Allerleirauh
von Adryanah
Kurzbeschreibung
Prinzessin Isalie versteht die Welt nicht mehr. Ihr Vater, der König, ist vor Trauer um seine verstorbene Frau wahnsinnig geworden und gedenkt nun seine eigene Tochter zu heiraten. Und das nur, weil sie als einzige Prinzessin schöner als die Verstorbene ist. Am Ende bleibt ihr nur die Flucht in ein benachbartes Königreich, wo Isalie in die Fänge des Diebes Crain und seine Verbrecherbande gerät. Doch eben dieser Mann bringt auch ihre restliche Welt ins Wanken.
GeschichteRomance, Fantasy / P12 / Het
10.02.2023
23.03.2023
16
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10.02.2023
1.886
Sendalor spielte mit dem Ring an seinem Finger, der ihn seines Amtes als Hofmarschall auswies und starrte auf die reich verzierte Holztür, als würde sie sich dadurch schneller öffnen. Endlich verriet ihm dumpfes Gemurmel, dass der Arzt des Königs fertig mit seiner Untersuchung war. Hoffentlich gab es gute Neuigkeiten.
»Wie geht es dem König?«, fragte Hofmarschall Sendalor den Maester, als dieser die Schlafzimmertür öffnete und den dämmrigen Flur betrat.
Maester Vendyr schüttelte den Kopf und zog die Tür hinter sich zu. »Er nimmt die Tropfen nicht, die ich ihm gegeben habe, und die Salbe steht unberührt auf dem Tisch.«
Sendalor schloss die Augen, neigte den Kopf und atmete tief durch. »Wie sollen Salben und Tropfen gegen ein gebrochenes Herz helfen?«
Maester Vendyr schnaufte und gab ein abwertendes Geräusch von sich. »Trauer ist schön und gut, aber er benimmt sich, als wäre er gestorben und nicht seine Frau. Schließlich ist sie seit drei Jahren tot. Dieses Land braucht einen starken König und eine neue Königin. Am besten eine junge Frau, damit er mit ihr einen Thronfolger zeugen kann. Sonst stürzt das Land bald ins Chaos. Es wird Zeit, dass er sich auf Brautschau macht. Eine neue Liebe vertreibt die Trauer im Nu.«
Hofmarschall Sendalor sah Maester Vendyr ernst an. »Wollt Ihr ihm das sagen?«
Vendyr lachte freudlos auf. »Nein Danke, das ist Eure Aufgabe. Ihr seid schließlich sein Vertrauter.«
»Ein Vertrauter, der seinen Kopf gern noch etwas länger auf den Schultern tragen möchte. Aber Ihr habt recht. Es ist meine Aufgabe. Doch wunderlich erscheint er mir in letzter Zeit. Er sitzt die ganze Zeit am Fenster und beobachtet seine Untertanen. Besonders Prinzessin Isalie, wenn sie draußen mit ihren Hunden spielt. Als hätte er Angst, sie könnte verschwinden.«
Der Maester zuckte mit den Schultern. »Ist das ein Wunder? Ich glaube kaum, dass er einen weiteren Verlust ertragen könnte. Isalie ist das Einzige, was ihm noch von seiner Frau geblieben ist.«
»Doch manchmal sieht er sie an, als ...«, Sendalor stockte, bevor er einen Gedanken aussprechen konnte, der an Hochverrat oder zumindest an Gotteslästerung grenzte.
Alarmiert schüttelte der Maester den Kopf. »Wagt es nicht einmal, einen solchen Gedanken zu fassen.«
»Ihr wisst doch gar nicht, was ich gedacht habe«, sagte Sendalor leise aber mit Nachdruck.
»Doch, das weiß ich, denn mir kam bereits ein ähnlicher Gedanke«, sagte Vendyr und tat so, als spuckte er dreimal auf den Boden, um so den bösen Gedanken wie einen Geist zu vertreiben. »Und wir werden nie wieder darüber sprechen.«
Sendalor zeigte mit seinem Nicken, dass er mehr als einverstanden war. »Wünscht mir Glück, Maester.«
Maester Vendyr klopfte dem Hofmarschall auf die Schultern und schenkte ihm ein Lächeln, das wohl Mut schenken sollte, jedoch recht kläglich wirkte.
