Wi(e)dersehen
von Patrick McHill
Kurzbeschreibung
Doktor Elias Bähr kommt von seinem letzten Kurs für die Kinderherzchirurgie und anschließender Facharzprüfung zurück nach Erfurt. Im Gepäck hat er allerdings nicht nur seinen Abschluss, sondern auch noch ein Angebot an das Herzzentrum der Uni nach Münster zu gehen. Ben ist erstaunt, wie begeistert er über die Möglichkeit dorthin zu gehen spricht. Währenddessen kommen Professor Weber und Doktor Hoffmann aus Leipzig ans JTK und lassen bei ihrem Sohn die U3 Untersuchung durchführen. Leider bleibt diese nicht ohne Befund... (spielt einige Wochen nach Folge 331-Hintergangen. Florian bekam den Preis für sein Forschungsprojekt und den Zorn seiner Kollegen zu spüren)
GeschichteAllgemein / P12 / Gen
Dr. Alicia Lipp
Dr. Elias Bähr
Florian Osterwald
Prof. Dr. Karin Patzelt
18.03.2023
21.03.2023
9
14.628
5
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Dieses Kapitel
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20.03.2023
2.168
Als Doktor Lindner durch die Tür zum Behandlungszimmer schaute, stützte Doktor Lipp ihren Kopf gerade auf ihrem Arm ab. Sie schien sich seit einiger Zeit hier verkrochen zu haben. Er öffnete vorsichtig die Tür und fragte sich im nächsten Moment, warum er das tat. Er musste deshalb ein wenig lächeln. Statt dessen schob er sie schnell zu, bevor er sie langsam schloss. Er war sich klar darüber, dass sie den Windhauch mitbekam und drehte sich deshalb herum.
„Tee?“ fragte er und hielt zwei Tassen in ihre Richtung. Sie nahm eine und bedankte sich mit der entsprechenden Handbewegung. Dann trank sie einen Schluck und schaute ihn an.
„Was wollen sie?“ fragte sie und stellte ihr Tablet wieder aufrecht hin, damit sie das Worderkennungsprogramm starten und die Worte besser lesen konnte.
Nun holte Doktor Lindner sein Tablet hervor und reichte es ihr herüber. Eine Patientenakte eines abgeschlossenen Falls war bereits geöffnet.
„Was ist das?“
„Schauen sie es sich an“ sagte er und deutete auf das Tablet, bevor er einen Schluck von seinem Tee trank.
„Crouzon-Syndrom?“ sagte sie auf einmal.
„Eine junge Weißrussin kam mit dem Bus über tausend Kilometer aus ihrem Heimatort, weil sie etwas von Doktor Moreau im Internet gelesen hatte. Doktor Koshka die damals noch hier als Assistenzärztin war hatte schon Feierabend und wurde zurückgeholt, weil sie die einzige war, die die Patientenakte übersetzen konnte.“
„Das Kind war drei Monate alt!“ sagte sie überrascht.
„Statt Feierabend zu machen, hat sie sich mit der Akte beschäftigt…“ Er hob den rechten Zeigefinger. „…einen Tag vor ihrer Facharztprüfung!“
Sie legte das Tablet weg. Sie fragte ihn mittels ihrer Hände, warum er ihr das erzählte.
„Als Julia, Ben und Elias den Bereitschaftsraum betraten, war Theresa – also Doktor Koshka – bereits in der OP-Vorbereitung. Statt für ihre Prüfung zu lernen sind sie mit Theresa die halbe Nacht die OP durchgegangen und haben am nächsten Morgen ihre Prüfung fast verschlafen!“ Er trank einen Schluck. „Elias, und auch den anderen, war es wichtiger Theresa zu unterstützen und dem kleinen Timofej zu helfen.“ Er schüttelte den Kopf. „Elias kennt das Wort egoistisch nicht. Wer meint, dass dies zu dem Berufsumfeld dazugehört, der darf sich nicht wundern, wenn Elias geht!“
Dann stand Doktor Lindner auf und nahm sein Tablet. Er wischte mit beiden Händen einmal vor ihr her und wünschte ihr somit einen schönen Feierabend bevor er sich die Tasse nahm und ging, während sie nachdenklich zurückblieb.
„Sie haben eine Allergie gegen Marihuana“ sagte Julia Berger.
