New Horizons
von Morwen Eledhwen
Kurzbeschreibung
Tang Fan und Sui Zhou statten Wang Zhi einen Besuch ab und nutzen die Gelegenheit, um ihm einen ungewöhnlichen Vorschlag zu unterbreiten... (Sui Zhou x Wang Zhi x Tang Fan | OT3/Polyamory, Post-Canon, Domestic Fluff)
OneshotRomance, Freundschaft / P12 / MaleSlash
Sui Zhou
Tang Fan
Wang Zhi
20.03.2023
20.03.2023
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4.126
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20.03.2023
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Kommentar
Und weil ich gerade beim Rewatch von The Sleuth of the Ming Dynasty bin und mir die drei keine Ruhe lassen, kommt hier gleich der nächste Oneshot. :)
Für alle Interessierten noch mal eine Übersicht über die Dramatis personae:
- Tang Fan (Rufname: Runqing), ein unheimlich smarter, junger Beamten ohne Filter zwischen Gehirn und Mund, der eine Schwäche für gutes Essen hat und von höheren Stellen oft hinzugezogen wird, um Kriminalfälle zu lösen
- Sui Zhou (Rufname: Guangchuan), ein erfahrener Schwertkämpfer und Mitglied der kaiserlichen Geheimpolizei/Palastwache, der Kochen liebt und Tang Fan, mit dem er am Anfang der Serie zusammenzieht, im wahrsten Sinne des Wortes durchfüttert
- Wang Zhi, ein 17-jähriger Eunuch mit fragwürdigen Moralvorstellungen, der das persönliche Vertrauen des Kaisers genießt und über Leichen gehen würde, um die Nation und seinen Herrscher zu beschützen (und später auch seine Freunde)
... nur noch eine FF, dann kann ich endlich die Kategorie vorschlagen. :D
Viel Spaß beim Lesen! <3
Tang Fan schlug die Augen auf, als sich eine Hand um seinen Arm schloss und ihn sanft schüttelte.
Verschlafen hob er den Kopf, der auf Sui Zhous Schulter gesunken war, und rieb sich kurz das Gesicht.
„Sind wir schon da?“, fragte er und lugte unter seiner heruntergerutschten Kopfbedeckung hervor, nur um sofort die Augen zusammenzukneifen, als er prompt von der tiefstehenden Abendsonne geblendet wurde.
„Bald“, sagte Sui Zhou und richtete den Blick wieder nach vorn.
Während er seine Augen mit der Hand abschirmte, ließ Tang Fan seinen Blick über die schier endlose, fruchtbare Ebene wandern, die sich wie ein grünes Tuch vor ihnen ausbreitete und gelegentlich von träge fließenden Wasserläufen durchzogen wurde.
Es war Sommer und die warme, feuchte Luft der Hetao-Ebene lag schwer auf Mensch und Tier. Trotz seiner leichten Reisekleidung spürte Tang Fan, wie ihm unter dem Stoff der Schweiß über den Rücken lief. Nach ihrer mehr als zweiwöchigen Reise sehnte er sich danach, endlich von der harten Sitzbank der Kutsche zu steigen, ein entspannendes Bad zu nehmen und seine Gewänder zu wechseln.
Oh, er wäre sehr enttäuscht, wenn kein Bad auf ihn wartete.
Oder gutes Essen.
Doch mit etwas Glück würde er nun bald beides bekommen. Sui Zhou hatte zur Mittagszeit einem berittenen Kurier, der sie passiert hatte, eine Nachricht über ihre baldige Ankunft mitgegeben, damit ihr Gastgeber rechtzeitig über ihren Besuch informiert war.
Tang Fan sah gedankenverloren in die Ferne.
Es war mehr als ein Jahr her, dass Wang Zhi sie verlassen hatte, um seine neue Position als Militärgouverneur in Hetao anzutreten.
Seitdem war es in der Hauptstadt erstaunlich friedlich zugegangen.
Gewiss mangelte es nie an Morden oder anderen kriminellen Vorfällen, doch im Vergleich zu den komplexen Verbrechen, die sie mit der Unterstützung des junge Eunuchen in der Vergangenheit aufgeklärt hatten, waren diese vergleichsweise simpel und schnell gelöst.
Nach einer Weile konnte Sui Zhou Tang Fans ewige Monologe darüber, wie langweilig sein Leben doch geworden war und wie wenig ihn seine Arbeit herausforderte, nicht mehr hören. Es hatte schließlich dazu geführt, dass er eines Abends, als Tang Fan während der Mahlzeit gerade zu einem erneuten Lamento ansetzen wollte, aufgestanden war und damit begonnen hatte, ihre Sachen zu packen.
Auf Tangs Fans irritierte Frage hin, was er vorhatte, hatte er ihm nur einen langen Blick zugeworfen und schließlich geantwortet:
„Ich kann dir kein Verbrechen geben, das deinen Ansprüchen genügt, aber ich kann mit dir nach Hetao reisen.“
Tang Fan war für einen Moment sprachlos gewesen, was bei ihm selten genug vorkam.
„Guangchuan...“
Doch Sui Zhou hatte sich bereits wieder seiner Aufgabe zugewandt.
„Außerdem bist du nicht der einzige von uns beiden, der ihn vermisst“, hatte er lediglich hinzugefügt.
Und was hätte Tang Fan daraufhin schon erwidern sollen...?
Es stimmte, dass viele Dinge unausgesprochen geblieben waren, bevor sich ihre Wege damals getrennt hatten.
Tang Fan und Sui Zhou waren zu jenem Zeitpunkt schon seit einer Weile Liebhaber gewesen und Wang Zhi... Wang Zhi war genau im richtigen Moment in ihre Beziehung hineingerutscht, um seine Spuren zu hinterlassen.
Und dann hatten sie Li Zilongs Anschlag auf den Kaiser vereitelt, und Wang Zhi hatte ihnen und der Hauptstadt den Rücken gekehrt und war nach Hetao gegangen.
Seitdem hatten die Gefühle im Stillen vor sich hingeschwelt, und so sehr Tang Fan sich auch darum bemühte, sie zu ignorieren, so hatten sie ihn doch unterbewusst weiter beschäftigt. Aber nun konnten sie vielleicht endlich darüber sprechen und gemeinsam zu einem Konsens kommen.
Und möglicherweise auch mehr als das.
Dong'er war nur unter großem Protest und zahlreichen Tränen in der Hauptstadt zurückgeblieben.
Tang Fan und Sui Zhou hätten sie mitgenommen, doch Tang Yu war hochschwanger und so kurz vor der Geburt seines ersten Kindes waren Pei Huais Gedanken überall und nirgends zugleich.
„Pei Huai ist ein lausiger Koch und meiner Schwester kann ich es in ihrer derzeitigen Verfassung nicht zumuten, sich auch noch um Haushaltsangelegenheiten zu sorgen“, hatte Tang Fan dem Mädchen erklärt, als er ihm sanft mit dem Daumen die Tränen vom Gesicht gewischt hatte. „Bitte kümmere dich gut um die beiden und Cheng'er, während wir weg sind. Wir werden auch nicht lange fortbleiben, du hast mein Wort.“
Schließlich hatte Dong'er schweren Herzens zugestimmt, wenn auch unter der Voraussetzung, dass sie ihr einen Vorrat regionaler Süßigkeiten mitbrachten.
„Und grüßt Bruder Wang von mir!“, fügte sie hinzu. „Sagt ihm, dass ich die Weiqi-Partien mit ihm vermisse.“
Tang Fan rümpfte die Nase. „Du kannst auch jederzeit gegen mich spielen, weißt du.“
„Aber ich kenne schon all deine Strategien und brauche Abwechslung“, erwiderte sie mit der Ehrlichkeit eines Kindes und... nun.
Vielleicht verletzte das ein klein bisschen Tang Fans Gefühle.
Aber auch nur ein bisschen.
