Against all odds
von Moana Nahesa
Kurzbeschreibung
1982: Sirius' Leben ist nicht mehr dasselbe wie vorher. Sein bester Freund ist tot, Peter, der Verräter verschwunden. Doch als er von unerwarteter Seite Hilfe bekommt, beginnt er sich auch gegen andere Widrigkeiten zu stellen und um ein neues Leben zu kämpfen ...
GeschichteRomance, Freundschaft / P18 / Het
Kingsley Shacklebolt
Narzissa Malfoy
OC (Own Character)
Sirius "Tatze" Black
27.06.2023
22.09.2023
31
120.853
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19.09.2023
4.564
Es ist endlich soweit: die Hochzeit steht an! Ich bin sehr gespannt, was Ihr dazu sagt.
Mein Dank geht an dieser Stelle wieder an Leseratte4 und Serpentina Black für ihre Reviews.
Liebe Grüße,
Moana
Sie hatte lange keinen Schlaf gefunden und daher irgendwann auf einen Trank zurückgegriffen, den ihr ihre Mutter auf den Nachttisch gestellt hatte. Dennoch fühlte sie sich nicht sonderlich ausgeruht, als sie nun die Augen öffnete. Müde blinzelte sie an den Stoffhimmel über ihrem Bett und versuchte sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass dies ihre letzte Nacht als unverheiratete Frau gewesen war. Die letzte Nacht in ihrem Zimmer. Die letzte Nacht in Freiheit. Schon am nächsten Morgen würde sie neben Lucius Malfoy erwachen.
Narcissa schloss ihre Augen und legte den linken Unterarm darüber, während sich ihre rechte Hand in die Bettdecke krallte. Sie hatte Angst. Nie zuvor hatte sie solche Angst verspürt. Ihr war übel, in ihrem Bauch schien sich ein gigantisches Loch aufzutun, das sie zu verschlucken drohte.
Abrupt setzte sie sich auf und ließ den Arm sinken. Auf dem Tischchen in der Nähe des Fensters stand ein Tablett mit einer Teekanne, einer Tasse und einer Schale mit Früchten. Hastig wandte sie den Blick ab. Wie sollte sie etwas essen? Wie sollte sie diesen Tag bewältigen? Wie sollte sie mit Ja antworten, wenn sie eigentlich Nein meinte? Sie wollte Lucius Malfoy nicht heiraten. Sie wollte niemanden heiraten. Zumindest nicht jetzt. Irgendwann. Möglicherweise. Vielleicht in ein paar Jahren. Aber ganz sicher keinen Mann, der von ihren Eltern ausgewählt worden war. Sie wollte selbst entscheiden.
„Nun hör schon auf!“, ermahnte sie sich. „Andere Frauen haben es schließlich auch überstanden.“
Entschlossen, sich nicht mehr von ihren Gefühlen leiten zu lassen, schlug sie die Bettdecke zurück und stand auf. In wenigen Stunden würde sie Mrs Malfoy sein, die Frau an der Seite des mächtigen und reichen Lucius Malfoy. Sie sollte sich glücklich schätzen. Hatte ihre Mutter nicht prophezeit, dass sie wie eine Königin leben würde? War es nicht das, was sich kleine Mädchen wünschten? Ihr wurde dieser Wunsch erfüllt. Darüber sollte sie sich freuen. Lucius Malfoy war kein schlechter Mann. Er sah gut aus und besaß eine Menge Geld und Einfluss.
Narcissa steckte sich eine Weintraube in den Mund und kaute lange und konzentriert darauf herum, in der Hoffnung, die Übelkeit damit zu vertreiben. Schließlich schenkte sie sich auch Tee ein. Irgendwann würde sich ihr Magen schon beruhigen.
Sie setzte sich auf einen der beiden Stühle und zog, einem Impuls folgend, den rechten Fuß auf die Sitzfläche. Eine solche Position hatte sie bisher nur in Sirius’ Gegenwart einzunehmen gewagt. Manchmal war sie dabei sogar nackt gewesen, so dass sie ihm damit einen mehr oder weniger ungehinderten Blick auf ihre Scham gewährt hätte. Unwillkürlich musste sie lächeln. Bei einem ihrer Treffen hatte Sirius ihre Haltung zum Anlass genommen, die Hand auszustrecken und ihren Oberschenkel entlang zu streicheln. Er hatte es langsam getan und sie dabei beobachtet. Zu ihrer größten Enttäuschung hatte er ihre Scham allerdings nicht berührt. Er hatte ihr den letzten, entscheidenden Schritt überlassen. So war sie es am Ende gewesen, die seine Hand weitergeführt hatte.
Narcissa setzte ihren Fuß wieder auf den Boden und schlug schließlich sogar die Beine übereinander, um das Pulsieren, das bei diesen Erinnerungen eingesetzt hatte, im Keim zu ersticken. Sirius gehörte nicht mehr in ihr Leben. Alles, was sie jemals verbunden hatte, gehörte der Vergangenheit an.
Als der erste Schluchzer aus ihr herausbrach, schlug sie sich eine Hand vor den Mund und presste die Augenlider fest zusammen. Merlin, wie sie ihn vermisste! Sie hatte versucht, es zu verdrängen, hatte versucht, sich abzulenken, hatte sich eingeredet, es wäre unvernünftig und dumm, so zu fühlen. Aber gerade jetzt brach alles noch einmal über sie herein. Über vier Wochen hatte sie ihn nicht gesehen. Seit ihrem ersten heimlichen Abenteuer in New York waren sie nicht mehr so lange voneinander getrennt gewesen. Und obwohl sie damit gerechnet hatte, ihn zu vermissen, war sie von der Stärke dieses Gefühls überrascht worden. An manchen Tagen hatte sie sich nur noch wie eine leere Hülle gefühlt. Wie eines ihrer Kleider, das im Schrank auf einem Bügel hing. Dann hatte sie kaum mit jemandem geredet, weil ihr selbst einfache Gespräche zu anstrengend erschienen waren. Jegliche Energie, die dazu nötig gewesen wäre, war ihr abhandengekommen. Sie hatte sich wie ein den Widrigkeiten des Lebens ausgeliefertes Baby gefühlt. Dabei war sie doch kein Baby mehr. Sie war eine erwachsene Frau, die im Begriff war, die Ehefrau eines mächtigen Magiers zu werden. Doch ihr Inneres schrie nach einem anderen Mann. Wie ein Säugling nach seiner Mutter.
War es nicht absurd, so zu empfinden? Mit Sirius verband sie doch nichts. Sie hatten miteinander geschlafen. Sie hatten miteinander geredet. Und gestritten. Und sich geliebt. Immer und immer und immer wieder. Vermisste sie das? Wollte sie diese Körperlichkeit zurückhaben? Die Hemmungslosigkeit, die ihr gleichzeitig ein Gefühl von Freiheit geschenkt hatte?
Sirius war anders. Er sprach aus, was er dachte. Er sprach aus, was er fühlte. Und er zeigte es ihr auch. Mit ihm gab es keine vornehme Zurückhaltung. Er achtete nicht auf Etikette. Er sorgte sich nicht um gutes Benehmen, weil er sich davon befreit hatte.
Doch sie ließ sich davon immer weiter einwickeln. Sie würde einen Mann heiraten, der für all das stand. Als Ehefrau von Lucius Malfoy musste sie sich zurückhalten und auf Etikette achten. Als Herrin von Malfoy Manor hatte sie sich zu benehmen. Keine Hemmungslosigkeiten mehr. Keine Zügellosigkeiten mehr. Keine Freiheit.
Wie würde es sein, mit Lucius Malfoy zu schlafen? Würde er in ihr dieselben Empfindungen wecken können wie Sirius? An ihrem Körper hatte sich schließlich nichts verändert. Er war immer noch derselbe. Konnte ein Lucius Malfoy all das in ihr auslösen, was Sirius bereits ausgelöst hatte?
Vielleicht musste sie ihrem zukünftigen Ehemann nur eine Chance geben. War es nicht ungerecht, ihm diese Fähigkeiten von Anfang an abzusprechen? Sirius mochte in ihr Gefühle hervorgerufen haben, die sie als etwas Besonderes ansah. Doch waren sie das wirklich? Spann sie sich nicht gerade etwas zusammen, das in Wahrheit gar nicht existierte?
Mit Sirius hatte sie etwas erlebt, das sie vorher für undenkbar gehalten hatte. Deshalb hatte es in ihrer Erinnerung auch einen besonderen Platz eingenommen. Ihr fehlte jedoch jeglicher Vergleich. Wie sollte sie das Zusammensein mit Sirius objektiv bewerten, wenn sie nichts anderes kannte?
