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Himmel und Hölle

Kurzbeschreibung
GeschichteFamilie / P16 / Gen
21.03.2023
18.04.2023
2
3.976
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21.03.2023 2.170
 
Beth holte sich ihre dritte Tasse Kaffee als sie Jamie das erste Mal an diesem Vormittag in der Küche begegnete.

»Guten Morgen,« murmelte der Anwalt, wobei er behutsam über seine Krawatte strich. Er wusste nie welche Laune seine Schwester ihm gegenüber preisgab.

»Bis eben war er das.«

Beth hatte auf der Veranda an ihrem Laptop gearbeitet und erfolgreich die Anwesenheit und Arbeitsgeräusche der Cowboys in der Nähe des Hauses ausgeblendet. Ständig wurde etwas ausgebessert und repariert, sei es die Bewässerungsanlage oder ein Zaun. Entspannt grinsend ließ sie ihren Bruder vor der leeren Kaffeekanne stehen.

Genervt stieß Jamie Atem aus. Die ersten Tage hielt sich seine Schwester noch im Zaum. Mit jedem Tag, den Lees Beerdigung hinter ihnen lag, nahmen Beth’ Spitzen Jamie gegenüber zu weshalb er so oft wie möglich versuchte Beth bis zu ihrer Abreise aus dem Weg zu gehen. Damit neuen Kaffee aufzusetzen war Jamie noch glimpflich davon gekommen. Hoffentlich regelten sich die Probleme schnell und sie blieb nicht mehr lange auf der Ranch.

Beth setzte sich wieder auf einen der Holzstühle auf der Veranda wo ihr Laptop auf dem Tisch stand und zündete sich eine Zigarette an. Sie wünschte Jamie wäre nicht ein so erfolgreicher Anwalt dann könnte ihr Vater auf seine Anwesenheit auf Yellowstone verzichten. Jamie nicht jeden Tag zu begegnen, machte ihr Leben gleich viel erträglicher. Beth vermisste Salt Lake, dort gab es keinen Jamie, keine Ranch, keine quälenden Erinnerungen wie hier. Dieser Ort repräsentierte ihre persönliche Hölle und holte das Schlimmste in ihr hervor.

»Hallo? Können Sie mir weiter helfen?«

Aus ihren Gedanken gerissen musterte Beth die dürre Frau vor den Stufen der Veranda mit dem MaxiCosi am Arm. Das Baby gab einen Quäklaut von sich. Beth’ Laune sank, erst Jamie und jetzt ein Baby, mit dem guten Tag ging es rapide bergab.  

»Kommt drauf an.«

Die Fremde war nicht arm, ihre Kleidung wenn auch leger war nicht billig und nicht von hier. Ihre Haare locker zu einem Zopf gebunden, aber gepflegt, also keine Bettlerin, die Beth verscheuchen konnte. Jemanden anzuschreien würde Beth gerade sehr gut tun.  

»Ist Jamie Dutton zugegen?«

Beth brach in Gelächter aus. »Entschuldigung«, drückte sie ihre Zigarette im Aschenbecher aus, »ich stellte mir für eine Sekunde vor das wäre sein Kind.«

Wenn diese Aussage, die Frau kränkte, zeigte sie es nicht. Es war einfach aus Beth herausgeplatzt, sie war noch gut darin gewesen ihre vorlaute Klappe zu halten. Beth versuchte sich zu beherrschen, aber ihr Blut kochte bereits. Im erstem Moment einfach lächerlich, aber der Gedanke sackte schnell und wandelte sich in puren Hass. Jamie und ein Baby. Jamie verdiente kein Kind. Niemals. Nicht nach dem was er ihr angetan hatte. Warum zum Teufel sollte Jamie ein Kind haben dürfen und Beth nicht?

»Es ist Lees,« sagte die Frau selbstbewusst mit trauriger Mine und stellte sichtlich erleichtert die Babyschale neben sich ab.

Lees Baby. Oh, mein Gott. Das klang plausibler als Jamie in Betracht zu ziehen und besänftigte Beth ein wenig. Ihr Finger zitterten leicht, so sehr hatte sie der Gedanke an Jamie und ein Kind in der kurzen Zeit aufgewühlt.

