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Der Jarl

Kurzbeschreibung
GeschichteFantasy / P16 / Gen
08.06.2023
28.09.2023
15
22.147
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Suchend sah Kari sich um, trat dann auf zwei Vampire zu, die, mit nacktem Oberkörper, einen Baumstamm bearbeiteten. Immer wieder sausten ihre Äxte auf das junge Holz nieder, brachten es in die gewünschte Form. Nur kurz drehte der Jarl den Blick zu der Stelle, an der bis gestern eine Baumgruppe gestanden hatte. Nun waren lediglich noch die Baumstümpfe zu sehen.
Er seufzte leise. So leid es ihm um die Bäume tat, es war nicht anders gegangen. Sie brauchten das Holz.
Kari räusperte sich leicht. Sofort ließen die Männer die Äxte sinken und sahen auf. „Arnoud, Tarok. Kommt mit. Ich habe jetzt Zeit, mit Euch zu reden. Danach gibt es vielleicht eine andere Aufgabe für Euch.“ Respektvoll verneigten die Männer sich, legten die Äxte zur Seite und folgten dem Jarl.
Zielstrebig schritt Kari auf sein Zelt zu. Erst kurz vor dem Eingang stockte er, schwenkte ab und trat stattdessen an die Feuerstelle, an der wie stets einige Steckstühle standen.
„Setzt Euch“, forderte er und wies auf zwei Stühle, während er selbst mit verschränkten Armen davor stehen blieb. Arnoud wischte nervös seine Hände an der Hose ab, nahm dann Platz. Tarok griff angespannt nach der schräg stehenden Rückenlehne. Er schluckte leicht, bevor er sich ebenfalls setzte. Schweigend sah Kari auf die beiden Vampire hinab, die unter seinem Blick immer nervöser wurden. Kari lächelte fast schon boshaft.
„Ihr wollt also in meine Dienste treten. Warum?“
„Ihr sagtet, dass Ihr sinnlose Gewalt an Sklaven verabscheut …“, setzte Arnoud an.
„Falsch“, unterbrach Kari kalt. „Ich verabscheue grundsätzlich Gewalt gegenüber Sklaven. Das sollte – wenn überhaupt – das allerletzte Mittel sein.“
Betreten senkte der Vampir den Kopf.
„Tarik und ich haben uns heute Nacht lange unterhalten“, ergriff er schließlich erneut das Wort.
„Die Sklaven wurden in den letzten Jahren immer brutaler behandelt. Bereits bei Kleinigkeiten hat Euer Vater drakonische Strafen verhängt. Auch Caja war davon betroffen und das mehr als nur einmal. Wir waren wirklich erstaunt, wie das Mädchen sich Euch gegenüber verhalten hat. Ja, sie hatte Angst, aber sie schien Euch nicht ernsthaft zu fürchten.“
Kari zuckte die Schultern. „Sie hat begriffen, dass ich nicht wie mein Vater bin. Es liegt nicht in meinem Interesse, dass die Sklaven mir lediglich aus Angst vor Strafe dienen.“
Tarok nickte. „Das mag stimmen, Jarl. Aber Euch ist das innerhalb kürzester Zeit gelungen. Das hat uns sehr beeindruckt.“
„Und nur deshalb wollt Ihr jetzt in mein Gefolge eintreten?“ Karis rechte Augenbraue wanderte skeptisch nach oben, doch sogleich schüttelten Arnoud und Tarok den Kopf.
„Nein, Jarl. Das ist nicht alles“, verneinte Arnoud. „Als wir auf das Schiff zurückgekehrt sind, haben sie gerade eine junge Sklavin an Deck gezerrt und an den Mast gebunden. Sie sollte ausgepeitscht werden. Mal wieder für eine Nichtigkeit. Ihr einziges Vergehen: Sie hatte bei ihrer Arbeit nicht gut genug auf ihre kleine Tochter acht gegeben. Das Mädchen muss an Deck gestiegen sein und den Kapitän angerempelt haben.“
Tarok senkte betreten den Kopf. „Wahrscheinlich wäre sie auch bestraft worden, wenn sie versucht hätte, es zu verhindern. Und dann nur, weil sie die Arbeit unerlaubt unterbrochen hat.“
Karis Blick verfinsterte sich. „Und ihr habt nichts dagegen unternommen?“
Tarok schluckte. „Das konnten wir nicht, Jarl. Wir waren gerade erst über die Bordwand gestiegen, als Oron bereits auf uns zukam. Er gab uns den Befehl, zurück an Land zu gehen, um dort Wache zu halten. Nach der Sache mit Vidar würde er Euch nicht trauen, meinte er.“
Arnoud neigte bestätigend den Kopf. „Wir konnten die Schmerzensschreie der Frau bis an die Küste hören. Auspeitschungen mögen an der Tagesordnung sein – also dort. Aber das war gänzlich überzogen. Etwas Derartiges wollten wir nicht mehr länger mittragen. Irgendwann sind die Schreie verstummt. Stattdessen konnten wir das Wehklagen des Kindes hören. Und das grausame Lachen der Krieger.“ Erneut ergriff Tarok das Wort. „Das Kind hat selbst in den Morgenstunden noch geweint, aber die Frau haben wir nicht mehr gehört.“
Karis Augen blitzten rot auf. „Das konntet ihr auch nicht“, erwiderte er kalt. „Sie ist tot. Eure Kameraden haben sie an der obersten Rah aufgehängt.“
Der Blick der Männer weitete sich vor Entsetzen. „Sie haben sie gehängt? Und das nur, weil ihre Tochter unbedacht war?“ Der Jarl knurrte. „Wenn meine Informationen stimmen: Ja. Und das einbezogen, was Ihr mir berichtet habt, scheint dem so zu sein.“ Arnoud sah beschämt zu Tarok. „Wären wir doch bloß zurück auf das Schiff gegangen. Vielleicht hätten wir den Tod der Frau verhindern können. Orons Strafe wäre es allemal wert gewesen.