Narcissa lächelte, schob sich eine weitere Traube in den Mund und stand auf. Jetzt, da sie noch einmal über alles nachgedacht hatte, fühlte sie sich bedeutend besser. Lucius Malfoy mochte nicht der Mann sein, den sie für sich selbst gewählt hätte. Aber er war auch keiner jener Männer, die sie vollkommen ausgeschlossen hätte. Er war weder alt noch hässlich. Mehr brauchte sie erst einmal nicht zu wissen.
Es hatte ihn schon am frühen Morgen aus dem Bett getrieben. Um sich von der bevorstehenden Hochzeit abzulenken, war er mehrere Kilometer durch den nahegelegenen Wald gelaufen, wo sich die Blätter mancher Bäume bereits herbstlich verfärbten. Danach hatte er geduscht und für sich, James und Lily Kaffee gekocht. Weil seine Freunde noch nicht aufgestanden waren, hatte er die Kanne mit einem Warmhalte-Zauber belegt und war mit dem Getränk zurück in sein Schlafzimmer gegangen. Dort hatte er die Pergamentrolle mit der Einladung hervorgeholt und sie noch einmal betrachtet. Narcissa hatte ihm deutlich zu verstehen gegeben, dass sie nicht dasselbe für ihn empfand wie er für sie.
Wann immer er in den letzten Wochen darüber nachgedacht hatte, war der Schmerz wie eine scharfe Klinge in seine Brust gefahren. Während seiner Zeit in Hogwarts hatte er nie verstanden, was andere meinten, wenn sie von Liebeskummer sprachen, der körperlich spürbar war. Stattdessen hatte er sie meist ausgelacht, weil er sich solche Gefühle nicht hatte vorstellen können. Inzwischen konnte er es nachempfinden. Er wusste genau, was mit diesem Schmerz gemeint war. Er kannte ihn gut. Aber etwas in ihm begehrte auch dagegen auf. Und so hatte er die Pergamentrolle irgendwann auf das Bett geworfen und im Schrank nach einer passenden Festrobe gesucht.
Nun stand er vor den Toren Malfoy Manors – James und Lily hatte er erzählt, er wolle nur sehen, wie die Hochzeitsgesellschaft auf sein Erscheinen reagiere – und ließ den Blick über die hohen Kastanien und Ulmen wandern, die den Weg zum Herrenhaus säumten. Auch ihre Blätter begannen sich schon gelb und braun zu verfärben. Dennoch war der Park des Anwesens immer noch sehr beeindruckend.
Ein Ploppen ließ ihn zusammenzucken. „Kann Dobby helfen?“ Der Hauself verneigte sich.
„Ja.“ Sirius zog die Einladung aus der Tasche und zeigte sie der Kreatur. „Ich weiß, ich bin ein bisschen zu spät, aber ich hoffe, es gibt noch Kuchen.“ Er zwinkerte dem kleinen Wesen zu.
„Die Trauungszeremonie ist vorbei, aber das Fest hat gerade erst begonnen“, erklärte Dobby.
Sirius schluckte. Seinen Plan, Narcissa mehr oder weniger zu entführen, war damit hinfällig. Dabei hatte er sich in Gedanken schon ausgemalt, wie er das Überraschungsmoment für sich würde nutzen können, um sie an sich zu reißen und mit ihr aus Malfoy Manor zu flüchten.
Auf einem weißen Pferd, fügte er spöttisch hinzu.
Wobei er nicht besonders gut reiten konnte.
„Dann komme ich ja gerade richtig“, behauptete er flapsig. „Lässt du mich rein?“
„Natürlich lässt Dobby Mr Sirius Black herein. Mr Sirius Black wurde eingeladen.“ Der Hauself schnippte mit den Fingern und ließ das schmiedeeiserne Tor aufschwingen.
Sirius schloss für einen Moment die Augen, ehe er hindurchtrat. Ihm graute vor dem, was er im Haus zu sehen bekommen würde. Gleichzeitig wollte er nichts mehr, als Narcissa nahe zu sein.
„Mr Sirius Black kann direkt ins Haus gehen oder sich von Dobby bringen lassen“, teilte der Hauself ihm mit.
„Ich gehe selbst, danke.“ Bis er das Eingangsportal erreichte, waren ihm vielleicht auch die passenden Worte eingefallen, mit denen er Narcissa und Lucius gegenübertreten konnte.
Er straffte die Schultern und ging gemäßigten Schrittes auf dem gekiesten Weg zur großen Freitreppe. Noch ehe er den Fuß auf die unterste Stufe setzte, blieb er jedoch stehen. Sollte er wirklich hineingehen? War es nicht besser, kehrt zu machen und zu James und Lily zurück zu apparieren? Narcissa schien keinen weiteren Kontakt mit ihm zu wünschen. Sie liebte ihn nicht.
Hunderte Male hatte er versucht zu ergründen, woran es lag, dass sie seine Gefühle nicht erwiderte. Immer wieder hatte er sich gefragt, was er falsch gemacht hatte. War er nicht aufmerksam genug gewesen? Oder hatte er ihr nicht oft genug gesagt, wie schön und begehrenswert sie war? Hatte es daran gelegen, dass er nicht Lord Black hatte werden wollen?
Obwohl er sich den Kopf zermartert hatte, war er zu keinem Ergebnis gekommen. Alles, was er wusste, war, dass seine Bemühungen nicht ausgereicht hatten. Ausgerechnet jene Frau, die er wirklich liebte, hatte ihn abgewiesen. Einem ersten Impuls folgend hatte er sich ins Nachtleben stürzen wollen, um nach einem Ersatz zu suchen. Doch schon nach einer Stunde war er aus der Bar verschwunden, um seinen Kummer am Ufer der Themse in Wodka zu ertränken.
Danach hatte er geschwankt zwischen wilder Entschlossenheit, sich noch einmal um Narcissa zu bemühen, und Resignation.
Sirius rieb sich über das Gesicht, während er die Treppe hinaufsah. Ihn trennten nur noch wenige Meter von Narcissa. Von Mrs Malfoy. Lucius’ Frau. Er ballte die Hände zu Fäusten. Würde er jemals in der Lage sein, sie als die Frau eines anderen zu sehen? Würde sie in seinem Kopf nicht auf ewig seine Frau bleiben? Sie mochte ihn nicht lieben und seine Gefühle für sie anzweifeln, aber er wusste, dass er sich nichts einbildete. Das, was er für sie empfand, war echt. Und er würde ihr das beweisen. Sie hatte ihn gebeten zu kommen, hatte ihn förmlich angefleht, sie nicht mit diesen Menschen allein zu lassen. Vielleicht hatte sie es längst vergessen, aber er konnte sich noch gut daran erinnern.
Entschlossen erklomm Sirius die Treppe und öffnete die Tür. Aus dem Speisezimmer drangen Stimmen und das Klappern von Geschirr und Besteck. Im Hintergrund spielte offenbar ein Streichquartett.
Er sah sich nur kurz nach dem Eingangsportal um und ging dann weiter. Als sich jedoch die Tür zum Speisezimmer öffnete und Narcissa heraustrat, blieb er wie angewurzelt stehen. Auch sie erstarrte für die Dauer einiger Herzschläge, besann sich aber dann und kam auf ihn zu.
„Sirius.“ Sie schenkte ihm ein aufgesetztes Lächeln. „Was tust du denn hier?“
„Du hast mich eingeladen“, erinnerte er sie und schluckte hart. Sie war so wunderschön. In ihrem blonden, zu einer kunstvollen Frisur aufgetürmten Haar steckte eine Tiara und das weiße Kleid floss in schimmernden Bahnen an ihrem schlanken Körper entlang. Entgegen dem, was er angenommen hatte, war es schmal geschnitten und nur am Ausschnitt und an den feinen Trägern mit Perlen und Steinen verziert.
„Ich … ich bin davon ausgegangen, dass du nicht kommst“, gestand sie leise, aber mit einem Unterton, der ihr Unbehagen verriet.
„Ich habe dir etwas versprochen.“
Fragend hob sie die Augenbrauen. Konnte sie sich wirklich nicht mehr erinnern oder wollte sie nicht?
„Du wolltest, dass ich dich nicht allein lasse mit diesen Menschen.“ Mit dem Kinn nickte er in Richtung Tür. „Weißt du es nicht mehr?“ Sollte für sie wirklich alles nur ein Spiel gewesen sein? Das konnte und wollte er nicht glauben.
Sie presste die Lippen aufeinander und senkte den Blick. Dann kam sie plötzlich drei Schritte auf ihn zu, packte ihn an einem Arm und zog ihn durch die Eingangshalle in ein etwas abgelegeneres Zimmer.
„Soll ich einen Zauber – ?“, fragte Sirius.
