Sidestorys - Kurzgeschichtensammlung
von Rayne-Sunshine
Kurzbeschreibung
(Der Autor hat keine Kurzbeschreibung zu dieser Geschichte verfasst.)
KurzgeschichteRomance, Fantasy / P18 / Het
18.12.2022
18.03.2023
2
18.664
1
Alle Kapitel
2 Reviews
2 Reviews
Dieses Kapitel
noch keine Reviews
noch keine Reviews
18.03.2023
8.671
Vorwort:
Das nächste Kapitel wird es in zwei Parts geben, weil es sonst einfach zu lang wäre.
Eigentlich wollte ich euch das Kapitel zusammen hochladen, schreibe allerdings noch an der zweiten Hälfte.
Es kann nur leider etwas dauern, bis Teil 2 folgt. Aber es wird kommen.
Dieses Kapitel wurde Beta gelesen von der lieben BlackyShinigami alias meine Broii <3
Du bist Zucker <3. Danke für deine Unterstützung <3
--------------------------------------------------------------------------------------------------------------
2 – So far gone (Part 1)
Will:
~ ca. 1 ½ Jahre später~
„Will! Jetzt spann mich nicht so sehr auf die Folter!“
„Du hast es doch gleich geschafft. Nur noch fünf... vier...“, ich zählte die letzten Stufen, führte sie die Treppen hinunter in den Keller, die Augen mit den Händen verdeckt, leitete sie Stück für Stück auf ihren eigenen Bereich zu, den sie sich so lange gewünscht hatte. Der Raum roch noch leicht nach Farbe. Im Hintergrund lief das Radio, das einen Song von Billy Joel spielte. Das Brummen des Kühlhauses ganz hinten im Raum drang an unsere Ohren und der Duft von Mehl hing wie ein Lockruf in der Luft. Ein paar Kippfenster waren noch geöffnet, sodass man den Klang des Regens vernehmen konnte und den Duft, der sich mit dem von Zitrusreiniger vermischte, den ich noch vor kurzem benutzt hatte, um die letzten Flecken von den Oberflächen zu bekommen.
Ich führte Oz in die Mitte des Raumes, ihre Hände wie ein Schutz auf meinen, die ihre karamellfarbigen Augen verdeckten.
Mittig der Backstube blieb ich mit ihr stehen und wartete.
„Darf ich jetzt endlich gucken?“, hakte sie neugierig nach.
„Das kommt ganz darauf an.“
„Und worauf?“
„Ob du dazu bereit bist.“
Sie lachte herzlich. „Nun lass mich schon gucken.“, rief sie aufgeregt aus. Dass sie bereit dazu war wusste ich allein daran, wie sie an meinen Fingern zupfte.
Ich ließ sie nicht länger zappeln, nahm die Hände von ihrem Gesicht und legte sie ihr stattdessen auf die Hüften. Oz' Blick wanderte über die Edelstahlarbeitsflächen rüber zu den Backöfen und Gärschränken, hinüber zu den Rührschüsseln und Regalen, auf denen Backringe und Kuchenformen in verschiedenen Größen aufgestapelt waren. Sie verstecke ihren überraschten Gesichtsausdruck hinter den Handflächen, machte ein paar Schritte weiter in den Raum hinein und bewegte sich langsam auf die Arbeitsflächen zu. Ihre Finger glitten sanft über das kalte Metall. Als sie sich schließlich wieder zu mir umdrehte, strahlten ihre Augen so hell wie die Deckenlichter.
„Sie ist fertig.“, flüsterte sie voller Stolz.
„Und sie gehört ganz dir, Sonnenschein.“, bestätigte ich ihr zufrieden.
Einen Augenblick später stürmte sie auf mich zu, schlang die Arme so fest um mich, dass mir fast die Luft weg blieb, packte meine Wangen mit beiden Händen und überhäufte mich mit tausenden kleinen Küssen, quer über das ganze Gesicht, bis sie schließlich meinen Mund fand.
„Sie ist perfekt!“, hauchte sie zwischen zwei Küssen. „Du bist einfach der Beste, Will! Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich dich dafür liebe!“
Das musste sie nicht. Ihr Lächeln allein und der Glanz in ihren Augen war alles, was ich brauchte.
Und als sie mir erneut sagte, wie sehr sie mich liebte, wusste ich: Sie sollte meine Frau werden.
~ Einige Tage später ~
„Jetzt mal ganz im Ernst, kleiner Bruder.“, fing Inori an. Ich warf ein „Immer noch älter als du.“ dazwischen, doch er ignorierte mich und redete einfach weiter. „Du bist dir also zu hundert Prozent sicher, dass du ihr nicht vorher einen Song schreiben willst, der deine Liebe zu ihr noch deutlicher macht? Ich kann dir dabei wirklich helfen.“
Ich wechselte den Hörer vom einen zum anderen Ohr, konnte mir dabei gerade so einen genervten Seufzer verkneifen und antwortete ihm stattdessen mit dem selben Argument, wie schon zu Beginn unseres Gespräches. „Das ist nicht ihr Ding. Außerdem weißt du, wie unmusikalisch ich bin.“
„Nichts, was sich nicht mit ein bisschen Übung beheben lässt.“
„Inori...“, mahnte ich ihn an. Natürlich lachte er über meinen kurzen Geduldsfaden.
„Schon gut, schon gut.“, sein breites Grinsen war förmlich durch den Telefonhörer zu sehen, auch wenn er kilometerweit von mir entfernt war. „Ich meine, rein theoretisch könntest du ja auch mit ihr aufs Dach unserer Schule...“
„Würdest du das hier vielleicht mal ein bisschen ernst nehmen?“, unterbrach ich ihn.
