9. Hoffnung

„Was ist eigentlich mit dir?“
    „Hm?“ Alec stellt sein Glas auf dem Tisch ab und sieht von Izzy und ihrem Freund weg, die gerade auf der Tanzfläche des Clubs stehen und sich bestens amüsieren. „Was meinst du?“
    „Wir haben neulich über Kiwi und mich gesprochen.“ Magnus nippt an seinem Cocktail. „Aber was ist mir dir? Ich habe Lyle eine ganze Weile nicht mehr gesehen, alles okay zwischen euch?“
    „Oh, ja.“ Richtig. Er hat Magnus nie davon erzählt. „Wir sind nicht mehr zusammen.“
    „Was? Warum? Seit wann? Was ist passiert?“
    „Nichts.“ Alec schüttelt den Kopf. „Es war einfach … es hat sich so ergeben.“ Mehr oder weniger.
    „Hat er Schluss gemacht? Wann? Neulich wart ihr noch so wie immer, was—“
    „Es ist alles bestens zwischen uns“, unterbricht Alec ihn und trinkt wieder von seinem Glas. „Wir sind noch Freunde, wir sind nur kein Paar mehr, das ist alles. Und auch schon eine Weile.“
    „Warum hast du nie was gesagt?“
    „Es erschien mir nicht wirklich wichtig.“ Alec zuckt mit den Schultern. „Zwischen uns ist alles bestens und es hat sich nicht so viel geändert, es schien einfach nicht sonderlich interessant.“
    „Warum genau sollte es nicht interessant sein?“, fragt Magnus. Und dann nach einem Moment: „Wissen die anderen es?“
    „Ja.“ Eindeutig. „Es war ziemlich auffällig, dass wir nicht mehr im selben Zimmer schlafen, also …“
    „Also bin ich der Einzige, der nichts davon wusste?“ Magnus lächelt. „Das verletzt mich.“
    „Tut mir leid, es war wirklich … ich …“
    „Schon gut, das war nicht ernst gemeint.“ Magnus schüttelt den Kopf. „Außerdem habe ich dir ja auch nie gesagt, dass das zwischen Kiwi und mir aus war, vermutlich sind wir einfach nur quitt. Auch wenn ich sagen muss, dass es schon etwas enttäuschend ist, dass du dachtest, es würde mich nicht interessieren.“
    „Würde es denn— Ich meine, hätte es das denn?“
    Magnus lächelt. „Natürlich“, meint er dann, und Alec hält automatisch die Luft an.
    Magnus interessiert es, wenn er Single ist? Wirklich? Warum sollte es das tun? Wenn Alec unglücklich wäre, würde er es verstehen, aber er war nicht unglücklich, also warum genau sollte Magnus— Ist er vielleicht—
    Für einen kurzen Moment sieht Alec etwas wie einen kleinen Hoffnungsschimmer vor sich auftauchen, denn welchen Grund könnte es für Magnus‘ Interesse geben, wenn nicht den, dass er auch generell Interesse an Alec hat, also vielleicht kann das zwischen ihnen doch wieder—
    Aber dann fährt Magnus fort. „Wir sind Freunde, also selbstverständlich interessiert mich, was in deinem Leben passiert.“
    Das Gefühl der Hoffnung ist sofort wieder weg. Was hat Alec auch anderes erwartet? Dass Magnus ihm genauso nachhängt, und Alec noch immer nicht über Magnus hinweg ist? Das ist nun wirklich etwas viel Vorstellungskraft. Alec sollte sich mehr zusammenreißen und aufhören, von seinen eigenen Gefühlen ausgehend zu große Hoffnungen für Unerreichbares zu entwickeln.
    „Du interessierst dich doch genauso für mein Leben, darf ich das nicht andersherum genauso tun?“
    Alec seufzt. „Doch, natürlich.“ Nur, dass Alec eben nicht nur Interesse wegen ihrer Freundschaft hat. Auch wenn er natürlich auch nicht mehr wirklich das Bedürfnis hat, Magnus von sich zu überzeugen … macht es das vielleicht doch zu Interesse aus Freundschaft? Aber er liebt Magnus noch, und nur weil er nicht vorhat, Magnus erneut um eine Chance zu bitten, ändert sich an dieser Tatsache ja nichts, also ist sein Interesse vermutlich doch nicht ganz von derselben Natur … obwohl es vermutlich einfach generell keinen Unterschied macht.
