Elf Jahre und ein Tag
von Ken
Kurzbeschreibung
Sechs Umzüge in den letzten sieben Jahren. Tristan hat aufgehört, sich an Menschen binden zu wollen, Pläne zu machen - was zählt ist die Gegenwart. Dann lernt er Brendan kennen, der genau weiß, wo seine Zukunft hingehen soll. Und David, Brendans besten Freund, der in einer Vergangenheit festhängt, die er nicht loslassen kann - und dem Glauben an das Unmögliche. Drei Freunde auf der Suche nach dem Glück, der Liebe und dem Platz im Leben, wo sie hingehören.
GeschichteFreundschaft, Liebesgeschichte / P16 / MaleSlash
01.01.2023
09.04.2023
22
82.334
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21.02.2023
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Kapitel 7 – Neues Bewusstsein (14.03.2010)
Eigentlich war der März ein sehr schöner Monat. Einer, den David stets zu schätzen gewusst hatte. Da standen Geburtstage an, es wurde gefeiert, der Winter verschwand und der Frühling hielt Einzug. Lauter Dinge, die David mochte. Speziell, wenn er diese Zeit mit einem gewissen Jemand verbringen konnte. Alles, was er von dem Typ sehen konnte, war deshalb dessen Rücken.
Gerade, nicht sonderlich breit – jedenfalls nicht mehr als Davids eigener. Die kurzen, dunkelbraunen Locken kräuselten sich wie so oft im Nacken. Nur zu gern hätte David da einmal hinein gefasst. Seine Hand durchgleiten lassen und gespürt, ob die Haare wirklich so weich und angenehm waren, wie sie aussahen.
Aber natürlich konnte er das nicht machen. Denn der Typ, der da vor ihm saß, war seit ein paar Jahren sein bester Freund. Nicht zu vergessen, dass er ein Mann war. Und sie hier in der Schule. Was so ein Verhalten einem gesellschaftlichen Selbstmord gleichkommen ließ. Also behielt David seine Griffel bei sich und starrte weiter zu Brendan. Der Blödmann, der eben inzwischen nicht mehr einfach nur ein Freund oder wenigstens irgendein Typ war, der in Bio bei Frau Tichalek am Tisch vor David saß.
Gelangweilt drehte er den Kuli zwischen den Fingern. Wie so oft in letzter Zeit, schaffte David es nicht, sich auf den Unterricht zu konzentrieren. Aus dem Augenwinkel sah er, wie Tristan neben ihm das aufschrieb, was die Lehrerin vor der Klasse zum Besten gab.
Wenigstens brauchte David sich dank dieses anderen Freundes, um den Stoff keine Gedanken machen. Tristans saubere und ordentliche Handschrift hatte David in den letzten Monaten schon mehr als einmal den Arsch gerettet. Und ihn vor der Peinlichkeit bewahrt, zugeben zu müssen, dass er keinen Plan hatte, was sie im Unterricht behandelt hatten.
Für einen Moment schloss David die Augen und sah auf sein eigenes Blatt zurück. Leer. Weiß. Ein Spiegelbild seiner selbst. Die gleiche Antriebslosigkeit, die ihn im Alltag zu Beherrschen schien, weitete sich in wachsendem Maße auf die dämliche Schule aus. Dabei rückten die Prüfungen stetig näher. Das war David durchaus bewusst. Genauso wie ihm klar war, dass er sich etwas mehr anstrengen musste, wenn er nicht katastrophal durchs Abi rasseln wollte.
‚Wäre nach all den Jahren ziemlich dämlich.‘ Reichte aber trotzdem an den meisten Tagen nicht, um David zu mehr als dem Nötigsten zu motivieren.
Erneut blickte er auf Tristans Blatt. Der schrieb weiter – und garantiert stand dort mehr, als dieser überhaupt nicht kleine Nerd brauchen würde, um sich den Stoff zu merken. Dass Tristan selbst mit der dämlichen Brille verboten gut aussah, machte es nur noch schlimmer. Klug, gut aussehend, beliebt bei allen.
‚Erstaunlich gelenkig für so einen Körperbau‘, zuckte es David durch den Kopf und entlockte ihm damit ein kurzes Schmunzeln.
