Monster
von OfficerSnickers
Kurzbeschreibung
War er wirklich nicht mehr? Mehr als ebenjene Kreaturen, von denen er sich geschworen hatte, sie auszulöschen? Ein Monster?
SongficDrama, Angst / P16 / Gen
Norman
23.02.2023
23.02.2023
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It's finally come, come to knock down my door
I can't hide this time like I hid before
The storm is awake, the danger is real
My time's running out, don't feel, don't feel
I can't hide this time like I hid before
The storm is awake, the danger is real
My time's running out, don't feel, don't feel
Der Tag war gekommen.
Das Dröhnen der Sirenen verkam langsam zu einem erbärmlichen Jaulen, während das immer weiter um sich greifende Feuer sie verschlang, ebenso wie Mauern und Wände, Apparaturen und Experimentierinstrumente, und nichts als Asche davon übrigließ. Asche, die sich mit dem feinen Schneegestöber vermischte, das der eisige Februarwind an sie herantrug, der gleichsam den Boden mit Frost überzog, ihren Atem zu weißen Wölkchen werden ließ. Feuer und Eis, diese kompletten Gegensätze, doch sie tanzten in dieser Nacht in einer unablässigen Umarmung, nichts als Zerstörung suchend.
Ein Glutpartikel streifte Normans Wange und verbrannte sie oberflächlich, aber er bemerkte es nicht einmal.
Der Tag war gekommen. Endlich. Er war frei. Sie alle waren frei, sie, die Kinder, die im Lambdainstitut festgehalten worden waren, in der Hölle auf Erden, die man vor dem Tag des jüngsten Gerichts über sie heraufbeschworen hatte. Gleich der Hölle selbst brannten nun jedoch nicht sie, sondern Lambda, im reinigenden Fegefeuer, das Norman darüber entfacht hatte. Nie mehr wieder würde ein Kind in dieser Farm gequält und misshandelt und verängstigt und verstümmelt und um sein einziges, kostbares Leben gebracht werden… niemals wieder würde jemand unter den klinisch-professionellen Augen gesichtsloser Forscher Tests unterzogen werden, die von Tag zu Tag unlösbarer wurden, derweil man gegen den eigenen, sterbenden Körper ankämpfen musste…
Niemals wieder würde ein Mensch auf dem Teller eines Monsters enden, niemals wieder, für alle Zeiten.
Norman hatte lange genug auf diesen Moment gewartet. Sich versteckt, abgeduckt, war Befehlen gefolgt, die ihm zutiefst widerstrebt hatten, immer auf den richtigen Augenblick wartend, zurückzuschlagen. Die Zeit des Versteckens war endgültig vorbei. Ebenso die Sicherheit, die dies mit sich brachte, aber vor allem die Ketten, in die man ihn dafür gelegt hatte.
Lambda war zerstört, alle Türen und Toren und Zellen geöffnet worden. Gewaltsam wohl, im Austausch für so viele Leben, aber was machte das schon für einen Unterschied für diejenigen, die erstmals seit Jahren die kühle Luft der Freiheit atmen durften? Manche sogar zum allerersten Mal in ihrem Leben, da sie in Lambda geboren und aufgewachsen waren, hinter Gitterstäben und den tiefsten, dunkelsten Löchern, die man sich nur vorzustellen wagte…
Norman hätte jubeln mögen. Er war seine Fesseln und Kerkermeister los, endgültig, hatte seine Chancen wahrgenommen und zum rechten Zeitpunkt genutzt, um endlich hier zu stehen. Mitzuerleben, wie Lambda verbrannte, sich selbst zerstörte, aus reinstem Weiß verkohltes Schwarz wurde.
In den Flammen wurden auch sie zu Nichts, die ihn anderthalb Jahre lang wie ein Versuchskaninchen gehalten und gequält hatten, Menschen wie Monster. Der Geruch ihres versengten Fleisches übertünchte den Rauch, und ihre Schreien hallten auch jetzt noch in seinen Ohren wider.
Es waren widerwärtige Eindrücke, die Norman nichtsdestotrotz mehr genoss als jede noch so perfekt gespielte Symphonie.