„Nein, das würde Lucius sofort bemerken. Wir müssen einfach leise sein.“ Sie schloss für einen Moment die Augen, als müsste sie sich erst sammeln. „Warum bist du gekommen?“
„Ich habe es dir bereits gesagt.“ So sehr es ihn auch schmerzte, sie nicht an sich ziehen und küssen zu können, er bereute es nicht, der Einladung gefolgt zu sein. Allein ihr Anblick war es wert, sich hinterher mit den unangenehmen Gefühlen herumzuschlagen, die unweigerlich aufsteigen würden, sobald er sie hier allein ließ.
„Warum tust du uns das an?“
„Uns?“ Sirius lächelte. „Also gibt es noch ein Uns?“
Narcissa wirkte irritiert, schüttelte dann aber den Kopf. „Nein, Sirius, es gibt kein Uns. Ich habe dir doch gesagt – “
„Dass du mich nicht liebst, ja.“ Er schluckte. „Hast du mich in den letzten Wochen gar nicht vermisst?“
„Was spielt das für eine Rolle? Ich bin jetzt verheiratet.“ Wie zum Beweis streckte sie die linke Hand aus und zeigte ihm den silbernen Ring, der an ihrem Ringfinger steckte.
„Das ändert für mich nichts. Ich meine, es ändert nichts an meinen Gefühlen für dich und … dass ich mit dir zusammen sein will.“
„Weißt du eigentlich, in welche Gefahr du uns gerade bringst?“
„Vielleicht sollte ich es Lucius einfach sagen“, überlegte Sirius und streckte die Hand nach der Türklinke aus. „Ich gehe zu ihm und sage ihm, dass ich seine Frau liebe. Wenn er mich dann tötet, ist das eben so.“ Gerade erschien ihm dieser Gedanke sogar sehr verlockend.
„Das bist doch nicht du, Sirius“, wandte Narcissa ein. „Das ist nicht der Mann, den ich … kennengelernt habe. Du bist ein Gryffindor, Sirius. Warst du darauf nicht immer stolz?“
„Gerade wünschte ich, ich wäre ein Slytherin.“ Dann wäre so vieles einfacher für ihn.
„Nein, das tust du nicht“, widersprach Narcissa.
„Woher willst du das wissen?“
„Ich kenne dich.“ Sie lächelte. „Gerade bist du nicht mehr du selbst. Wo ist der … Rebell in dir? Der Kämpfer?“
„Wäre dir der Rebell lieber? Oder der Kämpfer?“ Würde er sie damit wieder für sich gewinnen?
„Mir wäre lieber, du wärst wieder der Sirius, den ich kenne und nicht der, von dem ich nur Liebesschwüre zu hören bekomme.“
„Willst du nicht geliebt werden?“ Er hatte jedenfalls erkannt, dass auch er danach strebte. Die Mädchen, mit denen er sich bisher immer getroffen hatte, waren in ihn verliebt gewesen. Das hatte ihm gutgetan. Auch wenn er keiner von ihnen irgendwelche tieferen Gefühle entgegengebracht hatte, von ihnen hatte er welche erhalten.
Sie schluckte und wandte sich ab. „Ich … ich denke, ich habe einfach damit abgeschlossen.“
„Womit?“
„Ich wusste doch immer, dass ich einen Mann heiraten würde, den ich wahrscheinlich nicht liebe und der mich nicht liebt.“
„Das heißt doch nicht, dass du es nicht kannst. Und es heißt auch nicht, dass es keinen Mann gibt, der dich liebt.“
„Sirius“, sie drehte sich wieder zu ihm um, „geh und vergiss mich!“
„Dann obliviate mich jetzt!“ Er reichte ihr seinen Zauberstab, weil er davon ausging, dass sie keinen bei sich trug. „Nimm mir die Erinnerungen an dich, denn ansonsten kann ich dich nicht vergessen.“
Ihre Hand zitterte, als sie nach seinem Zauberstab griff. Eine Weile starrte sie das glatte Holz nur an, mit dem sie zuvor bereits einige Male Magie gewirkt hatte.
„Tu es jetzt!“, forderte Sirius, während er versuchte, seine Tränen in Zaum zu halten. Er hatte auf einen anderen Ausgang dieses Gesprächs gehofft.
„Es ist besser so, glaub mir“, flüsterte Narcissa und richtete die Spitze seines Zauberstabs auf ihn.
„Nein“, widersprach er. „Ich würde lieber bis ans Ende meiner Tage unter dieser Trennung leiden, als auch nur einen Moment von dem zu vergessen, was wir zusammen hatten.“
„Warum willst du dann, dass ich es tue?“
„Du willst, dass ich dich vergesse. Wenn es dir damit besser geht, dann lasse ich mich von dir auch obliviaten.“
Narcissa ließ den Zauberstab sinken, weil sie es nicht über sich brachte, den Zauber zu wirken. Nicht, wenn Sirius so vor ihr stand. Völlig schutzlos, verletzbar und offen. Wahrscheinlich hatte sie ihn noch nie zuvor so zugänglich erlebt. Es schien ihr, als hätte er sein ganzes Inneres vor ihr ausgebreitet und es ihr überlassen, ob sie es zerstören oder erhalten wollte.
Sie blinzelte, weil es ihr Tränen in die Augen trieb. „Ich … ich kann … ich muss zurück“, entschied sie sich zu sagen. Etwas anderes brachte sie nicht über die Lippen. „Hat dich außer mir jemand gesehen?“
Sirius strich sich die schwarzen Locken zurück, was in ihr kurz das Bedürfnis hervorrief, auch ihre Finger hinein zu tauchen. „Nur der Hauself, der das Tor geöffnet hat.“
„Dann … solltest du dich vielleicht wenigstens kurz sehen lassen, damit keine Fragen aufgeworfen werden.“
„Wenn du das willst.“
„Hör auf!“, bat sie halb gereizt, halb resigniert. „Du bist doch ein eigenständiger Mensch, Sirius. Es geht doch nicht nur darum, was ich will.“
„Für mich schon. Denn was ich will, kann ich ja offenbar nicht haben.“
Narcissa seufzte, reichte ihm ihren Zauberstab und straffte die Schultern. „Gib Acht, dass dich niemand aus demselben Zimmer kommen sieht wie mich.“
„Meinen Verstand habe ich noch nicht eingebüßt.“
Sie lächelte. „Merlin sei Dank!“ Mit den Fingern betupfte sie die dünne Haut unter ihren Augen, um sicher zu gehen, dass sich nicht doch die eine oder andere Tränen einen Weg nach draußen gebahnt hatte. Dann öffnete sie die Tür und trat in die Eingangshalle hinaus.
Mit wenigen Schritten war sie wieder im Speisezimmer angekommen, wo Lucius sie in Empfang nahm. „Ich wollte schon nach dir suchen lassen“, bekannte er und legte ihr besitzergreifend einen Arm um die Taille. „Wo bist du gewesen?“
Narcissa sah sich demonstrativ um und senkte dann die Stimme, als sie antwortete: „Kleider dieser Art haben bei gewissen … menschlichen Bedürfnissen ihre Tücken.“
Lucius zog die Augenbrauen in die Stirn. „Gibt es dafür nicht auch irgendwelche Zauber?“
„Die gibt es zweifellos, aber leider hat dieses Kleid nicht unbedingt besonders viele Möglichkeiten, einen Zauberstab bei sich zu tragen.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Deshalb dauert alles etwas … länger.“
„Verstehe. Dann sollte ich wohl froh sein, dass ich keine Frau bin.“
Das solltest du in jeder Hinsicht, pflichtete Narcissa ihm in Gedanken bei.
Dabei konnte Frausein wohl auch schöne Seiten beinhalten. Einen kleinen Einblick in diese Welt hatte sie schließlich erhalten, als sie mit Sirius zusammen gewesen war. Insofern sollte sie Lucius’ Bemerkung eher auf gewisse Gesellschaftsschichten beschränken.
„Interessant“, hörte sie ihren Mann plötzlich sagen, und als sie den Kopf wandte, entdeckte sie Sirius, der das Zimmer betrat. Für einen kurzen Moment meinte sie, einen völlig anderen Menschen vor sich zu sehen. Jener Mann, der sich gerade der Hochzeitsgesellschaft anschloss, schien kaum noch etwas mit dem gemein zu haben, dem sie vor einigen Minuten gegenüber gestanden hatte. Er wirkte selbstbewusst und unnahbar. In seinen grauen Augen war keinerlei Emotion zu erkennen. Stattdessen lag der Hauch eines spöttischen Lächelns in seinen Mundwinkeln.
Die perfekte Maske, schoss es ihr durch den Kopf.
„Hättest du damit gerechnet, dass dein Cousin hier erscheinen würde?“, fragte Lucius.
„Nein.“ Und damit log sie nicht einmal. Sie hatte wirklich nicht mehr mit Sirius’ Erscheinen gerechnet.
„Wir sollten ihn begrüßen“, stellte ihr Mann fest.