„Eine Was?“
„Eine Marihuana Allergie ist zwar selten, aber kann durchaus vorkommen. Oftmals ist es nur eine Unverträglichkeit, bei ihnen ist sie allerdings so ausgeprägt, dass es einen Anaphylaktischen Schock ausgelöst hat.“ Julia Berger sah sofort, dass ihr Patient protestieren wollte, nachdem Doktor Jahn ausführlicher erklärte, was seine Allergie war.
„Aber ich habe doch nie…“
„Sie nicht, aber Paula!“ meinte Julia und schaute wieder zu ihrer Kollegin.
„Kurz vor ihrem Kuss hat sie einen Joint geraucht und es befanden sich noch winzige Spuren auf ihrer Zunge. Was eigentlich nicht so schlimm ist, da aber der Körperkontakt sehr lange war und sie über die Speicheldrüsen und die kleineren Verletzungen auf der Zunge den Stoff direkt aufgenommen haben,“ Julia musste kurz grinsen, als Emma – bewusst oder unbewusst – Stoff gesagt hatte. „führte dies zu dieser heftigen Reaktion!“
„Das heißt… Ich kann?“
„Ja. Morgen um acht Uhr wird meine Kollegin ihr Trommelfell wieder richten. Bleiben sie nüchtern und schlafen sie gut und…“
„…da will sie noch jemand sprechen!“ meinte Emma Jahn und öffnete die Tür zum Patientenzimmer.
„Vanessa?“
„Hallo Claas“ sagte sie und spielte mit irgendwas herum.
„Doktor Jahn, wir lassen die beiden besser mal alleine!“
Danach gingen beide Ärztinnen raus.
„Wenn ich seinen Blick richtig interpretiere, dann ist ihm Paula wohl ziemlich egal gerade!“
Sie fingen beide an zu lachen. „Kommt allerdings nicht immer auf die Blicke an, die sich zwei Leute zuwerfen, aber in dem Alter ist die Erfahrung und Angst wohl etwas kleiner… Schönen Feierabend Doktor Jahn!“
„Was ist mit ihnen?“
„Der Sohn von Doktor Hoffmann und Professor Weber… Elias muss noch eine Untersuchung mit dem Herzkatheter durchführen, danach entscheidet es sich, ob er operieren muss.“
„Was hat denn das Kind?“
„Pulmonalstenose!“
Sie hob die Brauen. „Das tut mir leid… Ich kenne Doktor Hoffmann etwas besser, habe einige Male mit ihm zusammenarbeiten dürfen. Ich konnte wirklich viel von ihm lernen.“
„Ja… bei Kollegen ist so etwas immer noch etwas anderes. Doktor Weber hat damals Suse ebenfalls geholfen. Von ihr stammt die Idee mit dem T-Shirt!“
Sie nickte. Dann verabschiedeten sich die beiden.
Professor Weber hatte das Gesicht in ihre Hände vergraben, während sie in der Couch saß und auf das Ergebnis der Untersuchung wartete. Kai Hoffmann ging stattdessen auf und ab. Sie waren beide neben dem Oberärztezimmer in der Cafeteria des JTK, die aber zu dieser Zeit geschlossen hatte.
„Wir sollten Doktor Stein anrufen. Er soll die Operation morgen durchführen, wenn Professor Patzelt schon nicht kann!“
Maria Weber ließ die Hände sinken und lehnte sich an. „Was hast Du eigentlich gegen Doktor Bähr und setz Dich gefälligst hin… Ich bin schon nervös genug, da brauche ich dein dämliches hin und her Gerenne nun wirklich nicht.“
Er setzte sich in die Couch ihr gegenüber. Er schaute erst aus dem Fenster und dann zu ihr herüber, die ihn so anschaute, als würde sie auf irgendetwas warten. „Was?“
„Ich möchte gerne wissen, was Du gegen Doktor Bähr hast!“
„Nichts weiter!“
„Kai!“ ermahnte sie ihn.