    „Also Lyle und ich sind kein Paar mehr“, gibt Alec überflüssigerweise von sich und zuckt mit den Schultern, „aber abgesehen davon läuft mein Leben eigentlich wie immer.“
    „Also keine negativen Gefühle zwischen euch?“
    „Bisher nicht.“ Oder Lyle ist einfach wirklich gut darin, sie zu verstecken, aber Alec hofft sehr, dass das nicht der Fall ist.
    „Das ist wirklich gut zu hören.“ Magnus stützt einen Ellenbogen auf den Tisch und legt das Gesicht in seine eine Hand, währen er mit der anderen den Strohhalm in seinem Cocktail umrührt. „Und sonst? Keine anderen Leute, die dich interessieren? Was ist mit … ähm … wie hieß er gleich? Dieser blonde Shadowhunter mit den blauen Augen?“
    „Jace?“, kann Alec nicht zurückhalten. „Nicht wirklich.“ Er zuckt mit den Schultern. Und muss im nächsten Moment lachen, als er sieht, wie Magnus ihn anstarrt. „Tut mir leid, vermutlich nicht der beste Witz. Du meinst Keith, aber die Antwort bleibt trotzdem nein. Ich glaube nicht, dass ich aktuell Interesse an irgendetwas Neuem habe.“
    „Warum nicht?“
    Weil er zu viel Interesse an etwas Altem hat, ganz offensichtlich, und weil er sich wirklich schlecht fühlen würde, trotz dieses Wissens irgendeine Beziehung einzugehen. Nicht, wenn er sich so sicher ist, dass seine Gefühle sich nicht ändern werden. Aber das kann er Magnus schlecht sagen. Magnus und er sind gut so, wie sie gerade sind, und egal wie viel Hoffnungen Alec sich gerne machen würde, das wird er trotzdem nicht einfach so zerstören. „Ich brauche einfach eine Auszeit, schätze ich“, meint er stattdessen. „Was ist mit dir?“
    Magnus macht einen nachdenklichen Laut, während er weiterhin seinen Strohhalm durch das Glas rührt und dabei Alec betrachtet. Sehr intensiv betrachtet. Es wäre Alec wirklich lieber, Magnus würde das nicht tun, denn dann würde es ihm eindeutig leichter fallen, das kleine hoffnungsvolle Hüpfen seines Herzens zu ignorieren. Was soll das? Warum sieht Magnus ihn so an, wenn sie doch nur Freunde sind? Und warum kann er es nicht einfach ignorieren, immerhin ist es trotzdem nur ein Blick und der muss wirklich nichts bedeuten. Warum muss er sofort anfangen, da Dinge hineinzulesen? Er sollte sich wirklich mehr zusammenreißen. Und vermutlich etwas sagen, denn Magnus sieht nicht wirklich aus, als würde er es bald tun, also—
    Alec wird zu seiner absoluten Überraschung ausgerechnet von Clary erlöst, die plötzlich wieder bei ihnen am Tisch steht. „Na ihr beiden, alles in Ordnung?“ Sie lässt sich auf ihren Stuhl fallen und greift nach dem Glas, das Jace vorhin zurückgelassen hat.
    Alec hat das sehr starke Bedürfnis, sich zurückzuziehen und Abstand zwischen Magnus und sich zu bringen. Viel Abstand. Umso mehr, umso besser, denn wenn er weiterhin hier sitzt, hat er keinen Zweifel daran, dass jeder ihm ansehen kann, wie sehr er gerade eigentlich lieber näher an Magnus heranrücken würde. Obwohl eine Flucht das vermutlich auch nur auffälliger macht. Verdammt, wieso gerät er denn ausgerechnet in so eine Situation, in der jede Reaktion falsch ist?
    Außer  Magnus‘ Reaktion ganz eindeutig, denn der dreht nur den Kopf zu Clary und lächelt sie an. „Und bei dir? Noch Spaß?“, fragt er zurück.
    Wie schafft er es nur, so ruhig zu sein? Andererseits ist es vielleicht wirklich nicht schwer, ruhig zu bleiben, wenn Magnus diese ganze Situation kalt lässt … Alec sollte wirklich aufhören, sich so schnell mehr zu wünschen. Sie sind Freunde und sie verstehen sich, das sollte ihm eigentlich wirklich reichen.