Kari lachte trocken auf. „Verhindern? Wohl kaum. Was hättet Ihr gegen die ganze Mannschaft ausrichten wollen?“
Betreten senkten beide Männer den Blick. Schließlich hob Tarok den Kopf. „Und was ist mit dem Mädchen?“ Er seufzte. „Ich weiß nicht einmal ihren Namen …“
„Sie lebt. Das ja. Aber sie hat gesehen, wie ihre Mutter getötet wurde. Und noch mehr. Muss ich mehr dazu sagen?“ Beide Männer schüttelten die Köpfe. Kari seufzte. Erst jetzt setzte er sich den Männern gegenüber auf einen Stuhl. „Ihr seid also nach wie vor gewillt, in meine Dienste einzutreten? Ihr seid bereit, Euch meinem Willen und meiner Rechtsprechung zu unterwerfen?“
Augenblicklich sanken die Männer auf ihr Knie. „Das sind wir Jarl“, bestätigten sie.
Arnoud sah Kari direkt an. „Es wird eine große Umstellung für uns werden. Aber ich bin bereit, Euren Weg zu gehen und von Euch zu lernen.“ Er zögerte. „Ich … werde Fehler machen, Jarl. Dafür unterscheidet sich Eure Art zu sehr von dem, was ich gewohnt bin. Es wäre eine Lüge, würde ich sagen, dass ich jetzt sofort alles Eurem Willen entsprechend mache. Doch ich gebe Euch mein Wort, mein Bestes zu geben und keinen Sklaven zu schlagen. Ich werde jedwelche Strafe von Euch bereitwillig annehmen und bin bereit, von Euch zu lernen.“ Der Jarl musterte Arnoud schweigend, stand dann langsam auf und trat auf den Mann zu, legte ihm schwer die Hand auf die Schulter. „Deine Ehrlichkeit ehrt dich. Ich kann nicht erwarten, dass du gar keine Fehler machst, denn auch ich bin vor Fehlern nicht gefeit. Dein Wort, die Sklaven nicht zu schlagen, soll mir also für den Anfang genügen.“ Karis löste seine Hand von Arnouds Schulter und wandte sich an Tarok. „Auch ich gebe Euch mein Wort, die Sklaven nicht zu schlagen, und auch ich werde Eure Strafen annehmen und bin bereit, zu lernen.“ Der Vampir nickte zufrieden und setzte sich wieder. „Steht auf“, forderte er.
„Ich werde Euch noch nicht gleich in mein Gefolge aufnehmen. Ihr sollt Euch wirklich sicher sein, dass es das ist, was Ihr wollt. Für die Dauer eines Mondes werdet Ihr in meinem Dienst stehen. Wenn es dann noch immer Euer Wunsch ist und ich mit Euch zufrieden bin, werdet Ihr mir den Schwur leisten und Teil meines Gefolges werden..“
Erneut verneigten sich die beiden Männer vor Kari.
„Nun zu Eurer anderen Aufgabe: Geht an den Strand. Dort liegt die tote Sklavin. Die Mutter des Mädchens. Bereitet sie für eine ehrenvolle Bestattung vor. Nehmt die Planken vom Deck meines Schiffes, um das Floß zu bauen. Ich werde es ohnehin nicht mehr brauchen. Wenn alles vorbereitet ist, kehrt zu mir zurück.“

Müde sah Kari den beiden Kriegern hinterher. Die vergangene Nacht zehrte an seinen Kräften. Dazu der bisherige Tag. Es war noch nicht einmal Mittag und doch fühlte er sich, als wäre es bereits später Abend. Bisher hatte er keine Minute Ruhe gehabt.