„Ich will ja nur herausfinden, ob du es dieses Mal genauso ernst meinst.“
„Wieso „dieses Mal“? Ich hab sie ja zuvor nicht gefragt.“
„Du erinnerst dich hoffentlich, was das letzte Mal passiert ist, als du um die Hand einer Frau anhalten wolltest, kleiner Bruder.“
Ja, daran erinnerte ich mich leider nur zu gut. Und doch gehörte dieser Teil meiner Vergangenheit an. Ich hatte sie hinter mir gelassen, hatte es wie Elsa aus Frozen gemacht, und einfach los gelassen, um mir ein Leben mit dem mir wichtigsten Menschen auf dieser Welt aufzubauen. Nerena war meine Vergangenheit. Oz meine Zukunft. Wieso also noch einen weiteren unnötigen Gedanken an alte Zeiten verschwenden, wenn mir eine strahlende Zukunft bevor stand?
„Das mit Oz ist etwas komplett anderes.“, wand ich ein, „Wir haben in den zweieinhalb Jahren viel durchgemacht, sind zu einer Einheit zusammen gewachsen.“
Sie trägt mein Kind unter dem Herzen, wollte ich noch hinzufügen, besann mich aber eines besseren. Wir hatten bisher noch keinem von unserem Zuwachs erzählt, weil die gefährlichen drei Monate noch nicht überschritten waren. Oder eben, weil wir ihren Besuch beim Arzt heute Mittag abwarten wollten. Sobald wir wussten, dass alles in Ordnung war, hatten wir beschlossen, die gute Nachricht öffentlich zu machen.
„Um es mit den Worten eines kleinen blauen Außerirdischen zu sagen: Oz ist meine Ohana, Inori. Meine Familie.“
„Jetzt erzähl mir aber nicht, dass ihr ein Kind erwartet.“, lenkte er ein und lachte. Mir war definitiv nicht nach lachen. Holy Fuck! Ich hatte doch nicht etwa laut gedacht?
„Wie... kommst du den jetzt darauf?“, fragte ich, versuchte mir mein Unbehagen nicht anmerken zu lassen.
„Keine Ahnung. Vielleicht, weil du neuerdings Disney zitierst? Ist mir mal ganz was neues.“, im Hintergrund hörte ich, wie er in einem Schrank herumwühlte, etwas klimperte wie Glas, dann eine Tür, die zu fiel. „Wenn es so wäre, würdest du mir hoffentlich davon erzählen, kleiner Bruder.“
„Immer noch der Ältere von uns.“, murmelte ich meinen Einwand.
„Unwichtig. Zurück zum Thema: Wirf ihr bloß keinen Ring in den Champagner. Das ist nicht nur Old School. Das ist echt eklig. Keine Frau steht auf Sabber an ihrem Verlobungsring, wenn sie ihn zuvor auch noch halb verschluckt.“
„Du weißt, dass Oz keinen Alkohol trinkt, oder?“, Vor allem nicht in ihrem aktuellen Zustand, fügte ich in Gedanken hinzu.
„Besser für dich, glaub mir.“, schweigen auf der anderen Leitung. Dann: „Kein Antrag in aller Öffentlichkeit. Vermeide Restaurants oder Plätze wie den Stadtpark. Es gibt nichts, was einen mehr stört als Unterhaltungen anderer Leute. Oder den Geruch von Hundehaufen, die ein Tierbesitzer nicht entsorgt haben könnte. Viele Frauen fühlen sich vor Publikum unter Druck gesetzt. Oder du selbst wirst vielleicht so nervös, dass du es dir anders überlegst. Oder schlimmer, du kippst aus den Latschen. Soll ich weiter aufzählen?“
„Ist notiert.“, sagte ich und tippte mir dabei an die Schläfe, auch wenn ich wusste, dass er mich nicht sehen konnte. „Was noch?“
Ich bezweifelte zwar, dass ich ohnmächtig werden würde, aber das musste ich meinem Bruder ja nicht auf die Nase binden. So weich war ich nun auch wieder nicht.
„Schaff' eine entspannte Atmosphäre. Etwas, wo ihr euch beide wohlfühlt. Kaminfeuer, Kerzenschein, leichter Jazz... Lüfte mal die Bude durch, dass sie nicht so nach Kuhstall riecht.“
„Jetzt übertreibst du aber. Nur weil wir auf dem Land wohnen, riecht es nicht automatisch nach dem Innenleben unserer Tiere.“
„Natürlich nicht, Brüderchen.“, warf er ein. „Fang nicht an, um den heißen Brei zu reden. Und fang den Satz bloß nicht an mit „Wir müssen reden“. Damit machst du ihr eher Angst. Leg dir keine Rede zu recht. Du verhaspelst dich sonst nur. Oder es kommt vielleicht ganz falsch rüber. Hab den Ring griffbereit, aber auch nicht so, dass er dir in der Hosentasche feststecken könnte. Ohne Ring ist es nicht das Gleiche, kleiner Bruder. Da kannst du auch gleich einen Blauwal fragen, ob du auf ihm surfen darfst.“
„Du hast dir ziemlich viele Gedanken darum gemacht, wie man es richtig anstellt, kann das sein? Wie war das denn bei dir und Needy? Hast du da auch so viel nachgedacht?“
„Nö! Hab sie einfach gefragt. Ich wusste, sie ist die Richtige. Mehr musste ich dazu nicht wissen.“, ich konnte förmlich vor mir sehen, wie er ungerührt mit der Schulter zuckte. „Übertreib nicht mit zu viel drumherum. Fingerweg von Herzballons und Deko. Und um Himmels Willen, frag sie bloß nicht im Bett danach. Manch einer findet das ja romantisch. Solche Typen glauben aber auch, dass Käse auf Bäumen wächst, weil er in der Sonne reifen muss. Das ist einfach nur primitiv.“
„Jetzt mal ernsthaft, Inori, aber, hältst du mich für einen Höhlenmenschen?“, hakte ich nach, wurde im nächsten Moment jedoch hellhörig, als ich vor der Haustür einen Motor hörte, der abgeschaltet wurde, gefolgt von einer Autotür, die zufiel.