„Gut!“ sagte er und beugte sich vor. „Er hat sich hier um einen Stelle als Oberarzt beworben, doch ein anderer Kollege mit weniger Erfahrung als Facharzt wird genommen. Warum wohl? Vor gut einem Jahr beginnt er eine Habilitation, doch die lässt er auf einmal ruhen. Drittens, hat er eine Studie mit Medizinstudenten gemacht, lässt sie hier ans Klinikum kommen und es kümmert sich dann eine Assistenzärztin um sie. Viertens habe ich mit ihm zusammen gearbeitet vor ein paar Wochen… Du hättest mal sehen sollen, wie er Doktor Jahn behandelt hat, als wäre sie ein Kind… und Du weißt selbst, dass sie… Du weißt schon!“
Maria Weber schaute hoch und ließ Kai ebenfalls in die Richtung schauen. Er musste sich dafür umdrehen, doch statt Doktor Bähr sah er Doktor Jahn.
„Schwarz… Ist es das was sie sagen wollten? Schwarz!“
„Ich wollte damit sagen, dass…!“
„Erstens. Elias hat darunter gelitten, dass seine Freunde sich nicht mehr verstanden haben. Er hat seine Bewerbung freiwillig zurückgezogen, obwohl er vermutlich die besten Chancen auf die Stelle gehabt hätte. Zweitens, hat er seine Professur nicht aufgegeben, sondern sie ruht nur, weil ihm die Weiterbildung zum Kinderherzchirurgen wichtiger war, um unter anderem auch ihrem Kind zu helfen. Drittens. Er hat die Studenten nicht alleine gelassen. Sie wurden von meiner Kollegin betreut, die ebenso wie alle anderen Assistenzärzte froh sind ihn als Ausbilder, Ansprechpartner, Zuhörer und Lehrer zu haben, auch wenn das nicht immer alle einsehen wollen oder können. Er ist ein netter und immer hilfsbereiter Kollege, der ehr auf seinen Feierabend, seinen Urlaub oder was auch immer verzichten würde um einen Mensch das Leben zu retten oder einem Freund oder Kollegen zu helfen. Und Elias hat mich nie, wie ein kleines Kind behandelt. Wissen sie, was er wollte? Er wollte mich beschützen! Vor Ihnen! Und ihm war meine Hautfarbe immer vollkommen egal… Sie war ihm egal als ich hier angefangen habe, sie war ihm egal als er meine Arbeit bewertet hat. Sie war ihm egal als er mich zurechtweisen musste. Und sie war ihm egal als wir uns geküsst haben, während wir in einer Beziehung waren.“
Kai Hoffmann ließ seinen Kopf hängen. Ein kurzer Blick zu Maria ließ ihn erkennen, dass sie der Assistenzärztin hinterherschaute. Offenbar ging sie zum Eingang. Als er den Blick wieder hob, sah er, dass er richtig vermutete. Ein anderer schaute ihr auch hinterher. Es handelte sich um den Kollegen, den er morgens auf der anderen Seite vom Eingang mit Doktor Krieger gesehen hatte. Er war gerade aus dem Ärztezimmer herausgetreten.
„Die hat mir meinen Kopf aber ganz schön geradegerückt!“
„Wurde auch Zeit!“ meinte Maria, die auf einmal aufsprang. Als er sich wieder umdrehte, erkannte er auch warum.
„Doktor Bähr!“ sagte seine Exfreundin.
„Was machst Du hier draußen?“
Florian Osterwald schaute hoch. „Ich warte auf Dich!“
„Auf mich?“ fragte sie.
„Ich wollte mich bei Doktor Bähr entschuldigen und brauche ein paar Tipps von Dir!“
Sie setzte sich auf die Bank neben ihm. „Am besten ist es Du meinst es ehrlich und sei offen zu ihm. Erzähl von deinem Vater… Er wird es verstehen.“
„Das geht keinem was an!“ sagte Florian trotzig.