Sein Blick wanderte suchend umher, blieb mit einem Lächeln auf Caja liegen. Die junge Sklavin saß vor einer am Boden liegenden Decke. Mit konzentrierter Miene band sie kleine Pflanzenbündel zusammen und hängte sie an einem Gestell zum Trocknen auf. Er seufzte leise. Momentan konnte er gut auf ihre Anwesenheit verzichten. Das, was er von ihr gerade brauchen würde – eine gute, entspannende Massage – konnte und wollte er von ihr nicht verlangen. Zumindest noch nicht. Es war zu früh. Sie fürchtete ihn trotz allem noch zu sehr.
Langsam schritt er auf sein Zelt zu, schlug die Plane zurück und stockte.
Direkt ihm gegenüber auf einer der Kisten saßen Marik und Marika, hielten sich Halt suchend an den Händen. Sie zuckten zusammen, als auf einmal Licht in das Zelt fiel, sanken zitternd auf die Knie und warfen sich zu Boden. Kari brummte unwillig. „Die habe ich ja ganz vergessen“, murmelte er leise vor sich hin, während er bereits auf das Paar zu ging. Kopfschüttelnd musterte er die beiden Sklaven. Ihr Kopf ruhte am Zeltboden, die Arme hatten sie weit nach vorne gestreckt. Der Rücken war durchgedrückt, ideal präsentiert für mögliche Schläge – was in der Vergangenheit wohl oft genug vorgekommen war.
Kari seufzte, trat auf die Beiden zu. Die Sklaven wimmerten angstvoll, als sein Schatten über ihre Körper fiel, verkrampften sich panisch, als er sie sacht an der Schulter berührte. „Steht auf. Ich sagte bereits, dass es nicht nötig ist, vor mir im Staub zu liegen Es reicht, wenn ihr niederkniet.“ Mit ruhiger Stimme sprach er auf die Zwei ein, wartete, bis sie seiner Aufforderung nachgekommen waren. „Und was dich betrifft, Marika: Bis deine Stirn verheilt ist, wirst du ohnehin nicht mehr knien. Und erst recht nicht, solange du schwanger bist.“
Unsicher traten Marik und Marika von einem Bein auf das andere, griffen verängstigt nach der Hand des Partners.
Kari lächelte mild und wies auf die Kiste, während er sich selbst auf seinen Stuhl setzte, diesen entsprechend drehte. Gehorsam nahmen Marika und Marik Platz. Der Jarl atmete tief durch. „Nun gut. Ich habe versprochen, dass Marika keine Strafe für ihren Fluchtversuch erwartet. Ich kann sehr wohl verstehen, welche Angst sie dazu getrieben hat.“
Erneut tastete die Frau ängstlich nach der Hand Mariks. „Ebenso wenig werde ich euch für Eure Partnerschaft und für Marikas Schwangerschaft bestrafen“, sprach Kari ruhig weiter. „Ich weiß, dass ihr verunsichert seid und Angst habt. Vor mir, vor meinen Kriegern, vor der Zukunft. Aber gibt es irgendetwas, das euch jetzt gerade in diesem Moment ängstigt?“
Marika schluchzte leise. Sofort strich ihr Partner beruhigend über den Rücken seiner Gefährtin, hielt gleich darauf wieder inne. Kari seufzte. „Es ist in Ordnung, Marik. Andernfalls würde ich es dir sagen.“
Prüfend sah er zu Marika, wartete geduldig ab, bis sie den Blick hob.
„Werdet ihr mir das Kind wegnehmen, wenn es auf der Welt ist?“
Entsetzt schüttelte Kari den Kopf. „Ein Kind gehört zu seiner Mutter. Ich werde euch bestimmt nicht trennen.“ Tränen der Erleichterung flossen über Marikas Wangen. Schließlich streckte sie ihm zögernd die Hände entgegen. „Ich bin jetzt bereit, mich binden zu lassen, Herr“, flüsterte sie.
Irritiert runzelte Kari die Stirn, gleich darauf schmunzelte er jedoch. „DAS hatte ich dir nur angedroht, falls du weiterhin vorhaben solltest zu fliehen oder mir nicht die Wahrheit sagst, doch das hast du getan. Was das andere betrifft: Wirst du noch einmal versuchen wegzulaufen?“
Marika zögerte, dann schüttelte sie den Kopf. „Ich wollte nur mein Kind und Marik schützen, Herr.“
Die Mundwinkel des Jarls zuckten leicht. „Das heißt, du würdest von hier fliehen, wenn ich mich nicht an mein Wort halte“, stellte er fest. Entsetzt hoben Marik und Marika den Kopf, doch Kari lächelte freundlich. „Das wird nicht passieren. Das verspreche ich euch.“
Bedächtig stand er auf, ging auf die Sklaven zu. „Marik: Du wirst wieder an deine Arbeit zurückkehren“, erklärte er. „Was dich angeht, Marika: Bis deine Wunde verheilt ist, musst du keine Arbeiten verrichten. Danach lasse ich dir einfache Aufgaben zuteilen. Geht jetzt.“
Die beiden Sklaven sahen sich kurz an, bevor sie aufstanden und sich respektvoll vor Kari verneigten.
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