Alpha's Treasure
von Rebecca S
Kurzbeschreibung
Ein Neuanfang war alles was ich wollte, als ich in der 500 Meilen entfernte Colorado zog, fern ab von Familie, unerfüllten Ansprüchen und unschönen Erinnerungen - nur meine Bücher und ich. Dass ich ausgerechnet drei Alpha-Wölfen in die Arme stolpern würde, die mich alles in Frage stellen ließen, was ich jemals über mich und die Welt wusste ... war definitiv nicht geplant. [Reverse Harem] [Fantasy]
GeschichteFantasy, Erotik / P18 / MaleSlash
04.03.2023
20.03.2023
10
33.001
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Dieses Kapitel
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18.03.2023
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Kapitel 9 - Und dann kam alles ganz anders
Meine Augen konnten sich gar nicht sattsehen an dem Anblick, der sich ihnen bot. Noch immer ging mein Atem schnell und flach, angestrengt von den letzten zwei Meilen, die es sehr steil bergauf gegangen war – aber es hatte sich allemal gelohnt.
»Und was denkst du?«, wollte Alistair wissen, der noch immer kein bisschen aus der Puste war.
»Wow«, kommentierte ich die Aussicht. Der dichte dunkle Wald hatte sich zu einer großräumigen Lichtung aufgetan, grüne Sträucher und Büsche säumten das Ufer eines türkisblauen Gebirgssees und im Hintergrund erstreckten sich grau und uneben die nahen Gipfel der umliegenden Berge.
»Das ist ... wow«, wiederholte ich und drehte mich erneut um die eigene Achse. Er strahlte und ging weiter in Richtung Ufer des Sees.
»Freut mich, dass es dir gefällt.« Er ging zielstrebig auf einen breiten Baumstumpf zu und meine Augen wurden noch größer, als er sich vorbeugte und eine große Tasche dahinter hervorholte. Was zum...? Während ich ihn einfach wortlos beobachtete, öffnete er die große Tasche und holte zu meiner großen Überraschung eine Picknickdecke hervor. Ich schluckte.
»Wann hast du das denn hier hoch gebracht?«
»Ich bin sehr oft hier«, entgegnete er nur und breitete die ausladende Decke auf dem Boden aus. »Ich dachte mir, nach dem Marsch könntest du etwas Hunger haben.« Mittlerweile schien die Sonne kräftig zwischen den Wolken hervor, Alistairs Regenprognose war offensichtlich nicht eingetreten. Außer ein paar vereinzelten Vögeln und dem leisen Rauschen des Windes in den Kieferwipfeln, war kein einziges Geräusch zu hören. Dieses Plätzchen mitten im Nirgendwo war Idylle pur. Ich sah mich an einem heißen Sommertag mit einem Buch in der Hand am Ufer liegen und die Stille genießen, was mir ein angenehmes Erschaudern bescherte. Wäre doch nur der Aufstieg nicht so lang ... auf der anderen Seite, wäre er es nicht, würde es hier wahrscheinlich nur so von Menschen wimmeln.
»Setz dich«, meinte Alistair, nachdem er ein halbes Buffet aufgebaut hatte. War das alles in der Sporttasche gewesen? Und schon war die mittlerweile sehr vertraute Nervosität wieder zurück.
Der kleine Jacopo lief auf die Decke und schnupperte neugierig an den Leckereien, die sein Herrchen ausgepackt hatte.
»Die sind nicht für dich«, lachte er und stellte die Brotstangen demonstrativ weiter von ihm weg. Jacopo legte sich demonstrativ ab und starrte eine der anderen Schüsseln an.
»Geh und such lieber deine Freunde«, beschwerte Alistair sich, doch ich musste auch lachen und setzte mich neben den kleinen Hund. Meine Hand auf ihn zu legen und das weiche Fell zwischen den Fingern hindurchgleiten zu lassen, beruhigte mich etwas.
»Zugegebenermaßen bin ich etwas überrascht, dass wir keinen der drei verloren haben.« Er zuckte nur mit den Schultern.
»Wie gesagt, ich bin sehr oft hier. Sie wussten wahrscheinlich die ganze Zeit, wohin wir wollten.« Hm, das ergab irgendwie Sinn.
»Bedien dich bitte. Magst du lieber ein Bier oder Wasser?« Bei dem Wort ‚Bier' dachte ich sofort wieder an Dienstagabend und schüttelte den Kopf.
