Nord bei Nordwest: Was für ein Tag - Fehlende Szene aus der Folge 18 "Auf der Flucht"
von KKlever
Kurzbeschreibung
Nord bei Nordwest: Dieser One-Shot spielt knapp vor dem Ende der Folge 18 "Auf der Flucht". Der eine Ganove hat seinen Komplizen erschossen und sich ergeben und Hauke Jacobs fragt sich, was wohl mit Jule Christiansen ist. Ihm werden seine Gefühle für sie klar. Wird er ihr endlich sagen, was er für sie empfindet? Wie kommt Jule mit den Folgen dieser schrecklichen, alptraumhaften Geiselnahme klar? Dieser One-Shot erzählt es euch. - Achtung: Man sollte die Folge gesehen haben! -
OneshotDrama, Liebesgeschichte / P12 / Gen
Hannah Wagner
Hauke Jacobs
Jule Christiansen
08.01.2023
08.01.2023
1
4.860
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08.01.2023
4.860
Hallo zusammen,
ich bin mal wieder auf Abwegen unterwegs, aber ich habe nicht nur eine Lieblingsserie, sondern viele und „Nord bei Nordwest“ zählt definitiv dazu. Ich liebe die Charaktere dieser Serie und mag auch, dass diese Serie, obwohl man sie eigentlich als eine Krimiserie bezeichnen kann, immer so voller Witz und Charme ist.
Mit Erstaunen habe ich außerdem bemerkt, dass es keinerlei Fanfiktions über "Nord bei Nordwest" zu geben scheint und das, obwohl sie schon so viele Jahre läuft und die Liebesgeschichte zwischen Hauke Jacobs und Jule Christiansen viele Geschichten hergibt (falls jemand etwas anderes weiß und Fanfiktions von "Nord bei Nordwest" kennt, bitte melden!).
Dass es keine Geschichten zu geben scheint, ändere ich hiermit und vielleicht gibt die nächste Folge (die nächste Woche kommt) wieder etwas her, damit ich noch ein paar Geschichten schreibe, um dieser Serie auch eine eigene Kategorie zu schaffen (was sie definitiv verdient hätte). Vielleicht fühlt sich aber auch jemand durch meine Geschichte dazu inspiriert, etwas eigenes über "Nord bei Nordwest" zu schreiben, was mich äußerst freuen würde, denn obwohl ich gerne Geschichten schreibe, lese ich sie auch mega gerne. Also los, ich würde mich echt freuen!
So, und nun wünsche ich viel Spaß beim Lesen und sage nur, dass es äußerst hilfreich wäre, die Folge „Auf der Flucht“ (kam am 05.01. im ARD und ist noch in der Mediathek zu sehen) gesehen zu haben, um diesen One-Shot zu verstehen.
Ach ja, alle Charaktere usw. sind nicht von mir und ich habe auch keinerlei Rechte oder sonstiges daran.
lg Heike
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Der Polizist und Tierarzt Hauke Jacobs wusste, dass er sterben würde. Bereits als er seine Waffe sinken ließ und sie vor sich auf den Boden warf, war er sich sicher, dass der Verbrecher vor ihm, der mit seiner Waffe auf ihn zielte, kurzen Prozess mit ihm machen würde. Er sah es in seinen eiskalten Augen und als dieser geflüchtete Verbrecher dessen Name Viktor Gericke war, wie ihm mit einem Mal einfiel, ihm dann auch noch befahl, sich hinzuknien, war es ihm völlig klar. Es würde ein Hinrichtung sein. Seine Hinrichtung!
Der Verbrecher mit den stahlblauen Augen ließ das junge Mädchen, welches er sich als Schutzschild genommen hatte, gehen. Aber Gehenlassen, war das falsche Wort, Gericke stieß sie regelrecht brutal zur Seite und Hauke fragte sich zähneknirschend, warum dieses blonde Mädchen gerade zum wirklich schlechtesten Zeitpunkt hatte auftauchen müssen. Ohne sie hätte er den Verbrecher sicherlich verhaften können, doch dann war sie in die Schusslinie geraten und er war kein Risiko eingegangen, da er nicht gewollt hatte, dass ihr was passierte. Er war sehr froh, dass das Mädchen nicht mehr in Gefahr war, denn es hatte sein ganzes Leben noch vor sich, nicht so wie er, denn Gericke würde kurzen Prozess mit ihm machen,jetzt und hier. Wahrscheinlich war auch er es gewesen, der diesen Kaminski einfach ermordet hatte, schoss es ihm durch den Kopf.
Er schluckte und einen kurzen Moment dachte er an Jule Christiansen. Er hoffte, dass es ihr gutging und Frau Wagner und das Einsatzkommando sie und Lea, die Nichte von Hannah Wagner, bereits befreit hatten.
Als dieser Gericke jetzt auf ihn zukam und ihm klar wurde, dass dieser nun unweigerlich abdrücken würde, ergriff ihn ein Gefühl der Reue, weil er Jule Christiansen nie gesagt hatte, was er wirklich für sie empfand und er fragte sich auch, warum er ihr noch nie das erzählt hatte, was er Frau Wagner heute gestanden hatte, als diese ihn gefragt hatte, ob er Jule mögen würde. Es war kein Problem für ihn gewesen, seiner Kollegin diese Frage zu beantworten. Wieso konnte er es dann Jule Christiansen nicht einfach sagen? Die Möglichkeit dazu hätte es schon oft gegeben, das wusste er, aber er hatte sie nie genutzt.
Vertane Chancen, vergebene Möglichkeiten, doch nun war es zu spät, er würde jetzt sterben und als ein Schuss erklang, war er sicher, dass er als nächstes den Schmerz des Einschlags der Kugel spüren musste. Er zuckte leicht zusammen, doch nichts geschah und verwundert sah er diesen Gericke im nächsten Moment vor sich zu Boden stürzen.
Hinter ihm stand ein Mann mit einer Waffe in der Hand, der nun auf ihn zukam und Hauke Jacobs erkannte in ihm einen der anderen Geflüchteten und ihm fiel ein, dass er Meier hieß. Wieso hatte dieser Meier seinen Komplizen gerade erschossen? Wieso hatte er ihm damit geholfen, ihm sein Leben gerettet? Diese Frage stellte sich Hauke, doch als der Mann auf ihn zukam, wobei er nie wirklich auf ihn zielte, fragte er sich, was jetzt geschehen würde. Würde er ihn auch erschießen? Es sah ganz danach aus und bei seinem Komplizen hatte Meier keinen Moment gezögert. Hauke lehnte ich etwas zurück als der Mann immer näher auf ihn zukam, versuchte ihm nicht in die Augen zu sehen, doch was dann geschah, verwunderte ihn, machte ihn sprachlos.
Der Mann ging vor ihm in die Knie, die Waffe immer noch in der Hand. „Mama hat immer gesagt, aufhören wenn….“, sagte Meier und zögerte kurz. Er schien verwirrt und völlig durch den Wind. „Aufhören, ja!“, sagte er dann und legte seine Waffe einfach zur Seite.
Einen kurzen Moment war Hauke völlig überrascht über diese Handlung, doch dann griff er nach der Waffe und holte tief Luft. Sein Herz raste, was ihm erst in diesem Moment auffiel. Schnell stand er auf, steckte die Waffe von Meier ein und nahm seine Waffe vom Boden auf. Anschließend ging er zum am Boden liegenden Mann mit den blauen Augen, der sich nicht mehr rührte. Er beugte sich hinab und nahm auch dessen Waffe an sich. Meier, der immer noch am Boden hockte, ließ er dabei nicht aus den Augen. Hauke fühlte nach dem Puls von Gericke, doch da war nichts. Der Mann war tot.
Hauke griff nach seinen Handschellen und wandte sich Meier zu. „Aufstehen! Hände hinter den Rücken!“, befahl er und seine Stimme klang heiser. Er schluckte und als der von ihm Angesprochene ohne zu Zögern seinen Worten nachkam, atmete er innerlich auf. Dieser Alptraum war vorbei, endlich.
Ein paar Sekunden später wimmelte es plötzlich von Einsatzkräften um ihn herum.
Schnell wies er sich als Polizist aus. „Wie geht es den Geiseln auf der anderen Fähre?“, fragte er. „Ist da alles gut gelaufen?“
„Keine Ahnung, denke schon“, bekam er als Antwort, von einem der vermummten Kollegen, was ihm plötzlich Angst einjagte. War Jule und Lea vielleicht etwas passiert? Was war mit Frau Wagner, die ja bereits angeschossen war?
„Übernehmt ihn!“, sagte er daher hastig und machte sich, ohne auf eine Erwiderung zu warten, auf den Weg zur anderen Fähre. Er musste so schnell wie möglich dorthin, musste sehen, dass es allen gutging, dass es Jule gutging.
