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Schlangen hinterlassen keine Fußspuren

Kurzbeschreibung
KurzgeschichteKrimi / P6 / Gen
25.05.2023
25.05.2023
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Schlangen hinterlassen keine Fußspuren



„Du hast noch 3 Minuten“, tönte es durch ihre Kopfhörer.
Angespannt schaute sich die junge Frau in den Büros um. In einem Büroraum saß noch ein Angestellter und machte Überstunden. Leise und vorsichtig huschte sie durch die Glastüre und kam in einen Erholungsraum innerhalb des nächtlichen Bürokomplexes. Dort lag auf einem Sofa ein Mann, ungefähr mittleren Alters, und las ein paar zusammengeklammerte Unterlagen. Als sie hereinkam, sah er überrascht zu ihr auf.  
„Ach, seid ihr schon fertig?“
Die junge Frau warf ihm einen eisigen Blick zu. „Ja. Wir sind fertig.“
Sie zog ihren Revolver und zielte.
PENG!

Ich zuckte nicht zusammen. Diese Columbo-Folge kannte ich ja schon. Von daher kam der Knall für mich nicht überraschend.
Da hatte man noch mit Kunstblut gespart, dachte ich, während die junge Frau im Fernsehen schnell den Rückzug antrat, nachdem sie ihren Kollegen erschossen hatte. Nun würde es nicht mehr lange dauern und der in Kalifornien bekannte Inspektor Columbo würde am Tatort erscheinen.
Ich seufzte innerlich. Jetzt in Kalifornien in der warmen Sonne zu liegen, da hätte selbst ich nichts dagegen.
Draußen war es kalt wie es sich für einen nassen, grauen deutschen Novembertag gehörte. Das mehrstöckige Wohnungshaus, in dem ich wohnte, war nicht gerade das Modernste. Es hatte noch den Zweiten Weltkrieg überlebt und besaß dementsprechend nicht die beste Isolierung, da es so gut wie nie renoviert worden war. Dennoch war mir dieses Gebäude viel lieber, als eines dieser klotzigen, viereckigen Neubauten, von denen man schon beim bloßen Anblick Depressionen bekam.
Ich kuschelte mich in meinen Sessel. Die urigen Wände mit der neuen Tapete und dazu passenden Holzmöbel wirkten gemütlich und häuslich. Ich konnte mir nicht erklären wie manche es in sterilen Wänden nur aushalten konnten. Dennoch hätte ich nichts gegen etwas Sommer. Auch Surina nicht, die sich unter meinen langen Haaren auf der Schulter rekelte und auch eher nachts aktiv wurde. Sanft strich ich ihr über die weiche Reptilienhaut. Für einen Königspython war sie mit 1,10 Meter schon sehr erwachsen. Ich war froh, dass sie nicht mehr allzu viel wachsen würde. Zudem waren sie sehr friedfertig, sodass mich ihre Gegenwart nicht erschreckte. Sie suchte sogar meine Nähe. Weiß der Himmel, weshalb sie sich ausgerechnet meine Schulter für ihren Schlaf ausgesucht hatte. Nur wenn ich selber Schlafen, Essen, Duschen, Arbeiten oder Einkaufen ging, musste ich sie abnehmen. Ansonsten nahm ich sie überall im Haus mit. Sogar wenn ich den Müll runterbrachte. Allerdings nur wenn es nicht so kalt war. Wenn ich sie runternehmen wollte, dann spürte ich eine Spannung in ihren Muskeln. Sie wollte nicht von mir runter, dennoch muckte sie nie auf, wenn ich es mal tat.
Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder dem Film zu. Ich schaute mir nie aufregende Filme an, wenn ich Surina auf den Schultern hatte, da ich Sorge hatte, sie mit meinen schnellen Herzschlägen zu beunruhigen. Die neuen ZDF -Serien wurden eh immer mehr Psycho. Gerade setzte der Inspektor zu seinem berühmten Satz „Eine Frage noch…“ an, als es auf einmal an der Tür klopfte.
Ich schaute auf die Uhr. Columbo kam immer um 20.15 Uhr. Jetzt war es schon nach 21.00 Uhr. Nicht einmal der Postbote kam um diese Zeit. Demnach war es entweder ein Wildfremder oder einer vom Haus. Genervt erhob ich mich aus dem Sessel. Surina schien überrascht zu sein, dass ich aufstand, ließ sich aber davon nicht stören.