„Kennst Du Elias Schwester?“
Er schaute Julia Berger überrascht an. „Nein. Woher?“
„Suse Bähr litt an hypertropher Kardiomyopathie und hat außerdem das Asberger Syndrom. Elias Bähr ist Arzt geworden, damit er sie therapieren konnte. Seine Doktorarbeit, seine angehende Habilitationsschrift… Er hat es nur wegen ihr gemacht.“ Sie lacht kurz. „Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie sie hier war und plötzlich unlogisch – wie sie es sagen würde – Ausschläge hatte.“ Dann schaute sie traurig. „Du kannst Dir nicht vorstellen, wie Elias gelitten hat, weil alles fast auf die Minute von ihm vorbereitet war und eine Verlegung oder Verschiebung des Zeitplans für Suse eine Katastrophe gewesen wäre.“ Sie schaute Julian in die Augen. „Dabei war sie sich nur verliebt. In Ben!“
Dieses Mal lächelte sogar Florian ein bisschen. „Wow!“
„Drei Tage vor der Operation lief Elias schon wie durchgedreht durchs Krankenhaus und hat jeden Flecken an der Wand gezählt, damit Suse auf alles Vorbereitet war. Er war so aufgedreht, dass… Als Ben ihm nach der OP ein Zeichen gegeben hat, dass alles in Ordnung war, ist er zusammengeklappt!“ Sie schaute Florian an. „Wenn einer Verständnis für ein krankes Familienmitglied hat… dann ist es Elias. Er hätte Dir Schichten freigeräumt, Betreuungen organisiert und jeder… ausnahmslos jeder Deiner Kollegen wäre sofort für Dich eingesprungen, wenn die Situation zu Hause akut gewesen wäre.“
„Das würden sie jetzt wohl nicht mehr machen!“
„Zumindest nicht mehr so schnell!“ sagte Julia und stand auf. Florian schaute ihr hinterher und drehte sich wieder um. Er nahm sich sein Handy und starrte wieder auf die Nachricht, die er geschrieben hatte. Dann drückte er auf Senden und ging ebenfalls.
„Das bedeutet, dass sie operieren müssen, Doktor Bähr?“
„Ja!“ bestätigte er die Frage von Kai Hoffman.
„Ich sehen es genauso, wie Doktor Bähr!“ bestätigte die Chefärztin die Analyse von ihrem Kollegen.
„Ich würde ebenfalls operieren“ meinte Maria Weber mit brüchiger Stimme. Sie räusperte sich, stellte sich gerade hin und schaute zu ihm. „Wann wollen sie den Eingriff vornehmen.“
„Ich habe die OP für morgen früh neun Uhr geplant. Sollten sie damit einverstanden sein, dann…“
„Natürlich“ sagte Kai Hoffmann und schaute zu Maria Weber, die ihrerseits auch den Blickkontakt suchte. „Oder?“
„Ja“ sagte sie. „Natürlich!“
„Gut“ meinte Elias Bähr.
„Wer assistiert?“ fragte Professor Patzelt.
„Ich würde Ben… also Doktor Ahlbeck dazu holen wollen.“ Er schaute auf den Plan. „Sie kennt den Patienten und die Assistenzärzte sind schon anderweitig eingeplant!“
„Sie sollten noch einen dritten Operateur benennen. Was denken sie?“
Bevor Maria Weber etwas sagen konnte, mischte sich Kai Hoffmann ein. „Wenn, dann nehmen sie bitte Doktor Jahn. Sie…“ Wieder sah er sich dem Blick seiner Exfreundin ausgesetzt. „…ist sehr leidenschaftlich, wenn es um ihren Beruf geht! Und ich weiß, wie sie operiert.“
Maria Weber schaute ihn an. „Ja… Meinetwegen.“
„Gut. Doktor Bähr. Planen sie die Operation mit Doktor Ahlbeck und Doktor Jahn. Die Dokumente gehe ich mit den Kollegen durch. Ruhen sie sich etwas aus.“
„Danke!“ meinte er und ging nach draußen. Er ging durch die ruhige Klinik bis zum Bereitschaftsraum.
Als er diesen betrat, saß Doktor Lipp auf der Couch und war eingeschlafen. Er ging auf sie zu und nahm sich eine Decke. Er umwickelte sie. Dabei wurde sie wach.
„Doktor Bähr…“ sagte sie verschlafen.
Er fragte sie ob sie müde war und sie deutete an, dass sie auf ihn gewartet hatte.
„Auf mich gewartet?“
„Ja. Ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen… Ich möchten nicht das sie gehen!“
„Warum…?“
„Sie machen das mit den Assistenzärzten richtig toll… Sie vertrauen ihnen. Sie kämpfen für sie, das ist gut!“
„Leider sehen das nicht alle so!“ meinte er.
