Stories Untold
von Rosethouartsick
Kurzbeschreibung
1998 bis 2007: Astoria rettet Draco das Leben - mit vielen Worten an diversen Sommerabenden und so ganz nebenher wie man jemandem nur das Leben retten kann, wenn man fünfzehn Jahre alt, brillant und bis über beide Ohren verliebt ist. (Draco wird Astoria nicht retten können.) [Post-Canon. Puzzlestück des Goyle-Universums. Draco x Astoria/Draco x Pansy. TW: Alkoholmissbrauch.]
GeschichteDrama, Liebesgeschichte / P16 / Het
Astoria Greengrass
Daphne Greengrass
Draco Malfoy
OC (Own Character)
Pansy Parkinson
Scorpius Malfoy
16.04.2023
30.09.2023
23
114.844
24
Alle Kapitel
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Dieses Kapitel
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18.09.2023
5.590
Lyrics: Sober II (Melodrama) by Lorde.
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21 – Sober II (Melodrama)
And the terror and the horror
God, I wonder why we bother
All the glamour and the trauma
And the fuckin' melodrama
God, I wonder why we bother
All the glamour and the trauma
And the fuckin' melodrama
[Mai 2004]
„Wann gibt es eigentlich ein Wiedersehen mit Tia?“
Die Gästeliste hat sich mit den Namen der antiken Künstler und und Schmiede und Dramaturgen vermischt, deren Biographien sie für die Semesterabschlussklausur in Bildende und darstellende Kunst der Antike II auswendig lernen muss, die – es könnte kaum schöner sein – zwei Tage vor der Hochzeit anberaumt worden ist. Doch eine Tia kennt sie nicht. Eine Tia will sie auch gar nicht kennen, denn ihr Kopf ist bis zum Bersten gefüllt und sie will eigentlich nur schlafen. Es ist die erste Nacht, die Draco und sie in London verbringen werden und sie weiß nicht, woher sie ihre Gelassenheit nimmt. Zu Beginn des Monats hat sie es sich noch unsagbar aufregend vorgestellt, das Haus zu beziehen, das sie zwischen ihren Vorlesungen und seinen Dienstreisen hergerichtet haben, doch nun fühlt sie nichts. Ihr Kopf ist randvoll und leer zugleich und sie weiß, dass da mehr sein müsste. Sie weiß, dass so ein fertig eingerichtetes Schlafzimmer sie nicht kalt lassen dürfte. Sie weiß, dass Draco, der in T-Shirt und Unterhose neben ihr liegt und ihren Rücken krault, sich nicht wie eine Selbstverständlichkeit anfühlen dürfte. „Wer ist Tia?“
„Dein Diebesgut.“ Er räuspert sich leise. „Ich habe schon an Weihnachten damit gerechnet, dass ich mein Stofftier an Weihnachten mit einer Schleife zurückbekomme… und ich bin gar nicht böse, dass ich sie nicht vor den Augen meiner Eltern entpacken musste, aber so langsam habe ich den Verdacht, dass sie ein schlimmes Schicksal erlitten hat.“
„Oh… nein, hat sie nicht. Ich habe sie bloß vergessen.“ Sie setzt sich auf und geht zu einem der Umzugskartons herüber, in dem sich ihre Wintersachen befinden – und das plüschige Diebesgut. Achtlos verteilt sie ihre Schals und Mützen auf dem Boden, birgt den zerknautschten Stoffdrachen und trägt ihn zum Bett herüber. „Tut mir leid. Ich wollte ihn dir ursprünglich wirklich an Weihnachten zurückgeben, aber dann habe ich irgendwie nicht mehr daran gedacht. Und die Kiste habe ich schon vor Wochen gepackt, deswegen… ja, ich bin im Moment einfach etwas vergesslich.“
„So nennst du das, ja? Vergesslich?“ Sie duckt sich innerlich, weil Draco so kühl klingt. Ihre Finger zerquetschen den kleinen Drachen und sie rutscht so weit wie möglich auf ihre Seite des Doppelbettes zurück, das ihr plötzlich viel zu schmal vorkommt. Seine Augen weiten sich, als er sieht, wie sie fast von der Kante rutscht. Er packt ihre Hände und bewahrt sie vor einem Absturz. „Du weißt, dass wir darüber hätten reden sollen, oder?“
„Ich weiß nicht, was du meinst.“
„Toria, ich merke das. Ich kann es zwar nicht riechen und ich kann es auch nicht schmecken, aber ich weiß, dass ich dich in den letzten Wochen quasi nur betrunken erlebt habe. Ich weiß auch, dass du heute getrunken hast. Ich weiß nicht, wann oder was oder wieso, aber deine Augen verraten dich. Und dieses Mundwasser, gegen das ich langsam aber sicher eine Abneigung entwickelt habe.“
Ihr Gesicht fühlt sich an, als wäre es von dem kleinen Drachen in ihren Händen in Brand gesteckt worden. Sie rutscht auf dem Bett herum und zupft an dem Flügel des Drachens, der bereits mehrfach geflickt worden ist und an einem seidenen – aber magischen – Faden hängt. „Es war nicht viel. Es war nie viel. Und ich war auch nie betrunken.“
„Liegt es an der Hochzeit? Wenn du es dir anders überlegt hast oder alles verschieben willst, dann sag es mir. Sag es mir und wir machen das irgendwie möglich. Wenn es zu viel Druck ist, dann warten wir einfach noch ein Jahr. Oder zwei. Wir haben alle Zeit der Welt.“
