Des Schimmelreiters Schicksal
von Romilly
Kurzbeschreibung
[Der Schimmelreiter] Wie im Leben wird Hauke Haien auch im Tode gefürchtet. Als Schimmelreiter erscheint er in Sturmnächten auf dem Deich. Warum ruht er nicht?
OneshotAllgemein / P16 / Gen
18.02.2023
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Ich bin auf YouTube auf ein Lied über den Schimmelreiter gestoßen. Dort wird gesagt, dass Hauke Haien sich als Geist an Ole Peters und seinen Nachkommen rächen wolle. Das passt für mich nicht zu seinem Charakter. Also habe ich diesen OneShot geschrieben, was Hauke Haien als Geist machen könnte.
Der Deich brach, und Hauke brach mit ihm.
Die tosenden Wassermassen zerstörten den Koog, und Hauke zerstörte sich mit ihnen.
Elke und Wienke starben, und Hauke starb mit ihnen.
Er zwang seinen Schimmel, zu seiner Familie zu springen, und wusste, er würde sie niemals erreichen. Ein Malstrom von Wasser zerrte ihn fort, ehe er zu Boden sinken konnte.
Oben und unten hatten keine Bedeutung mehr. Alles war Meer und Salz und die pressende Macht des Wassers, gegen die Hauke sein Leben lang gekämpft hatte.
Seine Finger klammerten sich an die Zügel seines Pferds, seine Beine krampften sich im Sattel fest. Er blieb auf seinem Schimmel, und gemeinsam wurden sie aus dem Koog hinaus im Sog jenes Priels hinaus aufs Meer gezogen, dessen Gefahr er vorhergesagt hatte.
Er war bereit, zu sterben, um seine Schuld zu sühnen und weil er ohne Elke und Wienke nicht sein konnte. Und das tat er auch, auf dem Rücken seines Schimmels im Meer.
Doch er fand sich nicht mit Elke und Wienke vereint, und er fand sich nicht an der Himmelspforte oder vor den Toren der Hölle wieder.
Der Sturm ebbte ab. Das Meer wurde spiegelglatt. Der Himmel wurde blau und schwarz und klar.
Oben und unten existierten wieder. Hauke lag auf Sand, sein Schimmel lag im Sand und er saß noch immer im Sattel.
Hauke zog an den Zügeln und stieß dem armen Tier mit einem Fuß in die Flanke. Sein Schimmel zuckte mit den Ohren und schnaubte, dann kam er auf die Füße. Haukes Sicht verschwamm, als sie sich aufrichteten, und er sah zugleich Tag und Nacht. Sein Blick wurde klar, als sie standen, es war eine wolkenverhangene Nacht.
Er sah den alten Deich und den Durchbruch. Er sah seinen Deich, und die Stelle, an dem die Arbeiter ihn beinahe durchstochen hätten. Er spürte es wie einen Messerstich in seinem Fleische.
Er sah hinab. Sie standen auf Sand. Sein Schimmel stand im Sand, und seine Hufe standen neben den Hufen des Pferdeskeletts von der Hallig Jeverssand. Sie hatten in dem Pferdeskelett gelegen, und nun waren sie aufgestanden. Auferstanden. Erwacht. Wiedergegangen.
Trin‘ Jans Unsinn stieg ihm in den Kopf. Sie hatte Wienke von dem Geisterpferd auf der Hallig erzählt, bis er es ihr verboten hatte.
Doch das war einerlei. Er musste die Schäden am Deich besichtigen. Eine neue Sturmflut konnte hereinbrechen, und er musste die Reparaturen in Gang bringen.
Er schnalzte mit der Zunge, zog an den Zügeln um den Schimmel zum Deich zu leiten. Die Hallig Jeverssand war vom Festland durch einen breiten Meeresarm getrennt, und über den ritten sie. Sie ritten Haukes flach abfallenden Deich hinauf.
Der Schaden an seinem Deich war oberflächlich. Innerhalb von ein, zwei Wochen könnten sie ihn reparieren.
Der alte Deich war schlimmer. Der Durchbruch war katastrophal, nichts würde helfen außer dem Neubau des gesamten Deiches. Und das musste schnell geschehen. Bis der Deich nicht erneuert war, war das Dorf schutzlos. Waren Elke und Wienke schutzlos. Er wendete seinen Schimmel, preschte im Galopp den Deich hinab in Richtung seines Hofes.
Doch bevor er das Ende des Deichs erreicht hatte, hielt er wie erstarrt inne. Er würde Elke und Wienke nicht auf seinem Hof antreffen. Sie waren tot. Er war tot.
