Göttin des Mondes (Der heidnische Aspekt #2)
Kurzbeschreibung
Sherwood ist ein wahrlich magischer Ort. - Zeitrahmen: Diese Geschichte spielt im Winter vor der Episode „Der Hinterhalt (The Greatest Enemy)“ und schließt direkt an die Geschichte "König Narr" an.
GeschichteAllgemein / P16 / Gen
Guy of Gisburne
John Little "Little John"
Nasir
Robin of Loxley / Robert of Huntingdon
Tuck
02.03.2023
02.03.2023
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Wenn Robin tatsächlich dem Glauben schenken würde, was Will ihm in all seiner – wenn auch trunkenen – Hartnäckigkeit klarzumachen versucht hatte, dann war vor zwei Tagen der Teufel über sie gekommen. Aber weil sie partout nicht auf Scarlet hören wollten – und weil er selbst damit beschäftigt war seine kostbaren Vorräte an Met zu schützen, wenn auch ganz auf Scarlets Art und Weise – waren sie diese Heimsuchung nicht wieder losgeworden. Dies hatte Will dazu veranlasst, sich auch weiterhin den Met einzuflößen – damit der Eindringling auf keinen Fall die Gelegenheit erhielt sich daran zu vergreifen – da ja niemand auf ihn hören wollte.
Sein Verhalten hatte dann allerdings dazu geführt, dass Robin und John sich auf den Weg machen mussten, um für Nachschub zu sorgen, vor allem weil der Anführer der Gesetzlosen befürchtete, dass sie anderenfalls mit einem Blutbad in ihrem Unterschlupf rechnen mussten. Wenn Will auch nur ein kleines bisschen nüchterner werden würde, konnte dies durchaus entweder dessen Tod nach sich ziehen oder den des Gastes, der so überraschend bei ihnen aufgetaucht war. Niemand der Robin kannte, würde davon ausgehen, dass dieser so etwas wie ein Blutbad erleben wollte, vor allem nicht an Weihnachten. Einmal, weil dies – seiner Meinung nach – keine Situation war, in die selbst der hartgesottenste Gesetzlose – aber auch der kaltherzigste Ritter – während dieser so speziellen Zeit geraten wollte. Mal abgesehen davon, dass Robin sich nicht als hartgesotten ansah und er – zu seiner Überraschung – hatte feststellen müssen, dass der andere Mann auch nicht wirklich kaltherzig war. Zumindest nicht zu jeder Zeit.
Der Hauptgrund für seine Abneigung, ein Blutbad betreffend, war allerdings die Tatsache, dass es für die Dörfer in Nottinghamshire eine heftige Geldstrafe nach sich ziehen würde, sollte ihr Gast sein Leben verlieren. Dabei würde es völlig unerheblich sein, ob man seine Leiche jemals finden würde oder nicht.
Aus diesem Grund war es notwendig geworden mehr Met heranzuschaffen. Auch wenn Robin sich – genau wie John – etwas Besseres vorstellen konnte als durch Eis und Schnee zu stapfen. Auf der anderen Seite hatten sie bei dieser Gelegenheit auch noch einige der anderen Vorräte ergänzen können, was auch Wild beinhaltete, das ihnen praktischer Weise vor die Füße gestolpert war. Sie hatten nicht lange überlegen müssen, um es von seinem Leid zu erlösen, denn es hätte nicht mehr lange überlebt. Der englische Winter war nichts für das Wild, welches die Normannen aus südlicheren Gefilden einzig für ihr Jagdvergnügen in die königlichen Parks gebracht hatten.
Diese glückliche Begebenheit hatte sich auf dem Rückweg ereignet, wobei Robin sich in der Hinsicht vor allem darüber freute, dass die Sonne – wenn sie denn mal zwischen den Wolken hervorlugte – gerade erst ihren Höchststand erreicht hatte. Was bei den derzeitigen kurzen Tagen nichts anderes bedeutete, als dass er und John wirklich die Beine in die Hand genommen hatten. Dabei waren sie nicht nur von der Hoffnung angetrieben worden, sich bald wieder am Feuer aufwärmen zu können, sondern auch davon, dass Tuck in der Zwischenzeit bereits für ein herzhaftes – und schmackhaftes – Mahl gesorgt hatte. Robin durfte allerdings nicht leugnen, dass es ihnen nur möglich war, so schnell wieder zurückzukehren, weil der ehemalige Schäfer im Herbst einen Schlitten gebaut hatte, der jetzt eine sehr große Hilfe darstellte. Es war viel einfacher die Vorräte über den Schnee zu ziehen als sie mühsam auf dem Rücken zu schleppen.
Als sie am frühen Morgen loszogen, da fiel Schnee, was dafür gesorgt hatte, dass ihre Spuren schon sehr schnell nicht mehr zu sehen waren. Robin empfand es allerdings als Glück, dass es inzwischen wieder aufgehört hatte zu schneien, denn dies erleichterte ihnen das Fortkommen erheblich. Er sah es aber auch als Glück an, dass dies erst geschehen war, als sie sich bereits wieder tief im Wald befanden und es nicht mehr allzu weit bis zu ihrem Unterschlupf war.
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Als Robin dann endlich durch den Eingang der Höhle treten konnte – wobei er in jeder Hand einen Krug Met trug – fiel sein Blick als erstes auf ihren Gast, der – in einen warmen Umhang gehüllt – an einer der Wände lehnte und ganz offenbar schlief. Erneut verspürte der Anführer der Gesetzlosen Erstaunen darüber wie friedlich das Gesicht des Ritters wirkte, aber auch darüber, dass der andere Mann es tatsächlich wagte in der Gegenwart seiner ärgsten Feinde zu schlafen. Konnte dies wirklich daran liegen, dass diese Tage eine besondere Zeit darstellten oder gab es einen anderen Grund für das Verhalten des Ritters? Auf diese Frage hatte Robin noch keine zufriedenstellende Antwort gefunden, allerdings wollte er auch nicht ausschließen, es könne etwas mit der Tatsache zu tun haben, dass der Ritter selten Anzeichen von Furcht zeigte und diese Situation hier ganz offenbar keine der wenigen Ausnahmen war.
Nachdem Robin seine Augen – und seine Gedanken – von ihrem Gast lösen konnte, ließ er seinen Blick über die übrigen Personen schweifen, die sich in der Höhle aufhielten, weil John und er auf jeden Fall deren Hilfe benötigen konnten. Nachdem sie den schweren Schlitten durch den Wald gezogen hatten, sah er nicht ein, dass sie ihn auch noch allein entladen sollten.
Tuck war gerade damit beschäftigt etwas von dem Eintopf, der über dem Feuer köchelte, in Schalen zu füllen, was Robin bereits das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ, obwohl er wusste, dass es noch eine Weile dauern würde, bis er sich zum Essen niederlassen konnte. Will hatte sich, so weit wie es ihm möglich war, von ihrem Gast entfernt niedergelassen, wobei er einen Krug Met in seinen Armen hielt, als wäre es sein Erstgeborenes. Marion indessen befiederte mit geschickten Fingern Pfeile – denn diese wurden immer in großen Mengen benötigt - während Nasir sich – wie so oft – seinen Schwertern widmete und gleichzeitig ihren Gast im Auge behielt. Von Much war hingegen nichts zu sehen.
„Ihr seid zurück“, rief Marion erfreut aus, als sie Robins ansichtig wurde. Er konnte ihr ansehen, dass sie am liebsten sofort aufgesprungen wäre, trotzdem dachte sie daran, ihre Arbeit vorsichtig zur Seite zu legen, um nicht zu zerstören, was sie geschafft hatte.
Tuck war es natürlich auch nicht entgangen, dass sie die Höhle betreten hatten, aber er blickte nur einmal kurz auf, ohne dabei seine Tätigkeit zu unterbrechen und daher schien es, als ob er seine Worte an den Eintopf richtete. „Ihr habt Euch aber beeilt, ich hatte noch nicht mit euch gerechnet.“
„Find‘ ich gut, dass du trotzdem das Essen schon fertig has‘, Tuck“, gab John zurück, der – schwerbeladen - hinter seinem Anführer die Höhle betreten hatte. „Kanns‘ mir ja jetz‘ eine Hand leih‘n?“
„Tut mir leid, John, aber ich brauche meine Hände noch“, kam die prompte Antwort von dem Mönch und löste damit eine untypische Reaktion bei Will aus, der völlig unerwartet in ein Kichern ausbrach, was dazu führte, dass sich sofort die Blicke aller – mit Ausnahme von dem des Gastes – auf ihn richteten.
„Frag ihn“, nuschelte Will und zeigte mit einer Hand auf den schlafenden Ritter, während die andere den Metkrug sicherte. „Hat bestimm‘ en paar Hände übrig.“ Der ehemalige Soldat kicherte ein weiteres Mal, bevor er sich wieder seinem Krug widmete.
„Will!“, unternahm Marion einen Versuch ihn zu ermahnen, aber es fiel ihr natürlich sofort auf, dass dies völlig sinnlos war, denn der andere hörte ihr schon nicht mehr zu.
„Lass es sein, kleine Blume“, brachte Tuck sich ein. „Du siehst doch, dass keiner zu ihm durchdringen kann. Nicht in seinem derzeitigen Zustand.“ Da der Mönch offenbar mit dem fertig war, was er gerade getan hatte, erhob er sich und bewegte sich auf John zu, wobei er acht gefüllte Schalen neben dem Feuer zurückließ.
„Gib mir das John, ich bringe es nach hinten“, schlug Tuck dem bärtigen Riesen vor, wartete aber dann nicht ab, was der dazu sagen wollte, sondern nahm ihm direkt ab, was dieser hereingeschleppt hatte. „Ich kann die Gelegenheit dann auch nutzen, um Much nach vorne zu schicken.“
John entledigte sich nur zu gerne seiner Last, aber nur, um sich direkt wieder nach draußen zu begeben und die nächsten Vorräte zu holen.
„Nasir“, wandte Robin sich an seinen sarazenischen Freund, „auf dem Schlitten befindet sich auch Wild.“ Es war nicht nötig, dass er mehr dazu sagte, denn der andere wusste auch so, was er wollte. Er hatte seinen Wetzstein bereits in der Gürteltasche verstaut, bevor sein Anführer den Satz beendet hatte und ließ dann seine Schwerter in ihren Scheiden verschwinden, während er sich erhob. Es hatte nur einen kurzen Moment gedauert, bevor er sich nach draußen begab.
Robin stellte die beiden Krüge nicht weit von Scarlet entfernt vor der Höhlenwand ab und begab sich dann ebenfalls wieder nach draußen. Dabei bekam er gerade noch aus den Augenwinkeln mit, dass Much aus dem hinteren Teil der Höhle zurückgekehrt war und er hoffte, sein Bruder werde von selbst auf die Idee kommen ihnen zur Hand zu gehen. Selbstverständlich wusste er, jeder habe seinen Teil beizutragen, damit sie überleben konnten, aber manchmal vergaß er, was dies beinhaltete und dann war Robin gezwungen, ihn daran zu erinnern. Dies tat er nicht gerne, denn er versuchte immer zu vermeiden den Jüngeren auf diese Weise vor den anderen Gesetzlosen bloßzustellen. Schließlich war Much kein Kind mehr, sondern inzwischen zu einem Mann herangewachsen. Zu Robins Leidwesen benahm sein Bruder sich aber nicht immer so.
Im nächsten Augenblick dachte er allerdings nicht länger über Much nach, denn er musste Nasir dabei helfen die Jagdbeute zu schultern und anschließend schnappte er sich selbst auch wieder etwas, um es in die Höhle zu bringen. In der Zwischenzeit war John ebenfalls wieder – schwerbeladen - in ihrem Unterschlupf verschwunden, genau wie Tuck und Marion und in dem Moment wurde Loxley doch wieder an seinen Bruder erinnert, denn dieser war bisher nicht erschienen, um etwas vom Schlitten zu holen, was Robin dazu brachte unwillig die Stirn zu runzeln.
Als er seiner ansichtig wurde – nachdem er in die Höhle zurückgekehrt war – wollte er ihn gerade ermahnen, aber noch bevor er den Mund geöffnet hatte, stellte er fest, aus welchem Grund der andere sich ihnen noch nicht angeschlossen hatte. Er konnte ihn nämlich dabei beobachten, wie er eine der von Tuck gefüllten Schalen neben dem Ritter absetzte – wobei er sich bemühte, dem Mann nicht näher als unbedingt nötig zu kommen - der offenbar von dem Kommen und Gehen geweckt worden war. Und dann hatte ihn wohl der köstliche Geruch des Essens erreicht, dem sich auch Loxley nicht entziehen konnte.
Robin hätte auch gerne jetzt schon etwas gegessen, aber ihm war bewusst, dass zuerst alles in die Höhle gebracht werden musste, was sich auf dem Schlitten befand. Dabei hätte der Ritter auch eine Hilfe sein können, aber der Mann war schließlich ihr Gast und darüber hinaus wollte Robin keinen Streit mit ihm vom Zaun brechen, denn der andere hatte sich während der letzten beiden Tage außerordentlich – und unerwarteter Weise - friedlich verhalten. Davon abgesehen hatte Much sich gerade auf den Weg nach draußen gemacht, daher verzichtete Robin darauf irgendetwas von sich zu geben. Manchmal war es besser zu schweigen.
Der Ritter war auch nicht der einzige, der nicht dabei mithalf die Vorräte in den hinteren Teil der Höhle zu schaffen, aber für Will galt ebenfalls, dass er sich –für seine Verhältnisse – friedlich verhielt und daran wollte Robin auf keinen Fall rühren. Anderenfalls hätte er sich nicht die Mühe machen müssen seinen hitzköpfigen Freund mit weiterem Met zu versorgen. Leider war dies der einzige Garant dafür, dass sich an Scarlets Verhalten nichts änderte. Es war sowieso schon erstaunlich, dass er es in einer Höhle mit ihrem Gast aushielt. In der Tat hatte Robin sich schon ausgiebig bei Herne für dieses Wunder zu Jul bedankt, denn er nahm dies nicht als etwas Selbstverständliches an.
Als Robin sich ein weiteres Mal nach draußen begab, um noch etwas zu holen, musste er feststellen, dass es wieder zu schneien begonnen hatte, daher war er froh, dass John jetzt in der Lage war den leeren Schlitten ebenfalls in die Höhle zu schaffen. Vor allem, weil dies bedeutete, dass sie sich nun alle um das Feuer versammeln konnten, um das Essen zu genießen.
Tuck war in der Zwischenzeit nicht untätig geblieben, denn er hatte den Inhalt der bereits gefüllten Schüsseln wieder in den großen Topf zurückgeschüttet, nur um anschließend die Schalen mit heißem Eintopf zu füllen. Diese hatte er schon wieder verteilt und Robin war nun tatsächlich der letzte, der eine erhielt. Er ließ sich erschöpft neben dem Feuer auf eines der ausgelegten Felle sinken und dann war das einzige, was ihm in der nächsten Zeit wichtig war, das warme Essen und das angenehme Gefühl, das sich – von seinem Bauch ausgehend – in seinem Körper ausbreitete. Dies füllte ihn – im wahrsten Sinne des Wortes – völlig aus.
„Noch mehr?“ Tucks Frage unterbrach Robins Beschäftigung mit seinem eigenen Wohlergehen, aber natürlich lehnte er den Vorschlag nicht ab und hielt gleich darauf eine weitere Schüssel des köstlichen Eintopfs in Händen. Deren Inhalt verschwand genauso schnell in seinem Bauch wie der der ersten. Erst danach war der Anführer der Gesetzlosen der Meinung wieder in der Lage zu sein sich seiner Umgebung zu widmen. Dabei fiel ihm als erstes auf, dass er außer den Geräuschen, die die anderen beim Essen von sich gaben, nichts weiter hören konnte. Dies machte einen außerordentlich friedlichen Eindruck auf ihn, was ihm sehr gut gefiel und was er vorhatte, solange wie möglich auszukosten, denn solche Momente gab es in seinem jetzigen Leben nur selten.
„Hätte der König Narr ebenfalls Interesse an einer weiteren Schüssel von Tucks köstlichem Eintopf?“, erkundigte er sich daher gutgelaunt bei ihrem Gast, aber als er daraufhin nichts hörte – weder ein Ja noch einen empörten Protest – hob er seinen Kopf abrupt an, um festzustellen, was mit dem Ritter los war.
Ein Blick reichte ihm dann, um das Gefühl des Wohlbefindens und des Friedens auf der Stelle verschwinden zu lassen und stattdessen durch das schreckliche Gefühl kommenden Unheils zu ersetzen. Dies lag einzig daran, dass an der Stelle, an der der Ritter die ganze Zeit über gesessen hatte, jetzt nur noch der dicke Umhang lag, in den er sich gehüllt hatte.
„Wo ist Gisburne?“, wollte Robin von seinen Freunden wissen.
„Da vorn‘“, kam von John, der sich in diesem Moment noch einen Nachschlag geholt hatte, dem er nun seine ganze Aufmerksamkeit widmete.
„Nein“, brachte Robin nur hervor, während er sich erhob, aber nur langsam, denn das warme, reichhaltige Essen hatte bereits seine Wirkung entfaltet.
„Wahrscheinlich musste er einmal nach hinten gehen“, äußerte Marion ihre Meinung, ohne ihre Augen von ihrer eigenen Schale zu nehmen.
Da ihr Vorschlag durchaus etwas für sich hatte, machte Robin sich auf den Weg nach hinten, wo sich nicht nur ihre Vorratskammer befand, sondern es in einer separaten kleineren Höhle auch die Möglichkeit gab sich zu erleichtern, ohne nach draußen gehen zu müssen. Obwohl Loxley davon ausging, dass der Ritter bestimmt nicht darüber begeistert wäre, ausgerechnet dort von jemandem überrascht zu werden, war er trotzdem bereit sich seiner Empörung zu stellen. Zu seinem Leidwesen war aber von dem anderen Mann nichts zu sehen.
In der Zwischenzeit war es dem Gesetzlosen gelungen die Lethargie wieder abzuschütteln, in die ihn das üppige Essen versetzt hatte und innerhalb weniger Augenblicke war er zurück am Feuer. Dort fiel sein erster Blick auf Nasir, der sich ebenfalls erhoben hatte und in diesem Moment den Umhang des Ritters in Händen hielt. Darunter hatte offensichtlich die übrige Kleidung des Mannes gelegen, die nun zum Vorschein gekommen war. Dies ließ Robin vor Entsetzen auf keuchen, was dann dazu führte, dass auch alle anderen von ihrem Essen aufblickten.
„Was?“, war alles, was John in seiner Verblüffung hervorbrachte, während Will erneut in das für ihn so untypische Kichern verfiel.
„Wurd‘ auch Zeit“, war aber alles, was er sagte.
„Ist das … seine gesamte Kleidung?“, wollte Marion von Nasir wissen, was den Sarazenen dazu veranlasste mit seinem Fuß in dem Haufen zu wühlen. Anschließend nickte er, was Robin mit einem noch größeren Gefühl von Unheil erfüllte.
„Aber wo ist er?“, stellte Tuck die Frage, die auch für den Anführer der Gesetzlosen in diesem Moment wesentlich war.
„Hier sind Spuren“, teilte Nasir ihnen mit, während er auf den Ausgang der Höhle zeigte.
Obwohl Robin sich direkt neben dem Feuer befand, brach ihm mit einem Mal der kalte Schweiß aus.
„Er ist ohne Kleidung raus?“ Marion war nicht in der Lage den Unglauben aus ihrer Stimme herauszuhalten.
„Wird sein hitzig‘s Gemüt ’was abkühl’n“, nuschelte Will zwischen zwei Schlucken Met, offenbar völlig zufrieden mit seiner Einschätzung der Lage.
„Täte dir auch ganz gut“, schnappte Robin, aber seine Bemerkung prallte ohne jede Auswirkung an seinem Freund ab.
„Er wird erfrieren“, wandte der Anführer der Gesetzlosen sich jetzt an die anderen, aber ihm entging in diesem Moment, dass er das Offensichtliche ausgesprochen hatte, denn dieser Gedanke musste seinen Freunden ebenfalls gekommen sein.
Es war erneut Will, der meinte darauf antworten zu müssen. „G’schieht em recht“, brachte er mit einem fiesen Grinsen hervor.
Robin schüttelte verzweifelt den Kopf. „Wir müssen ihn suchen. Auf der Stelle!“, versuchte er die anderen aufzurütteln, die alle – genau wie er selbst nur kurze Zeit zuvor – mit den Nachwirkungen des guten Essens zu kämpfen hatten.