„Wir können keine ganze Hochzeit verschieben. Die Einladungen sind verschickt und die meisten haben schon zugesagt und ich kriege das schon hin. Es ist nur eine Klausur und die Hausarbeit für Professor Lüsebrink kann ich bis in den September schieben, es sind auch wirklich nur ein paar Seiten und ich… ich schaffe das. Ich brauche nur…“
„… einen Pegel?“ Beschämt und erleichtert nickt Astoria. Sie mag dieses Wort nicht und sie wünschte, er hätte es nicht laut ausgesprochen, aber irgendwie ist sie auch froh, dass er es gemerkt hat. „Ich liebe dich, aber ich werde dich nicht heiraten, wenn du nicht stocknüchtern bist. Ab morgen.“
„Was? Was?! Das kannst du nicht machen.“
„Ach, kann ich nicht?“
„Das würdest du dich nicht trauen.“
„Willst du es drauf ankommen lassen?“ Nein. Allein die Vorstellung, vor allen Menschen, die sie kennt, ein Nein von ihm zu hören, fühlt sich wie ein Fall ins Nichts an. Das Schlafzimmer verwandelt sich in ein Vakuum und sie hört sich selbst, wie sie nach Luft schnappt. Er zieht sie in eine Umarmung und streichelt durch ihre Haare, während sie in seinen Armen erstickt. „Ich möchte das doch auch nicht, Tori. Ich möchte dir nur helfen. Aber wenn ich das nicht kann und du professionelle Unterstützung brauchst, dann musst du mir das sagen. Du musst mit mir reden.“
„Ich habe aber Angst.“
„Vor mir?“
„Nein… doch… also nein, eigentlich nicht.“
„Aber uneigentlich schon?“
„Ich habe Angst davor, dass du mich eines Tages hasst.“
„Warum sollte ich?“
„Weil ich manchmal ein Monster bin und du nicht alles über mich weißt und ich… ich will dich nicht verlieren. Ich kann dich nicht verlieren. Wenn ich dich verliere, dann habe ich gar nichts mehr und… ich habe einfach Angst, dass du mich nicht mehr magst, wenn du mich den ganzen Tag um dich hast.“ Ihre Stimme wird immer leiser, doch sie weiß, dass er sie hören kann und dass sie wirklich immer noch spricht, weil er sie immer und immer fester an sich drückt, sodass sie vielleicht wirklich noch erstickt.
„Ich kann dir nicht versprechen, dass ich dich jeden Tag mögen werde, aber ich werde dich immer lieben. An jedem einzelnen Tag unseres Lebens.“ Er presst einen Kuss auf ihren Haaransatz und sie schnieft leise, denn natürlich sind ihr mittlerweile die Tränen gekommen und sie weiß nicht wohin mit diesen ganzen ungebetenen Körperflüssigkeiten. „Und ich bin manchmal auch ein Monster und du weißt auch nicht alles über mich, aber das wäre doch auch schrecklich, oder? Dann hätten wir ja gar nichts mehr, worüber wir reden könnten.“
„Danke.“
„Doch nicht dafür.“ Er küsst sie wieder und streichelt über ihren Rücken. „Ich will nur nicht, dass du dich kaputt machst… und früher oder später wird dein Körper es dir nicht verzeihen, wenn du so viel und so regelmäßig trinkst. Im besten Fall sieht man es dir nur an, aber im schlimmsten Fall geht dein fabelhafter Kopf kaputt.“
„Vielleicht ist er das ja längst?“
„Na, das glaube ich nicht.“ Er lässt sie los und sie würde am liebsten die Augen schließen, denn er ist zu nah. Zu viel. Zu echt. „Ich liebe dich und ich will unsere Hochzeit nicht verschieben, aber kannst du mir versprechen, dass du bis dahin nichts mehr trinkst? Schaffst du das?“
„Ich werde mir Mühe geben… aber ich kann nichts versprechen. Ich muss morgen mit meiner Mutter und mit deiner Mutter in die Schneiderei, um das Kleid weiter anzupassen und ich weiß nicht, ob ich sie nüchtern wirklich ertragen kann.“
„Warum müssen sie überhaupt dabei sein?“
„Deine Mum wollte die Farbe der Tischdecken und gegebenenfalls die Musterung auf das Kleid abstimmen… und die Idee finde ich eigentlich sehr schön. Ich bin sogar ganz froh, dass sie dabei ist… dann konzentriert meine Mutter sich nicht nur auf mich.“
„Und warum muss sie dabei sein?“
„Weiß ich auch nicht so genau… weil sie von Anfang an dabei war? Weil sie sich sonst nicht eingemischt hat? Weil es ihr wichtig ist?“
„Was ist mit Daphne? Kann Daphne nicht mitkommen? So als Puffer.“
„Daphne hat morgen Training. Es ist doch Samstag.“
„Was ist mit Theo?“
„Ich soll Theo mit in die Schneiderei nehmen? Theodore Nott? Bei Twilfitt & Tattings? Kannst du dir das vorstellen?“
„Ganz gut sogar. Millicent arbeitet doch immer noch dort, oder?“
„Ich glaube schon. Also ich bin ihr bisher nicht über den Weg gelaufen, Miss Tatting hat uns immer persönlich in ihrem Atelier bedient, damit wir nicht durch die Kunden gestört werden.“ Ob sie diese Sonderbehandlung allein ihrer Mutter oder dem Namen Malfoy zu verdanken hat, weiß sie nicht und sie will es auch gar nicht wissen. „Denkst du, Theo würde das echt mitmachen?“
„Klar. Also vorausgesetzt er hat ein freies Wochenende… aber das kannst du ja morgen leicht herausfinden, indem du unseren Kamin einweihst.“ Er streicht ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht und platziert einen Kuss auf ihrer Nasenspitze. „Hast du Lust auf Kakao?“