Er wandte seinen Blick zum Himmel, wie um den Herrgott zu fragen, was er hier noch machte. Der Himmel war dunkel und der Mond hinter Wolken verborgen. Er fand keine Antwort. Doch damit hatte Hauke schon vor Jahren seinen Frieden gemacht.
Gott half jenen, die sich selbst halfen.
Und er musste noch den Rest seines Deiches abreiten, und sehen, ob noch anderswo Schaden aufgetreten war. Er wendete sein Pferd und ritt im Galopp den Deich hinab.
Der Rest des Deiches war unversehrt.
Als er zur Stelle zurückkehrte, wo sein Deich in den alten Deich überging, hatten die Dörfler seinen Deich geflickt. Sie waren dabei, den alten Deich neu zu bauen.
Doch nicht mit einem sanften Abhang zur Seeseite hin. Nein, mit einem steilen Abhang. Verflucht sei Ole Peters! Kaum war Hauke Haien tot, bauten sie diesen schlechten Deich, der zu nichts taugen würde! Er würde bei der nächsten großen Sturmflut brechen.
Sie würden sicherlich versuchen, einen Hund lebendig im Fundament des Deichs zu vergraben. So wie sie es mit Perle versucht hatten, dem Hund, der seiner Tochter ein guter Kamerad geworden war.
Das würde er nicht zulassen. Er würde nicht von der Baustelle weichen, bis der Deich abgeschlossen war. Er ritt zur Baustelle und wartete.
Das Warten war nicht schwierig. Sein Schimmel und er wurden nicht müde, Hunger und Durst waren ferne Erinnerungen. Es war schwierig, in der Zeit zu bleiben und nicht wie ein Stück Holz im Strome wegzutreiben. Tag und Nacht vergingen wie Atemzüge, und das Getreide im Koog wuchs und wurde wenig später geerntet.
Er sah die Arbeiter und den neuen Deichgraf, der zwischen ihnen her schritt, doch sie sahen ihn nicht. Manchmal konnte er sie auch nicht sehen, wenn die Nacht dunkel war und der Wind ihm das Haar um den Kopf wirbelte. Dann hörte er nichts als das laute Kreischen der Wesen in den Prielen, und er blieb wie angewurzelt stehen. Es waren keine Vögel, wie er es einst Wienke erzählt hatte.
Doch er blieb auf seinem Schimmel an der Baustelle stehen, bewegte sich nur, wenn sich die Baustelle bewegte.
Der neue Deich war fast fertiggestellt und Hauke wurde wachsamer. Er sah die Arbeiter, und er sah den abgemagerten Hund, den sie auf die Baustelle zerrten. Der neue Deichgraf war nicht da, und so musste Hauke an seiner Statt eingreifen. Ehe sie den Hund in die Grube werfen konnten, ließ er seinen Schimmel steigen und mit den Hufen auf den Deich donnern.
„NEIN!“, rief Hauke so laut er konnte und ritt auf die Arbeiter zu, gewillt, sie nieder zu reiten. Er ritt durch sie hindurch, und sie fuhren vor Schreck zusammen. Sie sahen ihn und seine vor Wut blitzenden Augen. „Lasst den Hund!“
Hauke setzte mit seinem Schimmel über die Grube über und wendete. Er sprang zurück in die Menge der Arbeiter, die auseinander stoben. Der Hund rannte davon und war bald aus Haukes Sichtfeld verschwunden.
Die Arbeiter waren verschwunden. Es war Nacht.
Der Deich wurde fertiggestellt, und kein Hund wurde in ihm lebendig begraben.
Hauke ritt seinen Deich und den neuen alten Deich entlang und suchte nach Schwachstellen. Er fand Mäuse und verbrachte viel Zeit darauf, sie zu vertreiben. Sie waren weniger einfach zu erschrecken als die Arbeiter, doch sie verließen den Deich, nachdem er eine unbestimmbare Zeit – die gleichzeitig rannte und schlich – mit seinem Schimmel über ihren Bauten auf und ab getrampelt war.
Eine Sturmflut kam. Sie war weniger stark als jene, in der Elke und Wienke und er ertrunken waren. Die Deiche hielten.
Hauke stand mit seinem Schimmel an jener Stelle, an dem sein Deich in den neuen alten Deich überging. Er beobachtete die Wassermassen wie er es als Junge getan hatte. Er sah, wie die Wellen wütend gegen den steilen Hang des neuen alten Deichs schlugen. Er sah, wie die Wellen am seichten Hang seines Deichs ausliefen und ihre Kraft verloren.