An seiner Seite standen nun so viele Kinder und Jugendliche, die er nicht einmal kannte und deren ewigliche Treue er sich ungeachtet dessen sicher sein konnte. Norman hatte nicht nur ihr Gefängnis zerstört, sondern auch ihre Peiniger ausgelöscht, ihnen die Hand zum Neubeginn unter seiner Führung gereicht. Die, die sie hatten ergreifen können, hatten es getan, ohne zu zögern. Sie waren ihm, diesem blassen, schmalen Jungen, gefolgt, als sei er der Allmächtige selbst, ein Gott, und sie seine treuen Schäfchen, die von nun an unter seinem Schutz standen.
Ja, wahrlich, Norman hätte allen Grund zur Ekstase gehabt. Doch sein Herz schwieg, ebenso sein Mund. Er verbot sich zu fühlen, um den Schmerz nicht Raum zu geben, denn zu viele seinesgleichen hatte er nicht retten können, bis das Feuer kam, dieser Feuersturm, den er selbst heraufbeschwor… vor dem er sich selbst gefürchtet hätte, wenn er die Furcht nicht gleichsam wie das Leid aus seinem Herzen verbannt hätte…
Obwohl es in seinem Rücken loderte, die Feuerzungen bis zum Himmel leckten und die Nacht erhellten, war ihm kalt. Einfach nur kalt. So kalt wie auch sein Blick war, den er langsam über die gefangengenommen Monster schweifen ließ, die sich vielleicht vor dem Inferno, aber nicht vor seinen übermächtigen Kameraden und vor allem ihm selbst hatten retten können.
Ihrerseits starrten diese abscheulichen Kreaturen Norman an, als sei er das wahre Monster hier. Sein linker Mundwinkel zuckte. Sie mochten recht damit haben… ohne Gnade, rücksichtslos und unaufhaltsam hatte sein Zorn sich heute Nacht Bahn gebrochen und nichts als Tod und Verderben gebracht. Seine Kleidung, sein Haar und seine Haut, sie mochten bis auf ein paar verirrte Ascheflocken weiß wie die Unschuld selbst sein, doch seine Hände waren mit Blut besudelt, das allein er zu sehen vermochte. Die größte Gefahr, sie ging nicht länger von den maskierten Monstern mit Klauen und Reißzähnen aus, sondern von ihm, einem dreizehnjährigen Jungen.
Wer Wind säte, würde Sturm ernten, und jetzt, da Normans Leben verwirkt war, hielt ihn nichts und niemand mehr davon ab, diesen zu entfesseln.
„Fear will be your enemy
And death its consequence“ That's what they once said to me
And it's starting to make sense
All this pain, all this fear began because of me
Is the thing they see, the thing I have to be
And death its consequence“ That's what they once said to me
And it's starting to make sense
All this pain, all this fear began because of me
Is the thing they see, the thing I have to be
Dabei war dieser Sturm der Agonie und des unendlichen Hasses aus nichts weiter geboren als Angst. Ja, Norman hatte die ganze Zeit nichts als Angst verspürt. Damals, im Grace Field House, um seine Geschwister, um Emma und Ray, doch niemals um sich selbst, nicht wirklich. Mit seinem Intellekt hatte er sich nie um eine vorzeitige Auslieferung Gedanken machen zu brauchen… er hatte arroganterweise darauf gesetzt, geflohen zu sein, bevor Isabella ihn an seinem zwölften Geburtstag hätte zum Tor bringen können.
Norman hatte einen riskanten Schachzug gemacht und unerwarteterweise verloren.
Der Preis für seine Niederlage war zwar nicht der Tod selbst gewesen, doch etwas ganz ähnliches. Lambda. In dieses „Forschungsinstitut“ war er gebracht worden, um bei „Experimenten“ zu helfen. Das war nicht einfach nur eine Lüge, sondern eine grausame Lüge gewesen. Er war der Mittelpunkt der Experimente gewesen, die an ihm durchgeführt worden waren, an ihm war geforscht und herumgedoktert worden. Medikamente waren ihm verabreicht worden, die nur schleichend ihre Wirkung entfaltet hatten, doch dann umso schneller, entsetzlicher. Die ihn zugrunde richteten, jeden Tag ein wenig mehr, alles unter dem Deckmantel, das größte Genie, das die Menschenfarmen je hervorgebracht hatten, zu untersuchen und zu verbessern…
Während seiner Gefangenschaft hatte Norman, als Stunden sich wie Wochen anzufühlen begannen und er einsam, allein, isoliert in seinem Zimmer ausharren musste, die Erkenntnis gewonnen, dass ebenjene Angst sein Urteilsvermögen getrübt hatte. Der wahre Feind war weder Isabella noch die Monster oder gar Peter Ratri gewesen, sondern die Angst selbst. Beinahe hatte sie seinen Tod zur Konsequenz gehabt… womöglich hatte ihm diese Furcht gar Emma und Ray und seine Familie genommen…
Aber, hatte Norman sich jedesmal von Neuem beschworen, aber so konnte es nicht sein. So durfte es nicht sein, nicht mehr. Er verbot sich, die Angst zuzulassen. Musste sie aus seinen Gedanken und seinem Herzen und vor allem seinen Handeln verbannen. Es war nur zu seinem Besten, ganz sicher.
