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Signa Mixta

von Geminied
Kurzbeschreibung
GeschichteAllgemein / P12 / Gen
Dr. Kathrin Globisch Dr. Martin Stein Dr. Roland Heilmann Hanna Globisch Sarah Marquardt
28.05.2023
03.10.2023
22
33.031
9
Alle Kapitel
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Dieses Kapitel
3 Reviews
 
18.09.2023 1.486
 
Nach dem letzten Kapitel hat man mich darauf hingewiesen, dass das ganz schön tränentreibend war. Ich warne deshalb hier: Es wird in diesem nicht unbedingt besser.

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“Sag mal, was soll eigentlich aus der Gans werden?”, fragte Jakob. Seit einigen Tagen verbrachte er möglichst viel Zeit mit der Familie, teilweise um Kathrins Abwesenheit abzufedern, teilweise… Vielleicht die letzten Momente eines Familienlebens aufzusaugen. Der Gedanke, dass es bald zu Ende sein würde, machte ihm mehr zu schaffen, als er erwartet hatte. Und irgendwie…irgendwie fühlte er sich verantwortlich. Wenn er gleich etwas gesagt hätte, sofort dazwischen gegangen wäre, vielleicht wäre dann etwas zu retten gewesen.

Vielleicht.

Roland richtete sich auf, drehte sich von der Spüle halb um. “Wenn ich die Mädels richtig verstanden habe, dann wird das Vieh an Altersschwäche versterben, wenn sie nicht vorher an Überfütterung verendet”, bemerkte er ironisch.

“Hausgänse können 15 Jahre alt werden, das weißt du, ne?”

Er nickte. “Hab ich auch gelesen. So lange Hanna und Lisa nicht auf die Idee kommen, dass die arme Auguste ja so einsam ist und unbedingt einen Mann braucht, und wir dann hier ganze Gänsegenerationen haben…”

Für einen Moment hielten sie beide den Atem an, schüttelten dann die Köpfe, um den Gedanken zu vertreiben.

“Musst dich ja bald nur noch mit Lisas Ideen herumschlagen, wenn Hanna weg ist.”

“Jakob.” Es lag einen deutliche Warnung in Rolands Tonfall. Seit jenem Abend hatten sie nicht über die Situation gesprochen, es viel mehr tunlichst vermieden. Was immer Kathrin ihm erklärt hatte, hatte Jakob geschluckt, hatte ihn beruhigt. Roland schüttelte innerlich den Kopf, spürte den Stich in der Brust. Warum musste alles so kompliziert sein?

“Ich weiß!”, brummte der Jüngere.

Sie verfielen in Schweigen, das nun um einiges angespannter war als vorher.

“Alles wieder ordentlich”, erklärte Lisa, als sie den Kopf durch die Küchentür steckte. “Nils und ich sind oben, okay?”

Das unbegeisterte Brummen des Vaters ließ sie die Augen rollen. “Hanna ist nebenan, Papa. Wir machen schon nichts.”

“Hm. Wo ist Hanna jetzt?”

“Drüben. Telefoniert mit Kathrin. Soll ich ihr sagen, dass sie dir das Telefon bringen soll?”

Roland schüttelte den Kopf und widmete sich wieder angelegentlich dem Abwasch. Lisa und Jakob tauschten bedeutungsvolle Blicke, die auf Lisas Seite fragend waren, jedoch keine Antwort erhielten. Stattdessen zuckte er mit den Schultern.

Einige Minuten später stand Hanna in der Küche und strahlte sie beide an. Ihre Hände waren jedoch leer. “Mama hat gesagt, sie kann jetzt nicht mehr mit dir reden. Sie muss jetzt los.“

Roland nickte scheinbar verständnisvoll, sein Gesicht sprach jedoch Bände.

Hanna zuckte mit den Schultern und zog eine Grimasse. Dann hellte sich ihr Gesicht wieder auf und fast enthusiastisch verkündete sie: “Ich hab alles fertig für morgen. Alle Hausaufgaben gemacht, alle Hefte und Bücher eingepackt.”