Während die Sonne mit dem Horizont verschmolz, näherte sich ihre Kutsche allmählich dem Ming-Außenposten – dem Ziel ihre Reise. Es handelte sich um eine kleine, von hohen Mauern umgebene Festung, um die sich im letzten Jahr Dutzende von Händlern und deren Familien angesiedelt hatten.
Offenbar hatte Wang Zhi es geschafft, das Gebiet weit genug zu befrieden, dass die Menschen sich sicher genug fühlten, um sich in der unmittelbaren Nähe eines Militärstützpunktes niederzulassen, trotz der gelegentlichen, bewaffneten Konflikte mit den Stämmen des Nordens.
Tang Fan konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, als er die vielen Menschen sah, die sich entspannt auf dem Markt vor den Mauern der Festung tummelten.
Wang Zhi war schon immer gut darin gewesen herauszufinden, was andere brauchten, und alles daran zu setzen, es ihnen zu geben, um damit den Frieden herzustellen.
Der Kaiser hätte wahrlich keinen geeigneteren Mann an diesen Ort schicken können.
Vor dem Tor der Festung hielt Sui Zhou ihre kleine Kutsche schließlich an, als ihnen ein Mann entgegentrat, dessen Gesicht ihnen nur allzu vertraut war.
„Gouverneur Wang hat mich geschickt, um euch zu empfangen“, teilte Jia Kui ihnen mit, nachdem er sich kurz vor ihnen verbeugt hatte. „Er lässt ausrichten, dass er es sehr bedauert, euch nicht persönlich begrüßen zu können, aber er ist gerade in einer wichtigen Verhandlung mit mehreren diplomatischen Abgesandten der Oiraten. Er hat jedoch ein Zimmer für euch vorbereiten lassen, sowie eine warme Mahlzeit und neue Kleidung.“
„Wie sieht es mit einem Bad aus?“, fragte Tang Fan jedoch nur ungeduldig und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn.
Jia Kuis Mundwinkel zuckten. „Es sollte sich einrichten lassen.“
„Den Göttern sei Dank“, murmelte Sui Zhou, dann stieg er ab und führte Pferd und Kutsche durch das Tor zu den Ställen. Tang Fans Versuch, ihm mit vorwurfsvollen Blicken ein Loch in den Hinterkopf zu bohren, ignorierte er dabei komplett.
Tang Fan stieß ein genüssliches Seufzen aus, als er eine halbe Stunde später in das warme, nach Kräutern riechende Wasser sank und den Kopf an den Rand des Holzzubers lehnte.
Was auch immer ihn in den nächsten Tagen erwarten würde, allein dieser Moment war die lange Reise fast schon wert gewesen. Für das Bad konnte er selbst seinen Hunger noch für eine Weile ignorieren.
Während er mit geschlossenen Augen so dasaß und mental versuchte, eins mit dem Wasser zu werden, spürte er mit einem Mal Hände an seinem Hinterkopf, die vorsichtig die Nadel aus seinem Haarknoten zogen, so dass seine Haare offen über seine Schulter fielen.
Dann begannen geschickte Finger, seine Kopfhaut zu massieren, und Tang Fan konnte nicht verhindern, dass ihm dabei ein leises Stöhnen entwich.
„Mmmh, Guangchuan...“, murmelte er. „Ich dachte, du wolltest dich um das Essen kümmern...?“
Ein amüsiertes Schnauben ertönte, das so gar nicht zu Sui Zhou passen wollte.
„Oh, das tut er“, entgegnete eine unerwartete Stimme. „Er sollte jeden Augenblick zurückkehren.“
Tang Fan riss überrascht die Augen auf und legte den Kopf in den Nacken. „Wang Zhi?!“
„Der einzig Wahre“, erwiderte Wang Zhi mit demselben kleinen Lächeln, das Tang Fan so schmerzlich vertraut war und an das er im letzten Jahr so häufig hatte denken müssen.
„Ich dachte, du wärst mit diplomatischen Verhandlungen beschäftigt“, sagte er mit großen Augen.
Wang Zhi zuckte nur mit den Schultern. „Ich hielt es für klüger, sie zu vertagen, nachdem es ein paar... Unstimmigkeiten gab. Ich bin mir sicher, die Oiraten werden sich beim nächsten Treffen einsichtiger zeigen, nachdem ich ihnen heute anschaulich die möglichen Konsequenzen einer falschen Entscheidung dargelegt habe.“
Sein Lächeln vertiefte sich bei diesen Worten, wie immer, wenn er den Untergang seiner politischen Gegner plante.
Im Gegensatz zu seinem Lächeln hatten sich seine Züge sichtlich verändert.
Wang Zhis Gesicht war schmaler geworden und seine Wangen waren weniger voll und rund, als sie es bei seiner Abreise noch gewesen waren.
Er wirkte... älter. Das war das passendste Wort, das Tang Fan bei seinem Anblick einfiel. Es hätte ihn nicht überraschen sollen, war Wang Zhi doch erst 17 Jahre alt gewesen, als er sie verlassen hatte, und zu jenem Zeitpunkt noch immer nicht ganz ausgewachsen.
Doch Tang Fan wurde den Eindruck nicht los, dass nicht nur der allmähliche Übergang vom Jugendlichen zum Erwachsenen der Grund für die Veränderungen war. Wang Zhis Gesicht wirkte außerdem wettergegerbter und gebräunter, und unter seinen Augen waren deutliche Ringe zu sehen. Ihm haftete die Erschöpfung eines Menschen an, der den ganzen Tag über auf den Beinen war und hart arbeitete – und der nie beide Augen schließen konnte, weil er immer befürchten musste, dass jemand seine Unaufmerksamkeit ausnutzte, um ihn zu vernichten.
Während er ihn still betrachtete, hob Tang Fan seine Hand, um die Wange des anderen Mannes zu berühren... doch sie verharrte reglos in der Luft, bevor sie ihr Ziel erreichen konnte.
Stattdessen ließ er sie wieder ins warme Wasser sinken.
„Du hast mir gefehlt“, sagte er leise, und obwohl es die Wahrheit war, hielt er danach für einen kurzen Moment den Atem an, überrascht von seiner eigenen Direktheit.
Auch Wang Zhi zog erstaunt die Augenbrauen hoch, doch er fing sich schnell wieder und ein kleines, wissendes Lächeln trat auf sein Gesicht.
„Habe ich das“, erwiderte er amüsiert.
„Oh, jetzt hör schon auf, so selbstzufrieden zu klingen“, sagte Tang Fan genervt und spritzte etwas Wasser in seine Richtung.
Doch Wang Zhi lehnte sich nur unbeeindruckt zur Seite.
Dann legte sich ein ungewohnt besonnener Ausdruck auf sein Gesicht.
„Verzeih mir, Runqing, ich wollte mich nicht über deine Gefühle lustig machen“, sprach er leise. „Ich... bin es lediglich nicht gewohnt, von irgendwem vermisst zu werden.“
Das Schlimme daran war, dass Tang Fan wusste, was er meinte.
Wang Zhi hatte Verbündete und Gleichgesinnte, er hatte Untergebene und Diener... doch er hatte keine Freunde. Männer in seiner Position konnten sich einen solchen Luxus nicht erlauben. Es gab gute Gründe dafür, dass er jeden noch so kleinen, gutgemeinten Gefallen wie eine Transaktion behandelte: Sentimentalität machte ihn angreifbar und freundschaftliche Beziehungen bargen stets das Risiko, sich gegen ihn zu wenden und ihn zu verletzen.
Ding Rong war das beste Beispiel dafür.
Tang Fan wusste, dass sein Verrat den anderen Mann bis heute schmerzte, und er schwor sich, Wang Zhi niemals auf dieselbe Weise zu enttäuschen. Eher würde er sterben.
Er setzte sich auf und drehte sich zu Wang Zhi herum, um ihm offen ins Gesicht zu sehen.