Denn nun, da er vor den Monstern stand, sie quälte und auseinanderriss, wie sie es mit seinesgleichen zu tun gepflegt hatten, ergab endlich alles einen Sinn. Die Unbarmherzigkeit, die ihn erfüllte angesichts des Leids, mit dem er sich konfrontiert sah, statt der Angst, seine ihm zuvor noch fremde Bösartigkeit diesen Geschöpfen gegenüber – Norman konnte nicht verleugnen, dass ihn diese Empfindungen berauschten, ebenso, wie sie ihn anekelten, auch wenn er das zu ignorieren suchte. Er konzentrierte sich lieber darauf, wie sein Durst nach Rache für den Moment gestillt wurde, wenn er zusah, wie seine Gefährten sich über die Monster hermachten und dabei selbst ihre Menschlichkeit verloren. Wenn das Monsterblut nur so spritzte statt das der Fleischmenschen, wenn tiefes Röcheln den letzten Atemzug ersetzte statt spitzer Schreie.
Wenn Norman genau das tat, was die Monster getan hatten.
All der Schmerz, all die Angst, die er in Grace Field und dann in Lambda auszustehen gehabt hatte, fanden endlich ihr Ventil. Sie suchten die Monster heim, ließen ein viel zu junges Kind in einem viel zu schweren Mantel auf seinen Schultern vor ihnen erscheinen. Alles, was die Monster in ihren letzten Sekunden erblickten, war Norman. Der zu etwas geworden war, was er in Wahrheit verabscheute.
Zu was er hatte werden müssen.
A monster, were they right?
Has the dark in me finally come to light?
Am I a monster full of rage
Nowhere to go but on a rampage?
Or am I just a monster in a cage?
Has the dark in me finally come to light?
Am I a monster full of rage
Nowhere to go but on a rampage?
Or am I just a monster in a cage?
Ein Monster.
Norman war zu einem Monster geworden. Es brachte nichts, diesen Kniefall zu beschönigen, auch wenn seine Gefährten ihm vehement widersprochen hätten, würde er es wagen, diesen Fakt zu äußern. Für die Befreiten aus Lambda war er ihr geliebter Boss, gar ein Gott für die Kinder aus den Massenfarmen, die sie im Laufe der Wochen überfallen, geplündert und niedergebrannt hatten. Stets zogen sie eine Spur der Verwüstung hinter sich her, sie, Norman und vier der stärksten Menschenexperimente aus Lambda. Cislo. Barbara. Vincent. Zazie. Sie standen jetzt an seiner Seite, statt Emma und Ray… oder eher, in seinem Schatten, hinter ihm, doch niemals wirklich bei ihm. Er war nicht länger Teil des großen Ganzen, war nun ein Anführer.
Ja… für die Fleischmenschen war er ein Gott.
Für die Monster war er zum Teufel geworden.
Nur Norman selbst fragte sich in stillen Momenten, welche Dunkelheit nur da schon immer unter der Oberfläche seines gesamten Seins gelauert haben musste, um jetzt an Licht zu treten. Um sein wahres Ich zu enthüllen, das weder Gott noch Teufel war.
„Du bist ein Monster!“
Das hatte Norman ausgerechnet eine dieser dämonischen Kreaturen selbst ins Gesicht geschrien, bevor Barbaras Keule den grässlichen Schädel abhieb und den lebensnotwendigen Kern zerstörte. Gehirnmasse, Blut und ein paar Knochensplitter landeten auf Normans Schuhen, der keinerlei Reaktion von sich gab. Mittlerweile überkam ihn nicht einmal mehr Ekel, wenn Cislo, Zazie und Barbara auf wenig appetitliche Weise ihre Monsterjagd beendeten. Allein, dass das Blut der Ungeheuer von solch ebensolchem Rot war wie das seinige, das er Tag für Tag in seine Handflächen hustete, ließ ihn für eine Sekunde innehalten.