»Lieber Wasser, danke.« Vor mir ausgebreitet lagen Wassermelone, Erdbeeren, Käsewürfel, kleine Würstchen, Brot, Waffeln, Weintrauben, Cracker und Schokokekse. Ich runzelte die Stirn. Das konnte hier schon unmöglich mehrere Tage stehen. Gab es vielleicht doch einen Weg mit dem Auto hier hoch?
»Erzähl doch mal Henry, wenn du nicht gerade mit mir im Wald sitzt, wie verbringst du deine Wochenenden dann normalerweise?« Er reichte mir eine Flasche Wasser, die ich sehr dankbar annahm, und steckte sich anschließend eine große grüne Weintraube in den Mund. Seine Beine streckte er aus und stützte sich auf einen Ellenbogen, um mich ansehen zu können. Man sah ihm an, wie entspannt er war. Warum konnte ich mich nicht genauso entspannen?
»Nichts spannendes«, versicherte ich ihm. »Ich lese gerne und viel, ab und an kann ich mich auch für ein Videospiel begeistern. Partys sind gar nicht meins und Sport ehrlich gesagt auch nicht wirklich.«
»Gebildet, bescheiden, klug und sexy«, murmelte er. »Eine seltene Kombination.« Das Blut schoss mir ohne Vorwarnung bis unter die Haarspitzen. Hatte er gerade? Nein, hatte er nicht. Hatte er?
»Ich finde nicht, dass ich, also ... äh ... finde ... wegen ... nein.« Ich unterbrach mein klägliches Gestammel, indem ich mir schnell eine saftige Erdbeere zwischen die Lippen schob. Vor lauter Aufregung biss ich viel zu herzhaft in die große Frucht, sodass mir der Saft über die Lippe und am Kinn hinab lief.
»Shit«, nuschelte ich und wischte die Sauerei schnell mit dem Ärmel weg. Als ich Alistairs Blick begegnete, wäre mir die Erdbeere beinahe im Hals stecken geblieben. Seine Gesichtszüge hatten sich verändert; er sah hungrig aus, aber nicht wegen der Erdbeeren. Jacopo sprang entgeistert auf, als Alistair mit einer schnellen Bewegung zu mir rutschte und seinen Platz beanspruchte. Unsere Gesichter waren nun ganz nah beieinander und ich konnte seinen männlichen Duft einatmen. Das Blut rauschte in meinen Ohren und mein Herz schlug unregelmäßig in meiner Brust. Pure Überforderung packte mich und ließ mich zur Salzsäule erstarren.
»Wir können gerne weiter Smalltalk führen, oder du erlaubst mir jetzt, dich endlich zu küssen.« Das letzte Stück Erdbeere rutschte endlich hinunter und ich bekam wieder Luft. Gierig schnappte ich danach, hatte Probleme, meine Sicht richtig scharf zu stellen und war überhaupt nicht mehr Herr über meinen Körper. Alistairs plötzliche und unerwartete Nähe reichte aus, um das bisschen Blut, das nicht in meinen Kopf gestiegen war, südwärts zu treiben.
»Ich ... ähm ...« Mehr Erlaubnis schien er nicht zu brauchen, denn plötzlich spürte ich seine Hand in meinem Nacken und fühlte seinen Atem auf meinem Gesicht, bevor sich seine Lippen auf meine legten. Ein Feuerwerk der Gefühle explodierte in mir und ich wusste nicht, was ich zuerst fühlen sollte, weil alles viel zu mächtig war. Seine Bewegungen waren sanft, die Finger, die mich hielten forschend, aber nicht fordernd. Als wären sie für meine gemacht worden, schmiegten sich seine Lippen an mich und bescherten mir ein brennend heißes Gefühl in meiner Mitte. Ich hatte gedacht, kein Kuss der Welt könnte sich jemals so anfühlen, wie der Kuss, den Devon und ich geteilt hatten. Ich hatte mich geirrt. Seine Hand strich zärtlich von meinem Nacken über mein Schlüsselbein, über mein schnell schlagendes Herz.