Ihm ging durch den Kopf, wie sie ihn vor ein paar Stunden angesehen hatte als er in der Praxis erschienen war. Mit den Worten „Na du!“ hatte sie ihn begrüßt und natürlich hatte sie auch nur „Schnucki“ zu ihm gesagt, weil sie ihm klarmachen wollte, dass etwas anders war, das etwas nicht in Ordnung war, dass sie und Lea Geiseln waren in ihrer eigenen Praxis. Sie hatte da ja noch nicht wissen können, dass er Bescheid wusste, doch das hatte er ihr schnell klarmachen können. Er wollte nicht, dass dies das letzte Mal gewesen war, dass er mit ihr geredet hatte und dieser Gedanke trieb ihn an, noch schneller zu laufen, denn er musste sie sehen.
Musste mit eigenen Augen sehen, dass sie lebte.
Noch bevor er auf dem Deck der anderen Fähre ankam, sah er den Krankenwagen, der dort stand und das mulmige Gefühl in seinem Bauch wurde stärker. Schnell hatte er den Krankenwagen erreicht, umrundet und mit Erleichterung sah Hauke Jacobs, dass es nicht Jule Christiansen war, die in dem Krankenwagen lag. Hannah Wagner lag oder eher gesagt, saß mehr auf der Krankentrage im Wagen und ihre Nichte Lea saß in eine Decke gehüllt, aber scheinbar unverletzt, neben ihr.
Frau Wagner sah ihren Kollegen erleichtert an. „Haben Sie den Typen erwischt?“, fragte sie. „Der Dritte wird noch gesucht.“
Hauke nickte. „Keine Sorge. Der eine ist tot, der andere ist in Gewahrsam.“
„Tot?“, hakte Hannah stirnrunzelnd nach.
„Ja, erzähl ich Ihnen später.“ Hauke sah sich suchend um. „Wo ist Frau Christiansen? Geht es ihr gut?“
„Frau Christiansen ist da hinten.“ Hannah deutete in Richtung des alten, beigen Wohnmobils. „Sie war unglaublich. Sie hat zuerst Lea die Flucht ermöglicht und dann den dritten Verbrecher dazu gebracht, aufzugeben.“
Hauke warf einen Blick auf die Nichte von Hanna Wagner, die abwesend wirkte und Tränen in den Augen hatte. „Ist alles in Ordnung mit ihr?“
Hannah sah zu Lea. „Sie fährt mit ins Krankenhaus. Der Notarzt hat ihr gerade was gegeben, weil sie einen Schock hat. Einer der Typen hat versucht, sie zu vergewaltigen, aber zum Glück ist es nicht dazu gekommen.“
Hauke schluckte und sofort dachte er an Jule Christiansen.
Der Notarzt stieg in den Wagen und wollte gerade die Türen schließen, doch Hauke hielt ihn auf. „Frau Wagner hat von mir 5 mg Vetalgin i.v. bekommen“, erläuterte er. „Das ist ein Schmerzmittel für Tiere.“
„Wie bitte?“, fragte der Notarzt mit hochgezogenen Augenbrauen.
„Sie erklärt es Ihnen!“, sagte Hauke Jacobs nur schnell und schloss die Türen des Krankenwagens, dann drehte er sich um.
Schnell ging er auf das Wohnmobil zu und noch bevor er es erreicht hatte, kam Jule Christiansen dahinter hervor. Sie war ebenfalls in eine Decke gehüllt und sah blass aus, doch ansonsten schien es ihr gut zu gehen. Als sie ihn entdeckte, blieb sie stehen und starrte ihn an.
Hauke ging auf sie zu und blieb vor ihr stehen. Erleichterung durchflutete ihn, denn ihr war nichts passiert, zumindest konnte er keine äußerlichen Verletzungen erkennen, doch dann sah er das Flackern in ihrem Blick.
„Frau Christiansen, wie geht es Ihnen?“, fragte er vorsichtig, obwohl sein erster Gedanke gewesen war, sie einfach nur an sich zu ziehen und in den Arm zu nehmen.
„Gut, ja, es… es geht mir gut!“, erwiderte die Tierärztin, doch ihre Stimme schwankte leicht und ihr Gegenüber erkannte sofort, dass sie log, doch er sagte nichts dazu.
„Hat der Notarzt einen Blick auf Sie geworfen?“
Jule schüttelte fahrig den Kopf. „Nein, nein, das wollte ich nicht. Es geht mir gut. Wirklich!“
Hauke musterte sie kurz. „Kommen Sie, ich bring Sie nach Hause!“ Er fasste sie am Arm und ging mit ihr zu seinem Wagen.
„Die Polizei… die wollen, dass ich eine …eine Aussage mache“, sagte Jule als sie den Wagen erreicht hatten.
„Das können Sie später machen. Außerdem bin ich auch die Polizei“, erwiderte Hauke Jacobs, öffnete die Beifahrertür und half Jule beim Einsteigen. Widerstandslos ließ sie dies geschehen und schnallte sich an.
Als Hauke eingestiegen war, warf er ihr einen besorgten Blick zu, doch Jule starrte nur nach vorne aus der Windschutzscheibe, wirkte abwesend, also fuhr er los.
Sie waren etwa zehn Minuten unterwegs als dem Polizisten auffiel, dass die Schultern der Tierärztin zuckten und ein Blick zu ihr machte ihm klar, dass Jule Christiansen weinte.
Mit Gefühlen hatte Hauke Jacobs noch nie gut umgehen können und Frauen, die weinten, waren immer schwierig für ihn zu verstehen, doch in diesem Moment wusste er, was er zu tun hatte. Er setzte den Blinker, fuhr rechts in einen Feldweg und stellte den Motor ab. Dann löste er seinen Anschnallgurt und beugte sich zu der Frau hinüber, die ihm so sehr am Herzen lag. Er wusste, dass er jetzt für sie da sein musste. Etwas unbeholfen, aber trotzdem vorsichtig nahm er sie in den Arm und drückte sie an sich, so gut ihm dies im Auto möglich war.
Zuerst erschütterten nur lautlose Schluchzer die ansonsten so toughe Tierärztin, doch dann erwiderte sie seine Umarmung, klammerte sich regelrecht an ihn und begann hemmungslos zu weinen. Hauke strich ihr mit einer Hand über den Rücken und sagte nichts, hielt sie einfach nur fest. Er wartete und während sie weinte, begannen in seinem Kopf tausend Gedanken hin und her zu schwirren. Einer dieser Gedanken erfasste ihn und ließ ihn nicht mehr los und er musste es wissen, weil er sie dann sofort ins Krankenhaus fahren würde, wenn seine fürchterliche Vermutung zutraf.
„Wurden Sie...“ Er stockte. Es auszusprechen, kostete ihn eine große Überwindung, denn wenn es der Wahrheit entsprach, würde es ihn umbringen, weil er es nicht hatte verhindern können. „Also, ich meine, haben die Ihnen irgendwas angetan…. Also, Gewalt meine ich?“
Jule Christiansen und Hannahs Nichte Lea waren stundenlang in der Gewalt dieser vier geflüchteten Verbrecher gewesen und wenn sie es bei Lea versucht hatten, war die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie es bei Jule vielleicht auch….
Hauke dachte den Gedanken nicht zu Ende. Es ging einfach nicht.
„Nein“, schluchzte Jule da leise an seiner Schulter. „Ich wurde nicht… vergewaltigt.“
Eine ungeheure Erleichterung erfasste Hauke und er atmete die Luft aus, die er unbewusst angehalten hatte. Jule weinte weiter in seinen Armen, doch die Schluchzer wurden langsam weniger und leiser.
Hauke hielt sie fest, rührte sich nicht, bis sie sich selbst von ihm löste. Er beugte sich vor, öffnete das Handschuhfach und holte eine Packung Taschentücher hervor, von denen er ihr eins hinhielt.
Sie sah ihn nicht an als sie es entgegennahm und benutzte.
Der Polizist wartete und überlegte, ob er einfach weiterfahren sollte, doch dann entschied er sich dagegen und nach ein paar Augenblicken fing Jule an zu sprechen.
„Ich hatte die ganz Zeit… fürchterliche Angst, aber eigentlich nicht um mich, sondern um Lea und um...“ Sie sprach den Satz nicht zu Ende, doch bevor Hauke etwas erwidern konnte, redete sie weiter. „Als die Typen reinkamen, ging alles so schnell und dann bedrohten sie Lea und ich musste dem Angeschossenen anschließend zehn Schrotkugeln aus dem Leib operieren. Danach brachten sie… Lea in ein Nebenzimmer und ich musste tun, was sie verlangten, damit ihr nichts geschah.“ Jule Christiansen drehte ihren Kopf und sah ihn zum ersten Mal an. „Als Sie auftauchten, sagten die Typen mir, dass Sie nicht lebend aus der Praxis kommen würden, wenn ich etwas Falsches sagen würde. Deshalb…deshalb habe ich Sie angeschrien und war so gemein zu Ihnen, weil ich wollte, dass Sie gehen. Ich wollte nicht...“ Sie stockte und brach ab, aber Hauke wusste auch so, was sie ihm sagen wollte.
