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Ein Faden Rauch

Kurzbeschreibung
KurzgeschichteDrama, Fantasy / P12 / Gen
18.03.2023
18.03.2023
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1.616
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Ein Faden Rauch

Zweiundzwanzig Tage seit dem letzten Angriff.  

Der kindische Gedanke, du könntest zurückkommen, du könntest mir deinen Ellbogen in die Seite stoßen wie früher und ich würde aus einem Albtraum erwachen, kommt mir von Tag zu Tag weniger wahrscheinlich vor. Es war immer nur erträglicher, die Wahrheit zu leugnen.

Ich bin wieder bei den Höhlen. Es ist später Nachmittag und obwohl der Herbst noch nicht weit fortgeschritten ist, sind die schwarzen Steine in meinem Rücken bereits eiskalt. Der Wind heult in der Öffnung des Gangs, dem Ort, an dem ich deinen Namensstein gefunden habe. Bei dem Geräusch stellen sich meine Nackenhaare auf.

Ich hole den Namensstein aus meiner Tasche, aber während ich die Rillen und Windungen betrachte, die die Muschel vor Urzeiten im Gestein hinterlassen hat, kann ich nur daran denken, dass du irgendwo in diesen dunklen Gängen liegst und genauso aussiehst. Eine wunderschöne Schale, aus der jemand die Perle herausgeholt hat.

Wir haben deine Leiche nie gefunden. Ich glaube nicht, dass du davon überrascht bist, aber dein Vorschlag, die Höhlen zu erkunden und jene, die wir darin verloren haben, zu bergen, wurde nicht angenommen. Keiner will sein Leben aufs Spiel setzen, selbst für die tote Tochter von Kara´simal nicht. Selbst für die Erstgeborene unserer Mistira nicht.

Ich würde hineingehen – ich bezweifle, dass es sie so sehr interessiert, ob ich zurückkomme oder nicht, auch wenn ab und zu jemand wütend auf mich wird – aber wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich genauso viel Angst wie sie. Erbärmlich, eigentlich. Du hättest es getan, wären Mor oder ich an deiner Stelle gewesen.

Aber sobald der graue Schein von wolkenverhangenem Tageslicht abbricht und vor der tintigen Schwärze im Gang zurückweicht, drehe auch ich wieder um. Ich traue mich nicht einmal, der Dunkelheit meinen Rücken zuzuwenden – all meine Sinne sind wachsam und misstrauisch, je länger ich hier sitze. Ab und zu, wenn ich lange genug nicht geblinzelt habe, glaube ich, Formen zu erkennen, aber jedes Mal sehe ich schärfer hin und alles verschwindet wieder. Ich weiß, dass etwas dort drinnen ist, aber mir will es sich nicht zeigen.

Ich will es auch nicht sehen. Ha! Es wäre wahrscheinlich das letzte Mal, dass ich irgendetwas sehe.

Ich weiß nicht, warum ich immer wieder herkomme. Mor geht nie hierhin. Sie war bei dir. Sie ist damit beschäftigt, deinen Platz einzunehmen. Es ist hart für sie, viel härter als für mich.

Vermutlich findest du es undankbar, dass ich hier bin und nicht bei ihr. Als ihre Schwester ist es meine Pflicht in so einer Situation bei ihr zu bleiben, oder?

Aber Mor muss ihre Träume, Priesterin zu werden, aufgeben um mit Mutter den Clan zu führen nur weil du wütend warst und dachtest, du könntest Achal rächen. Sie hat zwei Bürden zu tragen anstatt einer. Ich sollte ihr helfen, vermutlich sollte ich sie bemitleiden, aber ich kann einfach nicht. Ich kann sie nicht trösten, wenn ich selbst nicht weiß, was ich fühlen soll. Ich bin es so satt.