»Sh«, machte er an meinen Lippen. »Entspann dich Henry, du schmeckst wundervoll. Wie ein schöner Sommertag am Meer.« Mir war schwindelig, alles um mich herum war verschwommen und die Hitze, die sich in mir aufbaute, nahm verzehrende Ausmaße an. Ich verstand es nicht, nichts davon – warum ich so auf ihn und Devon reagierte, warum sie mich attraktiv fanden, warum mich der Psychologe Nathan Drake genauso aus der Fassung gebracht hatte –, aber ich wollte es. Nie hatte ich etwas mehr gewollt, als ich Alistair Clark in dem Moment berühren wollte. Mutig streckte ich die Hände aus und legte sie auf seine starke Brust, die sich schon durch den Pullover hindurch fantastisch anfühlte. Er übte leichten Druck aus, sodass ich mich nach hinten lehnen musste. Er hörte erst auf, als mein Rücken die Picknickdecke und mein Hinterkopf den Waldboden berührte. Er stützte die Arme rechts und links von mir auf und lehnte sich zu mir. Die körperliche Nähe brachte mich fast um. In meinem Schritt spürte ich, dass der Kuss auch ihn nicht kalt gelassen hatte, seine Beine berührten meine, sein Bauch lag auf meinem, es war beinahe zu viel für mich. Dafür, dass ich bis zu dieser Woche keine Ahnung gehabt hatte, wie sich ein anderer männlicher Körper anfühlte, fühlte es sich verdammt gut an.
»Ich kann mich nicht entscheiden, ob es mich stört oder mich anmacht, dass du mich ansiehst wie ein verschrecktes Reh«, knurrte er und nahm meine Unterlippe zwischen seine Lippen, um sanft daran zu saugen. Ich stöhnte unter ihm und presste mich an ihn. Ein komisches Geräusch war hinter uns zu hören und wir zuckten beide zusammen. Alistair drehte blitzschnell den Kopf und ich hob angestrengt den Oberkörper ein Stück an, gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie Jacopo sich noch das letzte Würstchen aus der Glasschüssel angelte und davon rannte. Von irgendwo tauchten Thea und Willy auf, die sich an seine Fersen hefteten.
Alistairs tiefes Lachen brachte den Boden zum beben und ich konnte nicht anders, als einzustimmen. Wir lachten so herzhaft, dass mir am Ende eine kleine Träne die Schläfe hinablief und mein Bauch schmerzte. Alistair rollte sich von mir runter und schob stattdessen seinen Arm unter meinen Nacken, sodass ich dicht an ihn gekuschelt auf der Decke lag. Über uns schob sich die Sonne an einer der Wolken vorbei, weswegen ich die Augen schließen musste. Ich seufzte zufrieden und glücklich. Das war womöglich der beste Tag meines Lebens.
»Das fühlt sich nicht real an«, murmelte ich.
»Ganz im Gegenteil, ich finde, es fühlt sich sehr real an.« Ich spürte seine warmen Finger, die über meine Wange strichen, bis hinauf in mein Haar, das sie sanft zerzausten. Eine wohlige Gänsehaut überkam meinen Körper. Ich hörte es neben mir Rascheln und kurz darauf wurde ein Schatten über mein Gesicht geworfen, bevor er mich erneut küsste. Unter seinen Berührungen wurde ich weich wie Butter und fühlte mich unheimlich beflügelt. Er fühlte sich so gut unter meinen Fingern an, sein Bartschatten war rau, seine Haut weich, genau wie seine Haare. Hart wurde es erst, wenn man seinen Hals hinabstrich und bei den Schultern ankam, die verrieten, dass er sehr viel Sport treiben musste.
»Warum hast du mich für heute eingeladen?«, murmelte ich zwischen zwei Küssen.
»Darf man einen jungen Mann, den man süß findet nicht auf ein Date einladen?« Die Schmetterlinge in meinem Bauch begannen Samba zu tanzen. Er fand mich ... süß? Das war genug, um mir wieder die Röte ins Gesicht zu treiben. Seine Lippen wanderten über meinen Mundwinkel, meinen Kiefer entlang, zu meinem Hals hinab. Mein Schwanz war steinhart und verlangte verzweifelt nach Aufmerksamkeit.
»Aber«, krächzte ich. »Du ... gibst mir Noten und so.« Leider nahm er das zum Anlass, sich von mir zu lösen, um auf mich herabzublicken. Das leuchtende blau seiner Augen hätte fast ein wenig gruselig sein können, wenn es nicht so wahnsinnig gut zu ihm gepasst hätte.
»Dann solltest du dich was schämen, dass du mich in der Uni zwei Wochen lang mit deinen Blicken ausgezogen und mich angeschmachtet hast.« Sein verschmitztes Grinsen verriet mir, dass er mir nicht wirklich einen Vorwurf machte.
»Ich -«, begann ich, um zu protestieren, dass das gar nicht stimmte, doch ich musste selbst einsehen, dass er verdammt recht hatte.