Alle bis auf Nasir, der sich schon fertig gemacht hatte, um die Höhle verlassen zu können. Er warf Robin nur noch einen kurzen Blick zu, bevor er im fallenden Schnee verschwand, um – wie sein Freund annahm - nach weiteren Spuren zu suchen.
Nun beeilte Loxley sich ebenfalls die Höhle zu verlassen, damit er seinen sarazenischen Freund unterstützen konnte, auch wenn ihm durchaus bewusst war, dass der andere am besten – und auch ohne Hilfe – dafür geeignet war den Ritter aufzuspüren. Zur gleichen Zeit zerbrach Robin sich den Kopf darüber, wieso Gisburne die Höhle völlig nackt verlassen hatte. Im Winter, während Schnee fiel. Weil dem Gesetzlosen in dieser Hinsicht aber überhaupt nichts einfiel, schob er seine Überlegungen erst einmal zur Seite, auch weil sie ihm in der jetzigen Situation keine Hilfe wären.
In der Zwischenzeit hatten sich auch die anderen endlich aufgerafft und erschienen – in ihre dicken Umhänge gehüllt – im Eingang der Höhle. In diesem Moment wurde es Robin klar, dass es nichts bringen würde, wenn sie jetzt alle ins Freie stürzten. Er musste nun etwas Ordnung in die ganze Angelegenheit bringen.
„Tuck, du bleibst hier. Bereite bitte alles für den Zeitpunkt vor, wenn wir mit Gisburne zurückkehren.“ Der Mönch nickte, löste seinen Umhang und verschwand wieder nach drinnen.
„Much, du hilfst Tuck, bitte!“ In dem Moment fiel Robin auf, dass sein Bruder zwar nach draußen gekommen war, sich aber nicht bereit gemacht hatte, um in den Wald zu gehen. Außer ihm gab es nur eine Person, die sich offenbar auch nicht darum scherte, was mit Gisburne geschehen war, aber von Scarlet hatte Robin das auch nicht erwartet. Gerade wollte er allerdings noch etwas zu Much sagen, dessen Verhalten ihn verwirrte, als ihm aufging, dass dies jetzt nichts bringen würde. Daher beschloss er dieses Gespräch auf später zu verschieben.
„John, Marion, wir bleiben erstmal zusammen. Wir müssen erst einmal abwarten, was Nasir findet.“ Die beiden bekundeten ihm ihre Zustimmung mit einem Nicken, bevor sie sich gemeinsam auf die Lichtung begaben.
Der Sarazene kam ihnen aber auch schon wieder entgegen und schüttelte seinen Kopf, bevor Robin die Gelegenheit erhielt ihn etwas zu fragen.
„Er ist fort. Seine Spur führt nach dort.“ Der andere Mann zeigte mit einem Arm in die entsprechende Richtung. Daran anschließend richtete Nasir seinen Blick gen Himmel, wobei er sich nicht anmerken ließ, ob er die Schneeflocken, die auf seinem Gesicht landeten, als unangenehm empfand. Robin wurde sofort klar, dass er ihm auf diese Weise sagen wollte, dass der Schnee die Fußabdrücke, die der Ritter hinterlassen haben musste, bereits wieder bedeckt hatte.
An der Stelle kam Robin nicht darum herum, sich die Frage zu stellen, wie lange er sich mit seinem Essen beschäftigt hatte. Wieviel Zeit war seit dem Moment vergangen, als er Gisburne das letzte Mal in der Höhle gesehen hatte, wie er seinen Eintopf aß? Seine Schüssel hatte zumindest leer neben dem Umhang gestanden, also hatte er alles gegessen, bevor er auf die Idee kam, sich nackt in den Schnee hinauszubegeben.
Nun warf Loxley ebenfalls einen Blick in den Himmel, aber nur um festzustellen wie weit der Tag schon fortgeschritten war. Noch war es hell, aber seiner Meinung nach konnte die Dämmerung nicht mehr weit entfernt sein. Und wenn sie den Ritter bis dahin nicht gefunden hatten, dann … Weiter wollte Robin diesen Gedanken nicht spinnen, aber er konnte sich vor dieser Erkenntnis nicht drücken.
„Wir müssen ihn finden, bevor es dunkel wird“, äußerte er, was für alle offenkundig sein musste, aber nur, weil er nicht wusste, wie er sonst auf das Geschehene reagieren könnte. „Er kann noch nicht weit gekommen sein.“ Letzteres war mehr ein Wunsch als seine ehrliche Einschätzung der Lage.
„Was hatten dazu g‘bracht? Idiot!“, knurrte John. Naturgemäß war er nicht begeistert darüber, dass er die Höhle an diesem Tag bereits zum zweiten Mal verlassen musste.
„Ich weiß es nicht, John, aber es ist jetzt auch nicht wichtig,“, erwiderte Marion und Robin nickte unwillkürlich, denn das war auch seine eigene Ansicht.
„Wir können uns mit dem Grund für all das später beschäftigen. Zuerst müssen wir ihn finden und zwar bevor er erfroren ist“, äußerte Robin seine Meinung, obwohl er davon ausging, dass den anderen das ebenfalls bewusst war.
Zu diesem Zeitpunkt hatte Nasir sich bereits wieder umgewandt, um sich in die Richtung zu bewegen, die er ihnen eben angezeigt hatte. Die anderen drei folgten ihm auf der Stelle, denn das war das Beste, was sie in dieser Situation tun konnten. Allerdings waren sie noch nicht sehr weit in den Wald eingedrungen, als der Sarazene schon wieder anhielt. Nachdem sie zu ihm aufgeschlossen hatten, sahen sie auch den Grund dafür. Keinem von ihnen konnte entgehen, dass die Schneedecke, die sich vor ihnen ausbreitete, unversehrt zu sein schien. Verzweiflung drohte Robin zu übermannen, aber er war niemand, der sich von so etwas aufhalten lassen wollte. Und seine Freunde auch nicht.
„Wir teilen uns auf, jeder geht in eine Richtung“, wies Robin die anderen daher an und diese machten sich sofort auf den Weg, genau wie ihr Anführer auch. Entschlossen stapfte er durch den Schnee und hielt dabei Ausschau nach irgendwelchen Spuren und so etwas wie abgeknickte Zweige, und er lauschte nach verräterischen Geräuschen, aber da war absolut nichts, was dazu führte, dass ihm erneut der kalte Schweiß ausbrach. Die ganze Situation war allerdings so absurd, dass ihn ganz plötzlich der unwiderstehliche Drang zu lachen überkam, dem er nur einen kurzen Augenblick später dann auch nachgeben musste. Hier war er, Robin Hood, auf der Suche nach Sir Guy of Gisburne, um ihn zu retten. Er benötigte einen langen Augenblick, bis er das hysterische Lachen wieder unter Kontrolle bringen konnte.
Er war gerade wieder so weit, dass er weitergehen konnte, als ihn ein lauter Pfiff darauf aufmerksam machte, dass Nasir ihnen etwas zu sagen hatte, daher machte er sich auf den mühsamen Rückweg. Dabei hoffte er natürlich darauf, der Sarazene habe den Ritter gefunden, aber leider war dem nicht so.
„Auf diese Weise finden wir ihn nicht“, teilte der andere ihnen nur mit, nachdem sie alle wieder zusammengetroffen waren.
„Wir bräuchten einen Hund“, meinte Marion, der offenbar auch die Ideen ausgegangen waren.
„Wir haben aber keinen Hund!“ Robin wusste auch nicht, was sie jetzt tun sollten.
„Keinen Hund!“, wiederholte Nasir, aber bei ihm klang das nicht so, als wüsste er nicht weiter. Und der andere war auch schon wieder auf dem Weg zum Eingang der Höhle.
„Wir können die Suche nicht einfach abbrechen“, rief Robin ihm nach, aber sein Freund reagierte nicht auf diese Worte. Weil er aber auch nicht den Eindruck erweckte, er habe vor aufzugeben, kam Hernes Sohn auf einmal der Gedanke, der andere wisse genau, was er jetzt zu tun hatte. Es wäre auch nicht das erste Mal, dass er den Gesetzlosen auf seine eigene Art und Weise weiterhalf.
Als die anderen drei den Unterschlupf erreichten, kam ihnen Nasir bereits wieder entgegen, allerdings nicht allein, denn er führte Gisburnes pechschwarzen Hengst am Zügel, der auch in der Höhle untergekommen war. Der Ritter wäre niemals auf die Idee gekommen, das Tier bei diesem Wetter draußen zu lassen und obwohl Robin sich in der Nähe des Pferdes immer sehr vorsichtig verhielt, hätte er es auch nicht übers Herz gebracht, Fury – dies war der Name des Tieres – im Schnee zu lassen. Das Pferd konnte schließlich nichts für seinen Reiter.
Auf einmal war sich Robin sicher, dass er wusste, was Nasir vorhatte. Und dieser Gedanke gab ihm dann die Hoffnung, sie könnten Gisburne doch noch rechtzeitig finden. Jeder in der Grafschaft wusste doch wie eng die Beziehung zwischen dem Ritter und seinem Reittier war. Wenn ihn jemand unter diesen Bedingungen finden konnte, dann war es Fury.
Als der Sarazene ihn mit dem Pferd passierte, sah Robin, dass Nasir sich auch den dicken Umhang des Ritters geschnappt hatte, denn dieser befand sich jetzt auf dem Rücken des Tieres. Aber wenn er so darüber nachdachte, dann hätte er sich auch nicht vorstellen können, dass sein Freund nicht an so etwas denken würde.
Allerdings schwand seine Zuversicht, dass Nasir die Lösung für ihr Problem gefunden hatte, nach und nach, denn obwohl der Hengst sich offenbar ziemlich zielgerichtet auf den Weg durch den Wald machte – wobei Robin darüber erstaunt war, wie friedlich er Nasir folgte – fanden sie trotzdem keine Spur des Ritters. Und dann fiel Dunkelheit über den Wald und Hernes Sohn verlor auch noch das letzte bisschen Hoffnung, welches er sich erhalten hatte. Er glaubte nun nicht mehr, dass dieser Vorfall noch gut ausgehen würde.
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Es war ein lautes Wiehern, das Robin aus seinen düsteren Gedanken riss. Als er den Kopf hob, sah er, dass der Hengst auf einmal nach vorne drängte und Nasir ihn gewähren ließ. Sofort beeilte Hernes Sohn sich hinterherzukommen, während er sich gleichzeitig die Frage stellte, aus welchem Grund das Tier derart reagierte, denn er selbst konnte außer den Geräuschen, die der Suchtrupp verursachte, nichts hören. Aber er musste nur ein paar Schritte weitergehen, als er plötzlich – und ziemlich unerwartet – leisen Gesang vernahm, der von einer Stelle vor ihm kam. Genau aus der Richtung, in der sich auch das Pferd bewegte.
Es dauerte nicht sehr lange, bis sie zwischen den Bäumen hervorkamen und sich am Ufer des geheimnisvollen Sees wiederfanden, der im Herzen von Sherwood lag. Und den nur derjenige finden konnte, dem Herne das erlaubte. Davon war Robin überzeugt, zumindest bis zu diesem Augenblick, aber nun war er sich auf einmal nicht mehr sicher, denn dies würde bedeuten, sein spiritueller Vater habe es Gisburne gestattet hierherzukommen. Dies war etwas, was Hernes Sohn nicht so recht glauben konnte.
Aber im Grunde war es in diesem Moment egal, wie die Antwort auf diese Frage lautete, denn sie würde nichts an der Tatsache ändern, dass sie den Gesuchten endlich gefunden hatten. Loxley hatte schon nicht mehr daran geglaubt und wenn er überhaupt daran gedacht hatte, sie könnten den anderen doch noch finden, dann aber nur besinnungslos – wenn nicht sogar tot – im Schnee liegend. Stattdessen stand der Mann am Ufer, mit erhobenen Armen und blickte auf den Mond, der über den Bäumen aufgegangen war, während er sang. Robin war allerdings nicht in der Lage einzelne Worte zu verstehen, denn er kannte die Sprache nicht. Aber er konnte nicht leugnen, dass es sich erstaunlich gut anhörte. Er wäre niemals auf die Idee gekommen, dass der Ritter überhaupt singen konnte.
Hernes Sohn war nicht das erste Mal während der Nacht hier am See und daher wurde er nicht davon überrascht, auf welche Art und Weise der Mond den Nebel zum Leuchten bringen konnte, der sich am Ufer von Darkmere sammelte. Trotzdem war er nicht auf den Anblick gefasst, der sich ihm jetzt bot, denn Gisburne war auch von hinten sehr gut zu erkennen, obwohl der Mond sich vor ihm befand. Die unheimliche Lichtquelle, in die der Nebel sich auf magische Weise verwandelt hatte, ließ den Ritter wie ein Wesen aus einer anderen Welt erscheinen, denn er wirkte viel zu schön, um ein Mensch aus Fleisch und Blut zu sein.
Robin stockte schier der Atem, denn dieser Anblick rief ein unerwartetes Gefühl in ihm hervor, mit dem er sich nicht weiter beschäftigen wollte. Er war nicht in der Lage, seine Reaktion zu erklären und er schüttelte sich, um sich von der Wirkung dieses Mannes auf ihn zu befreien. Aber er war nicht der einzige, der von dem beeinflusst wurde, was er sah, denn auch Marion und John waren für einen Augenblick wie angewurzelt stehengeblieben. Zum Glück schien zumindest Nasir dem Zauber dieses Ortes – und des Mannes, der nackt am Ufer des Sees stand – nicht erlegen zu sein, denn er hatte sich dem Ritter bereits so weit genähert, dass er ihm den warmen Umhang überwerfen konnte.
Kaum legte sich der Umhang auf Gisburnes Schultern, da hörte dieser auf zu singen und drehte sich stattdessen um. Sofort ging Robin auf, dass es dem Mann offenbar völlig egal war sonst nichts weiter zu tragen. Er breitete nämlich erneut seine Arme aus – die er gerade erst hatte herabsinken lassen – und dabei klaffte der Umhang dann weit auf. In dieser Haltung blieb der Ritter stehen, ohne sich weiter zu bewegen und starrte dabei Robin an, wobei er die anderen drei Personen völlig ignorierte. Das gleiche traf aber auch auf seinen Hengst zu, der damit begonnen hatte an den Haaren seines Herrn zu knabbern. Loxley wäre jede Wette eingegangen, dass der andere Mann auf Fury reagieren würde, aber stattdessen achtete dieser nur auf den Anführer der Gesetzlosen. Und auf einmal erschien ein seliges Lächeln auf dem Gesicht des Ritters.
„Göttin des Mondes“, rief er verzückt aus. „Ich habe Euch gerufen und Ihr seid meinem Ruf gefolgt und vom Himmel herabgestiegen.“ Diese Worte hatten kaum seine Lippen verlassen, als er auch schon auf Loxley zustürmte, der – genau wie seine Freunde – derart verblüfft war, dass er sich nicht rührte. Daran änderte sich auch nichts, als die Arme des anderen Mannes sich um ihn schlossen und dessen Kopf auf seine Schulter sank. So etwas hatte Robin auf keinen Fall erwartet.
Gisburne blieb aber nicht sehr lange in dieser Stellung, denn er richtete sich relativ schnell wieder zu seiner vollen Größe auf – wobei er Loxley allerdings nur um wenig überragte – und zeigte dem verwirrten Gesetzlosen erneut ein Lächeln. Robin kam nicht umhin festzustellen, dass er damit einen völlig anderen Eindruck machte, als er von dem Mann gewohnt war. Selbst wenn er dessen Verhalten aus den letzten beiden Tagen mitberücksichtigte. Das war allerdings nicht so überraschend, denn er hatte Gisburne noch nie auf eine derart freundliche Art und Weise lächeln sehen. Er war noch nicht einmal davon ausgegangen, dass der Ritter dazu fähig war, so zu lächeln.
„Ihr seid viel schöner als ich es mir hatte vorstellen können, Göttin des Mondes“, rief der Ritter aus, nachdem er Loxley noch einmal gemustert hatte. Er hielt den Gesetzlosen weiterhin in seiner Umarmung und Robin fiel nicht ein, wie er daraus entkommen konnte, ohne Gisburne zu verschrecken. Er hatte auch keine Ahnung, was mit dem anderen Mann los sein könnte. Vor allem wunderte er sich darüber, dem Ritter nicht im Geringsten anzumerken, dass er nackt durch den Schnee gelaufen war und nicht nur für wenige Augenblicke. Schließlich hatten sie ihn einige Zeit suchen müssen, bevor sie auf ihn stießen.
„Ihr seid so schön“, wiederholte der Ritter und diese Worte reichten völlig aus John und Marion zum Kichern zu bringen. Als Robin sich daraufhin nach seinen Freunden umblickte, musste er feststellen, dass selbst Nasir amüsiert wirkte. Robin hingegen fand das Ganze überhaupt nicht lustig, vor allem, weil der Ritter ihn immer noch nicht wieder losgelassen hatte. Seltsamerweise fühlte er sich aber von dem Ritter nicht bedroht. Zumindest nicht in der Art wie sonst, wenn sie aufeinandertrafen. Sah man einmal von den beiden letzten Tagen ab, an denen Gisburne ebenfalls nicht bedrohlich gewirkt hatte, egal was Wills Meinung dazu auch sein mochte.
„Wir müssen weg von hier, Gisburne“, versuchte er die Aufmerksamkeit des Ritters auf die Tatsache zu lenken, dass dies kein Ort war, an dem man die Nacht verbringen konnte. Zumindest nicht zu dieser Jahreszeit. Aber der andere Mann schien ihn nicht zu hören.
„Ich habe nie gewusst, wie schön der Mond ist. Das tut mir leid“, brachte er nun in einem entschuldigenden Tonfall vor, wobei er Robin immer noch direkt ins Gesicht blickte. Dieser begann sich jetzt in der Umarmung des Mannes etwas unwohl zu fühlen, vor allem, weil er jetzt das bestimmte Gefühl hatte, der andere wolle ihn auch noch küssen. Sollte ihm das gelingen, dann würde Robin das noch für Monate zu hören bekommen. Was bis hierher geschehen war, würde schon für einigen Spott sorgen, aber nichts gegen die Reaktionen seiner Freunde auf einen Kuss.
„Guy“, versuchte er noch einmal zu ihm durchzudringen, „wir können hier nicht bleiben.“
Aber anstatt auf Robins Worte zu antworten, nahm der Ritter einen seiner Arme weg und wandte sich halb von dem Gesetzlosen ab. Dabei bewegte er seinen freien Arm in einem Halbkreis, der vor allem den See einschloss und dann zeigte er auf den Mond, der in fast kreisrunder Schönheit über dem Wald stand und ohne Zweifel einen imposanten Eindruck machte. Hernes Sohn fiel bei seinem Anblick ein, dass sich der Mond erst vor wenigen Tagen in seiner vollen Pracht am nächtlichen Himmel gezeigt hatte, denn er hatte erst sehr wenig von seiner perfekten Form verloren.
„Die Göttin des Mondes gehört hierher, in diesen wunderbaren Wald, an das Ufer dieses zauberhaften Sees“, erklärte Gisburne ihm im Brustton der Überzeugung. Ihm schien nicht bewusst zu sein, dass er diese Worte normaler Weise als völligen Blödsinn ansehen würde und Robin schauderte, denn dies zeigte – seiner Meinung nach – dass dem Ritter etwas sehr Schwerwiegendes zugestoßen sein musste. Ansonsten würde er sich niemals auf diese Weise verhalten. Und was immer geschehen war, es musste sich in der Höhle zugetragen haben, also praktisch unter den Augen von Hernes Sohn und denen der übrigen Gesetzlosen.
‚Herne, gib mir Kraft!‘, sandte er ein stummes Gebet an seinen spirituellen Vater, bevor er sich wieder Gisburne zuwandte.
„Die Göttin würde sich gerne woanders hinbegeben“, versuchte er es nun auf eine andere Weise. Diese Worte hatte er leise und in einem sanften Tonfall ausgesprochen, denn er wollte den anderen Mann nicht erschrecken, trotzdem bewirkte seine Aussage, dass das selige Lächeln von einem zum anderen Moment vom Gesicht des Ritters verschwand. Stattdessen erschien dort ein Ausdruck von Besorgnis.
„Ich wollte Euch nicht verärgern, Göttin des Mondes“, äußerte er dann in einem erschrockenen Tonfall. „Ich will doch nichts anderes, als Eure Wünsche zu erfüllen.“
Robin unterdrückte das Kichern, das in ihm aufstieg, weil er davon ausging, dass es zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich nur Schaden anrichten konnte, aber er konnte nicht überhören, wie seine Freunde auf diese Worte reagierten, was auch damit zu tun hatte, dass der Ritter nicht gerade leise gesprochen hatte.