„Nun, gewöhn dich besser daran“, entgegnete er bestimmt. „Sui Zhou und ich hätten niemals diese weite Reise auf uns genommen, wenn wir dich nicht vermissen würden.“
„Hmm“, machte Wang Zhi und hob spöttisch eine Augenbraue. „Wer sagt, dass ich euch vermisst habe?“
Tang Fan verdrehte nur die Augen, dann packte er ihn am Saum seines Gewandes und zog ihn zu sich heran, um die Lippen auf seinen Mund zu pressen.
Er hörte Wang Zhi ein amüsiertes Geräusch machen, doch je länger Tang Fan ihn küsste, desto stiller wurde der andere Mann, bis er schließlich damit begann, den Kuss mit demselben Fokus und Verlangen zu erwidern.
Er küsste anders, als Tang Fan es von Sui Zhou gewohnt war, seine Küsse waren vorsichtiger und es war zu spüren, dass ihm die Übung fehlte. Doch die Leidenschaft dahinter war dieselbe und Tang Fan verlor sich bald voll und ganz in ihrem Zungenspiel.
Als sie sich nach einiger Zeit wieder voneinander lösten, schien Wang Zhi für einen Moment benommen und legte die Fingerkuppen an seine Lippen, als konnte er nicht fassen, was er da eben getan hatte.
Tang Fan leckte sich derweil mit einem zufriedenen Grinsen über den Mund.
„So viel dazu“, sagte er mit rauer Stimme.
Wang Zhis Augen wurden schmal und er wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als hinter ihnen eine Stimme ertönte.
„Ich hoffe, ich störe nicht“, kommentierte Sui Zhou, „aber ich wollte euch wissen lassen, dass der Tisch gedeckt ist.“
Er klang gelassen wie eh und je, als wäre ihr Anblick – Tang Fan nackt im Wasser und Wang Zhi auf Knien neben ihm – für ihn das Normalste auf der Welt, und die Anspannung, die für einen Moment von Tang Fan Besitz ergriffen hatte, legte sich augenblicklich wieder.
Sie hatten auf ihrer Reise lange über ihre Optionen in dieser Sache diskutiert und waren schließlich zu dem Konsens gekommen, dass sie sich entweder beide für diese Beziehung entscheiden mussten, damit sie funktionieren konnte – oder dagegen.
Am Ende hatten sie nicht lange gebraucht, um sich zu einigen.
Während ihrer gemeinsamen Zusammenarbeit in der Hauptstadt war Wang Zhi ein Teil ihres Lebens geworden. Seine Versetzung an die Grenze des Reiches hatte ein spürbares Loch in ihren Alltag gerissen, das auch die romantische Beziehung, die sich zwischen Tang Fan und Sui Zhou entwickelt hatte, nicht gänzlich hatte ausfüllen können.
Tang Fan war sich dabei schon länger darüber im Klaren gewesen, dass er Wang Zhi wollte – in welcher Form auch immer. Sui Zhou hingegen hatte eine Weile gebraucht, um sich einzugestehen, dass ihm der junge Eunuch ebenso am Herzen lag, wie seinem Partner.
Erst die seltenen, aber regelmäßigen Briefe von Wang Zhi an sie beide, die sie jedes Mal zum Lächeln gebracht hatten und ihnen mit ihren amüsanten Alltagsbeschreibungen in Erinnerung gerufen hatten, was für eine Bereicherung er für ihr Leben gewesen war, hatten Sui Zhou erkennen lassen, dass er Wang Zhi nicht nur als Freund vermisste.
Und darum war Tang Fan in diesem Moment auch nicht besonders besorgt, dass sein Freund und Liebhaber sie in diesem Zustand angetroffen hatte.
Stattdessen hob er den Kopf und schenkte Sui Zhou ein sonniges Lächeln.
„Wir sind gleich so weit“, versicherte er ihm.
Sui Zhou nickte, dann machte er auf dem Absatz kehrt und verließ den Raum.
Wang Zhi hatte den kurzen Blick- und Wortwechsel zwischen ihnen aufmerksam verfolgt und ein unschlüssiger Ausdruck war auf sein Gesicht getreten, der Tang Fans Blick nicht entging.
„Hilfst du mir beim Aufstehen?“, riss er ihn aus seinen Gedanken und hielt Wang Zhi eine Hand hin.
Dieser zog nur skeptisch eine Augenbraue hoch, doch dann kam er der Bitte nach und half Tang Fan dabei, aus dem Zuber zu steigen, wobei er den Blick diskret auf einen Punkt an der gegenüberliegenden Wand richtete.
„Ich möchte, dass du weißt, dass es in meinem Leben bisher nur eine einzige andere Person gab, der ich jemals aus dem Bad geholfen habe“, sagte er, während Tang Fan sich hinter seinem Rücken abtrocknete und ein frisches Gewand anzog.
„Wenn dein nächster Satz lautet ‚Nämlich seine kaiserliche Majestät‘, dann schubse ich dich ins Wasser, das schwöre ich“, erwiderte Tang Fan.
Wang Zhi gab keine Antwort, aber als Tang Fan sich wenige Minuten später angekleidet wieder zu ihm herumdrehte, entging ihm das kleine, selbstzufriedene Lächeln auf seinem Gesicht nicht.
Es fühlte sich an, wie eine Reise in die Vergangenheit, als sich die beiden Männer wenig später an den Tisch setzten, an dem Sui Zhou bereits mit dem Essen auf sie wartete – Tang Fan wie immer in der Mitte, mit Sui Zhou zu seiner Rechten und Wang Zhi zu seiner Linken.
Wang Zhi hatte keine Kosten und Mühen für dieses Festmahl gescheut, und der Geruch der verschiedenen Speisen ließ Tang Fan das Wasser im Munde zusammenlaufen.
Er zog seine Essstäbchen aus ihrem Etui an seinem Gürtel und sah seine beiden Freunde erwartungsvoll an.
Sui Zhou und Wang Zhi tauschten nur einen langen Blick miteinander, aus dem Tang Fan nicht ganz schlau wurde, und beendeten den Blickkontakt schließlich zeitgleich wieder.
Dann wedelte Wang Zhi flüchtig mit der Hand.
„Nun esst schon, bevor es noch kalt wird“, sagte er, und Tang Fan ließ sich nicht zweimal bitten.
Während sich die anderen beiden Männer Zeit dabei ließen, ihre Essschalen mit den verschiedenen Gerichten zu füllen, kaute Tang Fan bereits eifrig vor sich hin und verfiel dabei in einen endlosen Monolog über Geschmack und Textur der Gerichte – „Was für eine wunderbar würzige Füllung, Guangchuan, das musst du zu Hause unbedingt nachkochen!“ – der nach einer Weile nahtlos in einen Erlebnisbericht ihrer langen Reise überging und schließlich in eine Zusammenfassung ihres Lebens in der Hauptstadt in den letzten paar Monaten.
„Ich hatte keine Ahnung, dass deine Schwester schwanger ist, Runqing“, sagte Wang Zhi nach einer Weile vorwurfsvoll und stahl Tang Fan ein Stück Fleisch aus der Schale, als dieser aufblickte. „Hätte ich es gewusst, dann hätte ich ihr schon längst ein passendes Geschenk geschickt.“
„Ich schwöre, ich habe es in meinem letzten Brief an dich erwähnt!“, verteidigte sich Tang Fan. „Aber er war offenbar langsamer als wir.“
„Wir hatten Glück, dass wir auf den Wasserwegen so gut vorangekommen sind“, fügte Sui Zhou beschwichtigend hinzu. „Wären wir ausschließlich über Land gereist, so wie die meisten Boten es tun, wären wir doppelt so lange unterwegs gewesen.“
„Hmm“, machte Wang Zhi und sein Mundwinkel verzog sich zu einem Lächeln. „Ausreden, Ausreden.“
Tang Fan spürte plötzlich Sui Zhous warme Hand auf seinem Knie und registrierte das schwache Kopfschütteln seines Freundes, so als hätte dieser bereits geahnt, dass er Wang Zhi für die Bemerkung am liebsten auf den Fuß getreten wäre.