»Die ganzen Mädchen haben noch viel mehr gemacht, als dich nur mit ihren Blicken auszuziehen«, bemerkte ich und verkniff mir das Stöhnen, als er seine rechte Hand nonchalant unter mein T-Shirt schob und über meine Rippen fuhr.
»Du kannst mir nicht sagen, dass du diese Anziehung zwischen uns nicht auch spürst?« Ich schluckte.
»Offensichtlich, aber es ergibt einfach keinen Sinn. Versteh das nicht falsch, aber ich stehe nicht auf Männer. Und selbst wenn ich auf Männer stehen würde, wäre es völlig unrealistisch, dass jemand wie du, oder ... naja, wie du eben, auf mich stehen könnte.« Er runzelte die Stirn.
»Was ist daran so unrealistisch?« Ich schnaubte und drehte den Kopf weg.
»Du siehst aus wie aus einem Modemagazin, bist sportlich, hast diese Stimme«, ich wurde wieder knallrot. »Okay, vergiss dass ich das gesagt habe, jedenfalls bist du die Definition von sexy. Ich bin ... ich.«
»Du«, begann er und küsste mich erneut, diesmal fordernder als zuvor. Seine Lippen lösten ein brennendes Kribbeln in meinem ganzen Körper aus. »Bist klug, charmant, hast die schönsten schokoladenfarbenen Augen, die ich je gesehen habe und wenn ich so forsch sein darf, dein Hintern sieht aus wie für mich gemacht.« Perplex blinzelte ich zu ihm hoch. Dachte er wirklich so über mich? Vielleicht war es doch gar nicht so schlecht, dass ich diese unpraktische Jeans angezogen hatte.
»Und was den Teil angeht, dass du nicht auf Männer stehst«, ergänzte er. »Das ist mir egal, solange du auf mich stehst.« Ich kicherte verlegen und schob meine Hand in seinen Nacken, um ihn wieder zu mir zu ziehen. Ich wollte ihn am liebsten woanders berühren, aber das traute ich mich nicht. Zuviel Neuland auf einmal war selten eine gute Idee. Stattdessen genoss ich dieses Maß an Nähe, das in jeder Hinsicht viel mehr war, als ich mir jemals ausgemalt hätte. Diese Enthüllungen waren ... schwer zu glauben. Alistair war der zweite Mann in einer Woche der mich küsste und dabei völlig außerhalb meiner Liga spielte. Was hatte es also zu bedeuten, dass er diese seltsam starke Anziehungskraft, die zwischen uns in der Luft hing auch spürte? Immerhin hatte ich noch nie etwas vergleichbares gefühlt.
»Du denkst zu viel nach«, bemerkte er in dem Moment und tippte mir gegen die Stirn. »Außerdem hast du noch gar nichts gegessen.« Er richtete sich etwas auf und griff hinter sich. Kurze Zeit später hielt er mir eine Traube an die Lippen. Ich konnte mir das Lächeln nicht verkneifen, ehe ich den Mund öffnete und das Obst entgegennahm. Sein Blick verdunkelte sich.
»Vorsicht Henry, dein Blick ist purer Sex. An deiner Stelle würde ich meine Selbstbeherrschung nicht zu sehr herausfordern.« Verlegen schaute ich zur Seite, obwohl es mir nicht wirklich leidtat.
Alistair fütterte mich abwechselnd mit Obst und Käse und erzählte mir dabei ein wenig über den Wald, in dem wir uns befanden. Er nannte mir die Namen der umliegenden Berge und erklärte, dass viele der Baumarten hier gar nicht heimisch waren, sondern dass erst der Forstbetrieb der Menschen sie hierher gebracht hatte. Um ehrlich zu sein, hätte er mir auch die Anatomie einer Ameise erklären können, solange ich nur weiter seine tiefe beruhigende Stimme hören durfte. Zu meiner großen Schande bemerkte ich, wie sich mein Körper immer weiter entspannte und meine Augenlider begannen, schwer zu werden.
»Du bist müde«, bemerkte er und legte sich wieder neben mich. Er zog mich so, dass mein Kopf auf seiner Schulter lag und die Sonne nun uns beiden ins Gesicht schien. Ich machte ein verneinendes Geräusch, was ihn zum lachen brachte.
»Mach doch ein bisschen die Augen zu, immerhin wirst du Energie brauchen, wenn wir zum Auto zurückgehen.«
»Nein ... so schön ... ich will nicht, dass du dich langweilst«, murmelte ich und schmiegte mich trotzdem enger an ihn.
