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Wi(e)dersehen

Kurzbeschreibung
GeschichteAllgemein / P12 / Gen
Dr. Alicia Lipp Dr. Elias Bähr Florian Osterwald Prof. Dr. Karin Patzelt
18.03.2023
21.03.2023
9
14.628
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18.03.2023 1.783
 
Matteo Moreau betrat das Ärztezimmer, in dem die Assistenzärzte warteten. Fast wie in einer Stube bei der Bundeswehr, wenn der Befehlshabende Unteroffizier, Feldwebel oder Leutnant eintrat, standen alle auf und stellten sich hin, damit sie die Einteilung für den Tag erhielten.
„Gut… Rantala, sie kommen mit mir, wir haben heute einige OPs zu erledigen…“
Mikko nickte. „Alles klar!“
„Frau Stadler. Doktor Jahn… Sie machen Dienst in der Notaufnahme. Wir haben viele Touristen in der Stadt und der Anteil von Kegelklubs ist ziemlich hoch…“ Er schaute vielsagend auf die beiden Ärztinnen. „…sie wissen was das heißt?“
„Dehydrierungen, Alkoholabusus, Verle…“
„Das war eine rhetorische Frage, Jahn!“ Sofort verstummte die dunkelhaarige Assistenzärztin und senkte ihren Blick, wie ein Kind was gerade dabei erwischt worden war, wie es heimlich an den Schrank mit den Schnuckelsachen gegangen war. „…immerhin wissen sie, was auf sie zukommt!“ Dann schaute er zu Victoria Stadler. „Hören sie sich das gut an, Stadler. Warum habe ich das von ihnen nicht gehört?“
„Ich dachte, sie wollten…“
„Jahn ist im letzten und sie im ersten Jahr… Die Jahn sollte es wissen!“
„Ich hätte es auch gewusst.“
„Schon gut, Stadler. Und Jahn, denken sie daran, dass sie der Stadler nicht alles abnehmen!“
Emma verzog kurz das Gesicht und nickte Victoria zu, die zurücknickte. Dann schauten sie wieder zum Oberarzt. „So, Frau Doktor Krieger…!“
„Hier!“ meinte sie grinsend und kassierte von Moreau einen bösen Blick.
„…Sie machen das Tolstoi Duo!“
„Was?“
„Meine Güte… Jahn erklären sie es ihr!“ sagte er kopfschüttelnd.
„Ich denke er auf den russischen Schriftsteller Leo Tolstoi, der unter anderem…“
„Kurzfassung Jahn!“
Sie räusperte sich. „Da Doktor Lindner von Doktor Moreau immer als Doktor Kuschel mit Klangschalen bezeichnet wird, steht er wohl für Frieden, während Du mit Nachnamen Krieger heißt!“ Sie verzog das Gesicht. „Von Leo Tolstoi ist der Roman Krieg und Frieden!“
Sie schaute zu dem ekelhaft grinsenden Moreau. „Ist mir heute Morgen auf der Toilette eingefallen!“
„Und ich nehme an sie Pinkeln im Stehen!“ flüsterte Mikko, was bei Victoria einen kurzen Lacher auslöste, den sie versuchte zu unterdrücken.
„Was war das Ramtamtam?“
„Nichts“ antwortete der Assistenzarzt.
„Sie sollen sich allerdings erst auf die OP heute vorbereiten, weil Lindner noch in der Notaufnahme ist. Er wird dort von ihrer Schwester abgelöst.“
„Halb-…“ betonte sie besonders, bevor sie das Wort vollendete. „…-schwester!“
„Die halbe Schwester sind in diesem Fall aber wohl sie!“ meinte Moreau wieder grinsend und fing sich dieses Mal von Rebecca wütende Blicke ein.
„Und was mache ich?“ fragte Osterwald.
Moreau schaute ihn an. „Labordienst!“
„Was? Ich habe die letzten drei Woche schon Labordienst gemacht. Was ist mit einer OP?“
„Vergessen sie es!“
Moreau wollte gerade gehen, als Florian Osterwald ihn noch einmal zurückhielt. „Was soll das? Ich soll doch hier als Arzt ausgebildet werden. Warum lassen sie mich nicht bei einer OP assistieren?“
„Weil ich das sagen habe, Osterwald… Meinen sie mir macht das Spaß den Kindergarten hier zu übernehmen?“ Er hob die Hand. „Sie müssen eben dafür bluten, dass ich mich mit ihnen allen rumschlagen muss.“
„Das ist nicht fair!“ meinte er.
„Gut. Wir können ja mal schauen, was andere über ihre Fairness denken.“ Moreau schaute zu den anderen. „Jahn, Rantala, Stadler! Wer ist denn bereit mit Herrn Osterwald zu tauschen?“
Florian schaute die drei an, die bewusst alle in irgendeine Richtung des Raumes schauten und sich irgendwie ablenkten.