Oh, Sui Zhou kannte ihn einfach zu gut.
Stattdessen machte Tang Fan nur einen Schmollmund und widmete sich dann wieder seinem Essen.
„Wie geht es dir, Wang Zhi?“, fragte Sui Zhou, nachdem sie für eine Weile schweigend gegessen hatten. „Wie läuft es mit Ding Rong?“
Die Frage ließ Tang Fan innehalten und Wang Zhi einen nervösen Blick zuwerfen. Auch ihn interessierte die Antwort auf diese Frage, aber er hatte bisher noch nicht den Mut aufbringen können, sie zu stellen.
Wang Zhi reagierte nicht sofort, sondern starrte für eine Weile schweigend ins Leere.
Schließlich stieß er ein Seufzen aus.
„Ich habe ihn fortgeschickt“, sagte er und sah auf sein Essen herab.
„Fortgeschickt?“, fragte Tang Fan überrascht. „Wohin?“
„In diplomatischer Mission in den hohen Norden weit jenseits der Grenzen des Reiches“, erklärte Wang Zhi. „Ich konnte ihn nicht ewig einsperren – niemand kennt seine zahllosen Qualitäten besser als ich – aber ich habe es auch nicht gewagt, ihn in meiner unmittelbaren Nähe zu beschäftigen. Wenn er seine Mission erfolgreich erfüllt und zurückkehrt, können wir reden. Wenn nicht... Nun.“
Dann hatte Wang Zhi ein Problem weniger, erkannte Tang Fan.
Es war fast schon unerwartet sentimental von Wang Zhi, dem Mann, der ihn so hintergangen hatte, einen solch einfachen Ausweg zu bieten. Plötzlich musste Tang Fan wieder an Sui Zhous Worte zurückdenken, als sie Wang Zhi damals verabschiedet hatten:
Der junge Mann war in der Tat weichherziger geworden.
„Ich verstehe“, sagte Sui Zhou. „Du hast aber nur eine meiner beiden Fragen beantwortet.“
Wang Zhi lächelte.
„Du hast Recht“, erwiderte er leichthin. „Das habe ich.“
Sui Zhou warf ihm einen durchdringenden Blick zu, den Wang Zhi nur gekonnt ignorierte, und Tang Fan wurde klar, dass es keinen Zweck hatte, an dieser Stelle eine Antwort zu erwarten.
Stattdessen blickte er sich interessiert im Raum um.
„Ich sehe, dass du uns deine privaten Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt hast“, sprach er. „Das wäre wirklich nicht nötig gewesen.“
Wang Zhi hob den Kopf und warf ihm einen aufmerksamen Blick zu. „Was hat mich verraten?“
Tang Fan nahm sich mit seinen Stäbchen ein Stück Fisch vom Teller und nickte dann zu einem Regal hinüber, in dem sich Dutzende von Büchern aneinanderreihten.
„Dein Exemplar von ‚Rote Blüte‘ zwischen all den Bänden“, erwiderte er.
Wang Zhi blinzelte perplex. „Der Titel ist nur auf der Vorderseite vermerkt, nicht auf dem Buchrücken. Woher...?“
„Ich erkenne die Buchbindung wieder“, erklärte Tang Fan kauend. „Es gibt in ganz Peking nur einen einzigen Buchbinder, der diese Technik verwendet, und er ist derselbe, bei dem ich auch meine Romane habe binden lassen. Es kam mir zu merkwürdig vor für einen Zufall.“
Wang Zhi tauschte einen kurzen Blick mit Sui Zhou.
Der zuckte nur mit den Schultern.
„Tang Fan brauchte die Abwechslung“, sagte er in einem Tonfall, der fast wie eine Entschuldigung klang, und Wang Zhi schmunzelte.
„Ich verstehe“, erwiderte er.
Dann sah er wieder Tang Fan an. „Du hast Recht – dies ist mein Zimmer. Aber solange ihr hier seid, soll es euch gehören. Ich werde für die Dauer eures Besuches auf ein anderes ausweichen.“
Tang Fan sah ihn vorwurfsvoll an. Dachte Wang Zhi allen Ernstes, dass sie das zulassen würden?
„Mir ist außerdem aufgefallen“, fuhr er beiläufig fort und sein Blick wanderte zu der Nische hinüber, in der sich hinter einem Vorhang das Bett befand, „dass dein Bett Platz für drei Personen bieten würde, vorausgesetzt, sie rücken etwas zusammen.“
„Runqing“, sagte Sui Zhou mit Nachdruck, während Wang Zhi sich an seinem Essen verschluckte und zu husten begann.
Während sie ihm gemeinsam auf den Rücken klopften, wechselte Tang Fan einen fragenden Blick mit Sui Zhou. Hätte er etwa nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen sollen?
Lass mich das regeln, sagte der Blick seines Freundes jedoch und Tang Fan zuckte mit den Schultern. Wenn er meinte. Die Hauptsache war, dass sie den Stein endlich ins Rollen brachten und Wang Zhi bewusst machten, dass sie ihn als Teil dieser Beziehung betrachteten.
„Was Tang Fan damit ausdrücken wollte“, sprach Sui Zhou, nachdem Wang Zhi seinen Hustenanfall überwunden hatte, „ist, dass wir beide in uns gegangen sind und unabhängig voneinander festgestellt haben, dass uns etwas– dass uns jemand fehlt, um diese Beziehung zu vervollständigen.“
Wang Zhi lehnte sich zurück und starrte sie beide an, einen Ausdruck auf dem Gesicht, den Tang Fan noch nie zuvor bei ihm gesehen hatte:
Eine Mischung aus Unglauben, Sehnsucht und einer fast schon verzweifelten Hoffnung.
Tang Fan streckte die Hand aus und legte sie auf Wang Zhis zur Faust geballte Finger, die auf dem Tisch ruhten.
„Dich“, stellte er klar, nur damit es keine Missverständnisse gab. „Wir wollen dich.“
„Es ist natürlich nur ein Angebot“, fügte Sui Zhou hinzu. „Wir werden dich immer als Freund betrachten, auch wenn du dich dagegen entscheiden solltest. Aber wenn du es annehmen möchte...“
„... sind wir für dich da“, ergänzte Tang Fan und lächelte. „Mit allem, was dazugehört.“
Für eine Weile herrschte eine solche Stille im Raum, dass man das Rascheln der seidenen Vorhänge in der abendlichen Brise hören konnte. Wang Zhi starrte reglos wie eine Statur in die Nacht hinaus, mit einer Miene, die Tang Fan nicht identifizieren konnte.
Waren sie zu voreilig gewesen? Hatten sie die falschen Schlüsse gezogen und ihn mit ihrem Vorschlag überwältigt...?
Schließlich durchbrach Sui Zhou die Stille.
„Du musst natürlich nicht sofort eine Entscheidung tref–“
„Ich will.“
Wang Zhis Stimme war leise, aber deutlich zu vernehmen.
Er senkte den Blick auf die Tischplatte und öffnete seine Faust, um seine Finger mit denen von Tang Fan zu verschränken.
Seine Stimme wurde lauter und sicherer, als er fortfuhr: „Was ihr habt und was ihr bereit seid zu geben: ich will es.“
Tang Fan musste wie ein Narr aussehen, denn er lächelte so breit, dass seine Wangen fast wehtaten. Aber es erfüllte ihn mit solch einem überwältigenden Glück, dass Wang Zhi eingewilligt hatte – dass er zum ersten Mal in seinem Leben etwas für sich selbst wollte und von nun an zu ihnen gehörte, so wie sie zu ihm – dass er die ganze Welt hätte umarmen können.
Sein Lächeln musste ansteckend sein, denn Wang Zhis Mundwinkel hoben sich und auch auf Sui Zhous Gesicht trat ein zutiefst zufriedener Ausdruck.