»Glaub mir«, flüsterte er an meinem Ohr und gab mir einen sanften Kuss auf den Haaransatz. Der Schlaf streckte bereits die Finger nach mir aus. »Jahrhunderte des Herumrennens sind pure Langeweile im Vergleich dazu, dich im Arm halten zu dürfen.« Das waren die Worte, die mich in einen schnellen, traumlosen Schlaf begleiteten.
Ich wurde erst wieder wach, als Alistair mir sanft über die Schulter strich.
»Aufwachen«, flüsterte er, was mich langsam aus meinem dichten warmen Mantel des Schlafes zurückholte. Ich gab ein wohliges Seufzen von mir und kuschelte mich noch einmal enger an diesen wohltuenden starken Körper, der neben mir lag. Ein tiefes leises Brummen ließ mich lächeln. Das musste wirklich der beste Tag meines Lebens sein.
»Es tut mir leid dich zu wecken, aber wenn wir nicht doch noch nass werden wollen, sollten wir so langsam zurück zum Auto laufen.«
»Wie lange habe ich geschlafen?«, erkundigte ich mich und setzte mich langsam auf.
»Nur knapp eine Stunde«, lächelte er und ich schaute ihn schockiert an.
»So lange? Das tut mir leid, so war das nicht gedacht.« Peinlich berührt fuhr ich mir mit den Fingern durchs Gesicht. Hoffentlich hatte ich weder geschnarcht, noch gesabbert. Er hielt mir meine angebrochene Wasserflasche hin.
»Mach dir keine Gedanken, ich habe jede Sekunde genossen.« Das musste eine Lüge sein. Niemand schaute freiwillig einem anderen Menschen eine ganze Stunde beim schlafen zu. Obowohl... während ich die Flasche ansetzte, betrachtete ich ihn und malte mir aus, wie sein schönes Gesicht wohl aussah, wenn es friedlich schlummerte. Hm, eventuell hatte er doch nicht gelogen.
Während ich noch damit beschäftigt war, alle Systeme vollständig hochzufahren, begann er damit, die Schüsseln wieder in die Tasche zu räumen und scheuchte mich von der Decke, um sie aufzurollen.
Etwas unsicher kam ich auf die Füße. Der Verdacht beschlich mich, dass ich alles nur geträumt hatte; die Küsse, die Zärtlichkeiten, die Vertrautheit... Als hätte er meine Gedanken gehört, kam er auf mich zu und zog mich an sich. Ich schnappte nach Luft, als ich seinen starken Körper vor mir spürte.
»Lass mich dir kurz auf die Sprünge helfen«, raunte er und presste seine Lippen auf meine. Er schmeckte so unbeschreiblich gut. Ich schlang die Arme um ihn und lehnte mich in den Kuss, als er sich plötzlich versteifte. Ich runzelte die Stirn und zog den Kopf zurück.
»Was ist -« »Sh!«
Wie in Zeitlupe ließ er langsam die Arme sinken und machte einen großen Schritt von mir weg. Seine Augen richteten sich über meinen Kopf hinweg auf einen Punkt in der Ferne. Ich drehte mich herum und blickte in die gleiche Richtung wie Alistair, ohne dass mir irgendetwas ungewöhnliches auffiel.
»Alistair?«, flüsterte ich. »Was ist los?« So angespannt hatte ich ihn definitiv noch nie gesehen.
»Das ist unmöglich«, hauchte er. »Das würden sie nicht wagen.« Ich verstand überhaupt nichts, aber die aufrichtige Panik, die sich zu der Wut in seiner Stimme mischte, machte mir Angst. Seine Augen flackerten kurz zu mir.
»Hör mir jetzt gut zu Henry -« »Was ist los?« »Hör mir zu! Egal was passiert, ich will dass du dich nicht von der Stelle rührst. Versuch nicht wegzulaufen, Verstärkung ist auf dem Weg. Sag mir, dass du das verstanden hast«, zischte er und blickte mir kurz aber eindringlich in die Augen.
»Ich verstehe überhaupt nichts!« Ein flaues Gefühl machte sich in meinem Bauch breit und ich spürte, wie seine Angst mich ansteckte.
»Ihr geht zu weit! Ihr habt die Grenze überschritten, das hier ist unser Revier!« Ich zuckte zusammen bei den laut gesprochenen Worten und versuchte wieder zu erspähen, wohin Alistair blickte. Mein Herz gab drei wuchtige Schläge von sich, ehe es innehielt. Ich spürte, wie mein Körper begann Adrenalin auszuschütten, als ich den riesigen Wolf am anderen Ende der Lichtung erblickte. Er war wirklich riesig. Selbst auf die Entfernung konnte ich erkennen, dass er größer war als jedes Tier, dass ich jemals in einer Doku gesehen hatte.