Ich schritt zur Tür und lugte durch den Türspion.
Vor der Tür im Hausflur stand Maria Alessandro, eine Frau in meinem Alter Mitte 40 mit dunklen Haaren. Ich kannte sie aus dem ersten Stock. Wir hatten uns schon oft getroffen und sie wollte diese Woche aus der Wohnung ausziehen. Sie war alleinerziehend und hatte zwei Kinder. Und eine fast 70 Zentimeter lange Kornnatter, die einer ihrer Töchter gehörte. Zum Glück waren Reptilien in diesem Haus erlaubt, was auch für mich eine große Erleichterung war. Das war auch der Grund, weshalb wir uns kennengelernt hatten, wenn sie etwas für ihre Schlange benötigte. Dennoch betrat ich so gut wie nie ihre Wohnung. Zumindest nicht, wenn ich Surina auf der Schulter hatte. Sie mochte den Geruch von anderen Schlangen nicht. Überhaupt vertrug sie sich nicht gut mit anderen Schlangen. Aber vielleicht war dies einer der Gründe gewesen, weshalb ich sie eines Tages vor dem Haus in der Mülltonne gefunden hatte. Oder es lang an ihrer Hautfärbung. Sie war eine Classic, eine wildfarbene Form. Diese war bei den meisten inzwischen aus der Mode gekommen, sie galten sogar als Billigtier unter den Königspythons. Dennoch war dies überhaupt kein Grund sie so zu entsorgen. Bis heute hatte ich den Schuldigen nie ausfindig machen können.
Maria winkte mir zu. „Ich bin‘s Maria. Lorna, bist du da?“
Ich öffnete die Tür und sofort war sie mit einem Schritt im Wohnungsflur.
„Dem Himmel sei Dank, du bist zuhause“, stieß sie hervor, ohne Surina zu grüßen, wie sie es sonst immer tat. „Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll.“
„Was ist denn passiert?“, fragte ich verwundert.
„Pia ist weg.“
Pia, so hieß ihre Kornnatter.
„Weg? Wie weg?“
„Sie ist nicht mehr in ihrem Terrarium“, ergänzte Maria. „Heute Morgen war sie noch da gewesen. Doch jetzt ist sie weg. Wir haben schon die ganze Wohnung auf den Kopf gestellt. Kannst du mitsuchen?“
Ich erklärte mich natürlich sofort einverstanden und gemeinsam gingen wir zu ihr runter in die Wohnung, die im ersten Stock lag, meine Wohnung dagegen lag im Obergeschoss. Dabei mussten wir langsam die alten Holztreppen runtergehen , da diese laut knarrten, wenn man zu schnell über sie drüber schritt.
In der Wohnung angekommen, erkannte ich schon das Ausmaß der „Suche“. Die Zimmer waren schon vollgestopft mit Umzugskartons und standen teilweise etwas sperrig im Flur. Einige waren offen und der Inhalt auf dem Boden zerstreut und ein Teil notdürftig wieder eingeräumt worden. Maria führte mich ins Kinderzimmer, wo das Terrarium stand. Die Töchter waren schon über 13 Jahre alt und dementsprechend ruhig im Verhalten, sodass sich die Kornnatter nicht beim Kinderlärm hätte erschrecken können. Die Töchter, Miriam und Mia, saßen kniend auf dem Boden und durchsuchten gerade alles unter ihrem Bett. Kaum hatte ich mich dem Terrarium genähert, begann Surina auf meiner Schulter zu zucken. Ich trat ein paar Schritte zurück. Es war mir ein Rätsel, warum sie auf andere Schlangengerüche so reagierte.
„Wann habt ihr sie denn das letzte Mal gesehen?“, fragte ich.
„Wie gesagt, heute Morgen war sie noch da, kurz bevor ich einkaufen ging“, begann Maria. „Als ich zurückkam musste ich mehrere Male die Treppen rauf und runter, um das Essen raufzubringen.“
„Und danach war sie weg?“
„Vermutlich. Dass sie nicht mehr da war, ist uns erst gegen Abend aufgefallen, als wir nach ihr schauen wollten.“
Ich überlegte. „War die Terrariumtür offen gewesen?“
„Nein, das ist ja das Merkwürdige.“
„Sie war nicht offen“, beteuerte Mia. „Bestimmt nicht. Ich mach immer zu.“
Wir durchsuchten die Wohnung nochmal ganz gründlich. Doch so sorgsam wir auch suchten, wir konnten Pia einfach nicht finden.