Narcissa nickte und ließ sich von Lucius in Sirius’ Richtung schieben. Der hatte inzwischen auch die Aufmerksamkeit der übrigen Gäste, die um den langen Tisch saßen, auf sich gezogen.
„Welche Überraschung.“ Lucius streckte Sirius die Hand entgegen.
„Ich bin eingeladen“, erwiderte der.
„Ich weiß, aber ich denke, ich spreche nichts Unerwartetes aus, wenn ich sage, wir haben nicht damit gerechnet, dass du kommst.“
„Ich war neugierig“, ließ Sirius ihn wissen. „Es ist lange her, seit ich zuletzt hier war.“
„Was hat das zu bedeuten?“, mischte sich nun Abraxas ein. „Was hat er hier zu suchen?“
„Er ist eingeladen, Schwiegervater“, erklärte Narcissa.
Abraxas schnaubte. „Und wenn schon. Einen Verräter wollen wir nicht in unserer Mitte haben.“ Er blickte kurz über seine Schulter und sah diejenigen, die am nächsten saßen, zustimmend nicken. Sogar Sirius’ eigene Mutter, die ihren Sohn mit einem solch eisigen Blick musterte, dass es Narcissa erschaudern ließ.
„Vater“, mischte sich Lucius ein, „Sirius ist unser Gast. Er ist ein Black.“
„Ist er nicht“, ging nun Walburga dazwischen. Sie hatte sich erhoben und kam auf sie zu. „Wer auch immer das hier ist, ein Black ist er nicht.“
„Guten Tag, Mutter“, grüßte Sirius höflich. Ihm war nicht anzusehen, ob die kalte Art seiner Mutter ihn verletzte. Aber Narcissa hatte mit einem Mal das Bedürfnis, ihn vor all diesen Raubtieren zu schützen, die sich offenbar am liebsten auf ihn stürzen wollten.
„Du solltest tot sein und nicht mein lieber Regulus“, schleuderte sie ihm ins Gesicht. Als wäre dieser Satz alles gewesen, was sie hatte loswerden wollen, drehte sie sich um und setzte sich wieder an den Tisch.
„Dann hätten wir das auch geklärt“, kommentierte Sirius trocken. „Nicht, dass ich ihre Meinung nicht vorher schon gekannt hätte.“
Nur mit einiger Mühe gelang es Narcissa, Haltung zu bewahren. Dass Walburga Black eine schreckliche Frau war, hatte sie schon lange gewusst. Sirius hatte ihr einiges erzählt. Sie nun allerdings dabei zu erleben, wie sie ihrem eigenen Sohn solch hasserfüllte Worte entgegenwarf, brachte das Fass zum Überlaufen.
„Möchtest du dich nicht setzen?“, fragte Lucius und deutete auf einen Stuhl, den ein Hauself heraufbeschworen hatte.
„Nein.“ Sirius winkte ab. „Ich will euch die Hochzeitsfeier nicht verderben. Mir scheint, ich bin nicht willkommen.“
Am liebsten hätte Narcissa die Hand ausgestreckt und ihn am Arm berührt. Doch sie wagte es nicht.
„Du bist eingeladen und daher auch willkommen“, befand Lucius. „Mir ist zu Ohren gekommen, dass nach Regulus’ Tod einige Änderungen auf uns zukommen könnten.“
„In dieser Hinsicht ist das letzte Wort noch nicht gesprochen“, ließ sich Walburga noch einmal vernehmen. „Er kriegt jedenfalls nichts. Das schwöre ich.“
„Ich will allerdings nicht derjenige sein, der den zukünftigen Lord Black von meiner Tafel vertreibt“, bemerkte Lucius mit einem Seitenblick auf seinen Vater.
„Du hast Walburga gehört“, wandte der ein. „Aber meinetwegen kann er bleiben.“ Damit drehte sich auch Abraxas um und ging an seinen Platz zurück.
„Nun?“ Lucius sah zu Sirius.
„Nein, schon gut.“ Er winkte noch einmal ab. „Ich denke, ihr feiert besser ohne mich. Aber ich wollte persönlich meine Glückwünsche überbringen. Ihr seid zweifellos ein schönes Paar.“
Narcissa schluckte, rang sich dann aber ein Lächeln ab. „Vielen Dank.“
Sirius, der bisher den direkten Blickkontakt auf ein Minimum beschränkt hatte, sah sie an. Lange. Zu lange, wie sie fand. Lucius würde misstrauisch werden. Doch sie konnte nicht aufhören, diesen Blick zu erwidern.
Erst als Sirius „Nun denn“ sagte und den Kopf zum Gruß neigte, riss der Faden.
„Sirius?“ Sie schob sich durch die Tür in jenes Zimmer, in dem sie sich zuvor unterhalten hatten. „Bist du hier?“
Sie erhielt keine Antwort. Inzwischen hatte die Dämmerung eingesetzt und alles lag im Halbdunkel, so dass es ihr schwerfiel, Genaueres zu erkennen. Die Möbel hoben sich schwarz von den helleren Wänden ab. Aber eine menschliche Gestalt meinte sie nicht zu erkennen.
Enttäuscht senkte sie den Kopf. Sie hatte gehofft, Sirius wäre geblieben und hätte sich hier verborgen. Aber wie es schien, hatte sie seinen herausfordernden Blick falsch gedeutet.
Während der letzten Stunden hatte sie sich Gedanken darüber gemacht. Es war riskant gewesen, sie so lange anzusehen. Lucius hatte direkt neben ihr gestanden. Deshalb war sie irgendwann zu dem Schluss gekommen, dass Sirius etwas damit beabsichtigt hatte. Dass es ein Zeichen gewesen war. Doch offenbar hatte sie sich getäuscht. Sirius war tatsächlich gegangen.
Sollte sie sich darüber nicht freuen? Hatte sie nicht genau das beabsichtigt? Hatte sie ihn nicht sogar obliviaten wollen, um ihn sie vergessen zu lassen?
Nun, da er wirklich gegangen war, brach plötzlich der Schmerz über sie herein. Er war weg. Endgültig. Sein Auftritt im Speisezimmer war seine Abschiedsvorstellung für sie gewesen. Das letzte Mal.
Narcissa lehnte sich gegen die Tür und schloss die Augen, presste sich eine Hand auf die Brust, die mit einem Mal so eng war, dass sie glaubte, keine Luft mehr zu bekommen.
In wenigen Stunden würde sie mit Lucius in das Schlafzimmer hinaufgehen, das sie von nun an teilen würden. Er war nun ihr Mann. Aber warum? Warum hatte sie ihn geheiratet? Warum war sie nicht mit Sirius verschwunden, als sie die Chance dazu gehabt hatte? Warum war sie so feige gewesen?
Weil sie Sirius nicht liebte. Jedenfalls war sie sich nicht sicher, dass sie ihn liebte. Aber gerade jetzt – jetzt liebte sie ihn. Oder zumindest sehnte sie sich nach ihm. Sie hatte gehofft, er wäre geblieben. Für sie. Dabei hatte sie ihm doch gesagt, er sollte nicht nur das tun, was sie wollte. Und woher hätte er auch wissen sollen, dass sie es wollte? Sie selbst hatte ihn doch weggeschickt.
„Vermisst du mich?“
Narcissa schlug die Augen auf und sah sich um. Hatte sie nicht gerade Sirius’ Stimme gehört? Doch er war nirgends zu sehen.
„Vermisst du mich?“, war die Frage noch einmal zu vernehmen.
„Ja.“
Plötzlich sah sie jemanden. Eine Gestalt, die näherkam und allmählich vertraute Züge annahm.
„Warst du die ganze Zeit hier?“, fragte Narcissa.
„Dort in der Ecke konntest du mich bei diesen Lichtverhältnissen nicht sehen.“ Sirius grinste.
„Warst du dir sicher, dass ich zurückkommen würde?“
„Nein. Ich hatte es nur gehofft.“ Er zuckte mit den Schultern. „Und ich habe gehofft, dass du nicht mit Lucius auftauchst.“
Sie lächelte und fiel ihm um den Hals. „Es tut mir leid.“
„Mir auch.“
„Dir muss nichts leidtun.“ Sie sah ihn an, nahm sein Gesicht in ihre Hände und küsste ihn. „Ich habe den Fehler gemacht und dafür werden wir jetzt bezahlen.“
„Ich bezahle gern, wenn ich dich dafür wenigstens hin und wieder sehen darf.“
Narcissa nickte und küsste ihn wieder, diesmal verlangender. „Du bist ein Gryffindor, richtig?“, fragte sie heftig atmend.