„Nun“, sagte Wang Zhi und reichte Sui Zhou über den Tisch hinweg die Hand, die der andere Mann sofort ergriff und warm zwischen seinen eigenen, rauen Händen festhielt.
„In diesem Fall bleibe ich heute Nacht wohl hier.“
Und weil ich gerade beim Rewatch von The Sleuth of the Ming Dynasty bin und mir die drei keine Ruhe lassen, kommt hier gleich der nächste Oneshot. :)
Für alle Interessierten noch mal eine Übersicht über die Dramatis personae:
- Tang Fan (Rufname: Runqing), ein unheimlich smarter, junger Beamten ohne Filter zwischen Gehirn und Mund, der eine Schwäche für gutes Essen hat und von höheren Stellen oft hinzugezogen wird, um Kriminalfälle zu lösen
- Sui Zhou (Rufname: Guangchuan), ein erfahrener Schwertkämpfer und Mitglied der kaiserlichen Geheimpolizei/Palastwache, der Kochen liebt und Tang Fan, mit dem er am Anfang der Serie zusammenzieht, im wahrsten Sinne des Wortes durchfüttert
- Wang Zhi, ein 17-jähriger Eunuch mit fragwürdigen Moralvorstellungen, der das persönliche Vertrauen des Kaisers genießt und über Leichen gehen würde, um die Nation und seinen Herrscher zu beschützen (und später auch seine Freunde)
... nur noch eine FF, dann kann ich endlich die Kategorie vorschlagen. :D
Viel Spaß beim Lesen! <3
New Horizons
Tang Fan schlug die Augen auf, als sich eine Hand um seinen Arm schloss und ihn sanft schüttelte.
Verschlafen hob er den Kopf, der auf Sui Zhous Schulter gesunken war, und rieb sich kurz das Gesicht.
„Sind wir schon da?“, fragte er und lugte unter seiner heruntergerutschten Kopfbedeckung hervor, nur um sofort die Augen zusammenzukneifen, als er prompt von der tiefstehenden Abendsonne geblendet wurde.
„Bald“, sagte Sui Zhou und richtete den Blick wieder nach vorn.
Während er seine Augen mit der Hand abschirmte, ließ Tang Fan seinen Blick über die schier endlose, fruchtbare Ebene wandern, die sich wie ein grünes Tuch vor ihnen ausbreitete und gelegentlich von träge fließenden Wasserläufen durchzogen wurde.
Es war Sommer und die warme, feuchte Luft der Hetao-Ebene lag schwer auf Mensch und Tier. Trotz seiner leichten Reisekleidung spürte Tang Fan, wie ihm unter dem Stoff der Schweiß über den Rücken lief. Nach ihrer mehr als zweiwöchigen Reise sehnte er sich danach, endlich von der harten Sitzbank der Kutsche zu steigen, ein entspannendes Bad zu nehmen und seine Gewänder zu wechseln.
Oh, er wäre sehr enttäuscht, wenn kein Bad auf ihn wartete.
Oder gutes Essen.
Doch mit etwas Glück würde er nun bald beides bekommen. Sui Zhou hatte zur Mittagszeit einem berittenen Kurier, der sie passiert hatte, eine Nachricht über ihre baldige Ankunft mitgegeben, damit ihr Gastgeber rechtzeitig über ihren Besuch informiert war.
Tang Fan sah gedankenverloren in die Ferne.
Es war mehr als ein Jahr her, dass Wang Zhi sie verlassen hatte, um seine neue Position als Militärgouverneur in Hetao anzutreten.
Seitdem war es in der Hauptstadt erstaunlich friedlich zugegangen.
Gewiss mangelte es nie an Morden oder anderen kriminellen Vorfällen, doch im Vergleich zu den komplexen Verbrechen, die sie mit der Unterstützung des junge Eunuchen in der Vergangenheit aufgeklärt hatten, waren diese vergleichsweise simpel und schnell gelöst.
Nach einer Weile konnte Sui Zhou Tang Fans ewige Monologe darüber, wie langweilig sein Leben doch geworden war und wie wenig ihn seine Arbeit herausforderte, nicht mehr hören. Es hatte schließlich dazu geführt, dass er eines Abends, als Tang Fan während der Mahlzeit gerade zu einem erneuten Lamento ansetzen wollte, aufgestanden war und damit begonnen hatte, ihre Sachen zu packen.
Auf Tangs Fans irritierte Frage hin, was er vorhatte, hatte er ihm nur einen langen Blick zugeworfen und schließlich geantwortet:
„Ich kann dir kein Verbrechen geben, das deinen Ansprüchen genügt, aber ich kann mit dir nach Hetao reisen.“
Tang Fan war für einen Moment sprachlos gewesen, was bei ihm selten genug vorkam.
„Guangchuan...“
Doch Sui Zhou hatte sich bereits wieder seiner Aufgabe zugewandt.
„Außerdem bist du nicht der einzige von uns beiden, der ihn vermisst“, hatte er lediglich hinzugefügt.
Und was hätte Tang Fan daraufhin schon erwidern sollen...?
Es stimmte, dass viele Dinge unausgesprochen geblieben waren, bevor sich ihre Wege damals getrennt hatten.
Tang Fan und Sui Zhou waren zu jenem Zeitpunkt schon seit einer Weile Liebhaber gewesen und Wang Zhi... Wang Zhi war genau im richtigen Moment in ihre Beziehung hineingerutscht, um seine Spuren zu hinterlassen.
Und dann hatten sie Li Zilongs Anschlag auf den Kaiser vereitelt, und Wang Zhi hatte ihnen und der Hauptstadt den Rücken gekehrt und war nach Hetao gegangen.
Seitdem hatten die Gefühle im Stillen vor sich hingeschwelt, und so sehr Tang Fan sich auch darum bemühte, sie zu ignorieren, so hatten sie ihn doch unterbewusst weiter beschäftigt. Aber nun konnten sie vielleicht endlich darüber sprechen und gemeinsam zu einem Konsens kommen.
Und möglicherweise auch mehr als das.
Dong'er war nur unter großem Protest und zahlreichen Tränen in der Hauptstadt zurückgeblieben.
Tang Fan und Sui Zhou hätten sie mitgenommen, doch Tang Yu war hochschwanger und so kurz vor der Geburt seines ersten Kindes waren Pei Huais Gedanken überall und nirgends zugleich.
„Pei Huai ist ein lausiger Koch und meiner Schwester kann ich es in ihrer derzeitigen Verfassung nicht zumuten, sich auch noch um Haushaltsangelegenheiten zu sorgen“, hatte Tang Fan dem Mädchen erklärt, als er ihm sanft mit dem Daumen die Tränen vom Gesicht gewischt hatte. „Bitte kümmere dich gut um die beiden und Cheng'er, während wir weg sind. Wir werden auch nicht lange fortbleiben, du hast mein Wort.“
Schließlich hatte Dong'er schweren Herzens zugestimmt, wenn auch unter der Voraussetzung, dass sie ihr einen Vorrat regionaler Süßigkeiten mitbrachten.
„Und grüßt Bruder Wang von mir!“, fügte sie hinzu. „Sagt ihm, dass ich die Weiqi-Partien mit ihm vermisse.“
Tang Fan rümpfte die Nase. „Du kannst auch jederzeit gegen mich spielen, weißt du.“
„Aber ich kenne schon all deine Strategien und brauche Abwechslung“, erwiderte sie mit der Ehrlichkeit eines Kindes und... nun.
Vielleicht verletzte das ein klein bisschen Tang Fans Gefühle.
Aber auch nur ein bisschen.
Während die Sonne mit dem Horizont verschmolz, näherte sich ihre Kutsche allmählich dem Ming-Außenposten – dem Ziel ihre Reise. Es handelte sich um eine kleine, von hohen Mauern umgebene Festung, um die sich im letzten Jahr Dutzende von Händlern und deren Familien angesiedelt hatten.