„Ich habe mir schon die Zähne geputzt.“
„Das ist keine Antwort auf meine Frage.“
„Ich weiß nicht… ich habe eigentlich gar keinen Hunger.“
„Ich will dir auch kein Drei-Gänge-Menü aufschwätzen. Es geht hier lediglich um einen Kakao.“
„Ich will keinen Kakao. Ich will… schlafen. Eigentlich will ich nur schlafen, aber ich bin nicht müde, aber ich will auch nicht reden und ich… ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich will. Wir müssten das hier irgendwie zelebrieren, oder? Das ist sonst verkehrt.“
„Ist es nicht.“ Er legt sich wieder hin, hebt die Decke an und klopft auf seine Brust. „Komm einfach her.“ Zögerlich legt sie sich mit unter seine Decke und kuschelt sich an ihn. Es ist nicht so, als hätten sie noch nie im selben Bett gelegen, aber bisher war es immer entweder ihr Bett oder sein Bett, aber nicht das Bett, das sie gemeinsam ausgesucht und aufgebaut haben. Ihr entfährt ein leiser Schrei, als er sie packt und so an sich zieht, dass sie wie eine zweite Decke auf ihm liegt. Es ist nicht einmal ungemütlich, denn sein Bauch ist weich und er rückt sie so zurecht, dass ihr Kopf neben seinem auf dem Kissen landet.
„Erzähl mir nicht, dass du so einschlafen kannst.“ Während sie es sehr bequem hat, kann sie sich kaum vorstellen, dass er nicht erdrückt wird.
„Will ich ja auch gar nicht.“
„Ach nicht?“
„Ich will dich einfach nur in meiner Nähe haben. So nah wie möglich.“ Er lächelt und ihr Herz macht einen kleinen Hüpfer. „Dafür ist doch der ganze Aufriss. Genau dafür ist es gut. Für das hier. Das hier ist alles, was ich wollte. Wenn die Blumen oder die Tischdecken also am Ende nicht zu deinem Kleid passen, wenn Rita Kimmkorn über Umwege eine Titelseitengeschichte aus dem zweifelsohne beschämenden Toast meines Vaters macht oder wenn es den ganzen Juni über regnet und der Garten sich in einen Sumpf verwandelt, dann ist mir das ehrlich gesagt scheißegal. Das hier ist wichtig. Du bist wichtig.“
„Ich bin kein amerikanischer Sportverein. Ich brauche keinen Cheerleader.“
„Doch, brauchst du. Du gibst es nur nicht gerne zu und das ist okay. Ich bin auch nicht gut darin, nach Hilfe zu fragen… aber bitte, bitte, bitte, sprich mit mir, wenn es dir schlecht geht. Ich will dir helfen – und selbst wenn ich dir nicht helfen kann, dann will ich wenigstens Bescheid wissen.“
„Kommt mir das nur so vor oder probst du für dein Gelübde?“
„Mein Gelübde wird nicht einmal halb so schön.“ Er schenkt ihr ein schiefes Lächeln und zieht die Decke über ihre Schulter. „Ich weiß nicht, wie du das siehst, aber ich finde nicht, dass über hundert Leute, von denen wir einige kaum kennen, an unseren privaten Gedanken und Gefühlen teilhaben müssen. Ich verstehe, wieso du die Freunde deiner Eltern einladen musst, aber ich fände es schöner, wenn wir uns die Gelübde für später aufheben und es vor Publikum bei einer ganz schlichten Zeremonie belassen würden.“ Er schaut sie fragend an, während seine Hand über ihren Rücken wandert. „Was denkst du darüber?“
„Ich kann ebenfalls auf eine öffentliche Liebeserklärung verzichten… und wenn wir das hinter geschlossenen Türen machen, dann schreibe ich vielleicht gar nichts Neues, sondern habe eine Überraschung für dich.“
„Das klingt ja sehr geheimnisvoll… reimt sich diese Überraschung rein zufällig?“
„Rein zufällig tut sie das.“
„Du hast mich noch nie deine Gedichte lesen lassen.“
„Aus gutem Grund. Meine Gedichte sind schrecklich und peinlich und… ja, es gibt da ein Juwel, das ich mit Fünfzehn geschaffen habe und es ist vielleicht der schlechteste Text, den ich je geschrieben habe… aber wenn du mich in guten wie in schlechten Zeiten lieben und ehren möchtest, dann kannst du vielleicht auch diesen Text lieben und ehren… oder wenigstens nicht darüber lachen.“
„Also ich möchte hier lieber nicht schwören, dass ich nicht lachen werden, denn Lachen ist ein schwerlich kontrollierbarer Reflex, aber ich werde mich sehr geehrt und geliebt fühlen… habe ich damit meine Chance auf eine private Lesung verspielt oder bin ich noch im Rennen?“
„Du hast dich jedenfalls noch nicht ganz disqualifiziert.“
„Gut für mich.“ Er küsst sie nochmal und seufzt anschließend so zufrieden, als gäbe es nichts Schöneres auf der Welt, als von ihr und ihrer Leere erdrückt zu werden. „Wirklich gut für mich.“
* * *
„Wieso kann man deine schönen Brüste nicht sehen? Ist das etwa Absicht?“ Astoria bewundert in dem zwei Meter hohen und zwei Meter breiten Spiegel, wie ihr ganzes Gesicht rot anläuft. Es war eine irre gute und eine irre schlechte Idee, auf Draco zu hören und Theo mit zu Twilfitt & Tattings zu nehmen. Gut ist es vor allem deshalb, weil Theo eine famose Ablenkung für ihre Mutter ist, zwischen deren Augenbrauen sich eine Falte gebildet hat, die seit einer halben Stunde nicht verrutscht ist.
