Draconia - Stadt der Drachen
von Hopy1x2y
Kurzbeschreibung
»Halt dich bereit«, sagte Vater und wandte sich mir zu. »Sie kommen, um dich abzuholen.« Unwillkürlich wich ich zurück, bis ich mit dem Rücken an die Wand stieß. Jetzt war also die Stunde gekommen, vor der ich mich seit der Auswahlzeremonie gefürchtet hatte. In einer nicht allzu fernen Zukunft haben die Maharoi, menschenähnliche Drachenwandler, die Herrschaft auf der Erde übernommen. Die Menschen, Normis genannt, leben in elenden Siedlungen. Immer wieder werden junge Frauen aus ihrer Mitte fortgeholt, um den Maharoi als Dohschendi, als Gefährtin zu dienen, da ihre eigenen, reinblütigen Nachkommen unfruchtbar sind. Shania ist eine derjenigen, die dieses Los trifft. Normalerweise wäre ihr Schicksal nun besiegelt, doch Gilgash, die Drachengöttin, scheint andere Pläne mit ihr und ihrem Gefährten zu haben.
GeschichteFantasy, Liebesgeschichte / P12 / Gen
23.01.2023
29.01.2023
26
58.297
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23.01.2023
2.041
Shania
Meine erste Empfindung, als ich am Morgen aufwachte, war Trauer. Ich lebte noch und würde heute also wirklich ein neues Leben beginnen. Wie sich wohl die Menschen der alten Zeit gefühlt hätten? Ich konnte mich nicht einmal in Gedanken in eine Welt hineinversetzen, in denen es tatsächlich Männer und Frauen gegeben hatte, die ohne Angst in den Tag hineinlebten.
Das Quieken einer Maus riss mich aus den Überlegungen. Es war unsinnig, sich damit zu beschäftigen. Ändern konnte ich es ohnehin nicht. Von nebenan drang ein aromatischer Duft an meine Nase. Hatte Mutter etwa wirklich …?
Rasch sprang ich auf und schob mechanisch das Stroh zusammen, um mein Nachtlager für den heutigen Abend … dann hielt ich inne. Es war Unsinn, so etwas zu tun. Ich würde schließlich nie wieder hier schlafen und niemals mehr … ich konnte und wollte den Gedanken nicht weiterspinnen.
Hastig verließ ich die winzige Kammer, ohne mich noch einmal umzudrehen. Warum auch? Ich bezweifelte doch sehr, ob ich mich in den Jahren, die mir vielleicht noch vergönnt waren, nach hier zurücksehnen würde. Doch im Durchgang drehte ich mich doch noch einmal um. Wenn es auch ein armseliger Fleck war, so war er doch ein Zuhause und ein Rückzugsort für mich gewesen.
Das altersschwache, vermoderte Holz knarrte unter den nackten Fußsohlen, als ich den Gang entlang zu meinen Eltern ging. Wir konnten uns glücklich schätzen, dass wir eine kleine Hütte unser eigen nannten. Wir verdankten dies Eli, meinem Bruder, auch wenn ich es Vater gegenüber nie erwähnen durfte. So waren wir wenigstens nicht mit zwei oder gar drei anderen Familien in einer winzigen Behausung zusammengepfercht.
Mutter lächelte mich tapfer an und wischte sich verstohlen die Tränen weg, als sie mich in die kleine Stube treten sah. Vater betrachtete mich mit einer Art würdevollem Besitzerstolz, trat zu mir hin, legte mir seine Hände auf die Schultern und sah mir in die Augen.
»Noch heute wirst du eine stolze Dohschendi werden! Schenk ihm viele reine Kinder und mach uns damit glücklich!«
Mir wurde beinahe schlecht, als er so salbungsvoll zu mir sprach, aber ich konnte ihn auch verstehen. Ihrer beider Leben würde sich ebenfalls ändern und sie mussten von nun an nicht mehr in dieser Siedlung in einer baufälligen Hütte wohnen. Für Mutter freute es mich und wohl nur deshalb brach ich in dem Moment nicht in Tränen aus. Vater nickte mir noch einmal zu, bevor er die Hände von meinen Schultern nahm und mit einer großen Geste auf den wackeligen Tisch deutete.