„Na ja, also Höhlenmensch würde ich jetzt nicht unbedingt sagen.“, druckste er herum. „Schwachkopf! Das trifft es eher.“
„Danke, du mich auch.“, brummte ich. „Ich muss Schluss machen. Mein Mädchen kommt zurück.“
„Das solltest du auch nicht zu ihr sagen.“, warf er ein. „Wir hören uns nochmal. Ich hab noch mehr Ratschläge für dich.“
„Natürlich. Wir hören uns. Grüß Mom und Dad von mir.“
Eine Sekunde später hatte er bereits aufgelegt. Genau zum richtigen Moment, als Oz die Wohnungstür öffnete, ihren Schlüssel an den Harken neben der Tür hängte und ihre Jacke abstreifte.
Mit wenigen Schritten war ich bei ihr, nahm ihr wortlos die Jacke ab, die anstatt an der Garderobe auf dem Türgriff landete, griff nach ihren Händen und zog sie an mich. Die Arme fest um sie geschlungen begrüßte ich sie zu erst mit einem Kuss, statt mit Worten.
Als sie ihn nur halbherzig erwiderte, schrillten in meinem Kopf alle Alarmglocken.
„Hey, was ist los?“, hakte ich vorsichtig nach. Ihre Antwort war ein stummer Blick in meine Augen. Wortlos zuckte sie mit der Schulter und schob sich dann an mir vorbei in Richtung Küche.
Weil ich mir ihre Reaktion nicht erklären konnte, und mir nur noch mehr Sorgen machte, folgte ich ihr, blieb am Türrahmen stehen und sah ihr zu, wie sie im Schrank nach ihrer extragroßen Teetasse griff. Ein ganz klares Zeichen, wenn sie etwas beschäftigte, war genau dieses. Ihre XXL-Eulentasse nahm sie nur dann zur Hand, wenn sie ihre Sorgen in Tee ertränken wollte.
„Rozie...“, setze ich an und sie seufzte, wandte sich zu mir und sah mich mit sorgenvoller Miene an. Bevor ich fragen konnte, was ihr auf der Seele brannte, seufzte sie tief.
„Ich... brauche einfach einen Moment, Will.“
„Kann ich in der Zwischenzeit irgendwas für dich tun?“, tastete ich mich langsam heran.
Sie schüttelte den Kopf, senkte den Blick zu Boden, wandte sich von mir ab und schaltete den Wasserkocher aus. Einen Wimpernschlag später war sie auch schon in ihrer Backstube verschwunden.
Ich ließ ihr alle Zeit, die sie brauchte. Kümmerte mich stattdessen um die Dinge, die im Haus liegen geblieben waren. Feilte am Design der Speisekarten für das Café, dass wir bald eröffnen wollten, versorgte unser Pferde mit Brotstücken, die Schweine mit Obst und die Hühner mit gekeimtem Getreide und stieg sogar noch unter die Dusche. Je später es wurde, desto mehr ratterten meine Gedanken um Oz. Die Sonne war mittlerweile am Horizont verschwunden. Der Abend brach an und doch kam Oz in all der Zeit nicht aus ihrer Backstube heraus. Ihr Schweigen bereitete mir Angst. So eine Reaktion hatte ich nach ihrer Vorsorgeuntersuchung nicht erwartet. Dass mein Kopf überhaupt nicht bei der Sache war, erkannten selbst die Hühner.
Das etwas mit unserem Kind sein könnte, machte mich wahnsinnig. Ich verstand ja, dass sie das, was sie beschäftigte, erst einmal verarbeiten musste. Aber konnte sie mir dann nicht wenigstens vorher sagen, was los war? Selbst die Kühe hatten mittlerweile bemerkt, dass etwas nicht ganz stimmte. Trotzdem kam Oz nicht eine Minute aus den Kellerräumen nach oben, um mir Klarheit zu verschaffen.
Ich warf den Müll in die Tonnen, die hinter dem Haus standen, beschloss, dass es Zeit für Feierabend war, auch wenn mein Kopf noch keine Ruhe gab, und entschied mich schließlich dafür, Nägel mit Köpfen zu machen. Den ganzen Mittag stellte ich die unterschiedlichsten Theorien auf, was sie so verschreckt hatte. Langsam wurde es auch mal Zeit für eine Antwort. Ich war deshalb fast schon am durchdrehen!
Oz stand mit dem Rücken zu mir, als ich die Backstube betrat, die Hand in einer Schale versenkt, mit der sie einen Klumpen Teig bearbeitete. Um uns hatte sich der Duft von Schokolade mit dem von Vanille vermischt. Im Ofen backten mehrere Tortenböden fleißig vor sich hin und auf einem Gestell kühlten verschiedene Gebäcke ab.
Heiliger! Damit konnte sie eine ganze Armee versorgen.
Ich versuchte sie nicht zu erschrecken, während sie weiterhin den Teig bearbeitete, als ich leise auf sie zu ging. Überlegte, ob es klug war, ihr einfach die Schürze zu lösen, um mich bemerkbar zu machen. Ihre Lieblingsschürze, die Graue, mit den weißen Sternen. Ich fand sie fürchterlich, doch sie liebte sie über alles, sagte sie mir immer.
Die, die sich um die kleine Kugel an ihrem Bauch schmiegte, wie eine zweite Haut. Mir war gar nicht aufgefallen, dass ihr Bauch sich so deutlich unter dem Teil abzeichnete.