Während sie selbst komplett sprachlos ist, kichert Marina Tatting hinter vorgehaltener Hand. Das Spiegelbild von Narzissa, die sich bislang eher ruhig verhält, schmunzelt ebenfalls ein bisschen. Im Gegensatz dazu sieht ihre Mutter so aus, als hätte sie in eine Zitrone gebissen.
„Jetzt wo du es sagst… ein wenig altmodisch ist dieser hochgeschlossene Schnitt schon. Vielleicht wäre es einen Versuch wert, etwas von dem Stoff wegzunehmen oder einen Teil durch Spitze zu ersetzen?“ Narzissa ist darauf bedacht, sehr neutral zu klingen, doch das reicht nicht, um ihre pikierte Mutter zu versöhnen.
Die Schneiderin, die bei der letzten Sitzung viel Geduld bewiesen und den Unterteil des Kleides angepasst hat, der nun wie gemalt aussieht, nickt gewissenhaft, doch ihre Mutter schüttelt fassungslos den Kopf. „Warum nicht gleich ein Schlitz im Kleid, damit man ihre Schenkel sehen kann?“
„Für tanzbegeisterte Bräute empfehle ich einen halbhohen Schnitt tatsächlich.“ Marina Tatting rümpft die Nase und ringt sich ein Lächeln für ihre Mutter ab. „Allerdings haben wir beim vergangenen Mal ja darauf geachtet, dass der Rock nicht zu eng ist und Miss Greengrass sich gut bewegen kann, damit einem Tanz nichts im Wege steht.“ Die Schneiderin wendet sich dem Stoff zu, der nicht nur ihre linke Schulter, sondern ihr gesamtes Schlüsselbein bedeckt. „Wollen wir hier ansetzen und schauen, wie es mit Spitze aussieht?“
„Eigentlich mag ich Spitze nicht besonders… vielleicht könnte der Teil hier schmaler gemacht werden?“ Sie hält ihre Finger an den Stoff, der ihren Hals streift. Miss Tatting nickt gewissenhaft und macht sich an die Arbeit. Theo, der angeblich sein zweitbestes Hemd aufgetragen hat – damit es für die Hochzeit noch steigerungsfähig bleibt – reckt einen Daumen in die Höhe und lehnt sich zufrieden in seinem Sessel zurück.
Die Schneiderin werkelt an ihr herum und sie versucht, nicht ins Schwitzen zu geraten, obwohl sie mehr oder minder von vier Augenpaaren gemustert wird. Marina Tatting ist vollkommen auf das Kleid fokussiert, ihre Mutter inspiziert ihre Haarspitzen und Narzissa Malfoy schaut sich von ihrem Platz aus in dem Atelier um, das die vorübergehende Heimat diverser halbfertiger Kleider ist. Theo starrt sie zwar an, doch man kann ihm ansehen, dass er mit dem Gedanken woanders ist und das ist beneidenswert, denn Astoria wäre auch gern woanders. Als sie den Kopf ganz leicht dreht, um aus dem Fenster zu sehen und die grellbunte, niemals langweilige Fassade von Weasley’s Zauberhafte Zauberscherze zu bewundern, bohrt sich eine der winzigen Nadeln in ihren Hals und sie verliert vor Schreck, nicht vor Schmerz, das Gleichgewicht. Die Schneiderin stützt sie gekonnt ab und murmelt etwas in einer Sprache, die Astoria nicht versteht, doch es hört sich nach einer Entschuldigung an. Das Gefühl, aus der Balance geraten zu sein, legt sich dennoch nicht und plötzlich dreht sich der ganze Raum.
„Ich muss mich hinsetzen. Ich…“
„Nicht doch, nicht doch, es ist ganz normal, dass man sich zwischendurch überwältigt fühlt, meine Liebe. Setzen Sie sich, setzen Sie sich… nun machen Sie doch mal Platz, junger Mann.“ Die Schneiderin scheucht Theo auf, der telepathisch begabt sein muss, den er geht zu dem Fenster herüber und öffnet es so weit, dass ein kühler Luftzug ihr Gesicht erreicht. Sie betastet ihre Stirn und erschrickt darüber, wie verschwitzt sie ist. „Möchten Sie etwas trinken, Miss Greengrass?“
Es ist diese zweifelsohne gut gemeinte Frage, die dafür sorgt, dass die Galleone bei Astoria fällt. Sie befindet sich in einem bestens temperierten Raum, hat ausreichend geschlafen und gut gefrühstückt, doch sie hat seit annähernd dreißig Stunden nichts mehr getrunken. Ehe sie sich gestern Vormittag mit Draco getroffen hat, um die lebenswichtigen Möbel aufzubauen und die letzten Kisten von Birmingham nach London zu transportieren, hat sie sich ein halbes Glas Himbeergeist zum Frühstück genehmigt. Bloß ein paar Schlucke, die ihr Körper längst verarbeitet hat. (Und genau das ist das Problem.)