Aber dann schaffte er es doch noch ein paar Worte zu sagen. „Lass uns gehen“, äußerte er, immer noch leise sprechend, bevor er sich zu Nasir umwandte, der immer noch Fury am Zügel hielt.
„Gisburne muss auf das Pferd“, teilte er seinem Freund mit, schließlich war der Ritter der einzige von ihnen, der barfuß im Schnee unterwegs war. Es war ausgeschlossen, dass er die gesamte Strecke bis zur Höhle zurückging.
Er hatte allerdings nicht mit Widerstand von Seiten des Ritters gerechnet, schließlich ließ der ja ansonsten auch keine Gelegenheit aus sich auf den Rücken seines vierbeinigen Gefährten zu schwingen. Aber dieses Mal wollte er sich partout nicht dazu überreden lassen und es kostete Robin Zeit, bis er herausbekommen konnte, dass der andere nicht reiten wollte, wenn die ‚Göttin des Mondes‘ zu Fuß unterwegs war. Diese Aussage ergab sogar einen gewissen – wenn auch verqueren - Sinn.
Und offenbar nicht nur für Robin, wie die nächsten Worte von Marion verrieten. „Das hätte dir auch selbst auffallen müssen“, bemerkte sie, wobei ihre Mundwinkel verräterisch zuckten. Sie hatte offenbar einige Probleme dabei nicht laut aufzulachen.
„Das ist überhaupt nicht hilfreich“, zischte er ihr zu, aber das schien sie nicht weiter zu stören.
Sie hatte dann allerdings doch noch etwas Hilfreiches beizutragen. „Wenn du ihn wirklich auf das Pferd bekommen willst, dann wirst du ebenfalls aufsteigen müssen“, teilte sie ihm nämlich mit.
Robin seufzte, denn dies war nichts, was er in dieser Situation tun wollte, aber er konnte sich der Erkenntnis nicht verschließen, dass sie mit großer Wahrscheinlichkeit recht hatte.
Daher blieb ihm nichts anderes übrig, als sich zu dem Ritter zurückzudrehen, der ihn erneut mit diesem verzückten Gesichtsausdruck betrachtete, der Robin inzwischen gehörig auf die Nerven ging. Irgendwie vermisste er den arroganten Eindruck, den Gisburne üblicher Weise machte.
„Ich erlaube dir, mit mir auf dem Pferd zu sitzen“, konnte er sich schließlich dazu überwinden dem anderen Mann mitzuteilen, weil sie ansonsten wohl die ganze Nacht hier stehen würden. Als Dank wurde er erneut – und wieder völlig unerwartet für ihn – von Gisburne umarmt. Und da der andere Mann beileibe kein Schwächling war, musste der Gesetzlose feststellen, dass er sich aus dieser Umarmung nur dann würde befreien können, wenn er dem Ritter wehtat. Aber dazu konnte er sich nicht durchringen, denn Gisburne wusste ganz offensichtlich nicht was er tat. Außerdem hatte Loxley auch ein schlechtes Gewissen, denn er konnte ja nicht ausschließen, dass einer seiner Freunde etwas mit dem Zustand des Ritters zu tun hatte. Genaugenommen war das sogar sehr wahrscheinlich, denn außer ihnen hatte sich niemand in der Höhle aufgehalten.
Aber noch bevor sie dazu kamen sich auf den Rückweg zu machen, ging Loxley auf einmal auf, dass auch diejenigen, die in der Höhle geblieben waren, Gisburnes Äußerungen mitbekommen würden, sobald sie den Unterschlupf wieder erreicht hatten. Und dies war eigentlich nichts, dem Robin sich aussetzen wollte, aber ihm war auch bewusst, dass er nicht darum herumkommen konnte. Sie mussten in die Höhle zurückkehren und zwar so schnell wie möglich, auch wenn der Ritter bisher keine Anzeichen dafür zeigte, dass die Kälte und der Schnee ihm zusetzten. Trotzdem durften sie nicht davon ausgehen, dass dies so blieb. Aus diesem Grund mussten sie nun zurück.
Dann kam Robin plötzlich eine Idee, was ihn dazu veranlasste seinen Kopf soweit zu drehen, dass er in der Lage war John anzublicken. Mehr konnte er nicht bewegen, weil Gisburne ihn immer noch umklammert hielt. „John, geh voraus. Bereite Tuck auf unsere Rückkehr vor. Aber noch wichtiger ist, dafür zu sorgen, dass Will zu betrunken ist, um noch irgendetwas mitzubekommen. Wir können es uns nicht leisten, dass er sich einmischt. Er würde nichts als Ärger machen.“
John nickte nur, bevor er sich auf den Weg machte und Robin wagte es, erleichtert aufzuatmen. Was er eben zu John gesagt hatte entsprach zwar der Wahrheit, allerdings nicht der ganzen, denn der Anführer der Gesetzlosen fürchtete weniger Scarlets Ärger als seinen Spott. Und diesem wollte er sich nicht aussetzen – wenn er es irgendwie vermeiden konnte – vor allem, weil Will ihn damit für Jahre verfolgen würde, so wie er ihn kannte.
„Wir sollten auf das Pferd steigen“, versuchte er den Ritter dann dazu zu bewegen, zuerst einmal die Umarmung zu lösen, was dieser – überraschender Weise - auch sofort tat, sogar ohne selbst etwas dazu zu sagen. Der Gesetzlose konnte sich nun zu Fury umdrehen, weil er jetzt endlich aufsteigen wollte, nur um in diesem Moment festzustellen, dass das Pferd nicht gesattelt war und er keine Ahnung hatte, wie er auf das Tier kommen sollte. Schließlich war er nicht wirklich ein vollendeter Reiter. Er hatte eher selten mit diesen Tieren zu tun.
Während er noch unschlüssig neben dem Pferd stand und sich den Kopf zerbrach, spürte er auf einmal wie ihn zwei kräftige Hände an der Taille packten, aber bevor er darauf reagieren konnte, wurde er auch schon hochgehoben. Er fand sich auf dem Tier wieder und blickte auf den Ritter hinab, der ihn mit einer Leichtigkeit angehoben hatte, als ob er nicht mehr als ein Kind wiegen würde. Und nur einen Augenblick später war der andere Mann hinter ihm auf Fury gesprungen. Robin wunderte sich nur noch darüber, wie er zu so etwas in der Lage sein konnte, nachdem er bereits seit Stunden in der Kälte unterwegs war.
Als der Ritter dann auch noch daranging, Robin ebenfalls in den Umhang zu hüllen – wobei er seinen nackten Körper an die Seite des Gesetzlosen schmiegte – und ihn dann anschließend wieder umarmte, fiel zum Glück nur Nasir auf, dass sein Freund darauf zwar mit Erstaunen reagierte, aber er für einen Augenblick auch von so etwas wie einem wohligen Schauder erfasst wurde, was Loxley sofort darauf zurückführte, dass der Körper des Ritters eine Wärme von sich gab, die auch dem Gesetzlosen wohltat. Marion hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits abgewandt und schaute stattdessen auf die Stelle zwischen den Bäumen, wo gerade John aus ihrem Blickfeld verschwunden war.
„Seid versichert, meine schöne Göttin, dass ich Euch nicht fallen lassen werde“, versicherte der Ritter Robin in aller Ernsthaftigkeit. Diesmal war der Gesetzlose sich sicher, dass er seinen sarazenischen Freund kichern hörte.
Während sich das Pferd durch den nächtlichen Wald bewegte – von Nasir geführt – kam Robin nicht darum herum festzustellen, dass er wirklich nicht Gefahr lief hinunterzustürzen, denn der Ritter hielt ihn fest ihm Arm. Eigentlich hatte der Gesetzlose angenommen, dass ihm dies unangenehm sein sollte, weil er sich mit einem völlig nackten Mann unter demselben Umhang befand, aber dies war nicht der Fall, denn er verspürte in erster Linie Erleichterung, weil es nun endlich zurück zur Höhle ging.
Gisburne selbst schien sich an seinem Zustand nicht weiter zu stören und es dauerte nicht lange, bevor er damit begann Robin Worte ins Ohr zu flüstern, von denen er wahrscheinlich annahm, dass die ‚Göttin‘ sie gerne hören würde. Der Gesetzlose war froh, dass es bereits dunkel war, weil aus diesem Grund keiner mitbekam, dass sein Gesicht rot angelaufen war, denn was er zu hören bekam hatte recht wenig mit der Anbetung einer Göttin zu tun und mehr damit, was der Ritter gerne mit einer schönen Frau tun würde. Und dies in ziemlich unzweideutigen Worten.
Aber darüber hinaus vergaß der andere Mann auch nicht die vermeintliche Frau, die sich mit ihm auf dem Pferd befand, zu preisen. „Ich habe noch nie etwas Schöneres als Euch gesehen, meine Göttin“, bekam der Gesetzlose daher des Öfteren zu hören, aber auch wie lieblich seine Stimme wäre, was Robin ziemlich seltsam vorkam, vor allem, weil er ja so gut wie nie antwortete.
Eine Bemerkung des Ritters war aber – in Robins Auffassung – verstörender als alles andere: „Lasst mich Eure Sonne sein, mein lieblicher Mond“, bat er Robin völlig unerwartet, wobei er gleichzeitig versuchte, den anderen Mann noch näher an sich heranzuziehen. Der Gesetzlose hätte sich gerne dagegen zur Wehr gesetzt, aber er hatte feststellen müssen, dass er gegen den Ritter nicht mehr ausrichten konnte als ein Kind gegen einen Erwachsenen. Gisburne kam ihm sehr viel kräftiger vor als sonst.
Nach einiger Zeit begnügte der Ritter sich nicht mehr damit den Gesetzlosen zu umarmen. Während er Robin weiterhin mit dem rechten Arm hielt, begann er seine andere Hand über dessen Körper zu bewegen, was eine völlig unerwartete Wirkung auf Loxley hatte. Er hatte auf keinen Fall erwartet, dass ihn dieses zärtliche Streicheln tatsächlich erregen würde und er konnte nur hoffen, dass der Ritter das nicht mitbekam. Und er war auch erneut erleichtert, dass es dunkel war.
Leider begnügte sich Gisburne nicht damit den anderen Mann zu streicheln, sondern er begann ihn auch zu küssen. Zuerst nur die Haare, aber da Robin sich nicht dagegen wehrte – natürlich einzig aus dem Grund, dass er vor Schreck erstarrt war – fühlte der Ritter sich offenbar ermutigt und daher bedeckte er nun auch den Hals und die Wange des Gesetzlosen mit Küssen. Es war nur allzu verständlich, dass es einen Moment dauerte, bis Loxley wahrnahm, dass der Ritter dabei ziemlich zärtlich vorging. Wäre Robin tatsächlich eine Frau und dem Ritter zugetan, dann wäre er über die Aufmerksamkeiten des anderen Mannes ganz bestimmt hocherfreut. Aber da er weder das eine noch das andere war, saß er wie erstarrt auf dem Pferd, was Gisburne aber offenbar nicht auffiel, denn er machte mit seinen Liebkosungen immer weiter, nur ab und zu davon unterbrochen, dass er der ‚Göttin des Mondes‘ versicherte, wie schön sie wäre.
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Als endlich die Lichtung in Sicht kam, an der die Höhle lag, fühlte Robin wie ihn vor Erleichterung seine ganze Anspannung verließ, was dazu führte, dass er beinahe vom Pferd gefallen wäre und diesmal war es tatsächlich Gisburne, der ihn vor diesem Sturz bewahrte. Der andere Mann hatte nämlich seine Umarmung zu keinem Moment gelockert, obwohl ihn das eigentlich ziemlich anstrengen musste. In diesem Augenblick war ihm der Gesetzlose wirklich dankbar, aber dies wollte er ihm auf keinen Fall zeigen, denn er wollte den anderen nicht noch weiter ermutigen. Auch wenn er sich nicht sicher war, ob dies überhaupt nötig sein würde, denn der Ritter war offenbar sehr tief in seine – irrigen – Vorstellungen versunken. Daher war nichts, was Robin tat, dazu geeignet, ihn in irgendeiner Weise zu beeinflussen. Trotzdem wollte der Gesetzlose kein Risiko eingehen.
Mit genauso viel Energie, wie der Ritter am See auf das Pferd gekommen war, sprang er auch jetzt wieder hinunter, bevor auch nur irgendjemand etwas hätte sagen können, nur um dann auch Robin dabei behilflich zu sein wieder auf den Boden zu gelangen, ohne ihm die Gelegenheit einzuräumen selbst hinunterzukommen.
„Meine Göttin“, verbeugte sich Gisburne vor ihm, um dann zur Seite zu treten, weil er offenbar dem Gesetzlosen den Vortritt lassen wollte.
Robin unterdrückte einen Seufzer, während er gleichzeitig darauf hoffte, es wäre John tatsächlich gelungen dafür zu sorgen, dass Will ihnen – ihm – nicht in die Quere kam. Dann straffte er seine Schultern und ging langsam auf den Eingang der Höhle zu, während Gisburne sich einen Schritt hinter ihm hielt. Auf diese Weise betraten sie fast gleichzeitig – aber auf jeden Fall im Gleichschritt – den Winterunterschlupf der Gesetzlosen, wo alle anderen auf sie warteten. Robin wäre es zwar lieber, er wäre mit dem Ritter allein, aber ihm war schon bewusst, dass dies nicht mehr als ein Wunsch war, der nicht Wirklichkeit werden würde. Und als er noch einmal darüber nachdachte, wurde ihm klar, dass er das doch nicht wollte.
Hinter sich hörte er auf einmal Gisburne scharf einatmen, woraufhin er sich auf der Stelle umdrehte, denn er befürchtete einer der anderen habe es geschafft sich hinter den Ritter zu schleichen, um ihm aufzulauern. Aber da war niemand außer dem Normannen, der allerdings mit einem erstaunten Gesichtsausdruck stehengeblieben war, als habe er die Höhle noch nie zuvor gesehen. Darüber hinaus machte er den Eindruck, als blicke er auf ein großes Wunder.
„Euer Palast übersteigt alles, was ich mir hätte vorstellen können, meine wunderschöne Göttin.“ Seine Worte wurden mit einer Ernsthaftigkeit vorgebracht, die Robin erneut erstaunte, weil nichts von der Arroganz in ihnen mitschwang, die der Ritter ansonsten zeigte. Sie brachten aber auch Marion, Nasir und John zum Kichern, während Tuck mit offenem Mund neben dem Feuer stehengeblieben war. Offenbar war er zu nichts anderem fähig als die beiden Männer anzustarren, die gerade die Höhle betreten hatten. Was immer John ihm bereits erzählt hatte schien ihn nicht darauf vorbereitet zu haben, was er nun zu sehen – und zu hören - bekam.
„Willkommen, Gisburne“, konnte Robin sich nicht zurückhalten zu bemerken, genauso wenig wie er die Resignation aus seiner Stimme heraushalten konnte, die ihn befallen hatte. Er hatte absolut keine Ahnung, was er mit dem anderen Mann machen sollte.
„Was ist mit ihm geschehen?“, wollte Tuck wissen, nachdem er sich ein bisschen von seinem Schock erholt hatte.
Im gleichen Moment gab auch Gisburne etwas von sich. „Ich danke Euch, dass Ihr mir den Eintritt erlaubt habt, meine Göttin“, äußerte er sich, wodurch Robin klar wurde, dass er wohl von der Reaktion der anderen nichts mitbekommen hatte. Es war so, als ob die übrigen Gesetzlosen für ihn nicht existierten. Robin ließ seine Schultern wieder sinken.
„Setz dich hier ans Feuer, Guy“, bat er den anderen Mann, weil ihm diese Vorgehensweise am sinnvollsten erschien. Dem Ritter musste doch sicherlich kalt sein, auch wenn er keine Anzeichen für ein Unwohlsein irgendeiner Art zeigte. Aber Robin wollte nicht riskieren, dass er nun – nachdem sie ihn gefunden und zurückgebracht hatten – doch noch durch die Kälte getötet wurde. Das konnten sie sich nicht leisten, vor allem, wenn er an die Dorfbewohner dachte.
„Kommt Ihr an meine Seite?“ Der Ritter blickte erneut mit diesem verzückten Gesichtsausdruck zu Robin auf, worauf die anderen wieder mit einem Kichern reagierten. Robin selbst war dazu allerdings nicht zumute, denn er hatte eine gute Vorstellung davon, was der Ritter gerne tun würde, sobald sie nebeneinander am Feuer saßen. Auf der anderen Seite hatte er keine Idee, wie er ihn davon abhalten sollte, es sei denn, er würde ihn niederschlagen. Es wäre zwar nicht das erste Mal, aber die jetzige Situation war eine völlig andere als sonst und darüber hinaus wusste er ja auch nicht, wie der andere Mann in seinem Zustand darauf reagieren würde. Da war es besser, er hob sich diese Möglichkeit als letztes Mittel auf.
„Er macht überhaupt nicht den Eindruck, als wäre er durch den Schnee gelaufen“, stellte Tuck fest, der die Gelegenheit ergriffen hatte einen genaueren Blick auf den Ritter zu werfen, über dessen Schultern zwar immer noch der Umhang lag, der aber keine Anstalten gemacht hatte seinen restlichen – nackten – Körper damit zu bedecken. Damit hatte er dem Mönch einen guten Blick auf ihn gewährt, was dieser offenbar auch weidlich ausgenutzt hatte. Mit dem Resultat, dass sein Gesicht jetzt eine gewisse Röte annahm. Robin war sich sicher, dass dies nichts mit der Hitze des Feuers zu tun hatte.
„Hat er sich die ganze Zeit über so … seltsam benommen?“, wollte Tuck dann auch noch wissen.
Es war – überraschender Weise – Nasir, der die Antwort lieferte. „Vom Moment an als er Robin erblickte.“
„Er hält ihn für die Göttin des Mondes“, konnte Marion sich nicht zurückhalten, wobei sie den krampfhaften Versuch unternahm das Kichern zu unterdrücken, das in ihr aufstieg, aber sie war nicht erfolgreich.
„Die Angelegenheit ist nicht zum Lachen“, bemerkte Tuck, aber sein freundlicher Tonfall machte allen klar, dass er niemanden hatte zurechtweisen wollen. „Wir müssen unbedingt herausbekommen, aus welchem Grund er sich so verhält, damit wir wissen, ob er von allein wieder in seinen normalen Zustand zurückkehren kann. Aber auch, wie lange wir darauf warten müssen.“
„Ich hoffe, dies hält nicht mehr zu lange an“, äußerte Robin seine Hoffnung, denn er musste erneut die Aufmerksamkeiten des Ritters über sich ergehen lassen, vor allem in der Form von zaghaften Küssen. Gisburne war ganz auf den Anführer der Gesetzlosen fokussiert und reagierte überhaupt nicht auf die anderen.
Dies wollte Robin sich aber jetzt zunutze machen, denn er hatte verstanden, dass er mit seinen Freunden sprechen konnte, ohne dass der Ritter davon etwas mitbekam. „Hast du keine Vorstellung davon, was dies verursacht haben könnte, Tuck?“, wollte er daher von seinem Freund wissen, während er gleichzeitig etwas näher ans Feuer rückte, weil ihm immer noch kalt war.
Allerdings bereute er das gleich darauf, denn Gisburne war diese Bewegung natürlich nicht entgangen. Auf der Stelle entledigte sich der andere Mann seines Umhangs – und saß nun völlig nackt neben Robin – und legte das Kleidungsstück stattdessen dem Gesetzlosen um. Als dieser den anderen daraufhin anblickte, entdeckte er aber, dass er die Stirn gerunzelt hatte.
„Ich hätte nie gedacht, dass eine Göttin frieren würde“, äußerte er dann, was ihm offenbar durch den Kopf gegangen war.
Robin entschied sich auf Gisburnes irrige Vorstellungen einzugehen. „Dies ist mein irdischer Körper und daher reagiert er wie der von jedem anderen Menschen.“ Er hatte sich zu diesem Vorgehen entschlossen, weil er in der Bemerkung eine Möglichkeit sah, dem anderen Mann eine Frage zu stellen. „Ich wundere mich hingegen, dass du nicht frierst. Oder bist du kein Mensch?“
Jetzt runzelte der Ritter erneut die Stirn. „Natürlich bin ich ein Mensch. Wie kommt Ihr auf diese Idee?“ Er schien nicht zu verstehen, worauf Robin sich beziehen könnte.