»Nehmen wir ein letztes Mal zusammen das Frühstück ein!«
Jetzt hatte er es geschafft, nun kamen mir doch die Tränen. Mutter nahm mich in ihre Arme, flüsterte mir einige Trostworte zu und streichelte mir über den Rücken. Ihr war nur zu bewusst, was auf mich zukam, denn schon ihre Schwester hatte das gleiche Los zu tragen gehabt.
Es dauerte eine ganze Weile, bis ich mich wieder beruhigte. Ich ignorierte das Murren meines Vaters, der die ganze Sache als eine Ehre für unsere Familie betrachtete. Die Männer hatten auch leicht reden, sie mussten schließlich nicht nach Draconia gehen und dort als Dohschendi dienen.
Egal, ich vertrieb die dunklen Wolken, die mir im Hirn herumschwebten. Ich wollte die letzten Stunden mit meinen Eltern - besonders mit Mutter - auskosten. Sie goss mir etwas in die Tasse und ich wusste nun, dass mich meine Nase nicht getäuscht hatte.
»Kaffee!«, sagte ich und umschloss die Tasse beinahe ehrfürchtig mit den Händen. »Aber woher hast du ihn?«
»Deine Mutter hat Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um ein paar Kaffeebohnen aufzutreiben«, erwiderte Vater an ihrer Stelle. »Du wirst ja demnächst Sachen zu Essen und Trinken bekommen, von denen wir nur träumen können. Wirklich, es gibt nicht wenige hier im Dorf, die dich beneiden, Shania!«
'Dann sollen die sich doch einem Maharos hingeben', dachte ich, während ich einen tiefen Zug des köstlichen Gebräus zu mir nahm. In dem Moment hätte ich nichts dagegen gehabt, wenn die Zeit stehengeblieben wäre. Mutter teilte mir auch den mir zustehenden Vorrat an Brot zu, obwohl mein Magen wie verknotet war und ich keinen Bissen hinunterbrachte. Andächtig saßen wir am Tisch und hingen unseren Gedanken nach. Mutter weinte still vor sich hin und tastete gelegentlich nach meiner Hand.
»Es wird womöglich gar nicht so schlimm werden«, sagte ich im vergeblichen Versuch, sie zu trösten. »Du hast doch bestimmt auch schon die Geschichten gehört, in denen eine Dohschendi ihren Gefährten nach Strich und Faden herumkommandiert hat.«
Natürlich kannte sie die Berichte, aber wir wussten beide, dass es kaum mehr als Märchen sein konnten. Ein Maharos war nicht dafür bekannt, besonders sanftmütig und duldsam zu sein. Vater erhob sich und rumorte in einer Ecke herum, suchte wahrscheinlich nach seinem Vorrat an berauschenden Getränken. Ich sollte mich nicht getäuscht haben, denn er kehrte mit drei Trinkgefäßen und einer bauchigen Flasche zurück.
»Auf die Zukunft!«, rief er, nachdem er uns allen etwas eingeschenkt hatte.
Ich war noch nie ein Freund dieses scharfen Gesöffs gewesen, aber in dem Moment half es mir, die Angst vor dem Kommenden zurückzudrängen.
»Vielleicht sollten wir noch …«, begann er, konnte den Satz aber nicht beenden, denn in dem Augenblick wurde die Tür aufgerissen und eine große, breite Gestalt erschien im Türrahmen.
Mein Herz setzte kurz aus, denn ich befürchtete schon, dass man mich holen kam. Doch dann erkannte ich den frühen Besucher.
