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Zombies sind auch nur Menschen (Teil 2)

von Federfaun
Kurzbeschreibung
GeschichteAllgemein / P18 / Het
Zombies & andere Untote
14.03.2023
28.03.2023
7
30.629
1
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19.03.2023 1.145
 
„Thomas, aus dir wird einmal etwas werden...“ Die Worte seines Vaters hallten noch immer in Toms Ohren. Wenn Vater nur wüsste, wie Recht er damit gehabt hatte. Aber Vater war tot. Mutter war auch tot. Alle waren tot – genau wie die vielen anderen. Alle tot.

Toms Vater war Schlachter gewesen, Metzger oder wie ihr bei euch zuhause auch immer zu jemandem sagt, der Tiere tötet und Fleisch- und Wurstwaren herstellt. Der kleine Thomas hatte seinem Vater schon im Alter von nur 7 Jahren bei diesem blutigen Handwerk geholfen und dann ebenfalls diesen Beruf ergriffen. Jetzt war er Mitte 50, glatzköpfig und seiner eigenen Meinung nach der beste Schlachter in der Gegend. Er war auf jeden Fall der erfolgreichste. Er führte das Geschäft seines Vaters weiter und die Kunden standen bei ihm Schlange. Egal, ob es seine Kopfsülze war, Salami, Bierschinken,  Hackepeter, Frikadellen oder Steak-Fleisch – die Leute liebten seine Produkte.
Natürlich hatte Tom die überlieferten Würzmischungen und andere Tricks von seinem Vater gelernt, aber er hatte sie auch über die Jahre hin verfeinert, ausgebaut, umgebaut und etwas ganz Neues geschaffen.
Etwas Einzigartiges – Revolutionäres!
Etwas, das die Welt retten würde...

Fleisch war rar diese Tage. Ein Fluch hatte das ganze Land befallen – vielleicht sogar die ganze Welt – und die toten der Kriege und Unruhen, der Seuchen und Verseuchungen waren aufgestanden, um sich an der Menschheit zu rächen. Die immer weniger werdenden Lebenden hatten immer weniger zu essen – die Zombies hingegen konnten sich satt fressen.
Es war eine ungerechte Situation. Die Toten hatten mehr als genug zum Leben und die Lebenden kämpften gegen das Verhungern. Und gegen das Gefressenwerden.

Nach Jahren des Mangels konnte man jetzt aber wieder Fleisch und Wurst zu erschwinglichen Preisen haben. Zumindest bei Tom. Lecker und frisch, jeden Tag, für jeden der wollte. Und Kinder bekamen immer eine Scheibe Gelbwurst, wenn sie Mutter oder Vater zum Einkauf begleiteten...
Und die Leute kauften. Seinen Gewinn machte Tom vor allem über die Umsatzsteigerung. Er verkaufte zu niedrigen Preisen – dafür aber in großen Mengen. Also gemessen an dem, was die wenigen Überlebenden noch brauchten. Aber es ging aufwärts, Kinder wurden geboren, hungrige Münder waren zu stopfen … und der Hunger der Lebenden auf Fleisch war genauso groß, wie der der Untoten.
Inzwischen hatte Tom sogar ein paar Leute einstellen und zwangsläufig in seine Geschäftspraktiken einweihen müssen. Er bezahlte gut und solange er seine Leute bezahlte, würden sie auch über das Geheimnis seiner guten Wurst schweigen. Außerdem diente die ganze Sache, dieses makabere Geheimnis, auch einem höheren Ziel. Aber Tom war kein ausgesprochener Weltverbesserer, er war lediglich Opportunist mit Weitsicht.
Viel Majoran, so viel sei gesagt, war ein Teil dieses Geheimnisses. Das wirkliche Geheimnis aber war düster und schockierend… Es war das Geheimnis um die Herkunft seines Fleisches...