„Schon gut, Frau Christiansen, schon gut“, beruhigte er sie und legte ihr kurz eine Hand auf die Schulter. „Soll ich Sie vielleicht doch lieber ins Krankenhaus bringen? Es wäre vielleicht besser, wenn….“
„Nein, bitte nicht!“, unterbrach ihn Jule schnell. „Ich … ich möchte einfach nur nach Hause.“
„Okay!“ Er nickte und startete den Wagen.
Der Leichenwagen von Herrn Töteberg und Frau Bleckmann stand vor dem Haus der Praxis, was Hauke Jacobs nicht wirklich mit Verwunderung bemerkte als sie sich der Praxis näherten. Die beiden hatten irgendwie ein Radar dafür, wenn es darum ging, einen Toten abzutransportieren. Mit Erleichterung sah er, dass der Bestatter und die Bestatterin bereits dabei waren, den Sarg mit dem von seinem Komplizen in der Praxis ermordeten Geflüchteten in den Leichenwagen zu schieben. So wie es aussah, waren auch bereits Kollegen der Spurensicherung in der Praxis. Er nickte den beiden Bestattern kurz zu, als er an ihnen vorbeifuhr, parkte den Wagen vor dem Leichenwagen und half Jule Christiansen dabei, auszusteigen. Zum Glück musste er nicht durch die Räume der Praxis, um zu Jules Wohnung zu kommen, was mit Sicherheit im Moment viel zu viele böse und noch viel zu frische Erinnerungen in ihr wach gerufen hätte. So brachte er die Tierärztin über den Nebeneingang in ihre Wohnung.
Dort angekommen, war er mit einem Mal überfordert, denn er wusste nicht, was er tun sollte, doch Jule nahm ihm diese Entscheidung ab. Sie verschwand im Bad und ließ ihn nachdenklich und etwas hilflos im Flur zurück. Er hörte das Wasser im Bad rauschen und ging in die Küche. Dort füllte er den Wasserkocher und kochte einen Tee. Immer wieder horchte er nach dem Wasser im Bad, doch es lief noch, so dass er irgendwann mit seiner Tasse in der Hand in der Küche saß und aus dem Fenster sah. Was an diesem Tag passiert war, ging ihm durch den Kopf und er konnte kaum glauben, dass es erst später Nachmittag war und trotzdem schon so viel geschehen war. Sein Handy zeigte den Eingang einer Nachricht an und er schaute nach. Es war Frau Wagner, die sich nach dem Befinden von Jule Christiansen erkundigte und ihm mitteilte, dass es ihr und Lea gut ging.
Schnell tippte er eine Erwiderung und mit einem Mal stand Jule Christiansen neben ihm in der Küche.
„Hey, Sie sind ja noch da“, stellte diese fest und klang überrascht.
Sie hatte anscheinend geduscht, denn ihr Haar war noch nass. Sie trug eine Jogginghose und einen schlabbrigen Pulli, aber trotzdem fand Hauke, dass sie wunderschön aussah, auch wenn sie im Moment etwas verloren wirkte.
„Ja, ähm, ich wollte nicht gehen ohne Ihnen Bescheid zu sagen und … also… ich hab Tee gemacht.“ Er sprang auf, füllte eine Tasse und reichte sie ihr.
Jule starrte die Tasse nur an. Erst nach ein paar Sekunden setzte sie sich an den Tisch, trank aber nicht, sondern starrte nur auf ihre Hände. „Danke, dass Sie mich nach Hause gebracht haben, Herr Jacobs“, sagte sie nach einem Moment der Stille. Sie stand wieder auf. „Ich… ich werde mich ein wenig hinlegen.“
„Das ist eine gute Idee, denke ich. Sie brauchen jetzt Ruhe.“ Hauke stellte seine Tasse in die Spüle und ging einen Schritt zur Tür, doch dann drehte er sich zurück zu ihr. „Wenn Sie irgendwas brauchen, Frau Christiansen… Sie können mich jederzeit anrufen!“ Er verließ die Küche und Holly, der die ganze Zeit im Flur gelegen hatte, trottete hinter ihm her.
„Herr Jacobs!“, hörte er Frau Christiansen seinen Namen rufen als er bereits an der Wohnungstür war und sofort kehrte er zu ihr zurück.
„Ja?“ Er stand in der Tür zur Küche und sah sie fragend an.
„Könnten Sie… könnten Sie noch etwas hierbleiben?“, fragte sie und sah ihn dabei nicht an.
Hauke musterte sie stirnrunzelnd und er erkannte Tränen in ihren Augen.
„Na klar, ähm... kein Problem“, murmelte er und zuckte mit den Schultern. „Ich bleibe, solange sie wollen.“ Er spürte, dass sie nicht alleine sein wollte und er konnte sich gut vorstellen wieso.
Jule Christiansen ging auf ihn zu und er dachte, sie wollte an ihm vorbei in Richtung Schlafzimmer gehen, doch plötzlich lagen ihre Arme um seinen Hals und ihre Lippen lagen auf den seinen. Im ersten Moment war er völlig überrascht und wusste nicht, was er tun sollte. Es wäre so einfach gewesen, ihre Umarmung zu erwidern und ihren Kuss ebenso, doch dies fühlte sich falsch an, einfach nicht richtig, weil Jule im Moment nicht sie selbst war. Schnell zog er ihre Arme von seinem Hals und schob sie von sich.
„Hey, das… ähm… das war nett und kam jetzt etwas… ähm...etwas überraschend, Frau Christiansen. Ich denke, wir sollten das nicht ... und Sie … ähm… Sie sollten sich jetzt wirklich hinlegen.“
Jule stand vor ihm und wirkte unsicher, regelrecht verloren und starrte ihn mit einem Mal voller Verzweiflung an. „Sie wollen mich nicht, sie wollen Hannah, ich weiß es, aber ich war so dumm, ich dachte….“ Sie stockte, wandte sich mit Tränen in den Augen ab und rannte an ihm vorbei.
„Was? Nein… ich, Frau Christiansen, warten Sie!“ Hauke sah ihr irritiert hinterher. Er hörte eine Zimmertür zuknallen und fragte sich, was gerade passiert war.
Langsam ging er durch die Wohnung bis er vor der Tür zu Jules Schlafzimmer ankam, an der Holly bereits stand und winselnd zu ihm hoch sah.
„Was?“, fragte er seinen Hund. „Ich weiß nicht, was ich tun soll, also schau mich nicht so an!“
Durch die Tür hörte er ein leises Schluchzen und es tat ihm in seiner Seele weh, dass es Jule Christiansen gerade so schlecht ging. Irgendwo fühlt er sich auch dafür verantwortlich, aber die Situation überforderte ihn schlichtweg. Einen Moment überlegte er, ob er vielleicht einen Arzt anrufen sollte, da seine Tierarztkollegin ganz eindeutig einen Schock hatte.
Vorsichtig öffnete er die Tür und Holly schlüpfte sofort durch den Spalt, als er groß genug für ihn war. Bevor er seinen Hund aufhalten konnte, war er an Jule Christiansens Bett. Jule hatte sich zusammengekrümmt und lag auf der Seite, während sie ihren Kopf in ihr Kissen vergraben hatte und leise schluchzend dalag. Holly legte seinen Kopf auf ihren Arm und winselte leise. Hauke wünschte sich, auch einfach so instinktiv handeln zu können, wie Holly es gerade tat. Was für ein Tier so normal und natürlich war, war für ihn unglaublich schwer.
Jule sah hoch und als sie Holly erkannte, trat ein kleines Lächeln auf ihre Lippen, doch dies blieb nicht lang, weil sie Hauke an der Tür stehen sah.
„Sie können gehen, Herr Jacobs. Ich… ich schaff das schon alles.“ Sie strich Holly über den Kopf und der Hund versuchte, ihre Hand abzulecken.
Einen Moment lang überlegte Hauke, ob er ihrer Bitte nachkommen sollte, doch er sah in ihren Augen, dass es der Tierärztin im Moment alles andere als gut ging. Der Moment von vorhin, wo er gedacht hatte, dass er nicht mehr lange zu leben hätte, schoss ihm durch den Kopf und er beschloss, dass jetzt und hier der richtige Moment war, um mutig zu sein, gerade auch, weil Jule scheinbar falsch über ihn und Hannah Wagner dachte.
„Ich gehe jetzt nicht und ich hab übrigens keine Gefühle für Frau Wagner“, sagte er.
Jule Christiansen setzte sich in ihrem Bett etwas auf und Holly legte seinen Kopf in ihren Schoß. Hauke kam der Gedanke, dass er seinen Hund gerade wirklich beneidete.