Mit Schwung öffnete Sendalor die zweiflüglige Tür und tat, als könne ihn kein Wässerchen trüben. »Mein König! Wie geht es Euch heute? Ist das Wetter nicht wunderschön?«
Der König saß wieder auf seinem breiten Fenstersims und starrte hinaus. »Ja«, sagte er abwesend, als hätte er die Worte des Hofmarschalls kaum verstanden. »Wunderschön, in der Tat.«
Sendalor trat näher an seinen Regenten und schaute ebenfalls hinaus, um zu sehen, was jenen so ablenkte. Draußen spielte Isalie wieder ausgelassen mit ihren beiden Hunden. Ihr Haar, das so golden war, dass selbst die Sonne daneben blass wirkte, tanzte im Wind. Selbst der Hofmarschall glaubte, die Luft trüge ihren Duft nach frischen Rosen empor zum Fenster. Ihr Lachen war unbeschwert und fröhlich, eben das eines Mädchens, das noch keine achtzehn Lenze zählte. Seine Brust wollte bersten vor Liebe zu diesem Kind, war er ihr doch mehr Vater gewesen, als es dem König je möglich gewesen war. Umso mehr fürchtete Sendalor den Blick des Königs auf dessen eigen Fleisch und Blut.
»Mein König? Verzeiht mir meine Frage ... was geht in Euch vor? Wir alle machen uns Sorgen um Euch. Wird es nicht Zeit, dass Ihr wieder vor die Tür geht, damit Euer Volk Euch sieht? Ich bin sicher, sie würden sich auch über eine neue Frau an Eurer Seite freuen und voller Ungeduld auf einen Nachfolger warten.«
Der König nickte.
Etwas am Gesichtsausdruck seines Herrschers erinnerte den Hofmarschall an einen Wolf, der einer Beute auflauerte, was ihm einen heißkalten Schauder über den Rücken rieseln ließ.
»Hofmarschall?«
»Ja, mein König?«, beeilte sich Sendalor zu sagen, froh darüber, dass der Herrscher seine Anwesenheit endlich bemerkt hatte.
»Gebt allen Bescheid. Ich werde Euren Rat annehmen und so bald wie möglich Hochzeit halten.«
»Oh mein König, was für wundervolle Neuigkeiten!« Das Herz des Hofmarschalls jubilierte für einen Moment, bis er begriff, wen der König zu ehelichen gedachte.
»Mein König? Wer ist denn die Glückliche?«
»Isalie selbstverständlich. Ich habe so viele Frauen kommen und gehen sehen, doch nur Isalie ist noch schöner, als es meine geliebte Frau gewesen ist.«
Sendalor fühlte sich, als würde er wie ein Stein in den Tiefen des Dunkelsees versinken. »Mein König ... verzeiht mir, dass ich Eure Entscheidung in Zweifel ziehe, aber ... Isalie ist Eure Tochter, ihr könnt sie nicht heiraten, das ist gegen das Gesetz.«
Langsam dreht der König seinen Kopf zu seinem Ratgeber. »Und wer genau, mein Lieber, schreibt die Gesetze?«
»Das ist das Gesetz der Götter, mein König. Diese Gebote sind so alt wie die Menschheit selbst.« Sendalor hatte die Worte ausgesprochen und doch im selben Augenblick begriffen, dass seine Aussage auf taube Ohren stieß. Der König war am Geiste erkrankt, so viel war nun sicher. Sein Blick verriet den Irrsinn, der jahrelang Zeit gehabt hatte, in seiner Seele zu wachsen und zu gedeihen. Dunkelrot umrandete der fehlende Schlaf seine Augen. Seine Haut war trocken und spröde und die Trauer hatte tiefe Furchen des Grams in seine Gesichtszüge geschlagen.