»Eli!« Ich flog ihm mit einem Freudenschrei in die Arme. Er erwiderte meine Umarmung, wenn auch nicht sonderlich nachdrücklich. »Aber was machst du hier? Wenn dich jemand sieht …«
»… und es der Echsenbrut meldet?«, setzte er den Satz fort. Er blickte Vater finster an, der auch nicht besonders erfreut war, seinen Sohn zu sehen, wie ich seiner Miene entnehmen konnte. »Nur keine Sorge, Kleine. Ich bin schon bald wieder verschwunden.«
»Was willst du hier?«, fragte Vater, während Mutter Eli nun ebenfalls mit einer herzlichen Umarmung begrüßte.
»Ich will verhindern, dass sich meine Schwester diesen Echsen ausliefert, auch wenn ich damit deine Zukunftspläne zerstören werde.«
»Das wirst du nicht tun!« Zornig sprang mein Vater von seinem Platz auf. »Willst du deine Mutter und mich ins Unglück stürzen? Sie wurde ausgewählt! Glaubst du wirklich, die Maharoi würden es so einfach hinnehmen, wenn sie kommen und Shania nicht mehr hier vorfinden? Vielleicht brennen sie dann das ganze Dorf nieder. Verschwinde von hier und kehre zurück zu deinen Genossen! Bei Gilgasch …«
»Nicht ohne meine Schwester! Und du solltest nicht diese falsche Göttin der Echsenbrut anrufen, zumindest nicht in meiner Gegenwart!« Er wandte sich mir zu und ergriff meine Hand. »Komm mit mir in das Gebirge, mit zu den Kameraden. Du hast keine Vorstellung davon, was dich bei den Echsen erwartet. Es sind keine … Menschen, auch wenn sie in ihrer falschen Gestalt so aussehen mögen.«
Zu gerne wäre ich mit ihm gegangen, denn welche Frau wünschte sich schon, mit einem Drachen in Menschengestalt verbunden zu sein. Aber ich konnte nicht … durfte nicht. Vater hatte ja nicht unrecht. Wenn ich verschwand, würde das Dorf unter der Rache zu leiden haben.
»Es geht nicht«, sagte ich daher leise. »All meine Freunde könnten sterben, wenn ich mich feige drücken würde.«
Elis Miene verfinsterte sich und für einen Moment fürchtete ich schon, er würde mich mit Gewalt mitnehmen, doch dann blickte er mich traurig an. »So kenne ich meine kleine Schwester. Du wolltest schon immer das Schicksal der ganzen Welt auf deine Schultern laden, auch wenn es in dem Fall nur das eines winzigen Dorfes ist.
Erneut riss jemand die Tür zu unserer Behausung auf und ein mir unbekannter Mann streckte seinen Kopf ins Innere.
»Wir müssen verschwinden, Eli!«, rief er. »Sie kommen!«
»Pass auf dich auf!«, wisperte mein Bruder. »Ich werde nicht ruhen, bis ich dich befreit habe, das schwöre ich dir!«
»Sofort, Eli! Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren!«, sagte der fremde Mann.
Mein Bruder drückte mir einen Kuss auf die Stirn, umarmte hastig unsere Mutter und war im nächsten Moment aus der Hütte verschwunden.
»Hoffentlich erwischen sie den dummen Jungen nicht noch!«, murmelte Vater.
Er blickte durch das Fenster und atmete schließlich tief durch. »Eli hat es geschafft, er ist im Wald.«
»Gott sei es gedankt!«, wisperte Mutter.
»Halt dich bereit«, sagte Vater und wandte sich mir zu. »Sie kommen, um dich abzuholen.«
Unwillkürlich wich ich zurück, bis ich mit dem Rücken an die Wand stieß. Jetzt war also die Stunde gekommen, vor der ich mich seit der Auswahlzeremonie gefürchtet hatte. Man würde mich ausstaffieren wie eine Kuh, die zur Opferung vorgesehen war. Alles in mir verlangte, den Raum und das Dorf zu verlassen. Wäre ich nicht doch besser mit Eli gegangen, als es noch Zeit war? Nein, Unsinn, damit hätte ich meine Eltern womöglich dem Tod preisgegeben.