„Haben Sie nicht?“, fragte Jule und wischte sich mit der rechten Hand ihre Tränen vom Gesicht.
„Nein, hab ich nicht.“
„Aha.“
Einen Moment herrschte Schweigen im Raum und Hauke wusste nicht recht, wo er hinschauen sollte. Er steckte seine Hände in seine Hosentaschen, weil er auch für sie keinen rechten Platz wusste.
„Und warum sagen Sie mir das, Herr Jacobs?“, wollte Jule wissen.
„Weil… ja, weil… ich Gefühle für jemand anderen habe“, druckste er herum.
Jule fixierte ihn und versuchte ihn zu ergründen, ihn zu verstehen und als er ihr einfach nicht in die Augen sehen konnte, wurde ihr etwas klar. „Etwa für mich?“
Ein weiterer Moment des Schweigens trat ein, doch Jule wartete, sagte nichts. Sie wollte, dass ihr Gegenüber ihr diese Frage beantwortete.
„Ich hatte heute verdammt viel Angst um Sie, Frau Christiansen“, sagte Hauke nach einer ganzen Weile und er richtete seinen Blick endlich wieder auf sie. „Ich...“, er brach ab und atmete tief durch.
„Das ist nicht die Antwort auf meine Frage, Herr Jacobs“, erwiderte Jule, obwohl es irgendwo schon eine Antwort war, aber jetzt und hier würde sie ihn nicht vom Haken lassen, bevor er nicht offen aussprach, was er fühlte.
Noch einmal holte Hauke tief Luft. „Heute hätte mich einer dieser Flüchtigen beinahe erschossen und er hätte es auch sicherlich getan, wenn sein Komplize ihn nicht vorher erschossen hätte und mir ist da klar geworden, dass ...“
„Moment“, unterbrach ihn Jule erstaunt. „Wer hat wen erschossen?“
Von diesen Vorkommnissen hatte Hauke ihr noch nichts gesagt, aber er schüttelte kurz den Kopf, weil er endlich soweit gewesen war, ihr die Wahrheit zu sagen und sie ihn mit ihrer Frage völlig aus dem Konzept gebracht hatte.
„Ähm, dieser Meier hat diesen Gericke erschossen und danach hat er sich überraschend einfach ergeben“, erklärte Hauke.
Jule blinzelte und sog ungläubig Luft in ihre Lungen. „Wieso?“, fragte sie und runzelte nachdenklich die Stirn. Sie war die ganze Zeit dabei gewesen, als die Verbrecher ihre Flucht geplant hatten.
„Gericke wollte mit der anderen Baltik-Fähre abhauen und hatte seine Kollegen vorher alle scheinbar ans Messer geliefert, außerdem war er es, der mit Sicherheit Kaminski erschossen hat“, erklärte ihr Hauke.
Jule schüttelte ihren Kopf und versuchte, diese Informationen irgendwie zu verarbeiten. Dass dieser Gericke der Schlimmste von allen gewesen war, auch wenn Meier versucht hatte Lea zu vergewaltigen, war ihr schon von Anfang an klar gewesen, denn Gericke hatte das Sagen in der Truppe gehabt. Deshalb war ihr und Lea auch nicht die Flucht gelungen, weil sie sich sicher gewesen war, dass Gericke nicht gezögert hätte und Lea wirklich in den Kopf geschossen hätte. Ihr wurde klar, dass Gericke nie vorgehabt hatte, mit den anderen zu flüchten. Er hatte von Anfang an nur an sich gedacht und einen ganz eigenen Plan für sich gehabt. Sie nickte langsam und schloss kurz wieder ihre Augen. Als sie sie öffnete, sah sie Hauke Jacobs an und ein leichtes Lächeln trat auf ihr Gesicht.
„Ich bin sehr froh, dass Gericke sie nicht erschossen hat und es tut mir leid, dass ich Sie gerade unterbrochen habe, Herr Jacobs. Sie wollten mir noch etwas sagen? Was ist Ihnen klar geworden?“
Hauke schluckte und überlegte einen Moment, doch dann fasste er erneut all seinen Mut zusammen. „Ich… ich bin echt schlecht in so was“, murmelte er mehr zu sich selbst, doch dann richtete er sich etwas auf, straffte seine Schultern. „Mir ist klar geworden, dass ich… dass ich was für Sie empfinde, Frau Christiansen und als ich vorhin dachte, dass mein letztes Stündlein geschlagen hätte, habe ich bereut, dass ich Ihnen das noch nie gesagt habe.“
Jule starrte ihn an und atmete langsam die Luft aus, die sie unbewusst angehalten hatte. Sie suchte nach Worten und war einen Moment wirklich sprachlos. Sie hatte oft gedacht, dass da etwas zwischen ihnen war, immerhin arbeiteten sie schon einige Jahre zusammen, doch sich auch immer wieder erfolgreich eingeredet, dass sie sich das einbildete. Grund dafür war auch die gutaussehende Polizistin Hannah Wagner, die ihrer Meinung nach auch auf ihren Kollegen stand und für sie hatte es immer so ausgesehen, als würde Hauke Jakobs dies auch erwidern.
„Und Hannah?“, fragte sie daher nach, denn sie wollte es einfach noch einmal aus seinem Mund hören.
„Da ist nichts, gar nichts“, sagte Hauke schnell und schüttelte seinen Kopf. Angespannt wartete er auf eine Reaktion von Jule Christiansen.
Als ein Lächeln auf ihrem Gesicht erschien, fiel etwas von seiner Anspannung ab, die sich in ihm aufgebaut hatte.
„Ich empfinde auch etwas für Sie, Herr Jacobs“, sagte Jule leise und nun war es Hauke, der anfing zu lächeln. „Ich war so froh, als Sie heute endlich aus der Praxis verschwanden, auch wenn ich Sie dafür anbrüllen musste. Ich wollte nicht, dass Ihnen etwas geschieht.“
„Das… das ist ja schön“, sagte er und räusperte sich. „Also ich meine nicht das mit dem Anbrüllen“, stellte er klar und trat verlegen von einem Bein auf das andere, weil er einfach nicht wusste, was er jetzt machen sollte.
Jules Grinsen wurde breiter. „Würden Sie… also ich meine, nur wenn Sie nichts anderes vorhaben… würden Sie vielleicht einfach nur zu mir kommen?“ Sie klopfte auf ihre Bettdecke neben sich. „Nicht, weil ich… also…ich will nicht...“ Sie biss sich auf die Unterlippe und jetzt war sie es, die herumdruckste und verlegen aussah. „Ich … ich würde nur wirklich gerne etwas schlafen und wenn Sie… also ich meine, du… mich vielleicht einfach nur halten würdest?“ Sie sah ihn mit klopfendem Herzen an und war es jetzt, die auf eine Reaktion wartete.
Auf Haukes Gesicht trat ein verschmitztes Grinsen. „Nichts würde ich gerade lieber tun“, sagte er und zog sich seine Jacke aus. Nachdem er diese über einen Stuhl geworfen hatte, trat er sich schnell die Schuhe von den Füßen und einen Moment später fühlte er Jule Christiansen bereits neben sich. Er nahm sie in den Arm und sie legte ihren Kopf an seine Schulter.
Holly winselte und machte Anstalten, ebenfalls in das Bett zu springen. „Nein, Holly, leg dich hin!“, befahl ihm Hauke streng und sein Hund befolgte dies sofort.
Aufatmend drückte Hauke Jule an sich, spürte ihre Wärme, roch den Duft ihres Shampoos und hatte einen Moment lang Angst, dass dies alles nur ein wunderschöner Traum war, den er gerade träumte, doch dann kamen ihm die Geschehnisse dieses Tages wieder in den Kopf und ihm wurde klar, dass mancher Alptraum sich zum Glück auch sehr schnell ins Gegenteil umkehren konnte. Er strich Jule sanft über den Arm und hielt sie gleichzeitig fest.
Jule fühlte sich zum ersten Mal wieder sicher in seinen Armen. Der Alptraum der Geiselnahme war vorüber, Lea war nichts passiert, alle Verbrecher waren entweder tot oder festgenommen und sie lag in Hauke Jacobs Armen. Sie kuschelte sich an ihn, hörte seinen beruhigen Herzschlag, da ihr Kopf auf seiner Brust ruhte und roch sein unverwechselbares Aftershave, welches ungeheuer gut an ihm roch. Mit einem glücklichen Lächeln im Gesicht schloss sie ihre Augen und spürte, dass das Gefühl der Hilflosigkeit, welches sie die letzten Stunden gespürt hatte, von ihr abfiel.
„Was für ein Tag!“, murmelte sie leise und spürte, wie sein Herzschlag sie immer mehr beruhigte und sie in einen erholsamen Schlaf driftete. Mit ihm an ihrer Seite hatte sie keine Angst vor Alpträumen, denn er würde da sein, wenn sie aufwachte und dies war ein so wundervoller Gedanke. Mit diesem Gedanken schlief sie ein.
