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Hans und Kois

Kurzbeschreibung
KurzgeschichteHumor / P12 / Gen
28.03.2023
28.03.2023
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Hans fand sein Aquarium immer total toll. Es war groß, fast so groß wie ein Teich, aber es stand in Hans Wohnzimmer. Hans hatte keinen Garten.

Aber er hatte ein Wohnzimmer und in dessen Mitte war ein kleiner Hügel aus Holzschindeln aufgebaut und in diese Erhebung eingelassen, war das Becken, das Hans mit Wasser gefüllt hatte. Das war sein Aquarium.

Aber in Hans kleinem Zimmerbiotop schwammen keine Fische. Hans hatte viel größere Freude daran, Futter für Fische zu züchten. Im sauberen Wasser, das an einem Ende aus einem Brunnen plätscherte und im Kreislauf vom Grund des Beckens wieder abgepumpt wurde, schwammen die Flocken, mit denen andere Fischliebhaber ihre Tiere fütterten.

Das wirklich Besondere an der Sache war, dass Hans eine ganz außergewöhnliche Methode verfolgte, um sein Fischfutter wachsen und gedeihen zu lassen: Er fütterte es mit Fischen. Wie sich im Laufe der Zeit herausgestellt hatte, mochten die Flocken vor allem die japanischen Zierfische Koi sehr gerne.

Und heute war wieder ein Tag, an dem Hans auszog, um Kois für sein Fischfutter zu kaufen. Hans war noch auf der Suche nach den Fischen, die das Optimum aus seinem Fischfutter herausholten. So fand er sich alsbald in einem Fachgeschäft für Terrarien und Aquarien wieder und er betrat den Laden und er sah sich ein wenig um

Leider hatte Hans nicht das kleine Terrarium bemerkt, das seitlich von ihm in einer fast nicht sichtbaren Nische in der Wand stand.

Hans ließ leichtfertig seine Hand in das Terrarium baumeln, in dem sich wiederum ein überdurchschnittlich großer Skorpion mit auffällig schwarz glänzendem Panzer in seiner Beschaulichkeit gestört fühlte. Noch war das Spinnentier nicht aggressiv, aber es fehlte lediglich der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Und den verschüttete Hans damit, dass er dem Skorpion mit einer unbedachten Bewegung eins überzog.

Dann stach das Tier zu.

»Scheiße«, fauchte Hans und zog seine Hand aus dem Terrarium. Das Terrarium und der darin befindliche Skorpion waren ihm neu, aber Hans hatte sofort durchschaut, was geschehen war.

»Scheiße!«, wiederholte Hans und er winkte mit seiner gesunden Hand jemanden vom Personal herbei.

»Dieses Scheiß-Vieh hat mich gebissen. Wissen Sie ob das giftig ist?«

»Gestochen.«

»Was?«

»Nun, Skorpione beißen nicht. Sie stechen.«

Der Verkäufer, der in gemächlichem Schritt und mit drehend-schwingenden Hüften auf Hans zu getrottet kam, war offensichtlich schwul. Das machte Hans an dessen Gang und Tonfall aus.

»Skorpione stechen«, wiederholte der Angestellte und lächelte dabei gewinnend.

»Was? Ähm…ja«, sagte Hans. »Aber ist der giftig?«

»Der?«

Der Verkäufer - auf seiner Brust prangte ein Schild mit dem Namen Sven - hatte seine Hände gebetsartig gefaltet und nickte in die Richtung des Skorpions.

»Der?«, wiederholte er. »Das weiß ich leider nicht.«

»Das wissen Sie nicht?«

Hans Antlitz wurde aschfahl.

»Warum wissen Sie das nicht?«

»Nun, warum sollte ich das wissen?«

»Ach, Herrgott - das Ding ist in ihrem Geschäft!«

»Das weiß ich.«

»Ach, was solls - was schätzen Sie? Ist das Tier giftig oder nicht?«

»Ich glaube nicht. Wir dürfen hier nichts Giftiges verkaufen. Denke ich…«

Hans ließ es gut sein. Es würde nichts passieren, und wenn, dann würde die Biss…äh, Stichwunde höchstens ein wenig anschwellen und dann würde er etwas Balsam oder Propolis auftragen und die Sache löste sich damit wahrscheinlich von selbst.

Hans kaufte noch seine Kois, die er an sein Fischfutter verfüttern wollte, und ging wieder nach Hause.

**


In der Nacht schlief er unglaublich schlecht, wälzte sich von einer Seite auf die andere und träumte von Monstern und Chimären, von Teufeln und Hexen und wie die Kois, die er gekauft hatte, alle Fieslinge der Finsternis auffraßen. Es war schrecklich und als Hans am Morgen schweißgebadet aufwachte, bekam er die Bilder der Nacht nur schwer aus seinem Kopf.