Offenbar hatte Wang Zhi es geschafft, das Gebiet weit genug zu befrieden, dass die Menschen sich sicher genug fühlten, um sich in der unmittelbaren Nähe eines Militärstützpunktes niederzulassen, trotz der gelegentlichen, bewaffneten Konflikte mit den Stämmen des Nordens.
Tang Fan konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, als er die vielen Menschen sah, die sich entspannt auf dem Markt vor den Mauern der Festung tummelten.
Wang Zhi war schon immer gut darin gewesen herauszufinden, was andere brauchten, und alles daran zu setzen, es ihnen zu geben, um damit den Frieden herzustellen.
Der Kaiser hätte wahrlich keinen geeigneteren Mann an diesen Ort schicken können.
Vor dem Tor der Festung hielt Sui Zhou ihre kleine Kutsche schließlich an, als ihnen ein Mann entgegentrat, dessen Gesicht ihnen nur allzu vertraut war.
„Gouverneur Wang hat mich geschickt, um euch zu empfangen“, teilte Jia Kui ihnen mit, nachdem er sich kurz vor ihnen verbeugt hatte. „Er lässt ausrichten, dass er es sehr bedauert, euch nicht persönlich begrüßen zu können, aber er ist gerade in einer wichtigen Verhandlung mit mehreren diplomatischen Abgesandten der Oiraten. Er hat jedoch ein Zimmer für euch vorbereiten lassen, sowie eine warme Mahlzeit und neue Kleidung.“
„Wie sieht es mit einem Bad aus?“, fragte Tang Fan jedoch nur ungeduldig und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn.
Jia Kuis Mundwinkel zuckten. „Es sollte sich einrichten lassen.“
„Den Göttern sei Dank“, murmelte Sui Zhou, dann stieg er ab und führte Pferd und Kutsche durch das Tor zu den Ställen. Tang Fans Versuch, ihm mit vorwurfsvollen Blicken ein Loch in den Hinterkopf zu bohren, ignorierte er dabei komplett.
Tang Fan stieß ein genüssliches Seufzen aus, als er eine halbe Stunde später in das warme, nach Kräutern riechende Wasser sank und den Kopf an den Rand des Holzzubers lehnte.
Was auch immer ihn in den nächsten Tagen erwarten würde, allein dieser Moment war die lange Reise fast schon wert gewesen. Für das Bad konnte er selbst seinen Hunger noch für eine Weile ignorieren.
Während er mit geschlossenen Augen so dasaß und mental versuchte, eins mit dem Wasser zu werden, spürte er mit einem Mal Hände an seinem Hinterkopf, die vorsichtig die Nadel aus seinem Haarknoten zogen, so dass seine Haare offen über seine Schulter fielen.
Dann begannen geschickte Finger, seine Kopfhaut zu massieren, und Tang Fan konnte nicht verhindern, dass ihm dabei ein leises Stöhnen entwich.
„Mmmh, Guangchuan...“, murmelte er. „Ich dachte, du wolltest dich um das Essen kümmern...?“
Ein amüsiertes Schnauben ertönte, das so gar nicht zu Sui Zhou passen wollte.
„Oh, das tut er“, entgegnete eine unerwartete Stimme. „Er sollte jeden Augenblick zurückkehren.“
Tang Fan riss überrascht die Augen auf und legte den Kopf in den Nacken. „Wang Zhi?!“
„Der einzig Wahre“, erwiderte Wang Zhi mit demselben kleinen Lächeln, das Tang Fan so schmerzlich vertraut war und an das er im letzten Jahr so häufig hatte denken müssen.
„Ich dachte, du wärst mit diplomatischen Verhandlungen beschäftigt“, sagte er mit großen Augen.
Wang Zhi zuckte nur mit den Schultern. „Ich hielt es für klüger, sie zu vertagen, nachdem es ein paar... Unstimmigkeiten gab. Ich bin mir sicher, die Oiraten werden sich beim nächsten Treffen einsichtiger zeigen, nachdem ich ihnen heute anschaulich die möglichen Konsequenzen einer falschen Entscheidung dargelegt habe.“
Sein Lächeln vertiefte sich bei diesen Worten, wie immer, wenn er den Untergang seiner politischen Gegner plante.
Im Gegensatz zu seinem Lächeln hatten sich seine Züge sichtlich verändert.
Wang Zhis Gesicht war schmaler geworden und seine Wangen waren weniger voll und rund, als sie es bei seiner Abreise noch gewesen waren.
Er wirkte... älter. Das war das passendste Wort, das Tang Fan bei seinem Anblick einfiel. Es hätte ihn nicht überraschen sollen, war Wang Zhi doch erst 17 Jahre alt gewesen, als er sie verlassen hatte, und zu jenem Zeitpunkt noch immer nicht ganz ausgewachsen.
Doch Tang Fan wurde den Eindruck nicht los, dass nicht nur der allmähliche Übergang vom Jugendlichen zum Erwachsenen der Grund für die Veränderungen war. Wang Zhis Gesicht wirkte außerdem wettergegerbter und gebräunter, und unter seinen Augen waren deutliche Ringe zu sehen. Ihm haftete die Erschöpfung eines Menschen an, der den ganzen Tag über auf den Beinen war und hart arbeitete – und der nie beide Augen schließen konnte, weil er immer befürchten musste, dass jemand seine Unaufmerksamkeit ausnutzte, um ihn zu vernichten.
Während er ihn still betrachtete, hob Tang Fan seine Hand, um die Wange des anderen Mannes zu berühren... doch sie verharrte reglos in der Luft, bevor sie ihr Ziel erreichen konnte.
Stattdessen ließ er sie wieder ins warme Wasser sinken.
„Du hast mir gefehlt“, sagte er leise, und obwohl es die Wahrheit war, hielt er danach für einen kurzen Moment den Atem an, überrascht von seiner eigenen Direktheit.
Auch Wang Zhi zog erstaunt die Augenbrauen hoch, doch er fing sich schnell wieder und ein kleines, wissendes Lächeln trat auf sein Gesicht.
„Habe ich das“, erwiderte er amüsiert.
„Oh, jetzt hör schon auf, so selbstzufrieden zu klingen“, sagte Tang Fan genervt und spritzte etwas Wasser in seine Richtung.
Doch Wang Zhi lehnte sich nur unbeeindruckt zur Seite.
Dann legte sich ein ungewohnt besonnener Ausdruck auf sein Gesicht.
„Verzeih mir, Runqing, ich wollte mich nicht über deine Gefühle lustig machen“, sprach er leise. „Ich... bin es lediglich nicht gewohnt, von irgendwem vermisst zu werden.“
Das Schlimme daran war, dass Tang Fan wusste, was er meinte.
Wang Zhi hatte Verbündete und Gleichgesinnte, er hatte Untergebene und Diener... doch er hatte keine Freunde. Männer in seiner Position konnten sich einen solchen Luxus nicht erlauben. Es gab gute Gründe dafür, dass er jeden noch so kleinen, gutgemeinten Gefallen wie eine Transaktion behandelte: Sentimentalität machte ihn angreifbar und freundschaftliche Beziehungen bargen stets das Risiko, sich gegen ihn zu wenden und ihn zu verletzen.
Ding Rong war das beste Beispiel dafür.
Tang Fan wusste, dass sein Verrat den anderen Mann bis heute schmerzte, und er schwor sich, Wang Zhi niemals auf dieselbe Weise zu enttäuschen. Eher würde er sterben.
Er setzte sich auf und drehte sich zu Wang Zhi herum, um ihm offen ins Gesicht zu sehen.
„Nun, gewöhn dich besser daran“, entgegnete er bestimmt. „Sui Zhou und ich hätten niemals diese weite Reise auf uns genommen, wenn wir dich nicht vermissen würden.“
„Hmm“, machte Wang Zhi und hob spöttisch eine Augenbraue. „Wer sagt, dass ich euch vermisst habe?“
Tang Fan verdrehte nur die Augen, dann packte er ihn am Saum seines Gewandes und zog ihn zu sich heran, um die Lippen auf seinen Mund zu pressen.