»Und wo genau sind Eure Götter? Wo waren sie, als meine Frau dahinsiechte? Wo waren sie, als ich auf Knien um ihr Leben gefleht habe? Meine Krone hätte ich für sie aufgegeben. Aber nein, die Götter kamen nicht. Es interessiert sie nicht, was wir hier tun oder lassen. Das hat es nie. Also bin allein ich hier das Gesetz! Und wenn Ihr nicht auf der Stelle tut, was ich von Euch verlangt habe, werde ich Euren Kopf von den Schultern trennen lassen und ihn meiner Tochter als Hochzeitsgeschenk servieren.«
Sendalor hätte beinahe aufgekeucht, war aber klug genug, den Mund zu halten. »Natürlich, Eure Majestät. Verzeiht mir meine Impertinenz. Das wird nie wieder vorkommen. Ich werde Prinzessin Isalie von Eurer Entscheidung berichten und alles andere in die Wege leiten.«
Der König gab nur ein kurzes Grunzen von sich, damit war der Hofmarschall entlassen.
Sendalor verließ das Schlafgemach des Königs, verharrte er kurz hinter der verschlossenen Tür. Die Hände ruhten noch immer auf den Klinken seine Stirn an das harte Holz gelehnt. Er hatte keine Ahnung, wie er das dem unschuldigen Kind beibringen sollte. Ein dunkler Schatten legte sich über seine Gedanken und ein Bild – einer teuflischen Vision gleich – drängt ihm auf. Die Prinzessin an seiner Seite, begleitete er sie zum Schafott. Das liebe Kind lächelte ganz arglos, hatte es doch keinen Grund zu glauben, dass er dabei war, sie in ihr Verderben zu führen. Der Hofmarschall schüttelte den Kopf und schloss die Augen so fest, dass ihm weiße Punkte erschienen. Egal, alles war besser als dieses Bild.
Nie waren seine Beine schwerer als heute gewesen, dennoch führten sie ihn, ohne im Boden zu versinken, bis hinaus auf den Hof.
Isalies Lachen klang wie das Tanzen kleiner Feen, die mit Glöckchen spielten. Die beiden Hunde, ihr völlig ergeben, machten jeden Spaß mit und man sah ihnen die Liebe zu ihrer Herrin bereits von weitem an. Sie hatte wieder eines ihrer selbstgenähten Kleider an. Vermutlich hatte sie sogar die Wolle für den Stoff selbst gesponnen, so wie es ihre Mutter immer getan hatte und die Großmutter davor. Ganz wie es üblich im Land der Weber und Schneider war. Doch Isalie hatte ein noch feineres Händchen für die besonders edel gewobenen Stoffe.
»Prinzessin Isalie, habt ihr einen kleinen Moment für euren alten Hofmarschall?«
Isalie schaute auf, das herzliche Lachen ließ sie beinahe leuchten. »Mein Lieber
Lolo, für Euch habe ich doch immer Zeit.«
Lolo – Sendalor versetzte der Kosename einen Stich. Sie war noch klein gewesen und hatte immer versucht, seinen Namen auszusprechen, irgendwann war es der kleinen Hoheit zu viel gewesen und sie hatte einfach Lolo zu ihm gesagt. Dabei war es bis heute geblieben. Sie rannte zu ihm und warf sich ihm in die Arme.
»Oh, verzeiht, mein lieber Hofmarschall, ich habe meine Erziehung vergessen«, sagte sie, ließ ihn wieder los, hob ihre Finger vor den Mund und kicherte.
»Es wäret nicht Ihr, wenn Ihr Euch den Konventionen unterwerfen würdet, Prinzessin«, antwortete er, unfähig, ihr auch nur einen Augenblick böse zu sein. Er fühlte sich verloren, als er ihren fragenden Blick auffing. Wie sollte er ihr sagen, was der König verlangte?
»Was ist passiert, Sendalor?« Sie nannte ihn beim Namen, ein Zeichen dafür, dass sie den Ernst der Lage erkannt hatte. Er schaute sich um und blieb am Brunnen hängen, der einen breiten Rand hatte, wie gemacht, um nach getaner Arbeit darauf zu verweilen, ein kleinen Tratsch mit den anderen auszutauschen ... oder eben wichtige Dinge zu besprechen. Vermutlich wäre es besser, er erzählte es ihr in seinen offiziellen Räumen, aber innerhalb des Schlosses fühlte er sich gerade, als würden ihn die Mauern erdrücken. Außerdem hoffte Sendalor, dass der König erkennen würde, wie sehr sein Wunsch die Prinzessin verstörte und er so vielleicht zur Vernunft käme.