Nun blieb dem Gesetzlosen nichts anderes übrig, als mit der Hand auf den Mann neben ihn zu zeigen - auf den nackten Mann – wobei er sehr erleichtert darüber war, dass es John offenbar gelungen war sich um Will zu kümmern. Zumindest war von dem ehemaligen Soldaten zurzeit nichts zu sehen.
Der Ritter folgte seinem Finger und blickte an sich selbst hinunter. In dem Moment schien ihm zum ersten Mal aufzufallen, dass er nicht das geringste bisschen trug, denn sein Gesicht überzog sich mit einer gewissen Röte.
„Ich …“, begann er, „ich habe nicht …“ Offenbar wusste er in dem Moment nicht, was er von sich geben sollte, aber er begann sofort damit, sich umzublicken. Auch wenn er nicht sagte, was er suchte, war Loxley sich ziemlich sicher, dass es sich dabei um seine Kleidung handelte. Robin warf Tuck einen fragenden Blick zu, woraufhin der Mönch zu einer Stelle an der Höhlenwand wies.
„Dort drüben“, machte Robin den Ritter nun aufmerksam.
Sobald Gisburne erspäht hatte, was er suchte, erhob er sich und eilte hinüber, was Robin veranlasste erleichtert aufzuatmen, denn er hatte die Nähe des nackten Mannes schon als ziemlich anstrengend empfunden. Außerdem gab ihm das die Gelegenheit einige Worte mit John zu wechseln. Auch wenn der Ritter den Eindruck erweckte, er bekäme nichts von dem mit, was nicht direkt mit ihm zu tun hatte, gab es Dinge, die der Gesetzlose nicht ansprechen wollte, wenn er mithören konnte.
„Was ist mit Will?“, erkundigte er sich flüsternd.
„Schläft hint‘n sein‘ Rausch aus. Leid’r werd’n wir morg’n wied’r Met hol’n müss’n. Will verträgt ’ne Menge“, erklärte ihm sein bärtiger Freund.
„Und Much?“ Natürlich war Robin sofort aufgefallen, dass von seinem Bruder auch nichts zu sehen war.
„Er hat ein Auge auf Will“, teilte Tuck ihm nun mit. „Als John uns erklärte, was im Wald los war, schien das Much sehr unangenehm zu sein, daher habe ich ihn auch nach hinten gesandt.“
Robin nickte, denn er nahm an, dass der Jüngere sich einfach nicht darüber klarwerden konnte, was vorgefallen war. Wenn es zu kompliziert wurde, dann reagierte er schon einmal mit Verwirrung. Sein Bruder konnte ihm das auch nicht übelnehmen, denn er war sich ja selbst nicht sicher, was er von der ganzen Situation halten sollte.
„Hast du eine Idee was geschehen ist, Tuck?“, wollte der Anführer der Gesetzlosen nun wissen, während er einen verstohlenen Blick auf den Ritter warf, der aber immer noch damit beschäftigt war sich anzuziehen. Das dauerte länger als Robin zuvor vermutet hatte, denn offenbar musterte der Ritter jedes Kleidungsstück erst einmal ganz genau, als ob er es noch nie zuvor gesehen hatte.
„Er scheint Dinge zu sehen, die nicht da sind“, fing der Mönch an. „Oder besser gesagt, er sieht die Dinge anders als sie in Wirklichkeit sind. Ganz wie jemand, der zu viel getrunken hat.“
„Will hätte ihn niemals an seinen Met gelassen“, war alles, was Robin dazu einfiel.
„Ich sagte nicht, dass er getrunken hat“, wies Tuck ihn zurecht. „Es gibt noch andere … Substanzen, die einen solchen Zustand hervorrufen können. Kräuter, Beeren oder Pilze.“
„Aber wo sollte er so etwas herbekommen haben?“, wunderte Marion sich und kam mit ihrer Frage Robin zuvor.
„Besitzt du so etwas?“, wollte er nun stattdessen von Tuck erfahren.
Der Mönch blickte für einen Augenblick zu Boden, als habe er Grund sich zu schämen, bevor er sich zu einer Antwort aufraffte. „Ich muss die Vorräte überprüfen“, war dann aber alles, was er sagen wollte und dann war die Gelegenheit für ein ungestörtes Gespräch auch schon vorbei, denn Gisburne kehrte an Robins Seite zurück, nun aber vollständig angekleidet. Aber immer noch ignorierte er die anderen und fokussierte sich einzig auf Hernes Sohn. Trotzdem wollte der Gesetzlose sein Gespräch nicht fortsetzen, denn schließlich war dem anderen Mann ja in der Zwischenzeit auch aufgefallen, dass er nackt war, was ihn zuvor nicht gestört zu haben schien.
„Ich bin zurück, Göttin des Mondes“, verkündete der Ritter, völlig überflüssig.
„Setzt dich wieder zu mir“, bat ihn Robin, denn er wollte verhindern, dass Gisburne sich vielleicht erneut aus der Höhle entfernte. Er wollte ihn auf keinen Fall ein weiteres Mal im Wald suchen müssen, mal abgesehen davon, dass es draußen nun vollständig dunkel war, aber auch, dass der Schneefall wieder zugenommen hatte. Sie hatten schon einmal Glück gehabt und den Ritter gefunden. Es war eher unwahrscheinlich, dass ihnen das ein weiteres Mal gelingen würde.
Der andere ließ sich auch nicht lange bitten, sondern nahm sofort neben ihm Platz, wobei er ihm so nahekam, dass er schon fast auf seinem Schoss saß. Und dann legte er ihm auch wieder seinen Arm um die Schultern. Robin war das zwar unangenehm – vor allem, weil Marion und John sie beobachteten – aber er konnte es sich nicht erlauben, den Ritter zu verschrecken. Aus diesem Grund ließ er sich die Umarmung gefallen, was dann wiederum dazu führte, dass er auch noch geküsst wurde. Die Küsse landeten glücklicherweise nur auf seiner Wange und auf dem Rücken der Hand, die Gisburne ergriffen und an seine Lippen geführt hatte. Robin fand es allerdings etwas seltsam, wie wenig es den anderen Mann zu stören schien, dass er es – zumindest seiner Meinung nach – mit einer Göttin zu tun hatte, denn er behandelte den Gesetzlosen nicht anders als andere Frauen. Selbstverständlich konnte Robin sich in dieser Hinsicht nicht völlig sicher sein, denn er hatte den Ritter niemals bei so etwas beobachten können. Nicht, dass er das jemals gewollt hätte. Auf jeden Fall war er froh, dass der Ritter sich doch ziemlich zurückhielt, denn Robin hatte da schon ganz andere Geschichten gehört.
Rettung kam schließlich in der Gestalt von Tuck, der Robin eine Schale mit einer dunklen Flüssigkeit reichte. „Das muss er trinken“, raunte er ihm zu, bevor er sich wieder entfernte, ohne von Gisburne bemerkt worden zu sein.
„Hier, mein Ritter“, wandte der Gesetzlose sich auf der Stelle an den anderen. „Trink dies.“
Gisburne nahm ihm die Schale ohne jeden Argwohn ab, setzte sie an seine Lippen und leerte sie in wenigen Zügen. Er schaffte es gerade noch das Gefäß wieder auf dem Boden abzustellen, bevor ihm die Augen zufielen und er zur Seite sackte. Vielleicht wäre er sogar mit dem Kopf auf den Boden geprallt, wenn nicht Robin, der ja ganz nah bei ihm saß, ihn aufgefangen hätte. Bei dieser Gelegenheit fiel ihm auch auf, dass der Ritter tief und fest schlief, betäubt von was-immer-auch Tuck zusammengemischt hatte. Der Gesetzlose atmete erleichtert auf, weil Gisburne nun ganz bestimmt nichts mehr von dem mitbekommen konnte, was um ihn herum vor sich ging. Robin war aber auch froh darüber, dass er nun nicht mehr im Mittelpunkt von Gisburnes Aufmerksamkeit stand.
„Danke, Tuck.“ Er hatte einen Augenblick benötigt, bevor er in der Lage war, dies auszusprechen. Er machte eine kurze Pause, bevor er dann doch noch eine Frage stellte: „Was geschieht nun?“
„Jetzt wird er erstmal schlafen. Mindestens bis morgen früh. Und wenn ich mich nicht geirrt habe, dann müsste er nach dem Aufwachen wieder ganz sein altes Selbst sein“, erklärte Tuck ihm.
„Du hast also etwas entdeckt?“, wollte sein Anführer und Freund jetzt von ihm wissen. Wenn der Mönch ein Gegenmittel zusammengebraut hatte, dann musste er ja etwas gefunden haben. Robin konnte nicht glauben, dass er dem Ritter einfach auf gut Glück etwas zu trinken gegeben haben würde.
Tuck antwortete ihm nicht sofort, aber vielleicht lag das nur daran, dass er erst seine Gedanken ordnen wollte, bevor er zu einer Antwort ansetzte. „Ich hatte bei den Vorräten hinten in der Höhle einige getrocknete Pilze. Von denen fehlen nun welche.“
„Getrocknete Pilze?“, wunderte Robin sich, denn bei dieser Beschreibung dachte er nur an die Sachen, die Tuck in ihren Eintopf tat. Da waren auch schon mal Pilze dabei.
„Nicht solche“, kam prompt zurück, als wenn Tuck seine Gedanken gelesen hätte. „Das sind besondere Pilze, für …“ Er sprach nicht weiter, sondern blickte Robin nur mit rotem Kopf an. Dann jedoch raffte er sich auf und redete weiter. „Der Apotheker, der vor einigen Monaten durch den Wald kam, hatte sie bei seinen Sachen. Vielleicht hätte ich sie wegwerfen sollen, aber …“ Erneut hörte er auf zu reden und diesmal dauerte die Pause länger.
„Aber was, Tuck?“, wollte Robin wissen, als der andere nicht von sich aus weitersprach.
„Ich dachte, vielleicht können wir so etwas noch mal brauchen“, gab der Mönch mit leiser Stimme zu.
„Für Gisburne?“, bohrte Robin nach.
Der andere nickte. „Aber ich hab sie ihm nicht gegeben, Robin“, setzte er dann noch hinzu.
„Wer wusste noch von den Pilzen?“
Der andere blickte ihn nur stumm an.
„Tuck, bitte, wem hast du von den Pilzen erzählt?“
„Ich hab sie Much gezeigt, damit er sie nicht versehentlich in unser Essen tut“, gab der Mönch schließlich zu.
Robin konnte sofort nachvollziehen, aus welchem Grund Tuck so etwas getan hatte. Wenn man mit Much zu tun hatte, dann war es immer besser auch die absurdesten Dinge zu bedenken. Dies war etwas, was Robin schon vor vielen Jahren gelernt hatte. Trotzdem hatte es ihm nichts genutzt und er fragte sich heute noch, ob er seinen Bogen vielleicht besser hätte verstecken können. Aber es war auch möglich, dass es sich in diesem Fall um Vorherbestimmung handelte.
„Dann hat er sie wohl in Gisburnes Essen getan, oder?“, stellte er nur fest. „Hast du schon mit ihm darüber gesprochen?“
Tuck schüttelte den Kopf.
„Gut. Lass mich das machen. Pass du in der Zwischenzeit auf unseren Gast auf“, bat Robin seinen Freund, bevor er sich in den hinteren Teil der Höhle aufmachte, wo Much auf Will aufpasste.
Er musste nur einen kurzen Blick auf seinen Bruder werfen, um zu erkennen, dass der andere ganz genau wusste, er habe etwas falsch gemacht. Dies war ohne jeden Zweifel seinem schuldbewussten Gesichtsausdruck zu entnehmen.
Und dann babbelte der Jüngere auch schon los. „Ich wollt‘ das nich‘. Er sollte nur Bauchschmerz‘n bekomm‘n. Tuck hat g‘sagt, wir dürf‘n die Pilze nich‘ ess‘n. Die bekomm‘n uns nich‘ gut.“
„Ist schon gut, Much“, versuchte Robin seinen Bruder zu beruhigen, bevor er noch in Tränen ausbrach, denn in diesem Moment erweckte er genau diesen Eindruck. „Gisburne ist nicht gestorben. Und ihm scheint es auch nicht schlecht zu gehen.“ Dann setzte er aber doch eine ernste Miene auf, denn er wollte, dass der Jüngere nicht wieder vergaß, etwas Falsches getan zu haben. „Aber wenn Tuck dir das nächste Mal sagt, du sollst die Finger von etwas lassen, dann musst du dich auch daranhalten. Das nächste Mal geht es vielleicht nicht mehr so glimpflich ab.“
„Aber es war doch nur Gisburne“, versuchte der andere sich zu verteidigen.
Robin seufzte, denn er wusste nicht, was er auf diesen Einwand antworten sollte. Es hatte auf keinen Fall einen Zweck Much zu erklären, wieso es schlecht war, wenn der Ritter starb. Für den Sohn des Müllers kam an erster Stelle, dass der normannische Ritter seinen Vater getötet hatte. Robin konnte ihn ja sogar verstehen. Außerdem war es auch nicht Muchs Aufgabe für die Sicherheit der anderen Menschen in Sherwood Sorge zu tragen. Das oblag Hernes Sohn.
„Bleib bitte noch hier bei Will“, bat er ihn deshalb nur, denn weitere Vorhaltungen würden vielleicht eher das Gegenteil von dem bewirken, was Robin erreichen wollte. Er selbst begab sich wieder nach vorne, wo sich aber an Gisburnes Zustand nichts geändert hatte. Aber das hatte Robin auch nicht wirklich erwartet, denn Tuck hatte ihm ja gesagt der Mann werde wahrscheinlich bis zum nächsten Morgen schlafen. Robin würde es ihm gerne gleichtun, denn die Ereignisse dieses Tages hatten ihn über alle Maßen ermüdet.
Nur um dann festzustellen, dass es ihm nicht gelungen war seine Müdigkeit zu verbergen. Zumindest nicht vor jemandem mit den Fähigkeiten von Nasir. Sein Freund trat nämlich sofort an ihn heran, als er wieder im vorderen Teil der Höhle erschien.
„Schlaf“, wies er ihn an, fügte dann aber noch hinzu, er werde Wache halten. Robin kannte seinen Freund inzwischen ziemlich gut und daher war er sich sicher, dass der andere die zusätzlichen Worte als überflüssig erachtete. Es war wahrscheinlich nur ein Indiz dafür, wie müde Robin auf ihn wirkte. Natürlich nahm er das Angebot seines Freundes dankend an, aber vorsichtshalber ließ er sich zwischen dem Ritter und dem Eingang der Höhle nieder, damit er im Notfall schnell eingreifen konnte. In diesem Moment führte das aber nur dazu, dass Nasir nachsichtig den Kopf schüttelte, bevor er selbst sich an der gegenüberliegenden Wand platzierte. Robin wusste, er würde ein Auge auf ihren Gast haben und dabei nicht der Versuchung erliegen einzuschlafen, aber auch nicht, die Gelegenheit zu ergreifen und dem hilflosen Ritter etwas anzutun. Damit verschaffte er seinem Anführer die Möglichkeit sich auszuruhen und zu erholen, etwas was er dringend nötig hatte. Daher war es kein Wunder, dass ihm die Augen zufielen, sobald er es sich einigermaßen bequem gemacht hatte.
Danach wusste Robin nichts mehr.
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Als Robin am nächsten Morgen seine Augen wieder aufschlug, fielen ihm direkt mehrere Dinge unangenehm auf. Das erste war die Tatsache, dass es Wills ärgerliches Gezeter war, was ihn geweckt hatte, denn er hatte gehofft sein Freund würde länger brauchen, um sich von seinem übermäßigen Metgenuss zu erholen. Als nächstes musste er dann feststellen, dass er nicht so lange geschlafen hatte, wie er sich das gewünscht hatte, denn draußen war es immer noch dunkel. Daraus folgte dann, dass er sich längst nicht so gut erholt hatte, wie er es gerne gehabt hätte. Das wiederum lag mit großer Wahrscheinlichkeit an seinen wirren Träumen, in denen er von Gisburne verfolgt worden war, der ihn mit den Worten „geliebte Göttin des Mondes“ jagte und wenn er ihn erreichte, sofort umarmte und mit Küssen überschüttete.
Bis auf Will war aber ansonsten in der Höhle noch nichts zu hören und Robin wollte sich gerade zurück in die Felle sinken lassen, als Nasir seinen Namen leise rief. Als er daraufhin zu seinem Freund hinüberschaute, nickte dieser in Richtung ihres Gastes. Robin folgte seinem Blick auf der Stelle und musste dann sehen, dass er wohl nicht der einzige war, der von Will geweckt worden war, denn Gisburnes Augen waren ebenfalls offen.
Loxley dachte natürlich sofort darüber nach, wie er feststellen konnte, ob der Ritter seinen durch den Genuss der Pilze hervorgerufenen Wahnzustand hinter sich gelassen hatte, als ihm dessen missmutiger Gesichtsausdruck auffiel. In diesem Moment wurde es dem Anführer der Gesetzlosen klar, dass Gisburne wieder ganz der Alte war. Aber offensichtlich konnte er sich nicht an das erinnern, was am Tag zuvor geschehen war, denn dann hätte er entweder verwirrt oder ziemlich verärgert gewirkt. Aber er hatte noch nicht einmal seine Stirn gerunzelt. Er starrte Robin nur schlecht gelaunt an.
„Guten Morgen“, wünschte der Gesetzlose dem anderen Mann mit vorgespielter Fröhlichkeit, denn er hatte aus den Augenwinkeln mitbekommen, dass Nasir erst Tuck und dann die anderen weckte.
„Was ist gut an diesem Morgen?“, erwiderte der Ritter mürrisch.
„Vielleicht dass es Zeit wird, dass Ihr nach Nottingham zurückkehrt, Gisburne, bevor der Sheriff auf die Idee kommt einen Suchtrupp auszusenden, der sich dann ganz bestimmt im Wald verirrt. Wollt Ihr auf diese Weise weitere Soldaten verlieren?“ Robin hatte das sichere Gefühl, dass die Waffenruhe, die über die letzten Tage zwischen den Gesetzlosen und dem Steward des Sheriffs geherrscht hatte, heute zu Ende gehen würde. Daher mussten sie ihren Gast so schnell wie möglich los werden.
„Es wird in der Tat Zeit, dass ich zurückkehre“, pflichtete ihm der andere Mann – überraschenderweise – zu.
„Aber nicht ohne ein Frühstück“, verkündete Tuck, der schon damit begonnen hatte den Eintopf vom Vortag in Schüsseln zu füllen. Und bevor der Ritter den Mund öffnen konnte, um etwas dazu zu bemerken, hatte der Mönch ihm schon eine der Schalen in die Hand gedrückt.
„Das ist eine gute Idee, Tuck. Und danach werden wir unseren Gast zum Rand des Waldes geleiten, so wie es sich als gute Gastgeber gehört“, führte Robin dann aus, als ob dies etwas wäre, was er dauernd machte.
Gisburne hatte Verstand genug sich nicht dazu zu äußern, denn ihm musste ja auch klar sein, dass er niemals auf eigene Faust aus Sherwood herausfinden würde.
Nachdem also alle gegessen hatten – und der Ritter sich davon überzeugt hatte, dass es seinem Pferd gutging – machten sich Robin, Nasir und John auf ihren Gast aus dem Wald zu führen, aber selbstverständlich nicht auf dem direkten Weg. Der Schnee, in dem sie an manchen Stellen fast bis zum Knie versanken, war ihnen dabei behilflich vor dem Ritter zu verbergen, wo die Höhle lag. Bevor sie am Rand des Waldes ankamen, fing es wieder an zu schneien und dies sorgte dann auch dafür, dass ihre Spuren nicht weit zurückverfolgt werden konnten.
Gisburne machte allerdings auch nicht den Eindruck, als würde er sich dafür interessieren, wo sie lang gingen. Zu Robins Überraschung machte der Ritter auch keine Anstalten auf seinen Hengst zu steigen. Vielleicht fürchtete er ja das Pferd könne sich verletzten, falls es in ein unter dem Schnee verborgenes Loch trat, aber vielleicht gab es auch einen anderen Grund dafür, denn Robin konnte immer wieder feststellen, dass er von dem anderen Mann – verstohlen – gemustert wurde. Er erwartete schon fast, Gisburne würde ihn fragen, was am gestrigen Tag geschehen war, aber der Ritter öffnete den ganzen Weg über seinen Mund nicht, zumindest nicht zum Sprechen.
Erst als sie die Bäume am Waldrand erreicht hatten, wandte er sich noch einmal an Robin.