Hauke Jacobs spürte wie sie sich an seiner Seite entspannte und ihr Atem ruhiger wurde. Sanft strich er ihr über ihr Haar. „Ja, was für ein Tag!“, flüsterte er und schloss ebenfalls die Augen.
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Wenn es euch gefallen hat, hinterlasst mir doch bitte einen Kommentar!!! Darüber freue ich mich immer.
Jetzt bin ich mal gespannt, ob es noch weitere Fans von "Nord bei Nordwest" gibt.
lg Heike
ich bin mal wieder auf Abwegen unterwegs, aber ich habe nicht nur eine Lieblingsserie, sondern viele und „Nord bei Nordwest“ zählt definitiv dazu. Ich liebe die Charaktere dieser Serie und mag auch, dass diese Serie, obwohl man sie eigentlich als eine Krimiserie bezeichnen kann, immer so voller Witz und Charme ist.
Mit Erstaunen habe ich außerdem bemerkt, dass es keinerlei Fanfiktions über "Nord bei Nordwest" zu geben scheint und das, obwohl sie schon so viele Jahre läuft und die Liebesgeschichte zwischen Hauke Jacobs und Jule Christiansen viele Geschichten hergibt (falls jemand etwas anderes weiß und Fanfiktions von "Nord bei Nordwest" kennt, bitte melden!).
Dass es keine Geschichten zu geben scheint, ändere ich hiermit und vielleicht gibt die nächste Folge (die nächste Woche kommt) wieder etwas her, damit ich noch ein paar Geschichten schreibe, um dieser Serie auch eine eigene Kategorie zu schaffen (was sie definitiv verdient hätte). Vielleicht fühlt sich aber auch jemand durch meine Geschichte dazu inspiriert, etwas eigenes über "Nord bei Nordwest" zu schreiben, was mich äußerst freuen würde, denn obwohl ich gerne Geschichten schreibe, lese ich sie auch mega gerne. Also los, ich würde mich echt freuen!
So, und nun wünsche ich viel Spaß beim Lesen und sage nur, dass es äußerst hilfreich wäre, die Folge „Auf der Flucht“ (kam am 05.01. im ARD und ist noch in der Mediathek zu sehen) gesehen zu haben, um diesen One-Shot zu verstehen.
Ach ja, alle Charaktere usw. sind nicht von mir und ich habe auch keinerlei Rechte oder sonstiges daran.
lg Heike
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Der Polizist und Tierarzt Hauke Jacobs wusste, dass er sterben würde. Bereits als er seine Waffe sinken ließ und sie vor sich auf den Boden warf, war er sich sicher, dass der Verbrecher vor ihm, der mit seiner Waffe auf ihn zielte, kurzen Prozess mit ihm machen würde. Er sah es in seinen eiskalten Augen und als dieser geflüchtete Verbrecher dessen Name Viktor Gericke war, wie ihm mit einem Mal einfiel, ihm dann auch noch befahl, sich hinzuknien, war es ihm völlig klar. Es würde ein Hinrichtung sein. Seine Hinrichtung!
Der Verbrecher mit den stahlblauen Augen ließ das junge Mädchen, welches er sich als Schutzschild genommen hatte, gehen. Aber Gehenlassen, war das falsche Wort, Gericke stieß sie regelrecht brutal zur Seite und Hauke fragte sich zähneknirschend, warum dieses blonde Mädchen gerade zum wirklich schlechtesten Zeitpunkt hatte auftauchen müssen. Ohne sie hätte er den Verbrecher sicherlich verhaften können, doch dann war sie in die Schusslinie geraten und er war kein Risiko eingegangen, da er nicht gewollt hatte, dass ihr was passierte. Er war sehr froh, dass das Mädchen nicht mehr in Gefahr war, denn es hatte sein ganzes Leben noch vor sich, nicht so wie er, denn Gericke würde kurzen Prozess mit ihm machen,jetzt und hier. Wahrscheinlich war auch er es gewesen, der diesen Kaminski einfach ermordet hatte, schoss es ihm durch den Kopf.
Er schluckte und einen kurzen Moment dachte er an Jule Christiansen. Er hoffte, dass es ihr gutging und Frau Wagner und das Einsatzkommando sie und Lea, die Nichte von Hannah Wagner, bereits befreit hatten.
Als dieser Gericke jetzt auf ihn zukam und ihm klar wurde, dass dieser nun unweigerlich abdrücken würde, ergriff ihn ein Gefühl der Reue, weil er Jule Christiansen nie gesagt hatte, was er wirklich für sie empfand und er fragte sich auch, warum er ihr noch nie das erzählt hatte, was er Frau Wagner heute gestanden hatte, als diese ihn gefragt hatte, ob er Jule mögen würde. Es war kein Problem für ihn gewesen, seiner Kollegin diese Frage zu beantworten. Wieso konnte er es dann Jule Christiansen nicht einfach sagen? Die Möglichkeit dazu hätte es schon oft gegeben, das wusste er, aber er hatte sie nie genutzt.
Vertane Chancen, vergebene Möglichkeiten, doch nun war es zu spät, er würde jetzt sterben und als ein Schuss erklang, war er sicher, dass er als nächstes den Schmerz des Einschlags der Kugel spüren musste. Er zuckte leicht zusammen, doch nichts geschah und verwundert sah er diesen Gericke im nächsten Moment vor sich zu Boden stürzen.
Hinter ihm stand ein Mann mit einer Waffe in der Hand, der nun auf ihn zukam und Hauke Jacobs erkannte in ihm einen der anderen Geflüchteten und ihm fiel ein, dass er Meier hieß. Wieso hatte dieser Meier seinen Komplizen gerade erschossen? Wieso hatte er ihm damit geholfen, ihm sein Leben gerettet? Diese Frage stellte sich Hauke, doch als der Mann auf ihn zukam, wobei er nie wirklich auf ihn zielte, fragte er sich, was jetzt geschehen würde. Würde er ihn auch erschießen? Es sah ganz danach aus und bei seinem Komplizen hatte Meier keinen Moment gezögert. Hauke lehnte ich etwas zurück als der Mann immer näher auf ihn zukam, versuchte ihm nicht in die Augen zu sehen, doch was dann geschah, verwunderte ihn, machte ihn sprachlos.
Der Mann ging vor ihm in die Knie, die Waffe immer noch in der Hand. „Mama hat immer gesagt, aufhören wenn….“, sagte Meier und zögerte kurz. Er schien verwirrt und völlig durch den Wind. „Aufhören, ja!“, sagte er dann und legte seine Waffe einfach zur Seite.
Einen kurzen Moment war Hauke völlig überrascht über diese Handlung, doch dann griff er nach der Waffe und holte tief Luft. Sein Herz raste, was ihm erst in diesem Moment auffiel. Schnell stand er auf, steckte die Waffe von Meier ein und nahm seine Waffe vom Boden auf. Anschließend ging er zum am Boden liegenden Mann mit den blauen Augen, der sich nicht mehr rührte. Er beugte sich hinab und nahm auch dessen Waffe an sich. Meier, der immer noch am Boden hockte, ließ er dabei nicht aus den Augen. Hauke fühlte nach dem Puls von Gericke, doch da war nichts. Der Mann war tot.
Hauke griff nach seinen Handschellen und wandte sich Meier zu. „Aufstehen! Hände hinter den Rücken!“, befahl er und seine Stimme klang heiser. Er schluckte und als der von ihm Angesprochene ohne zu Zögern seinen Worten nachkam, atmete er innerlich auf. Dieser Alptraum war vorbei, endlich.
Ein paar Sekunden später wimmelte es plötzlich von Einsatzkräften um ihn herum.
Schnell wies er sich als Polizist aus. „Wie geht es den Geiseln auf der anderen Fähre?“, fragte er. „Ist da alles gut gelaufen?“
„Keine Ahnung, denke schon“, bekam er als Antwort, von einem der vermummten Kollegen, was ihm plötzlich Angst einjagte. War Jule und Lea vielleicht etwas passiert? Was war mit Frau Wagner, die ja bereits angeschossen war?
„Übernehmt ihn!“, sagte er daher hastig und machte sich, ohne auf eine Erwiderung zu warten, auf den Weg zur anderen Fähre. Er musste so schnell wie möglich dorthin, musste sehen, dass es allen gutging, dass es Jule gutging.
Ihm ging durch den Kopf, wie sie ihn vor ein paar Stunden angesehen hatte als er in der Praxis erschienen war. Mit den Worten „Na du!“ hatte sie ihn begrüßt und natürlich hatte sie auch nur „Schnucki“ zu ihm gesagt, weil sie ihm klarmachen wollte, dass etwas anders war, das etwas nicht in Ordnung war, dass sie und Lea Geiseln waren in ihrer eigenen Praxis. Sie hatte da ja noch nicht wissen können, dass er Bescheid wusste, doch das hatte er ihr schnell klarmachen können. Er wollte nicht, dass dies das letzte Mal gewesen war, dass er mit ihr geredet hatte und dieser Gedanke trieb ihn an, noch schneller zu laufen, denn er musste sie sehen.