Das Leiden der Monster rührte Norman nicht, weder ihre vorwurfsvollen Blicke noch ihr Aufbäumen gegen die Fressware, die ihnen den Garaus machte. Ihre Worte hingegen, sie ließen den Jungen nachts nicht mehr schlafen, sodass sich die Schatten unter seinen Augen so dunkel verfärbten, wie sich seine Seele mittlerweile anfühlte. „Du bist ein Monster!“ War er das? Konnte das wirklich sein? Er, der Fleischmensch, der kränklichste, körperlich schwächste Junge im ganzen Waisenhaus, ein Monster?
Im Morgengrauen glaubte Norman, sich mit diesem Umstand abgefunden zu haben, nur um in der Nacht einmal mehr verzweifelte Überlegungen zu wälzen. Er konnte das nicht akzeptieren, diesen Titel nicht annehmen, von allen, die ihm auferlegt worden waren. Schließlich wollte er doch die Welt von den Monstern befreien… wie hätte er da selbst zu einem werden können? Norman züchtete und tötete dann keine Kinder, um sie genüsslich zu verspeisen… er war kein Mörder, der-
Doch.
Er war ein Mörder. Hatte Monster getötet. Nicht eigenhändig, natürlich nicht. Auf seinen Befehl hin war es geschehen, denn es mangelte seinem kindlichen Körper an der dafür benötigten Stärke. Sein Verstand hingegen war scharf wie ein Schwert, heimtückisch wie eine Schlinge, in der man sich verfing, kompromisslos wie eine Kugel, exakt auf sein von ihm erwähltes Opfer gezielt. Mochte Norman auch tatenlos bleiben, das änderte rein gar nichts an seiner Schuld, an dem Blut, das nur für seine Augen bestimmt an seinen Händen klebte.
Blut von Monstern. Blut von Menschen.
Fleischmenschen, Kindern wie ihm, geboren und aufgewachsen jedoch in Massenfarmen, ohne einen eigenen Namen, einen Willen, eine Zukunft. Selbst Norman, der angebliche Gott, hatte nicht vermocht, ihnen einen zu schenken… hatte sie nicht retten und befreien, sondern sie nur von ihrem Leid erlösen können. Den Schalter umgelegt, der die Maschinen mit Strom versorgte, die die seelenlosen Körper am Leben erhielten. Mit aufgestellten Nackenhaaren in die Stille hinein gelauscht, wie abertausende von Atemzügen mit einem Mal verstummten.
Norman hatte die Kinder aus den Massenfarmen wirklich nur erlösen wollen… ihnen die Möglichkeit gewähren, wiedergeboren zu werden und von vorne zu beginnen… so, wie er es sich insgeheim auch für sich selbst ersehnte… Und doch änderte sein Wohlwollen nichts daran, dass er für sie zum Mörder geworden war. Aus Mitleid, das sich schlagartig in blinde, heiße Wut wandelte, sobald er auf das nächste Monster stieß, erfüllt von einer lodernden Rage, die heller und ausdauernder brannte als Lambda es getan hatte. So kalt brannte es in ihm… in diesen Momenten verlor er sich, wusste nicht mehr ein noch aus, nur noch töten, um den Rachefeldzug am Leben zu halten, indem er Leben nahm, von Monstern, und schließlich auch von Menschen.
Die er eigentlich hatte beschützen wollen, vor solch einem Wesen wie sich selbst.
In seinem Quartier, zurückgekehrt von der Monsterjagd, nur für sich allein, begann Norman sich zu fragen, wer das wahre Monster war. Ob er, der sich in Freiheit gewähnt hatte, nach Grace Field House und Lambda nicht noch immer in einem Käfig gefangen war.
Einem Käfig, den er sich selbst geschmiedet hatte mir seinen unverzeihlichen Taten.
What do I do?
No time for crying now
I've started this storm, gotta stop it somehow
No time for crying now
I've started this storm, gotta stop it somehow
Was… was dachte er da bloß? Norman sah von seinen zitternden Händen auf, in den Spiegel an der Wand, aus dem ihm ein viel zu fremdes Gesicht entgegenblickte. Er ballte die Hände zu Fäusten, wich vor sich selbst zurück. Es war zu spät für solche Zweifel… Selbstmitleid brachte seine Unschuld nicht zurück und ihn vor allem nicht weiter… Tränen linderten nicht das Feuer, das Connys Tod in ihm entfacht hatte. Er selbst hatte diesen Massenmord begonnen, der doch eigentlich nur ein Gegenschlag war, und er war der Einzige, der ausführen konnte.