Selten hatte er so schlecht geschlafen, und noch nie hatte er sich so gerädert gefühlt und mit einem Mal kam ihm der Stich des Skorpions in den Sinn und er warf einen Blick auf seine Hand. Er erschrak. Die Haut sonderte eine milchige Substanz ab, nur dass sie nicht weiß, sondern pechschwarz war. Aber sie hatte die Konsistenz von Milch und die Flüssigkeit ergoss sich über Finger und Handfläche und Hans benetzte alles, was er anfasste mit dem ekelerregenden Saft, der ihm aus den Poren schoss.

Hans erinnerte sich, mit seiner Hand, mit eben dieser fluchversifften Hand, gestern noch seine Fische, die Kois, berührt, und sie ins Aquarium geworfen zu haben. Er gab es nicht gerne zu, aber Hans machte sich gerade unfassbare Sorgen um sein Fischfutter.

Er vergaß ganz darauf, sich einen Rock oder einen Mantel überzuziehen, und stürmte in seiner weit pludernden Feinrippunterhose hinüber in den Salon, direkt zu seinem Aquarium. Und dort sah er die Bescherung:

Das Aquarium thronte immer noch inmitten des Zimmers, nichts wurde verrückt oder umgestoßen, aber es war leer. Das Wasser in ihm fehlte vollständig und die Pflanzen, diese armen, armen, unglücklichen und unschuldigen Pflanzen, hingen welkend und dahinsiechend zwischen den trockenen Steinen und dem kargen Kies. Fein bedeckt mit vor sich hinkrümelndem Fischfutter.

»Oh, Schreck!«, entfleuchte es Hans und bei diesen Worten, sah er plötzlich Sven, die leicht tuntige Bedienung aus dem Zoofachgeschäft, vor sich.

»Ich meine - Scheisse!«

Und das meinte Hans auch so. Sein Trockenfutter war eingegangen. Das wollte er nicht wahrhaben, das durfte nicht passiert sein. Dann kam Hans plötzlich eine entscheidende Frage in den Sinn: »Was ist mit den Kois?«

Von den Fischen fehlte jede Spur, sie waren verschwunden. Hatte sie das Fischfutter vielleicht noch gefressen? War es vielleicht gar an den Kois erstickt? Aber wo war dann das Wasser hingekommen? Diese ganze Geschichte war so mysteriös, dass es Hans zu gruseln begann, und in seinem tiefen Schock ließ er plötzlich einen fahren, dass sich die alte Feinripp um sein Becken instant noch mehr aufplusterte.

Da erhob sich plötzlich vom Garten draußen her ein leises Gepolter. Es klang, als würde die Rote Armee in weiter Ferne aufmarschieren und die Tritte von bestiefelten Füßen und Beinen im Takt gegen den Erdboden hämmern. Dann hörte Hans auf einmal Marschmusik, die näher kam und ständig lauter wurde. Und schließlich wurde die Tür des Hauses, die in den Hinterhof führte, aufgerissen und der obskure Marschlärm setzte sich bis ins Wohnzimmer fort.

Es waren die Kois. Nicht größer als normale Kois, nicht dünner, nicht dicker, nicht heller und nicht dunkler. Aber sie trugen allesamt Militäruniform und schulterten Waffen und schoben Kanonen und MG-Geschütze. Sie marschierten in Hans Salon ein, und schließlich verstummte die Musik mit dem letzten Takt und der Hauptmann der Koi-Armee trat vor und salutierte vor Hans.

»Herr, ja, mein Herr!«, schrie er dabei in militärischem Kommandoton.

»Was? Was ist das?«

Hans stand sprichwörtlich im Wald und machte eine klägliche Figur wie er so in seiner Unterhose im Wohnzimmer vor den Koi-Soldaten stand.

»Das ist die Armee«, sagte der Hauptmann in fast schon skandierendem Tonfall.

»Was für eine Armee? Ihr seid Fische.«

»Herr, ja, mein Herr. Kois, mein Herr! Zu Befehl!«

»Was macht ihr hier?«

»Herr, durch den Belebungssaft des Skorpions, der Euch gestochen hat, wurden wir belebt. Wir sind Eure Armee, Herr!«

»Und…und mein Fischfutter?«

Etwas Anderes fiel Hans gerade nicht ein, so perplex war er, so durch und durch obskur war die Situation.

»Mein Fischfutter.«

»Mein Herr, es fiel der Brigade zum Opfer, Herr!«, posaunte der Koi.

»Welcher Brigade?«

»Die Monster, mein Herr. Die Brigade der Teufel und Hexen und Chimären.«

»Ws?«

»Wir haben sie vertrieben, mein Herr. Ihre Armee war siegreich. Wir haben die Brigade vertrieben.«

Da stand Hans. Verdutzt und verblüfft, ein General in weißen, pludernden Feinripp-Unterhosen, gebeugt wie ein Fragezeichen und mit ebensolchen über seinem Kopf und vor ihm stand die Armee aus Koi-Soldaten. Und da entglitt Hans noch einmal ein sehr, sehr feuchter Furz.
 
 
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