"Ich weiß nicht", antwortete eine zweite Stimme. Auch männlich, aber älter.

Viktor versuchte, sich zu bewegen. Seine Muskeln fühlten sich so unendlich schwer an.

"Der Mond strahlt uns von oben nieder,
Uns're Liebe kennt keine Mauern wieder.
Mit dir ist jede Nacht ein Traum,
In deinen Armen find' ich Heimat, Raum."

"Ich glaube nicht", sagte die junge Stimme wieder.

Viktor hatte das Gefühl, dass seine Gehörgänge gleich zu bluten beginnen mussten. Oder dass das Gesülze sein Hirn zu Matsch verwandeln und es ihm aus den Ohren tropfen würde.

Die Schritte entfernten sich wieder von ihm. Die Musik blieb.

"Ein Kuss von dir, es ist als flieg' ich,
Uns're Liebe, sie entfacht ein Feuer tief.
Das Universum bebt in uns'rer Lust,
Zusammen sind wir eins, im Glanz und in der Ruh'."

"Bitte", stöhnte Viktor leise.

Die Schritte hielten an und kamen dann wieder näher.

"Hat er etwas gesagt?" fragte die ältere Stimme.

"Macht die verfickte Scheiße aus", krächzte Viktor.

Die jüngere Stimme begann zu lachen. "Ich würde sagen, er ist nicht nur wach, er hat auch einen besseren Musikgeschmack als du, Andi."

Als Viktor das nächste Mal aufwachte, war der jüngere der beiden Männer gerade dabei, einen neuen Beutel in das Gestell zu hängen, das neben seinem Bett stand. Viktor blinzelte ihn an.

Der Mann war tatsächlich erst knapp über zwanzig. Und er war sehr hübsch. Seine halblangen blonden Haare hatte er zu einem Zopf gebunden, aus dem sich einige Strähnen gelöst hatten und jetzt hinter seinen Ohren steckten. Er war braungebrannt, als wäre er gerade erst vom Stand gekommen. Alles in allem war er auf jeden Fall attraktiv, aber das, was ihn in Viktors Augen wirklich schön machte, war sein ehrliches Lächeln. Es erinnerte ihn an Daniel.

"Hey, Sie sind ja wach. Und dieses Mal richtig", freute sich der junge Mann.

Viktor versuchte zu nicken. Er klappte tatsächlich. Probehalber bewegte er seine linke Hand, zog sie unter der Decke hervor und verhedderte sich prompt mit dem Zugang in der Decke.

"Moment, nicht so hastig!" lachte der junge Mann und half Viktor.

"Wie geht es Ihnen? Wollen Sie etwas trinken?" Er hielt Viktor einen Silikonstrohhalm an die Lippen.

Viktor nahm ein paar Schluck. Aber nicht weil er Durst hatte, sondern weil der Mann ihm das Ding förmlich zwischen die Lippen drückte.

"Wat is passiert?" fragte Viktor dann mit heiserer Stimme. Er klang gar nicht nach ihm selbst. Er hätte sich so nicht erkannt.

"Ich weiß nicht genau. Ich glaube, Sie sind entführt worden. Ich weiß nur, dass Sie bewusstlos waren, als Sie hier angekommen sind. Und dass Sie eine Platzwunde am Hinterkopf haben. Und eine an der Stirn, aber die ist anscheinend schon ein paar Tage alt und wurde schon vorher versorgt. Und Sie sehen aus, als hätten Sie mit Wolverine geknutscht."

Viktor begann herzhaft zu lachen, auch wenn das an diversen Stellen schmerzte. Er mochte den jungen Mann.

"Ich bin Viktor", flüsterte er deswegen. "Von mir aus können wir gerne du zueinander sagen."

"Fabian", sagte der junge Mann fröhlich.

"Wat ist dat für Zeug?" fragte Viktor und deutete auf den frischen Beutel.

"Flüssigkeit", erklärte Fabian. "Du warst stark dehydriert, als du hier gelandet bist. Jetzt rinnt's schon wieder." Um seine Worte zu unterstreichen, hob er den am Bett befestigten, halb vollen Urinbeutel und las die Füllmenge ab. Viktor hoffte, dass das gut war.

"Sag mal Viktor. Ich hab eine Frage. Und ich verstehe, wenn du sie nicht beantworten willst, aber ich frag mich das halt, seitdem du hier eingeliefert wurdest. Gehörst du zu einer berühmten Band? Vielleicht zu Harry Styles Leuten? Ich meine, dein Name ist schon sehr ungewöhnlich und ich hab deine Tattoos gesehen, dein Piercing und da draußen halten rund um die Uhr zwei Polizisten in Zivil Wache…"

Viktor blinzelte den jungen Mann einen Moment verwirrt an. Zivilbeamte vor seiner Türe?

"Passen die auf, dass ich nicht raus gehe oder dass niemand rein kommt?" fragte er heiser.

Fabian lachte und schüttelte den Kopf. "Nein, du gehst so schnell nirgends hin. Da braucht es keine zwei Bewaffnete vor der Türe. Die sind schon da, um dich vor wem auch immer zu schützen. Jedes Mal, wenn ich rein will, muss ich ihnen meinen Ausweis zeigen und sie betatschen mich von oben bis unten, dass ich keine Waffe oder so rein schmuggel."

"Das ist, damit die, die mich entführt hatten, es nicht nochmal versuchen", erklärte Viktor vage.

"Also, Harry Styles?" fragte Fabian hoffnungsvoll.

"Und wenn's so wäre?"

Fabian begann noch mehr zu strahlen. "Dann wäre das irre cool. Aber dein Geheimnis ist bei mir sicher. Ich verrate es niemanden."

Viktor fühlte, wie ihm langsam die Augen wieder zu fielen. Aber da war noch etwas, das er vorher erledigen wollte. Danach konnte er schlafen.

"Sag mal, Fabian. Einer der Polizisten, die mich gerettet haben, der könnte auch hier im Krankenhaus liegen. Und vielleicht auch andere von seinem Team. Könntest du für mich rausfinden, ob sie hier sind und wie es ihnen geht? Ich würde mich gern bedanken."

Fabian nickte. "Natürlich. Weißt du, wie sie heißen? Weil wir haben hier immer wieder Beamte, die während eines Einsatzes verletzt worden sind. Wird halt ein bisschen schwieriger ohne Namen."

"Natürlich hab ich die Namen", erwiderte Viktor müde.

Fabian holte einen Post-it Block aus der Tasche seines Kittels, nahm einen Stift und notierte sämtliche Namen, die Viktor mit immer leiser werdender Stimme diktierte.
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