Wenn ich gekonnt hätte, hätte ich ihr schon von Tag Eins an jegliche Arbeit in der Küche oder ihrer Bachstube abgenommen, als sie mir sagte, dass sie schwanger war. Nur, wie wir mittlerweile wissen, lässt mein Mädchen sich in der Sache ganz und gar nicht rein reden. Selbst mit einer Erkältung und 40° Grad Fieber musste sie sich in die Küche stellen. Auch wenn ich mittlerweile sogar ein ganz passabler Koch war, ihre Küche blieb ganz ihr Revier, so wie der ganze Papierkram in meinem Büro mein Reich war.
Sie hatte meine Anwesenheit schon längst bemerkt. Sie seufzte tief, nahm die Hände aus der Schüssel und griff stattdessen nach dem Geschirrtuch, dass am Bändel ihrer Schürze zu ihrer Hüfte hing, um sich daran die Hände abzuwischen.
Liebevoll legte ich die Arme um sie, stützte das Kinn auf ihre Schulter und umfasste ihren Bauch ganz sanft, küsste sie auf die Wange, die Schläfe und den Hinterkopf. Schmiegte mich an sie, als wüsste ich, dass ich sie jeden Moment verlieren könnte. Das Geschirrtuch landete auf der Arbeitsplatte und eine Sekunde später lehnte sie sich mit dem Rücken gegen meine Brust.
„Bist du okay? Du hast noch nichts gesagt, seit du vom Arzt zurück bist.“, ich wählte meine Worte mit bedacht.
Oz senkte den Blick, legte ihre Hände auf meine und schwieg einen Moment. Nach einer Pause seufzte sie müde. „Ich glaube, wir müssen reden, Will.“
„Ist es etwas Schlimmes? Ist was mit dem Baby? Willst du dich setzten?“
Sie schüttelte den Kopf, löste sich aus meiner Umarmung und wandte sich zu mir um. Etwas trauriges lag in ihren Augen, die etwas in meinen zu suchen schienen. „Dem Baby geht es gut, Will. Keine Sorge.“, murmelte sie. „Es ist nur..., dass wir unsere Pläne nochmal überdenken müssen.“
„Wie genau stehen unsere Zukunftspläne mit unserem Baby in Verbindung? Was ist los?“
„Wir bekommen Zwillinge.“
Ein Moment der Stille brach über uns herein, in dem wir uns einfach nur tief in die Augen sahen.
Zwillinge...
Dieses kleine, schlichte Wort hallte in meinem Kopf wieder, wie ein Ohrwurm. Ich bekam das Gefühl nicht los, diesen Augenblick bereits erlebt zu haben.
„Aber das ist doch gut... Oder nicht? Klar, wir brauchen ein Babybett mehr und noch zusätzliche Kleidung und all das. Aber daran ist nichts schlimmes.... Denke ich.“, hörte ich mich sagen und kam mir dabei vor, als würde ich eine Wiederholung dieser Szene im Fernseher ansehen. Als hätte ich diesen Moment schon einmal erlebt.
„Nein, das ist es nicht. Ich mache mir nur ein bisschen Sorgen, ob wir das auch schaffen.“, seufzte sie müde. „Der Aufbau unseres Cafés, zwei kleine Kinder großziehen. Den Verkauf unserer Ernte.“
„Sicher werden wir das, Rozie. Wir sind doch ein Team, oder nicht?“
„Natürlich sind wir das. Es fühlt sich einfach nur so unwirklich an. Bis vor ein paar Stunden war ich einfach nur schwanger. In mir schlagen drei Herzen auf einmal. Wie verrückt klingt das?“
„Nicht mal ansatzweise so verrückt, wie du denkst.“, ich nahm ihre Wangen in beide Hände und hob ihr Gesicht leicht an, um ihr besser in die Augen sehen zu können. „Ich hab schon verrücktere Dinge aus deinem Mund gehört. Zum Beispiel, dass du mich liebst.“
Ein schwaches Lächeln schlich sich um ihre Mundwinkel. „Wie kann es sein, dass du immer solche Sachen zu mir sagst und mich damit auch noch aus meinem Dilemma holst?“
„Weil ich vielleicht genau so verrückt bin, wie die Dinge, die du zu mir sagst?“
„Wie kann es eigentlich sein, dass du so ruhig bleibst bei all dem? Mich hat die Nachricht getroffen wie eine Abrissbirne. Und du... bist so ruhig wie Spülwasser. Zeigst über meine Reaktion so viel Verständnis, dabei konnte ich dir nicht mal sofort sagen, was Sache ist.“
„Weil dich das ganze mehr betrifft als mich. Immerhin trägst du unsere Kinder unter dem Herzen, während ich nur neben dran stehen und zusehen kann. Du hast eben einen Moment für dich gebraucht, Rozie. Das verarbeitet sich nun mal nicht von selbst.“
„Ich fühle mich wie der schlechteste Mensch der Welt!“, seufzte sie tief, krallte sich in meinem Shirt fest, die Nase an meine Brust gepresst.
„Ach Rozie...“, meine Finger strichen über ihren Rücken, ich entlockte ihr ein weiteres leises Seufzen, spürte aber, dass sie sich unter meiner Berührung etwas entspannte. „Können wir es den jetzt ganz offiziell für alle machen? Ich glaube nämlich, dass wir nicht mehr lange verschweigen können, dass da etwas im Anmarsch ist.“
„Henry und Cassie kann man ja auch nichts so leicht vormachen. Trotz der weiten Kleidung.“, nuschelte sie an meiner Brust. Nur mit Mühe konnte ich verstehen, wie sie meine Frage bestätigte. „Ja, wir dürfen jetzt ganz offiziell Freunden und Familie die gute Nachricht überbringen.“
„Sehr schön. Wie sieht's aus, wollen wir dann langsam ins Bett gehen? Es geht auf Mitternacht zu.“
„Ich hab da noch etwas im Ofen.“
Ich grinste und streichelte bestätigend ihre Babykugel. „Das sehe ich, Sonnenschein.“
„Das hatte ich nicht gemeint!“, schimpfte sie belustigt. „Geh ruhig schon ins Bett. Ich brauche hier noch eine Weile.“
„Kann ich dir nicht bei irgendwas helfen? Du weißt, dass ich ohne dich sowieso nicht schlafen kann.“, sie sah zu mir auf, als ich dann noch mit spielerischem Unterton einlenkte: „Wir könnten es auch direkt hier auf der Arbeitsfläche tun.“
Sie schüttelte amüsiert den Kopf. „Manchmal frage ich mich, ob du auch noch was anderes im Kopf hast. Verschwinde aus meinem Arbeitsbereich, du Unmöglicher.“
Mich aus der Backstube werfen war Oz' Spezialgebiet. Daran hatte sie viel zu viel Spaß, wie ich immer wieder aufs neue feststellen musste.