„Ich werde vergessen müssen, was in den letzten Tagen geschehen ist. Du solltest das auch tun“, teilte er ihm mit derart leiser Stimme mit, dass von den anderen keiner seine Worte hören konnte. Dadurch erhielt Robin den Eindruck, er könne sich vielleicht doch an den gesamten gestrigen Tag erinnern, aber bevor er etwas darauf erwidern konnte, hatte Gisburne sich bereits auf sein Pferd geschwungen und war in Richtung Nottingham unterwegs.
In den kommenden Monaten dachte Robin öfter darüber nach, ob er Gisburne nicht doch einmal auf die Geschehnisse ansprechen sollte, aber dazu ergab sich nie eine Gelegenheit.
Und dann kam der Sommer und alles fand ein Ende.
Sein Verhalten hatte dann allerdings dazu geführt, dass Robin und John sich auf den Weg machen mussten, um für Nachschub zu sorgen, vor allem weil der Anführer der Gesetzlosen befürchtete, dass sie anderenfalls mit einem Blutbad in ihrem Unterschlupf rechnen mussten. Wenn Will auch nur ein kleines bisschen nüchterner werden würde, konnte dies durchaus entweder dessen Tod nach sich ziehen oder den des Gastes, der so überraschend bei ihnen aufgetaucht war. Niemand der Robin kannte, würde davon ausgehen, dass dieser so etwas wie ein Blutbad erleben wollte, vor allem nicht an Weihnachten. Einmal, weil dies – seiner Meinung nach – keine Situation war, in die selbst der hartgesottenste Gesetzlose – aber auch der kaltherzigste Ritter – während dieser so speziellen Zeit geraten wollte. Mal abgesehen davon, dass Robin sich nicht als hartgesotten ansah und er – zu seiner Überraschung – hatte feststellen müssen, dass der andere Mann auch nicht wirklich kaltherzig war. Zumindest nicht zu jeder Zeit.
Der Hauptgrund für seine Abneigung, ein Blutbad betreffend, war allerdings die Tatsache, dass es für die Dörfer in Nottinghamshire eine heftige Geldstrafe nach sich ziehen würde, sollte ihr Gast sein Leben verlieren. Dabei würde es völlig unerheblich sein, ob man seine Leiche jemals finden würde oder nicht.
Aus diesem Grund war es notwendig geworden mehr Met heranzuschaffen. Auch wenn Robin sich – genau wie John – etwas Besseres vorstellen konnte als durch Eis und Schnee zu stapfen. Auf der anderen Seite hatten sie bei dieser Gelegenheit auch noch einige der anderen Vorräte ergänzen können, was auch Wild beinhaltete, das ihnen praktischer Weise vor die Füße gestolpert war. Sie hatten nicht lange überlegen müssen, um es von seinem Leid zu erlösen, denn es hätte nicht mehr lange überlebt. Der englische Winter war nichts für das Wild, welches die Normannen aus südlicheren Gefilden einzig für ihr Jagdvergnügen in die königlichen Parks gebracht hatten.
Diese glückliche Begebenheit hatte sich auf dem Rückweg ereignet, wobei Robin sich in der Hinsicht vor allem darüber freute, dass die Sonne – wenn sie denn mal zwischen den Wolken hervorlugte – gerade erst ihren Höchststand erreicht hatte. Was bei den derzeitigen kurzen Tagen nichts anderes bedeutete, als dass er und John wirklich die Beine in die Hand genommen hatten. Dabei waren sie nicht nur von der Hoffnung angetrieben worden, sich bald wieder am Feuer aufwärmen zu können, sondern auch davon, dass Tuck in der Zwischenzeit bereits für ein herzhaftes – und schmackhaftes – Mahl gesorgt hatte. Robin durfte allerdings nicht leugnen, dass es ihnen nur möglich war, so schnell wieder zurückzukehren, weil der ehemalige Schäfer im Herbst einen Schlitten gebaut hatte, der jetzt eine sehr große Hilfe darstellte. Es war viel einfacher die Vorräte über den Schnee zu ziehen als sie mühsam auf dem Rücken zu schleppen.
Als sie am frühen Morgen loszogen, da fiel Schnee, was dafür gesorgt hatte, dass ihre Spuren schon sehr schnell nicht mehr zu sehen waren. Robin empfand es allerdings als Glück, dass es inzwischen wieder aufgehört hatte zu schneien, denn dies erleichterte ihnen das Fortkommen erheblich. Er sah es aber auch als Glück an, dass dies erst geschehen war, als sie sich bereits wieder tief im Wald befanden und es nicht mehr allzu weit bis zu ihrem Unterschlupf war.
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Als Robin dann endlich durch den Eingang der Höhle treten konnte – wobei er in jeder Hand einen Krug Met trug – fiel sein Blick als erstes auf ihren Gast, der – in einen warmen Umhang gehüllt – an einer der Wände lehnte und ganz offenbar schlief. Erneut verspürte der Anführer der Gesetzlosen Erstaunen darüber wie friedlich das Gesicht des Ritters wirkte, aber auch darüber, dass der andere Mann es tatsächlich wagte in der Gegenwart seiner ärgsten Feinde zu schlafen. Konnte dies wirklich daran liegen, dass diese Tage eine besondere Zeit darstellten oder gab es einen anderen Grund für das Verhalten des Ritters? Auf diese Frage hatte Robin noch keine zufriedenstellende Antwort gefunden, allerdings wollte er auch nicht ausschließen, es könne etwas mit der Tatsache zu tun haben, dass der Ritter selten Anzeichen von Furcht zeigte und diese Situation hier ganz offenbar keine der wenigen Ausnahmen war.
Nachdem Robin seine Augen – und seine Gedanken – von ihrem Gast lösen konnte, ließ er seinen Blick über die übrigen Personen schweifen, die sich in der Höhle aufhielten, weil John und er auf jeden Fall deren Hilfe benötigen konnten. Nachdem sie den schweren Schlitten durch den Wald gezogen hatten, sah er nicht ein, dass sie ihn auch noch allein entladen sollten.
Tuck war gerade damit beschäftigt etwas von dem Eintopf, der über dem Feuer köchelte, in Schalen zu füllen, was Robin bereits das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ, obwohl er wusste, dass es noch eine Weile dauern würde, bis er sich zum Essen niederlassen konnte. Will hatte sich, so weit wie es ihm möglich war, von ihrem Gast entfernt niedergelassen, wobei er einen Krug Met in seinen Armen hielt, als wäre es sein Erstgeborenes. Marion indessen befiederte mit geschickten Fingern Pfeile – denn diese wurden immer in großen Mengen benötigt - während Nasir sich – wie so oft – seinen Schwertern widmete und gleichzeitig ihren Gast im Auge behielt. Von Much war hingegen nichts zu sehen.
„Ihr seid zurück“, rief Marion erfreut aus, als sie Robins ansichtig wurde. Er konnte ihr ansehen, dass sie am liebsten sofort aufgesprungen wäre, trotzdem dachte sie daran, ihre Arbeit vorsichtig zur Seite zu legen, um nicht zu zerstören, was sie geschafft hatte.
Tuck war es natürlich auch nicht entgangen, dass sie die Höhle betreten hatten, aber er blickte nur einmal kurz auf, ohne dabei seine Tätigkeit zu unterbrechen und daher schien es, als ob er seine Worte an den Eintopf richtete. „Ihr habt Euch aber beeilt, ich hatte noch nicht mit euch gerechnet.“
„Find‘ ich gut, dass du trotzdem das Essen schon fertig has‘, Tuck“, gab John zurück, der – schwerbeladen - hinter seinem Anführer die Höhle betreten hatte. „Kanns‘ mir ja jetz‘ eine Hand leih‘n?“
„Tut mir leid, John, aber ich brauche meine Hände noch“, kam die prompte Antwort von dem Mönch und löste damit eine untypische Reaktion bei Will aus, der völlig unerwartet in ein Kichern ausbrach, was dazu führte, dass sich sofort die Blicke aller – mit Ausnahme von dem des Gastes – auf ihn richteten.
„Frag ihn“, nuschelte Will und zeigte mit einer Hand auf den schlafenden Ritter, während die andere den Metkrug sicherte. „Hat bestimm‘ en paar Hände übrig.“ Der ehemalige Soldat kicherte ein weiteres Mal, bevor er sich wieder seinem Krug widmete.
„Will!“, unternahm Marion einen Versuch ihn zu ermahnen, aber es fiel ihr natürlich sofort auf, dass dies völlig sinnlos war, denn der andere hörte ihr schon nicht mehr zu.
„Lass es sein, kleine Blume“, brachte Tuck sich ein. „Du siehst doch, dass keiner zu ihm durchdringen kann. Nicht in seinem derzeitigen Zustand.“ Da der Mönch offenbar mit dem fertig war, was er gerade getan hatte, erhob er sich und bewegte sich auf John zu, wobei er acht gefüllte Schalen neben dem Feuer zurückließ.
„Gib mir das John, ich bringe es nach hinten“, schlug Tuck dem bärtigen Riesen vor, wartete aber dann nicht ab, was der dazu sagen wollte, sondern nahm ihm direkt ab, was dieser hereingeschleppt hatte. „Ich kann die Gelegenheit dann auch nutzen, um Much nach vorne zu schicken.“
John entledigte sich nur zu gerne seiner Last, aber nur, um sich direkt wieder nach draußen zu begeben und die nächsten Vorräte zu holen.
„Nasir“, wandte Robin sich an seinen sarazenischen Freund, „auf dem Schlitten befindet sich auch Wild.“ Es war nicht nötig, dass er mehr dazu sagte, denn der andere wusste auch so, was er wollte. Er hatte seinen Wetzstein bereits in der Gürteltasche verstaut, bevor sein Anführer den Satz beendet hatte und ließ dann seine Schwerter in ihren Scheiden verschwinden, während er sich erhob. Es hatte nur einen kurzen Moment gedauert, bevor er sich nach draußen begab.
Robin stellte die beiden Krüge nicht weit von Scarlet entfernt vor der Höhlenwand ab und begab sich dann ebenfalls wieder nach draußen. Dabei bekam er gerade noch aus den Augenwinkeln mit, dass Much aus dem hinteren Teil der Höhle zurückgekehrt war und er hoffte, sein Bruder werde von selbst auf die Idee kommen ihnen zur Hand zu gehen. Selbstverständlich wusste er, jeder habe seinen Teil beizutragen, damit sie überleben konnten, aber manchmal vergaß er, was dies beinhaltete und dann war Robin gezwungen, ihn daran zu erinnern. Dies tat er nicht gerne, denn er versuchte immer zu vermeiden den Jüngeren auf diese Weise vor den anderen Gesetzlosen bloßzustellen. Schließlich war Much kein Kind mehr, sondern inzwischen zu einem Mann herangewachsen. Zu Robins Leidwesen benahm sein Bruder sich aber nicht immer so.
Im nächsten Augenblick dachte er allerdings nicht länger über Much nach, denn er musste Nasir dabei helfen die Jagdbeute zu schultern und anschließend schnappte er sich selbst auch wieder etwas, um es in die Höhle zu bringen. In der Zwischenzeit war John ebenfalls wieder – schwerbeladen - in ihrem Unterschlupf verschwunden, genau wie Tuck und Marion und in dem Moment wurde Loxley doch wieder an seinen Bruder erinnert, denn dieser war bisher nicht erschienen, um etwas vom Schlitten zu holen, was Robin dazu brachte unwillig die Stirn zu runzeln.
Als er seiner ansichtig wurde – nachdem er in die Höhle zurückgekehrt war – wollte er ihn gerade ermahnen, aber noch bevor er den Mund geöffnet hatte, stellte er fest, aus welchem Grund der andere sich ihnen noch nicht angeschlossen hatte. Er konnte ihn nämlich dabei beobachten, wie er eine der von Tuck gefüllten Schalen neben dem Ritter absetzte – wobei er sich bemühte, dem Mann nicht näher als unbedingt nötig zu kommen - der offenbar von dem Kommen und Gehen geweckt worden war. Und dann hatte ihn wohl der köstliche Geruch des Essens erreicht, dem sich auch Loxley nicht entziehen konnte.
Robin hätte auch gerne jetzt schon etwas gegessen, aber ihm war bewusst, dass zuerst alles in die Höhle gebracht werden musste, was sich auf dem Schlitten befand. Dabei hätte der Ritter auch eine Hilfe sein können, aber der Mann war schließlich ihr Gast und darüber hinaus wollte Robin keinen Streit mit ihm vom Zaun brechen, denn der andere hatte sich während der letzten beiden Tage außerordentlich – und unerwarteter Weise - friedlich verhalten. Davon abgesehen hatte Much sich gerade auf den Weg nach draußen gemacht, daher verzichtete Robin darauf irgendetwas von sich zu geben. Manchmal war es besser zu schweigen.
Der Ritter war auch nicht der einzige, der nicht dabei mithalf die Vorräte in den hinteren Teil der Höhle zu schaffen, aber für Will galt ebenfalls, dass er sich –für seine Verhältnisse – friedlich verhielt und daran wollte Robin auf keinen Fall rühren. Anderenfalls hätte er sich nicht die Mühe machen müssen seinen hitzköpfigen Freund mit weiterem Met zu versorgen. Leider war dies der einzige Garant dafür, dass sich an Scarlets Verhalten nichts änderte. Es war sowieso schon erstaunlich, dass er es in einer Höhle mit ihrem Gast aushielt. In der Tat hatte Robin sich schon ausgiebig bei Herne für dieses Wunder zu Jul bedankt, denn er nahm dies nicht als etwas Selbstverständliches an.
Als Robin sich ein weiteres Mal nach draußen begab, um noch etwas zu holen, musste er feststellen, dass es wieder zu schneien begonnen hatte, daher war er froh, dass John jetzt in der Lage war den leeren Schlitten ebenfalls in die Höhle zu schaffen. Vor allem, weil dies bedeutete, dass sie sich nun alle um das Feuer versammeln konnten, um das Essen zu genießen.
Tuck war in der Zwischenzeit nicht untätig geblieben, denn er hatte den Inhalt der bereits gefüllten Schüsseln wieder in den großen Topf zurückgeschüttet, nur um anschließend die Schalen mit heißem Eintopf zu füllen. Diese hatte er schon wieder verteilt und Robin war nun tatsächlich der letzte, der eine erhielt. Er ließ sich erschöpft neben dem Feuer auf eines der ausgelegten Felle sinken und dann war das einzige, was ihm in der nächsten Zeit wichtig war, das warme Essen und das angenehme Gefühl, das sich – von seinem Bauch ausgehend – in seinem Körper ausbreitete. Dies füllte ihn – im wahrsten Sinne des Wortes – völlig aus.
„Noch mehr?“ Tucks Frage unterbrach Robins Beschäftigung mit seinem eigenen Wohlergehen, aber natürlich lehnte er den Vorschlag nicht ab und hielt gleich darauf eine weitere Schüssel des köstlichen Eintopfs in Händen. Deren Inhalt verschwand genauso schnell in seinem Bauch wie der der ersten. Erst danach war der Anführer der Gesetzlosen der Meinung wieder in der Lage zu sein sich seiner Umgebung zu widmen. Dabei fiel ihm als erstes auf, dass er außer den Geräuschen, die die anderen beim Essen von sich gaben, nichts weiter hören konnte. Dies machte einen außerordentlich friedlichen Eindruck auf ihn, was ihm sehr gut gefiel und was er vorhatte, solange wie möglich auszukosten, denn solche Momente gab es in seinem jetzigen Leben nur selten.
„Hätte der König Narr ebenfalls Interesse an einer weiteren Schüssel von Tucks köstlichem Eintopf?“, erkundigte er sich daher gutgelaunt bei ihrem Gast, aber als er daraufhin nichts hörte – weder ein Ja noch einen empörten Protest – hob er seinen Kopf abrupt an, um festzustellen, was mit dem Ritter los war.
Ein Blick reichte ihm dann, um das Gefühl des Wohlbefindens und des Friedens auf der Stelle verschwinden zu lassen und stattdessen durch das schreckliche Gefühl kommenden Unheils zu ersetzen. Dies lag einzig daran, dass an der Stelle, an der der Ritter die ganze Zeit über gesessen hatte, jetzt nur noch der dicke Umhang lag, in den er sich gehüllt hatte.
„Wo ist Gisburne?“, wollte Robin von seinen Freunden wissen.
„Da vorn‘“, kam von John, der sich in diesem Moment noch einen Nachschlag geholt hatte, dem er nun seine ganze Aufmerksamkeit widmete.
„Nein“, brachte Robin nur hervor, während er sich erhob, aber nur langsam, denn das warme, reichhaltige Essen hatte bereits seine Wirkung entfaltet.
„Wahrscheinlich musste er einmal nach hinten gehen“, äußerte Marion ihre Meinung, ohne ihre Augen von ihrer eigenen Schale zu nehmen.
Da ihr Vorschlag durchaus etwas für sich hatte, machte Robin sich auf den Weg nach hinten, wo sich nicht nur ihre Vorratskammer befand, sondern es in einer separaten kleineren Höhle auch die Möglichkeit gab sich zu erleichtern, ohne nach draußen gehen zu müssen. Obwohl Loxley davon ausging, dass der Ritter bestimmt nicht darüber begeistert wäre, ausgerechnet dort von jemandem überrascht zu werden, war er trotzdem bereit sich seiner Empörung zu stellen. Zu seinem Leidwesen war aber von dem anderen Mann nichts zu sehen.
In der Zwischenzeit war es dem Gesetzlosen gelungen die Lethargie wieder abzuschütteln, in die ihn das üppige Essen versetzt hatte und innerhalb weniger Augenblicke war er zurück am Feuer. Dort fiel sein erster Blick auf Nasir, der sich ebenfalls erhoben hatte und in diesem Moment den Umhang des Ritters in Händen hielt. Darunter hatte offensichtlich die übrige Kleidung des Mannes gelegen, die nun zum Vorschein gekommen war. Dies ließ Robin vor Entsetzen auf keuchen, was dann dazu führte, dass auch alle anderen von ihrem Essen aufblickten.
„Was?“, war alles, was John in seiner Verblüffung hervorbrachte, während Will erneut in das für ihn so untypische Kichern verfiel.
„Wurd‘ auch Zeit“, war aber alles, was er sagte.
„Ist das … seine gesamte Kleidung?“, wollte Marion von Nasir wissen, was den Sarazenen dazu veranlasste mit seinem Fuß in dem Haufen zu wühlen. Anschließend nickte er, was Robin mit einem noch größeren Gefühl von Unheil erfüllte.
„Aber wo ist er?“, stellte Tuck die Frage, die auch für den Anführer der Gesetzlosen in diesem Moment wesentlich war.
„Hier sind Spuren“, teilte Nasir ihnen mit, während er auf den Ausgang der Höhle zeigte.
Obwohl Robin sich direkt neben dem Feuer befand, brach ihm mit einem Mal der kalte Schweiß aus.
„Er ist ohne Kleidung raus?“ Marion war nicht in der Lage den Unglauben aus ihrer Stimme herauszuhalten.
„Wird sein hitzig‘s Gemüt ’was abkühl’n“, nuschelte Will zwischen zwei Schlucken Met, offenbar völlig zufrieden mit seiner Einschätzung der Lage.
„Täte dir auch ganz gut“, schnappte Robin, aber seine Bemerkung prallte ohne jede Auswirkung an seinem Freund ab.
„Er wird erfrieren“, wandte der Anführer der Gesetzlosen sich jetzt an die anderen, aber ihm entging in diesem Moment, dass er das Offensichtliche ausgesprochen hatte, denn dieser Gedanke musste seinen Freunden ebenfalls gekommen sein.
Es war erneut Will, der meinte darauf antworten zu müssen. „G’schieht em recht“, brachte er mit einem fiesen Grinsen hervor.
Robin schüttelte verzweifelt den Kopf. „Wir müssen ihn suchen. Auf der Stelle!“, versuchte er die anderen aufzurütteln, die alle – genau wie er selbst nur kurze Zeit zuvor – mit den Nachwirkungen des guten Essens zu kämpfen hatten.
Alle bis auf Nasir, der sich schon fertig gemacht hatte, um die Höhle verlassen zu können. Er warf Robin nur noch einen kurzen Blick zu, bevor er im fallenden Schnee verschwand, um – wie sein Freund annahm - nach weiteren Spuren zu suchen.
Nun beeilte Loxley sich ebenfalls die Höhle zu verlassen, damit er seinen sarazenischen Freund unterstützen konnte, auch wenn ihm durchaus bewusst war, dass der andere am besten – und auch ohne Hilfe – dafür geeignet war den Ritter aufzuspüren. Zur gleichen Zeit zerbrach Robin sich den Kopf darüber, wieso Gisburne die Höhle völlig nackt verlassen hatte. Im Winter, während Schnee fiel. Weil dem Gesetzlosen in dieser Hinsicht aber überhaupt nichts einfiel, schob er seine Überlegungen erst einmal zur Seite, auch weil sie ihm in der jetzigen Situation keine Hilfe wären.