„Ja.“
„Bist du mutig genug, es hier zu tun?“
„Ich dachte schon, du fragst nie?“ Er raffte den feinen Stoff ihres Kleides bis zu ihrer Taille und zog ihr den Slip so weit herunter, dass sie sich selbst davon befreien konnte. Dann drückte er sie gegen die Wand, öffnete seine Hose und griff nach ihren Beinen, um sie sich auf seine Hüften zu legen. „Diesmal sollten wir wohl leise sein“, flüsterte er, ehe er in sie eindrang.
Mein Dank geht an dieser Stelle wieder an Leseratte4 und Serpentina Black für ihre Reviews.
Liebe Grüße,
Moana
Die perfekte Maske
September 1979
Sie hatte lange keinen Schlaf gefunden und daher irgendwann auf einen Trank zurückgegriffen, den ihr ihre Mutter auf den Nachttisch gestellt hatte. Dennoch fühlte sie sich nicht sonderlich ausgeruht, als sie nun die Augen öffnete. Müde blinzelte sie an den Stoffhimmel über ihrem Bett und versuchte sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass dies ihre letzte Nacht als unverheiratete Frau gewesen war. Die letzte Nacht in ihrem Zimmer. Die letzte Nacht in Freiheit. Schon am nächsten Morgen würde sie neben Lucius Malfoy erwachen.
Narcissa schloss ihre Augen und legte den linken Unterarm darüber, während sich ihre rechte Hand in die Bettdecke krallte. Sie hatte Angst. Nie zuvor hatte sie solche Angst verspürt. Ihr war übel, in ihrem Bauch schien sich ein gigantisches Loch aufzutun, das sie zu verschlucken drohte.
Abrupt setzte sie sich auf und ließ den Arm sinken. Auf dem Tischchen in der Nähe des Fensters stand ein Tablett mit einer Teekanne, einer Tasse und einer Schale mit Früchten. Hastig wandte sie den Blick ab. Wie sollte sie etwas essen? Wie sollte sie diesen Tag bewältigen? Wie sollte sie mit Ja antworten, wenn sie eigentlich Nein meinte? Sie wollte Lucius Malfoy nicht heiraten. Sie wollte niemanden heiraten. Zumindest nicht jetzt. Irgendwann. Möglicherweise. Vielleicht in ein paar Jahren. Aber ganz sicher keinen Mann, der von ihren Eltern ausgewählt worden war. Sie wollte selbst entscheiden.
„Nun hör schon auf!“, ermahnte sie sich. „Andere Frauen haben es schließlich auch überstanden.“
Entschlossen, sich nicht mehr von ihren Gefühlen leiten zu lassen, schlug sie die Bettdecke zurück und stand auf. In wenigen Stunden würde sie Mrs Malfoy sein, die Frau an der Seite des mächtigen und reichen Lucius Malfoy. Sie sollte sich glücklich schätzen. Hatte ihre Mutter nicht prophezeit, dass sie wie eine Königin leben würde? War es nicht das, was sich kleine Mädchen wünschten? Ihr wurde dieser Wunsch erfüllt. Darüber sollte sie sich freuen. Lucius Malfoy war kein schlechter Mann. Er sah gut aus und besaß eine Menge Geld und Einfluss.
Narcissa steckte sich eine Weintraube in den Mund und kaute lange und konzentriert darauf herum, in der Hoffnung, die Übelkeit damit zu vertreiben. Schließlich schenkte sie sich auch Tee ein. Irgendwann würde sich ihr Magen schon beruhigen.
Sie setzte sich auf einen der beiden Stühle und zog, einem Impuls folgend, den rechten Fuß auf die Sitzfläche. Eine solche Position hatte sie bisher nur in Sirius’ Gegenwart einzunehmen gewagt. Manchmal war sie dabei sogar nackt gewesen, so dass sie ihm damit einen mehr oder weniger ungehinderten Blick auf ihre Scham gewährt hätte. Unwillkürlich musste sie lächeln. Bei einem ihrer Treffen hatte Sirius ihre Haltung zum Anlass genommen, die Hand auszustrecken und ihren Oberschenkel entlang zu streicheln. Er hatte es langsam getan und sie dabei beobachtet. Zu ihrer größten Enttäuschung hatte er ihre Scham allerdings nicht berührt. Er hatte ihr den letzten, entscheidenden Schritt überlassen. So war sie es am Ende gewesen, die seine Hand weitergeführt hatte.
Narcissa setzte ihren Fuß wieder auf den Boden und schlug schließlich sogar die Beine übereinander, um das Pulsieren, das bei diesen Erinnerungen eingesetzt hatte, im Keim zu ersticken. Sirius gehörte nicht mehr in ihr Leben. Alles, was sie jemals verbunden hatte, gehörte der Vergangenheit an.
Als der erste Schluchzer aus ihr herausbrach, schlug sie sich eine Hand vor den Mund und presste die Augenlider fest zusammen. Merlin, wie sie ihn vermisste! Sie hatte versucht, es zu verdrängen, hatte versucht, sich abzulenken, hatte sich eingeredet, es wäre unvernünftig und dumm, so zu fühlen. Aber gerade jetzt brach alles noch einmal über sie herein. Über vier Wochen hatte sie ihn nicht gesehen. Seit ihrem ersten heimlichen Abenteuer in New York waren sie nicht mehr so lange voneinander getrennt gewesen. Und obwohl sie damit gerechnet hatte, ihn zu vermissen, war sie von der Stärke dieses Gefühls überrascht worden. An manchen Tagen hatte sie sich nur noch wie eine leere Hülle gefühlt. Wie eines ihrer Kleider, das im Schrank auf einem Bügel hing. Dann hatte sie kaum mit jemandem geredet, weil ihr selbst einfache Gespräche zu anstrengend erschienen waren. Jegliche Energie, die dazu nötig gewesen wäre, war ihr abhandengekommen. Sie hatte sich wie ein den Widrigkeiten des Lebens ausgeliefertes Baby gefühlt. Dabei war sie doch kein Baby mehr. Sie war eine erwachsene Frau, die im Begriff war, die Ehefrau eines mächtigen Magiers zu werden. Doch ihr Inneres schrie nach einem anderen Mann. Wie ein Säugling nach seiner Mutter.
War es nicht absurd, so zu empfinden? Mit Sirius verband sie doch nichts. Sie hatten miteinander geschlafen. Sie hatten miteinander geredet. Und gestritten. Und sich geliebt. Immer und immer und immer wieder. Vermisste sie das? Wollte sie diese Körperlichkeit zurückhaben? Die Hemmungslosigkeit, die ihr gleichzeitig ein Gefühl von Freiheit geschenkt hatte?
Sirius war anders. Er sprach aus, was er dachte. Er sprach aus, was er fühlte. Und er zeigte es ihr auch. Mit ihm gab es keine vornehme Zurückhaltung. Er achtete nicht auf Etikette. Er sorgte sich nicht um gutes Benehmen, weil er sich davon befreit hatte.
Doch sie ließ sich davon immer weiter einwickeln. Sie würde einen Mann heiraten, der für all das stand. Als Ehefrau von Lucius Malfoy musste sie sich zurückhalten und auf Etikette achten. Als Herrin von Malfoy Manor hatte sie sich zu benehmen. Keine Hemmungslosigkeiten mehr. Keine Zügellosigkeiten mehr. Keine Freiheit.
Wie würde es sein, mit Lucius Malfoy zu schlafen? Würde er in ihr dieselben Empfindungen wecken können wie Sirius? An ihrem Körper hatte sich schließlich nichts verändert. Er war immer noch derselbe. Konnte ein Lucius Malfoy all das in ihr auslösen, was Sirius bereits ausgelöst hatte?
Vielleicht musste sie ihrem zukünftigen Ehemann nur eine Chance geben. War es nicht ungerecht, ihm diese Fähigkeiten von Anfang an abzusprechen? Sirius mochte in ihr Gefühle hervorgerufen haben, die sie als etwas Besonderes ansah. Doch waren sie das wirklich? Spann sie sich nicht gerade etwas zusammen, das in Wahrheit gar nicht existierte?
Mit Sirius hatte sie etwas erlebt, das sie vorher für undenkbar gehalten hatte. Deshalb hatte es in ihrer Erinnerung auch einen besonderen Platz eingenommen. Ihr fehlte jedoch jeglicher Vergleich. Wie sollte sie das Zusammensein mit Sirius objektiv bewerten, wenn sie nichts anderes kannte?
Narcissa lächelte, schob sich eine weitere Traube in den Mund und stand auf. Jetzt, da sie noch einmal über alles nachgedacht hatte, fühlte sie sich bedeutend besser. Lucius Malfoy mochte nicht der Mann sein, den sie für sich selbst gewählt hätte. Aber er war auch keiner jener Männer, die sie vollkommen ausgeschlossen hätte. Er war weder alt noch hässlich. Mehr brauchte sie erst einmal nicht zu wissen.