"Englisch-Vokabeln wiederholt?”, fragte Roland automatisch.

Hanna verdrehte die Augen. “Klar. Willst du sie nochmal hören?”

“Kannst sie ja Jakob alle erzählen.”

Der schüttelte angewidert den Kopf. “Du kannst die bestimmt im Schlaf, Zwecke. Klassenarbeit morgen?“

Hanna nickte und überging dabei großzügig ihren Spitznamen. Ihr Blick richtete sich wieder auf Roland, als erwarte sie etwas.

Der zog die Augenbrauen hoch. “Deshalb ist auch in einer halben Stunde Licht aus. Sieh mal zu, dass du dich fertig machst.“

“Kommst du dann nochmal?“, platzte sie heraus und biss sich dann auf die Lippen.

Roland grinste leicht. “Klar, muss doch gucken, ob Lisa und Nils wirklich nichts anstellen.“

Hanna verdrehte die Augen. “Zu mir”, meinte sie schließlich, etwas zögernd.

Roland betrachtete sie für einige Momente, hielt dem bohrenden Blick stand. Dann nickte er. Die nassen Hände abwischend, trat er einige Schritte auf Hanna zu, legte automatisch die Arme um ihre Schultern, während sich das Mädchen an ihm festhielt. Für einen kurzen Moment schienen beide aufzuatmen. Von seinem Platz an der Stirnseite der Küche betrachtete Jakob die Szene und schüttelte innerlich den Kopf.

“Kommst du dann auch nochmal, Jakob?”

Der nickte und grinste beruhigend.

Als hinter Hanna schließlich die Küchentür zufiel, schüttelte er den Kopf. “Glaubst du, die Welt ist wirklich auf Hanna vorbereitet?”

Sein Vater zuckte die Schultern. “Das haben Kathrin und ich uns letztes Jahr auch schon gefragt. Da wächst etwas heran, was die Welt komplett umhauen kann.”

“Und sie kriegt viel mit.”

“Hm.”

“Mehr als ihr vielleicht glaubt.” Jakob ließ die Worte im Raum hängen, wartete auf eine Reaktion.

Roland sank für einen Moment in sich zusammen, richtete sich dann jedoch entschlossen wieder auf. “Wir haben hier ein paar Minuten Ruhe, Jakob. Sag, was du zu sagen hast, oder lass es sein. Aber hör auf mit diesen Andeutungen.”

Vater und Sohn maßen sich mit abschätzenden Blicken. “Klartext?”, fragte der jüngere.

“Klartext!”

“Gut. Was ist das jetzt? Mit dir und Katja. Und mit dir und Kathrin.”

Roland schnaubte. “Wenn ich das wüsste.”

“Hanna hat angefangen zu packen, damit sie schnell fertig ist, wenn sie und Kathrin hier ausziehen. Weil sie nicht im Weg stehen will.”

Roland ließ das hingehen, wechselte das Thema. Das schmerzte genug. Alles biss und stach irgendwie. “Sie hat mich vor ein paar Tagen gefragt, ob sie auch mal einen Papa kriegt. Was sie nicht gesagt hat, hab ich noch besser verstanden.”

“Warum du es nicht bist?”

Eine knappe Geste bejahte das.

Jakob ging unmotiviert einige Schritte hin und her, überdachte, wie er weitersprechen sollte. Endlich drehte er sich um und nahm seinen Vater ins Visier. “Warum bist du es nicht? Oder wirst es nicht?“

Roland seufzte genervt. “Weil wir keine Zukunft haben. Mit Kathrin und mir ist nichts. Wird nie was sein. Und es gibt Katja.“

“War aber schon was? Mit Kathrin und dir.“ Die Frage war gefährlich, das war offensichtlich, bevor Jakob zu Ende gesprochen hatte. Rolands Züge gefroren und alle Emotion wich. Wie es in seinem Inneren aussah, war nur zu erahnen.

“Ein Stück Papier. Ebenso schnell unterzeichnet wie für ungültig erklärt.“

Die Erklärung hing in der Luft, klang nach. Jakob schüttelte den Kopf, schwankend zwischen Unglaube und Frust.