Musste mit eigenen Augen sehen, dass sie lebte.
Noch bevor er auf dem Deck der anderen Fähre ankam, sah er den Krankenwagen, der dort stand und das mulmige Gefühl in seinem Bauch wurde stärker. Schnell hatte er den Krankenwagen erreicht, umrundet und mit Erleichterung sah Hauke Jacobs, dass es nicht Jule Christiansen war, die in dem Krankenwagen lag. Hannah Wagner lag oder eher gesagt, saß mehr auf der Krankentrage im Wagen und ihre Nichte Lea saß in eine Decke gehüllt, aber scheinbar unverletzt, neben ihr.
Frau Wagner sah ihren Kollegen erleichtert an. „Haben Sie den Typen erwischt?“, fragte sie. „Der Dritte wird noch gesucht.“
Hauke nickte. „Keine Sorge. Der eine ist tot, der andere ist in Gewahrsam.“
„Tot?“, hakte Hannah stirnrunzelnd nach.
„Ja, erzähl ich Ihnen später.“ Hauke sah sich suchend um. „Wo ist Frau Christiansen? Geht es ihr gut?“
„Frau Christiansen ist da hinten.“ Hannah deutete in Richtung des alten, beigen Wohnmobils. „Sie war unglaublich. Sie hat zuerst Lea die Flucht ermöglicht und dann den dritten Verbrecher dazu gebracht, aufzugeben.“
Hauke warf einen Blick auf die Nichte von Hanna Wagner, die abwesend wirkte und Tränen in den Augen hatte. „Ist alles in Ordnung mit ihr?“
Hannah sah zu Lea. „Sie fährt mit ins Krankenhaus. Der Notarzt hat ihr gerade was gegeben, weil sie einen Schock hat. Einer der Typen hat versucht, sie zu vergewaltigen, aber zum Glück ist es nicht dazu gekommen.“
Hauke schluckte und sofort dachte er an Jule Christiansen.
Der Notarzt stieg in den Wagen und wollte gerade die Türen schließen, doch Hauke hielt ihn auf. „Frau Wagner hat von mir 5 mg Vetalgin i.v. bekommen“, erläuterte er. „Das ist ein Schmerzmittel für Tiere.“
„Wie bitte?“, fragte der Notarzt mit hochgezogenen Augenbrauen.
„Sie erklärt es Ihnen!“, sagte Hauke Jacobs nur schnell und schloss die Türen des Krankenwagens, dann drehte er sich um.
Schnell ging er auf das Wohnmobil zu und noch bevor er es erreicht hatte, kam Jule Christiansen dahinter hervor. Sie war ebenfalls in eine Decke gehüllt und sah blass aus, doch ansonsten schien es ihr gut zu gehen. Als sie ihn entdeckte, blieb sie stehen und starrte ihn an.
Hauke ging auf sie zu und blieb vor ihr stehen. Erleichterung durchflutete ihn, denn ihr war nichts passiert, zumindest konnte er keine äußerlichen Verletzungen erkennen, doch dann sah er das Flackern in ihrem Blick.
„Frau Christiansen, wie geht es Ihnen?“, fragte er vorsichtig, obwohl sein erster Gedanke gewesen war, sie einfach nur an sich zu ziehen und in den Arm zu nehmen.
„Gut, ja, es… es geht mir gut!“, erwiderte die Tierärztin, doch ihre Stimme schwankte leicht und ihr Gegenüber erkannte sofort, dass sie log, doch er sagte nichts dazu.
„Hat der Notarzt einen Blick auf Sie geworfen?“
Jule schüttelte fahrig den Kopf. „Nein, nein, das wollte ich nicht. Es geht mir gut. Wirklich!“
Hauke musterte sie kurz. „Kommen Sie, ich bring Sie nach Hause!“ Er fasste sie am Arm und ging mit ihr zu seinem Wagen.
„Die Polizei… die wollen, dass ich eine …eine Aussage mache“, sagte Jule als sie den Wagen erreicht hatten.
„Das können Sie später machen. Außerdem bin ich auch die Polizei“, erwiderte Hauke Jacobs, öffnete die Beifahrertür und half Jule beim Einsteigen. Widerstandslos ließ sie dies geschehen und schnallte sich an.
Als Hauke eingestiegen war, warf er ihr einen besorgten Blick zu, doch Jule starrte nur nach vorne aus der Windschutzscheibe, wirkte abwesend, also fuhr er los.
Sie waren etwa zehn Minuten unterwegs als dem Polizisten auffiel, dass die Schultern der Tierärztin zuckten und ein Blick zu ihr machte ihm klar, dass Jule Christiansen weinte.
Mit Gefühlen hatte Hauke Jacobs noch nie gut umgehen können und Frauen, die weinten, waren immer schwierig für ihn zu verstehen, doch in diesem Moment wusste er, was er zu tun hatte. Er setzte den Blinker, fuhr rechts in einen Feldweg und stellte den Motor ab. Dann löste er seinen Anschnallgurt und beugte sich zu der Frau hinüber, die ihm so sehr am Herzen lag. Er wusste, dass er jetzt für sie da sein musste. Etwas unbeholfen, aber trotzdem vorsichtig nahm er sie in den Arm und drückte sie an sich, so gut ihm dies im Auto möglich war.
Zuerst erschütterten nur lautlose Schluchzer die ansonsten so toughe Tierärztin, doch dann erwiderte sie seine Umarmung, klammerte sich regelrecht an ihn und begann hemmungslos zu weinen. Hauke strich ihr mit einer Hand über den Rücken und sagte nichts, hielt sie einfach nur fest. Er wartete und während sie weinte, begannen in seinem Kopf tausend Gedanken hin und her zu schwirren. Einer dieser Gedanken erfasste ihn und ließ ihn nicht mehr los und er musste es wissen, weil er sie dann sofort ins Krankenhaus fahren würde, wenn seine fürchterliche Vermutung zutraf.
„Wurden Sie...“ Er stockte. Es auszusprechen, kostete ihn eine große Überwindung, denn wenn es der Wahrheit entsprach, würde es ihn umbringen, weil er es nicht hatte verhindern können. „Also, ich meine, haben die Ihnen irgendwas angetan…. Also, Gewalt meine ich?“
Jule Christiansen und Hannahs Nichte Lea waren stundenlang in der Gewalt dieser vier geflüchteten Verbrecher gewesen und wenn sie es bei Lea versucht hatten, war die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie es bei Jule vielleicht auch….
Hauke dachte den Gedanken nicht zu Ende. Es ging einfach nicht.
„Nein“, schluchzte Jule da leise an seiner Schulter. „Ich wurde nicht… vergewaltigt.“
Eine ungeheure Erleichterung erfasste Hauke und er atmete die Luft aus, die er unbewusst angehalten hatte. Jule weinte weiter in seinen Armen, doch die Schluchzer wurden langsam weniger und leiser.
Hauke hielt sie fest, rührte sich nicht, bis sie sich selbst von ihm löste. Er beugte sich vor, öffnete das Handschuhfach und holte eine Packung Taschentücher hervor, von denen er ihr eins hinhielt.
Sie sah ihn nicht an als sie es entgegennahm und benutzte.
Der Polizist wartete und überlegte, ob er einfach weiterfahren sollte, doch dann entschied er sich dagegen und nach ein paar Augenblicken fing Jule an zu sprechen.
„Ich hatte die ganz Zeit… fürchterliche Angst, aber eigentlich nicht um mich, sondern um Lea und um...“ Sie sprach den Satz nicht zu Ende, doch bevor Hauke etwas erwidern konnte, redete sie weiter. „Als die Typen reinkamen, ging alles so schnell und dann bedrohten sie Lea und ich musste dem Angeschossenen anschließend zehn Schrotkugeln aus dem Leib operieren. Danach brachten sie… Lea in ein Nebenzimmer und ich musste tun, was sie verlangten, damit ihr nichts geschah.“ Jule Christiansen drehte ihren Kopf und sah ihn zum ersten Mal an. „Als Sie auftauchten, sagten die Typen mir, dass Sie nicht lebend aus der Praxis kommen würden, wenn ich etwas Falsches sagen würde. Deshalb…deshalb habe ich Sie angeschrien und war so gemein zu Ihnen, weil ich wollte, dass Sie gehen. Ich wollte nicht...“ Sie stockte und brach ab, aber Hauke wusste auch so, was sie ihm sagen wollte.
„Schon gut, Frau Christiansen, schon gut“, beruhigte er sie und legte ihr kurz eine Hand auf die Schulter. „Soll ich Sie vielleicht doch lieber ins Krankenhaus bringen? Es wäre vielleicht besser, wenn….“
„Nein, bitte nicht!“, unterbrach ihn Jule schnell. „Ich … ich möchte einfach nur nach Hause.“
„Okay!“ Er nickte und startete den Wagen.