***
Es hatte ihn schon am frühen Morgen aus dem Bett getrieben. Um sich von der bevorstehenden Hochzeit abzulenken, war er mehrere Kilometer durch den nahegelegenen Wald gelaufen, wo sich die Blätter mancher Bäume bereits herbstlich verfärbten. Danach hatte er geduscht und für sich, James und Lily Kaffee gekocht. Weil seine Freunde noch nicht aufgestanden waren, hatte er die Kanne mit einem Warmhalte-Zauber belegt und war mit dem Getränk zurück in sein Schlafzimmer gegangen. Dort hatte er die Pergamentrolle mit der Einladung hervorgeholt und sie noch einmal betrachtet. Narcissa hatte ihm deutlich zu verstehen gegeben, dass sie nicht dasselbe für ihn empfand wie er für sie.
Wann immer er in den letzten Wochen darüber nachgedacht hatte, war der Schmerz wie eine scharfe Klinge in seine Brust gefahren. Während seiner Zeit in Hogwarts hatte er nie verstanden, was andere meinten, wenn sie von Liebeskummer sprachen, der körperlich spürbar war. Stattdessen hatte er sie meist ausgelacht, weil er sich solche Gefühle nicht hatte vorstellen können. Inzwischen konnte er es nachempfinden. Er wusste genau, was mit diesem Schmerz gemeint war. Er kannte ihn gut. Aber etwas in ihm begehrte auch dagegen auf. Und so hatte er die Pergamentrolle irgendwann auf das Bett geworfen und im Schrank nach einer passenden Festrobe gesucht.
Nun stand er vor den Toren Malfoy Manors – James und Lily hatte er erzählt, er wolle nur sehen, wie die Hochzeitsgesellschaft auf sein Erscheinen reagiere – und ließ den Blick über die hohen Kastanien und Ulmen wandern, die den Weg zum Herrenhaus säumten. Auch ihre Blätter begannen sich schon gelb und braun zu verfärben. Dennoch war der Park des Anwesens immer noch sehr beeindruckend.
Ein Ploppen ließ ihn zusammenzucken. „Kann Dobby helfen?“ Der Hauself verneigte sich.
„Ja.“ Sirius zog die Einladung aus der Tasche und zeigte sie der Kreatur. „Ich weiß, ich bin ein bisschen zu spät, aber ich hoffe, es gibt noch Kuchen.“ Er zwinkerte dem kleinen Wesen zu.
„Die Trauungszeremonie ist vorbei, aber das Fest hat gerade erst begonnen“, erklärte Dobby.
Sirius schluckte. Seinen Plan, Narcissa mehr oder weniger zu entführen, war damit hinfällig. Dabei hatte er sich in Gedanken schon ausgemalt, wie er das Überraschungsmoment für sich würde nutzen können, um sie an sich zu reißen und mit ihr aus Malfoy Manor zu flüchten.
Auf einem weißen Pferd, fügte er spöttisch hinzu.
Wobei er nicht besonders gut reiten konnte.
„Dann komme ich ja gerade richtig“, behauptete er flapsig. „Lässt du mich rein?“
„Natürlich lässt Dobby Mr Sirius Black herein. Mr Sirius Black wurde eingeladen.“ Der Hauself schnippte mit den Fingern und ließ das schmiedeeiserne Tor aufschwingen.
Sirius schloss für einen Moment die Augen, ehe er hindurchtrat. Ihm graute vor dem, was er im Haus zu sehen bekommen würde. Gleichzeitig wollte er nichts mehr, als Narcissa nahe zu sein.
„Mr Sirius Black kann direkt ins Haus gehen oder sich von Dobby bringen lassen“, teilte der Hauself ihm mit.
„Ich gehe selbst, danke.“ Bis er das Eingangsportal erreichte, waren ihm vielleicht auch die passenden Worte eingefallen, mit denen er Narcissa und Lucius gegenübertreten konnte.
Er straffte die Schultern und ging gemäßigten Schrittes auf dem gekiesten Weg zur großen Freitreppe. Noch ehe er den Fuß auf die unterste Stufe setzte, blieb er jedoch stehen. Sollte er wirklich hineingehen? War es nicht besser, kehrt zu machen und zu James und Lily zurück zu apparieren? Narcissa schien keinen weiteren Kontakt mit ihm zu wünschen. Sie liebte ihn nicht.
Hunderte Male hatte er versucht zu ergründen, woran es lag, dass sie seine Gefühle nicht erwiderte. Immer wieder hatte er sich gefragt, was er falsch gemacht hatte. War er nicht aufmerksam genug gewesen? Oder hatte er ihr nicht oft genug gesagt, wie schön und begehrenswert sie war? Hatte es daran gelegen, dass er nicht Lord Black hatte werden wollen?
Obwohl er sich den Kopf zermartert hatte, war er zu keinem Ergebnis gekommen. Alles, was er wusste, war, dass seine Bemühungen nicht ausgereicht hatten. Ausgerechnet jene Frau, die er wirklich liebte, hatte ihn abgewiesen. Einem ersten Impuls folgend hatte er sich ins Nachtleben stürzen wollen, um nach einem Ersatz zu suchen. Doch schon nach einer Stunde war er aus der Bar verschwunden, um seinen Kummer am Ufer der Themse in Wodka zu ertränken.
Danach hatte er geschwankt zwischen wilder Entschlossenheit, sich noch einmal um Narcissa zu bemühen, und Resignation.
Sirius rieb sich über das Gesicht, während er die Treppe hinaufsah. Ihn trennten nur noch wenige Meter von Narcissa. Von Mrs Malfoy. Lucius’ Frau. Er ballte die Hände zu Fäusten. Würde er jemals in der Lage sein, sie als die Frau eines anderen zu sehen? Würde sie in seinem Kopf nicht auf ewig seine Frau bleiben? Sie mochte ihn nicht lieben und seine Gefühle für sie anzweifeln, aber er wusste, dass er sich nichts einbildete. Das, was er für sie empfand, war echt. Und er würde ihr das beweisen. Sie hatte ihn gebeten zu kommen, hatte ihn förmlich angefleht, sie nicht mit diesen Menschen allein zu lassen. Vielleicht hatte sie es längst vergessen, aber er konnte sich noch gut daran erinnern.
Entschlossen erklomm Sirius die Treppe und öffnete die Tür. Aus dem Speisezimmer drangen Stimmen und das Klappern von Geschirr und Besteck. Im Hintergrund spielte offenbar ein Streichquartett.
Er sah sich nur kurz nach dem Eingangsportal um und ging dann weiter. Als sich jedoch die Tür zum Speisezimmer öffnete und Narcissa heraustrat, blieb er wie angewurzelt stehen. Auch sie erstarrte für die Dauer einiger Herzschläge, besann sich aber dann und kam auf ihn zu.
„Sirius.“ Sie schenkte ihm ein aufgesetztes Lächeln. „Was tust du denn hier?“
„Du hast mich eingeladen“, erinnerte er sie und schluckte hart. Sie war so wunderschön. In ihrem blonden, zu einer kunstvollen Frisur aufgetürmten Haar steckte eine Tiara und das weiße Kleid floss in schimmernden Bahnen an ihrem schlanken Körper entlang. Entgegen dem, was er angenommen hatte, war es schmal geschnitten und nur am Ausschnitt und an den feinen Trägern mit Perlen und Steinen verziert.
„Ich … ich bin davon ausgegangen, dass du nicht kommst“, gestand sie leise, aber mit einem Unterton, der ihr Unbehagen verriet.
„Ich habe dir etwas versprochen.“
Fragend hob sie die Augenbrauen. Konnte sie sich wirklich nicht mehr erinnern oder wollte sie nicht?
„Du wolltest, dass ich dich nicht allein lasse mit diesen Menschen.“ Mit dem Kinn nickte er in Richtung Tür. „Weißt du es nicht mehr?“ Sollte für sie wirklich alles nur ein Spiel gewesen sein? Das konnte und wollte er nicht glauben.
Sie presste die Lippen aufeinander und senkte den Blick. Dann kam sie plötzlich drei Schritte auf ihn zu, packte ihn an einem Arm und zog ihn durch die Eingangshalle in ein etwas abgelegeneres Zimmer.
„Soll ich einen Zauber – ?“, fragte Sirius.
„Nein, das würde Lucius sofort bemerken. Wir müssen einfach leise sein.“ Sie schloss für einen Moment die Augen, als müsste sie sich erst sammeln. „Warum bist du gekommen?“
„Ich habe es dir bereits gesagt.“ So sehr es ihn auch schmerzte, sie nicht an sich ziehen und küssen zu können, er bereute es nicht, der Einladung gefolgt zu sein. Allein ihr Anblick war es wert, sich hinterher mit den unangenehmen Gefühlen herumzuschlagen, die unweigerlich aufsteigen würden, sobald er sie hier allein ließ.