Etwas raschelt draußen und ich zucke zusammen. Ein paar Sekunden bleibe ich starr und lausche, meine Hand ruht auf dem Messer, jeder Muskel in meinem Körper ist angespannt. Meine Augen wandern von der dunklen Suppe im Gang zum Lichtkegel des Eingangs auf der Suche nach einem Schatten – das Geräusch kam nicht aus der Höhle, aber was immer dort wohnt, es kann auch jetzt gerade nach Hause kommen. Aber ich kann nichts erspähen.

Als ich nichts höre, erhebe ich mich langsam. Der schwarze Sand der Höhle knirscht unter meinen nackten Füßen ich war nie so lautlos wie du oder Mor und ich ziehe das Messer. Das Leder des Griffes ist kühl unter meinen Fingern, der Sand kratzt an meinen Fußsohlen. Ich gehe seitlich, um die Dunkelheit in der Höhle in meinem Blickfeld zu behalten.

Die Wolken haben sich verzogen. Die Sonne draußen blendet mich und ich bleibe im Schatten der Felswand stehen und lausche, während ich meine Augen an das Licht gewöhne. Ich höre nichts.

Vorsichtig lehne mich vor, um nach draußen zu sehen. Etwas – jemand? – liegt dort im Gras. Ich kann einen Arm erkennen, Haut so dunkel wie die Erde unserer Felder. Ich kann Atem hören, wenn der Wind einen Moment leiser heult.

Du würdest dich sofort um diese Person kümmern, glaube ich. Du hättest Mitleid.

Und es wäre dein Tod.

Ich dagegen? Mein erster Gedanke ist: Hautwechsler. Ich greife mein Messer enger, streiche mit dem Daumen über den glattgeschliffenen Stein der Klinge und verfluche im Geiste die Dämonen der Höhlen.

Was immer es ist, das dort am Boden liegt, es scheint nicht berührt von meinem Fluch. Es rührt sich nicht. Ist es tot?

Langsam pirsche ich mich durchs Gras nach vorne, bis ich es sehen kann. Es sieht nicht aus wie ein Dämon. Es sieht aus wie ein Mädchen, etwa in meinem Alter, das sich im Gras zu einem Schläfchen ausgestreckt hat. Das einzige, was nicht ins Bild passt, sind die verkohlten Halme um sie her. Einige rauchen noch immer.

Sie ist kein Mensch. So viel steht fest. Aber ein Dämon würde sich nicht vor dem Eingang seiner Höhle schlafen legen.

Ich treffe einen Entschluss. Ich krieche näher, das Messer vor mich gestreckt und falls sie mich bemerkt, ist sie nicht schnell genug, denn im nächsten Moment habe ich ein Knie auf ihre Brust gedrückt und presse das Messer gegen ihre Kehle.

Wäre sie ein Dämon, würde der gesegnete Stein der Klinge ihr Fleisch verbrennen. Aber stattdessen blutet sie – rot und warm. Wie ein Mensch.

Und schlägt die Augen auf.

Ich zucke fast zurück. Ihre Augen erinnern mich an die Ringe an unserem Himmel – hell als könnten sie die Nacht vertreiben und fast transparent, nach innen dunkelblau. Sie rütteln an meiner Fassung. Keiner sollte solche Augen haben.

Ein paar Momente schaut sie mich nur überrascht an und ich kann fühlen, wie mein Griff um das Messer schwächer wird. Ich versuche, es fester zu fassen, aber meine Hand lässt sich nicht zur Faust ballen. Es ist, wie wenn man gerade eben erst aufgewacht ist und seine Muskeln noch nicht richtig anspannen kann.

„Was machst du hier?“, fragt sie. Ich kann nicht genau festmachen, ob ihre Stimme überhaupt aus ihrem Mund kommt. Sie scheint in meinem Kopf wiederzuhallen wie in einer der Kathedralen der großen Städte. Erinnerst du dich daran, wie du in der Mitte standest und gesungen hast und die Wände deine Stimme zurückwarfen und zur Decke trugen? So klingt es.