Weil ich genau wusste, dass sie noch eine ganze Zeit mit backen verbrachte, schnappte ich mir im vorbeilaufen aus dem Waschkeller den Korb mit sauberer Wäsche und nahm ihn mit nach oben in unser Schlafzimmer, stellte ihn aufs Bett, schlüpfte in meine Schlafsachen, bestehend aus einer ausgewaschenen Jogginghose und einem weißen T-Shirt, dass zwei Nummern zu groß war, und machte mich daran, die frische Wäsche zusammenzulegen und aufzuräumen.
Dabei ging ich im Kopf noch einmal durch, was mein Bruder mir geraten hatte.
Keine Rede zurecht legen, hatte er gesagt. Kein „Wir müssen reden“ oder ähnliches. Und das dämliche Champagnerglas war sowieso nie eine Option.
Ich wusste ja noch immer nicht, wann ich sie überhaupt fragen sollte! Am morgigen Tag stand ein wichtiges Meeting an, mit den Leuten eines Supermarkts bei uns in der Gegend, die unsere Waren ins Sortiment aufnehmen wollten und die wir zukünftig beliefern würden. Henry und ich hatten dahingehend noch alle Hände voll zu tun. Außerdem mussten wir den Verlobungsring noch vom Juwelier holen, den ich zur Anpassung in Auftrag gegeben hatte, ohne dass sie etwas davon mitbekam. Da konnte ich einfach behaupten, das Meeting hätte länger gedauert. Aber, wie verflucht noch eins, stellte ich die ganze Sache nun an? Inori war mir zwar schon eine gute Hilfe, viel schlauer war ich allerdings immer noch nicht.
Ich seufzte müde, als ich die letzten Kleidungsstücke in den Schrank räumte, den Wäschekorb daneben stelle und mich schließlich aufs Bett fallen ließ. Als könnte sie mir eine Antwort geben, starrte ich an die Decke, hoffte auf einen Geistesblitz, der mir weiter half, bekam aber nichts der gleichen, außer das beklemmende Gefühl, mich im Kreis zu drehen.
Und dann war da auch noch Caleb!
Vor ein paar Tagen hatte ich ihm eine Nachricht zukommen lassen, dass ich ihn in einer wichtigen Angelegenheit sprechen musste. Wie zu erwarten hatte er erst einmal seine Witzchen gerissen, mir dann gedroht, mir den Kopf abzureißen, wenn ich Oz in irgendeiner Weise vor hatte, weh zu tun und mir schließlich versichert, dass er sich die Zeit nahm und mir ein offenes Ohr leihen würde, wenn er einen ruhigen Moment hatte. Das war vor etwa fünf Tagen.
Schlichtweg wollte ich nichts weiter, als ihn um seinen Segen bitten. Wenn man zurück dachte, unter welchen Umständen wir uns das letzte Mal gesehen hatten, ohne seine eigene Hochzeit mit einzuberechnen, war ich mir nicht ganz sicher, ob er meinen Plan gutheißen würde. Auch wenn er immer sagte, er würde nichts im Wege stehen, was gut für Oz war.
Wenn sie mich überhaupt heiraten wollte, ging es mir schlagartig durch den Kopf.
Was, wenn sie Nein sagte?
Daran hatte ich noch keinen Gedanken verschwendet, weil ich automatisch davon ausging, dass sie Ja sagen würde. Was würde es für uns bedeuten, wenn ihre Antwort wirklich mit Nein ausfiel? War es dann einfach noch zu früh dafür?
Etwas kaltes krallte sich um mein Herz wie die Klauen eines Wolfs, eine Welle der Angst brach über mir ein, meine Gedanken wirbelten um dieses eine kleine Wort, dass alles verändern könnte. Ich war nicht bereit dazu, Oz zu verlieren. Die Vorstellung allein reichte aus, um mich in Panik zu versetzen. Was, wenn sie mich überhaupt nicht wollte? Wenn sie mehrere Gründe hatte, nicht weiter gehen zu wollen?
Ich blinzelte mehrmals, versuchte ruhig zu bleiben, meine schlechten Gedanken zu verdrängen. Stellte mir das Gesicht meines Mädchens vor, dass wie durch Magie vor meinen Augen auftauchte. Ihr blondes Haar, dass sie mittlerweile etwas kürzer trug, umspielte ihre Wangen, ihre Stimme klang friedlich in meinen Ohren, wie sie meinen Namen sagte, wie die sanfte Melodie eines Liebeslieds. Bis mir schlagartig bewusst wurde, dass sie wirklich über mir aufragte.
Ich blinzelte ein paar Mal, realisierte viel zu spät, dass sie mit mir gesprochen und dass ich nicht wusste, was sie zu mir gesagt hatte.
„Du hast wundervolle Augen.“, antwortete ich ohne den Kontext zu kennen.