Oder… oder ihn aufhalten.
Norman rang mit sich selbst. Es gäbe keine friedliche Zukunft für die Menschheit, sollte er die Monster nicht wirklich ausrotten… aber es waren ebenso wie er intelligente, empfindungsfähige Lebewesen, mit einer eigenen Kultur, Träumen, Wünschen, Zielen, einer Familie… einer Familie, wie er eine hatte…
Da lachte er freudlos auf. Unsinn… wie er eine Familie hatte, ja… die Betonung lag auf hatte. Gefressen worden waren so viele seiner Brüder und Schwestern, von ebendiesen Monstern, ohne dass diese wohl auch nur einmal das gleiche Mitleid empfanden, wie er es gerade lächerlicherweise tat. Selbst wenn diese Dämonen wie sie Menschen waren – er selbst war wie die Monster. Sie hatten es Norman selbst gesagt, und er hatte es mit einem Schulterzucken hingenommen. Er hatte hingenommen, so wie sie geworden zu sein, versessen darauf, zu töten, abzuschlachten, lachend beizuwohnen, wenn ein Lebenslicht erstickte.
Mittlerweile war es keine Frage des „ob“ mehr, sondern ausschließlich des „wie“.
Do I keep on running?
How far do I have to go?
And will that take the storm away
Or only make it grow
I'm making my world colder
How long can it survive?
Is everyone in danger as long as I'm alive?
How far do I have to go?
And will that take the storm away
Or only make it grow
I'm making my world colder
How long can it survive?
Is everyone in danger as long as I'm alive?
Und trotzdem, Normans Standpunkt, er geriet ins Schwanken, mit jeder weiteren Farm, die er überfallen ließ, mit jeder Rede, in der er den von ihm befreiten und geeinten Kindern das Ende des Nimmerlandes versprach. Mit jedem einzelnen Leben, das er auslöschte, als sei es nur eine schwach glimmende Kerzenflamme, die der wilde Sturm in ihm vergehen ließ.
So, wie seine Entschlossenheit in sich zusammenstürzen drohte, wurde auch sein Körper mit jedem weiteren Tag kränklicher, unfähig, das in ihn gepumpte Gift länger zu kompensieren. Norman war einfach nur noch… erschöpft. Er hätte Tage schlafen können, ohne sich davon zu erholen, und gleichzeitig war ihm das Gefühl inne, getrieben zu werden, von seiner ablaufen Lebensuhr und den Aufgaben, die sich immer weiter um ihn herum stapelten. Als wäre er wieder in Grace Field und würde mit Emma Fangen spielen, ihr nur mit knapper Not entkommen…
Dem Tod hingegen würde er niemals entkommen können, egal, wie weit Norman dafür auch bereit gewesen wäre, zu gehen. Und wie weit war er überhaupt noch gehen müssen? Wie viele Monster mehr töten, wie viele Farmen mehr befreien, wie viele Kinder mehr zur Revolte anstacheln, bevor es endlich gut war? Konnte es überhaupt gut werden? Konnte wirklich Leben aus all dem Tod heraus erwachsen, den er säte?
Wind war von den Ratris und den Monstern gesät worden, Sturm würden sie ernten. So, wie sie Norman erschufen, einen unbedeutenden, wenngleich unvergleichlich schmackhaften Fleischmenschen, um nun dabei zuzusehen müssen, wie er sie zerstörte. Wie er, der er ein Sturm war, wuchs und wuchs, sich gar nicht wieder legen wollte, denn sein Ursprung lag in tausend Jahren Sklaverei und abertausender Leben, die dabei zugrunde gegangen waren.
Ganz so, als entfache ebenjener Sturm die Flamme in Norman, die zusehends ausbrannte.
Gleich, wie das Feuer erlosch, ging ihm nach und nach auch jegliche Herzenswärme verloren. Er hatte begonnen, seine Angst zu unterdrücken, und damit ebenso seine anderen Empfindungen. Kaum noch spürte er inzwischen Mitgefühl für die Fleischsäcke in den Menschenfarmen, die die Bezeichnung „Kinder“ nicht verdienten ob ihres grotesken, verschandelten Äußeren wegen, ebenso, wie es in all den Monaten zu viele geworden waren, denen er die Erlösung schenkte.