Nach wenigen Sekunden wurde die Tür aufgestoßen und drei Maharoi stapften in die Hütte. Jeder von ihnen überragte den größten Menschen, den ich kannte, um mindestens einen Kopf. Gegenüber ihrem Körperbau würde sogar der Dorfschmied wie ein kleiner Junge wirken und das war der mit weitem Abstand stärkste Mann unseres Dorfes.
»Du bist Shania!«, sagte einer von ihnen und ich merkte erst jetzt, dass es sich dabei um einen weiblichen Krieger, eine Mahara, handelte. Es war auch keine Frage, sondern eine Feststellung - wenn es auch nicht schwer zu erraten gewesen war.
»Das bin ich«, erwiderte ich dennoch.
Grob griff sie mich ans Kinn, drehte mir den Kopf hin und her und betrachtete anschließend unzufrieden meine gesamte Erscheinung. »Warum sind nur alle von euch so mickrig?«, murmelte sie, bevor sie mich am Arm packte und aus der Hütte zerrte, ohne mir Gelegenheit zu geben, mich von meinen Eltern zu verabschieden.
Rücksichtslos zog sie mich hinter sich her, hin zu dem Wagen, vor dem anstatt Pferde oder Ochsen ein paar ausgemergelte Männer eingespannt waren, die mit leeren Augen vor sich hinstarrten. Der Anblick schockierte mich fast noch mehr als der Gedanke, nun in mein neues Leben verschleppt zu werden.
»Was geschieht nun mit meinen Eltern?«, wagte ich zu fragen, nachdem sie mich unsanft an die Wand des Wagens geworfen hatte.
Sie schnaubte höhnisch. »Als Angehörige einer Dohschendi wird man sie demnächst in einem der Vororte von Draconia unterbringen. Wenn du einen Haufen reine Nachkommen zeugst, wirst du sie vielleicht sogar mal besuchen dürfen. Und jetzt sei still! Ich habe absolut kein Interesse daran, mich mit dir zu unterhalten! Es ist schon schlimm genug, dass ich in dieses Drecksloch kommen musste!«
Sie sah mich dabei derartig ärgerlich an, dass ich lieber meinen Mund hielt. Stattdessen betrachtete ich ein letztes Mal das Dorf, aus dem man mich nun herausriss. Die Bewohner waren allesamt von der Straße geflüchtet, als die Maharoi aufgetaucht waren. Nur hinter einem oder zwei Fenstern sah ich neugierige Augen auf mich gerichtet. Ich glaubte auch eine Spur Mitleid darin zu erkennen, aber wahrscheinlich bildete ich es mir nur ein.
Es war überraschend für mich, aber jetzt, wo ich an meinem Schicksal nichts mehr ändern konnte, wurde ich ruhig. Es war beinahe so, als ob ich mich außerhalb des Körpers befände und alles als unbeteiligter Zuschauer mit ansehen würde. Möglicherweise drangsalierte mich die Mahara auch deswegen nicht mehr, sondern ließ mich in Ruhe. Erst als ihre beiden Kameraden aus der Hütte meiner Eltern kamen, erwachte sie wieder zum Leben und öffnete den Verschlag des Wagens.
»Rein mit dir!«, herrschte sie mich an.
Bereitwillig kletterte ich hinein und fand mich in der Gesellschaft von einem halben Dutzend Frauen wieder, die kaum älter als ich waren. Sie saßen auf ein paar unbequemen Pritschen an den Wänden des Wagens und hatten den Blick zum Boden gerichtet. Am Kopfende des Verschlags stand ein großer Mann, der aber bei weitem nicht so imposant wirkte wie einer der Maharoi - ganz im Gegenteil. Er hatte etwas Geziertes an sich und roch nach Parfüm. Er trat zu mir hin und taxierte mich von oben bis unten, als ob ich eine Ware auf dem Markt wäre.