„Das.. ist nett, dass du das sagst, aber das beantwortet nicht meine Frage.“, sagte sie und richtete sich auf. Ich brachte mich in eine aufrechte Position und versuchte, nicht ganz so ertappt zu wirken, wie ich mich fühlte. Ich holte gerade Luft, als sie mir zuvor kam.
„Ich wollte eigentlich nur wissen, ob du den Wecker schon gestellt hast und wann du morgen aus dem Haus musst.“
„Aus dem Haus?“
„Das Meeting mit diesen Supermarktleuten. Hast du das etwa vergessen?“
„Ach das meinst du.“, einen Moment lang hatte ich geglaubt, sie wusste über meinen Plan Bescheid, weil ich womöglich laut gesprochen hatte. „Wecker ist gestellt. Morgen um halb elf ist der Termin.“
„Geht es dir nicht gut? Du siehst ein bisschen blass aus.“, sie hob die Hand und befühlte meine Stirn, dann meine Wangen mit dem Handrücken. „Hoffentlich brütest du mir nichts aus.“
„Ich werde nicht krank, Oz. Keine Sorge. Ich werde nie krank.“, versuchte ich mich herauszureden, nahm ihre Hand und führte sie zu einem Kuss an meine Lippen. Ich küsste jeden ihrer Fingerspitzen einzeln, fühlte mich gleich viel besser, weil ich wusste, dass sie in meiner Nähe war. Genoss die Röte auf ihren Wangen, die ich ihr allein durch meine Berührung ins Gesicht zauberte. Dass ich diese Wirkung nach all der Zeit immer noch auf sie hatte, erwärmte mir das Herz.
„Ich erinnere dich daran, wenn du mit Fieber flach liegst und dich nicht mehr rühren kannst.“, lenkte sie ein, hauchte mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange und löste sich von mir, um sich fürs Bett fertig zu machen.
„Möglicherweise sind das einfach Entzugserscheinungen.“, schlechte Ausrede, aber immerhin besser, als dass sie von meinem Plan rund um das Thema erfuhr.
Als ich erfahren hatte, dass Oz schwanger war, hörte ich von einem Moment auf den nächsten mit dem rauchen auf. Als wir noch in Shadow Cove gelebt hatten, hatte ich ihr erzählt, dass ich in dem Moment damit aufhören würde, wenn ich wusste, ich würde Vater werden. Damals glaubte ich noch, dass das niemals eintreten würde. Da war der Gedanke an Kinder und die Planung einer Zukunft mit ihr oder ohne sie, noch weit entfernt.
Zwischenzeit hatte ich das sogar fast vergessen.
Das sich aus uns mal etwas so ernstes entwickeln würde, als ich ihr vor gut zwei Jahren begegnet war, hätte ich nie erwartet. Und als sie mir vor ein paar Monaten erzählte, dass wir ein Kind bekommen würden, hatte ich die paar Zigaretten, die ich noch besaß in eine Schublade in meinem Schreibtisch verschwinden lassen und sie seit dem keines Blickes mehr gewürdigt.
Der Entzug fiel mir keinesfalls schwer. Ich verschwendete keinerlei Gedanken mehr an die Schachtel in meinem Büro. Entzugserscheinungen hatte ich erst recht keine. Aufhören fiel mir so leicht wie Wasser trinken. Eine bessere Ausrede war mir schlichtweg nicht eingefallen.
„Du weißt aber, dass ich Verständnis dafür habe, wenn du nach und nach aufhörst. Und nicht von Null auf Hundert.“
„Glaub mir, so ist es besser.“, ich schlug die Bettdecken zur Seite und bedeutete ihr, auf meine Bettseite zu kommen. Sie krabbelte zu mir herüber, kuschelte sich an mich und ich deckte uns beide bis zu den Schultern zu, legte die Arme um mein Mädchen und konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen, als sie ihren Kopf an meine Brust schmiegte.
„Schlaf schön, mein Blumentöpfchen.“
„Nennst du mich nochmal so, haue ich dir sämtliche Backbleche um die Ohren, die wir im Haus haben.“, murmelte sie gähnend. Ich lachte leise über ihre Bemerkung, küsste sie sanft ein letztes Mal aufs Haar und schnippte dann ein Mal mit den Fingern. In Sekunden war das Licht erloschen.
Ich betrat mein Jugendzimmer, erblickte Oz, die nachdenklich aus dem Fenster schaute, den weißen Vorhang zur Seite geschoben. Sie verfolgte etwas mit den Augen und ich trat an sie heran, um selbst zu sehen, was es da draußen interessantes zu sehen gab. Ich berührte sie an den Schultern und sie löste ihren Blick, um mir ihre volle Aufmerksamkeit zu schenken. Meine Hände glitten über ihre Schultern die Oberarme hinab, bis ich ihre Finger an meinen spürte, sie miteinander verschränkte, sie an mich zog, um sie in die Arme zu schließen. Behutsam hauchte ich ihr einen Kuss aufs Haar, glücklich über ihre Nähe, um im nächsten Moment festzustellen, dass sie am ganzen Leib zitterte.
Mein erster Gedanke war, dass etwas mit den Babys sei. Dass es ihr nicht gut ging.
Zaghaft hob ich ihr Kinn an, sah ihr in die Augen, legte eine Hand an ihren Bauch und musste feststellen, dass da keine Rundung war.
Kälte durchfuhr meinen Körper, Gänsehaut breitete sich aus. Panik erfasste mich und ich blickte Oz in die Augen, die fernab ihres natürlichen Karamelltons waren. Stattdessen war da ein sattes grün, eine schwarze Brille. Ihr blondes Haar war mit einem Mal schokoladenbraun. Ich blickte nicht in das Gesicht meiner Rozie. Ich blickte in das Gesicht einer Vampirin, die mir schon vor Jahren das Herz gebrochen hatte.