Er schlurfte mit schweren Beinen zum Brunnenrand und ließ sich seufzend nieder. Es roch nach Moos und feuchten Steinen, ein Geruch, den er immer gemocht hatte, heute erinnerte er ihn eher an einen Kerker.
»Setz dich zu mir, mein Kind.« Er hatte die königliche Bezeichnung mit Absicht weggelassen. Ein kurzer Blick in ihr Gesicht bestätigte ihm, dass sie es langsam mit der Angst bekam. Er klopfte auf den sonnengewärmten Platz zu seiner Linken.
»Ihr macht mir Angst, Hofmarschall«, sagte sie leise, kam seinem Wunsch aber nach, strich ihren Rock glatt und setzte sich. Ihre beiden Hunde legten sich vor ihre Füße, und dösten zufrieden im Schatten.
Er konnte ihr nicht in die Augen sehen und ließ seinen Blick gen Himmel schweifen.
»Hör zu. Ich komme eben vom König und soll dir eine Nachricht überbringen.«
Isalie runzelte die Stirn, schwieg aber. Ihr Feinsinn fürs Zuhören und Verstehen, was zwischen den Zeilen angedeutet wurde, war eine ihrer vielen positiven Eigenschaften.
»Du weißt ja, wie sehr dein Vater unter dem Verlust deiner Mutter zu leiden gehabt hatte.«
Isalie nickte, das Stirnrunzeln blieb.
»Nun ...«, Sendalor schluckte und rieb sich über das Gesicht, als würden die Worte dann leichter über seine Lippen kommen.
»Jetzt sagt schon, was los ist. Ich bin stärker, als Ihr glaubt«, drängte Isalie den Hofmarschall.
»Du weißt von dem Versprechen, dass deine Mutter ihm am Sterbebett abnahm?«
»Dass er nur eine Frau ehelichen sollte, wenn sie schöner ist, als meine liebe Mutter?«
Sendalor nickte. »Richtig.«
Isalie schüttelte den Kopf. »Es kamen und gingen genug Frauen, die die Schönheit meiner Mutter bei weitem übertroffen haben. Nur war mein Vater blind vor Trauer. Was nun? Soll ich als Botschafterin durchs Reich ziehen und eine Frau für ihn suchen?«
Sendalor fühlte sich, als hätte ihm jemand das Herz aus der Brust gerissen und es in den kalten, nassen Brunnen geworfen. »Nein, er hat sich bereits für eine Frau entschieden.«
»Tatsächlich? Aber das sind doch wundervolle Neuigkeiten. Wer ist die Glückliche?«
»Das ... bist du.«
»Wie geht es dem König?«, fragte Hofmarschall Sendalor den Maester, als dieser die Schlafzimmertür öffnete und den dämmrigen Flur betrat.
Maester Vendyr schüttelte den Kopf und zog die Tür hinter sich zu. »Er nimmt die Tropfen nicht, die ich ihm gegeben habe, und die Salbe steht unberührt auf dem Tisch.«
Sendalor schloss die Augen, neigte den Kopf und atmete tief durch. »Wie sollen Salben und Tropfen gegen ein gebrochenes Herz helfen?«
Maester Vendyr schnaufte und gab ein abwertendes Geräusch von sich. »Trauer ist schön und gut, aber er benimmt sich, als wäre er gestorben und nicht seine Frau. Schließlich ist sie seit drei Jahren tot. Dieses Land braucht einen starken König und eine neue Königin. Am besten eine junge Frau, damit er mit ihr einen Thronfolger zeugen kann. Sonst stürzt das Land bald ins Chaos. Es wird Zeit, dass er sich auf Brautschau macht. Eine neue Liebe vertreibt die Trauer im Nu.«
Hofmarschall Sendalor sah Maester Vendyr ernst an. »Wollt Ihr ihm das sagen?«
Vendyr lachte freudlos auf. »Nein Danke, das ist Eure Aufgabe. Ihr seid schließlich sein Vertrauter.«
»Ein Vertrauter, der seinen Kopf gern noch etwas länger auf den Schultern tragen möchte. Aber Ihr habt recht. Es ist meine Aufgabe. Doch wunderlich erscheint er mir in letzter Zeit. Er sitzt die ganze Zeit am Fenster und beobachtet seine Untertanen. Besonders Prinzessin Isalie, wenn sie draußen mit ihren Hunden spielt. Als hätte er Angst, sie könnte verschwinden.«
Der Maester zuckte mit den Schultern. »Ist das ein Wunder? Ich glaube kaum, dass er einen weiteren Verlust ertragen könnte. Isalie ist das Einzige, was ihm noch von seiner Frau geblieben ist.«
»Doch manchmal sieht er sie an, als ...«, Sendalor stockte, bevor er einen Gedanken aussprechen konnte, der an Hochverrat oder zumindest an Gotteslästerung grenzte.