Enttäuscht verabschiedete ich mich gegen Mitternacht von der Familie und marschierte müde zu meiner Wohnung hoch. Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr hatte ich den Eindruck, dass sie jemand gestohlen haben musste.

Am nächsten Tag, es war ein Samstag, stieg ich sofort aus dem Bett, nachdem ich aufgewacht war. Ich steckte mir kurz etwas zu Essen in den Mund und zog mich um. Surina war noch nicht wach und lag zusammengerollt in ihrem Versteck im Terrarium. Ich wollte sie nicht unnötig aufwecken und verließ alleine die Wohnung. Morgens war Surina eh nie wach, was es mir leichter machte, wenn ich immer morgens zur Arbeit ging. Im zweiten Stock begegnete mir Herr Weidlich, der noch die Post von gestern aus dem Briefkasten geholt hatte. Ich grüßte kurz und er wunderte sich etwas, dass ich mal ohne Schlange unterwegs war. Mittlerweile waren es die meisten Bewohner im Haus bereits gewohnt, dass ich einen Königspython mit mir herumtrug. Anfangs war es nicht unbedingt leicht gewesen. Die meisten hatten anfangs nur Ekel oder schauderhafte Gesten geäußert. Mit der Zeit gehörte es aber zum Alltagsbild, nachdem ich sie sooft davon überzeugen musste, dass Surina nicht gefährlich und wie jedes andere Tier war, nur war ihr Aussehen nicht jedermanns Geschmack.
Ich ging weiter runter in den ersten Stock. Dort erkundigte ich mich bei der Familie, ob Pia inzwischen aufgetaucht war. Doch leider war dem nicht so.
Betrübt ging ich wieder zu mir nach oben. Den restlichen frühen Morgen verbrachte ich damit mir das Morgenprogramm im Fernsehen anzuschauen, obwohl mich kaum interessierte was da lief.
Ich gähnte und schaute aus dem Fenster, wo dünne Schneefelder den Vorhof und die dort parkenden Autos bedeckten.
„Hoffentlich ist sie nicht nach draußen gekrochen“, dachte ich. „Bei solch einem Wetter würde eine Schlange ohne Schutz nicht lange überleben.“
Ich sah zu Surina rüber, die sich inzwischen unter der Terrariumlampe zusammengerollt hatte. Ich seufzte. Wenn alle Wände so durchsichtig wie Glas wären, dann würde das die Suche erleichtern.
Ich rieb mir das Kinn, als mir dabei ein Gedanke kam.

Nachdenklich ging ich mit Surina auf den Schultern die knarrenden, alten Stufen nach unten ins Erdgeschoss. In einem dieser Wohnungen wohnte Greg Herward. Er kannte das Haus so gut wie Gott die Welt. Denn er war nicht nur der Vermieter, sondern auch Hausmeister. Und er hatte eine Eigenart, die nur ich als längste Mieterin in diesem Haus kannte. Er war ein sehr misstrauischer Mensch und ich wusste, dass er sich heimlich in die Wohnungen der Mieter schlich, wenn sie das Haus verließen, nur um sicher zu gehen, dass sie keine illegalen Dinge drehten. Einmal hatte ich ihn dabei erwischt. Da er aber nie etwas stahl, sondern sich nur umsah, meldete ich es nie, obwohl er nicht gerade eine rosige Vergangenheit gehabt hatte. Er sollte sogar einmal im Gefängnis gesessen haben. Warum und weshalb, darüber sprach er nie. Nur einmal, nur ein einziges Mal, erwähnte er was von einem Banküberfall, wobei ein Polizist verletzt wurde. Dennoch hegte ich keine Antipathie gegen ihn, da er Surina von Anfang an gerngehabt hatte. Er war auch der Ersten gewesen, der mir geholfen hatte Surina wieder aufzuwärmen, nachdem ich sie draußen gefunden hatte. Zudem hatte er mir garantiert, dass er nie unerlaubt meine Wohnung betreten würde, obwohl ich mir manchmal doch nicht ganz so sicher war.