„Will... ich kann dich nicht heiraten. Versteh doch...“, Nerena sah mir tief in die Augen. Ihre Worte hinterließen einen bitteren Beigeschmack in meiner Kehle, die sich wie zugeschnürt anfühlte. „Ich... ich habe keinerlei Gefühle mehr für dich.“
Mein Mund fühlte sich trocken an. Kein Ton kam mir über die Lippen. Stattdessen hob ich unsere Hände an meine Brust, ein schwacher Versuch sie zu halten. Sie daran zu hindern, mich zu verlassen, wie sie es schon einmal getan hatte.
„Sag das nicht... wirf das nicht einfach alles weg. Bitte, gib nicht all das auf, was wir zusammen erlebt haben, wofür wir gekämpft haben!“
Und im nächsten Moment teilte sich Nerena in zwei, spiegelte sich in ihr komplettes Gegenteil. Sie standen beide vor mir, Oz und Nerena, beide mit tränenüberströmten Wangen, die Augen rot vom weinen. Oz die Hände auf ihren flachen Bauch gelegt.
„Wann wirst du endlich verstehen, dass das hier niemals funktionieren wird?“, sprachen beide Frauen wie aus einem Mund. „Du bist blind, Will. Blind für die Wahrheit. Blind für das Leben. Hast du immer noch nicht verstanden, dass es für dich kein Happy End geben wird?“
Ihre Tränen färbten sich pechschwarz, fielen wie Beton zu Boden und formten daraus eine Gestalt, drahtig und lang, wie ein Schatten mit ovalen, gelben Augen, einem breiten Mund und scharfen Zähnen. Sein Blick war eisig, tauchte mein Zimmer in eine kalte, verlassene Höhle.
Von meinem Jugendzimmer war jetzt nichts mehr zu erkennen. Oz und Nerena standen hinter meinem Dämon mit glasigem, leeren Blick, als hätte man ihnen die Seele aus dem Körper gesaugt und nur noch eine leere Hülle übrig gelassen.
„Hast du es immer noch nicht verstanden?“, zischte das Wesen, umkreiste mich dabei wie eine Schlange seine Beute. Ich konnte mich nicht bewegen, bekam nur mit größter Mühe Luft. Seine kalten Klauen legten sich um meine Schultern, glitten hinauf zu meinem Kopf, um mich zu packen, damit ich ja den Blick nicht von den beiden Frauen abwandte. „Sieh sie dir genau an. Sieh dir an, was du niemals haben wirst. Sie werden niemals dir gehören. Sie werden dir niemals Liebe schenken. Du bist es nicht wert, Willis. Du bist ein Nichts!“
Nichts!
Nichts...
Nichts...
Lauter Donner ließ mich kerzengerade hochschrecken. Dicke Schweißperlen liefen mir kalt den Rücken herunter. Mein ganzer Körper wurde von Panik erfasst und ließ mich erzittern wie eine Baumkrone bei starkem Sturm.
Nichts!, echote es in meinem Kopf, packte meinen bebenden Körper. Mir wurde kälter und kälter, als hätte ich mich nackt in einen gefrorenen See gestürzt. Etwas krallte sich an mir fest, versuchte mich in seinen eisigen Bann zu ziehen, wie Fesseln, die sich immer straffer um meine Gelenke wanden. Mich hinabreißen wollten, in seinen tiefen Abgrund.
Atmen wurde zur Last, ich bekam kaum noch Luft. Presste die Augen fest zu, um den Anblick der Schattengestalt zu vertreiben. Bullshit, das machte es nur noch schlimmer!
Diese Augen... Diese stechend gelben Augen, erfüllt mit Schadenfreude und Gewissheit. Und diese tiefe blecherne Stimme, wie sie unheilverkündend und selbstzufrieden in meinen Kopf eindrang.
"Wann wirst du es endlich verstehen?"
Ich wollte mir die Hände gegen die Schläfen pressen, die Stimme vertreiben, die lauter dröhnte als alles andere, konnte es aber nicht, weil mich etwas packte, meine Hände nach unten drückte.
Wenig später spürte ich eine Bewegung neben mir, etwas... Jemand, der auf meinen Schoß kletterte, dann meine Wangen packte und mich zwang, den Kopf zu heben.
Wärme strömte in meinen Schädel, erleuchtete mir die Sicht, wie eine Laterne auf dem Nachhauseweg, vertrieb den Schatten und die kalten Augen aus meinem Traum.
"Will, ich bin da. Hörst du?", als würde jemand einen Lautsprecher langsam wieder aufdrehen, erreichte mich Oz' Stimme wie ein seichter Wind. "Sieh mich an. Mach die Augen auf."
Und ich tat, was sie sagte, kämpfte gegen meine Angst an und öffnete blinzelnd die Augen, sah tief in die ihren, die vor Sorge betrübt waren.
"Du bist hier...", ich erkannte meine eigene Stimme nicht mehr, so rau und schwach.
Oz nickte, streichelte mit den Daumen über meine Wangen.
"Ich bin immer hier. Ich lasse dich nicht allein.", wisperte sie zaghaft.
Langsam ließ die Anspannung nach, ich lockerte die Finger, die sich in die Matratze verkrallt hatten und schlang die Arme fest um sie, stieß einen erleichterten Seufzer aus, als sich der Schleier aus Angst und Verlust löste. Ich sah nur noch sie. Ihre goldenen Locken, ihre schimmernden Augen in der Farbe von flüssigem Karamell. Ihre geschwungenen, zarten Lippen und ihre niedliche Stupsnase.
"Was ist passiert?", fragte sie vorsichtig.
"Es ist wieder da. Das Monster in mir drin, Oz. Mein Dämon, er..."
"Schsch...", unterbrach sie mich, ließ ihre Finger beruhigend durch mein Haar gleiten. "Er kann dir nichts tun, Will. Solange ich hier bei dir bin, wird er nicht an dich heran kommen."