„Warum tust du uns das an?“
„Uns?“ Sirius lächelte. „Also gibt es noch ein Uns?“
Narcissa wirkte irritiert, schüttelte dann aber den Kopf. „Nein, Sirius, es gibt kein Uns. Ich habe dir doch gesagt – “
„Dass du mich nicht liebst, ja.“ Er schluckte. „Hast du mich in den letzten Wochen gar nicht vermisst?“
„Was spielt das für eine Rolle? Ich bin jetzt verheiratet.“ Wie zum Beweis streckte sie die linke Hand aus und zeigte ihm den silbernen Ring, der an ihrem Ringfinger steckte.
„Das ändert für mich nichts. Ich meine, es ändert nichts an meinen Gefühlen für dich und … dass ich mit dir zusammen sein will.“
„Weißt du eigentlich, in welche Gefahr du uns gerade bringst?“
„Vielleicht sollte ich es Lucius einfach sagen“, überlegte Sirius und streckte die Hand nach der Türklinke aus. „Ich gehe zu ihm und sage ihm, dass ich seine Frau liebe. Wenn er mich dann tötet, ist das eben so.“ Gerade erschien ihm dieser Gedanke sogar sehr verlockend.
„Das bist doch nicht du, Sirius“, wandte Narcissa ein. „Das ist nicht der Mann, den ich … kennengelernt habe. Du bist ein Gryffindor, Sirius. Warst du darauf nicht immer stolz?“
„Gerade wünschte ich, ich wäre ein Slytherin.“ Dann wäre so vieles einfacher für ihn.
„Nein, das tust du nicht“, widersprach Narcissa.
„Woher willst du das wissen?“
„Ich kenne dich.“ Sie lächelte. „Gerade bist du nicht mehr du selbst. Wo ist der … Rebell in dir? Der Kämpfer?“
„Wäre dir der Rebell lieber? Oder der Kämpfer?“ Würde er sie damit wieder für sich gewinnen?
„Mir wäre lieber, du wärst wieder der Sirius, den ich kenne und nicht der, von dem ich nur Liebesschwüre zu hören bekomme.“
„Willst du nicht geliebt werden?“ Er hatte jedenfalls erkannt, dass auch er danach strebte. Die Mädchen, mit denen er sich bisher immer getroffen hatte, waren in ihn verliebt gewesen. Das hatte ihm gutgetan. Auch wenn er keiner von ihnen irgendwelche tieferen Gefühle entgegengebracht hatte, von ihnen hatte er welche erhalten.
Sie schluckte und wandte sich ab. „Ich … ich denke, ich habe einfach damit abgeschlossen.“
„Womit?“
„Ich wusste doch immer, dass ich einen Mann heiraten würde, den ich wahrscheinlich nicht liebe und der mich nicht liebt.“
„Das heißt doch nicht, dass du es nicht kannst. Und es heißt auch nicht, dass es keinen Mann gibt, der dich liebt.“
„Sirius“, sie drehte sich wieder zu ihm um, „geh und vergiss mich!“
„Dann obliviate mich jetzt!“ Er reichte ihr seinen Zauberstab, weil er davon ausging, dass sie keinen bei sich trug. „Nimm mir die Erinnerungen an dich, denn ansonsten kann ich dich nicht vergessen.“
Ihre Hand zitterte, als sie nach seinem Zauberstab griff. Eine Weile starrte sie das glatte Holz nur an, mit dem sie zuvor bereits einige Male Magie gewirkt hatte.
„Tu es jetzt!“, forderte Sirius, während er versuchte, seine Tränen in Zaum zu halten. Er hatte auf einen anderen Ausgang dieses Gesprächs gehofft.
„Es ist besser so, glaub mir“, flüsterte Narcissa und richtete die Spitze seines Zauberstabs auf ihn.
„Nein“, widersprach er. „Ich würde lieber bis ans Ende meiner Tage unter dieser Trennung leiden, als auch nur einen Moment von dem zu vergessen, was wir zusammen hatten.“
„Warum willst du dann, dass ich es tue?“
„Du willst, dass ich dich vergesse. Wenn es dir damit besser geht, dann lasse ich mich von dir auch obliviaten.“
***
Narcissa ließ den Zauberstab sinken, weil sie es nicht über sich brachte, den Zauber zu wirken. Nicht, wenn Sirius so vor ihr stand. Völlig schutzlos, verletzbar und offen. Wahrscheinlich hatte sie ihn noch nie zuvor so zugänglich erlebt. Es schien ihr, als hätte er sein ganzes Inneres vor ihr ausgebreitet und es ihr überlassen, ob sie es zerstören oder erhalten wollte.
Sie blinzelte, weil es ihr Tränen in die Augen trieb. „Ich … ich kann … ich muss zurück“, entschied sie sich zu sagen. Etwas anderes brachte sie nicht über die Lippen. „Hat dich außer mir jemand gesehen?“
Sirius strich sich die schwarzen Locken zurück, was in ihr kurz das Bedürfnis hervorrief, auch ihre Finger hinein zu tauchen. „Nur der Hauself, der das Tor geöffnet hat.“
„Dann … solltest du dich vielleicht wenigstens kurz sehen lassen, damit keine Fragen aufgeworfen werden.“
„Wenn du das willst.“
„Hör auf!“, bat sie halb gereizt, halb resigniert. „Du bist doch ein eigenständiger Mensch, Sirius. Es geht doch nicht nur darum, was ich will.“
„Für mich schon. Denn was ich will, kann ich ja offenbar nicht haben.“
Narcissa seufzte, reichte ihm ihren Zauberstab und straffte die Schultern. „Gib Acht, dass dich niemand aus demselben Zimmer kommen sieht wie mich.“
„Meinen Verstand habe ich noch nicht eingebüßt.“
Sie lächelte. „Merlin sei Dank!“ Mit den Fingern betupfte sie die dünne Haut unter ihren Augen, um sicher zu gehen, dass sich nicht doch die eine oder andere Tränen einen Weg nach draußen gebahnt hatte. Dann öffnete sie die Tür und trat in die Eingangshalle hinaus.
Mit wenigen Schritten war sie wieder im Speisezimmer angekommen, wo Lucius sie in Empfang nahm. „Ich wollte schon nach dir suchen lassen“, bekannte er und legte ihr besitzergreifend einen Arm um die Taille. „Wo bist du gewesen?“
Narcissa sah sich demonstrativ um und senkte dann die Stimme, als sie antwortete: „Kleider dieser Art haben bei gewissen … menschlichen Bedürfnissen ihre Tücken.“
Lucius zog die Augenbrauen in die Stirn. „Gibt es dafür nicht auch irgendwelche Zauber?“
„Die gibt es zweifellos, aber leider hat dieses Kleid nicht unbedingt besonders viele Möglichkeiten, einen Zauberstab bei sich zu tragen.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Deshalb dauert alles etwas … länger.“
„Verstehe. Dann sollte ich wohl froh sein, dass ich keine Frau bin.“
Das solltest du in jeder Hinsicht, pflichtete Narcissa ihm in Gedanken bei.
Dabei konnte Frausein wohl auch schöne Seiten beinhalten. Einen kleinen Einblick in diese Welt hatte sie schließlich erhalten, als sie mit Sirius zusammen gewesen war. Insofern sollte sie Lucius’ Bemerkung eher auf gewisse Gesellschaftsschichten beschränken.
„Interessant“, hörte sie ihren Mann plötzlich sagen, und als sie den Kopf wandte, entdeckte sie Sirius, der das Zimmer betrat. Für einen kurzen Moment meinte sie, einen völlig anderen Menschen vor sich zu sehen. Jener Mann, der sich gerade der Hochzeitsgesellschaft anschloss, schien kaum noch etwas mit dem gemein zu haben, dem sie vor einigen Minuten gegenüber gestanden hatte. Er wirkte selbstbewusst und unnahbar. In seinen grauen Augen war keinerlei Emotion zu erkennen. Stattdessen lag der Hauch eines spöttischen Lächelns in seinen Mundwinkeln.
Die perfekte Maske, schoss es ihr durch den Kopf.
„Hättest du damit gerechnet, dass dein Cousin hier erscheinen würde?“, fragte Lucius.
„Nein.“ Und damit log sie nicht einmal. Sie hatte wirklich nicht mehr mit Sirius’ Erscheinen gerechnet.
„Wir sollten ihn begrüßen“, stellte ihr Mann fest.
Narcissa nickte und ließ sich von Lucius in Sirius’ Richtung schieben. Der hatte inzwischen auch die Aufmerksamkeit der übrigen Gäste, die um den langen Tisch saßen, auf sich gezogen.
„Welche Überraschung.“ Lucius streckte Sirius die Hand entgegen.