»Na, du hast mir gerade noch in der Sammlung gefehlt«, sagte er mit einer näselnden Stimme. »Wie soll ich aus dir nur so etwas wie eine begehrenswerte Frau machen? Ich bin doch schließlich kein Magier.« Er schnupperte übertrieben und verzog angewidert das Gesicht. »Bei Gilgasch, da wird wohl erst einmal eine Grundreinigung nötig sein, bevor man dich zur Auswahl stellt. Womit habe ich das nur verdient?«
Meine erste Empfindung, als ich am Morgen aufwachte, war Trauer. Ich lebte noch und würde heute also wirklich ein neues Leben beginnen. Wie sich wohl die Menschen der alten Zeit gefühlt hätten? Ich konnte mich nicht einmal in Gedanken in eine Welt hineinversetzen, in denen es tatsächlich Männer und Frauen gegeben hatte, die ohne Angst in den Tag hineinlebten.
Das Quieken einer Maus riss mich aus den Überlegungen. Es war unsinnig, sich damit zu beschäftigen. Ändern konnte ich es ohnehin nicht. Von nebenan drang ein aromatischer Duft an meine Nase. Hatte Mutter etwa wirklich …?
Rasch sprang ich auf und schob mechanisch das Stroh zusammen, um mein Nachtlager für den heutigen Abend … dann hielt ich inne. Es war Unsinn, so etwas zu tun. Ich würde schließlich nie wieder hier schlafen und niemals mehr … ich konnte und wollte den Gedanken nicht weiterspinnen.
Hastig verließ ich die winzige Kammer, ohne mich noch einmal umzudrehen. Warum auch? Ich bezweifelte doch sehr, ob ich mich in den Jahren, die mir vielleicht noch vergönnt waren, nach hier zurücksehnen würde. Doch im Durchgang drehte ich mich doch noch einmal um. Wenn es auch ein armseliger Fleck war, so war er doch ein Zuhause und ein Rückzugsort für mich gewesen.
Das altersschwache, vermoderte Holz knarrte unter den nackten Fußsohlen, als ich den Gang entlang zu meinen Eltern ging. Wir konnten uns glücklich schätzen, dass wir eine kleine Hütte unser eigen nannten. Wir verdankten dies Eli, meinem Bruder, auch wenn ich es Vater gegenüber nie erwähnen durfte. So waren wir wenigstens nicht mit zwei oder gar drei anderen Familien in einer winzigen Behausung zusammengepfercht.
Mutter lächelte mich tapfer an und wischte sich verstohlen die Tränen weg, als sie mich in die kleine Stube treten sah. Vater betrachtete mich mit einer Art würdevollem Besitzerstolz, trat zu mir hin, legte mir seine Hände auf die Schultern und sah mir in die Augen.
»Noch heute wirst du eine stolze Dohschendi werden! Schenk ihm viele reine Kinder und mach uns damit glücklich!«
Mir wurde beinahe schlecht, als er so salbungsvoll zu mir sprach, aber ich konnte ihn auch verstehen. Ihrer beider Leben würde sich ebenfalls ändern und sie mussten von nun an nicht mehr in dieser Siedlung in einer baufälligen Hütte wohnen. Für Mutter freute es mich und wohl nur deshalb brach ich in dem Moment nicht in Tränen aus. Vater nickte mir noch einmal zu, bevor er die Hände von meinen Schultern nahm und mit einer großen Geste auf den wackeligen Tisch deutete.
»Nehmen wir ein letztes Mal zusammen das Frühstück ein!«
Jetzt hatte er es geschafft, nun kamen mir doch die Tränen. Mutter nahm mich in ihre Arme, flüsterte mir einige Trostworte zu und streichelte mir über den Rücken. Ihr war nur zu bewusst, was auf mich zukam, denn schon ihre Schwester hatte das gleiche Los zu tragen gehabt.
