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NMZR: Sie sind wieder da

Kurzbeschreibung
GeschichteFamilie, Freundschaft / P16 / Gen
Jan Böhmermann Joachim "Joko" Winterscheidt Klaas Heufer-Umlauf OC (Own Character) Olli Schulz
23.02.2023
23.05.2023
19
30.795
7
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23.02.2023 2.038
 
Leni




„Hey! Was machst du denn schon zuhause? Du wolltest doch erst Samstag kommen. Nach diesem Meeting“, sage ich, beide Hände bis zu den Gelenken in feuchter Blumenerde vergraben. Ich bin zu einem Menschen geworden, der ein kleines Kissen mit in den Garten nimmt, um es unter die Knie zu legen.

„Wurde gecancelt. Die Hälfte der Belegschaft hat Corona“, sagt er und lässt den Blick amüsiert über mein traurig aussehendes Gemüsebeet schweifen. Zugegeben, dass mit dem Anpflanzen und Selbstversorgung hatte ich mir einfacher vorgestellt. Romantischer. Ich bin eher der Typ Mensch, der moderne Supermärkte mit Weinabteilungen, in denen Parkett liegt, zu schätzen weiß. Aber ich gebe nicht auf. Ich will Felix und Maja, die mehr das Stadt- als das Landleben kennen, ein bisschen Natur mit auf den Weg geben. Und wenn es nur in Form einiger verkümmerter Karotten ist, die ich selbst angepflanzt und im Schweiße meines Angesichts geerntet habe.

„Wo sind die Kinder?“, fragt Jan. Ich wische mir die Hände an meiner Jeans ab und blicke in Richtung Haus.

„Bei Olli“, sage ich, „der neue Pool ist gestern gekommen. Sie bleiben über Nacht.“

„Er besticht sie auch mit allen Mitteln, oder?“, schmunzelt Jan. Ich strecke ihm die Hand entgegen und er zieht mich auf die Beine.

„Wie läufts an der Gartenfront?“, will er wissen.

„Lass uns nicht drüber sprechen. Mein Stolz verbietet mir, dieses Projekt aufzugeben.“

Mit verschränkten Armen betrachte ich das Beet, dann rolle ich die Schultern zurück und seufze. Kinderfrei ist in den letzten Wochen selten gewesen. Kinderfrei und Jan, der nicht zwischen Berlin und Köln pendelt, sondern zuhause ist, noch seltener. Ich hatte geplant, mich in die Wanne zu legen und „Doctor’s Diary“ zu rewatchen, einfach mal ein bisschen Marc Meier anhimmeln und den furchtbaren Alterungsprozess der Serie von der ersten bis zur letzten Minute konsequent ignorieren. Dazu ein paar Erdbeeren, eine eiskalte Limo und das Wissen, dass ich morgen werde ausschlafen können.

„Lass uns ausgehen“, sagt Jan gerade, als ich ihm von meinen Plänen erzählen will.

„Ausgehen? Was sind wir, sechzig?“, erwidere ich mit einem verwirrten Grinsen.

„Date Night?“

Ich verziehe angeekelt das Gesicht.

„Hey, wir sind lange nicht mehr alleine unterwegs gewesen“, erinnert er mich, „du springst unter die Dusche und ich überleg mir was.“

Ich grinse und sehe auf meine mit Erde bedeckten Arme hinunter.

„Was denn?“, fragt er.