Gleichsam konnte Norman sich nicht an seine neuen Gefährten binden und ihnen die Sympathie entgegenbringen, die sie verdient gehabt hätten. Sie waren wie Diener für ihn… Schachfiguren, die er nach Belieben setzen konnte, und sie taten ihm diesen Gefallen auch noch Freuden. Wie eingefroren fühlte er sich, wenn er in ihrer Mitte lief, mit ihnen als seinen persönlichen Schutzschild. Unfähig, sich noch für etwas oder gar jemanden zu erwärmen. So, wie auch die Welt um ihn herum zu gefrieren schien, obwohl er sie in Flammen setzte, wurde auch Norman zusehends kälter. Eisiger.
Der Winter selbst.
Wie lange nur konnte er das noch überleben? Und die anderen gar, die sich seinetwegen in Kämpfe begaben, aus denen sie nicht unversehrt zurückkamen. Hier mal eine Gehirnerschütterung, da mal eine Rippenprellung… all diese großen und kleinen Wunden bedachten seine neuen Gefährten mit einem Lächeln, denn „wenigstens dem Boss geht es gut!“ und „solange wir nur die Monster vernichten, macht mir das nichts aus!“. Wie töricht… von Barbara, Cislo, Zazie und Vincent und von Norman allen voran. Im Anbetracht des Leidens seiner Artgenossen, fühlten sich seine Glieder zunehmend wie steifgefroren an, unfähig, sich zu bewegen, und seine Fingerspitzen blitzblau wurden, so kalt wie das Eis selbst. Es rührte von dem rapiden Abfall seiner Gesundheit, versuchte Norman sich selbst zu täuschen, sich zu beschwichtigen. Sein Körper krepierte von den ihm verabreichten Medikamenten… und nicht, weil das Feuer der Rache sich in eine kalte Flamme verwandelt hatte. Nicht, weil er zu etwas geworden war, vor dem er sich doch eigentlich fürchtete…
Ein Monster.
Das jeden in Gefahr schweben ließ, solange er am Leben war.
Was I a monster from the start?
How did I end up with this frozen heart?
Bringing destruction to the stage
Caught in a war that I never meant to wage
Do I kill the monster?
How did I end up with this frozen heart?
Bringing destruction to the stage
Caught in a war that I never meant to wage
Do I kill the monster?
Wann bloß hatte dieser Wandel in ihm stattgefunden? Er war doch nicht immer schon ein Monster gewesen… War es geschehen, als er sich das erste Mal den schweren Mantel übergeworfen und sich William Minerva hatte nennen lassen? Etwa, als man ihn nach Lambda brachte? Gar an dem schicksalsträchtigen Abend, an dem er mit Emma losgezogen war, Conny ihren geliebten Plüschhasen zu bringen?
Oder war Norman seit seinem ersten Atemzug ein Monster gewesen?
Es ging ihm, trotz seines überragenden Intellekts, einfach nicht in den Kopf, wie es so weit hatte kommen können, wie er in seinem Arbeitszimmer saß, allein, vor einer Karte der Monsterwelt und Spielfiguren setzte, die realen, lebenden Personen entsprachen. Menschen, genauso wie Monstern, manche auf der Seite seiner Feinde, manche auf der seinigen… Norman ließ sie gegeneinander kämpfen, wälzte die Ergebnisse jeder verlorenen Schlacht, jedes gewonnen Scharmützels. Von oben herab, wie ein Gott, in dessen Rolle er geschlüpft war.
Er, ein dreizehnjähriger Junge, entschied über das zukünftige Werden und Vergehen aller.
Alles mit diesem erstarrten, kalten Herz, als ginge ihn das alles nicht das Geringste an. Als wäre er gar kein Teil mehr dieser Welt, die er in einen Krieg zu verwickeln gedachte. Zerstörung war es, was er suchte, die der Monster, der Ratris, ja sich selbst. Zerstörung von allem und jedem, der ihn daran hindern würde, seinen Traum, die Fleischmenschen zu befreien, zu verwirklichen.