Es dauerte eine ganze Weile, bis ich mich wieder beruhigte. Ich ignorierte das Murren meines Vaters, der die ganze Sache als eine Ehre für unsere Familie betrachtete. Die Männer hatten auch leicht reden, sie mussten schließlich nicht nach Draconia gehen und dort als Dohschendi dienen.
Egal, ich vertrieb die dunklen Wolken, die mir im Hirn herumschwebten. Ich wollte die letzten Stunden mit meinen Eltern - besonders mit Mutter - auskosten. Sie goss mir etwas in die Tasse und ich wusste nun, dass mich meine Nase nicht getäuscht hatte.
»Kaffee!«, sagte ich und umschloss die Tasse beinahe ehrfürchtig mit den Händen. »Aber woher hast du ihn?«
»Deine Mutter hat Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um ein paar Kaffeebohnen aufzutreiben«, erwiderte Vater an ihrer Stelle. »Du wirst ja demnächst Sachen zu Essen und Trinken bekommen, von denen wir nur träumen können. Wirklich, es gibt nicht wenige hier im Dorf, die dich beneiden, Shania!«
'Dann sollen die sich doch einem Maharos hingeben', dachte ich, während ich einen tiefen Zug des köstlichen Gebräus zu mir nahm. In dem Moment hätte ich nichts dagegen gehabt, wenn die Zeit stehengeblieben wäre. Mutter teilte mir auch den mir zustehenden Vorrat an Brot zu, obwohl mein Magen wie verknotet war und ich keinen Bissen hinunterbrachte. Andächtig saßen wir am Tisch und hingen unseren Gedanken nach. Mutter weinte still vor sich hin und tastete gelegentlich nach meiner Hand.
»Es wird womöglich gar nicht so schlimm werden«, sagte ich im vergeblichen Versuch, sie zu trösten. »Du hast doch bestimmt auch schon die Geschichten gehört, in denen eine Dohschendi ihren Gefährten nach Strich und Faden herumkommandiert hat.«
Natürlich kannte sie die Berichte, aber wir wussten beide, dass es kaum mehr als Märchen sein konnten. Ein Maharos war nicht dafür bekannt, besonders sanftmütig und duldsam zu sein. Vater erhob sich und rumorte in einer Ecke herum, suchte wahrscheinlich nach seinem Vorrat an berauschenden Getränken. Ich sollte mich nicht getäuscht haben, denn er kehrte mit drei Trinkgefäßen und einer bauchigen Flasche zurück.
»Auf die Zukunft!«, rief er, nachdem er uns allen etwas eingeschenkt hatte.
Ich war noch nie ein Freund dieses scharfen Gesöffs gewesen, aber in dem Moment half es mir, die Angst vor dem Kommenden zurückzudrängen.
»Vielleicht sollten wir noch …«, begann er, konnte den Satz aber nicht beenden, denn in dem Augenblick wurde die Tür aufgerissen und eine große, breite Gestalt erschien im Türrahmen.
Mein Herz setzte kurz aus, denn ich befürchtete schon, dass man mich holen kam. Doch dann erkannte ich den frühen Besucher.
»Eli!« Ich flog ihm mit einem Freudenschrei in die Arme. Er erwiderte meine Umarmung, wenn auch nicht sonderlich nachdrücklich. »Aber was machst du hier? Wenn dich jemand sieht …«
»… und es der Echsenbrut meldet?«, setzte er den Satz fort. Er blickte Vater finster an, der auch nicht besonders erfreut war, seinen Sohn zu sehen, wie ich seiner Miene entnehmen konnte. »Nur keine Sorge, Kleine. Ich bin schon bald wieder verschwunden.«
»Was willst du hier?«, fragte Vater, während Mutter Eli nun ebenfalls mit einer herzlichen Umarmung begrüßte.