„Wer bist du?“, frage ich im Gegenzug. Meine Stimme zittert. Ich wünschte, ich wäre so mutig wie du, als du in die Höhlen gegangen bist. „Ein weiterer Dämon aus den Höhlen, den wir noch nicht kennen?“

„Saa´roi“, sagt sie, als wäre nur mit ihrem Namen alles erklärt. Sie befreit ihren Arm und ich denke schon, sie will das Messer nehmen oder mich verfluchen oder sonst etwas, aber sie schiebt nur mit einer sanften Bewegung meine Hand beiseite, sodass die Steinklinge nicht mehr an ihrer Kehle liegt.

Die Wunde, die das Messer hinterlassen hat, ist bereits verheilt. „Steh auf“, sagt sie.

Ich denke nicht daran.

Sie seufzt. „Ich tue dir nichts“, versichert sie. „Ich bin kein Dämon. Ich will nur atmen können.“

Ich will ihr nicht trauen, aber etwas in ihrer Stimme sagt mir, dass sie die Wahrheit spricht. Sie schärft meine Sinne. Ohne sie aus den Augen zu lassen, stehe ich auf. Sobald ich sie nicht mehr berühre, kann ich meine Messer wieder normal greifen und ich halte es schützend vor mich, als sie sich mit einer fließenden Bewegung ebenfalls aufsetzt und tief durchatmet.

Sie hebt den Blick. „Wer bist du?“, fragt sie.

„Willst du meinen Namen oder meine Seele?“

Sie schweigt einen Moment. „Du bist ein Mensch“, stellt sie fest, nachdem sie mich von oben bis unten gemustert hat. Ich lache trocken. „Bist du dir da sicher?“

„Ich habe gedacht, ihr wärt anders“, sagt sie und klingt beinahe enttäuscht. Ich kann nur starren. Was im Namen aller drei Göttinnen?  

Als sie sieht, dass ich noch immer das Messer vor mich gestreckt halte, nickt sie resigniert. „Ich bin kein Mensch. Aber ich bin auch kein Dämon, wenn dich das beruhigt. Ich bin... unser Schwarm nennt sich Zhira´fio.“

Der Name sagt mir irgendetwas. Ich festige und löse meinen Griff um das Messer. Ich will ihr vertrauen. Sollte ich nicht?

Schließlich gebe ich den Kampf auf. „Yra´dizi“, sage ich. „Mensch. Wir nennen uns Alok´zai.“

Sie nickt, aber ich unterbreche sie, bevor sie etwas sagen kann. „Wenn du nicht aus den Höhlen kommt – wo kommst du her? Wo lebt dein... Schwarm?“  

Sie schaut den Eingang der Höhlen nachdenklich und dann schwankt sie mit dem Kopf hin und her, als rühre sie ihre Gedanken. „Ich kam durch Stein und Angst und Dunkelheit, aber nicht von ihnen“, sagt sie. „Ich...“ Sie greift sich an den Kopf, zwei Finger an ihrer Schläfe, als bereite allein der Gedanke ihr Kopfschmerzen. „Ich habe mehr gesehen, vorher. Als stünde ich auf einem Berg.“

Ich drehe mein Messer zwischen den Fingern. Ein Verdacht beginnt sich in mir zu formen. Ein Verdacht, bei dem der Name Zhira´fio im Mittelpunkt steht und der mit vielleicht mehr Angst macht als die Vorstellung, sie könnte ein Dämon sein.

„Wie sagtest du, wäre dein Name?“

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Soo. Das ist das erste Kapitel einer Geschichte von mir, ich wollte mal gucken wie es so ankommt. Werd den Titel vermutlich noch ändern sobald mir nen besserer einfällt. Bisher hab ich nur Fanfiktions veröffentlicht, bin dezent nervös :) Ich bitte um konstruktive Kritik.

Wer sich über die Beschreibung der Ringe wundert, googelt „die Erde wenn sie Ringe hätte“, da hat sich irgendein Wissenschaftler gefragt „lol wie würds aussehen wenn wir Ringe wie der Saturn hätten?“ (spoiler: Es würde verdammt cool aussehen)

Hoffe, ihr habt noch nen schönen Tag!

LG, Bjartskular
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