„Ich… ich glaube, ein Glas Wasser wäre gut, ja.“
„Kommt sofort.“ Marina Tatting verschwindet aus dem Atelier, das Astoria dadurch nicht leerer vorkommt. Ihre Mutter mustert besorgt ihre Bauchgegend, während Narzissas Aufmerksamkeit einem schwarzen Ballkleid gilt, das zur Hälfte aus Tüll besteht und so aussieht, als würde es auf eine Opernbühne gehören. Astoria schließt für einen Moment die Augen und wünscht sich auf genau so eine Bühne, auf der es sich bestimmt immer noch freier atmen lässt als im ersten Obergeschoss von Twilfitt & Tattings.
* * *
Kaum haben sie sich ins Untergeschoss begeben, in dem der normale Betrieb stattfindet, werden sie von Millicent Bulstrode begrüßt, die hinter der Kasse steht und einen hocherfreuten Eindruck macht. Astoria rechnet fest damit, Theo als Schutzschild zu verlieren, doch er belässt es bei einem freundlichen Gruß und hakt sich bei Astoria ein.
Narzissa, die gegen Ende reichlich gelangweilt von den endlosen Debatten über diese oder jene Naht gewirkt hat, verabschiedet sich zügig in Richtung Flourish & Blotts. Ihre Mutter, deren Stirn sich nach und nach geglättet hat, obwohl der Ausschnitt von Astorias Kleid immer tiefer geworden ist, schultert geschäftig ihre Tasche.
„Wollen wir dann nach Hause gehen oder musst du noch etwas erledigen?“ Bevor Astoria ihre Mutter darauf hinweisen kann, dass sich seit gestern Mittag all ihre Besitztümer in London befinden, bemerkt sie es von selbst. „Ich meine natürlich, ob du… dass… meine Güte, ist das merkwürdig.“ Den letzten Teil murmelt ihre Mutter bloß und Astoria ist sich sicher, dass sie eher mit sich selbst spricht als mit irgendjemandem sonst. „Wann beehrst du uns denn das nächste Mal? Von deinem Vater hast du dich gestern gar nicht mehr richtig verabschiedet.“
„Ich werde Draco später mal fragen, ob er schon Pläne fürs Wochenende hat. Vielleicht könnten wir am Samstag vorbeikommen?“
„Samstag ist es ganz ungünstig. Da hat Cressida sich angekündigt, mittags schon und ich mag sie ja wirklich sehr, aber sie hat wirklich kein Gefühl dafür, wann sie aufbrechen sollte. Damit es ein Ende nimmt, habe ich Leonore und Justine für ein frühes Abendessen eingeladen. Wir werden unter uns Damen sein, sodass es sich ganz organisch auflöst, sobald dein Vater nach Hause kommt. Draco würde sich dort sicher nicht wohlfühlen, aber ich bin mir sicher, dass sich besonders Leonore freuen würde, dich vor der Hochzeit nochmal zu sehen.“
„Ich schaue mal, ob es passt. Im Haus gibt es immer noch so viel zu tun… und ich muss auch immer noch für die Prüfungen lernen, aber vielleicht schaue ich eine Stunde rein.“
„Du bist uns immer willkommen.“ Ihre Mutter lächelt und bietet Astoria ihre Wange für einen Kuss an. Sie verabschiedet sich brav und bleibt mit Theo zurück, der geräuschvoll ausatmet.