Alarmiert schüttelte der Maester den Kopf. »Wagt es nicht einmal, einen solchen Gedanken zu fassen.«
»Ihr wisst doch gar nicht, was ich gedacht habe«, sagte Sendalor leise aber mit Nachdruck.
»Doch, das weiß ich, denn mir kam bereits ein ähnlicher Gedanke«, sagte Vendyr und tat so, als spuckte er dreimal auf den Boden, um so den bösen Gedanken wie einen Geist zu vertreiben. »Und wir werden nie wieder darüber sprechen.«
Sendalor zeigte mit seinem Nicken, dass er mehr als einverstanden war. »Wünscht mir Glück, Maester.«
Maester Vendyr klopfte dem Hofmarschall auf die Schultern und schenkte ihm ein Lächeln, das wohl Mut schenken sollte, jedoch recht kläglich wirkte.
Mit Schwung öffnete Sendalor die zweiflüglige Tür und tat, als könne ihn kein Wässerchen trüben. »Mein König! Wie geht es Euch heute? Ist das Wetter nicht wunderschön?«
Der König saß wieder auf seinem breiten Fenstersims und starrte hinaus. »Ja«, sagte er abwesend, als hätte er die Worte des Hofmarschalls kaum verstanden. »Wunderschön, in der Tat.«
Sendalor trat näher an seinen Regenten und schaute ebenfalls hinaus, um zu sehen, was jenen so ablenkte. Draußen spielte Isalie wieder ausgelassen mit ihren beiden Hunden. Ihr Haar, das so golden war, dass selbst die Sonne daneben blass wirkte, tanzte im Wind. Selbst der Hofmarschall glaubte, die Luft trüge ihren Duft nach frischen Rosen empor zum Fenster. Ihr Lachen war unbeschwert und fröhlich, eben das eines Mädchens, das noch keine achtzehn Lenze zählte. Seine Brust wollte bersten vor Liebe zu diesem Kind, war er ihr doch mehr Vater gewesen, als es dem König je möglich gewesen war. Umso mehr fürchtete Sendalor den Blick des Königs auf dessen eigen Fleisch und Blut.
»Mein König? Verzeiht mir meine Frage ... was geht in Euch vor? Wir alle machen uns Sorgen um Euch. Wird es nicht Zeit, dass Ihr wieder vor die Tür geht, damit Euer Volk Euch sieht? Ich bin sicher, sie würden sich auch über eine neue Frau an Eurer Seite freuen und voller Ungeduld auf einen Nachfolger warten.«
Der König nickte.
Etwas am Gesichtsausdruck seines Herrschers erinnerte den Hofmarschall an einen Wolf, der einer Beute auflauerte, was ihm einen heißkalten Schauder über den Rücken rieseln ließ.
»Hofmarschall?«
»Ja, mein König?«, beeilte sich Sendalor zu sagen, froh darüber, dass der Herrscher seine Anwesenheit endlich bemerkt hatte.
»Gebt allen Bescheid. Ich werde Euren Rat annehmen und so bald wie möglich Hochzeit halten.«
»Oh mein König, was für wundervolle Neuigkeiten!« Das Herz des Hofmarschalls jubilierte für einen Moment, bis er begriff, wen der König zu ehelichen gedachte.