An der Tür seiner Wohnung fand ich nur einen Zettel, auf dem mit dickem Filzstift draufgekritzelt stand: „Bin im Keller.“
Also stieg ich ins kühle Untergeschoss, wo Greg gerade dabei war sich an der Heizung zu schaffen zu machen. Er war schon knappe 50 Jahre alt, breit gebaut, trug Arbeitsklamotten und sah erst von seiner Arbeit auf, als ich an den Türrahmen klopfte.
„Morgen, Lorna“, grüßte er und erhob sich.
„Morgen“, grüßte ich zurück. Obwohl er mich duzte, siezte ich ihn immer noch. „Haben Sie schon gehört, dass der Familie Alessandro die Kornnatter verschwunden ist?“
Er wischte sich die Hände an der Hose ab. „Ich hab die Wohnungstür gestern offen stehen sehen“, sagte er. „Und es lief jemand mit hastigen Schritten in den dritten Stock.“
Ich hob die Augenbrauen. „Wer war es?“
Er zuckte die Achseln. „Keine Ahnung. Aber vielleicht hat er sie ja geklaut. Wer es war, hab ich nicht gesehen.“
„Und?“ Ich verschränkte die Arme und lehnte mich erwartungsvoll seitlich an den Türrahmen.
Er senkte ein wenig seinen Blick.
Also doch, dachte ich. Er hatte bereits in den Zimmern nachgeschaut.
Dann schmunzelte er. „In dieser Hinsicht muss ich dich enttäuschen. Ich hab nichts gefunden und alles durchwühlen konnte ich auch nicht.“
Ich rieb mir das Kinn. „Wohl wahr.“
Stirnrunzelnd warf ich einen Blick auf Surina, die ihren Mund zum Gähnen weit aufgerissen und ihn anschließend wieder mit einem zaghaften Schmatzen schloss.
„Kann ich mir die Wohnungsschlüssel borgen?“, fragte ich mehr zu mir selber. „Dann seh ich mal nach.“
Er sah mich überrascht an. Dann grinste er. „Springt für mich was dabei raus?“
Ich rollte mit den Augen. Er flirtete oft mit den Mieterinnen. Zumindest versuchte er es. Er hatte sogar mal behauptet, er hätte eine Affäre mit einer berühmten Schauspielerin gehabt. Wer es gewesen war, wollte er nicht sagen. Und obwohl ich ihm schon bei seinem ersten Flirt-Versuch bei mir klar gemacht hatte, dass zwischen uns nichts lief, und wusste, dass er nur einen Scherz machte, so hob ich dennoch mahnend die Augenbrauen.
Er lachte. „Schon gut.“ Er griff in seine Hosentasche und reichte mir einen ganzen Batzen Schlüsseln, ohne Bedenken zu äußern. Er vertraute mir gut genug.
Ich nahm die Schlüssel, doch bevor ich sie ihm komplett aus der Hand nehmen konnte, klammerte er seine Finger um meine.
„Lass dich aber nicht erwischen“, mahnte er. Dann ließ er meine Hand vollständig los.
Er zwinkerte mir zu, Surina gab er einen grüßenden Wink und widmete sich wieder seiner Arbeit, als wären wir mit einem Mal Luft für ihn.
Surina beugte sich interessiert nach vorne. Ich ließ ihre züngelnde Zunge an den vielen Schlüsseln schnuppern. Als sie merkte, dass es nichts zum essen für sie war, zog sie sich uninteressiert zurück.

Im dritten Stock lagen vier Wohnungen. In einer wohnte eine türkische Familie mit drei kleinen Kindern. In der anderen ein etwas schräger Typ. Ich hatte ihn nur einmal im Treppengelände gesehen, als ich den Müll runtergebracht hatte. Er war mir auch deshalb so gut in Erinnerung geblieben, weil mich nicht nur seine grausigen Tätowierungen auf den Armen erschreckt hatten, sondern er roch auch stark nach Zigaretten. Einen Geruch, den ich bis aufs Äußerste verabscheute. Sogar Surina konnte ihn nicht ausstehen. Sie hätte ihn sogar beinahe angefaucht, als wir ihn passiert hatten.