„Du weißt, wie man mich kriegt.“

„Offensichtlich weiß ich das immer noch, ja“, sagt er, nicht ohne ein stolzes Lächeln. Wir gehen ins Haus und ich springe unter die Dusche, bevor ich meinen Kleiderschrank auf den Kopf stelle. In den letzten Jahren musste es vor allem praktisch sein. Ich war immer eher bequem, aber als mir ein Kleid in die Hand fällt, das ich zuletzt zu Jokos Geburtstag getragen habe, ziehe ich es instinktiv vom Bügel. Ein dunkelgrünes rückenfreies Kleid mit dünnen Trägern und hohem Beinschlitz. Dazu eine lockere Hochsteckfrisur und Turnschuhe. Zufrieden betrachte ich mich im Spiegel. Ich sehe immer noch jung aus. Nicht wie eine zweifache Mutter. Ich sehe glücklich aus. Egal, wie anstrengend die frühen Morgen sind, an die ich mich in all den Jahren nicht gewöhnt habe, wie nervenaufreibend es ist, für die Kinder so oft alleine verantwortlich zu sein und nebenbei Zeit zum Schreiben zu finden, wie selten wir es schaffen, uns zu viert zu treffen, Joko, Klaas, Olli und ich. Am Ende hat sich alles gefügt. Dass wir uns nie verloren haben, ist die Basis für mein Leben. Für das, was ich habe. Für dieses Haus, diesen Garten und diesen Mann. Für meine Kinder. Meine Karriere. Meine Freunde haben sich für mich entschieden, haben mich gepackt und aus dem gröbsten Matsch gezogen. Gelaufen, geklettert und gekrochen bin ich selbst, aber wenn es so etwas wie Schutzengel wirklich gibt, dann sind sie es.

„Wow.“

Jan steht, das Handy in der Hand, im schmalen Flur und sieht auf, als er mich die Treppe herunterkommen hört. Nach all den Jahren immer noch interessanter als Twitter? Check.

„Nimmst du mich so mit?“, frage ich fröhlich.

„Es ist mal wieder an der Zeit, Olli dafür zu danken, dass er dich mit in die Sendung gebracht hat“, sagt Jan. Ich drücke ihm einen Kuss auf die stoppelige Wange und danke Olli in Gedanken tausend Mal dafür, dass er mich dazu überredet hat. Ich wollte erst nicht, zu introvertiert, zu schüchtern, zu unbedeutend, aber ich wusste, mir stand ein Fernsehauftritt bevor und ich musste diese Furcht ablegen. Ich bin über eine verdammt hohe Mauer geklettert und mit Jan belohnt worden. Jan, der mich hat sitzen lassen, Jan, der mich hat bloßgestellt, aber vergeben und vergessen. Jan, der am Fuße einer Treppe auf mich wartet, die mehr gekostet hat als vereinbart. Jan, der sein Handy wegsteckt und seine volle Aufmerksamkeit auf mich richtet.

„Was machen wir?“, frage ich neugierig, „bin ich überhaupt passend angezogen?“

„Du ziehst dich auf keinen Fall nochmal um“, sagt er, „auch, wenn du leicht overdressed bist.“

„Na super. Gehen wir bowlen?“

„Das machen meine Knie nicht mehr mit“, gibt er zurück. Jaja, das Alter.

„Hey, mach dich nicht älter als du bist“, erwidere ich, „das macht mich auch alt.“

Wir brauchen ewig, bis wir den Hamburger Hafen erreichen. Freitagnachmittag, Berufsverkehr, unendlich nervige Radiomusik. Ich schließe mein Handy an und scrolle durch meine Playlists. Schließlich lande ich bei Herbert Grönemeyer. Alles, was er sagt, ist wahr. Grönemeyer kommt einem auf Erden lebenden Gott vermutlich am nächsten. Jedes Wort ein gezielter Schuss ins Herz. Nicht tödlich, aber mit Langzeitwirkung. Einmal „Bleibt alles anders“ gehört und das Leben ist nicht mehr dasselbe. Es gibt viel zu verlieren, du kannst nur gewinnen. Was, wenn nicht mein Leben, ist der beste Beweis dafür, dass es wahr ist? Als Teenagerin, gefangen in einer Schule, in der man mich übersah, gefangen in einem Leben, in das ich nicht passen wollte, stellte ich mir dieses Leben vor. Ich wollte immer in Hamburg leben. Ich wollte Bücher und Radiosendungen und etwas hinterlassen in der Welt. Ich wollte, mehr als alles andere, gehört werden. Ich war introvertiert, aber nie bescheiden in meinen Wünschen. Ich wollte dieses Leben. Nur habe ich das unterwegs ab und zu vergessen. Jetzt zurückzublicken und mir klar zu machen, dass ich es geschafft habe, lässt mein Herz immer wieder in einem Takt schlagen, der mir verrät, dass alles so gekommen ist, wie es sollte.