Dass Tristan nicht nur mit großen Muskeln aufwarten konnte, ließ David für einen Moment auf dem Stuhl hin und her rutschen. Ja, in den letzten Monaten hatte er so einige neue Seiten an seinem Freund dort drüben entdeckt. Und David kam nicht umhin die alle ziemlich gut zu finden. Auf eine ganz eigene Art und Weise – vor allem aber in einem völlig anderen Kontext.
Erneut rutschte David auf dem Stuhl hin und her, bis er sich schließlich dazu entschied, seinen Schritt mit der Linken zurecht zu schieben. Ein leichtes Schnauben war von rechts zu hören. Als David den Kopf in diese Richtung drehte, konnte er sehen, dass Tristan aus dem Augenwinkel seinerseits zurück schielte – ein fettes Grinsen auf den Lippen.
„Halt bloß den Mund“, murmelte David, während er wieder auf seinen Block zurücksah.
„Hab nichts gesagt“, flüsterte Tristan.
Dabei wurde das Grinsen nur umso breiter. Leider war das nicht so nervig, wie David versuchte, sich einzureden. Denn nach inzwischen über einem halben Jahr gehörte das verhaltene Lachen genauso zu seinem Leben wie all die Stunden, die sie gemeinsam im Bett verbrachten.
Bei dem Gedanken an genau diese war David jetzt doch reichlich genervt. Allerdings vor allem von sich selbst. Also tat er das, was er immer machte, wenn er den Kopf freibekommen musste. Er fing an die Karos auf dem Block auszumalen. Eines nach dem anderen, bis die Frage danach, was das mit Tristan nun eigentlich war, wieder im Dunkel seines Geistes verschwunden war. Schließlich wusste David sehr genau, was sie da trieben.
‚Freudschaft mit Sex‘, sagte er sich selbst, nur um prompt zu der Frage zu kommen: ‚Oder Sex mit Freundschaft?‘
Als David aufblickte, wurde er schon wieder mit dem vertrauten Bild von Brendans Rücken konfrontiert. Die Gedanken, was genau er für eine Beziehung mit dem führte, konnte David nicht so einfach vertreiben. Die hielten sich hartnäckig. Nervig – geradezu beschissen. Mit Widerhaken versehene Speerspitzen, die sich jeden Tag aufs Neue in seinen Magen rammten. Weil da neben der Freundschaft kein zusätzliches Attribut mehr auftauchte.
David rieb sich mit der Linken über die Augen und malte weitere Kästchen an – in der irrigen Hoffnung, dass das irgendwann ebenso etwas in Bezug auf Brendan bringen würde. Funktionierte bei allen anderen Themen doch auch.
Bei der dämlichen Schule, die ihm immer mehr am Arsch vorbeiging. Seinen Eltern, die David permanent in den Ohren hingen, dass er sich endlich überlegen sollte, wie es nach dem Abi weiterging. Während sie sich doch eigentlich ansonsten auch nicht für Davids Leben interessierten, sondern lieber arbeiteten oder sich in ‚privaten Auszeiten‘ ohne Kinder erholten. Bei Lehrern, bei denen es mitunter wirkte, als hätten sie selbst keinen Bock mehr, ihnen irgendetwas beizubringen, solange es nicht Teil der Prüfung war.
Aus dem Augenwinkel sah David schon wieder nach rechts, aber er konnte Tristans Gesicht nicht erkennen. Dafür fiel sein Blick erneut auf dessen Block.
‚Wie kann man eine so perfekte Handschrift haben?‘
Die Vorstellung, dass Tristan extra ordentlich schrieb, damit David später die Notizen besser kopieren und das, was er im Unterricht wie so oft verpennt hatte, nachholen konnte, schob er beiseite. Denn das würde ja implizieren, dass Tristan etwas extra für David machte. Was ihn wiederum zu der Frage führen könnte, ob der Mann am Ende womöglich doch mehr als nur ‚Freunde mit gewissen Vorzügen‘ sein wollte.
Das stand nicht auf der Agenda – für sie beide nicht. Jedenfalls nicht, wenn man nach ihrer Abmachung ging.
David unterdrückte ein Stöhnen, verschränkte die Arme auf dem Tisch und legte die Stirn darauf ab. Er fühlte sich so müde, ausgelaugt. Trotzdem drehte er erneut den Kopf, sodass er wieder nach rechts blickte. Diesmal offen sichtbar. Keine bescheuerte Heimlichtuerei. Brachte doch eh nichts.