»Mein Bruder ist tot.«

Wäre Lee nicht beim Streit um das Vieh erschossen worden, Beth hätte keinen Grund gehabt zu ihrer Familie zurück zu kehren. Lee hätte die Ranch irgendwann von ihrem Vater übernommen, sein Verlust änderte nicht nur Johns Pläne. Der ewige Konflikt um das Land ihres Vater war nun auch Beth’ Problem. Sie beugte sich vor um eine Zigarette aus der Schachtel zu ziehen, was ihr zuerst misslang.

»Mein Beileid. Ich habe es im Krankenhaus aus den Nachrichten erfahren. Ich war so sauer, dass Lee die Geburt verpasst hat, dabei war er schon…« Die Frau holte tief Luft. » Lee sagte, wenn irgendetwas passiert sollte ich mich an Jamie wenden.«

Beth brauchte drei Versuche bis ihr Feuerzeug funktionierte. Sie nahm einen tiefen Zug. Diese Frau benutzte Lees Namen mit einer Vertrautheit, die Beth befremdlich fand. Lee und sie hatten kein sehr enges Verhältnis gehabt, Kayce war Beth immer am nächsten gewesen, sogar zu Jamie hatte Beth bis zu ihrem sechzehnten Lebensjahr eine engere Beziehung gehabt als zu Lee.

Beth blies den Rauch aus, sie musste hier weg.

»Jaaamie!«

Beth starrte auf das winzige Baby, das schlafend in seiner Babyschale lag, der rosa Mütze nach ein Mädchen. Lee war eine Woche tot, viel älter war das Kind dann auch nicht. Das Leben war unfair.

Jamie steckte seinen Kopf aus der Verandatür.

»Was willst du?«

Beth nickte die Veranda herab zu der Frau und dem Kind.

»Arbeit für dich. Du kannst doch so gut mit Babys.«

Beth spuckte ihm den Sarkasmus förmlich entgegen. Genervt zog Jamie seine Augenbrauen zusammen, Beth würde es nie gut sein lassen, egal wie oft er sich entschuldigte. Sie würde ihn sein ganzes Leben lang büßen lassen ohne die Chance auf Vergebung.

Jamie trat hinaus auf die Veranda, betrachtete die Frau. Sie war ihm unbekannt.

»Wusstest du davon?«

Beth zog an ihrer Zigarette, sie brauchte einen Drink. Sehr bald. Am besten sofort.

Ihre Stimme eiskalt. Jamie wusste, Beth würde vor der Fremden keine Szene machen. Für den Augenblick konnte er entspannen.

»Wusste ich wovon?«

Beth klappte ihren Laptop zu, klemmte ihn sich unter den Arm um sich so schnell wie möglich am Alkohol zu bedienen. Sie stand auf um Jamie die nächsten Worte ins Ohr zu zischen, »Dem Baby, oder lebt es nur weil du es nicht wusstest?«

Es schmerzte immer wie ein Tritt in die Eier wenn Beth ihren Frust an Jamie ausließ, jedes Mal schüttelte Jamie es ab so gut er konnte und tat so als wäre nichts geschehen, dabei starb unentwegt ein kleiner Teil von ihm. Wie lang konnte das noch so weiter gehen? Sein Alltag gestaltete sich anstrengender seit Beth wieder auf der Ranch wohnte.

Jamie atmete durch, besann sich seiner Manieren, ging auf die Frau zu und reichte ihr die Hand.

»Jamie Dutton. Wie kann ich helfen?«

Ihr lascher Händedruck vermittelte ihm den Eindruck, dass sie nicht hier sein wollte.

»Mein Name ist Sue Prescott, das ist Leanne,« zeigte sie auf das Baby ohne hinzusehen, »Lees Tochter.«

Obwohl Jamie innerlich aus allen Wolken fiel, erhielt er als Anwalt sowie Beth’ Bruder darauf trainiert seine äußere Maske aufrecht.

»Wollen wir uns setzen?«

Jamie wies auf die beiden Stühle auf der Veranda, wo zuvor Beth gesessen hatte. Die Frau nickte.