Als wir das Ziel erreichen, ist der Hafen in goldenes Licht getaucht. Die Elbphilharmonie, die Promenade, die Speicherstadt. Alles getaucht in flüssiges Sonnenlicht. Ich kann nicht genug bekommen von diesem Anblick, von den spiegelnden Außenfassaden, den roten Backsteinwänden, den Balkonen, auf den Menschen im Abendlicht ein Glas Wein genießen. Wir flanieren Hand in Hand zwischen Touristengruppen umher und stranden schließlich in einem italienischen Restaurant. Ich trinke Aperol und esse Spaghetti Vegetaria, Jan Pizza Tonno und ein Radler. Ich bin nicht sicher, wie es schöner sein könnte, das Leben. Wir sitzen an einem Tisch direkt am Hafenbecken, die Gesichter halb hinter Sonnenbrillen versteckt.

„Hast du was von Leonard gehört?“, frage ich, während ich Unmengen an Parmesan über meine Nudeln verteile.

„Er hat heute morgen angerufen. Er kommt nach Weihnachten über Silvester“, informiert mich Jan.

„Perfekt“, sage ich, „wie gehts Fiona?“

„Bestens“, antwortet er, „sie geht voll auf in dieser ganzen Retreat-Geschichte. Läuft wohl ziemlich gut für sie.“

„Freut mich“, sage ich, „vielleicht melde ich mich mal an.“

„Bist du gestresst?“, scherzt er.

„Stress ist mein zweiter Vorname.“

Für die Winterferien haben wir ein Haus in Österreich gebucht. Für alle. Ein Unterfangen, das mich mehrere Wochen und viele Nerven gekostet hat. Termine zu koordinieren war nie unsere Stärke, aber seit wir Kinder haben, scheint es kaum noch möglich zu sein, uns alle an denselben Ort zu bringen. Zumindest außerhalb der Feiertage und der jährlichen Auszeit am Meer. Den Winterurlaub hat sich Paul gewünscht, der sich seit Neuestem fürs Skifahren interessiert. Felix hat Jan um ein Snowboard angebettelt. Dieser hat den Wunsch diskret an Klaas weitergeleitet, der sich als pflichtbewusster Onkel bereits nach Ostern darum gekümmert hat, das perfekte Board zu kaufen und vor neugierigen Kinderaugen auf dem Dachboden zu verstecken. Die Stunden, die er mit der Recherche verbracht hat, kann er sich wahrscheinlich für ein Sportstudium anrechnen lassen.

„Und wie läufts mit dem Buch?“, fragt Jan.

„Schleppend“, antworte ich, „ich überlege, ein paar Tage zum Schreiben nach Berlin zu fahren. Aber der Terminkalender -“

„Gibt das nicht her?“, beendet er meinen Satz, „das sagst du jetzt seit Wochen, Leni. Du solltest dir die Zeit nehmen.“

Besonders angesichts der immer näher rückenden Deadline, die mir unbarmherzig im Nacken sitzt. Nachdenklich nippe ich an meinem Aperol.

„Ich gucke später in den Kalender“, sage ich ausweichend.

„Übernächstes Wochenende“, erwidert Jan entschieden, „ich fahre mit den Kindern ins Strandhaus.“

Ich ziehe mein Handy hervor, um doch noch den Terminkalender zu checken. Etwas, das ich an die hundert Mal am Tag tue. Ich nutze die Kalender-App öfter als Social Media, was mich wohl entweder sehr alt oder auf eine verquere Art sehr gesund macht. Die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte.