In der Zwischenzeit hatten sich auch die anderen endlich aufgerafft und erschienen – in ihre dicken Umhänge gehüllt – im Eingang der Höhle. In diesem Moment wurde es Robin klar, dass es nichts bringen würde, wenn sie jetzt alle ins Freie stürzten. Er musste nun etwas Ordnung in die ganze Angelegenheit bringen.
„Tuck, du bleibst hier. Bereite bitte alles für den Zeitpunkt vor, wenn wir mit Gisburne zurückkehren.“ Der Mönch nickte, löste seinen Umhang und verschwand wieder nach drinnen.
„Much, du hilfst Tuck, bitte!“ In dem Moment fiel Robin auf, dass sein Bruder zwar nach draußen gekommen war, sich aber nicht bereit gemacht hatte, um in den Wald zu gehen. Außer ihm gab es nur eine Person, die sich offenbar auch nicht darum scherte, was mit Gisburne geschehen war, aber von Scarlet hatte Robin das auch nicht erwartet. Gerade wollte er allerdings noch etwas zu Much sagen, dessen Verhalten ihn verwirrte, als ihm aufging, dass dies jetzt nichts bringen würde. Daher beschloss er dieses Gespräch auf später zu verschieben.
„John, Marion, wir bleiben erstmal zusammen. Wir müssen erst einmal abwarten, was Nasir findet.“ Die beiden bekundeten ihm ihre Zustimmung mit einem Nicken, bevor sie sich gemeinsam auf die Lichtung begaben.
Der Sarazene kam ihnen aber auch schon wieder entgegen und schüttelte seinen Kopf, bevor Robin die Gelegenheit erhielt ihn etwas zu fragen.
„Er ist fort. Seine Spur führt nach dort.“ Der andere Mann zeigte mit einem Arm in die entsprechende Richtung. Daran anschließend richtete Nasir seinen Blick gen Himmel, wobei er sich nicht anmerken ließ, ob er die Schneeflocken, die auf seinem Gesicht landeten, als unangenehm empfand. Robin wurde sofort klar, dass er ihm auf diese Weise sagen wollte, dass der Schnee die Fußabdrücke, die der Ritter hinterlassen haben musste, bereits wieder bedeckt hatte.
An der Stelle kam Robin nicht darum herum, sich die Frage zu stellen, wie lange er sich mit seinem Essen beschäftigt hatte. Wieviel Zeit war seit dem Moment vergangen, als er Gisburne das letzte Mal in der Höhle gesehen hatte, wie er seinen Eintopf aß? Seine Schüssel hatte zumindest leer neben dem Umhang gestanden, also hatte er alles gegessen, bevor er auf die Idee kam, sich nackt in den Schnee hinauszubegeben.
Nun warf Loxley ebenfalls einen Blick in den Himmel, aber nur um festzustellen wie weit der Tag schon fortgeschritten war. Noch war es hell, aber seiner Meinung nach konnte die Dämmerung nicht mehr weit entfernt sein. Und wenn sie den Ritter bis dahin nicht gefunden hatten, dann … Weiter wollte Robin diesen Gedanken nicht spinnen, aber er konnte sich vor dieser Erkenntnis nicht drücken.
„Wir müssen ihn finden, bevor es dunkel wird“, äußerte er, was für alle offenkundig sein musste, aber nur, weil er nicht wusste, wie er sonst auf das Geschehene reagieren könnte. „Er kann noch nicht weit gekommen sein.“ Letzteres war mehr ein Wunsch als seine ehrliche Einschätzung der Lage.
„Was hatten dazu g‘bracht? Idiot!“, knurrte John. Naturgemäß war er nicht begeistert darüber, dass er die Höhle an diesem Tag bereits zum zweiten Mal verlassen musste.
„Ich weiß es nicht, John, aber es ist jetzt auch nicht wichtig,“, erwiderte Marion und Robin nickte unwillkürlich, denn das war auch seine eigene Ansicht.
„Wir können uns mit dem Grund für all das später beschäftigen. Zuerst müssen wir ihn finden und zwar bevor er erfroren ist“, äußerte Robin seine Meinung, obwohl er davon ausging, dass den anderen das ebenfalls bewusst war.
Zu diesem Zeitpunkt hatte Nasir sich bereits wieder umgewandt, um sich in die Richtung zu bewegen, die er ihnen eben angezeigt hatte. Die anderen drei folgten ihm auf der Stelle, denn das war das Beste, was sie in dieser Situation tun konnten. Allerdings waren sie noch nicht sehr weit in den Wald eingedrungen, als der Sarazene schon wieder anhielt. Nachdem sie zu ihm aufgeschlossen hatten, sahen sie auch den Grund dafür. Keinem von ihnen konnte entgehen, dass die Schneedecke, die sich vor ihnen ausbreitete, unversehrt zu sein schien. Verzweiflung drohte Robin zu übermannen, aber er war niemand, der sich von so etwas aufhalten lassen wollte. Und seine Freunde auch nicht.
„Wir teilen uns auf, jeder geht in eine Richtung“, wies Robin die anderen daher an und diese machten sich sofort auf den Weg, genau wie ihr Anführer auch. Entschlossen stapfte er durch den Schnee und hielt dabei Ausschau nach irgendwelchen Spuren und so etwas wie abgeknickte Zweige, und er lauschte nach verräterischen Geräuschen, aber da war absolut nichts, was dazu führte, dass ihm erneut der kalte Schweiß ausbrach. Die ganze Situation war allerdings so absurd, dass ihn ganz plötzlich der unwiderstehliche Drang zu lachen überkam, dem er nur einen kurzen Augenblick später dann auch nachgeben musste. Hier war er, Robin Hood, auf der Suche nach Sir Guy of Gisburne, um ihn zu retten. Er benötigte einen langen Augenblick, bis er das hysterische Lachen wieder unter Kontrolle bringen konnte.
Er war gerade wieder so weit, dass er weitergehen konnte, als ihn ein lauter Pfiff darauf aufmerksam machte, dass Nasir ihnen etwas zu sagen hatte, daher machte er sich auf den mühsamen Rückweg. Dabei hoffte er natürlich darauf, der Sarazene habe den Ritter gefunden, aber leider war dem nicht so.
„Auf diese Weise finden wir ihn nicht“, teilte der andere ihnen nur mit, nachdem sie alle wieder zusammengetroffen waren.
„Wir bräuchten einen Hund“, meinte Marion, der offenbar auch die Ideen ausgegangen waren.
„Wir haben aber keinen Hund!“ Robin wusste auch nicht, was sie jetzt tun sollten.
„Keinen Hund!“, wiederholte Nasir, aber bei ihm klang das nicht so, als wüsste er nicht weiter. Und der andere war auch schon wieder auf dem Weg zum Eingang der Höhle.
„Wir können die Suche nicht einfach abbrechen“, rief Robin ihm nach, aber sein Freund reagierte nicht auf diese Worte. Weil er aber auch nicht den Eindruck erweckte, er habe vor aufzugeben, kam Hernes Sohn auf einmal der Gedanke, der andere wisse genau, was er jetzt zu tun hatte. Es wäre auch nicht das erste Mal, dass er den Gesetzlosen auf seine eigene Art und Weise weiterhalf.
Als die anderen drei den Unterschlupf erreichten, kam ihnen Nasir bereits wieder entgegen, allerdings nicht allein, denn er führte Gisburnes pechschwarzen Hengst am Zügel, der auch in der Höhle untergekommen war. Der Ritter wäre niemals auf die Idee gekommen, das Tier bei diesem Wetter draußen zu lassen und obwohl Robin sich in der Nähe des Pferdes immer sehr vorsichtig verhielt, hätte er es auch nicht übers Herz gebracht, Fury – dies war der Name des Tieres – im Schnee zu lassen. Das Pferd konnte schließlich nichts für seinen Reiter.
Auf einmal war sich Robin sicher, dass er wusste, was Nasir vorhatte. Und dieser Gedanke gab ihm dann die Hoffnung, sie könnten Gisburne doch noch rechtzeitig finden. Jeder in der Grafschaft wusste doch wie eng die Beziehung zwischen dem Ritter und seinem Reittier war. Wenn ihn jemand unter diesen Bedingungen finden konnte, dann war es Fury.
Als der Sarazene ihn mit dem Pferd passierte, sah Robin, dass Nasir sich auch den dicken Umhang des Ritters geschnappt hatte, denn dieser befand sich jetzt auf dem Rücken des Tieres. Aber wenn er so darüber nachdachte, dann hätte er sich auch nicht vorstellen können, dass sein Freund nicht an so etwas denken würde.
Allerdings schwand seine Zuversicht, dass Nasir die Lösung für ihr Problem gefunden hatte, nach und nach, denn obwohl der Hengst sich offenbar ziemlich zielgerichtet auf den Weg durch den Wald machte – wobei Robin darüber erstaunt war, wie friedlich er Nasir folgte – fanden sie trotzdem keine Spur des Ritters. Und dann fiel Dunkelheit über den Wald und Hernes Sohn verlor auch noch das letzte bisschen Hoffnung, welches er sich erhalten hatte. Er glaubte nun nicht mehr, dass dieser Vorfall noch gut ausgehen würde.
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Es war ein lautes Wiehern, das Robin aus seinen düsteren Gedanken riss. Als er den Kopf hob, sah er, dass der Hengst auf einmal nach vorne drängte und Nasir ihn gewähren ließ. Sofort beeilte Hernes Sohn sich hinterherzukommen, während er sich gleichzeitig die Frage stellte, aus welchem Grund das Tier derart reagierte, denn er selbst konnte außer den Geräuschen, die der Suchtrupp verursachte, nichts hören. Aber er musste nur ein paar Schritte weitergehen, als er plötzlich – und ziemlich unerwartet – leisen Gesang vernahm, der von einer Stelle vor ihm kam. Genau aus der Richtung, in der sich auch das Pferd bewegte.
Es dauerte nicht sehr lange, bis sie zwischen den Bäumen hervorkamen und sich am Ufer des geheimnisvollen Sees wiederfanden, der im Herzen von Sherwood lag. Und den nur derjenige finden konnte, dem Herne das erlaubte. Davon war Robin überzeugt, zumindest bis zu diesem Augenblick, aber nun war er sich auf einmal nicht mehr sicher, denn dies würde bedeuten, sein spiritueller Vater habe es Gisburne gestattet hierherzukommen. Dies war etwas, was Hernes Sohn nicht so recht glauben konnte.
Aber im Grunde war es in diesem Moment egal, wie die Antwort auf diese Frage lautete, denn sie würde nichts an der Tatsache ändern, dass sie den Gesuchten endlich gefunden hatten. Loxley hatte schon nicht mehr daran geglaubt und wenn er überhaupt daran gedacht hatte, sie könnten den anderen doch noch finden, dann aber nur besinnungslos – wenn nicht sogar tot – im Schnee liegend. Stattdessen stand der Mann am Ufer, mit erhobenen Armen und blickte auf den Mond, der über den Bäumen aufgegangen war, während er sang. Robin war allerdings nicht in der Lage einzelne Worte zu verstehen, denn er kannte die Sprache nicht. Aber er konnte nicht leugnen, dass es sich erstaunlich gut anhörte. Er wäre niemals auf die Idee gekommen, dass der Ritter überhaupt singen konnte.
Hernes Sohn war nicht das erste Mal während der Nacht hier am See und daher wurde er nicht davon überrascht, auf welche Art und Weise der Mond den Nebel zum Leuchten bringen konnte, der sich am Ufer von Darkmere sammelte. Trotzdem war er nicht auf den Anblick gefasst, der sich ihm jetzt bot, denn Gisburne war auch von hinten sehr gut zu erkennen, obwohl der Mond sich vor ihm befand. Die unheimliche Lichtquelle, in die der Nebel sich auf magische Weise verwandelt hatte, ließ den Ritter wie ein Wesen aus einer anderen Welt erscheinen, denn er wirkte viel zu schön, um ein Mensch aus Fleisch und Blut zu sein.
Robin stockte schier der Atem, denn dieser Anblick rief ein unerwartetes Gefühl in ihm hervor, mit dem er sich nicht weiter beschäftigen wollte. Er war nicht in der Lage, seine Reaktion zu erklären und er schüttelte sich, um sich von der Wirkung dieses Mannes auf ihn zu befreien. Aber er war nicht der einzige, der von dem beeinflusst wurde, was er sah, denn auch Marion und John waren für einen Augenblick wie angewurzelt stehengeblieben. Zum Glück schien zumindest Nasir dem Zauber dieses Ortes – und des Mannes, der nackt am Ufer des Sees stand – nicht erlegen zu sein, denn er hatte sich dem Ritter bereits so weit genähert, dass er ihm den warmen Umhang überwerfen konnte.
Kaum legte sich der Umhang auf Gisburnes Schultern, da hörte dieser auf zu singen und drehte sich stattdessen um. Sofort ging Robin auf, dass es dem Mann offenbar völlig egal war sonst nichts weiter zu tragen. Er breitete nämlich erneut seine Arme aus – die er gerade erst hatte herabsinken lassen – und dabei klaffte der Umhang dann weit auf. In dieser Haltung blieb der Ritter stehen, ohne sich weiter zu bewegen und starrte dabei Robin an, wobei er die anderen drei Personen völlig ignorierte. Das gleiche traf aber auch auf seinen Hengst zu, der damit begonnen hatte an den Haaren seines Herrn zu knabbern. Loxley wäre jede Wette eingegangen, dass der andere Mann auf Fury reagieren würde, aber stattdessen achtete dieser nur auf den Anführer der Gesetzlosen. Und auf einmal erschien ein seliges Lächeln auf dem Gesicht des Ritters.
„Göttin des Mondes“, rief er verzückt aus. „Ich habe Euch gerufen und Ihr seid meinem Ruf gefolgt und vom Himmel herabgestiegen.“ Diese Worte hatten kaum seine Lippen verlassen, als er auch schon auf Loxley zustürmte, der – genau wie seine Freunde – derart verblüfft war, dass er sich nicht rührte. Daran änderte sich auch nichts, als die Arme des anderen Mannes sich um ihn schlossen und dessen Kopf auf seine Schulter sank. So etwas hatte Robin auf keinen Fall erwartet.
Gisburne blieb aber nicht sehr lange in dieser Stellung, denn er richtete sich relativ schnell wieder zu seiner vollen Größe auf – wobei er Loxley allerdings nur um wenig überragte – und zeigte dem verwirrten Gesetzlosen erneut ein Lächeln. Robin kam nicht umhin festzustellen, dass er damit einen völlig anderen Eindruck machte, als er von dem Mann gewohnt war. Selbst wenn er dessen Verhalten aus den letzten beiden Tagen mitberücksichtigte. Das war allerdings nicht so überraschend, denn er hatte Gisburne noch nie auf eine derart freundliche Art und Weise lächeln sehen. Er war noch nicht einmal davon ausgegangen, dass der Ritter dazu fähig war, so zu lächeln.
„Ihr seid viel schöner als ich es mir hatte vorstellen können, Göttin des Mondes“, rief der Ritter aus, nachdem er Loxley noch einmal gemustert hatte. Er hielt den Gesetzlosen weiterhin in seiner Umarmung und Robin fiel nicht ein, wie er daraus entkommen konnte, ohne Gisburne zu verschrecken. Er hatte auch keine Ahnung, was mit dem anderen Mann los sein könnte. Vor allem wunderte er sich darüber, dem Ritter nicht im Geringsten anzumerken, dass er nackt durch den Schnee gelaufen war und nicht nur für wenige Augenblicke. Schließlich hatten sie ihn einige Zeit suchen müssen, bevor sie auf ihn stießen.
„Ihr seid so schön“, wiederholte der Ritter und diese Worte reichten völlig aus John und Marion zum Kichern zu bringen. Als Robin sich daraufhin nach seinen Freunden umblickte, musste er feststellen, dass selbst Nasir amüsiert wirkte. Robin hingegen fand das Ganze überhaupt nicht lustig, vor allem, weil der Ritter ihn immer noch nicht wieder losgelassen hatte. Seltsamerweise fühlte er sich aber von dem Ritter nicht bedroht. Zumindest nicht in der Art wie sonst, wenn sie aufeinandertrafen. Sah man einmal von den beiden letzten Tagen ab, an denen Gisburne ebenfalls nicht bedrohlich gewirkt hatte, egal was Wills Meinung dazu auch sein mochte.
„Wir müssen weg von hier, Gisburne“, versuchte er die Aufmerksamkeit des Ritters auf die Tatsache zu lenken, dass dies kein Ort war, an dem man die Nacht verbringen konnte. Zumindest nicht zu dieser Jahreszeit. Aber der andere Mann schien ihn nicht zu hören.
„Ich habe nie gewusst, wie schön der Mond ist. Das tut mir leid“, brachte er nun in einem entschuldigenden Tonfall vor, wobei er Robin immer noch direkt ins Gesicht blickte. Dieser begann sich jetzt in der Umarmung des Mannes etwas unwohl zu fühlen, vor allem, weil er jetzt das bestimmte Gefühl hatte, der andere wolle ihn auch noch küssen. Sollte ihm das gelingen, dann würde Robin das noch für Monate zu hören bekommen. Was bis hierher geschehen war, würde schon für einigen Spott sorgen, aber nichts gegen die Reaktionen seiner Freunde auf einen Kuss.
„Guy“, versuchte er noch einmal zu ihm durchzudringen, „wir können hier nicht bleiben.“
Aber anstatt auf Robins Worte zu antworten, nahm der Ritter einen seiner Arme weg und wandte sich halb von dem Gesetzlosen ab. Dabei bewegte er seinen freien Arm in einem Halbkreis, der vor allem den See einschloss und dann zeigte er auf den Mond, der in fast kreisrunder Schönheit über dem Wald stand und ohne Zweifel einen imposanten Eindruck machte. Hernes Sohn fiel bei seinem Anblick ein, dass sich der Mond erst vor wenigen Tagen in seiner vollen Pracht am nächtlichen Himmel gezeigt hatte, denn er hatte erst sehr wenig von seiner perfekten Form verloren.
„Die Göttin des Mondes gehört hierher, in diesen wunderbaren Wald, an das Ufer dieses zauberhaften Sees“, erklärte Gisburne ihm im Brustton der Überzeugung. Ihm schien nicht bewusst zu sein, dass er diese Worte normaler Weise als völligen Blödsinn ansehen würde und Robin schauderte, denn dies zeigte – seiner Meinung nach – dass dem Ritter etwas sehr Schwerwiegendes zugestoßen sein musste. Ansonsten würde er sich niemals auf diese Weise verhalten. Und was immer geschehen war, es musste sich in der Höhle zugetragen haben, also praktisch unter den Augen von Hernes Sohn und denen der übrigen Gesetzlosen.
‚Herne, gib mir Kraft!‘, sandte er ein stummes Gebet an seinen spirituellen Vater, bevor er sich wieder Gisburne zuwandte.
„Die Göttin würde sich gerne woanders hinbegeben“, versuchte er es nun auf eine andere Weise. Diese Worte hatte er leise und in einem sanften Tonfall ausgesprochen, denn er wollte den anderen Mann nicht erschrecken, trotzdem bewirkte seine Aussage, dass das selige Lächeln von einem zum anderen Moment vom Gesicht des Ritters verschwand. Stattdessen erschien dort ein Ausdruck von Besorgnis.
„Ich wollte Euch nicht verärgern, Göttin des Mondes“, äußerte er dann in einem erschrockenen Tonfall. „Ich will doch nichts anderes, als Eure Wünsche zu erfüllen.“
Robin unterdrückte das Kichern, das in ihm aufstieg, weil er davon ausging, dass es zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich nur Schaden anrichten konnte, aber er konnte nicht überhören, wie seine Freunde auf diese Worte reagierten, was auch damit zu tun hatte, dass der Ritter nicht gerade leise gesprochen hatte.
Aber dann schaffte er es doch noch ein paar Worte zu sagen. „Lass uns gehen“, äußerte er, immer noch leise sprechend, bevor er sich zu Nasir umwandte, der immer noch Fury am Zügel hielt.
„Gisburne muss auf das Pferd“, teilte er seinem Freund mit, schließlich war der Ritter der einzige von ihnen, der barfuß im Schnee unterwegs war. Es war ausgeschlossen, dass er die gesamte Strecke bis zur Höhle zurückging.