“War wohl schon ein bisschen mehr als ein Stück Papier. Und Hanna weiß das. Hat euch gesehen, als sie bei Kathrin unterkriechen wollte.“

Erschöpft senkte Roland den Kopf, sagte aber nichts

“Und sie hat mit Lukas gesprochen.”

Wie in Zeitlupe hob Roland den Kopf wieder, starrte seinen Sohn an. In seinen Gedanken begann sich ein Sturm zusammenzubrauen. “Hat er da auch?“

Statt einer Antwort starrte Jakob bedeutungsvoll zurück.

“Scheiße!“

Dem war nichts hinzuzufügen.

                              * * *
“Na, haben Lisa und Nils genügend Abstand?”, fragte Hanna vorwitzig und grinste Roland erwartungsvoll an.

Der runzelte die Stirn. “Das war frech, Hanna. Und auch nicht fair.”

Betreten sah sie auf ihre Bettdecke und nuschelte ein “Tut mir leid.”

Roland setzte sich auf die Bettkante und betrachtete sie. Für einen langen Augenblick war es still. In der Stille wich Hanna seinen Blicken aus. “Jakob sagt, dass du in den letzten Wochen vieles gesehen und gehört hast, über das du nicht sprichst. Und dass du schon packst.”

Die Kleine biss sich auf die Lippen, mahlte dann geradezu, damit ihr kein unbedachtes Wort herausrutschte. Schließlich zuckte sie mit den Schultern und guckte bewusst an Roland vorbei.

“Möchtest du dazu etwas fragen?” Im nächsten Augenblick hob er entschuldigend die Hände. Hannas Gesichtsausdruck zeigte deutliche Zweifel an seiner Intelligenz. “Blöde Frage, ich weiß”, gab er zu.

Sie schüttelte den Kopf. “Ich krieg ja eh keine richtige Antwort. Mama und du seid nicht zusammen, aber du und Katja. Und Mama und ich müssen ausziehen, wenn sie kommt.”

“Ihr müsst nicht.” Seine Antwort kam automatisch, doch Hanna schüttelte wieder so energisch den Kopf, dass ihre Haare flogen.

“Doch! Katja hat zwei Kinder, hat sie gesagt. Und wenn sie herkommt und die mitbringt, dann brauchen die Zimmer. Und dann seid ihr eine Familie. Und wir nicht.” Wieder biss sich das Mädchen auf die Lippen und schluckte.

“Hanna…”

Ablehnend drehte sie sich weg. “Pack ich lieber gleich. Dann gehts schneller, wenn’s soweit ist.”

“Hanna…” In ihren Augen glänzten Tränen, die sie jedoch mit Gewalt zurückhielt. Roland beobachtete das, spürte, wie ihm das Herz mitleidig brannte.

“Mama sagt, ich soll mich freuen für dich, dass du Katja hast. Ich versuchs ja auch, aber klappt nich so gut. Und ich weiß ja, dass das gemein ist.” Vorsichtig legte er seine Hand auf ihren Rücken, schluckte innerlich darüber, wie sehr der schmale Körper zitterte. Nach einigen tiefen Atemzügen schien sie sich zu beruhigen, konnte fast wieder normal sprechen. “Wenigstens ist Lukas zufrieden und hört auf, Mama zu nerven, wenn wir ausziehen.”

“Wieso denn Lukas?”

Wieder zuckte sie die Schultern. “Mama sagt, er meint das nicht so. Dem geht's nur nicht gut im Moment, weil seine Freundin weg ist.”

“Aber?” So ganz konnte Roland dem Gedankensprung nicht folgen.

Ruckartig setzte Hanna sich auf. Ihr Gesicht war fleckig rot vor Aufregung und ihre Augen waren von den unterdrückten Tränen aufgequollen. Sie schniefte. “Roland?”, begann sie plötzlich entschlossen. “Ist Mama wirklich so schlecht für dich, wie Lukas sagt? Und…und was ist an Katja besser?”


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Vielen Dank an alle, die noch lesen. Feedback würde mich sehr freuen.
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