Mehr als Tristans Stift, wie der über den Block kratzte, sah David jedoch nicht. Weitere Spuren auf dem Papier – Worte erschaffen, wo vorher nur Leere gewesen war. Ein bisschen wie der Besitzer des Stiftes mit jedem Tag mehr Kratzer in David zu Hinterlassen schien. Dabei wollte er das gar nicht. Weil es nervte. Reichlich!
Tristan war ein netter Kerl. Einer von den Guten – in jeder nur erdenklichen Hinsicht. Umgänglich. Freundlich. Abgesehen davon, dass er gut aussah, konnte David sich, was den Sex anging, auch nicht gerade beschweren. Diese unverbindliche Abmachung, die sie vor inzwischen mehr als einem halben Jahr getroffen hatten, funktionierte. Zumindest für David. Denn er wusste ganz genau, wo er anrufen konnte, wenn er zu frustriert war – jemanden brauchte, der ihn festhielt, ihm jeden Gedanken an irgendetwas als den nächsten Orgasmus nahm.
Für eine Sekunde schloss David die Augen, um die Bilder zu verdrängen. Er war inzwischen zu alt, um mit einem Ständer im Unterricht zu sitzen. Und erst recht, wenn der Grund für eben diesen direkt neben ihm saß und sich daraufhin einen ablachen würde. Tristan bildete sich eh schon manchmal viel zu viel darauf ein, dass David immer wieder bei ihm auftauchte, wenn er vögeln wollte. Bei Fremden würde David sich das allerdings nicht trauen.
Hastig öffnete er die Augen. Anstatt Tristans Stift sah er aber erneut dessen Block vor sich. Irritiert überflog David die Worte direkt vor seiner Nase.
‚Willst du heute Nachmittag vorbeikommen?‘, stand da – die Schrift etwas krakeliger als der übrige Text.
Langsam schüttelte David den Kopf, soweit ihm das seine Position erlaubte. Tristan legte den Block wieder hin und schrieb weiter. Kurz darauf wurde das Papier David erneut unter die Nase gehalten.
‚Schon was vor?‘
Diesmal zuckte er mit den Schultern. Wirklich vor hatte David nichts. Zumindest noch nicht. Hieß ja aber nicht, dass sich das nicht ändern konnte. Der Depp da drüben sollte sich bloß nichts einbilden. Um zu wissen, ob er etwas vorhatte, müsste David in der nächsten Pause ohnehin erst einmal mit einem gewissen Herrn reden müssen. Dem Besitzer von dem beschissenen Rücken, den er noch immer vermied anzustarren. Weil’s irgendwann eben doch jemanden auffallen würde. Schließlich war es Tristan auch aufgefallen. Anstatt Brendans Rücken glotzte David also schon wieder auf Tristans Block. Den zierte inzwischen eine hastig hingekrakelte weitere Zeile.
‚Melde dich, wenn du reden willst.‘
David unterdrückte das schnaubende Lachen, das in ihm aufstieg. Als ob sie es sich zur Gewohnheit gemacht hätten, ellenlange Gespräche zu führen. Seine Besuche bei Tristan hatten andere Gründe. Aber über die wollte David ja ebenfalls im Moment nicht mehr nachdenken, also drängte er das Thema zurück in die inzwischen vertraut gewordene Finsternis. Er schloss erneut die Augen und war irgendwann kurz davor wegzudämmern, als die Schulglocke ihn endlich von seinem Leid erlöste.
Darum bemüht, nicht allzu hektisch auszusehen, schob David Block und Stifte in seinen Rucksack. Große Pause, danach noch Ethik und damit wäre der Tag vorerst gelaufen. Die Aussicht, den restlichen Nachmittag entspannt in deutlich besserer Gesellschaft als die seiner Lehrer zu verbringen, ließ Davids Laune wiederum steigen.
-`ღ´-
„Oh, Mann. Wie lange will uns die Tichalek eigentlich noch mit diesem Zeug quälen?“, maulte Brendan, während sie den Gang entlang in Richtung Pausenhof schlenderten.
„Du machst doch eh keine Prüfung in Biologie, also warum hörst du überhaupt noch zu?“, gab David grinsend zurück. „Und für den Notfall hat Tris schließlich die besten Mitschriften – egal in welchem Fach.“
„Streber“, meinte Brendan lachend.