Die andere Wohnung war leer. Die Letzte bewohnte ein Rentner. Ich wartete bis ich sicher war, dass die Bewohner ihre Wohnungen verlassen hatten. Die türkische Familie machte am Samstag immer einen Spaziergang im Freien und der Typ vermutlich irgendeine Tour. Nur der Rentner verließ selten die Wohnung. Falls ich Pia in den ersten beiden Wohnungen nicht finden sollte, so wollte ich einen anderen Zeitpunkt abwarten, um bei ihm reinzukommen. Allerdings hegte ich große Zweifel, dass er es gewesen sein könnte.
Ein unangenehmes Gefühl überkam mich, als ich, nach einigem Ausprobieren der ganzen Schlüssel, den richtigen Schlüssel ins alte Schloss steckte. Noch nie war ich unerlaubt in eine fremde Wohnung eingedrungen. Ich stand jetzt nicht nur buchstäblich an einer Türschwelle, sondern auch gewissermaßen an der Schwelle zwischen Recht und Kriminalität. Aber heiligte der Zweck nicht die Mittel, solange es anderen nichts schadete? Ich wollte mich ja nur umsehen. In der Wohnung der Familie schien zumindest alles in Ordnung zu sein. Alles war ordentlich sortiert in den Schränken, nur hier und da lag mal ein Kinderspielzeug herum.
Ich streichelte Surina am Hals und diese hob überrascht den Kopf. Die fremden Gerüche um sie herum machten sie neugierig.
„Okay“, sprach ich leise zu ihr. „Du musst versuchen mir jetzt etwas zu helfen.“
Mit diesen Worten ging ich langsam an sämtlichen Schränken und Schubladen vorbei und ließ sie in Ruhe an den Möbeln züngeln. Ihr feiner Geruchsinn konnte sogar die feinsten Duftmoleküle wittern. Surina wusste nicht, was das alles sollte, machte aber bei dieser Erkundung bereitwillig mit. Sorgsam schnupperte sie mit ihrer Zunge sämtliche Oberflächen ab. Als wir im letzten Zimmer vorbeigegangen waren, wandte ich mich etwas enttäuscht wieder der Wohnungstür zu. Die Wohnung der Familie brachte mich nicht weiter, also ging ich in die Wohnung vom Typen nebenan. Dort sah es allerdings etwas anders aus. Die Anziehsachen im Schlafzimmer lagen unordentlich verteilt auf dem Boden. Auf verschiedenen Tischen standen Aschenbecher mit ausgedrückten Zigaretten und genauso roch es auch. Ich rümpfte angewidert die Nase. Ging dieser Typ überhaupt nach draußen, wenn er rauchte, oder machte er auch mal ein Fenster auf? Surina behagte der Geruch ebenso wenig. Das merkte ich an ihrer verspannten Muskulatur.
„Ganz ruhig“, flüsterte ich ihr zu, wobei ich meinen Mund besonders nahe an ihrer Haut hielt.
Anschließend sah ich mich stirnrunzelnd in der unaufgeräumten Wohnung um. Was könnte Greg übersehen haben?
Diese Frage stelle ich mir immer wieder, während ich mit Surina wie zuvor von Schrank zu Schrank ging und sie daran schnuppern ließ.
Plötzlich begann Surina stark zu zucken, als ich mich über eine Kommode beugte. Ich öffnete einer der Schubladen, wühlte in den Klamotten und…
„Pia!“
Die Kornnatter lag zusammengerollt zwischen ein paar Socken und sah mich überrascht an. Ich hielt ihr meine Hand hin. Zögernd bezüngelte sie mich, doch sie schien meinen Geruch noch zu kennen. Ich strich ihr beruhigend über die Haut. Sie fühlte sich etwas kalt an.
„Hey! Was machst du da?“
Ich drehte mich erschrocken um. Mir blieb fast das Herz stehen, als ich den tätowierten Typen im Türrahmen stehen sah. Er rieb sich über seine ganz kurz rasierten Haare und sah nicht gerade sehr freundlich aus. In meinem Kopf rauschte das Blut. Ich konnte im Moment gar nichts denken. Ich war nicht einmal in der Lage einen Satz rauszubringen. Vor allem, weil Surina durch meine Angst nur noch nervöser wurde, die mich wiederum ansteckte.