„Okay, ja, übernächstes Wochenende“, sage ich, „dann kann ich Joko mal wieder sehen.“

Zuletzt haben wir uns an Isas Grab getroffen. Schulter an Schulter haben wir im Gras gesessen, zu viert, und ihr erzählt, was sich im letzten Jahr getan hat. Ollis neues Album, Klaas Podcast, Jokos neue Show, mein neues Buch. Wir sind vielbeschäftigte Menschen. Und auch halbwegs erwachsen geworden. Ich blicke aufs Hafenbecken.

„Ich war in letzter Zeit nicht oft zuhause“, sagt Jan. Ich zucke mit den Schultern.

„Auch nicht weniger als sonst“, sage ich. Das ist der Deal gewesen. Der Umzug kam mit der Entscheidung zu pendeln. Mit der Entscheidung, dass ich mehr zuhause bleiben würde als er. Das ist ein Punkt, an dem ich mich als Jugendliche nicht gesehen hatte. Weder als Mutter, noch als eine zuhause bleibende Mutter, aber es stellte sich als besser heraus als erwartet. Jetzt, wo Felix in die Pubertät kommt, fängt ein neues Zeitalter an, aber all das Chaos, all die Widrigkeiten, alles, durch das ich je gehen musste, hat eine Gelassenheit in mir hervorgerufen, von der ich selbst nicht wusste, dass sie in mir steckt.

„Ich denke, ich trete kürzer“, verkündet Jan plötzlich. Ich halte überrascht inne.

„Kündigst du mir gerade deine Frührente an?“

„Ich verbringe kaum Zeit mit den Kindern. Oder dir.“

Ich grinse ihn an.

„Ich würde mich freuen, wenn du öfter zuhause wärst“, sage ich, „ich weiß nicht, wies mit den Kindern aussieht. Ich lasse ihnen alles durchgehen. Es gibt nach acht noch Süßigkeiten und wir schlafen manchmal vorm Fernseher ein.“

Er lächelt mich an.

„Wann kann ich es lesen?“

„Wenn es im Handel erscheint“, erwidere ich.

„Warum? Gehts um mich?“

Verschwörerisch zucke ich mit den Schultern. Er lehnt sich, die Augenbrauen fragend nach oben gezogen, zurück. Ich trinke einen Schluck und denke an das letzte Kapitel, das ich geschrieben habe. Das Buch ist riskant. Ich stehe nicht mehr nicht in der Öffentlichkeit, man weiß, wer ich bin und in welchen Kreisen ich mich bewege. Menschen erstellen Edits über mich und laden sie bei TikTok hoch. Nicht immer sehr schmeichelhaft, mich in Zeitlupe in verschiedenen Talkshows lachen zu sehen. Das Buch ist die Geschichte unseres Kennenlernens. Ich habe das dringende Bedürfnis gehabt, es festzuhalten. Nicht unbedingt für unsere Kinder. Denen werde ich ein lebenslanges Leseverbot für alles erteilen, das ich in die Welt herausschreibe. Ich habe lange vor leeren Word-Dokumenten gesessen und darüber nachgedacht, was ich zu sagen habe. Beim ersten Buch war es leicht. Meine Kindheit, meine Jugend. Die Worte kamen, ehe ich weiter darüber nachdenken musste. Mit dieser Geschichte ist es anders gewesen. Niemand von uns kommt dabei richtig gut weg. Und Jan und ich am allerwenigsten. Wenn ich heute zurückblicke, würde ich vieles anders machen, doch ich glaube, das Endergebnis wäre dasselbe. Auf verquere Art sind wir füreinander bestimmt.

„Es geht um mich, oder?“, schlussfolgert er.

„Nein“, sage ich, „um uns.“

„Eine Liebesgeschichte?“

„Oh ja“, sage ich, „die größte unserer Zeit.“

„Ganz schön kitschig“, befindet er.

„Lass mich kitschig sein“, verlange ich, „ich habe Aperol getrunken.“

„Ein halbes Glas.“

„Wo ich doch sonst meinen healthy lifestyle pflege“, grinse ich.

„Ich liebe dich“, sagt er, „egal, was du in diesem Buch über mich schreibst.“

„Ich dich auch“, sage ich, „egal, was ich in dem Buch über dich schreibe.“
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