Er hatte allerdings nicht mit Widerstand von Seiten des Ritters gerechnet, schließlich ließ der ja ansonsten auch keine Gelegenheit aus sich auf den Rücken seines vierbeinigen Gefährten zu schwingen. Aber dieses Mal wollte er sich partout nicht dazu überreden lassen und es kostete Robin Zeit, bis er herausbekommen konnte, dass der andere nicht reiten wollte, wenn die ‚Göttin des Mondes‘ zu Fuß unterwegs war. Diese Aussage ergab sogar einen gewissen – wenn auch verqueren - Sinn.
Und offenbar nicht nur für Robin, wie die nächsten Worte von Marion verrieten. „Das hätte dir auch selbst auffallen müssen“, bemerkte sie, wobei ihre Mundwinkel verräterisch zuckten. Sie hatte offenbar einige Probleme dabei nicht laut aufzulachen.
„Das ist überhaupt nicht hilfreich“, zischte er ihr zu, aber das schien sie nicht weiter zu stören.
Sie hatte dann allerdings doch noch etwas Hilfreiches beizutragen. „Wenn du ihn wirklich auf das Pferd bekommen willst, dann wirst du ebenfalls aufsteigen müssen“, teilte sie ihm nämlich mit.
Robin seufzte, denn dies war nichts, was er in dieser Situation tun wollte, aber er konnte sich der Erkenntnis nicht verschließen, dass sie mit großer Wahrscheinlichkeit recht hatte.
Daher blieb ihm nichts anderes übrig, als sich zu dem Ritter zurückzudrehen, der ihn erneut mit diesem verzückten Gesichtsausdruck betrachtete, der Robin inzwischen gehörig auf die Nerven ging. Irgendwie vermisste er den arroganten Eindruck, den Gisburne üblicher Weise machte.
„Ich erlaube dir, mit mir auf dem Pferd zu sitzen“, konnte er sich schließlich dazu überwinden dem anderen Mann mitzuteilen, weil sie ansonsten wohl die ganze Nacht hier stehen würden. Als Dank wurde er erneut – und wieder völlig unerwartet für ihn – von Gisburne umarmt. Und da der andere Mann beileibe kein Schwächling war, musste der Gesetzlose feststellen, dass er sich aus dieser Umarmung nur dann würde befreien können, wenn er dem Ritter wehtat. Aber dazu konnte er sich nicht durchringen, denn Gisburne wusste ganz offensichtlich nicht was er tat. Außerdem hatte Loxley auch ein schlechtes Gewissen, denn er konnte ja nicht ausschließen, dass einer seiner Freunde etwas mit dem Zustand des Ritters zu tun hatte. Genaugenommen war das sogar sehr wahrscheinlich, denn außer ihnen hatte sich niemand in der Höhle aufgehalten.
Aber noch bevor sie dazu kamen sich auf den Rückweg zu machen, ging Loxley auf einmal auf, dass auch diejenigen, die in der Höhle geblieben waren, Gisburnes Äußerungen mitbekommen würden, sobald sie den Unterschlupf wieder erreicht hatten. Und dies war eigentlich nichts, dem Robin sich aussetzen wollte, aber ihm war auch bewusst, dass er nicht darum herumkommen konnte. Sie mussten in die Höhle zurückkehren und zwar so schnell wie möglich, auch wenn der Ritter bisher keine Anzeichen dafür zeigte, dass die Kälte und der Schnee ihm zusetzten. Trotzdem durften sie nicht davon ausgehen, dass dies so blieb. Aus diesem Grund mussten sie nun zurück.
Dann kam Robin plötzlich eine Idee, was ihn dazu veranlasste seinen Kopf soweit zu drehen, dass er in der Lage war John anzublicken. Mehr konnte er nicht bewegen, weil Gisburne ihn immer noch umklammert hielt. „John, geh voraus. Bereite Tuck auf unsere Rückkehr vor. Aber noch wichtiger ist, dafür zu sorgen, dass Will zu betrunken ist, um noch irgendetwas mitzubekommen. Wir können es uns nicht leisten, dass er sich einmischt. Er würde nichts als Ärger machen.“
John nickte nur, bevor er sich auf den Weg machte und Robin wagte es, erleichtert aufzuatmen. Was er eben zu John gesagt hatte entsprach zwar der Wahrheit, allerdings nicht der ganzen, denn der Anführer der Gesetzlosen fürchtete weniger Scarlets Ärger als seinen Spott. Und diesem wollte er sich nicht aussetzen – wenn er es irgendwie vermeiden konnte – vor allem, weil Will ihn damit für Jahre verfolgen würde, so wie er ihn kannte.
„Wir sollten auf das Pferd steigen“, versuchte er den Ritter dann dazu zu bewegen, zuerst einmal die Umarmung zu lösen, was dieser – überraschender Weise - auch sofort tat, sogar ohne selbst etwas dazu zu sagen. Der Gesetzlose konnte sich nun zu Fury umdrehen, weil er jetzt endlich aufsteigen wollte, nur um in diesem Moment festzustellen, dass das Pferd nicht gesattelt war und er keine Ahnung hatte, wie er auf das Tier kommen sollte. Schließlich war er nicht wirklich ein vollendeter Reiter. Er hatte eher selten mit diesen Tieren zu tun.
Während er noch unschlüssig neben dem Pferd stand und sich den Kopf zerbrach, spürte er auf einmal wie ihn zwei kräftige Hände an der Taille packten, aber bevor er darauf reagieren konnte, wurde er auch schon hochgehoben. Er fand sich auf dem Tier wieder und blickte auf den Ritter hinab, der ihn mit einer Leichtigkeit angehoben hatte, als ob er nicht mehr als ein Kind wiegen würde. Und nur einen Augenblick später war der andere Mann hinter ihm auf Fury gesprungen. Robin wunderte sich nur noch darüber, wie er zu so etwas in der Lage sein konnte, nachdem er bereits seit Stunden in der Kälte unterwegs war.
Als der Ritter dann auch noch daranging, Robin ebenfalls in den Umhang zu hüllen – wobei er seinen nackten Körper an die Seite des Gesetzlosen schmiegte – und ihn dann anschließend wieder umarmte, fiel zum Glück nur Nasir auf, dass sein Freund darauf zwar mit Erstaunen reagierte, aber er für einen Augenblick auch von so etwas wie einem wohligen Schauder erfasst wurde, was Loxley sofort darauf zurückführte, dass der Körper des Ritters eine Wärme von sich gab, die auch dem Gesetzlosen wohltat. Marion hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits abgewandt und schaute stattdessen auf die Stelle zwischen den Bäumen, wo gerade John aus ihrem Blickfeld verschwunden war.
„Seid versichert, meine schöne Göttin, dass ich Euch nicht fallen lassen werde“, versicherte der Ritter Robin in aller Ernsthaftigkeit. Diesmal war der Gesetzlose sich sicher, dass er seinen sarazenischen Freund kichern hörte.
Während sich das Pferd durch den nächtlichen Wald bewegte – von Nasir geführt – kam Robin nicht darum herum festzustellen, dass er wirklich nicht Gefahr lief hinunterzustürzen, denn der Ritter hielt ihn fest ihm Arm. Eigentlich hatte der Gesetzlose angenommen, dass ihm dies unangenehm sein sollte, weil er sich mit einem völlig nackten Mann unter demselben Umhang befand, aber dies war nicht der Fall, denn er verspürte in erster Linie Erleichterung, weil es nun endlich zurück zur Höhle ging.
Gisburne selbst schien sich an seinem Zustand nicht weiter zu stören und es dauerte nicht lange, bevor er damit begann Robin Worte ins Ohr zu flüstern, von denen er wahrscheinlich annahm, dass die ‚Göttin‘ sie gerne hören würde. Der Gesetzlose war froh, dass es bereits dunkel war, weil aus diesem Grund keiner mitbekam, dass sein Gesicht rot angelaufen war, denn was er zu hören bekam hatte recht wenig mit der Anbetung einer Göttin zu tun und mehr damit, was der Ritter gerne mit einer schönen Frau tun würde. Und dies in ziemlich unzweideutigen Worten.
Aber darüber hinaus vergaß der andere Mann auch nicht die vermeintliche Frau, die sich mit ihm auf dem Pferd befand, zu preisen. „Ich habe noch nie etwas Schöneres als Euch gesehen, meine Göttin“, bekam der Gesetzlose daher des Öfteren zu hören, aber auch wie lieblich seine Stimme wäre, was Robin ziemlich seltsam vorkam, vor allem, weil er ja so gut wie nie antwortete.
Eine Bemerkung des Ritters war aber – in Robins Auffassung – verstörender als alles andere: „Lasst mich Eure Sonne sein, mein lieblicher Mond“, bat er Robin völlig unerwartet, wobei er gleichzeitig versuchte, den anderen Mann noch näher an sich heranzuziehen. Der Gesetzlose hätte sich gerne dagegen zur Wehr gesetzt, aber er hatte feststellen müssen, dass er gegen den Ritter nicht mehr ausrichten konnte als ein Kind gegen einen Erwachsenen. Gisburne kam ihm sehr viel kräftiger vor als sonst.
Nach einiger Zeit begnügte der Ritter sich nicht mehr damit den Gesetzlosen zu umarmen. Während er Robin weiterhin mit dem rechten Arm hielt, begann er seine andere Hand über dessen Körper zu bewegen, was eine völlig unerwartete Wirkung auf Loxley hatte. Er hatte auf keinen Fall erwartet, dass ihn dieses zärtliche Streicheln tatsächlich erregen würde und er konnte nur hoffen, dass der Ritter das nicht mitbekam. Und er war auch erneut erleichtert, dass es dunkel war.
Leider begnügte sich Gisburne nicht damit den anderen Mann zu streicheln, sondern er begann ihn auch zu küssen. Zuerst nur die Haare, aber da Robin sich nicht dagegen wehrte – natürlich einzig aus dem Grund, dass er vor Schreck erstarrt war – fühlte der Ritter sich offenbar ermutigt und daher bedeckte er nun auch den Hals und die Wange des Gesetzlosen mit Küssen. Es war nur allzu verständlich, dass es einen Moment dauerte, bis Loxley wahrnahm, dass der Ritter dabei ziemlich zärtlich vorging. Wäre Robin tatsächlich eine Frau und dem Ritter zugetan, dann wäre er über die Aufmerksamkeiten des anderen Mannes ganz bestimmt hocherfreut. Aber da er weder das eine noch das andere war, saß er wie erstarrt auf dem Pferd, was Gisburne aber offenbar nicht auffiel, denn er machte mit seinen Liebkosungen immer weiter, nur ab und zu davon unterbrochen, dass er der ‚Göttin des Mondes‘ versicherte, wie schön sie wäre.
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Als endlich die Lichtung in Sicht kam, an der die Höhle lag, fühlte Robin wie ihn vor Erleichterung seine ganze Anspannung verließ, was dazu führte, dass er beinahe vom Pferd gefallen wäre und diesmal war es tatsächlich Gisburne, der ihn vor diesem Sturz bewahrte. Der andere Mann hatte nämlich seine Umarmung zu keinem Moment gelockert, obwohl ihn das eigentlich ziemlich anstrengen musste. In diesem Augenblick war ihm der Gesetzlose wirklich dankbar, aber dies wollte er ihm auf keinen Fall zeigen, denn er wollte den anderen nicht noch weiter ermutigen. Auch wenn er sich nicht sicher war, ob dies überhaupt nötig sein würde, denn der Ritter war offenbar sehr tief in seine – irrigen – Vorstellungen versunken. Daher war nichts, was Robin tat, dazu geeignet, ihn in irgendeiner Weise zu beeinflussen. Trotzdem wollte der Gesetzlose kein Risiko eingehen.
Mit genauso viel Energie, wie der Ritter am See auf das Pferd gekommen war, sprang er auch jetzt wieder hinunter, bevor auch nur irgendjemand etwas hätte sagen können, nur um dann auch Robin dabei behilflich zu sein wieder auf den Boden zu gelangen, ohne ihm die Gelegenheit einzuräumen selbst hinunterzukommen.
„Meine Göttin“, verbeugte sich Gisburne vor ihm, um dann zur Seite zu treten, weil er offenbar dem Gesetzlosen den Vortritt lassen wollte.
Robin unterdrückte einen Seufzer, während er gleichzeitig darauf hoffte, es wäre John tatsächlich gelungen dafür zu sorgen, dass Will ihnen – ihm – nicht in die Quere kam. Dann straffte er seine Schultern und ging langsam auf den Eingang der Höhle zu, während Gisburne sich einen Schritt hinter ihm hielt. Auf diese Weise betraten sie fast gleichzeitig – aber auf jeden Fall im Gleichschritt – den Winterunterschlupf der Gesetzlosen, wo alle anderen auf sie warteten. Robin wäre es zwar lieber, er wäre mit dem Ritter allein, aber ihm war schon bewusst, dass dies nicht mehr als ein Wunsch war, der nicht Wirklichkeit werden würde. Und als er noch einmal darüber nachdachte, wurde ihm klar, dass er das doch nicht wollte.
Hinter sich hörte er auf einmal Gisburne scharf einatmen, woraufhin er sich auf der Stelle umdrehte, denn er befürchtete einer der anderen habe es geschafft sich hinter den Ritter zu schleichen, um ihm aufzulauern. Aber da war niemand außer dem Normannen, der allerdings mit einem erstaunten Gesichtsausdruck stehengeblieben war, als habe er die Höhle noch nie zuvor gesehen. Darüber hinaus machte er den Eindruck, als blicke er auf ein großes Wunder.
„Euer Palast übersteigt alles, was ich mir hätte vorstellen können, meine wunderschöne Göttin.“ Seine Worte wurden mit einer Ernsthaftigkeit vorgebracht, die Robin erneut erstaunte, weil nichts von der Arroganz in ihnen mitschwang, die der Ritter ansonsten zeigte. Sie brachten aber auch Marion, Nasir und John zum Kichern, während Tuck mit offenem Mund neben dem Feuer stehengeblieben war. Offenbar war er zu nichts anderem fähig als die beiden Männer anzustarren, die gerade die Höhle betreten hatten. Was immer John ihm bereits erzählt hatte schien ihn nicht darauf vorbereitet zu haben, was er nun zu sehen – und zu hören - bekam.
„Willkommen, Gisburne“, konnte Robin sich nicht zurückhalten zu bemerken, genauso wenig wie er die Resignation aus seiner Stimme heraushalten konnte, die ihn befallen hatte. Er hatte absolut keine Ahnung, was er mit dem anderen Mann machen sollte.
„Was ist mit ihm geschehen?“, wollte Tuck wissen, nachdem er sich ein bisschen von seinem Schock erholt hatte.
Im gleichen Moment gab auch Gisburne etwas von sich. „Ich danke Euch, dass Ihr mir den Eintritt erlaubt habt, meine Göttin“, äußerte er sich, wodurch Robin klar wurde, dass er wohl von der Reaktion der anderen nichts mitbekommen hatte. Es war so, als ob die übrigen Gesetzlosen für ihn nicht existierten. Robin ließ seine Schultern wieder sinken.
„Setz dich hier ans Feuer, Guy“, bat er den anderen Mann, weil ihm diese Vorgehensweise am sinnvollsten erschien. Dem Ritter musste doch sicherlich kalt sein, auch wenn er keine Anzeichen für ein Unwohlsein irgendeiner Art zeigte. Aber Robin wollte nicht riskieren, dass er nun – nachdem sie ihn gefunden und zurückgebracht hatten – doch noch durch die Kälte getötet wurde. Das konnten sie sich nicht leisten, vor allem, wenn er an die Dorfbewohner dachte.
„Kommt Ihr an meine Seite?“ Der Ritter blickte erneut mit diesem verzückten Gesichtsausdruck zu Robin auf, worauf die anderen wieder mit einem Kichern reagierten. Robin selbst war dazu allerdings nicht zumute, denn er hatte eine gute Vorstellung davon, was der Ritter gerne tun würde, sobald sie nebeneinander am Feuer saßen. Auf der anderen Seite hatte er keine Idee, wie er ihn davon abhalten sollte, es sei denn, er würde ihn niederschlagen. Es wäre zwar nicht das erste Mal, aber die jetzige Situation war eine völlig andere als sonst und darüber hinaus wusste er ja auch nicht, wie der andere Mann in seinem Zustand darauf reagieren würde. Da war es besser, er hob sich diese Möglichkeit als letztes Mittel auf.
„Er macht überhaupt nicht den Eindruck, als wäre er durch den Schnee gelaufen“, stellte Tuck fest, der die Gelegenheit ergriffen hatte einen genaueren Blick auf den Ritter zu werfen, über dessen Schultern zwar immer noch der Umhang lag, der aber keine Anstalten gemacht hatte seinen restlichen – nackten – Körper damit zu bedecken. Damit hatte er dem Mönch einen guten Blick auf ihn gewährt, was dieser offenbar auch weidlich ausgenutzt hatte. Mit dem Resultat, dass sein Gesicht jetzt eine gewisse Röte annahm. Robin war sich sicher, dass dies nichts mit der Hitze des Feuers zu tun hatte.
„Hat er sich die ganze Zeit über so … seltsam benommen?“, wollte Tuck dann auch noch wissen.
Es war – überraschender Weise – Nasir, der die Antwort lieferte. „Vom Moment an als er Robin erblickte.“
„Er hält ihn für die Göttin des Mondes“, konnte Marion sich nicht zurückhalten, wobei sie den krampfhaften Versuch unternahm das Kichern zu unterdrücken, das in ihr aufstieg, aber sie war nicht erfolgreich.
„Die Angelegenheit ist nicht zum Lachen“, bemerkte Tuck, aber sein freundlicher Tonfall machte allen klar, dass er niemanden hatte zurechtweisen wollen. „Wir müssen unbedingt herausbekommen, aus welchem Grund er sich so verhält, damit wir wissen, ob er von allein wieder in seinen normalen Zustand zurückkehren kann. Aber auch, wie lange wir darauf warten müssen.“
„Ich hoffe, dies hält nicht mehr zu lange an“, äußerte Robin seine Hoffnung, denn er musste erneut die Aufmerksamkeiten des Ritters über sich ergehen lassen, vor allem in der Form von zaghaften Küssen. Gisburne war ganz auf den Anführer der Gesetzlosen fokussiert und reagierte überhaupt nicht auf die anderen.
Dies wollte Robin sich aber jetzt zunutze machen, denn er hatte verstanden, dass er mit seinen Freunden sprechen konnte, ohne dass der Ritter davon etwas mitbekam. „Hast du keine Vorstellung davon, was dies verursacht haben könnte, Tuck?“, wollte er daher von seinem Freund wissen, während er gleichzeitig etwas näher ans Feuer rückte, weil ihm immer noch kalt war.
Allerdings bereute er das gleich darauf, denn Gisburne war diese Bewegung natürlich nicht entgangen. Auf der Stelle entledigte sich der andere Mann seines Umhangs – und saß nun völlig nackt neben Robin – und legte das Kleidungsstück stattdessen dem Gesetzlosen um. Als dieser den anderen daraufhin anblickte, entdeckte er aber, dass er die Stirn gerunzelt hatte.
„Ich hätte nie gedacht, dass eine Göttin frieren würde“, äußerte er dann, was ihm offenbar durch den Kopf gegangen war.
Robin entschied sich auf Gisburnes irrige Vorstellungen einzugehen. „Dies ist mein irdischer Körper und daher reagiert er wie der von jedem anderen Menschen.“ Er hatte sich zu diesem Vorgehen entschlossen, weil er in der Bemerkung eine Möglichkeit sah, dem anderen Mann eine Frage zu stellen. „Ich wundere mich hingegen, dass du nicht frierst. Oder bist du kein Mensch?“
Jetzt runzelte der Ritter erneut die Stirn. „Natürlich bin ich ein Mensch. Wie kommt Ihr auf diese Idee?“ Er schien nicht zu verstehen, worauf Robin sich beziehen könnte.
Nun blieb dem Gesetzlosen nichts anderes übrig, als mit der Hand auf den Mann neben ihn zu zeigen - auf den nackten Mann – wobei er sehr erleichtert darüber war, dass es John offenbar gelungen war sich um Will zu kümmern. Zumindest war von dem ehemaligen Soldaten zurzeit nichts zu sehen.
Der Ritter folgte seinem Finger und blickte an sich selbst hinunter. In dem Moment schien ihm zum ersten Mal aufzufallen, dass er nicht das geringste bisschen trug, denn sein Gesicht überzog sich mit einer gewissen Röte.