Der Typ wollte gerade ein paar große Schritte auf mich zu machen, als ihn jemand an der Schulter packte.
Der Typ staunte nicht schlecht, als Greg ihn so grob in die Wohnung zerrte.
„Hey, was soll das?!“, beschwerte sich der Typ.
„Jetzt tun Sie mal net so scheinheilig“, fuhr Greg ihn an, als wüsste er bereits über alles Bescheid. „Sie haben doch das Tier aus der Wohnung entwendet!“
„Was reden Sie da für einen Driss?!“, fauchte der Mann. „Diese Schlampe ist in meine Wohnung eingebrochen!“
„Nein, die Tür hab ich vorhin geöffnet.“
Ich starrte unseren Vermieter verdutzt an.
Dem Typen blieb für einen Moment auch der Satz im Hals stecken. „Wa-was erlauben Sie sich da-…“
„Reden Sie keinen Unsinn!“, donnerte Greg. „Ich hab Sie doch gesehen, wie Sie aus der Wohnung gerannt sind. Das war gestern gegen 12 Uhr gewesen.“
Allmählich wusste der Tätowierte nicht mehr, wie er sich rausreden sollte.
„Wenn Sie es wissen, warum sind Sie dann nicht schon gestern gekommen?“
„Hätte ja sein können, dass Sie das Tier noch zurückgeben wollten“, meinte Greg mit etwas ruhigerem Unterton. „Ich hab die Dame nur gebeten hier zu bleiben, während ich die Polizei informiere.“

Müde lehnte ich mich in meinen Sessel. Es war später Nachmittag und ich erholte mich von einem harten montäglichen Arbeitstag. Surina lag zusammengeringelt um meinen Hals und döste vor sich hin. Bis es wieder an der Tür klopfte.
Ich seufzte tief, dennoch erhob ich mich aus meinem Sessel.
Ich machte mir nicht die Mühe durch den Türspion zu blicken und öffnete einfach die Tür.
„Hi, Lorna“, riefen mir zwei bekannte Kinderstimmen entgegen. Im Hintergrund ihre Mutter Maria. In den Händen trug die Tochter Mia ihre Kornnatter Pia in einer durchsichtigen Plastik-Transport-Box.
Ich lächelte. „Hi, na alles bereit für den Umzug?“
Die Kinder nickten.
„Wir wollten nochmal danke sagen, dass du uns unsere Pia zurückgebracht hast“, sagte Maria.
„Hab ich doch gern gemacht.“
Ich strich Surina über die Haut und dachte im Stillen, dass es ohne sie wohl nicht so schnell gegangen wäre. Natürlich hatte ich nicht erzählt, dass ich einfach so in die Wohnungen reingegangen bin. Aber durch Gregs Aussage, er habe den Dieb beim Stehlen beobachtet, war das auch für die Polizei hinnehmbar, wogegen niemand etwas einwenden konnte. Den Grund, warum der Typ die Tat begangen hatte, war, dass er mit Maria eine Auseinandersetzung auf dem Parkplatz vor dem Haus gehabt hatte und sich dafür rächen wollte. Aber auch das konnte ihn nicht vor einer Strafe bewahren.
Da ich lange Abschiede nicht so mochte, machten wir es kurz. Wir verabschiedeten uns nochmal ausgiebig voneinander und versprachen uns ab und zu mal zu schreiben. Die Kinder durften Surina nochmal kurz streicheln, aber wirklich nur ganz kurz, weil sie wegen dem fremden Schlangengeruch wieder zu zucken anfing.
Nachdem die Alessandros das Haus verlassen hatten, ging ich in die Küche und holte einen Kuchen raus, den ich am Mittag noch gebacken hatte. Mit diesem stieg ich die Treppe runter ins Erdgeschoss und stellte ihn vor Gregs Wohnungstür ab. Ich ließ einen Zettel mit einem Dankeschön dabei und ging wieder nach oben. Ich war ihm zwar schon dankbar, dass er mir geholfen hatte, dennoch brachte ich es nicht über mich zu ihm in die Wohnung zu gehen. Vielleicht ein anderes Mal. Aber nicht heute.
Als wir in den dritten Stock kamen, hob Surina nochmal kurz den Kopf, als sie den noch verbliebenen unangenehmen Nikotingeruch kurz mit der Zunge auffing.
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