»Ich will verhindern, dass sich meine Schwester diesen Echsen ausliefert, auch wenn ich damit deine Zukunftspläne zerstören werde.«
»Das wirst du nicht tun!« Zornig sprang mein Vater von seinem Platz auf. »Willst du deine Mutter und mich ins Unglück stürzen? Sie wurde ausgewählt! Glaubst du wirklich, die Maharoi würden es so einfach hinnehmen, wenn sie kommen und Shania nicht mehr hier vorfinden? Vielleicht brennen sie dann das ganze Dorf nieder. Verschwinde von hier und kehre zurück zu deinen Genossen! Bei Gilgasch …«
»Nicht ohne meine Schwester! Und du solltest nicht diese falsche Göttin der Echsenbrut anrufen, zumindest nicht in meiner Gegenwart!« Er wandte sich mir zu und ergriff meine Hand. »Komm mit mir in das Gebirge, mit zu den Kameraden. Du hast keine Vorstellung davon, was dich bei den Echsen erwartet. Es sind keine … Menschen, auch wenn sie in ihrer falschen Gestalt so aussehen mögen.«
Zu gerne wäre ich mit ihm gegangen, denn welche Frau wünschte sich schon, mit einem Drachen in Menschengestalt verbunden zu sein. Aber ich konnte nicht … durfte nicht. Vater hatte ja nicht unrecht. Wenn ich verschwand, würde das Dorf unter der Rache zu leiden haben.
»Es geht nicht«, sagte ich daher leise. »All meine Freunde könnten sterben, wenn ich mich feige drücken würde.«
Elis Miene verfinsterte sich und für einen Moment fürchtete ich schon, er würde mich mit Gewalt mitnehmen, doch dann blickte er mich traurig an. »So kenne ich meine kleine Schwester. Du wolltest schon immer das Schicksal der ganzen Welt auf deine Schultern laden, auch wenn es in dem Fall nur das eines winzigen Dorfes ist.
Erneut riss jemand die Tür zu unserer Behausung auf und ein mir unbekannter Mann streckte seinen Kopf ins Innere.
»Wir müssen verschwinden, Eli!«, rief er. »Sie kommen!«
»Pass auf dich auf!«, wisperte mein Bruder. »Ich werde nicht ruhen, bis ich dich befreit habe, das schwöre ich dir!«
»Sofort, Eli! Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren!«, sagte der fremde Mann.
Mein Bruder drückte mir einen Kuss auf die Stirn, umarmte hastig unsere Mutter und war im nächsten Moment aus der Hütte verschwunden.
»Hoffentlich erwischen sie den dummen Jungen nicht noch!«, murmelte Vater.
Er blickte durch das Fenster und atmete schließlich tief durch. »Eli hat es geschafft, er ist im Wald.«
»Gott sei es gedankt!«, wisperte Mutter.
»Halt dich bereit«, sagte Vater und wandte sich mir zu. »Sie kommen, um dich abzuholen.«
Unwillkürlich wich ich zurück, bis ich mit dem Rücken an die Wand stieß. Jetzt war also die Stunde gekommen, vor der ich mich seit der Auswahlzeremonie gefürchtet hatte. Man würde mich ausstaffieren wie eine Kuh, die zur Opferung vorgesehen war. Alles in mir verlangte, den Raum und das Dorf zu verlassen. Wäre ich nicht doch besser mit Eli gegangen, als es noch Zeit war? Nein, Unsinn, damit hätte ich meine Eltern womöglich dem Tod preisgegeben.
Nach wenigen Sekunden wurde die Tür aufgestoßen und drei Maharoi stapften in die Hütte. Jeder von ihnen überragte den größten Menschen, den ich kannte, um mindestens einen Kopf. Gegenüber ihrem Körperbau würde sogar der Dorfschmied wie ein kleiner Junge wirken und das war der mit weitem Abstand stärkste Mann unseres Dorfes.