„Doch, aber Alzheimer ist keine Krankheit wie andere. Sie betrifft nur den Kopf! Sie müssen sich vorstellen, dass sie ihren Vater anschauen und sich fragen ob es der Mann ist, der ihnen das Fahrradfahren beigebracht hat… Und die Antwort ist sowohl ‚ja‘ als auch ‚nein‘!“
„Wir hätten ihm geholfen.“
„Herr Osterwald und ich mussten lernen uns alleine durchzukämpfen!“
Elias Bähr stand auf. Er deutete auf das Tablet und sie öffnete die Spracherkennung. „Wissen sie, dass ich jeden Abend mindestens eine halbe Stunde Gebärdensprache übe… zugegeben, so gut wie Emma bin ich nicht, aber ich übe.“
Sie wollte etwas sagen, aber sie wusste nicht was. Sie brachte nur ein Danke heraus.
„Hier wird keiner alleine gelassen. Kein Patient, kein Arzt, kein Pfleger, keine anderen Angestellten! Hätten Emma, Mikko, Rebecca und Frau Stadler alles gewusst, dann hätten sie die Nächte durchgemacht um Florian und seinem Vater zu helfen. So wie sie es immer gemacht haben.“
Dann ging er.
„Tee?“ fragte er und hielt zwei Tassen in ihre Richtung. Sie nahm eine und bedankte sich mit der entsprechenden Handbewegung. Dann trank sie einen Schluck und schaute ihn an.
„Was wollen sie?“ fragte sie und stellte ihr Tablet wieder aufrecht hin, damit sie das Worderkennungsprogramm starten und die Worte besser lesen konnte.
Nun holte Doktor Lindner sein Tablet hervor und reichte es ihr herüber. Eine Patientenakte eines abgeschlossenen Falls war bereits geöffnet.
„Was ist das?“
„Schauen sie es sich an“ sagte er und deutete auf das Tablet, bevor er einen Schluck von seinem Tee trank.
„Crouzon-Syndrom?“ sagte sie auf einmal.
„Eine junge Weißrussin kam mit dem Bus über tausend Kilometer aus ihrem Heimatort, weil sie etwas von Doktor Moreau im Internet gelesen hatte. Doktor Koshka die damals noch hier als Assistenzärztin war hatte schon Feierabend und wurde zurückgeholt, weil sie die einzige war, die die Patientenakte übersetzen konnte.“
„Das Kind war drei Monate alt!“ sagte sie überrascht.
„Statt Feierabend zu machen, hat sie sich mit der Akte beschäftigt…“ Er hob den rechten Zeigefinger. „…einen Tag vor ihrer Facharztprüfung!“
Sie legte das Tablet weg. Sie fragte ihn mittels ihrer Hände, warum er ihr das erzählte.
„Als Julia, Ben und Elias den Bereitschaftsraum betraten, war Theresa – also Doktor Koshka – bereits in der OP-Vorbereitung. Statt für ihre Prüfung zu lernen sind sie mit Theresa die halbe Nacht die OP durchgegangen und haben am nächsten Morgen ihre Prüfung fast verschlafen!“ Er trank einen Schluck. „Elias, und auch den anderen, war es wichtiger Theresa zu unterstützen und dem kleinen Timofej zu helfen.“ Er schüttelte den Kopf. „Elias kennt das Wort egoistisch nicht. Wer meint, dass dies zu dem Berufsumfeld dazugehört, der darf sich nicht wundern, wenn Elias geht!“
Dann stand Doktor Lindner auf und nahm sein Tablet. Er wischte mit beiden Händen einmal vor ihr her und wünschte ihr somit einen schönen Feierabend bevor er sich die Tasse nahm und ging, während sie nachdenklich zurückblieb.
„Sie haben eine Allergie gegen Marihuana“ sagte Julia Berger.
„Eine Was?“
„Eine Marihuana Allergie ist zwar selten, aber kann durchaus vorkommen. Oftmals ist es nur eine Unverträglichkeit, bei ihnen ist sie allerdings so ausgeprägt, dass es einen Anaphylaktischen Schock ausgelöst hat.“ Julia Berger sah sofort, dass ihr Patient protestieren wollte, nachdem Doktor Jahn ausführlicher erklärte, was seine Allergie war.
„Aber ich habe doch nie…“
„Sie nicht, aber Paula!“ meinte Julia und schaute wieder zu ihrer Kollegin.