Der Leichenwagen von Herrn Töteberg und Frau Bleckmann stand vor dem Haus der Praxis, was Hauke Jacobs nicht wirklich mit Verwunderung bemerkte als sie sich der Praxis näherten. Die beiden hatten irgendwie ein Radar dafür, wenn es darum ging, einen Toten abzutransportieren. Mit Erleichterung sah er, dass der Bestatter und die Bestatterin bereits dabei waren, den Sarg mit dem von seinem Komplizen in der Praxis ermordeten Geflüchteten in den Leichenwagen zu schieben. So wie es aussah, waren auch bereits Kollegen der Spurensicherung in der Praxis. Er nickte den beiden Bestattern kurz zu, als er an ihnen vorbeifuhr, parkte den Wagen vor dem Leichenwagen und half Jule Christiansen dabei, auszusteigen. Zum Glück musste er nicht durch die Räume der Praxis, um zu Jules Wohnung zu kommen, was mit Sicherheit im Moment viel zu viele böse und noch viel zu frische Erinnerungen in ihr wach gerufen hätte. So brachte er die Tierärztin über den Nebeneingang in ihre Wohnung.
Dort angekommen, war er mit einem Mal überfordert, denn er wusste nicht, was er tun sollte, doch Jule nahm ihm diese Entscheidung ab. Sie verschwand im Bad und ließ ihn nachdenklich und etwas hilflos im Flur zurück. Er hörte das Wasser im Bad rauschen und ging in die Küche. Dort füllte er den Wasserkocher und kochte einen Tee. Immer wieder horchte er nach dem Wasser im Bad, doch es lief noch, so dass er irgendwann mit seiner Tasse in der Hand in der Küche saß und aus dem Fenster sah. Was an diesem Tag passiert war, ging ihm durch den Kopf und er konnte kaum glauben, dass es erst später Nachmittag war und trotzdem schon so viel geschehen war. Sein Handy zeigte den Eingang einer Nachricht an und er schaute nach. Es war Frau Wagner, die sich nach dem Befinden von Jule Christiansen erkundigte und ihm mitteilte, dass es ihr und Lea gut ging.
Schnell tippte er eine Erwiderung und mit einem Mal stand Jule Christiansen neben ihm in der Küche.
„Hey, Sie sind ja noch da“, stellte diese fest und klang überrascht.
Sie hatte anscheinend geduscht, denn ihr Haar war noch nass. Sie trug eine Jogginghose und einen schlabbrigen Pulli, aber trotzdem fand Hauke, dass sie wunderschön aussah, auch wenn sie im Moment etwas verloren wirkte.
„Ja, ähm, ich wollte nicht gehen ohne Ihnen Bescheid zu sagen und … also… ich hab Tee gemacht.“ Er sprang auf, füllte eine Tasse und reichte sie ihr.
Jule starrte die Tasse nur an. Erst nach ein paar Sekunden setzte sie sich an den Tisch, trank aber nicht, sondern starrte nur auf ihre Hände. „Danke, dass Sie mich nach Hause gebracht haben, Herr Jacobs“, sagte sie nach einem Moment der Stille. Sie stand wieder auf. „Ich… ich werde mich ein wenig hinlegen.“
„Das ist eine gute Idee, denke ich. Sie brauchen jetzt Ruhe.“ Hauke stellte seine Tasse in die Spüle und ging einen Schritt zur Tür, doch dann drehte er sich zurück zu ihr. „Wenn Sie irgendwas brauchen, Frau Christiansen… Sie können mich jederzeit anrufen!“ Er verließ die Küche und Holly, der die ganze Zeit im Flur gelegen hatte, trottete hinter ihm her.
„Herr Jacobs!“, hörte er Frau Christiansen seinen Namen rufen als er bereits an der Wohnungstür war und sofort kehrte er zu ihr zurück.
„Ja?“ Er stand in der Tür zur Küche und sah sie fragend an.
„Könnten Sie… könnten Sie noch etwas hierbleiben?“, fragte sie und sah ihn dabei nicht an.
Hauke musterte sie stirnrunzelnd und er erkannte Tränen in ihren Augen.
„Na klar, ähm... kein Problem“, murmelte er und zuckte mit den Schultern. „Ich bleibe, solange sie wollen.“ Er spürte, dass sie nicht alleine sein wollte und er konnte sich gut vorstellen wieso.
Jule Christiansen ging auf ihn zu und er dachte, sie wollte an ihm vorbei in Richtung Schlafzimmer gehen, doch plötzlich lagen ihre Arme um seinen Hals und ihre Lippen lagen auf den seinen. Im ersten Moment war er völlig überrascht und wusste nicht, was er tun sollte. Es wäre so einfach gewesen, ihre Umarmung zu erwidern und ihren Kuss ebenso, doch dies fühlte sich falsch an, einfach nicht richtig, weil Jule im Moment nicht sie selbst war. Schnell zog er ihre Arme von seinem Hals und schob sie von sich.
„Hey, das… ähm… das war nett und kam jetzt etwas… ähm...etwas überraschend, Frau Christiansen. Ich denke, wir sollten das nicht ... und Sie … ähm… Sie sollten sich jetzt wirklich hinlegen.“
Jule stand vor ihm und wirkte unsicher, regelrecht verloren und starrte ihn mit einem Mal voller Verzweiflung an. „Sie wollen mich nicht, sie wollen Hannah, ich weiß es, aber ich war so dumm, ich dachte….“ Sie stockte, wandte sich mit Tränen in den Augen ab und rannte an ihm vorbei.
„Was? Nein… ich, Frau Christiansen, warten Sie!“ Hauke sah ihr irritiert hinterher. Er hörte eine Zimmertür zuknallen und fragte sich, was gerade passiert war.
Langsam ging er durch die Wohnung bis er vor der Tür zu Jules Schlafzimmer ankam, an der Holly bereits stand und winselnd zu ihm hoch sah.
„Was?“, fragte er seinen Hund. „Ich weiß nicht, was ich tun soll, also schau mich nicht so an!“
Durch die Tür hörte er ein leises Schluchzen und es tat ihm in seiner Seele weh, dass es Jule Christiansen gerade so schlecht ging. Irgendwo fühlt er sich auch dafür verantwortlich, aber die Situation überforderte ihn schlichtweg. Einen Moment überlegte er, ob er vielleicht einen Arzt anrufen sollte, da seine Tierarztkollegin ganz eindeutig einen Schock hatte.
Vorsichtig öffnete er die Tür und Holly schlüpfte sofort durch den Spalt, als er groß genug für ihn war. Bevor er seinen Hund aufhalten konnte, war er an Jule Christiansens Bett. Jule hatte sich zusammengekrümmt und lag auf der Seite, während sie ihren Kopf in ihr Kissen vergraben hatte und leise schluchzend dalag. Holly legte seinen Kopf auf ihren Arm und winselte leise. Hauke wünschte sich, auch einfach so instinktiv handeln zu können, wie Holly es gerade tat. Was für ein Tier so normal und natürlich war, war für ihn unglaublich schwer.
Jule sah hoch und als sie Holly erkannte, trat ein kleines Lächeln auf ihre Lippen, doch dies blieb nicht lang, weil sie Hauke an der Tür stehen sah.
„Sie können gehen, Herr Jacobs. Ich… ich schaff das schon alles.“ Sie strich Holly über den Kopf und der Hund versuchte, ihre Hand abzulecken.
Einen Moment lang überlegte Hauke, ob er ihrer Bitte nachkommen sollte, doch er sah in ihren Augen, dass es der Tierärztin im Moment alles andere als gut ging. Der Moment von vorhin, wo er gedacht hatte, dass er nicht mehr lange zu leben hätte, schoss ihm durch den Kopf und er beschloss, dass jetzt und hier der richtige Moment war, um mutig zu sein, gerade auch, weil Jule scheinbar falsch über ihn und Hannah Wagner dachte.
„Ich gehe jetzt nicht und ich hab übrigens keine Gefühle für Frau Wagner“, sagte er.
Jule Christiansen setzte sich in ihrem Bett etwas auf und Holly legte seinen Kopf in ihren Schoß. Hauke kam der Gedanke, dass er seinen Hund gerade wirklich beneidete.
„Haben Sie nicht?“, fragte Jule und wischte sich mit der rechten Hand ihre Tränen vom Gesicht.
„Nein, hab ich nicht.“
„Aha.“
Einen Moment herrschte Schweigen im Raum und Hauke wusste nicht recht, wo er hinschauen sollte. Er steckte seine Hände in seine Hosentaschen, weil er auch für sie keinen rechten Platz wusste.
„Und warum sagen Sie mir das, Herr Jacobs?“, wollte Jule wissen.