Er hatte Recht gehabt, und Ole Peters oder wer auch immer nun die Entscheidungen traf, hatte dennoch diesen nutzlosen Deich mit dem steilen Hang gebaut.
Er sah hinab in die Wellen und er sah Schatten in ihnen.
Wesen wanden sich im Wasser, spülten mit den Wellen an den Deich.
Hauke ritt einen Schritt näher.
Es waren die Wesen, die in den Prielen schrien. Die er als Junge herausgefordert und als Vater zu Vögeln erklärt hatte.
Sie spülten an den Deich und krallten sich in die Erde. Das Wasser riss sie fort, doch es brachte sie auch wieder. Sie klammerten sich an der Erde fest.
Wollten sie den Deich zum Brechen bringen? Wollten sie den Deich überqueren?
Eines der Wesen fasste Fuß. Es krabbelte in abgehackten Bewegungen über den Hang den Deich hinauf. Hauke sah seinen Körper nur in Schatten und Schemen.
„Ho!“, rief er über den Wind hinweg. „Hinfort mit dir!“
Das Wesen wandte seinen Kopf. Sein Gesicht lag im Schatten, doch es schrie Hauke an und sprang auf ihn zu.
Wütend schlug er seinem Pferd die Hacken in die Flanken. Es riss den Kopf hoch, machte einen Satz nach vorn und preschte im Galopp vor. Hauke hielt auf das Wesen zu und ritt es nieder, spürte wie es von den Hufen seines Schimmels zurück ins Meer gedrängt wurde.
Er sah ein weiteres Wesen aus dem Meer klettern. Er hielt seinen Schimmel an, und ritt auch dieses Wesen nieder.
Und noch eines, und noch eines, und noch eines. Er preschte über seinen Deich und den neuen alten Deich, hielt mit glühenden Augen Ausschau und vertrieb die Geisterwesen, hielt sie von der Welt der Menschen ab. Er galoppierte mit seinem Schimmel über den Deich wie er es zu Lebzeiten getan hatte, seinen Deich nach dieser oder jener Schwachstelle absuchend. Nun suchte er ihn nach anderen Gefahren ab, und verbannte sie zurück in die Tiefen der Meere.
Es war sein Koog und sein Deich, und er würde hundert Jahre halten. Sein Deich war sein Leben gewesen und er würde wachen, solange er hielt.
Elke und Wienke waren tot, und Hauke war tot wie sie.
Die tosenden Wassermassen schlugen an den Deich und Hauke schlug sie zurück.
Der Deich stand, und Hauke stand mit ihm.
*
Der Deich brach, und Hauke brach mit ihm.
Die tosenden Wassermassen zerstörten den Koog, und Hauke zerstörte sich mit ihnen.
Elke und Wienke starben, und Hauke starb mit ihnen.
Er zwang seinen Schimmel, zu seiner Familie zu springen, und wusste, er würde sie niemals erreichen. Ein Malstrom von Wasser zerrte ihn fort, ehe er zu Boden sinken konnte.
Oben und unten hatten keine Bedeutung mehr. Alles war Meer und Salz und die pressende Macht des Wassers, gegen die Hauke sein Leben lang gekämpft hatte.
Seine Finger klammerten sich an die Zügel seines Pferds, seine Beine krampften sich im Sattel fest. Er blieb auf seinem Schimmel, und gemeinsam wurden sie aus dem Koog hinaus im Sog jenes Priels hinaus aufs Meer gezogen, dessen Gefahr er vorhergesagt hatte.
Er war bereit, zu sterben, um seine Schuld zu sühnen und weil er ohne Elke und Wienke nicht sein konnte. Und das tat er auch, auf dem Rücken seines Schimmels im Meer.
Doch er fand sich nicht mit Elke und Wienke vereint, und er fand sich nicht an der Himmelspforte oder vor den Toren der Hölle wieder.
Der Sturm ebbte ab. Das Meer wurde spiegelglatt. Der Himmel wurde blau und schwarz und klar.
Oben und unten existierten wieder. Hauke lag auf Sand, sein Schimmel lag im Sand und er saß noch immer im Sattel.
Hauke zog an den Zügeln und stieß dem armen Tier mit einem Fuß in die Flanke. Sein Schimmel zuckte mit den Ohren und schnaubte, dann kam er auf die Füße. Haukes Sicht verschwamm, als sie sich aufrichteten, und er sah zugleich Tag und Nacht. Sein Blick wurde klar, als sie standen, es war eine wolkenverhangene Nacht.