„Kurz vor ihrem Kuss hat sie einen Joint geraucht und es befanden sich noch winzige Spuren auf ihrer Zunge. Was eigentlich nicht so schlimm ist, da aber der Körperkontakt sehr lange war und sie über die Speicheldrüsen und die kleineren Verletzungen auf der Zunge den Stoff direkt aufgenommen haben,“ Julia musste kurz grinsen, als Emma – bewusst oder unbewusst – Stoff gesagt hatte. „führte dies zu dieser heftigen Reaktion!“
„Das heißt… Ich kann?“
„Ja. Morgen um acht Uhr wird meine Kollegin ihr Trommelfell wieder richten. Bleiben sie nüchtern und schlafen sie gut und…“
„…da will sie noch jemand sprechen!“ meinte Emma Jahn und öffnete die Tür zum Patientenzimmer.
„Vanessa?“
„Hallo Claas“ sagte sie und spielte mit irgendwas herum.
„Doktor Jahn, wir lassen die beiden besser mal alleine!“
Danach gingen beide Ärztinnen raus.
„Wenn ich seinen Blick richtig interpretiere, dann ist ihm Paula wohl ziemlich egal gerade!“
Sie fingen beide an zu lachen. „Kommt allerdings nicht immer auf die Blicke an, die sich zwei Leute zuwerfen, aber in dem Alter ist die Erfahrung und Angst wohl etwas kleiner… Schönen Feierabend Doktor Jahn!“
„Was ist mit ihnen?“
„Der Sohn von Doktor Hoffmann und Professor Weber… Elias muss noch eine Untersuchung mit dem Herzkatheter durchführen, danach entscheidet es sich, ob er operieren muss.“
„Was hat denn das Kind?“
„Pulmonalstenose!“
Sie hob die Brauen. „Das tut mir leid… Ich kenne Doktor Hoffmann etwas besser, habe einige Male mit ihm zusammenarbeiten dürfen. Ich konnte wirklich viel von ihm lernen.“
„Ja… bei Kollegen ist so etwas immer noch etwas anderes. Doktor Weber hat damals Suse ebenfalls geholfen. Von ihr stammt die Idee mit dem T-Shirt!“
Sie nickte. Dann verabschiedeten sich die beiden.
Professor Weber hatte das Gesicht in ihre Hände vergraben, während sie in der Couch saß und auf das Ergebnis der Untersuchung wartete. Kai Hoffmann ging stattdessen auf und ab. Sie waren beide neben dem Oberärztezimmer in der Cafeteria des JTK, die aber zu dieser Zeit geschlossen hatte.
„Wir sollten Doktor Stein anrufen. Er soll die Operation morgen durchführen, wenn Professor Patzelt schon nicht kann!“
Maria Weber ließ die Hände sinken und lehnte sich an. „Was hast Du eigentlich gegen Doktor Bähr und setz Dich gefälligst hin… Ich bin schon nervös genug, da brauche ich dein dämliches hin und her Gerenne nun wirklich nicht.“
Er setzte sich in die Couch ihr gegenüber. Er schaute erst aus dem Fenster und dann zu ihr herüber, die ihn so anschaute, als würde sie auf irgendetwas warten. „Was?“
„Ich möchte gerne wissen, was Du gegen Doktor Bähr hast!“
„Nichts weiter!“
„Kai!“ ermahnte sie ihn.
„Gut!“ sagte er und beugte sich vor. „Er hat sich hier um einen Stelle als Oberarzt beworben, doch ein anderer Kollege mit weniger Erfahrung als Facharzt wird genommen. Warum wohl? Vor gut einem Jahr beginnt er eine Habilitation, doch die lässt er auf einmal ruhen. Drittens, hat er eine Studie mit Medizinstudenten gemacht, lässt sie hier ans Klinikum kommen und es kümmert sich dann eine Assistenzärztin um sie. Viertens habe ich mit ihm zusammen gearbeitet vor ein paar Wochen… Du hättest mal sehen sollen, wie er Doktor Jahn behandelt hat, als wäre sie ein Kind… und Du weißt selbst, dass sie… Du weißt schon!“
Maria Weber schaute hoch und ließ Kai ebenfalls in die Richtung schauen. Er musste sich dafür umdrehen, doch statt Doktor Bähr sah er Doktor Jahn.
