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Lacrima

von KiraCat
Kurzbeschreibung
OneshotAngst / P12 / MaleSlash
28.02.2023
28.02.2023
1
897
 
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Es gab zwei Dinge, die Alear als Alfreds Lebenswerke bezeichnete.

Eines war der Frieden zwischen den Nationen. Alfred unterstützte Alear unermüdlich dabei, ihre gemeinsamen freundschaftlichen Beziehungen zu den Thronerben der anderen Länder auch auf eine politische Ebene zu heben und weitere Nichtangriffspakte zu schließen. Es war eine Vision, die sie beide jeweils als Wyrmgottkönig und König von Firene teilten und auf eine Weise verwirklichten, die über Äonen hinweg bestehen sollte. Ein Geschenk an die Menschheit.

Und viele Jahre nach dem Krieg, als schon lange wieder Ruhe in Elyos eingekehrt war, der Wiederaufbau der zerstörten Städte weitgehend abgeschlossen war und man die Not der Menschen gelindert hatte, widmete Alfred sich seinem zweiten Lebenswerk.

„Ich will den Garten von Schloss Lythos wieder aufbauen.“

„Den… Garten?“

„Der Garten war deiner Mutter sehr wichtig, oder nicht? Seit dem Überfall damals hat sich niemand um ihn gekümmert. Wir hatten andere Prioritäten. Aber jetzt…“

Alfred hatte sich immer ein wenig gegen diese Bezeichnung gesträubt. Lebenswerk, das klinge doch viel zu protzig für diese kleine, unbedeutende Restauration, hatte er stets behauptet. Aber für Alear war es das einzige Wort, das genug Bedeutung in sich trug, um der Hingabe, mit der Alfred sich der Aufgabe annahm, gerecht zu werden. Denn es erforderte Zeit, Kraft und Sorgfalt; ein Auge für Ästhetik und einen starken Willen. An Letzterem mangelte es Alfred nicht. Mehrmals bot Alear an, Hilfe zu organisieren, aber sein Partner lehnte immer ab.

„Ich will…“ Alfred schloss nachdenklich die Augen, sein Körper auf den Spaten gelehnt, Schweiß glänzte auf seiner gerunzelter Stirn. „Ich will, dass es wie ein Geschenk für dich wird. Mein Geschenk an dich, für alles, was du mir geschenkt hast.“

„Dann lass zumindest mich helfen.“

„Du willst bei deinem eigenen Geschenk mithelfen?“

„Ich will dir helfen. Als Gegenzug für all die Male, an denen du mir geholfen hast.“

Alfred blinzelte und gab sich schließlich lachend geschlagen. Sein Lachen wärmte Alear mehr als die Sonne selbst.

Ein Geschenk an ihn, nur an ihn, von dem Menschen, den er am meisten geliebt hatte. Vielleicht zog es Alear deswegen so oft in diesen Garten, wenn das fehlende Stück in seinem Herzen wieder wie eine klaffende Wunde schmerzte. So wie heute.



„Das war der erste Setzling, den wir gepflanzt hatten. Er ging mir damals bis zur Hüfte. Vielleicht noch weniger“, sagte Alear und strich andächtig über die dunkelbraune Rinde des mittlerweile riesigen Wisteria-Baums. Er legte den Kopf in den Nacken. Zwischen dem eng verworrenen Geflecht aus Ranken und den hängenden Blütentrauben konnte man den grauen, wolkenverhangenen Himmel über Lythos erkennen. Das Wetter war Alear aber egal. „Jetzt würde ich selbst auf Zehenspitzen nicht mehr an die Blüten herankommen.“

Er schaute zu Sommie. Das kleine Tierchen saß neben seinem Fuß und sah Alear aufmerksam aus seinen kleinen, ausdruckslosen Augen an.

„Ich weiß noch, wie du damals in eines der Löcher gefallen bist, die wir gegraben haben“, fuhr Alear fort. „Das war bei dem Baum dort.“ Er zeigte ohne zu zögern auf eine Wisteria, die etwas weiter entfernt stand. Er kannte jede einzelne auswendig. Und auch deren Geschichte.

Sommie quiekte empört, und Alear lachte leise. „Ich weiß, du magst nicht daran erinnert werden. Aber es war ja kein tiefes Loch. Und es sah so lustig aus, wir haben gelacht, bis uns alles weh getan hat. Danach haben wir dich wieder rausgeholt und als Trost mit Pfirsichen gefüttert.“

Alear lief ein Stück weiter, zur nächsten Wisteria. Wind kam auf, fuhr durch das smaragdgrüne Gras und blies Alear Haarsträhnen ins Gesicht. Sommie tapste ihm hinterher, das klingelnde Glöckchen an seinem Schweif wurde ertränkt vom Rascheln der blau-violetten Baumkronen um sie herum.

Auch über diesen Baumstamm ließ Alear gedankenverloren seine Fingerkuppen wandern. Jede noch so kleine Unebenheit kam ihm so vertraut vor, als würde er die kalte Handinnenfläche seines Partners lesen. „Der hier war anfangs kränklich“, erzählte er. „Er wollte nicht so recht wachsen. Aber Alfred hat ihn nicht aufgegeben und sich Tag für Tag um ihn gekümmert. Und jetzt ist er zwar nicht der größte Baum…“, er drehte sich, seine Hand berührte vorsichtig eine der tief hängenden Blütentrauben, „aber seine Blüten sind dafür die schönsten.“ Perfekt, wagte Alear sogar zu behaupten, perfekt in jederlei Hinsicht; von der Art, wie die Farben von Aquamarin und Amethyst ineinander übergingen, als wären die Blütenblätter von Hand bemalt, bis hin zum betörend-süßlichen Geruch, der in Alear Erinnerungen an Wein und scheinbar endlos lange Sommerabende erinnerte.

Ihm war nach Weinen zumute.

Ein leises Quieken von Sommie riss Alear aus seinen Gedanken. Sein Blick wanderte, bis er Sommies rotes Halstuch etwas weiter entfernt im Gras ausmachen konnte. Ein wenig widerwillig löste Alear sich von den Blüten und kniete sich neben dem Schutzwesen ins Gras, um dessen Fund zu betrachten. „Anemonen“, stellte Alear überrascht fest. Die weißen Blumen sollten eigentlich nicht hier blühen. Sie waren in einem anderen Teil des Gartens angelegt. „Aber die Blüten sind geschlossen.“ Alear sah zum Himmel auf, und er erinnerte sich an etwas, das Alfred ihm mal erzählt hatte. „Dann wird es wohl bald regnen“, flüsterte er.

Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, spürte er tatsächlich den ersten Regentropfen auf sein Gesicht fallen. Und es blieb nicht bei einem. Alear rührte sich nicht und schloss einfach die Augen. Es war irgendwie beruhigend, zu wissen, dass er nicht alleine war.

Der Himmel über ihm weinte, das Meer aus fallenden Blütenkaskaden weinte und inmitten all dieser Tränen weinte auch Alear.
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