„Leute, kommt schon!“ bettelte er mit beginnender Wut.
„Was ist mit mir?“ fragte Rebecca.
„Sie sind bei Pendel-Lindner eingeteilt und das bleibt auch so!“
Florian Osterwald schaute wieder zu Moreau, der in breit angrinste. „Also, der Osterhase hat lange Ohren und die Assistenten lange Nasen, die sie ihnen zeigen… Es bleibt also beim Labor für heute und…“ Er ging zu dem Runden Tisch, der in der Mitte stand und schob ihm einen Stapel Akten herüber. „…die machen sie dann!“
„Da sitze ich den ganzen Tag dran!“ beschwerte er sich.
„Sie sind ja auch den ganzen Tag dort eingeteilt!“ Der Oberarzt drehte sich um und ging raus. „An die Arbeit!“
Emma ging als erste raus, ihr folgte Victoria und als letzter Rantala. Die letzten beiden gaben sich noch einen Kuss und gingen dann in verschiedene Richtungen weiter. Florian stützte sich auf die Lehne eines der Stühle und atmete tief durch. Irgendwann legte sich eine Hand auf seine Schulter.
„Wie lange soll das noch so weitergehen?“
„Das liegt an Dir!“ meinte Rebecca direkt. „Du willst ja nicht anders. Erzähl endlich von deinem Vater und warum Du das gemacht hast!“
„Und Du meinst, dass ändert etwas?“
Er schaute sie an und sah in das lächelnde Gesicht. Sie zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Vor drei Wochen hätte es was geändert, bei Elias, bei Emma, bei Victoria und vor allem bei Mikko!“
„Und jetzt?“
„Jetzt wären sie sauer auf Dich, weil Du ihnen nicht vertraut hast.“
Sie schauten sich noch eine Zeitlang an, dann schnappte sich Florian den Aktenstapel und ging in Richtung Labor.

Doktor Lipp kam aus dem Patientenzimmer heraus und schaute zu Schwester Jana, deren Bruder ebenfalls gehörlos war und Gebärdensprache deshalb hervorragend beherrschte. Sie hatte sie in den letzten Wochen ständig begleitet, allerdings konnte sie viele Fachbegriffe nicht gut erklären, ein ausgebildeter Assistenzarzt hätte kleinere Rückfragen sofort beantworten können und brauchte keine lange Erklärung, außerdem hatte Schwester Jana noch ihre reguläre Arbeit.
Sie schaute sie an und formte ihre Lippen zu einem Danke, während sie die flache Hand von ihrem Kinn etwas nach vorne zog.
„Bis später!“ antwortete sie und ging wieder zu ihrer Station. Sie nahm ihr Handy heraus und schrieb eine Nachricht an Professor Patzelt. Sie wollte sie dringend sprechen, wegen der Einteilung der Assistenzärzte. Sie schickte die Nachricht ab und steckte das Handy wieder weg. Gleich würde sie wieder eine Operation haben.
Als die Oberärzten bereits auf dem Weg zum Counter war, um zu schauen was in ihrem Fach lag, klingelte das Handy und Professor Patzelt hatte ihr bereits eine Nachricht geschrieben. Sie schlug drei Uhr vor, was sie bestätigte, dann kümmerte sie sich wieder um ihre Arbeit.

Die Krankenwagentür ging auf und Doktor Lindner und Victoria Stadler schauten überrascht auf die Trage. Sie sahen, dass dort vier Füße waren. Außerdem wurde die Trage sehr langsam aus dem Krankenwagen herausgeholt.
„Frau Krieger!“ sagte Marc Lindner erwartungsfroh.
„Claas Brügge und Paula Neuhaus… einundzwanzig und achtzehn… haben…“ Die Augen der Assistenzärztin wurden immer größer.
„Haben?“ fragte Lindner.
„Haben sich beim Küssen ihre Zungenpiercings verkeilt?“ Mark Lindner hob die Brauen und schaute überrascht auf Victoria Stadler. Ihr Gesichtsausdruck schien wohl Bände zu sprechen. Er versuchte sie mit einem mahnenden Blick dazu zu bringen nicht unkontrolliert loszulachen.
„Gut“ meinte er, selbst mit seinen Emotionen kämpfend. „Frau Stadler, wie gehen wir vor?“
„Zunächst schauen…“ Sie hustete, um ein aufkommendes Lachen zu überspielen. „…wir uns das genau an und versuchen die beiden vorsichtig zu trennen. Danach wird geschaut, ob es zu Verletzungen im…“ Sie hustete wieder und schloss kurz die Augen. „…Mundraum gekommen ist.“
Er schüttelte kurz den Kopf und setzte sein ‚Onkel-Doktor-Lächeln‘ auf. Inzwischen waren die beiden in der Schockbox eins angekommen.