»Du bist Shania!«, sagte einer von ihnen und ich merkte erst jetzt, dass es sich dabei um einen weiblichen Krieger, eine Mahara, handelte. Es war auch keine Frage, sondern eine Feststellung - wenn es auch nicht schwer zu erraten gewesen war.
»Das bin ich«, erwiderte ich dennoch.
Grob griff sie mich ans Kinn, drehte mir den Kopf hin und her und betrachtete anschließend unzufrieden meine gesamte Erscheinung. »Warum sind nur alle von euch so mickrig?«, murmelte sie, bevor sie mich am Arm packte und aus der Hütte zerrte, ohne mir Gelegenheit zu geben, mich von meinen Eltern zu verabschieden.
Rücksichtslos zog sie mich hinter sich her, hin zu dem Wagen, vor dem anstatt Pferde oder Ochsen ein paar ausgemergelte Männer eingespannt waren, die mit leeren Augen vor sich hinstarrten. Der Anblick schockierte mich fast noch mehr als der Gedanke, nun in mein neues Leben verschleppt zu werden.
»Was geschieht nun mit meinen Eltern?«, wagte ich zu fragen, nachdem sie mich unsanft an die Wand des Wagens geworfen hatte.
Sie schnaubte höhnisch. »Als Angehörige einer Dohschendi wird man sie demnächst in einem der Vororte von Draconia unterbringen. Wenn du einen Haufen reine Nachkommen zeugst, wirst du sie vielleicht sogar mal besuchen dürfen. Und jetzt sei still! Ich habe absolut kein Interesse daran, mich mit dir zu unterhalten! Es ist schon schlimm genug, dass ich in dieses Drecksloch kommen musste!«
Sie sah mich dabei derartig ärgerlich an, dass ich lieber meinen Mund hielt. Stattdessen betrachtete ich ein letztes Mal das Dorf, aus dem man mich nun herausriss. Die Bewohner waren allesamt von der Straße geflüchtet, als die Maharoi aufgetaucht waren. Nur hinter einem oder zwei Fenstern sah ich neugierige Augen auf mich gerichtet. Ich glaubte auch eine Spur Mitleid darin zu erkennen, aber wahrscheinlich bildete ich es mir nur ein.
Es war überraschend für mich, aber jetzt, wo ich an meinem Schicksal nichts mehr ändern konnte, wurde ich ruhig. Es war beinahe so, als ob ich mich außerhalb des Körpers befände und alles als unbeteiligter Zuschauer mit ansehen würde. Möglicherweise drangsalierte mich die Mahara auch deswegen nicht mehr, sondern ließ mich in Ruhe. Erst als ihre beiden Kameraden aus der Hütte meiner Eltern kamen, erwachte sie wieder zum Leben und öffnete den Verschlag des Wagens.
»Rein mit dir!«, herrschte sie mich an.
Bereitwillig kletterte ich hinein und fand mich in der Gesellschaft von einem halben Dutzend Frauen wieder, die kaum älter als ich waren. Sie saßen auf ein paar unbequemen Pritschen an den Wänden des Wagens und hatten den Blick zum Boden gerichtet. Am Kopfende des Verschlags stand ein großer Mann, der aber bei weitem nicht so imposant wirkte wie einer der Maharoi - ganz im Gegenteil. Er hatte etwas Geziertes an sich und roch nach Parfüm. Er trat zu mir hin und taxierte mich von oben bis unten, als ob ich eine Ware auf dem Markt wäre.
»Na, du hast mir gerade noch in der Sammlung gefehlt«, sagte er mit einer näselnden Stimme. »Wie soll ich aus dir nur so etwas wie eine begehrenswerte Frau machen? Ich bin doch schließlich kein Magier.« Er schnupperte übertrieben und verzog angewidert das Gesicht. »Bei Gilgasch, da wird wohl erst einmal eine Grundreinigung nötig sein, bevor man dich zur Auswahl stellt. Womit habe ich das nur verdient?«
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