„Da wirst du doch wohl nicht hingehen?“
„Ich weiß noch nicht.“
„Toria, das klingt nach einer furchtbaren Veranstaltung.“
„Es ist doch keine Veranstaltung. Es sind meine Mutter und drei ihrer engsten Freundinnen, von denen sie immerhin zwei wirklich mag.“
„Und genau das meine ich… also ehrlich, du hast es doch endlich geschafft. Du bist ausgezogen und lebst nicht mehr in Rufweite solcher Events… dann halt doch auch die Füße still und igele dich mit deinem Bräutigam ein. Mal ehrlich, wie schwer kann es sein?“
„Vielleicht hat Draco ja schon Pläne.“
„Duffy und ich sind am Samstag mit Gregory verabredet. Von Blaise hat seit Februar niemand einen Mucks gehört und ganz ehrlich? Mehr Freunde hat der Mann nicht, deswegen darfst du dir sicher sein, dass Draco dieses Wochenende ganz dir gehört… so wie wahrscheinlich jedes Wochenende in absehbarer Zukunft, weil ja… wie gesagt… so viele Freunde hat er nicht. Er wird nicht plötzlich mehr Pläne haben, die dich nicht involvieren, bloß weil ihr euch eine Zahnbürste teilt. Eher weniger, weil er ja liebevolle Ansprache bekommt, ohne das Haus zu verlassen.“
„Wir teilen uns keine Zahnbürste.“
„Dann eben die Zahnpasta.“
„Auch das nicht. Wir haben beide eine angebrochene Tube mitgebracht und… ja, ich weiß gar nicht, ob wir das beibehalten oder ob wir dieselbe Zahnpasta bevorzugen.“
„Das könnte man ja am Samstagabend besprechen. Das ist doch ein dreimal schönerer Plan als mit deiner Mutter und ihren Furien zu essen.“
„Leonore ist eigentlich ganz in Ordnung…“
„Toria. Lass los. Deine Mutter braucht dich nicht, um ihre Freundinnen zu unterhalten. Geh mit Draco Zahnpasta shoppen. Kauft am besten einen ganzen Drogeriemarkt leer.“
„Wieso ist dir so daran gelegen, dass ich meine Mutter nicht besuche?“
„Weil ich einen kalten Entzug erkenne, wenn ich einen sehe, Mäuschen.“ Theo streichelt durch ihre Haare und sie spürt, wie ihr Gesicht zum zweiten Mal an diesem Tag rosarot anläuft. Um das zu merken, braucht sie keinen zwei mal zwei Meter großen Spiegel. „Das Schwitzen? Der Schwindel? Dieser Gesichtsausdruck, als wüsstest du nicht, ob du gleich kotzen musst? Die unruhigen Handbewegungen? Eins zu eins ich am ersten September 1997, nachdem ich dachte, es wäre eine weltklasse Idee, einen Sommer lang nur ja keinen Tag nüchtern zu bleiben. Seitdem trinke ich lieber punktuell zu viel, anstatt zu regelmäßig. Würde ich dir ebenfalls empfehlen, falls du nicht ganz die Finger davon lassen kann. Vielleicht kannst du das ja. Vielleicht bist du besser als ich.“
„Ich befürchte, das bin ich nicht.“
„Aber du fürchtest dich und das ist ein guter Anfang.“ Theo streichelt durch ihre Haare und kneift sie in die Wange. „Na komm, wir bringen dich zurück zu deinem Herzblatt und den Päckchen, bei denen das Entpacken ein bisschen mehr Spaß macht.“
* * *
Theo hat sich selbst noch auf ein Tässchen Kaffee eingeladen, um sich den Abstecher in seinen Stammkiosk zu sparen, doch im Anschluss ist sie allein mit den Umzugskartons. Als Draco nach Hause kommt, ist sie nass geschwitzt, doch ihr Kopf ist klar und sie fühlt sich eigentlich ganz gut. Als Draco im Wohnzimmer landet, ist sie bei der letzten Kiste mit Büchern angekommen und sehnt sich nach einer heißen Dusche, um den Staub, den Schweiß und diesen ganzen Tag von sich abzuwaschen.
„Hey.“ Draco hält einen kleinen Sicherheitsabstand ein und sieht dabei zu, wie sie ihre Elisabeth Hopfkirch Schmonzetten nach Farben sortiert.
„Hi.“
„Kann ich dir noch bei irgendwas helfen?“
„Nicht wirklich. Ich bin fast fertig. Aber du könntest die Kartons wieder zusammenlegen und verkleinern, wenn du Lust hast?“
„Klar.“
„Und du könntest kochen… oder wollen wir auswärts essen?“ Daphne hat ihr dringend ans Herz gelegt, den gesamten Haushalt akribisch zu planen, um nicht im Chaos zu versinken, doch bisher haben Draco und sie noch nicht konkret darüber gesprochen, wie sie die alltäglichen Aufgaben verteilen wollen. Sie haben sich eine Waschmaschine und einen Trockner zugelegt, da sie sich darüber einig geworden sind, dass ihre Haushaltszauber nicht so gut sind, dass es dauerhaft für die Bewältigung der Wäsche reicht.
„Kann ich machen. Worauf hast du Lust?“
„Deine Mutter hat uns Kartoffeln mitgegeben, die nicht mehr ewig halten.“
„Stimmt, stimmt, die Kartoffeln.“ Draco nickt ganz beflissen. Er hat bereits damit angefangen, die Kartons zu falten und mustert sie dabei ganz unauffällig. „Und wie war es heute sonst so?“
„Ganz in Ordnung.“ Sie lächelt und merkt selbst, wie schwer es ihr fällt, deswegen macht sie sich die Mühe nicht weiter. „Anstrengend, es war anstrengend, aber das Kleid ist quasi fertig, ich muss nur noch einmal zur finalen Anprobe hin. Das mache ich dann aber allein oder mit Daphne zusammen.“
„Theo war also kein würdiger Ersatz?“
„Doch, es war schon gut, dass er heute mitgekommen ist… aber zum Schluss brauche ich nochmal Daphnes kritischen Blick.“ Sie geht in die Knie und unternimmt den Versuch, mehr als sechs Wälzer gleichzeitig anzuheben. „Hast du zufällig ein Foto von der Hochzeit deiner Eltern?“