Er hörte Wang Zhi ein amüsiertes Geräusch machen, doch je länger Tang Fan ihn küsste, desto stiller wurde der andere Mann, bis er schließlich damit begann, den Kuss mit demselben Fokus und Verlangen zu erwidern.
Er küsste anders, als Tang Fan es von Sui Zhou gewohnt war, seine Küsse waren vorsichtiger und es war zu spüren, dass ihm die Übung fehlte. Doch die Leidenschaft dahinter war dieselbe und Tang Fan verlor sich bald voll und ganz in ihrem Zungenspiel.
Als sie sich nach einiger Zeit wieder voneinander lösten, schien Wang Zhi für einen Moment benommen und legte die Fingerkuppen an seine Lippen, als konnte er nicht fassen, was er da eben getan hatte.
Tang Fan leckte sich derweil mit einem zufriedenen Grinsen über den Mund.
„So viel dazu“, sagte er mit rauer Stimme.
Wang Zhis Augen wurden schmal und er wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als hinter ihnen eine Stimme ertönte.
„Ich hoffe, ich störe nicht“, kommentierte Sui Zhou, „aber ich wollte euch wissen lassen, dass der Tisch gedeckt ist.“
Er klang gelassen wie eh und je, als wäre ihr Anblick – Tang Fan nackt im Wasser und Wang Zhi auf Knien neben ihm – für ihn das Normalste auf der Welt, und die Anspannung, die für einen Moment von Tang Fan Besitz ergriffen hatte, legte sich augenblicklich wieder.
Sie hatten auf ihrer Reise lange über ihre Optionen in dieser Sache diskutiert und waren schließlich zu dem Konsens gekommen, dass sie sich entweder beide für diese Beziehung entscheiden mussten, damit sie funktionieren konnte – oder dagegen.
Am Ende hatten sie nicht lange gebraucht, um sich zu einigen.
Während ihrer gemeinsamen Zusammenarbeit in der Hauptstadt war Wang Zhi ein Teil ihres Lebens geworden. Seine Versetzung an die Grenze des Reiches hatte ein spürbares Loch in ihren Alltag gerissen, das auch die romantische Beziehung, die sich zwischen Tang Fan und Sui Zhou entwickelt hatte, nicht gänzlich hatte ausfüllen können.
Tang Fan war sich dabei schon länger darüber im Klaren gewesen, dass er Wang Zhi wollte – in welcher Form auch immer. Sui Zhou hingegen hatte eine Weile gebraucht, um sich einzugestehen, dass ihm der junge Eunuch ebenso am Herzen lag, wie seinem Partner.
Erst die seltenen, aber regelmäßigen Briefe von Wang Zhi an sie beide, die sie jedes Mal zum Lächeln gebracht hatten und ihnen mit ihren amüsanten Alltagsbeschreibungen in Erinnerung gerufen hatten, was für eine Bereicherung er für ihr Leben gewesen war, hatten Sui Zhou erkennen lassen, dass er Wang Zhi nicht nur als Freund vermisste.
Und darum war Tang Fan in diesem Moment auch nicht besonders besorgt, dass sein Freund und Liebhaber sie in diesem Zustand angetroffen hatte.
Stattdessen hob er den Kopf und schenkte Sui Zhou ein sonniges Lächeln.
„Wir sind gleich so weit“, versicherte er ihm.
Sui Zhou nickte, dann machte er auf dem Absatz kehrt und verließ den Raum.
Wang Zhi hatte den kurzen Blick- und Wortwechsel zwischen ihnen aufmerksam verfolgt und ein unschlüssiger Ausdruck war auf sein Gesicht getreten, der Tang Fans Blick nicht entging.
„Hilfst du mir beim Aufstehen?“, riss er ihn aus seinen Gedanken und hielt Wang Zhi eine Hand hin.
Dieser zog nur skeptisch eine Augenbraue hoch, doch dann kam er der Bitte nach und half Tang Fan dabei, aus dem Zuber zu steigen, wobei er den Blick diskret auf einen Punkt an der gegenüberliegenden Wand richtete.
„Ich möchte, dass du weißt, dass es in meinem Leben bisher nur eine einzige andere Person gab, der ich jemals aus dem Bad geholfen habe“, sagte er, während Tang Fan sich hinter seinem Rücken abtrocknete und ein frisches Gewand anzog.
„Wenn dein nächster Satz lautet ‚Nämlich seine kaiserliche Majestät‘, dann schubse ich dich ins Wasser, das schwöre ich“, erwiderte Tang Fan.
Wang Zhi gab keine Antwort, aber als Tang Fan sich wenige Minuten später angekleidet wieder zu ihm herumdrehte, entging ihm das kleine, selbstzufriedene Lächeln auf seinem Gesicht nicht.
Es fühlte sich an, wie eine Reise in die Vergangenheit, als sich die beiden Männer wenig später an den Tisch setzten, an dem Sui Zhou bereits mit dem Essen auf sie wartete – Tang Fan wie immer in der Mitte, mit Sui Zhou zu seiner Rechten und Wang Zhi zu seiner Linken.
Wang Zhi hatte keine Kosten und Mühen für dieses Festmahl gescheut, und der Geruch der verschiedenen Speisen ließ Tang Fan das Wasser im Munde zusammenlaufen.
Er zog seine Essstäbchen aus ihrem Etui an seinem Gürtel und sah seine beiden Freunde erwartungsvoll an.
Sui Zhou und Wang Zhi tauschten nur einen langen Blick miteinander, aus dem Tang Fan nicht ganz schlau wurde, und beendeten den Blickkontakt schließlich zeitgleich wieder.
Dann wedelte Wang Zhi flüchtig mit der Hand.
„Nun esst schon, bevor es noch kalt wird“, sagte er, und Tang Fan ließ sich nicht zweimal bitten.
Während sich die anderen beiden Männer Zeit dabei ließen, ihre Essschalen mit den verschiedenen Gerichten zu füllen, kaute Tang Fan bereits eifrig vor sich hin und verfiel dabei in einen endlosen Monolog über Geschmack und Textur der Gerichte – „Was für eine wunderbar würzige Füllung, Guangchuan, das musst du zu Hause unbedingt nachkochen!“ – der nach einer Weile nahtlos in einen Erlebnisbericht ihrer langen Reise überging und schließlich in eine Zusammenfassung ihres Lebens in der Hauptstadt in den letzten paar Monaten.
„Ich hatte keine Ahnung, dass deine Schwester schwanger ist, Runqing“, sagte Wang Zhi nach einer Weile vorwurfsvoll und stahl Tang Fan ein Stück Fleisch aus der Schale, als dieser aufblickte. „Hätte ich es gewusst, dann hätte ich ihr schon längst ein passendes Geschenk geschickt.“
„Ich schwöre, ich habe es in meinem letzten Brief an dich erwähnt!“, verteidigte sich Tang Fan. „Aber er war offenbar langsamer als wir.“
„Wir hatten Glück, dass wir auf den Wasserwegen so gut vorangekommen sind“, fügte Sui Zhou beschwichtigend hinzu. „Wären wir ausschließlich über Land gereist, so wie die meisten Boten es tun, wären wir doppelt so lange unterwegs gewesen.“
„Hmm“, machte Wang Zhi und sein Mundwinkel verzog sich zu einem Lächeln. „Ausreden, Ausreden.“
Tang Fan spürte plötzlich Sui Zhous warme Hand auf seinem Knie und registrierte das schwache Kopfschütteln seines Freundes, so als hätte dieser bereits geahnt, dass er Wang Zhi für die Bemerkung am liebsten auf den Fuß getreten wäre.
Oh, Sui Zhou kannte ihn einfach zu gut.
Stattdessen machte Tang Fan nur einen Schmollmund und widmete sich dann wieder seinem Essen.