Lächelnd legte Tristan seinen Arm um Brendans Schulter und zog ihn zu sich heran. Während er mit der Hand durch die dunkelbraunen Haare wuschelte, lachte auch er.
David hingegen zog es die Eingeweide zusammen. Diese beiden Männer zählte er zu seinen Freunden. Um genau zu sein, waren die zwei seine besten Freunde – und die einzigen, die auch nur ansatzweise diesen Begriff verdienten. Trotzdem wollte er sie nicht so beschissen nah zusammen sehen. Und schon gar nicht so vertraut. Das da neben Brendan war Davids Platz. Obwohl er sich manchmal nicht sicher war, wie lange das noch so sein würde.
„Du bist so ein Vollpfosten, Bren“, meinte Tristan, weiterhin lachend.
David versuchte, nicht hinzusehen, nicht hinzuhören. Denn wenn er eines wusste, dann, dass Tristans Worte nicht böse gemeint waren. Brendans genauso wenig. Die beiden alberten nur herum. Sie waren schließlich ebenfalls Freunde.
Und vielleicht war es genau das, was David ankotzte. Manchmal zumindest – so wie jetzt. Immer in den Momenten, in denen ihm klar wurde, dass er für Brendan irgendwann nicht mehr der beste Freund sein würde – sondern nur noch irgendeiner unter vielen. Wenn überhaupt. Womöglich ja nicht einmal das.
Früher war das alles einfacher gewesen.
„Was machen wir heute Nachmittag?“, fragte David, während er sich über die müden Augen fuhr. Vielleicht wäre es eine gute Idee, sich hinzulegen. Morgen war schließlich auch wieder Schule und wenn er sein Abi doch noch irgendwie bestehen wollte, sollte er nicht alles schleifen lassen. Sprich, er würde sich zumindest diese unverschämt makellosen Mitschriften des heutigen Tages einmal ansehen müssen.
Tristans Antwort kam wie immer sofort: „Ich habe bisher nichts vor.“
Trotzdem reagierte David nicht, denn derjenige, mit dem er etwas unternehmen wollte, hatte schließlich nicht geantwortet.
„Ich weiß gerade nicht“, antwortete Brendan lächelnd – eine gefühlte Ewigkeit zu spät. David verdrehte die Augen, wusste genau, was kommen würde. Und natürlich kam es – unaufhaltsam, wie ein Güterzug, und genauso schmerzhaft. „Hab noch nicht mit Dalia gesprochen.“
„Brauchst du jetzt schon ihre Erlaubnis, um mit uns was zu unternehmen?“, giftete David zurück, bevor er sich bremsen konnte.
Brendan lachte jedoch nur.
Auch das war ein immer wiederkehrendes Spiel in den letzten Monaten. Er nahm Davids Gekeife nicht ernst, zumindest hatte es Brendan bisher nicht abgeschreckt. Andere hätten das zwischen ihnen womöglich längst aufgegeben. Wer wollte schon mit so einem Blödmann befreundet sein? Als Freund sollte David sich freuen, dass Brendan jemanden gefunden hatte. Ein Mädchen, genau genommen eine Frau, denn Kinder waren sie ja alle nicht mehr. Sie waren erwachsen. Wenigstens wollten sie es sein.
Bis auf David, der wäre manchmal lieber wieder in ihre Kindheit zurückgekehrt. Zurück zu den Jahren, als er mit Brendan Zeit verbringen konnte, ohne sich auf dem Abstellgleis zu fühlen. In denen er nicht teilen musste – nicht einmal wusste, dass da etwas war, das er nur für sich alleine wollte. Eine Zeit, in er keine Angst hatte, ihre Freundschaft zu verlieren.
Brendan würde ihn nicht verurteilen, er wäre nicht angewidert, da war David sich absolut sicher. Aber trotzdem würde sich etwas ändern. Garantiert. Wie könnte es nicht? Egal, wie die Antwort lautete, es wäre danach nie wieder wie früher. Und das machte David mit jedem Tag mehr Angst.
„Wir waren schon eine Weile nicht zusammen im Kino. Wie wäre es?“, schlug Tristan vor.