„Schwarz… Ist es das was sie sagen wollten? Schwarz!“
„Ich wollte damit sagen, dass…!“
„Erstens. Elias hat darunter gelitten, dass seine Freunde sich nicht mehr verstanden haben. Er hat seine Bewerbung freiwillig zurückgezogen, obwohl er vermutlich die besten Chancen auf die Stelle gehabt hätte. Zweitens, hat er seine Professur nicht aufgegeben, sondern sie ruht nur, weil ihm die Weiterbildung zum Kinderherzchirurgen wichtiger war, um unter anderem auch ihrem Kind zu helfen. Drittens. Er hat die Studenten nicht alleine gelassen. Sie wurden von meiner Kollegin betreut, die ebenso wie alle anderen Assistenzärzte froh sind ihn als Ausbilder, Ansprechpartner, Zuhörer und Lehrer zu haben, auch wenn das nicht immer alle einsehen wollen oder können. Er ist ein netter und immer hilfsbereiter Kollege, der ehr auf seinen Feierabend, seinen Urlaub oder was auch immer verzichten würde um einen Mensch das Leben zu retten oder einem Freund oder Kollegen zu helfen. Und Elias hat mich nie, wie ein kleines Kind behandelt. Wissen sie, was er wollte? Er wollte mich beschützen! Vor Ihnen! Und ihm war meine Hautfarbe immer vollkommen egal… Sie war ihm egal als ich hier angefangen habe, sie war ihm egal als er meine Arbeit bewertet hat. Sie war ihm egal als er mich zurechtweisen musste. Und sie war ihm egal als wir uns geküsst haben, während wir in einer Beziehung waren.“
Kai Hoffmann ließ seinen Kopf hängen. Ein kurzer Blick zu Maria ließ ihn erkennen, dass sie der Assistenzärztin hinterherschaute. Offenbar ging sie zum Eingang. Als er den Blick wieder hob, sah er, dass er richtig vermutete. Ein anderer schaute ihr auch hinterher. Es handelte sich um den Kollegen, den er morgens auf der anderen Seite vom Eingang mit Doktor Krieger gesehen hatte. Er war gerade aus dem Ärztezimmer herausgetreten.
„Die hat mir meinen Kopf aber ganz schön geradegerückt!“
„Wurde auch Zeit!“ meinte Maria, die auf einmal aufsprang. Als er sich wieder umdrehte, erkannte er auch warum.
„Doktor Bähr!“ sagte seine Exfreundin.
„Was machst Du hier draußen?“
Florian Osterwald schaute hoch. „Ich warte auf Dich!“
„Auf mich?“ fragte sie.
„Ich wollte mich bei Doktor Bähr entschuldigen und brauche ein paar Tipps von Dir!“
Sie setzte sich auf die Bank neben ihm. „Am besten ist es Du meinst es ehrlich und sei offen zu ihm. Erzähl von deinem Vater… Er wird es verstehen.“
„Das geht keinem was an!“ sagte Florian trotzig.
„Kennst Du Elias Schwester?“
Er schaute Julia Berger überrascht an. „Nein. Woher?“
„Suse Bähr litt an hypertropher Kardiomyopathie und hat außerdem das Asberger Syndrom. Elias Bähr ist Arzt geworden, damit er sie therapieren konnte. Seine Doktorarbeit, seine angehende Habilitationsschrift… Er hat es nur wegen ihr gemacht.“ Sie lacht kurz. „Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie sie hier war und plötzlich unlogisch – wie sie es sagen würde – Ausschläge hatte.“ Dann schaute sie traurig. „Du kannst Dir nicht vorstellen, wie Elias gelitten hat, weil alles fast auf die Minute von ihm vorbereitet war und eine Verlegung oder Verschiebung des Zeitplans für Suse eine Katastrophe gewesen wäre.“ Sie schaute Julian in die Augen. „Dabei war sie sich nur verliebt. In Ben!“
Dieses Mal lächelte sogar Florian ein bisschen. „Wow!“
„Drei Tage vor der Operation lief Elias schon wie durchgedreht durchs Krankenhaus und hat jeden Flecken an der Wand gezählt, damit Suse auf alles Vorbereitet war. Er war so aufgedreht, dass… Als Ben ihm nach der OP ein Zeichen gegeben hat, dass alles in Ordnung war, ist er zusammengeklappt!“ Sie schaute Florian an. „Wenn einer Verständnis für ein krankes Familienmitglied hat… dann ist es Elias. Er hätte Dir Schichten freigeräumt, Betreuungen organisiert und jeder… ausnahmslos jeder Deiner Kollegen wäre sofort für Dich eingesprungen, wenn die Situation zu Hause akut gewesen wäre.“
„Das würden sie jetzt wohl nicht mehr machen!“
„Zumindest nicht mehr so schnell!“ sagte Julia und stand auf. Florian schaute ihr hinterher und drehte sich wieder um. Er nahm sich sein Handy und starrte wieder auf die Nachricht, die er geschrieben hatte. Dann drückte er auf Senden und ging ebenfalls.