Norman mochte die Spielfiguren setzen, aber ihm entging keineswegs, dass auch er eine war, verwickelt in einen Krieg, den er selber nie begann und den er eigentlich nie hatte führen wollen. Zumindest nicht damals, in seinen unschuldigen, unwissenden Kindertagen im Waisenhaus…
Er stützte die Stirn in die Hand, stöhnte auf, als ein stechender Schmerz seine linke Schädelhälfte durchzuckte. Dieser Schmerz ließ ihn schwarz for Augen werden und Norman einmal mehr daran denken, wer dafür zu verantworten war. Dieser Schmerz, so unendlich er auch sein mochte, er würde nichts sein im Vergleich zu der Pein, die er den Monstern auferlegen würde… aber auch nichtig sein zu den Opfern, die die Fleischmenschen zu erbringen hatten, weil William Minerva, weil er es ihnen befahl. Er hingegen sah bloß dabei zu, wie Menschen und Monster sich gegenseitig zerstören würden… dabei hatte er doch selbst einst geschworen, sich selbst zu benutzen, um niemanden mehr verlieren zu müssen…
Mit einem verzweifelten Aufschrei fegte Norman die Spielfiguren vom Tisch und fiel mitsamt ihnen zu Boden, keuchend, schluchzend, den Kopf in seinen Armen bergend. Seine Sicht verschwamm, und Tränen tropften auf seine Hände, die sich langsam um seinen Hals legten, zudrückten…
Würde dieser Krieg wirklich enden, wenn er die Dämonen weiter jagte?
Oder würde es nur Frieden geben, wenn er das wahre Monster tötete?
Sich selbst?
Father, you know what's best for me
If I die, will they be free?
Mother, what if after I'm gone
The cold gets colder and the storm rages on?
If I die, will they be free?
Mother, what if after I'm gone
The cold gets colder and the storm rages on?
Sie fehlten ihn so sehr. In keiner Sekunde zuvor wie in dieser. Ray. Emma. Sie hätten ihm sagen können, ob es richtig wäre, den letzten Schritt zu gehen.
Ray hätte ihn verstanden, ganz sicher. Er hatte sich schließlich auch selbst töten wollen… oh, wie sehr Norman ihn vermisste. Seine klugen Ratschläge, seine besonnen Ratschläge, selbst sein immer leicht höhnisches Lächeln. Als sein bester Freund hätte Ray gewusst, was das Beste für Norman gewesen wäre. Weiter anzukämpfen, gegen die Monster, gegen das Gift in seinen Adern, gegen diese Welt, die seine Freiheit nicht akzeptieren wollte… oder ob Norman nicht besser aufgeben sollte. Sie hätten zusammen aufgeben können… dann wäre jeder von ihnen erlöst. Nicht befreit, noch immer Gefangene der Farmen und der Dämonen, aber zumindest…
Jedoch, stellte Norman sich vor, wie er Rays Hand ergriff und mit ihm gemeinsam verbrannte, vielleicht ein letztes Mal in seinem Leben Wärme verspürte, musste er unweigerlich an Emma denken. Ein keuchendes Lachen drang aus seiner Kehle. Emma, seine über alles geliebte Emma… sein Sonnenschein, deren Wärme so viel tröstlicher war als das Höllenfeuer, das er entzündete…
Die Vorstellung, sie nie mehr wiederzusehen, sie alleine zu lassen in dieser Welt, zerstörte Norman weit mehr, als seine Hände es je zu tun vermocht hätten. Emma, mit diesem Krieg konfrontiert, den er selbst heraufbeschwor und die dabei zugrunde gehen würde… dieses Bild ließ ihn sich erheben, wie in Zeitlupe, doch sodann stand er wieder aufrecht, fuhr sich mit dem Handrücken über seine tränenden Augen, seinen Mund, aus dem ein Rinnsal Blut tropfte.
Sterben? Emma und Ray ein zweites Mal verlassen, ohne sie noch einmal an sich zu drücken und ihnen zu versichern, dass er sie liebte, über alles?
