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2022 12 31: Morgen [by Aieda]

Kurzbeschreibung
GeschichteAllgemein / P16 / Gen
01.01.2023
01.01.2023
1
1.200
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2 Reviews
Dieses Kapitel
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01.01.2023 1.200
 
Tag der Veröffentlichung: 31.12.2022
Titel der Geschichte: Morgen
Song: Morgen von CHIMA
Autor: Aieda
Kommentar des Autors: /





„Nea? Du bist ja noch wach.“
Langsam geht der junge Mann die Treppe hinter. Am Tresen der geschlossene Kneipe sitzt eine rothaarige Frau alleine im Licht einer Kerze da. In ihrer Hand ein Glas mit Whiskey, welches sie in kreisenden Bewegungen Gedanken verloren schwingt. Es ist kein klackern von Eiswürfeln zu hören, da diese schon lange geschmolzen sind. Ihre grauen Augen sind auf einen unbestimmten Punkt in der Ferne gerichtet. Vorsichtig nähert sich der junge Mann. Er macht bewusst Geräusche auf seinem Weg zu ihr. Er hat auf die harte Tour gelernt, dass man sich an Nea nicht heranschleicht.
„Nea?“, ruft er erneut.
Es ist nicht das erste Mal, dass er sie alleine lange nachdem sie die Kneipe geschlossen haben noch am Tresen sitzend vorfindet. Es ist nicht jede Nacht, noch einmal in der Woche. Es passiert vielleicht einmal in einem halben Jahr. Er kennt Nea schon lange, hat sie doch bereits für seinen Vater gearbeitet. Niemand weiß genau woher sie kam. Eines Tages war sie einfach da. Niemand hat es je gewagt sie zu fragen dennoch machen Gerüchte ihre Runden. Viele der Alten sind überzeugt, dass Nea eine Überlebende ist, was überlebt darüber spekulieren viele doch niemand hat eine genau Antwort. Eine der Dorfältesten ist der festen Überzeugung, dass Nea einen Piratenangriff überlebt hat. Der junge Mann hat mittlerweile den Tresen erreicht und stellt seinen Kerzenhalter neben die Kerze auf dem Tresen. Er ist zwei Schritte von ihr entfernt.
„Nea?“
Er legt die Hand auf den Tresen doch wagt er es nicht sich ihr noch weiter zu nähern. Das Gefühl von der Maserung des Holzes unter seinen Fingerkuppen sticht scharf hervor in dieser Stille. Es ist keine angenehme Stille, denn in der Luft liegt eine Anspannung, die er nicht genauer benennen kann.
„Weißt du, ich habe damals nicht geglaubt, dass ich die Sonne jemals wieder aufgehen sehen werde.“
Der junge Mann zuckt zusammen als Nea aus dem Nichts plötzlich anfängt zu Reden. Sein Herz klopft ihm bis zum Hals und sein Hals ist wie zugeschnürt. Kein Wort macht es in seinem Schrecken über seine Lippen. Doch Nea lässt sich von dem Schweigen nicht beirren.
„Es war eine Spätsommernacht gewesen als sie kamen. Niemand hat damit rechnet. Wir waren nur ein kleines Fischerdorf, wir waren nicht reich aber auch nicht arm. Wir hatten immer genug um zu leben und nicht nur zu überleben. An diesem Abend gab es eine Hochzeit weshalb fast das ganze Dorf auf dem Festplatz versammelt war. Es war eine wunderschöne Hochzeit. Wir haben gesungen, getanzt, gelacht. Ein sorgloser Abend.“
Nea nimmt einen Schluck von ihrem Whiskey, welcher leicht in ihrem Rachen brennt. Der junge Mann starrt sie an. Nicht wissend, was er sagen soll und ob er etwas sagen soll.
„Doch wie es nun mal ist im Leben, hält das Glück nicht ewig und in einem einzigen Augenblick kann sich alles verändern. Ich kann mich nicht erinnern, was genau passiert doch plötzlich waren da Schreie und Menschen fingen an in Panik versetzt anzurennen. Plötzlich waren da diese Männer. Häuser gingen in Flammen auf. Schwerter blitzten im Feuerschein. Schreie verstummt zum Schweigen gebracht durch kalten Stahl. Ich begann zu rennen. Ich war in dem Sommer 16 geworden.“
Das Geräusch wie das Glas auf den Holztresen gestellt wird, ist ohrenbetäubend laut.