„Ich …“, begann er, „ich habe nicht …“ Offenbar wusste er in dem Moment nicht, was er von sich geben sollte, aber er begann sofort damit, sich umzublicken. Auch wenn er nicht sagte, was er suchte, war Loxley sich ziemlich sicher, dass es sich dabei um seine Kleidung handelte. Robin warf Tuck einen fragenden Blick zu, woraufhin der Mönch zu einer Stelle an der Höhlenwand wies.
„Dort drüben“, machte Robin den Ritter nun aufmerksam.
Sobald Gisburne erspäht hatte, was er suchte, erhob er sich und eilte hinüber, was Robin veranlasste erleichtert aufzuatmen, denn er hatte die Nähe des nackten Mannes schon als ziemlich anstrengend empfunden. Außerdem gab ihm das die Gelegenheit einige Worte mit John zu wechseln. Auch wenn der Ritter den Eindruck erweckte, er bekäme nichts von dem mit, was nicht direkt mit ihm zu tun hatte, gab es Dinge, die der Gesetzlose nicht ansprechen wollte, wenn er mithören konnte.
„Was ist mit Will?“, erkundigte er sich flüsternd.
„Schläft hint‘n sein‘ Rausch aus. Leid’r werd’n wir morg’n wied’r Met hol’n müss’n. Will verträgt ’ne Menge“, erklärte ihm sein bärtiger Freund.
„Und Much?“ Natürlich war Robin sofort aufgefallen, dass von seinem Bruder auch nichts zu sehen war.
„Er hat ein Auge auf Will“, teilte Tuck ihm nun mit. „Als John uns erklärte, was im Wald los war, schien das Much sehr unangenehm zu sein, daher habe ich ihn auch nach hinten gesandt.“
Robin nickte, denn er nahm an, dass der Jüngere sich einfach nicht darüber klarwerden konnte, was vorgefallen war. Wenn es zu kompliziert wurde, dann reagierte er schon einmal mit Verwirrung. Sein Bruder konnte ihm das auch nicht übelnehmen, denn er war sich ja selbst nicht sicher, was er von der ganzen Situation halten sollte.
„Hast du eine Idee was geschehen ist, Tuck?“, wollte der Anführer der Gesetzlosen nun wissen, während er einen verstohlenen Blick auf den Ritter warf, der aber immer noch damit beschäftigt war sich anzuziehen. Das dauerte länger als Robin zuvor vermutet hatte, denn offenbar musterte der Ritter jedes Kleidungsstück erst einmal ganz genau, als ob er es noch nie zuvor gesehen hatte.
„Er scheint Dinge zu sehen, die nicht da sind“, fing der Mönch an. „Oder besser gesagt, er sieht die Dinge anders als sie in Wirklichkeit sind. Ganz wie jemand, der zu viel getrunken hat.“
„Will hätte ihn niemals an seinen Met gelassen“, war alles, was Robin dazu einfiel.
„Ich sagte nicht, dass er getrunken hat“, wies Tuck ihn zurecht. „Es gibt noch andere … Substanzen, die einen solchen Zustand hervorrufen können. Kräuter, Beeren oder Pilze.“
„Aber wo sollte er so etwas herbekommen haben?“, wunderte Marion sich und kam mit ihrer Frage Robin zuvor.
„Besitzt du so etwas?“, wollte er nun stattdessen von Tuck erfahren.
Der Mönch blickte für einen Augenblick zu Boden, als habe er Grund sich zu schämen, bevor er sich zu einer Antwort aufraffte. „Ich muss die Vorräte überprüfen“, war dann aber alles, was er sagen wollte und dann war die Gelegenheit für ein ungestörtes Gespräch auch schon vorbei, denn Gisburne kehrte an Robins Seite zurück, nun aber vollständig angekleidet. Aber immer noch ignorierte er die anderen und fokussierte sich einzig auf Hernes Sohn. Trotzdem wollte der Gesetzlose sein Gespräch nicht fortsetzen, denn schließlich war dem anderen Mann ja in der Zwischenzeit auch aufgefallen, dass er nackt war, was ihn zuvor nicht gestört zu haben schien.
„Ich bin zurück, Göttin des Mondes“, verkündete der Ritter, völlig überflüssig.
„Setzt dich wieder zu mir“, bat ihn Robin, denn er wollte verhindern, dass Gisburne sich vielleicht erneut aus der Höhle entfernte. Er wollte ihn auf keinen Fall ein weiteres Mal im Wald suchen müssen, mal abgesehen davon, dass es draußen nun vollständig dunkel war, aber auch, dass der Schneefall wieder zugenommen hatte. Sie hatten schon einmal Glück gehabt und den Ritter gefunden. Es war eher unwahrscheinlich, dass ihnen das ein weiteres Mal gelingen würde.
Der andere ließ sich auch nicht lange bitten, sondern nahm sofort neben ihm Platz, wobei er ihm so nahekam, dass er schon fast auf seinem Schoss saß. Und dann legte er ihm auch wieder seinen Arm um die Schultern. Robin war das zwar unangenehm – vor allem, weil Marion und John sie beobachteten – aber er konnte es sich nicht erlauben, den Ritter zu verschrecken. Aus diesem Grund ließ er sich die Umarmung gefallen, was dann wiederum dazu führte, dass er auch noch geküsst wurde. Die Küsse landeten glücklicherweise nur auf seiner Wange und auf dem Rücken der Hand, die Gisburne ergriffen und an seine Lippen geführt hatte. Robin fand es allerdings etwas seltsam, wie wenig es den anderen Mann zu stören schien, dass er es – zumindest seiner Meinung nach – mit einer Göttin zu tun hatte, denn er behandelte den Gesetzlosen nicht anders als andere Frauen. Selbstverständlich konnte Robin sich in dieser Hinsicht nicht völlig sicher sein, denn er hatte den Ritter niemals bei so etwas beobachten können. Nicht, dass er das jemals gewollt hätte. Auf jeden Fall war er froh, dass der Ritter sich doch ziemlich zurückhielt, denn Robin hatte da schon ganz andere Geschichten gehört.
Rettung kam schließlich in der Gestalt von Tuck, der Robin eine Schale mit einer dunklen Flüssigkeit reichte. „Das muss er trinken“, raunte er ihm zu, bevor er sich wieder entfernte, ohne von Gisburne bemerkt worden zu sein.
„Hier, mein Ritter“, wandte der Gesetzlose sich auf der Stelle an den anderen. „Trink dies.“
Gisburne nahm ihm die Schale ohne jeden Argwohn ab, setzte sie an seine Lippen und leerte sie in wenigen Zügen. Er schaffte es gerade noch das Gefäß wieder auf dem Boden abzustellen, bevor ihm die Augen zufielen und er zur Seite sackte. Vielleicht wäre er sogar mit dem Kopf auf den Boden geprallt, wenn nicht Robin, der ja ganz nah bei ihm saß, ihn aufgefangen hätte. Bei dieser Gelegenheit fiel ihm auch auf, dass der Ritter tief und fest schlief, betäubt von was-immer-auch Tuck zusammengemischt hatte. Der Gesetzlose atmete erleichtert auf, weil Gisburne nun ganz bestimmt nichts mehr von dem mitbekommen konnte, was um ihn herum vor sich ging. Robin war aber auch froh darüber, dass er nun nicht mehr im Mittelpunkt von Gisburnes Aufmerksamkeit stand.
„Danke, Tuck.“ Er hatte einen Augenblick benötigt, bevor er in der Lage war, dies auszusprechen. Er machte eine kurze Pause, bevor er dann doch noch eine Frage stellte: „Was geschieht nun?“
„Jetzt wird er erstmal schlafen. Mindestens bis morgen früh. Und wenn ich mich nicht geirrt habe, dann müsste er nach dem Aufwachen wieder ganz sein altes Selbst sein“, erklärte Tuck ihm.
„Du hast also etwas entdeckt?“, wollte sein Anführer und Freund jetzt von ihm wissen. Wenn der Mönch ein Gegenmittel zusammengebraut hatte, dann musste er ja etwas gefunden haben. Robin konnte nicht glauben, dass er dem Ritter einfach auf gut Glück etwas zu trinken gegeben haben würde.
Tuck antwortete ihm nicht sofort, aber vielleicht lag das nur daran, dass er erst seine Gedanken ordnen wollte, bevor er zu einer Antwort ansetzte. „Ich hatte bei den Vorräten hinten in der Höhle einige getrocknete Pilze. Von denen fehlen nun welche.“
„Getrocknete Pilze?“, wunderte Robin sich, denn bei dieser Beschreibung dachte er nur an die Sachen, die Tuck in ihren Eintopf tat. Da waren auch schon mal Pilze dabei.
„Nicht solche“, kam prompt zurück, als wenn Tuck seine Gedanken gelesen hätte. „Das sind besondere Pilze, für …“ Er sprach nicht weiter, sondern blickte Robin nur mit rotem Kopf an. Dann jedoch raffte er sich auf und redete weiter. „Der Apotheker, der vor einigen Monaten durch den Wald kam, hatte sie bei seinen Sachen. Vielleicht hätte ich sie wegwerfen sollen, aber …“ Erneut hörte er auf zu reden und diesmal dauerte die Pause länger.
„Aber was, Tuck?“, wollte Robin wissen, als der andere nicht von sich aus weitersprach.
„Ich dachte, vielleicht können wir so etwas noch mal brauchen“, gab der Mönch mit leiser Stimme zu.
„Für Gisburne?“, bohrte Robin nach.
Der andere nickte. „Aber ich hab sie ihm nicht gegeben, Robin“, setzte er dann noch hinzu.
„Wer wusste noch von den Pilzen?“
Der andere blickte ihn nur stumm an.
„Tuck, bitte, wem hast du von den Pilzen erzählt?“
„Ich hab sie Much gezeigt, damit er sie nicht versehentlich in unser Essen tut“, gab der Mönch schließlich zu.
Robin konnte sofort nachvollziehen, aus welchem Grund Tuck so etwas getan hatte. Wenn man mit Much zu tun hatte, dann war es immer besser auch die absurdesten Dinge zu bedenken. Dies war etwas, was Robin schon vor vielen Jahren gelernt hatte. Trotzdem hatte es ihm nichts genutzt und er fragte sich heute noch, ob er seinen Bogen vielleicht besser hätte verstecken können. Aber es war auch möglich, dass es sich in diesem Fall um Vorherbestimmung handelte.
„Dann hat er sie wohl in Gisburnes Essen getan, oder?“, stellte er nur fest. „Hast du schon mit ihm darüber gesprochen?“
Tuck schüttelte den Kopf.
„Gut. Lass mich das machen. Pass du in der Zwischenzeit auf unseren Gast auf“, bat Robin seinen Freund, bevor er sich in den hinteren Teil der Höhle aufmachte, wo Much auf Will aufpasste.
Er musste nur einen kurzen Blick auf seinen Bruder werfen, um zu erkennen, dass der andere ganz genau wusste, er habe etwas falsch gemacht. Dies war ohne jeden Zweifel seinem schuldbewussten Gesichtsausdruck zu entnehmen.
Und dann babbelte der Jüngere auch schon los. „Ich wollt‘ das nich‘. Er sollte nur Bauchschmerz‘n bekomm‘n. Tuck hat g‘sagt, wir dürf‘n die Pilze nich‘ ess‘n. Die bekomm‘n uns nich‘ gut.“
„Ist schon gut, Much“, versuchte Robin seinen Bruder zu beruhigen, bevor er noch in Tränen ausbrach, denn in diesem Moment erweckte er genau diesen Eindruck. „Gisburne ist nicht gestorben. Und ihm scheint es auch nicht schlecht zu gehen.“ Dann setzte er aber doch eine ernste Miene auf, denn er wollte, dass der Jüngere nicht wieder vergaß, etwas Falsches getan zu haben. „Aber wenn Tuck dir das nächste Mal sagt, du sollst die Finger von etwas lassen, dann musst du dich auch daranhalten. Das nächste Mal geht es vielleicht nicht mehr so glimpflich ab.“
„Aber es war doch nur Gisburne“, versuchte der andere sich zu verteidigen.
Robin seufzte, denn er wusste nicht, was er auf diesen Einwand antworten sollte. Es hatte auf keinen Fall einen Zweck Much zu erklären, wieso es schlecht war, wenn der Ritter starb. Für den Sohn des Müllers kam an erster Stelle, dass der normannische Ritter seinen Vater getötet hatte. Robin konnte ihn ja sogar verstehen. Außerdem war es auch nicht Muchs Aufgabe für die Sicherheit der anderen Menschen in Sherwood Sorge zu tragen. Das oblag Hernes Sohn.
„Bleib bitte noch hier bei Will“, bat er ihn deshalb nur, denn weitere Vorhaltungen würden vielleicht eher das Gegenteil von dem bewirken, was Robin erreichen wollte. Er selbst begab sich wieder nach vorne, wo sich aber an Gisburnes Zustand nichts geändert hatte. Aber das hatte Robin auch nicht wirklich erwartet, denn Tuck hatte ihm ja gesagt der Mann werde wahrscheinlich bis zum nächsten Morgen schlafen. Robin würde es ihm gerne gleichtun, denn die Ereignisse dieses Tages hatten ihn über alle Maßen ermüdet.
Nur um dann festzustellen, dass es ihm nicht gelungen war seine Müdigkeit zu verbergen. Zumindest nicht vor jemandem mit den Fähigkeiten von Nasir. Sein Freund trat nämlich sofort an ihn heran, als er wieder im vorderen Teil der Höhle erschien.
„Schlaf“, wies er ihn an, fügte dann aber noch hinzu, er werde Wache halten. Robin kannte seinen Freund inzwischen ziemlich gut und daher war er sich sicher, dass der andere die zusätzlichen Worte als überflüssig erachtete. Es war wahrscheinlich nur ein Indiz dafür, wie müde Robin auf ihn wirkte. Natürlich nahm er das Angebot seines Freundes dankend an, aber vorsichtshalber ließ er sich zwischen dem Ritter und dem Eingang der Höhle nieder, damit er im Notfall schnell eingreifen konnte. In diesem Moment führte das aber nur dazu, dass Nasir nachsichtig den Kopf schüttelte, bevor er selbst sich an der gegenüberliegenden Wand platzierte. Robin wusste, er würde ein Auge auf ihren Gast haben und dabei nicht der Versuchung erliegen einzuschlafen, aber auch nicht, die Gelegenheit zu ergreifen und dem hilflosen Ritter etwas anzutun. Damit verschaffte er seinem Anführer die Möglichkeit sich auszuruhen und zu erholen, etwas was er dringend nötig hatte. Daher war es kein Wunder, dass ihm die Augen zufielen, sobald er es sich einigermaßen bequem gemacht hatte.
Danach wusste Robin nichts mehr.
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Als Robin am nächsten Morgen seine Augen wieder aufschlug, fielen ihm direkt mehrere Dinge unangenehm auf. Das erste war die Tatsache, dass es Wills ärgerliches Gezeter war, was ihn geweckt hatte, denn er hatte gehofft sein Freund würde länger brauchen, um sich von seinem übermäßigen Metgenuss zu erholen. Als nächstes musste er dann feststellen, dass er nicht so lange geschlafen hatte, wie er sich das gewünscht hatte, denn draußen war es immer noch dunkel. Daraus folgte dann, dass er sich längst nicht so gut erholt hatte, wie er es gerne gehabt hätte. Das wiederum lag mit großer Wahrscheinlichkeit an seinen wirren Träumen, in denen er von Gisburne verfolgt worden war, der ihn mit den Worten „geliebte Göttin des Mondes“ jagte und wenn er ihn erreichte, sofort umarmte und mit Küssen überschüttete.
Bis auf Will war aber ansonsten in der Höhle noch nichts zu hören und Robin wollte sich gerade zurück in die Felle sinken lassen, als Nasir seinen Namen leise rief. Als er daraufhin zu seinem Freund hinüberschaute, nickte dieser in Richtung ihres Gastes. Robin folgte seinem Blick auf der Stelle und musste dann sehen, dass er wohl nicht der einzige war, der von Will geweckt worden war, denn Gisburnes Augen waren ebenfalls offen.
Loxley dachte natürlich sofort darüber nach, wie er feststellen konnte, ob der Ritter seinen durch den Genuss der Pilze hervorgerufenen Wahnzustand hinter sich gelassen hatte, als ihm dessen missmutiger Gesichtsausdruck auffiel. In diesem Moment wurde es dem Anführer der Gesetzlosen klar, dass Gisburne wieder ganz der Alte war. Aber offensichtlich konnte er sich nicht an das erinnern, was am Tag zuvor geschehen war, denn dann hätte er entweder verwirrt oder ziemlich verärgert gewirkt. Aber er hatte noch nicht einmal seine Stirn gerunzelt. Er starrte Robin nur schlecht gelaunt an.
„Guten Morgen“, wünschte der Gesetzlose dem anderen Mann mit vorgespielter Fröhlichkeit, denn er hatte aus den Augenwinkeln mitbekommen, dass Nasir erst Tuck und dann die anderen weckte.
„Was ist gut an diesem Morgen?“, erwiderte der Ritter mürrisch.
„Vielleicht dass es Zeit wird, dass Ihr nach Nottingham zurückkehrt, Gisburne, bevor der Sheriff auf die Idee kommt einen Suchtrupp auszusenden, der sich dann ganz bestimmt im Wald verirrt. Wollt Ihr auf diese Weise weitere Soldaten verlieren?“ Robin hatte das sichere Gefühl, dass die Waffenruhe, die über die letzten Tage zwischen den Gesetzlosen und dem Steward des Sheriffs geherrscht hatte, heute zu Ende gehen würde. Daher mussten sie ihren Gast so schnell wie möglich los werden.
„Es wird in der Tat Zeit, dass ich zurückkehre“, pflichtete ihm der andere Mann – überraschenderweise – zu.
„Aber nicht ohne ein Frühstück“, verkündete Tuck, der schon damit begonnen hatte den Eintopf vom Vortag in Schüsseln zu füllen. Und bevor der Ritter den Mund öffnen konnte, um etwas dazu zu bemerken, hatte der Mönch ihm schon eine der Schalen in die Hand gedrückt.
„Das ist eine gute Idee, Tuck. Und danach werden wir unseren Gast zum Rand des Waldes geleiten, so wie es sich als gute Gastgeber gehört“, führte Robin dann aus, als ob dies etwas wäre, was er dauernd machte.
Gisburne hatte Verstand genug sich nicht dazu zu äußern, denn ihm musste ja auch klar sein, dass er niemals auf eigene Faust aus Sherwood herausfinden würde.
Nachdem also alle gegessen hatten – und der Ritter sich davon überzeugt hatte, dass es seinem Pferd gutging – machten sich Robin, Nasir und John auf ihren Gast aus dem Wald zu führen, aber selbstverständlich nicht auf dem direkten Weg. Der Schnee, in dem sie an manchen Stellen fast bis zum Knie versanken, war ihnen dabei behilflich vor dem Ritter zu verbergen, wo die Höhle lag. Bevor sie am Rand des Waldes ankamen, fing es wieder an zu schneien und dies sorgte dann auch dafür, dass ihre Spuren nicht weit zurückverfolgt werden konnten.
Gisburne machte allerdings auch nicht den Eindruck, als würde er sich dafür interessieren, wo sie lang gingen. Zu Robins Überraschung machte der Ritter auch keine Anstalten auf seinen Hengst zu steigen. Vielleicht fürchtete er ja das Pferd könne sich verletzten, falls es in ein unter dem Schnee verborgenes Loch trat, aber vielleicht gab es auch einen anderen Grund dafür, denn Robin konnte immer wieder feststellen, dass er von dem anderen Mann – verstohlen – gemustert wurde. Er erwartete schon fast, Gisburne würde ihn fragen, was am gestrigen Tag geschehen war, aber der Ritter öffnete den ganzen Weg über seinen Mund nicht, zumindest nicht zum Sprechen.
Erst als sie die Bäume am Waldrand erreicht hatten, wandte er sich noch einmal an Robin.
„Ich werde vergessen müssen, was in den letzten Tagen geschehen ist. Du solltest das auch tun“, teilte er ihm mit derart leiser Stimme mit, dass von den anderen keiner seine Worte hören konnte. Dadurch erhielt Robin den Eindruck, er könne sich vielleicht doch an den gesamten gestrigen Tag erinnern, aber bevor er etwas darauf erwidern konnte, hatte Gisburne sich bereits auf sein Pferd geschwungen und war in Richtung Nottingham unterwegs.
In den kommenden Monaten dachte Robin öfter darüber nach, ob er Gisburne nicht doch einmal auf die Geschehnisse ansprechen sollte, aber dazu ergab sich nie eine Gelegenheit.
Und dann kam der Sommer und alles fand ein Ende.