»Darf ich?« Jamie bot sich an die Babyschale zu tragen, dass Sue Prescott sich bereits in Bewegung setzte nahm er als Zustimmung. Jamie betrachtete das Baby aus der Nähe, auf den ersten Blick konnte er keinerlei Ähnlichkeiten mit Lee ausmachen.

Sue Prescott bewegte sich mit Bedacht, setzte sich erst nach Aufforderung, sie beachtete das Kind kaum als Jamie die Babyschale vor ihrem Stuhl abstellte, auch als er ihr einen Kaffee brachte lag ihr Blick auf den Bergen.
»Es ist schön hier,« sagte sich als Jamie die Tasse neben ihr auf den Tisch stellte. »Lee hat immer von dieser Aussicht geschwärmt.«

»Ja,« bestätigte Jamie lächelnd und setzte sich auf den zweiten Holzstuhl, er war ein zuvorkommender Gastgeber gewesen jetzt war es an der Zeit Klartext zu reden. »Was genau führt sie her?«

»Ich dachte, das wäre klar.« Sie zeigte mit dem Finger auf das Kind, den Blick auf Jamie gerichtet.

»Sie erwähnten, das Kind sei Lees Baby.«

»Es ist Lees Baby. Lee Duttons Tochter. Ich wollte das Kind nicht. Lee hat mich überredet, das Baby auszutragen. Er versprach mir, die Kleine sofort nach der Geburt zu nehmen. Ich konnte ihn nicht erreichen als die Wehen losgingen, als die Geburt losging. Lee war nicht da. Er wollte sie mit auf die Ranch nehmen. Im Notfall sollte ich mich an Sie wenden.«

Die Frau sprach emotionslos, wie ein Roboter, als hätte sie Worte zuvor auswendig gelernt. Wahrscheinlich war das der Fall.

Jamie räusperte sich. »Was erwarten Sie jetzt von mir?«

Es wunderte ihn, dass Lee nie ein Wort über ein Baby verloren oder irgendwelche Vorbereitungen getroffen hatte, wenn es sein Wunsch gewesen war die Kleine auf die Ranch zu holen.

»Dass Ihre Familie Lees Versprechen einhält. Sie müssen Sie nehmen.«

»Verstehe ich Sie richtig? Sie wollen das Baby hier bei uns lassen?«

»Korrekt. Sie bekommen alle nötigen Papiere, ich unterschreibe was Sie wollen und ich will keinen Kontakt zu ihr. Niemals.«

»Warum? Entschuldigen Sie die Frage, aber… Warum?«

»Ich bin nicht stolz darauf, aber ich bin verheiratet. Glücklich verheiratet. Mein Mann kommt in ein paar Wochen von einem sehr langen Auslandseinsatz zurück. Ich liebe ihn, ich kann ihm kein Kind vor die Nase setzten. Das mit Lee war ein Fehler, ein Unfall.«

»Sie verstehen hoffentlich das wir auf einen DNA-Test bestehen müssen.«

»Sie können machen was Sie wollen aber das haben wir schon getan. Lee war kein Idiot, wissen Sie, er hat auf eine Fruchtwasseruntersuchung bestanden. Sie finden das Ergebnis in den Papieren.«

Jamie blätterte durch den Stapel, den Sue ihm auf den Tisch gelegt hatte. Sue Prescott hatte bereits schriftlich auf ihr Sorgerecht verzichtet. Die Vaterschaft war bewiesen. Die Geburtsurkunde wies Lee Dutton als Vater aus, der Nachname Dutton im war Vorfeld festgelegt worden und die Kleine nur Stunden nach Lees Tod zur Welt gekommen. Kayce hatte zu diesem Zeitpunkt Lee nach Hause gebracht. Jamie würde diesen Augenblick nie vergessen.  

»Sind Sie sicher dass Sie das tun wollen?«

»Absolut. Wenn Sie keine Fragen mehr haben, würde ich gerne mein Leben weiterleben. Es tut mir leid, dass Lee seine Tochter nie kennenlernen konnte. Wie er mich bekniet hat die Kleine nicht abzutreiben, sie hat ihm wirklich viel bedeutet.«

Sue Prescott erhob sich, Jamie tat es ihr nach.

»Ich habe noch ein paar Kleinigkeiten im Kofferraum, wenn Sie so freundlich wären.«

Jamie nickte und folgte Sue zu ihrem Wagen.