„Nein, ich glaube nicht. Also es gibt auf jeden Fall Fotos, aber in den Alben, die ich mitgenommen habe, ist keins… die sind schließlich erst ab 1979 geführt worden, als meine Mum schwanger war… ich bin mir gerade auch gar nicht sicher, wann sie geheiratet haben. 1975, glaube ich? Oder 1976?“ Draco macht ein besorgtes Gesicht. „Hat sie dein Kleid niedergemacht?“
„Nein, nein, überhaupt nicht! Also sie hat wirklich kaum etwas gesagt und wenn, dann waren es eigentlich nur nette Sachen… ich habe mich bloß gefragt, wie ihr Kleid wohl aussah, weil… ja, meine Mutter war natürlich sehr dezent unterwegs. Und sehr zurückhaltend. Es ging heute mehrmals darum, wie viel Ausschnitt so ein Brautkleid haben darf und deine Mum war da wesentlich progressiver als meine… deswegen war ich neugierig auf ihr Kleid, aber ich habe den Einsatz verpasst, danach zu fragen und ja… ich dachte, du hast vielleicht Fotos.“
„Verstehe… also habe ich leider wirklich nicht, aber du kannst sie ja einfach nochmal fragen, wenn wir das nächste Mal bei meinen Eltern sind. Sie hat immer viel Spaß daran, alte Fotos raus zu kramen.“ Er kneift die Augen ganz leicht zusammen, als würde er versuchen, sich die besagten Fotos bildlich vorzustellen. „Besonders aufregend war an diesen Bildern aber nichts. Also ich würde vermuten, meine Mutter war damals auch darauf bedacht, ihren Eltern alles irgendwie recht zu machen… aber was wie genau geschnitten war… keine Ahnung, da bin ich überfragt. Habe ich nie so drauf geachtet. Aber sie hatte keinen Schleier, das weiß ich noch. Diana, also Gregorys Mum, hat so ganz aufwendigen Haarschmuck gebastelt… mit echten Narzissen und so.“
„Oh wow.“
„Ja, das sah cool aus.“ Draco verstaut die geschrumpften Kartons. „Also Kartoffeln… nur Kartoffeln oder noch was? Nur Kartoffeln ist ein bisschen langweilig, oder?“
„Guck einfach mal, was du noch so findest.“ Narzissa und Elsi, die Hauselfe des Manors, haben ihnen diverse Lebensmittel mitgebracht, die ohne Dracos Anwesenheit in seinem Elternhaus keinen Abnehmer finden, und obendrein einen ganzen Wocheneinkauf hingelegt, damit sie nicht mit einer leeren Küche starten müssen. Besonders intensiv hat Astoria sich mit diesen Vorräten bislang nicht befasst, sondern sich lediglich Toast und Marmelade für ihr Frühstück zusammengesucht. Theo hat sie zu dem Kaffee eine Packung Kekse angeboten, die ganz vorn im Schrank deponiert worden ist.
Draco begibt sich leicht verunsichert in die Küche, doch als sie eine Stunde später frisch geduscht und in ihren Schlafsachen zurückkehrt, hat er ein kleines Festmahl zustande gebracht. Naja, kein richtiges Festmahl, aber die mit Käse überbackenen Kartoffeln in der Auflaufform und der Tomatensalat können sich sehen lassen. Auf dem kleinen Esstisch, der keinen eigenen Raum bekommen hat, sondern ebenfalls in der Küche untergebracht worden ist, steht außerdem eine Flasche Orangensaft.
Sie essen und sprechen dabei über Dinge, die nicht weltbewegend sind. Zwischen den Bissen fragt sie Draco über seinen Tag aus, der ebenfalls nicht weltbewegend war, und versucht die Tatsache zu ignorieren, dass sie schon wieder schwitzt. Als sie die Ärmel des Oberteils, das sie zum Schlafen ausgewählt hat, so weit wie möglich und mit etwas zu viel Energie nach oben schiebt, unterbricht er seinen Monolog über die neue Eulenpolitik der irischen Regierung. „Alles in Ordnung?“
„Mir ist nur ein bisschen warm.“
„Aber das ist alles? Also ich wollte dir nichts unterstellen, weil du eigentlich ganz fit wirkst, aber ja… ist dein Körper heute nett zu dir?“
„Nicht wirklich, aber so langsam geht es wieder.“
„Gut. Also nicht gut, aber ich bin froh, dass es dir jetzt ganz gut geht… und dir nur warm ist. Oder ist da gerade noch mehr?“ Astoria schüttelt den Kopf. „Okay, gut, ich… ich würde nämlich gern noch eine Sache besprechen… also eigentlich würde ich dir gern etwas geben… falls du dafür gerade in der Verfassung bist?“
„Klar.“ So geheimnisvoll tut Draco selten und sie merkt direkt, wie die Leere in ihr durch echte Neugier verdrängt wird. „Jetzt oder später?“
„Ich würde hier noch kurz aufräumen.“
„Das kann ich auch machen. Du hast ja schon gekocht und… ja, irgendwie müssen wir solche Aufgaben ja fair verteilen, oder?“ Er zuckt mit den Schultern, als wäre es ihm für den Moment egal, doch sie kann sich nicht vorstellen, dass er jahrelang mit Begeisterung hinter ihr herräumen wird, deswegen nimmt sie das Geschirr und trägt es zur Spüle. Während ihre Schwebezauber seit jeher eher mittelmäßig sind, hat sie in der Theorie einen Spruch gelernt, mit dem man sich das Geschirrspülen erleichtern kann und den sie praktisch kaum mal angewendet hat.
Die Teller klirren ein bisschen, säubern sich aber zuverlässig. Draco bringt sich ein, indem er das Trockentuch verzaubert und observiert die ganze Angelegenheit, während sie den Orangensaft in den Kühlschrank stellt und dort verweilt, um vielleicht doch mal einen ersten Überblick über ihre Vorräte zu gewinnen.