„Ich erinnere mich wie durch die brennenden Straßen rannte, denn das Feuer breitet sich rasch über das ganze Dorf aus. Ich wusste nicht wohin aber ich rannte einfach geradeaus. Es spielte keine Rolle wohin. Ich stolperte über leblose Körper. Den Geruch von verbranntem Fleisch in der Nase. Die Schreie von Menschen, das Gelächter der Piraten und der Klang des brennenden Dorfes in meinen Ohren, fast übertönt von meinem wild schlagenden Herzen. Ich weiß nicht wie es geschafft habe aber ich schaffte es irgendwie in den Wald. Ich rannte hoch zu Klippen und an ihnen entlang bis zu den Gräbern meiner Eltern, wo ich völlig atemlos auf die Knie fiel. Ich konnte nicht mehr weiter rennen. Ich zitterte am ganze Körper. Meine Finger in die Erde gegraben saß ich dort im Gras. Ich konnte von dort aus das Dorf ausmachen. Ich konnte es brennen sehen. Das Schiff der Piraten im Hafen. Wie gelähmt saß ich da und starrte mein Dorf an. Ich saß dort mit der Angst im Nacken, dass jede Moment einer dieser Piraten auftauchen würde, denn ich wusste, ich würde nicht mehr auf die Beine kommen. So saß ich da unter dem Nachthimmel wie gelähmt. Irgendwann kehrten die Piraten auf ihr Schiff zurück und verschwanden genauso plötzlich wie sie aufgetaucht waren. Wenig später begann es zu dämmern, das Morgengrauen war da. In diesem Moment begann es einzusinken, dass ich überlebt hatte. Irgendwie hatte ich diese Nacht überlebt. Ich fing an zu weinen. Ich weiß nicht wie lange ich weinte. Die ersten Wochen danach genau wie diese Nacht verschwimmen miteinander. Irgendwie bin ich dann hier gelandet. Außer mir hat niemand diese Nacht überlebt.“
Ihren Blick hat die Rothaarige immer noch in die Ferne gerichtet. Er hat sich währenddessen nicht einen Zentimeter vom Fleck bewegt, wie erstarrt steht er da. Was soll er darauf nur erwidern? Wie reagiert man, wenn die Frau, welche in der Kneipe unter deinem Vater gearbeitet hat, die du übernommen hast nachdem dein Vater sich zur Ruhe gesetzt hat, wie aus dem Nichts über ihre Vergangenheit spricht und so viele offene Fragen beantwortet? Er weiß es nicht.
„Es jährt sich heute.“
Nea bewegt ihre Augen und richtet ihren Blick auf den Horizont, den sie durch eines der vielen schmalen Fenster unter der Decke sehen kann. Draußen weicht die Nacht dem Morgengrauen.
„Ich habe das Leben bis zu dieser Nacht für selbstverständlich gehalten. Es war für mich keine Frage, dass ich alt werden würden doch seit jener Nacht ist jeder einzelne Morgen für mich ein Geschenk, denn man weiß nie, ob man einen weiteren erleben wird.“
Nea nimmt das Whiskey Glas in die Hand und trinkt den Rest in einem Zug ehe sie ihren Blick auf den jungen Mann richtet, welcher sie immer noch wie erstarrt anschaut. Sie lächelt leicht und verlässt ihren Platz am Tresen und macht sich auf den Weg nach oben das leere Glas noch in der Hand, in der anderen die Kerze.
„Genieß das Leben und jeden neue Morgen.“
Damit verschwindet sie nach oben. Schweigen blickt ihr der junge Mann nach. Für ihn fühlt sich dieser Moment immer noch ein wenig surreal an doch ist er sich, dass er was Nea ihm heute erzählt mit keiner Menschenseele teilen wird, denn es ist nicht seine Geschichte. Mit leicht zitternder Hand fährt sich durch sein Haar. Für einen Moment blickt er hinaus auf den Horizont, wo der neue Morgen graut. Für einen Moment denkt er über sein Leben nach wie es gerade ist und in diesem Augenblick wird ihm wieder bewusst wie vergänglich das Leben ist doch man vergisst es viel zu schnell. Er atmet tief durch. Es ist ein neuer Morgen und jeder neue Tag bringt viele neue Chance mit sich. Er nimmt sich sein Kerze und geht wieder nach oben. Es ist Zeit diesen Tag zu beginnen, ihn zu genießen.
 
 
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