No, I have to stay alive to fix what I've done
Save the world from myself
And bring back the sun
Save the world from myself
And bring back the sun
Nein… nein! Norman konnte nicht aufgeben! Es gab noch so viel zu tun, so viele seiner Fehler auszuradieren… immerhin hatte er Ray versprochen, ihm etwas Cooles zu zeigen und sich selbst, Emma noch einmal wiederzusehen…
Mit wackeligen Beinen wankte Norman zur Wand, an der der mannhohe Spiegel stand, in dem er sich schon so oft selbst nicht wiedererkannt hatte, und lehnte sich mit geballten Fäusten davor. Das Feuer in seinen Augen, es war noch nicht gänzlich erloschen, bemerkte er mit grimmiger Genugtuung, als er sich selbst musterte. Der Gedanke, durch seine eigene Hand zu sterben war ihm jetzt so fremd, obwohl lediglich Sekunden verstrichen waren, seit er ihn von sich stieß. Norman konnte einfach nicht den Menschen töten, den er da sah – sich selbst. Ihm blieb keine andere Wahl. Er musste am Leben bleiben. Die Monster vernichten. Die Menschheit retten. Ihnen eine Welt schenken, befreit von diesen abscheulichen Wesen… befreit von sich selbst, der einen Krieg zwischen den beiden Rassen angezettelt hatte und nicht eher nachgeben würde, bis auch der letzte seiner Feinde fiel.
Damit der Winter vergehen und die Sonne scheinen konnte.
Damit Emma und Ray eine Zukunft hatten.
If I'm a monster then it's true
There's only one thing that's left for me to do
But before I fade to white
I'll do all I can to make things right
There's only one thing that's left for me to do
But before I fade to white
I'll do all I can to make things right
Norman durchquerte das Zimmer mit weiten Schritten und schnappte sich seinen Mantel, den er zuvor achtlos über eine Stuhllehne geworfen hatte. Noch beim Verlassen des Raumes schwang er sich das Kleidungsstück, das ihn vollständig zu William Minerva machte, mit einer schwungvollen Bewegung über die Schultern. Ein ernstes Lächeln umspielte seine Lippen, während er sich daran machte, die vielen hundert Treppenstufen hinter sich zu lassen, die in seine Gemächer führten.
Sollte er wirklich ein Monster sein, so, wie man es ihm vorgeworfen, und wie Norman es selbst zu befürchten gewagt hatte… dann war es eben so. Dann war er halt ein Monster. Na und? Diese Geschöpfe hatten die Menschheit tausend Jahre lang unterjocht mit ihrer Stärke und ihrem Wahnsinn. Er würde diesen für seine Zwecke nutzen und von jetzt an den Spieß umdrehen.
Nun, da Norman endlich Frieden mit sich und seinem Wandel fand, hielt ihn nichts mehr davon ab, den Krieg vollends in Gang zu setzen. Das Einzige, was ihm jetzt noch übrig blieb… Ein Jahr Lebenszeit hatte er noch, bis seine Krankheit ihn besiegte. Doch bevor er vergehen würde wie Schnee unter den ersten Sonnenstrahlen des allzu fernen Frühlings, gab es so viel zu tun.
Es mochte falsch sein, furchtbar falsch, und niemand würde ihm verzeihen, diesen Schritt zu gehen, am Allerwenigsten er selbst. Aber bei Gott, beim Teufel, bei jedem einzelnen verdammten Dämon dieser Welt – Norman würde nichts unversucht lassen, die Menschen zu befreien. Nicht mehr zweifeln. Von seinem Plan ablassen, die Monster vom Angesicht der Erde zu tilgen.
Auch, wenn er selbst dafür zum Monster werden musste.
I cannot be a monster
I will not be a monster
Not tonight
I will not be a monster
Not tonight
Ein Monster… er mochte so weit herabgesunken sein, sich wie eines zu fühlen, aber ganz bestimmt würde Norman sich nicht damit zufriedengeben. Er würde seine Menschlichkeit von sich stoßen und ebenso sein schwaches, ängstliches Herz, das ihn trotz allem, was geschehen war, weiterhin so denken ließ. Er würde zu etwas Größerem als ein Mensch oder ein Monster… William Minerva. Der Messias aller Fleischmenschen.
Ein Gott.
Norman trat auf die Tribüne, auf der seine Untergebenen bereits auf ihn gewartet hatten. Unter ihnen skandierten die von ihnen geretteten Kinder den Namen eines Mannes, der einstmals einem anderen gehörte und den Norman an seiner statt an sich nahm. Eine Handbewegung reichte aus, und die Menge verstummte in Ehrfurcht.
Er mochte zu einem Monster werden, irgendwann. Aber nicht hier, nicht heute.
„Wir zerstören alle Farmen, befreien alle Fleischmenschen und beenden diese Welt, dieses Nimmerland! Und dann erschaffen wir ein Paradies für die gesamte Menschheit!“