„Das bedeutet, dass sie operieren müssen, Doktor Bähr?“
„Ja!“ bestätigte er die Frage von Kai Hoffman.
„Ich sehen es genauso, wie Doktor Bähr!“ bestätigte die Chefärztin die Analyse von ihrem Kollegen.
„Ich würde ebenfalls operieren“ meinte Maria Weber mit brüchiger Stimme. Sie räusperte sich, stellte sich gerade hin und schaute zu ihm. „Wann wollen sie den Eingriff vornehmen.“
„Ich habe die OP für morgen früh neun Uhr geplant. Sollten sie damit einverstanden sein, dann…“
„Natürlich“ sagte Kai Hoffmann und schaute zu Maria Weber, die ihrerseits auch den Blickkontakt suchte. „Oder?“
„Ja“ sagte sie. „Natürlich!“
„Gut“ meinte Elias Bähr.
„Wer assistiert?“ fragte Professor Patzelt.
„Ich würde Ben… also Doktor Ahlbeck dazu holen wollen.“ Er schaute auf den Plan. „Sie kennt den Patienten und die Assistenzärzte sind schon anderweitig eingeplant!“
„Sie sollten noch einen dritten Operateur benennen. Was denken sie?“
Bevor Maria Weber etwas sagen konnte, mischte sich Kai Hoffmann ein. „Wenn, dann nehmen sie bitte Doktor Jahn. Sie…“ Wieder sah er sich dem Blick seiner Exfreundin ausgesetzt. „…ist sehr leidenschaftlich, wenn es um ihren Beruf geht! Und ich weiß, wie sie operiert.“
Maria Weber schaute ihn an. „Ja… Meinetwegen.“
„Gut. Doktor Bähr. Planen sie die Operation mit Doktor Ahlbeck und Doktor Jahn. Die Dokumente gehe ich mit den Kollegen durch. Ruhen sie sich etwas aus.“
„Danke!“ meinte er und ging nach draußen. Er ging durch die ruhige Klinik bis zum Bereitschaftsraum.
Als er diesen betrat, saß Doktor Lipp auf der Couch und war eingeschlafen. Er ging auf sie zu und nahm sich eine Decke. Er umwickelte sie. Dabei wurde sie wach.
„Doktor Bähr…“ sagte sie verschlafen.
Er fragte sie ob sie müde war und sie deutete an, dass sie auf ihn gewartet hatte.
„Auf mich gewartet?“
„Ja. Ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen… Ich möchten nicht das sie gehen!“
„Warum…?“
„Sie machen das mit den Assistenzärzten richtig toll… Sie vertrauen ihnen. Sie kämpfen für sie, das ist gut!“
„Leider sehen das nicht alle so!“ meinte er.
„Doch, aber Alzheimer ist keine Krankheit wie andere. Sie betrifft nur den Kopf! Sie müssen sich vorstellen, dass sie ihren Vater anschauen und sich fragen ob es der Mann ist, der ihnen das Fahrradfahren beigebracht hat… Und die Antwort ist sowohl ‚ja‘ als auch ‚nein‘!“
„Wir hätten ihm geholfen.“
„Herr Osterwald und ich mussten lernen uns alleine durchzukämpfen!“
Elias Bähr stand auf. Er deutete auf das Tablet und sie öffnete die Spracherkennung. „Wissen sie, dass ich jeden Abend mindestens eine halbe Stunde Gebärdensprache übe… zugegeben, so gut wie Emma bin ich nicht, aber ich übe.“
Sie wollte etwas sagen, aber sie wusste nicht was. Sie brachte nur ein Danke heraus.
„Hier wird keiner alleine gelassen. Kein Patient, kein Arzt, kein Pfleger, keine anderen Angestellten! Hätten Emma, Mikko, Rebecca und Frau Stadler alles gewusst, dann hätten sie die Nächte durchgemacht um Florian und seinem Vater zu helfen. So wie sie es immer gemacht haben.“
Dann ging er.