Beth hatte die beiden vom Fenster aus beobachtet bis sie außer Sicht waren. Mit ihrem gefüllten Glas in der Hand schlich sie auf die Veranda, hielt zwei Meter Abstand. Das Baby schlief. Es war so unfair.

Jamie trug die Tasche zum Haus, er konnte nicht glauben, dass Sue Prescott eben gefahren war. Sie hatte das Kind kaum angesehen und es einfach verlassen. Wie konnte jemand so kaltherzig sein? Seine eigene Tochter bei fremden Menschen zurücklassen. Wie Sue Prescott von dem Kind sprach, bedeutete das Mädchen Lee alles und ihr nichts.

Vor den Stufen der Veranda blieb Jamie wie angewurzelt stehen. Beth stand da, starrte gedankenverloren auf das Baby hinab. Tränen liefen über ihre Wangen, ihre Finger umschlossen so fest ihr Glas, dass ihre Knöchel weiß waren.

Fuck. Was sollte er jetzt sagen? Welche Formulierung würde nicht in einem Ausraster ihrerseits enden? Jamies Herz begann zu rasen, ihm wurde heiß und kalt. Warum musste er sich das ansehen? Warum? Jamie schloss kurz seine Augen. Er hatte nicht anders verdient, oder?

»Beth?«

Beth zuckte zusammen. Jamie hielt die Henkel einer Reisetasche in der Hand, die Mutter des Kindes war nirgends zu sehen. Sie war doch nicht? Das Baby blieb hier? Das war Lees Kind? Jamie war Anwalt, er würde die Frau nicht einfach gehen lassen ohne Beweise vorliegen zu haben. Beth hielt Jamie für dumm, aber nicht so dumm. Ihr wurde übel, was nicht am Alkohol lag, den sie vor ein paar Minuten in sich gekippt hatte.

»Es stimmt also?«

Ihre Stimme ein zittriges Relikt. Beth sah furchtbar aus, ihre Wangen fleckig, ihre Augen gerötet und voller Schmerz.

Jamie nickte, vorbereitet auf so gut wie alles. Beth Körperspannung wich, sie blickte auf das Kind, dann wandte sie sich um und warf ihr Glas auf Jamie. Der Whisky spritze ihm entgegen, das Wurfgeschoss verfehlte ihn knapp und landete dumpf im Gras.

Beth schüttelte angewidert den Kopf. Jamie machte es ihr immer so leicht ihn zu hassen. Er empfand hoffentlich dasselbe wenn er in den Spiegel sah.

Jamie war nicht ausgewichen, nach Beth’ Anblick hatte er sich gewünscht sie würde treffen, ihn sichtbar verletzen, damit sie ein wenig beschwichtigt war. So eilte sie hasserfüllt in Haus zurück und knallte die Tür hinter sich zu.

Der kleine Körper in der Babyschale zuckte erschrocken, das weiche Gesicht verzog sich zu einer weinerlichen Maske und als der winzige Mund sich öffnete plärrte das Kind los. Jamie ließ die Tasche an Ort und Stelle fallen, sprintete die zwei Stufen hoch. Was sollte er jetzt tun?

Er bewegte die Babyschale hin und her, ohne gewünschten Erfolg, das Baby schrie weiter. Vorsichtig griff er um den kleinen Körper um seine Nichte auf den Arm zu nehmen. Denn das war sie, seine Nichte, je schneller es alle akzeptierten desto einfacher wäre der Umgang mit ihr.

Das Mädchen wog so gut wie nichts, seine Aktenordner im Regal waren schwerer. Behutsam bettete Jamie ihren winzigen Kopf an seine Schulter, legte ihr seine Hand auf den Rücken, redete sanft auf sie ein und lief auf und ab. Das machte man doch so mit Babys, oder?

Beth hörte das Kind draußen schreien. Jammernd und schrill wie ein Katzenbaby. Sie exte den Rest aus der Flasche, die sie auf dem Weg in ihr Zimmer mitgenommen hatte, ließ sich aufs Bett fallen und presste sich ihr Kissen auf die Ohren. Die Hölle auf Yellowstone wurde mit diesem Tag um ein paar Grad heißer.
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