„Wie geht es dir, Wang Zhi?“, fragte Sui Zhou, nachdem sie für eine Weile schweigend gegessen hatten. „Wie läuft es mit Ding Rong?“
Die Frage ließ Tang Fan innehalten und Wang Zhi einen nervösen Blick zuwerfen. Auch ihn interessierte die Antwort auf diese Frage, aber er hatte bisher noch nicht den Mut aufbringen können, sie zu stellen.
Wang Zhi reagierte nicht sofort, sondern starrte für eine Weile schweigend ins Leere.
Schließlich stieß er ein Seufzen aus.
„Ich habe ihn fortgeschickt“, sagte er und sah auf sein Essen herab.
„Fortgeschickt?“, fragte Tang Fan überrascht. „Wohin?“
„In diplomatischer Mission in den hohen Norden weit jenseits der Grenzen des Reiches“, erklärte Wang Zhi. „Ich konnte ihn nicht ewig einsperren – niemand kennt seine zahllosen Qualitäten besser als ich – aber ich habe es auch nicht gewagt, ihn in meiner unmittelbaren Nähe zu beschäftigen. Wenn er seine Mission erfolgreich erfüllt und zurückkehrt, können wir reden. Wenn nicht... Nun.“
Dann hatte Wang Zhi ein Problem weniger, erkannte Tang Fan.
Es war fast schon unerwartet sentimental von Wang Zhi, dem Mann, der ihn so hintergangen hatte, einen solch einfachen Ausweg zu bieten. Plötzlich musste Tang Fan wieder an Sui Zhous Worte zurückdenken, als sie Wang Zhi damals verabschiedet hatten:
Der junge Mann war in der Tat weichherziger geworden.
„Ich verstehe“, sagte Sui Zhou. „Du hast aber nur eine meiner beiden Fragen beantwortet.“
Wang Zhi lächelte.
„Du hast Recht“, erwiderte er leichthin. „Das habe ich.“
Sui Zhou warf ihm einen durchdringenden Blick zu, den Wang Zhi nur gekonnt ignorierte, und Tang Fan wurde klar, dass es keinen Zweck hatte, an dieser Stelle eine Antwort zu erwarten.
Stattdessen blickte er sich interessiert im Raum um.
„Ich sehe, dass du uns deine privaten Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt hast“, sprach er. „Das wäre wirklich nicht nötig gewesen.“
Wang Zhi hob den Kopf und warf ihm einen aufmerksamen Blick zu. „Was hat mich verraten?“
Tang Fan nahm sich mit seinen Stäbchen ein Stück Fisch vom Teller und nickte dann zu einem Regal hinüber, in dem sich Dutzende von Büchern aneinanderreihten.
„Dein Exemplar von ‚Rote Blüte‘ zwischen all den Bänden“, erwiderte er.
Wang Zhi blinzelte perplex. „Der Titel ist nur auf der Vorderseite vermerkt, nicht auf dem Buchrücken. Woher...?“
„Ich erkenne die Buchbindung wieder“, erklärte Tang Fan kauend. „Es gibt in ganz Peking nur einen einzigen Buchbinder, der diese Technik verwendet, und er ist derselbe, bei dem ich auch meine Romane habe binden lassen. Es kam mir zu merkwürdig vor für einen Zufall.“
Wang Zhi tauschte einen kurzen Blick mit Sui Zhou.
Der zuckte nur mit den Schultern.
„Tang Fan brauchte die Abwechslung“, sagte er in einem Tonfall, der fast wie eine Entschuldigung klang, und Wang Zhi schmunzelte.
„Ich verstehe“, erwiderte er.
Dann sah er wieder Tang Fan an. „Du hast Recht – dies ist mein Zimmer. Aber solange ihr hier seid, soll es euch gehören. Ich werde für die Dauer eures Besuches auf ein anderes ausweichen.“
Tang Fan sah ihn vorwurfsvoll an. Dachte Wang Zhi allen Ernstes, dass sie das zulassen würden?
„Mir ist außerdem aufgefallen“, fuhr er beiläufig fort und sein Blick wanderte zu der Nische hinüber, in der sich hinter einem Vorhang das Bett befand, „dass dein Bett Platz für drei Personen bieten würde, vorausgesetzt, sie rücken etwas zusammen.“
„Runqing“, sagte Sui Zhou mit Nachdruck, während Wang Zhi sich an seinem Essen verschluckte und zu husten begann.
Während sie ihm gemeinsam auf den Rücken klopften, wechselte Tang Fan einen fragenden Blick mit Sui Zhou. Hätte er etwa nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen sollen?
Lass mich das regeln, sagte der Blick seines Freundes jedoch und Tang Fan zuckte mit den Schultern. Wenn er meinte. Die Hauptsache war, dass sie den Stein endlich ins Rollen brachten und Wang Zhi bewusst machten, dass sie ihn als Teil dieser Beziehung betrachteten.
„Was Tang Fan damit ausdrücken wollte“, sprach Sui Zhou, nachdem Wang Zhi seinen Hustenanfall überwunden hatte, „ist, dass wir beide in uns gegangen sind und unabhängig voneinander festgestellt haben, dass uns etwas– dass uns jemand fehlt, um diese Beziehung zu vervollständigen.“
Wang Zhi lehnte sich zurück und starrte sie beide an, einen Ausdruck auf dem Gesicht, den Tang Fan noch nie zuvor bei ihm gesehen hatte:
Eine Mischung aus Unglauben, Sehnsucht und einer fast schon verzweifelten Hoffnung.
Tang Fan streckte die Hand aus und legte sie auf Wang Zhis zur Faust geballte Finger, die auf dem Tisch ruhten.
„Dich“, stellte er klar, nur damit es keine Missverständnisse gab. „Wir wollen dich.“
„Es ist natürlich nur ein Angebot“, fügte Sui Zhou hinzu. „Wir werden dich immer als Freund betrachten, auch wenn du dich dagegen entscheiden solltest. Aber wenn du es annehmen möchte...“
„... sind wir für dich da“, ergänzte Tang Fan und lächelte. „Mit allem, was dazugehört.“
Für eine Weile herrschte eine solche Stille im Raum, dass man das Rascheln der seidenen Vorhänge in der abendlichen Brise hören konnte. Wang Zhi starrte reglos wie eine Statur in die Nacht hinaus, mit einer Miene, die Tang Fan nicht identifizieren konnte.
Waren sie zu voreilig gewesen? Hatten sie die falschen Schlüsse gezogen und ihn mit ihrem Vorschlag überwältigt...?
Schließlich durchbrach Sui Zhou die Stille.
„Du musst natürlich nicht sofort eine Entscheidung tref–“
„Ich will.“
Wang Zhis Stimme war leise, aber deutlich zu vernehmen.
Er senkte den Blick auf die Tischplatte und öffnete seine Faust, um seine Finger mit denen von Tang Fan zu verschränken.
Seine Stimme wurde lauter und sicherer, als er fortfuhr: „Was ihr habt und was ihr bereit seid zu geben: ich will es.“
Tang Fan musste wie ein Narr aussehen, denn er lächelte so breit, dass seine Wangen fast wehtaten. Aber es erfüllte ihn mit solch einem überwältigenden Glück, dass Wang Zhi eingewilligt hatte – dass er zum ersten Mal in seinem Leben etwas für sich selbst wollte und von nun an zu ihnen gehörte, so wie sie zu ihm – dass er die ganze Welt hätte umarmen können.
Sein Lächeln musste ansteckend sein, denn Wang Zhis Mundwinkel hoben sich und auch auf Sui Zhous Gesicht trat ein zutiefst zufriedener Ausdruck.
„Nun“, sagte Wang Zhi und reichte Sui Zhou über den Tisch hinweg die Hand, die der andere Mann sofort ergriff und warm zwischen seinen eigenen, rauen Händen festhielt.
„In diesem Fall bleibe ich heute Nacht wohl hier.“
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