Wie immer gab der Kerl den Mediator. Die Tatsache, dass die Freundschaft zu Brendan das inzwischen brauchte, versetzte David einen weiteren Stich in den Magen. Noch etwas, das ‚früher‘ leichter gewesen war. Damals, bevor Tristan ihm klargemacht hatte, dass das, was er von Brendan wollte, eigentlich sehr, sehr viel mehr war. Zu viel, angesichts der Tatsache, dass der Blödmann ihnen ständig von seiner Freundin vorschwärmte.
Ja, vielleicht war da eben doch diese Angst davor, dass Brendan ihn nach einem Geständnis ablehnen würde – dass ihre Freundschaft zerbrach und sie für immer getrennte Wege gehen würden. Lieber teilen, als gar nichts haben.
„Kino klingt gut. Dalia hatte letztens irgendeinen Film sehen wollen, ich weiß nicht mehr genau, was das war.“
Obwohl er sich redlich bemühte, es zu unterdrückten, stöhnte David genervt.
„Was ist?“, fragte Brendan und sah dabei so unschuldig aus, wie er vermutlich sogar war.
Achselzuckend stopfte David die Hände in die Hosentaschen und beschleunigte seine Schritte. „Sag halt Bescheid, wenn Mami dich heute rauslässt.“
Das beschissene Brennen in Davids Magen wurde immer stärker, anstatt endlich aufzuhören. Also lief er noch schneller, bis er schließlich aus dem Schulhaus heraus war. Die Frühlingsluft war angenehm. Nicht zu warm, nicht zu kühl, genau richtig, um Davids Gemüt einigermaßen zu beruhigen. Wenigstens das konnte er sich recht gut einreden. Zumindest bis zu dem Zeitpunkt, als Tristan keine zehn Minuten später neben ihm in einer der öffentlich ‚geheimen‘ Raucherecken der Schüler auftauchte.
„War das wirklich notwendig?“
Um nicht antworten zu müssen, holte David eine Schachtel Zigaretten aus dem Rucksack und zündete sich eine davon an. „Was genau?“, nuschelte er mit der Kippe im Mund.
Tristan rollte mit den Augen, lehnte sich neben ihm an die Wand des Schulgebäudes. „Du zickst rum, als würde Brendan dir fremdgehen.“
„Quatsch nicht“, zischte David wütend.
Seufzend schüttelte Tristan den Kopf, schwieg aber. Da er keine Ahnung hatte, was er sagen sollte, hielt auch David seine vorlaute Klappe. Sie wussten schließlich beide, was das Problem war – und dass eine Lösung genauso wenig in Sicht war. Jedenfalls solange er seine Gefühle für Brendan nicht in den Griff bekam.
„Wann hört der Scheiß endlich auf?“, murmelte David leise.
Er war es leid, dass er es nicht schaffte, sich Brendan aus dem Kopf zu schlagen. Diese fixe Idee, die total hirnrissige Vorstellung, dass der genauso wie Tristan reagieren könnte. Dass das, was David mit diesem neuen Freund hatte, auch der alte geben würde.
Aber genau das war eben das Problem. Brendan war sein Freund. Seit Jahren. In solche Leute verknallte man sich nicht einfach. Da gab es bestimmt ein Naturgesetz, psychologische Sperren, irgendetwas, das dem vehement widersprechen würde. Freunde waren Freunde und nicht die Menschen, in die man sich irgendwann verliebte.
Wenn dem so war, weshalb hörte der Schmerz in Davids Brust dann nicht auf? Warum war es so verdammt verletzend, dass Brendan lieber mit Dalia abhing als mit ihm? Eigentlich müsste David sich für seinen Freund freuen könnten. Aber es ging nicht.
„Ich weiß nicht“, hörte er Tristans verhaltene Stimme neben sich. „Vielleicht solltest du anfangen nach vorn, anstatt immer nur zurückzublicken.“
David verzog den Mund und nahm einen weiteren tiefen Zug von seiner Zigarette, bevor er den Kopf zur Seite drehte und Tristan finster anstarrte: „Um was zu tun? Mir auszumalen, wie Brendan sich immer mehr von mir entfernt? Wie er in ein paar Jahren vielleicht mit dieser Tussi von hier wegzieht?“
Mit einem resignierenden Seufzen schüttelte Tristan den Kopf. „Es ist nicht Brendan, der ständig miese Launen und keinen Bock auf ein Treffen hat.“
„Er wird die blöde Kuh mit ins Kino bringen! Als ob es ein verdammtes Date wäre.“
Tristan schnaubte und stand mit einem Mal direkt vor ihm. Er zog David die Zigarette aus der Hand. Der Mistkerl sah sich nicht einmal um, bevor er den linken Unterarm gegen die Wand presste und sich selbst plan an David. Sie waren sich so verdammt nah, dass er für einen Moment tatsächlich glaubte, Tristan würde ihn küssen. Aber dessen Lippen blieben nur Millimeter von Davids entfernt.