»Scheiße!«, stieß ich aus. Gab es Wölfe hier? Offensichtlich. Ich war auch gar nicht auf die Idee gekommen zu recherchieren, welche Raubtiere es hier gab. Trotzdem wusste ich genug über Wölfe, um zu wissen, dass ein gesunder Wolf normalerweise keine Menschen angreifen würde. Wo waren eigentlich Thea, Willy und Jacopo? Panisch blickte ich mich um.
»Oh nein, wo sind die Hunde?«, fragte ich panisch und war bereit loszustürzen, auf der Suche nach den drei ahnungslosen Tieren. Alistairs Hand schnellte vor und packte mich am Handgelenk.
»Nicht. Sie sind in Sicherheit«, knurrte er und für den Bruchteil einer Sekunde spielte das Licht mir einen Trick und ließ es so aussehen, als hätten seine Augen gelb aufgeleuchtet.
»Ich glaube nicht, dass es hilft, wenn du mit ihm redest. Wir sollten das Essen stehenlassen und weglaufen«, schlug ich flüsternd vor. Er schüttelte knapp den Kopf und ließ mein Handgelenk los.
»Sie sind nicht wegen des Essens hier.« Sie? Ich blickte wieder ans Ende der Lichtung und spürte direkt meinen Puls in die Höhe schnellen. Der erste Wolf war am Waldrand stehengeblieben, aber zwei andere hatten sich an seinen Flanken zu ihm gesellt. Sie waren genauso groß wie der erste. Hier stimmte etwas ganz und gar nicht.
»Das ist eure letzte Chance, kehrt um und kommt nie wieder hierher«, rief er. Was zur Hölle versprach er sich davon!? Es war ja gut und schön, dass er an die Macht der Natur und den ganzen Blödsinn glaubte, aber das war nicht der richtige Moment für sowas. Wie als Antwort, machte der erste Wolf einen großen Schritt vor auf die Lichtung. Die anderen beiden folgten. Oh fuck!
Alistairs Blick fiel wieder auf mich.
»Henry, es tut mir sehr leid. Ich wollte wirklich, dass du es auf anderem Wege erfährst.« Mir wurde schwindelig. Wovon sprach er!?
»Wovon zur Hölle sprichst du!?« Er richtete seine eisblauen Augen wieder auf den monströsen Wolf und machte ebenfalls einen Schritt in seine Richtung. Was sollte das werden?
»Alistair!« Ich folgte ihm und griff nun meinerseits nach seinem Arm.
»Bleib zurück, Henry. Und denk daran, was ich dir gesagt habe. Bitte!« Das letzte Wort sprach er dermaßen flehend aus, dass meine Hand automatisch in der Bewegung erstarrte. Unsicher machte ich einen Schritt zurück. Irgendetwas entging mir, etwas sehr wichtiges, was Alistairs Verhalten hoffentlich erklären würde.
Ich blinzelte panisch, während Alistair vor meinen Augen in die Höhe wuchs. Was für einen Streich spielte mein Verstand mir da? Ich spürte die Galle in mir aufsteigen, während ich definitiv sah, wie der schwarzhaarige Mann größer wurde und sich ausdehnte, seine Beine beulten sich aus, die Schultern spannten so sehr, dass sein Pullover zerriss und Haare, die genauso schwarz waren wie die auf seinem Kopf schossen überall auf seinem Körper hervor. Er fiel nach vorn, doch statt auf seinen Händen landete er auf zwei riesengroßen Pfoten.
Schwarze Punkte tanzten vor meinen Augen und ich stolperte rückwärts. Direkt vor mir stand ein unnatürlich großer, pechschwarzer Wolf, mit langem Fell, einem buschigen Schwanz und riesigen Pranken. Genau da, wo vor wenigen Sekunden noch Alistair gestanden hatte. Mein Sichtfeld verschwamm. Mein Hirn war nicht in der Lage zu verarbeiten, was ich gerade gesehen hatte.
Ein riesiger schwarzer Kopf drehte sich in meine Richtung und über seine Schulter hinweg, blickte der riesige Wolf mich mit stechenden gelben Augen an.
Die einzige rationale Reaktion, die mein Gehirn zustande brachte, war: Lauf!