Er sah den alten Deich und den Durchbruch. Er sah seinen Deich, und die Stelle, an dem die Arbeiter ihn beinahe durchstochen hätten. Er spürte es wie einen Messerstich in seinem Fleische.
Er sah hinab. Sie standen auf Sand. Sein Schimmel stand im Sand, und seine Hufe standen neben den Hufen des Pferdeskeletts von der Hallig Jeverssand. Sie hatten in dem Pferdeskelett gelegen, und nun waren sie aufgestanden. Auferstanden. Erwacht. Wiedergegangen.
Trin‘ Jans Unsinn stieg ihm in den Kopf. Sie hatte Wienke von dem Geisterpferd auf der Hallig erzählt, bis er es ihr verboten hatte.
Doch das war einerlei. Er musste die Schäden am Deich besichtigen. Eine neue Sturmflut konnte hereinbrechen, und er musste die Reparaturen in Gang bringen.
Er schnalzte mit der Zunge, zog an den Zügeln um den Schimmel zum Deich zu leiten. Die Hallig Jeverssand war vom Festland durch einen breiten Meeresarm getrennt, und über den ritten sie. Sie ritten Haukes flach abfallenden Deich hinauf.
Der Schaden an seinem Deich war oberflächlich. Innerhalb von ein, zwei Wochen könnten sie ihn reparieren.
Der alte Deich war schlimmer. Der Durchbruch war katastrophal, nichts würde helfen außer dem Neubau des gesamten Deiches. Und das musste schnell geschehen. Bis der Deich nicht erneuert war, war das Dorf schutzlos. Waren Elke und Wienke schutzlos. Er wendete seinen Schimmel, preschte im Galopp den Deich hinab in Richtung seines Hofes.
Doch bevor er das Ende des Deichs erreicht hatte, hielt er wie erstarrt inne. Er würde Elke und Wienke nicht auf seinem Hof antreffen. Sie waren tot. Er war tot.
Er wandte seinen Blick zum Himmel, wie um den Herrgott zu fragen, was er hier noch machte. Der Himmel war dunkel und der Mond hinter Wolken verborgen. Er fand keine Antwort. Doch damit hatte Hauke schon vor Jahren seinen Frieden gemacht.
Gott half jenen, die sich selbst halfen.
Und er musste noch den Rest seines Deiches abreiten, und sehen, ob noch anderswo Schaden aufgetreten war. Er wendete sein Pferd und ritt im Galopp den Deich hinab.
Der Rest des Deiches war unversehrt.
Als er zur Stelle zurückkehrte, wo sein Deich in den alten Deich überging, hatten die Dörfler seinen Deich geflickt. Sie waren dabei, den alten Deich neu zu bauen.
Doch nicht mit einem sanften Abhang zur Seeseite hin. Nein, mit einem steilen Abhang. Verflucht sei Ole Peters! Kaum war Hauke Haien tot, bauten sie diesen schlechten Deich, der zu nichts taugen würde! Er würde bei der nächsten großen Sturmflut brechen.
Sie würden sicherlich versuchen, einen Hund lebendig im Fundament des Deichs zu vergraben. So wie sie es mit Perle versucht hatten, dem Hund, der seiner Tochter ein guter Kamerad geworden war.
Das würde er nicht zulassen. Er würde nicht von der Baustelle weichen, bis der Deich abgeschlossen war. Er ritt zur Baustelle und wartete.
Das Warten war nicht schwierig. Sein Schimmel und er wurden nicht müde, Hunger und Durst waren ferne Erinnerungen. Es war schwierig, in der Zeit zu bleiben und nicht wie ein Stück Holz im Strome wegzutreiben. Tag und Nacht vergingen wie Atemzüge, und das Getreide im Koog wuchs und wurde wenig später geerntet.
Er sah die Arbeiter und den neuen Deichgraf, der zwischen ihnen her schritt, doch sie sahen ihn nicht. Manchmal konnte er sie auch nicht sehen, wenn die Nacht dunkel war und der Wind ihm das Haar um den Kopf wirbelte. Dann hörte er nichts als das laute Kreischen der Wesen in den Prielen, und er blieb wie angewurzelt stehen. Es waren keine Vögel, wie er es einst Wienke erzählt hatte.
Doch er blieb auf seinem Schimmel an der Baustelle stehen, bewegte sich nur, wenn sich die Baustelle bewegte.