Tom schickte unmenschlich früh an diesen Morgen (wie eigentlich jeden Montag morgen) seinen Henker hinaus, um die Schlachtkörper zu holen.
Schlachtkörper – so nennt man das oftmals abgehäutete, von den Eingeweiden befreite und teilweise zerlegte Rohmaterial, das in der Metzgerei dann zu Wurst verarbeitet wird. Früher hatte Tom noch selbst geschlachtet, aber dafür war nun keine Zeit mehr, er musste sich ganz und gar der Verarbeitung und der Herstellung seiner Wurstwaren widmen.
Die Schlachtung passierte direkt draußen bei den großen Kühlhäusern und war alleine dem sogenannten Henker vorbehalten. Ein schauriger, aber nicht ganz abwegiger Titel...
Tom hatte vor einem Jahr zwei große Kühlhäuser, á fünf Kammern, mit einem eigenen Bereich für die Schlachtung bauen lassen – alles nach gängigem Recht und den unter Einhaltung der vorgeschriebenen Auflagen. Auflagen? Die Auflagen waren nicht mehr so streng ... früher – vor der Seuche, vor dem Fluch – hätte jede Behörde den Laden sofort dicht gemacht. Aber die Welt hatte momentan andere Probleme als strenge Auflagen für die Lebensmittelverarbeitung. Fleisch war jedoch noch immer ein heikles Thema. Trotzdem waren die Auflagen lächerlich im Vergleich zu früher.
Es war aber in der Tat nicht einfach gewesen eine Bank zu überzeugen, solch ein großes Projekt zu finanzieren, aber es hatte funktioniert.
Und Tom hatte für diese Idee komplett umdenken müssen, denn eigentlich schlachtet man ja erst und danach kommt das Fleisch ins Kühlhaus – bei Tom war es genau umgekehrt. Aber das brauchte ja niemand da draußen wissen.

Schweinezucht gab es kaum noch, weil die Tiere den Menschen die Lebensmittel wegfraßen und Rinder waren nach wie vor teuer in der Haltung und ihr Fleisch teuer im Verkauf. Aber Tom hatte andere Quellen.
Seine Fleisch-Lieferanten waren verwegene Kerle, die für Tom und sein makaberes Unternehmen die „Rohware“ aufspürte, zusammen trieb und einfing. Aus dieser „Rohware“ wurden die Schlachtkörper, die dann schön ordentlich zerlegte in der Wurstküche landeten.
Die „Rohware“ stand im Kühlhaus, sortiert nach Qualität und Reifezustand. Es wurde frisch geschlachtet, geliefert und sofort verarbeitet. Niemals, wirklich niemals durfte auch nur ein einziger Nicht-Eingeweihter das Geheimnis von Toms Schlachterei entdecken – es wäre ein Skandal!
Bislang wussten sechs  Personen davon. Damit das auch so blieb, waren die beiden Kühlhäuser gut mit Zäunen gesichert – doppelte Zäune mit Stacheldraht und dazwischen scharfgemachte Hunde. Die Zäune und die Hunde sollten allerdings nicht nur die Kühlhäuser und den Schlachtbetrieb vor neugierigen Nachforschungen schützen, sondern auch im Falle eines „Betriebsunfalls“ die Menschen in der Umgebung. Es war nicht gerade ungefährlich, was Tom und seine Leute da trieben.

Besonders heikel war die Anlieferung.
Und heute war wieder einmal solch eine Anlieferung. Der heruntergekommene LKW kam im Morgengrauen und dockte an die Schleuse an. Dann wurde die „Rohware“ von der Ladefläche getrieben und herunter gekühlt.
Der Henker parkte Toms Lieferwagen an der Schleuse daneben. Heute würde er etwas warten müssen. Die Anlieferungen gingen zwar meist relativ schnell über die Bühne, aber erst musste die „Rohware“ gesichtet und sortiert werden. Erst dann konnte er mit seinem Handwerk beginnen.
Der Henker wartete drinnen am Sortiergatter und sah zu. Es war eisig kalt hier drinnen und die Männer trugen Handschuhe. Er rauchte noch eine Zigarette, während die ersten unterkühlten Zombies der Qualitätsstufen A und B in die Kühlkammern geschubst wurden. Unterkühlte Zombies können sich kaum noch bewegen…

Eine halbe Stunde später durfte der Henker endlich ans Werk.
Zombies waren untote Menschen und Menschen waren Säugetiere – genau wie Schweine. Kannibalismus war in der menschlichen Ernährung zwar nicht vorgesehen, aber die Zombies waren auch unvorhergesehen über die Menschheit gekommen. Und sie fraßen ebenfalls Menschen. Untote Menschen aßen lebende Menschen und lebende Menschen aßen untote Menschen… Die Welt hungerte nach Fleisch und dieses Fleisch lief überall frei herum, man musste es nur einsammeln...

Der Henker wählte zwei zerlumpte Gestalten von guter Qualität. Gute Qualität hieß „Stufe A“, was bedeutete, dass sie noch frisch tot waren, kaum verwest und für Steak-Fleisch geeignet. Außerdem brauchte er noch ein paar Körper für Wurst und Frikadellen. Hierfür konnte man auch die Verrotteten nehmen…

Majoran war das eine Geheimnis. Majoran war und ist seit je her eine der wichtigsten Zutaten für gute Wurst. Majoran überdeckt nämlich den süßlichen Geschmack der Verwesung.
Der Rest ist Betriebs-Geheimnis.
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