»Mein König? Wer ist denn die Glückliche?«
»Isalie selbstverständlich. Ich habe so viele Frauen kommen und gehen sehen, doch nur Isalie ist noch schöner, als es meine geliebte Frau gewesen ist.«
Sendalor fühlte sich, als würde er wie ein Stein in den Tiefen des Dunkelsees versinken. »Mein König ... verzeiht mir, dass ich Eure Entscheidung in Zweifel ziehe, aber ... Isalie ist Eure Tochter, ihr könnt sie nicht heiraten, das ist gegen das Gesetz.«
Langsam dreht der König seinen Kopf zu seinem Ratgeber. »Und wer genau, mein Lieber, schreibt die Gesetze?«
»Das ist das Gesetz der Götter, mein König. Diese Gebote sind so alt wie die Menschheit selbst.« Sendalor hatte die Worte ausgesprochen und doch im selben Augenblick begriffen, dass seine Aussage auf taube Ohren stieß. Der König war am Geiste erkrankt, so viel war nun sicher. Sein Blick verriet den Irrsinn, der jahrelang Zeit gehabt hatte, in seiner Seele zu wachsen und zu gedeihen. Dunkelrot umrandete der fehlende Schlaf seine Augen. Seine Haut war trocken und spröde und die Trauer hatte tiefe Furchen des Grams in seine Gesichtszüge geschlagen.
»Und wo genau sind Eure Götter? Wo waren sie, als meine Frau dahinsiechte? Wo waren sie, als ich auf Knien um ihr Leben gefleht habe? Meine Krone hätte ich für sie aufgegeben. Aber nein, die Götter kamen nicht. Es interessiert sie nicht, was wir hier tun oder lassen. Das hat es nie. Also bin allein ich hier das Gesetz! Und wenn Ihr nicht auf der Stelle tut, was ich von Euch verlangt habe, werde ich Euren Kopf von den Schultern trennen lassen und ihn meiner Tochter als Hochzeitsgeschenk servieren.«
Sendalor hätte beinahe aufgekeucht, war aber klug genug, den Mund zu halten. »Natürlich, Eure Majestät. Verzeiht mir meine Impertinenz. Das wird nie wieder vorkommen. Ich werde Prinzessin Isalie von Eurer Entscheidung berichten und alles andere in die Wege leiten.«
Der König gab nur ein kurzes Grunzen von sich, damit war der Hofmarschall entlassen.
Sendalor verließ das Schlafgemach des Königs, verharrte er kurz hinter der verschlossenen Tür. Die Hände ruhten noch immer auf den Klinken seine Stirn an das harte Holz gelehnt. Er hatte keine Ahnung, wie er das dem unschuldigen Kind beibringen sollte. Ein dunkler Schatten legte sich über seine Gedanken und ein Bild – einer teuflischen Vision gleich – drängt ihm auf. Die Prinzessin an seiner Seite, begleitete er sie zum Schafott. Das liebe Kind lächelte ganz arglos, hatte es doch keinen Grund zu glauben, dass er dabei war, sie in ihr Verderben zu führen. Der Hofmarschall schüttelte den Kopf und schloss die Augen so fest, dass ihm weiße Punkte erschienen. Egal, alles war besser als dieses Bild.
Nie waren seine Beine schwerer als heute gewesen, dennoch führten sie ihn, ohne im Boden zu versinken, bis hinaus auf den Hof.
Isalies Lachen klang wie das Tanzen kleiner Feen, die mit Glöckchen spielten. Die beiden Hunde, ihr völlig ergeben, machten jeden Spaß mit und man sah ihnen die Liebe zu ihrer Herrin bereits von weitem an. Sie hatte wieder eines ihrer selbstgenähten Kleider an. Vermutlich hatte sie sogar die Wolle für den Stoff selbst gesponnen, so wie es ihre Mutter immer getan hatte und die Großmutter davor. Ganz wie es üblich im Land der Weber und Schneider war. Doch Isalie hatte ein noch feineres Händchen für die besonders edel gewobenen Stoffe.
»Prinzessin Isalie, habt ihr einen kleinen Moment für euren alten Hofmarschall?«
Isalie schaute auf, das herzliche Lachen ließ sie beinahe leuchten. »Mein Lieber
Lolo, für Euch habe ich doch immer Zeit.«
Lolo – Sendalor versetzte der Kosename einen Stich. Sie war noch klein gewesen und hatte immer versucht, seinen Namen auszusprechen, irgendwann war es der kleinen Hoheit zu viel gewesen und sie hatte einfach Lolo zu ihm gesagt. Dabei war es bis heute geblieben. Sie rannte zu ihm und warf sich ihm in die Arme.