Der neue Deich war fast fertiggestellt und Hauke wurde wachsamer. Er sah die Arbeiter, und er sah den abgemagerten Hund, den sie auf die Baustelle zerrten. Der neue Deichgraf war nicht da, und so musste Hauke an seiner Statt eingreifen. Ehe sie den Hund in die Grube werfen konnten, ließ er seinen Schimmel steigen und mit den Hufen auf den Deich donnern.
„NEIN!“, rief Hauke so laut er konnte und ritt auf die Arbeiter zu, gewillt, sie nieder zu reiten. Er ritt durch sie hindurch, und sie fuhren vor Schreck zusammen. Sie sahen ihn und seine vor Wut blitzenden Augen. „Lasst den Hund!“
Hauke setzte mit seinem Schimmel über die Grube über und wendete. Er sprang zurück in die Menge der Arbeiter, die auseinander stoben. Der Hund rannte davon und war bald aus Haukes Sichtfeld verschwunden.
Die Arbeiter waren verschwunden. Es war Nacht.
Der Deich wurde fertiggestellt, und kein Hund wurde in ihm lebendig begraben.
Hauke ritt seinen Deich und den neuen alten Deich entlang und suchte nach Schwachstellen. Er fand Mäuse und verbrachte viel Zeit darauf, sie zu vertreiben. Sie waren weniger einfach zu erschrecken als die Arbeiter, doch sie verließen den Deich, nachdem er eine unbestimmbare Zeit – die gleichzeitig rannte und schlich – mit seinem Schimmel über ihren Bauten auf und ab getrampelt war.
Eine Sturmflut kam. Sie war weniger stark als jene, in der Elke und Wienke und er ertrunken waren. Die Deiche hielten.
Hauke stand mit seinem Schimmel an jener Stelle, an dem sein Deich in den neuen alten Deich überging. Er beobachtete die Wassermassen wie er es als Junge getan hatte. Er sah, wie die Wellen wütend gegen den steilen Hang des neuen alten Deichs schlugen. Er sah, wie die Wellen am seichten Hang seines Deichs ausliefen und ihre Kraft verloren.
Er hatte Recht gehabt, und Ole Peters oder wer auch immer nun die Entscheidungen traf, hatte dennoch diesen nutzlosen Deich mit dem steilen Hang gebaut.
Er sah hinab in die Wellen und er sah Schatten in ihnen.
Wesen wanden sich im Wasser, spülten mit den Wellen an den Deich.
Hauke ritt einen Schritt näher.
Es waren die Wesen, die in den Prielen schrien. Die er als Junge herausgefordert und als Vater zu Vögeln erklärt hatte.
Sie spülten an den Deich und krallten sich in die Erde. Das Wasser riss sie fort, doch es brachte sie auch wieder. Sie klammerten sich an der Erde fest.
Wollten sie den Deich zum Brechen bringen? Wollten sie den Deich überqueren?
Eines der Wesen fasste Fuß. Es krabbelte in abgehackten Bewegungen über den Hang den Deich hinauf. Hauke sah seinen Körper nur in Schatten und Schemen.
„Ho!“, rief er über den Wind hinweg. „Hinfort mit dir!“
Das Wesen wandte seinen Kopf. Sein Gesicht lag im Schatten, doch es schrie Hauke an und sprang auf ihn zu.
Wütend schlug er seinem Pferd die Hacken in die Flanken. Es riss den Kopf hoch, machte einen Satz nach vorn und preschte im Galopp vor. Hauke hielt auf das Wesen zu und ritt es nieder, spürte wie es von den Hufen seines Schimmels zurück ins Meer gedrängt wurde.
Er sah ein weiteres Wesen aus dem Meer klettern. Er hielt seinen Schimmel an, und ritt auch dieses Wesen nieder.
Und noch eines, und noch eines, und noch eines. Er preschte über seinen Deich und den neuen alten Deich, hielt mit glühenden Augen Ausschau und vertrieb die Geisterwesen, hielt sie von der Welt der Menschen ab. Er galoppierte mit seinem Schimmel über den Deich wie er es zu Lebzeiten getan hatte, seinen Deich nach dieser oder jener Schwachstelle absuchend. Nun suchte er ihn nach anderen Gefahren ab, und verbannte sie zurück in die Tiefen der Meere.
Es war sein Koog und sein Deich, und er würde hundert Jahre halten. Sein Deich war sein Leben gewesen und er würde wachen, solange er hielt.
Elke und Wienke waren tot, und Hauke war tot wie sie.
Die tosenden Wassermassen schlugen an den Deich und Hauke schlug sie zurück.
Der Deich stand, und Hauke stand mit ihm.
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