„Also das Geschenk habe ich oben.“
„Ach, ich kriege ein Geschenk?“ Einen Monat vor ihrem Geburtstag ohne jeden Anlass beschenkt zu werden, ist neu für sie, doch er lächelt und sieht dabei so verlegen aus, dass sie vermutet, dass Geschenk doch nicht ganz den Kern der Sache trifft.
„Sozusagen.“ Er nimmt ihre Hand und sie folgt ihm in den ersten Stock. Da es außer dem Bett noch nicht allzu viele Sitzgelegenheiten gibt, nimmt sie auf der Kante Platz. Unterdessen geht Draco zu der Kommode, in dem sich der Großteil seiner Kleidungsstücke und ihrer beider Socken befinden, und holt ein flaches Päckchen heraus, das ihr auf Anhieb bekannt vorkommt. Es ist über drei Jahre her, dass sie diese Schachtel zum ersten und letzten Mal zu Gesicht bekommen hat und doch kommt sie sich schlagartig dumm vor. Als hätte sie mit diesem Wiedersehen rechnen müssen. Als wäre es stets unumgänglich gewesen. Nicht einmal die Verpackung hat er ausgetauscht, das in die Jahre gekommene Logo des Juweliers ist weiter verblasst, doch nicht durch eine schlichtere Hülle ersetzt worden. (Vielleicht ist auch das eine Geste, so eine Art Warnung.)
„Draco…“
„Ich weiß, ich weiß, ich werde hier zum Wiederholungstäter, aber ich bestehe darauf. Wir haben nächste Woche den Termin in Gringotts zur Zusammenlegung der Verliese, sodass du nach der offiziellen Eheschließung direkt Zugang hast und nicht alles über mich laufen muss, aber ich möchte, dass du dein Verlies behältst und dein eigenes Geld hast. Unabhängig von mir. Auch wenn es im Vergleich nicht viel ist. Ich will einfach… also selbst wenn du die Kette nicht tragen möchtest, würde ich dich bitten, sie in deinem Verlies unterzubringen.“
„Wieso? Denkst du, ich würde dich wegen deines Vermögens heiraten?“
„Nein. Ich weiß, dass dir das gerade kaum egaler sein könnte, aber ich will auch, dass das so bleibt. Nur mal angenommen, es läuft in ein paar Jahren nicht mehr so gut zwischen uns… dann will ich nicht, dass du bei mir bleibst, weil du ohne mein Geld nicht leben kannst und ohne mich zwangsläufig nochmal auf deine Eltern angewiesen wärst.“
„In ein paar Jahren werde ich hoffentlich arbeiten.“
„Ja, natürlich wirst du das. Aber… also nichts für ungut, aber ich würde nicht darauf wetten, dass man als Kunsthistorikerin so ein unsagbar gutes Gehalt bekommt. Und mit der Summe, die deine Eltern in diesem grässlichen Ehevertrag für dich ausgehandelt haben… naja, sagen wir mal, die Kette würde im Zweifelsfall einen Unterschied machen. Deswegen nimm sie bitte an. Bitte.“
„Du bist wirklich kein Optimist.“
„Nein, leider nicht.“ Er legt das Päckchen in ihrem Schoß ab und setzt sich endlich neben sie. Bisher hat er vor ihr gestanden und sie damit ganz nervös gemacht. „Betrachte es als Hochzeitsgeschenk, ja?“
„Es ist unsere Hochzeit. Du bist nicht zu Gast, da musst du mir doch nichts schenken.“
„Ich weiß, aber ich möchte es.“ Sie öffnet die Schachtel und betrachtet die funkelnden Smaragde. „Du würdest mir damit wirklich eine Freude machen, Toria.“
„Ich nehme es an.“
„Danke.“ Er lehnt seine Stirn gegen ihre Schulter und sie betastet lächelnd die goldenen Glieder der Kette.
„Es ist schon ein schönes Stück.“
„Du bist schön.“
„Sehr elegante Überleitung.“
„Ich weiß.“ Er streicht ihre Haare aus dem Nacken. „Darf ich?“
„Ich bin doch nicht richtig angezogen. Das sieht dann doch nicht aus.“
„Von mir aus kannst du dich auch ausziehen, da habe ich gar nichts gegen.“
„Draco!“
„Ich meine ja nur, ich meine ja nur.“ Er flechtet ihre Haare und stellt sich dabei überraschend geschickt an. Widerstandslos reicht sie ihm die Schachtel und schließt automatisch die Augen. Draco nestelt eine Weile an dem Verschluss herum, doch schließlich klickt es leise und er richtet die Kette. Sie steht auf und läuft zu dem Spiegel neben ihrem Kleiderschrank herüber. Natürlich kommt das Collier auf ihrem schlichten Oberteil nicht wirklich zur Geltung, doch selbst unter den widrigen Umständen ist nicht zu überstehen, dass es sich nicht um irgendein x-beliebiges Schmuckstück handelt.
„Und schon bin ich zwanzigtausend Galleonen wert.“ Natürlich könnte sie so tun, als würde sie sich nicht über ihre Unterhaltung am Bahnhof King’s Cross erinnern, doch Astoria ist bewusst, dass dieses Geschenk dem Preis eines kleinen Hauses in ländlicher Gegend entspricht.
„Du bist unbezahlbar.“