„Guten Morgen. Mein Name ist Doktor Lindner. Ich bin der behandelnde Arzt. Die andere Stimme gehört meiner Kollegin Stadler. Da sie nicht antworten können, versuchen wir es mit dem Daumen. Wenn sie verstanden haben, dann heben sie den Daumen und wenn ihnen etwas unklar ist, dann strecken sie den Zeigefinger… einverstanden?“
Er schaute auf ihre Hände die beide einen gehobenen Daumen zeigten.
„Schön. Wir versuchen jetzt ihre Piercings voneinander zu lösen, dazu müsste ich einmal in ihre Münder schauen. Dazu drücken wir ihre Oberlippen ein bisschen zur Seite. Wenn etwas weh tut, dann stöhnen sie kurz auf. Verstanden?“
Wieder antworteten sie mit zwei ausgestreckten Daumen.
„Gut. Victoria, sagen sie Doktor Jahn Bescheid. Sie möchte bitte dazu kommen.“
Natürlich sagte sie und ging kurz hinaus. Sie sah ihre Kollegin am Tresen stehen, die eine Eintragung in die Akte machte. Dabei hörte sie, dass ihr einer der Pfleger von seiner fünf Monate alten Tochter erzählte.
„Süß!“ kommentierte sie lachend und reagierte dann auf Victoria, die sie an der Schulter berührte, um ihre Aufmerksamkeit zu ergattern.
„Emma. Könntest Du bitte mitkommen, wir haben da einen verzwickten Fall.“
Die Assistenzärztin im letzten Jahr, die bald ihre Facharztprüfung ablegen würde, von dem irgendwie jeder annahm, dass es eine von vielen werden würde, legte die Stirn in Falten.
„Verzwickter Fall!“
Sie reichte ihr den Anamnesebogen herüber und sah, wie Emmas Augen immer größer wurden. „Die haben, was…?“
„Nicht so laut!“
„Doktor Jahn, Frau Stadler!“ hörten sie die ruhiger strenge von Marc Lindner, der beide schnell in die Schockbox 1 eilen ließ.
„Da sind wir schon“ verkündete Victoria.
„Schön!“ sagte Doktor Lindner ruhig. „Sie halten bitte diese und diese Lippe kurz an die Seite, während ich in den Innenraum leuchte…“
„Natürlich Doktor Lindner!“
„Doktor Jahn. Sie übernehmen dann bitte gleich die Patienten Claas Brügge… Doktor Berger wird wohl gleich dazu kommen.“
„Natürlich Doktor Lindner!“
Dann schaute der Oberarzt und stellvertretende Chefarzt in den Mund mit einen Otoskop, was normalerweise für die Untersuchung von Ohren gedacht war. Allerdings war es die einzige Möglichkeit in den Mund hinein zu schauen.
„Ich erkenne das Problem…“ meinte er ruhig. „Doktor Jahn. Übernehmen sie bitte das Otoskop!“
Sie eilte herbei, während der Oberarzt sich zwei Haken schnappte.
„Gut. Frau Neuhaus. Herr Brügge. Ich versuche mit zwei Haken die Piercings zu trennen. Versuchen sie ihre Zunge so ruhig wie möglich zu halten. Wenn ich jetzt sage, dann ziehen sie ihre Zunge bitte vorsichtig zurück. Wenn sie Widerstand merken, dann hören sie sofort auf.“
Er schaute auf die Hände und sah wieder die Bestätigung mit den Daumen.
„Gut. In Position bleiben!“ meinte Lindner und beide sahen, dass er nun vorsichtig mit den beiden Haken nach unten in den Mundraum ging. Dann begann er die Haken leicht zu bewegen. Er hing dabei so eng über den beiden Gesichtern, dass es fast so aussah, als würden sie sich zu dritt küssen wollen. „Etwas nach rechts, Emma. Ein Hauch nach vorne…“ Dann nach eine kurze Bewegung und er entspannte sich. „Jetzt!“
Dann dauerte es einen kleinen Moment und die beiden Köpfe entfernten sich voneinander. Beide richteten sich auf. Sie atmeten tief durch und dann sah Victoria zu dem Patienten, dessen Gesichtszüge sich entspannten und seine vermeintliche Freundin anlächelten. Sie schaute zu ihr herüber, die allerdings weniger entspannt aussah.
Sie bezeichnete ihn mit dem umgangssprachlichen Wort für den Anus und dann holte sie aus. Die Ohrfeige war vermutlich noch außerhalb der Schockbox zu hören. Victoria war so starr vor Entsetzen auf diese Reaktion, dass sie sich nicht bewegte. Emma schien es ähnlich zu gehen. Dann meldete sich Marc Lindner.
„Frau Jahn, nehmen sie den Patienten Brügge dann bitte mit in die Schockbox 2. Es ist wohl besser, wenn wir den beiden etwas mehr Abstand zueinander gönnen.“
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