„Ich bin eingeladen“, erwiderte der.
„Ich weiß, aber ich denke, ich spreche nichts Unerwartetes aus, wenn ich sage, wir haben nicht damit gerechnet, dass du kommst.“
„Ich war neugierig“, ließ Sirius ihn wissen. „Es ist lange her, seit ich zuletzt hier war.“
„Was hat das zu bedeuten?“, mischte sich nun Abraxas ein. „Was hat er hier zu suchen?“
„Er ist eingeladen, Schwiegervater“, erklärte Narcissa.
Abraxas schnaubte. „Und wenn schon. Einen Verräter wollen wir nicht in unserer Mitte haben.“ Er blickte kurz über seine Schulter und sah diejenigen, die am nächsten saßen, zustimmend nicken. Sogar Sirius’ eigene Mutter, die ihren Sohn mit einem solch eisigen Blick musterte, dass es Narcissa erschaudern ließ.
„Vater“, mischte sich Lucius ein, „Sirius ist unser Gast. Er ist ein Black.“
„Ist er nicht“, ging nun Walburga dazwischen. Sie hatte sich erhoben und kam auf sie zu. „Wer auch immer das hier ist, ein Black ist er nicht.“
„Guten Tag, Mutter“, grüßte Sirius höflich. Ihm war nicht anzusehen, ob die kalte Art seiner Mutter ihn verletzte. Aber Narcissa hatte mit einem Mal das Bedürfnis, ihn vor all diesen Raubtieren zu schützen, die sich offenbar am liebsten auf ihn stürzen wollten.
„Du solltest tot sein und nicht mein lieber Regulus“, schleuderte sie ihm ins Gesicht. Als wäre dieser Satz alles gewesen, was sie hatte loswerden wollen, drehte sie sich um und setzte sich wieder an den Tisch.
„Dann hätten wir das auch geklärt“, kommentierte Sirius trocken. „Nicht, dass ich ihre Meinung nicht vorher schon gekannt hätte.“
Nur mit einiger Mühe gelang es Narcissa, Haltung zu bewahren. Dass Walburga Black eine schreckliche Frau war, hatte sie schon lange gewusst. Sirius hatte ihr einiges erzählt. Sie nun allerdings dabei zu erleben, wie sie ihrem eigenen Sohn solch hasserfüllte Worte entgegenwarf, brachte das Fass zum Überlaufen.
„Möchtest du dich nicht setzen?“, fragte Lucius und deutete auf einen Stuhl, den ein Hauself heraufbeschworen hatte.
„Nein.“ Sirius winkte ab. „Ich will euch die Hochzeitsfeier nicht verderben. Mir scheint, ich bin nicht willkommen.“
Am liebsten hätte Narcissa die Hand ausgestreckt und ihn am Arm berührt. Doch sie wagte es nicht.
„Du bist eingeladen und daher auch willkommen“, befand Lucius. „Mir ist zu Ohren gekommen, dass nach Regulus’ Tod einige Änderungen auf uns zukommen könnten.“
„In dieser Hinsicht ist das letzte Wort noch nicht gesprochen“, ließ sich Walburga noch einmal vernehmen. „Er kriegt jedenfalls nichts. Das schwöre ich.“
„Ich will allerdings nicht derjenige sein, der den zukünftigen Lord Black von meiner Tafel vertreibt“, bemerkte Lucius mit einem Seitenblick auf seinen Vater.
„Du hast Walburga gehört“, wandte der ein. „Aber meinetwegen kann er bleiben.“ Damit drehte sich auch Abraxas um und ging an seinen Platz zurück.
„Nun?“ Lucius sah zu Sirius.
„Nein, schon gut.“ Er winkte noch einmal ab. „Ich denke, ihr feiert besser ohne mich. Aber ich wollte persönlich meine Glückwünsche überbringen. Ihr seid zweifellos ein schönes Paar.“
Narcissa schluckte, rang sich dann aber ein Lächeln ab. „Vielen Dank.“
Sirius, der bisher den direkten Blickkontakt auf ein Minimum beschränkt hatte, sah sie an. Lange. Zu lange, wie sie fand. Lucius würde misstrauisch werden. Doch sie konnte nicht aufhören, diesen Blick zu erwidern.
Erst als Sirius „Nun denn“ sagte und den Kopf zum Gruß neigte, riss der Faden.
***
„Sirius?“ Sie schob sich durch die Tür in jenes Zimmer, in dem sie sich zuvor unterhalten hatten. „Bist du hier?“
Sie erhielt keine Antwort. Inzwischen hatte die Dämmerung eingesetzt und alles lag im Halbdunkel, so dass es ihr schwerfiel, Genaueres zu erkennen. Die Möbel hoben sich schwarz von den helleren Wänden ab. Aber eine menschliche Gestalt meinte sie nicht zu erkennen.
Enttäuscht senkte sie den Kopf. Sie hatte gehofft, Sirius wäre geblieben und hätte sich hier verborgen. Aber wie es schien, hatte sie seinen herausfordernden Blick falsch gedeutet.
Während der letzten Stunden hatte sie sich Gedanken darüber gemacht. Es war riskant gewesen, sie so lange anzusehen. Lucius hatte direkt neben ihr gestanden. Deshalb war sie irgendwann zu dem Schluss gekommen, dass Sirius etwas damit beabsichtigt hatte. Dass es ein Zeichen gewesen war. Doch offenbar hatte sie sich getäuscht. Sirius war tatsächlich gegangen.
Sollte sie sich darüber nicht freuen? Hatte sie nicht genau das beabsichtigt? Hatte sie ihn nicht sogar obliviaten wollen, um ihn sie vergessen zu lassen?
Nun, da er wirklich gegangen war, brach plötzlich der Schmerz über sie herein. Er war weg. Endgültig. Sein Auftritt im Speisezimmer war seine Abschiedsvorstellung für sie gewesen. Das letzte Mal.
Narcissa lehnte sich gegen die Tür und schloss die Augen, presste sich eine Hand auf die Brust, die mit einem Mal so eng war, dass sie glaubte, keine Luft mehr zu bekommen.
In wenigen Stunden würde sie mit Lucius in das Schlafzimmer hinaufgehen, das sie von nun an teilen würden. Er war nun ihr Mann. Aber warum? Warum hatte sie ihn geheiratet? Warum war sie nicht mit Sirius verschwunden, als sie die Chance dazu gehabt hatte? Warum war sie so feige gewesen?
Weil sie Sirius nicht liebte. Jedenfalls war sie sich nicht sicher, dass sie ihn liebte. Aber gerade jetzt – jetzt liebte sie ihn. Oder zumindest sehnte sie sich nach ihm. Sie hatte gehofft, er wäre geblieben. Für sie. Dabei hatte sie ihm doch gesagt, er sollte nicht nur das tun, was sie wollte. Und woher hätte er auch wissen sollen, dass sie es wollte? Sie selbst hatte ihn doch weggeschickt.
„Vermisst du mich?“
Narcissa schlug die Augen auf und sah sich um. Hatte sie nicht gerade Sirius’ Stimme gehört? Doch er war nirgends zu sehen.
„Vermisst du mich?“, war die Frage noch einmal zu vernehmen.
„Ja.“
Plötzlich sah sie jemanden. Eine Gestalt, die näherkam und allmählich vertraute Züge annahm.
„Warst du die ganze Zeit hier?“, fragte Narcissa.
„Dort in der Ecke konntest du mich bei diesen Lichtverhältnissen nicht sehen.“ Sirius grinste.
„Warst du dir sicher, dass ich zurückkommen würde?“
„Nein. Ich hatte es nur gehofft.“ Er zuckte mit den Schultern. „Und ich habe gehofft, dass du nicht mit Lucius auftauchst.“
Sie lächelte und fiel ihm um den Hals. „Es tut mir leid.“
„Mir auch.“
„Dir muss nichts leidtun.“ Sie sah ihn an, nahm sein Gesicht in ihre Hände und küsste ihn. „Ich habe den Fehler gemacht und dafür werden wir jetzt bezahlen.“
„Ich bezahle gern, wenn ich dich dafür wenigstens hin und wieder sehen darf.“
Narcissa nickte und küsste ihn wieder, diesmal verlangender. „Du bist ein Gryffindor, richtig?“, fragte sie heftig atmend.
„Ja.“
„Bist du mutig genug, es hier zu tun?“
„Ich dachte schon, du fragst nie?“ Er raffte den feinen Stoff ihres Kleides bis zu ihrer Taille und zog ihr den Slip so weit herunter, dass sie sich selbst davon befreien konnte. Dann drückte er sie gegen die Wand, öffnete seine Hose und griff nach ihren Beinen, um sie sich auf seine Hüften zu legen. „Diesmal sollten wir wohl leise sein“, flüsterte er, ehe er in sie eindrang.