‚Keine Dates. Kein Küssen – jedenfalls nicht auf den Mund. Nur Sex‘, zuckten David die Worte durch den Kopf, mit denen sich vor einem halben Jahr sein Leben verändert hatte.
Zu dem Zeitpunkt war er sich nicht einmal sicher gewesen, ob er überhaupt mit einem Jungen Sex haben konnte. Zumal in Tristans Fall die Bezeichnung ‚Mann‘ wesentlich zutreffender war. Eben der schob den Schritt nach vorn, entlockte David damit ein leises Zischen.
Der Mistkerl wusste genau, was er tun musste, um Davids Hormone durchdrehen zu lassen. Im Augenblick war dieser aber zu sauer, um darauf einzugehen. Was dachte der Kerl sich überhaupt? Die Ecke war zwar nicht gerade sehr einsehbar, trotzdem waren sie noch immer mitten auf dem Schulhof. Was, wenn sie jemand sah?
Dummerweise störte das Tristan gar nicht. Er lachte einfach weiter, zog nun seinerseits an der Zigarette. Zu sehen, wie die Lippen, die ihn eben beinahe geküsst hatten, sich jetzt um seine Kippe schlossen, versetzte Davids Magen in ungewollten Aufruhr.
‚Nur Sex‘, ermahnte er sich erneut.
Ganz sicher würde da niemals mehr zwischen ihnen sein. Es war schlimm genug, dass er sich Brendan nicht aus dem Kopf schlagen konnte. Das Letzte, was er brauchen konnte, war, dass sich da noch ein zweiter Depp hinzugesellte.
Missmutig griff David nach der Zigarette, aber Tristan hob schnell den Arm. Sie waren zwar fast gleich groß und somit wäre es vermutlich nicht allzu schwer gewesen, sich die Kippe zurückzuholen. Die Blöße, am Ende womöglich vor Tristan auf und ab zu hüpfen wie der letzte Trottel, wollte David sich aber nicht geben. Also gab er genervt auf.
„Du wirst dich irgendwann entscheiden müssen“, meinte Tristan plötzlich und versetzte David damit einen weiteren kleinen und unschönen Stich in die Brust.
„Keine Ahnung, was du meinst“, murmelte er stattdessen – wohlwissend, dass Tristan die Lüge sofort durchschauen würde.
Tat er schließlich immer. Und genau deshalb war es ja auch so einfach geworden, nach einem Streit mit Brendan zu Tristan zu fahren. Abreagieren, runterkommen, nachdem sie dafür gesorgt hatten, dass der jeweils andere gekommen war. David verzog den Mund. Diese Wortspiele waren selbst für ihn reichlich mies.
„Entweder du willst Brendan als Freund behalten, dann wirst du dich an Dalia gewöhnen müssen. Oder du sagst ihm die Wahrheit und kommst mit der Antwort klar. Heißt schließlich nicht, dass ihr danach keine Freunde mehr sein könnt.“
David schnaubte. Auf diese Art von dämlichen Ratschlägen konnte er verzichten. Ihm war bewusst, dass es vernünftiger wäre, Brendan endlich wieder als das zu sehen, was er war. Schließlich war da nie etwas zwischen ihnen gewesen und dem rationalen Teil in David war vollkommen klar, dass sich das mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht ändern würde.
Brendan würde immer nur den Freund in ihm sehen. Sex stand bestimmt außer Frage. Aber da war so viel Vertraulichkeit zwischen ihnen gewesen – zu viele Berührungen, die David nicht vergessen konnte. Nur diese eine, dieser Kuss, den er eine Zeit lang förmlich herbeigesehnt hatte, der war nie gekommen. Ehe es ihm bewusst wurde, hatte David die Hand gehoben und strich sich mit der Fingerspitze über die Lippen.
