Mit einer kleinen Holzkiste auf dem Schoß saß Lina auf ihrem Bett und blätterte traurig in einem Fotoalbum, in dem all die Bilder enthalten waren, die Lina mit ihrer besten Freundin zeigten. Sie kannten sich seit der ersten Begegnung im Kindergarten und hatten sofort eine ganz besondere Verbindung zueinander gehabt. Sie hatten zusammen die Schule besucht und ihren ersten Liebeskummer zusammen erlebt. Und jetzt war Linda einfach so unglaublich weit weg.
Vor ein paar Monaten war die Ältere mit ihrer Familie in irgendein Kaff am anderen Ende des Landes gezogen und Lina vermisste sie unendlich doll.
Vor allem jetzt, wo sie ein Geheimnis mit sich herum trug, über das sie mit niemandem sonst reden konnte, als mit Linda. Erst recht nicht mit ihren Eltern, da sie unmittelbar davon betroffen waren.
Als ihr Handy klingelte, griff sie direkt danach. Der Name ihrer besten Freundin war zu lesen und alleine dieses eine Wort brachte Lina für einen flüchtigen Augenblick zum Lächeln.
Scheinbar hatte Linda noch immer ein Gespür dafür, wann Lina sie brauchte.
,Ich bin adoptiert!", platzte es sofort aus Lina heraus, kaum dass sie den Anruf schließlich entgegengenommen hatte.
"Hä?", war das Erste, was Linda über die Lippen glitt, als sie die Worte Lina hörte. "Wie kommst du darauf?", schob die hinterher und bekam ein Seufzen zurück.
"Wir .. sollten für Frau Diller einen Stammbaum erstellen und ich habe in Papas Büro meine Geburtsurkunde gefunden. Aber da stehen zwei völlig fremde Namen als meine Eltern", erzählte Lina so schnell, dass Linda ihr kaum folgen konnte.
"Was soll ich denn jetzt machen, Lin?", wollte Lina verzweifelt wissen und stellte die Küste neben sich auf das Bett.
"Mit deinen Eltern reden?", schlug Linda vor und Lina schüttelte sofort vehement den Kopf.
"Und was soll ich ihnen sagen? Dass ich in ihren Unterlagen geschnüffelt habe und dabei auf die Urkunde gestoßen bin? Du weißt doch, wie sehr Papa es hasst, wenn ich einfach so in sein Büro gehe", widersprach Lina und diesmal war es Linda, die seufzte, bevor sie ein paar Augenblicke lang schwieg.
"Nächste Woche sind Ferien und ich wollte dich doch eh besuchen kommen. Was hälst du davon, wenn du das Geheimnis bis dahin für dich behältst und wir dann gemeinsam mit deinen Eltern reden?”, bot Lina ihr an, woraufhin Lina kurz zögerte.
“Ja, ich denke .. “, begann sie und stopfte die Urkunde doch sofort in die Kiste mit dem Fotoalbum, als sie die Stimme ihrer Mutter von unten vernahm.
“Versuch dir nichts anmerken zu lassen, Kleines. Wir telefonieren später nochmal, ja?", hörte sie gleichzeitig die Stimme ihrer besten Freundin, bevor sie nur noch das Tuten in der Leitung vernahm.
Lina seufzte leise und legte das Telefon wieder auf ihr Bett, um nach der Kiste zu greifen. Noch während sie die Kiste wieder im Kleiderschrank verstaute, nahm sie sich vor, das Geheimnis tatsächlich vorerst für sich zu behalten.
Zumindest solange, bis Linda bei ihr sein würde, denn ohne ihren Beistand wollte und konnte sie die komplette Wahrheit nicht herausfinden. Das wusste sie.