„Weil… ja, weil… ich Gefühle für jemand anderen habe“, druckste er herum.
Jule fixierte ihn und versuchte ihn zu ergründen, ihn zu verstehen und als er ihr einfach nicht in die Augen sehen konnte, wurde ihr etwas klar. „Etwa für mich?“
Ein weiterer Moment des Schweigens trat ein, doch Jule wartete, sagte nichts. Sie wollte, dass ihr Gegenüber ihr diese Frage beantwortete.
„Ich hatte heute verdammt viel Angst um Sie, Frau Christiansen“, sagte Hauke nach einer ganzen Weile und er richtete seinen Blick endlich wieder auf sie. „Ich...“, er brach ab und atmete tief durch.
„Das ist nicht die Antwort auf meine Frage, Herr Jacobs“, erwiderte Jule, obwohl es irgendwo schon eine Antwort war, aber jetzt und hier würde sie ihn nicht vom Haken lassen, bevor er nicht offen aussprach, was er fühlte.
Noch einmal holte Hauke tief Luft. „Heute hätte mich einer dieser Flüchtigen beinahe erschossen und er hätte es auch sicherlich getan, wenn sein Komplize ihn nicht vorher erschossen hätte und mir ist da klar geworden, dass ...“
„Moment“, unterbrach ihn Jule erstaunt. „Wer hat wen erschossen?“
Von diesen Vorkommnissen hatte Hauke ihr noch nichts gesagt, aber er schüttelte kurz den Kopf, weil er endlich soweit gewesen war, ihr die Wahrheit zu sagen und sie ihn mit ihrer Frage völlig aus dem Konzept gebracht hatte.
„Ähm, dieser Meier hat diesen Gericke erschossen und danach hat er sich überraschend einfach ergeben“, erklärte Hauke.
Jule blinzelte und sog ungläubig Luft in ihre Lungen. „Wieso?“, fragte sie und runzelte nachdenklich die Stirn. Sie war die ganze Zeit dabei gewesen, als die Verbrecher ihre Flucht geplant hatten.
„Gericke wollte mit der anderen Baltik-Fähre abhauen und hatte seine Kollegen vorher alle scheinbar ans Messer geliefert, außerdem war er es, der mit Sicherheit Kaminski erschossen hat“, erklärte ihr Hauke.
Jule schüttelte ihren Kopf und versuchte, diese Informationen irgendwie zu verarbeiten. Dass dieser Gericke der Schlimmste von allen gewesen war, auch wenn Meier versucht hatte Lea zu vergewaltigen, war ihr schon von Anfang an klar gewesen, denn Gericke hatte das Sagen in der Truppe gehabt. Deshalb war ihr und Lea auch nicht die Flucht gelungen, weil sie sich sicher gewesen war, dass Gericke nicht gezögert hätte und Lea wirklich in den Kopf geschossen hätte. Ihr wurde klar, dass Gericke nie vorgehabt hatte, mit den anderen zu flüchten. Er hatte von Anfang an nur an sich gedacht und einen ganz eigenen Plan für sich gehabt. Sie nickte langsam und schloss kurz wieder ihre Augen. Als sie sie öffnete, sah sie Hauke Jacobs an und ein leichtes Lächeln trat auf ihr Gesicht.
„Ich bin sehr froh, dass Gericke sie nicht erschossen hat und es tut mir leid, dass ich Sie gerade unterbrochen habe, Herr Jacobs. Sie wollten mir noch etwas sagen? Was ist Ihnen klar geworden?“
Hauke schluckte und überlegte einen Moment, doch dann fasste er erneut all seinen Mut zusammen. „Ich… ich bin echt schlecht in so was“, murmelte er mehr zu sich selbst, doch dann richtete er sich etwas auf, straffte seine Schultern. „Mir ist klar geworden, dass ich… dass ich was für Sie empfinde, Frau Christiansen und als ich vorhin dachte, dass mein letztes Stündlein geschlagen hätte, habe ich bereut, dass ich Ihnen das noch nie gesagt habe.“
Jule starrte ihn an und atmete langsam die Luft aus, die sie unbewusst angehalten hatte. Sie suchte nach Worten und war einen Moment wirklich sprachlos. Sie hatte oft gedacht, dass da etwas zwischen ihnen war, immerhin arbeiteten sie schon einige Jahre zusammen, doch sich auch immer wieder erfolgreich eingeredet, dass sie sich das einbildete. Grund dafür war auch die gutaussehende Polizistin Hannah Wagner, die ihrer Meinung nach auch auf ihren Kollegen stand und für sie hatte es immer so ausgesehen, als würde Hauke Jakobs dies auch erwidern.
„Und Hannah?“, fragte sie daher nach, denn sie wollte es einfach noch einmal aus seinem Mund hören.
„Da ist nichts, gar nichts“, sagte Hauke schnell und schüttelte seinen Kopf. Angespannt wartete er auf eine Reaktion von Jule Christiansen.
Als ein Lächeln auf ihrem Gesicht erschien, fiel etwas von seiner Anspannung ab, die sich in ihm aufgebaut hatte.
„Ich empfinde auch etwas für Sie, Herr Jacobs“, sagte Jule leise und nun war es Hauke, der anfing zu lächeln. „Ich war so froh, als Sie heute endlich aus der Praxis verschwanden, auch wenn ich Sie dafür anbrüllen musste. Ich wollte nicht, dass Ihnen etwas geschieht.“
„Das… das ist ja schön“, sagte er und räusperte sich. „Also ich meine nicht das mit dem Anbrüllen“, stellte er klar und trat verlegen von einem Bein auf das andere, weil er einfach nicht wusste, was er jetzt machen sollte.
Jules Grinsen wurde breiter. „Würden Sie… also ich meine, nur wenn Sie nichts anderes vorhaben… würden Sie vielleicht einfach nur zu mir kommen?“ Sie klopfte auf ihre Bettdecke neben sich. „Nicht, weil ich… also…ich will nicht...“ Sie biss sich auf die Unterlippe und jetzt war sie es, die herumdruckste und verlegen aussah. „Ich … ich würde nur wirklich gerne etwas schlafen und wenn Sie… also ich meine, du… mich vielleicht einfach nur halten würdest?“ Sie sah ihn mit klopfendem Herzen an und war es jetzt, die auf eine Reaktion wartete.
Auf Haukes Gesicht trat ein verschmitztes Grinsen. „Nichts würde ich gerade lieber tun“, sagte er und zog sich seine Jacke aus. Nachdem er diese über einen Stuhl geworfen hatte, trat er sich schnell die Schuhe von den Füßen und einen Moment später fühlte er Jule Christiansen bereits neben sich. Er nahm sie in den Arm und sie legte ihren Kopf an seine Schulter.
Holly winselte und machte Anstalten, ebenfalls in das Bett zu springen. „Nein, Holly, leg dich hin!“, befahl ihm Hauke streng und sein Hund befolgte dies sofort.
Aufatmend drückte Hauke Jule an sich, spürte ihre Wärme, roch den Duft ihres Shampoos und hatte einen Moment lang Angst, dass dies alles nur ein wunderschöner Traum war, den er gerade träumte, doch dann kamen ihm die Geschehnisse dieses Tages wieder in den Kopf und ihm wurde klar, dass mancher Alptraum sich zum Glück auch sehr schnell ins Gegenteil umkehren konnte. Er strich Jule sanft über den Arm und hielt sie gleichzeitig fest.
Jule fühlte sich zum ersten Mal wieder sicher in seinen Armen. Der Alptraum der Geiselnahme war vorüber, Lea war nichts passiert, alle Verbrecher waren entweder tot oder festgenommen und sie lag in Hauke Jacobs Armen. Sie kuschelte sich an ihn, hörte seinen beruhigen Herzschlag, da ihr Kopf auf seiner Brust ruhte und roch sein unverwechselbares Aftershave, welches ungeheuer gut an ihm roch. Mit einem glücklichen Lächeln im Gesicht schloss sie ihre Augen und spürte, dass das Gefühl der Hilflosigkeit, welches sie die letzten Stunden gespürt hatte, von ihr abfiel.
„Was für ein Tag!“, murmelte sie leise und spürte, wie sein Herzschlag sie immer mehr beruhigte und sie in einen erholsamen Schlaf driftete. Mit ihm an ihrer Seite hatte sie keine Angst vor Alpträumen, denn er würde da sein, wenn sie aufwachte und dies war ein so wundervoller Gedanke. Mit diesem Gedanken schlief sie ein.
Hauke Jacobs spürte wie sie sich an seiner Seite entspannte und ihr Atem ruhiger wurde. Sanft strich er ihr über ihr Haar. „Ja, was für ein Tag!“, flüsterte er und schloss ebenfalls die Augen.
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Jetzt bin ich mal gespannt, ob es noch weitere Fans von "Nord bei Nordwest" gibt.
lg Heike