„Brendan ist so hetero, wie man nur sein kann“, fuhr Tristan jedoch erbarmungslos fort. „Er will Frau, Familie, Haus mit Garten. Das volle Klischee-Programm. Dann wird er sich die nächsten vierzig Jahre abrackern, um drei Kinder zu versorgen, den Kredit abzubezahlen und irgendwann in Rente zu gehen.“
„Hör auf“, wisperte David. Er wollte diesen Scheiß nicht hören. Gegen die Bilder, die prompt mit Tristans Worten kamen, war Widerstand aber zwecklos.
„Er kann trotzdem dein Freund sein. Und wenn Bren damit nicht klarkommt, ist er es nicht wert, dass du ihm nachrennst, Davi. Andere Mütter haben auch hübsche Söhne.“
David schnaubte und riss den Kopf herum, um Tristan böse anfunkeln zu können. „Wie dich?“, fauchte er wütend. „Willst du jetzt doch nicht nur ficken?“
Tristan zuckte jedoch mit den Schultern. Wenigstens blieb das Grinsen diesmal stecken. „Ich brauch keine Beziehung“, gab er gelassen zurück, zog schon wieder an der Kippe, die der Mistkerl David abgenommen hatte. Dabei rauchte der Depp nicht einmal wirklich.
„Was geht es dich dann an, wenn ich ...“
Davids Stimme erstarb, bevor er den Satz beenden konnte. Was machte er hier eigentlich? Er wusste doch, dass das mit Brendan niemals Realität werden würde – dass Tristan nun einmal genau das aussprach, was David tief in seinem Innersten längst klar sein sollte. Es war sinnlos, hoffnungslos. Und trotzdem konnte sein dummes Herz nicht aufhören, sich einzureden, dass es nur an Dalia lag. Wenn sie nicht wäre, würde Brendan ihn ja vielleicht doch irgendwann so ansehen.
„Wir drei sind Freunde, David. Nicht mehr und nicht weniger. Dein Gezicke ist es, was sich immer öfter zwischen uns schiebt.“
Tristans Stimme war rau. Tief und kratzig – ein Tonfall, der in David widerzuhallen schien, in ihm vibrierte und das Kribbeln im Bauch entfachte. Das gleiche Flattern, das er in dieser ersten Nacht gespürt hatte, die sie zusammen verbracht hatten – und so gar nicht spüren wollte.
„Warum sie?“
Als David aufblickte, lächelte Tristan ihn schief an. „Wenn nicht sie, dann eine andere.“
Leider war es nicht so einfach. Jedenfalls nicht für ihn. Manchmal wünschte David sich, dass er das alles genauso locker sehen könnte, wie Tristan. Seufzend griff er nach dem Rest der Kippe. Diesmal wurde sie ihm nicht entzogen.
„Wird er sie mitbringen?“
Erneut zuckte Tristan mit den Schultern. „Vermutlich.“
David biss sich auf die Unterlippe, nickte aber schließlich. „Sorg wenigstens dafür, dass die keinen Schnulzenfilm aussucht.“
Lächelnd beugte Tristan sich erneut vor und gab David einen Kuss auf die Schläfe.
Der schubste seinen Freund jedoch sofort von sich weg. „Lass den Scheiß. Wir sind hier auf dem Schulhof“, zischte David, mehr darum besorgt, dass sie jemand sehen könnte, als dass ihn Tristans gewohnt gewordene Art wirklich nerven würde.
Lachend schüttelte dieser den Kopf. „Dann sieh zu, dass du nicht zu spät zur nächsten Stunde kommst.“
Damit wandte Tristan sich ab und schlenderte mit den Händen in den Hosentaschen davon.
Betreten sah David ihm nach. Diese Freundschaft plus, die sie pflegten, sollte eigentlich unkompliziert sein – und somit genau das, was er brauchte. Aber manchmal fühlte es sich an, als würde David sich damit nur sein eigenes Grab schaufeln. Wenigstens war das nicht so tief wie der Abgrund, in den er stürzen würde, sollte Brendan jemals erfahren, was er wirklich über ihn dachte.
Vielleicht erledigte sich diese Sache mit Dalia ja, wenn sie endlich mit der Schule fertig waren. Die erste große Liebe hielt doch eh nie. Und die Hoffnung starb bekanntlich zuletzt.