»Oh, verzeiht, mein lieber Hofmarschall, ich habe meine Erziehung vergessen«, sagte sie, ließ ihn wieder los, hob ihre Finger vor den Mund und kicherte.
»Es wäret nicht Ihr, wenn Ihr Euch den Konventionen unterwerfen würdet, Prinzessin«, antwortete er, unfähig, ihr auch nur einen Augenblick böse zu sein. Er fühlte sich verloren, als er ihren fragenden Blick auffing. Wie sollte er ihr sagen, was der König verlangte?
»Was ist passiert, Sendalor?« Sie nannte ihn beim Namen, ein Zeichen dafür, dass sie den Ernst der Lage erkannt hatte. Er schaute sich um und blieb am Brunnen hängen, der einen breiten Rand hatte, wie gemacht, um nach getaner Arbeit darauf zu verweilen, ein kleinen Tratsch mit den anderen auszutauschen ... oder eben wichtige Dinge zu besprechen. Vermutlich wäre es besser, er erzählte es ihr in seinen offiziellen Räumen, aber innerhalb des Schlosses fühlte er sich gerade, als würden ihn die Mauern erdrücken. Außerdem hoffte Sendalor, dass der König erkennen würde, wie sehr sein Wunsch die Prinzessin verstörte und er so vielleicht zur Vernunft käme.
Er schlurfte mit schweren Beinen zum Brunnenrand und ließ sich seufzend nieder. Es roch nach Moos und feuchten Steinen, ein Geruch, den er immer gemocht hatte, heute erinnerte er ihn eher an einen Kerker.
»Setz dich zu mir, mein Kind.« Er hatte die königliche Bezeichnung mit Absicht weggelassen. Ein kurzer Blick in ihr Gesicht bestätigte ihm, dass sie es langsam mit der Angst bekam. Er klopfte auf den sonnengewärmten Platz zu seiner Linken.
»Ihr macht mir Angst, Hofmarschall«, sagte sie leise, kam seinem Wunsch aber nach, strich ihren Rock glatt und setzte sich. Ihre beiden Hunde legten sich vor ihre Füße, und dösten zufrieden im Schatten.
Er konnte ihr nicht in die Augen sehen und ließ seinen Blick gen Himmel schweifen.
»Hör zu. Ich komme eben vom König und soll dir eine Nachricht überbringen.«
Isalie runzelte die Stirn, schwieg aber. Ihr Feinsinn fürs Zuhören und Verstehen, was zwischen den Zeilen angedeutet wurde, war eine ihrer vielen positiven Eigenschaften.
»Du weißt ja, wie sehr dein Vater unter dem Verlust deiner Mutter zu leiden gehabt hatte.«
Isalie nickte, das Stirnrunzeln blieb.
»Nun ...«, Sendalor schluckte und rieb sich über das Gesicht, als würden die Worte dann leichter über seine Lippen kommen.
»Jetzt sagt schon, was los ist. Ich bin stärker, als Ihr glaubt«, drängte Isalie den Hofmarschall.
»Du weißt von dem Versprechen, dass deine Mutter ihm am Sterbebett abnahm?«
»Dass er nur eine Frau ehelichen sollte, wenn sie schöner ist, als meine liebe Mutter?«
Sendalor nickte. »Richtig.«
Isalie schüttelte den Kopf. »Es kamen und gingen genug Frauen, die die Schönheit meiner Mutter bei weitem übertroffen haben. Nur war mein Vater blind vor Trauer. Was nun? Soll ich als Botschafterin durchs Reich ziehen und eine Frau für ihn suchen?«
Sendalor fühlte sich, als hätte ihm jemand das Herz aus der Brust gerissen und es in den kalten, nassen Brunnen geworfen. »Nein, er hat sich bereits für eine Frau entschieden.«
»Tatsächlich? Aber das sind doch wundervolle Neuigkeiten. Wer ist die Glückliche?«
»Das ... bist du.«
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