Schweigen durchzog die Stille im Raum. Begleitet von stürmischem Regenschauer und fernem Gewitter klammerte ich mich an ihr fest, hielt sie, atmete ihren Duft ein und fühlte mich fast schon wieder ein bisschen normal.
„Es war ein Traum, Will.“, Oz' Flüstern vermischte sich mit dem Prasseln des Regens an der Fensterscheibe. Ein Traum... Holy fuck, und was für einer!
Von dem Unwetter der letzten Nacht, war am nächsten Morgen nichts zu sehen. Die Sonne ging über den Feldern auf, tauchte den Tag in wohlige Wärme. Der Frühling zeigte sich von seiner schönsten Seite, weckte die ersten Osterglocken aus ihrem Tiefschlaf und verlieh der Morgenluft diesen blumigen Duft nach Weichspüler.
Ich betrachtete mich und meine Augenringe im Spiegel, richtete mir den Kragen meines Hemdes, rückte die Krawatte zurecht, die einen farblichen Kontrast zu meinem weißen Oberteil und der schwarzen Tinte auf meiner Haut bot.
Trotz der tröstenden Worte meiner Freundin hatte ich in der Nacht noch lange über meinen Traum nachdenken müssen. Fand dadurch weniger Schlaf als gewollt und war hinterher keinen Deut schlauer.
Mom hatte mir mal erklärt, dass sich das Virus, dass wir beide in uns tragen, von Angst ernährt. Sie hätte es in ihrer Jungend beinahe in den Tod getrieben. „Hätte dein Vater mich nicht rechtzeitig weggezerrt, wäre ich den Balkon in meinem Zimmer herunter gesprungen.“, hatte sie mir erklärt, da machten sich die ersten Anzeichen der Stimme in meinem Kopf bemerkbar. Die Angst wuchs noch weiter an. Ich fütterte meinen Venom nur noch mehr und er freute sich, wuchs und wurde stärker, weil ich nicht sterben wollte. Weil ich noch ein Junge war, der sein ganzes Leben vor sich hatte. Der etwas von der Welt sehen und seine eigene Zukunft gestalten wollte.
Wenn ich an die Zeit zurück dachte, die ich damit verbrachte, meinem Dämon gerecht zu werden, wie ich ihn immer und immer mehr in mein Leben eingreifen ließ, und wie er immer mehr die Oberhand gewann, stellte sich in mir die Frage, wie ich bis heute überleben konnte.
Hätte er auch zu mir gesprochen? Mir dazu geraten, mich vom Dach zu stürzen? Oder hatte er in mir etwas ganz anderes gefunden? Wieso brachte er mich nicht soweit, wie er Mom gebracht hatte?
Seit Oz in mein Leben getreten war, wurde er ruhiger, verschwand fast gänzlich, meldete sich nicht weiter zu Wort. Gab nur hin und wieder eine dämliche Bemerkung von sich.
Seit wir Shadow Cove verlassen hatten, war dies das erste Mal, seit er sich zeigte. Und ich meine, sich in irgendeiner Form zeigte. Bisher hörte ich nur seine Stimme. Ihn jetzt zu sehen, wie einen Horrorclown, der dir gleich die Haut vom Gesicht fressen wollte, machte etwas mit einem.
Ich wollte nicht über ihn nachdenken, und doch tat ich es, weil ich nicht wusste, was das zu bedeuten hatte. Ein schlechtes Zeichen vielleicht?
Ich drängte die Gedanken an ihn in die hinterste Ecke in meinem Kopf, versuchte mich auf heute zu konzentrieren. Das Gespräch mit diesen Vertreterleuten, die Ringe beim Juwelier abholen, dann nach Hause zurück fahren, die Tiere versorgen und schließlich ein paar Sachen packen, um übers Wochenende bei Mondgesicht und seinem Zwerg vorbei zu schauen. Das sollte zu machen sein. Und wenn nicht, würde ich mir einen Notfallplan einfallen lassen müssen.
Ich ging in die Küche, schnappte mir beim rausgehen noch mein Jackett vom Türgriff, streifte es im laufen über und trat zu Oz, die meine stillen Gebete nach Kaffee schon aus der Ferne erhört haben musste. In der Küche duftete es bereits herb nach gemahlenen Kaffeebohnen und süß nach Pancakes, die sie zum Frühstück auftischte.
Oz schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln, als sie mich in die Küche kommen hörte. Ich hauchte ihr einen Kuss auf den Mund und setzte mich dann ihr gegenüber an den Tisch. Ich musste gar nicht nach Milch und Zucker fragen, weil mein Mädchen mir das schon abgenommen hatte. Also trank ich einen großen Schluck, seufzte zufrieden über meinen Lebensretter und danke dem heiligen Batman, dass er mir den Weg zu ihr gezeigt hatte.
„Habe ich schon mal erwähnt, dass du wundervoll bist?“, fragte ich glückselig, stellte meine Tasse wieder ab und grinste aufmunternd.
Sie lächelte liebevoll. „Mehr als ein Mal, mein Monsterchen. Sag das ruhig noch öfter.“
„Du bist wundervoll.“, wiederholte ich und sie lächelte. „Habe ich dir heute schon gesagt, wie sehr ich dich liebe?“
„Nein, tatsächlich hast du das noch nicht.“, kicherte sie über den Rand ihrer Teetasse. Ich ließ mein Frühstück Frühstück sein, lief zu ihr herüber und kniete mich vor sie, legte sanft die Hände an ihre Hüften und küsste ihren Bauch, ein Mal und noch ein zweites Mal, bevor ich zu ihr aufsah. Und ich schwöre bei Gott, hätte ich diese verdammten Ringe schon hier, hätte ich sie in diesem Moment gefragt, ob sie meine Frau werden wollte.
„Ohne Ring ist es nicht das gleiche, kleiner Bruder.“, hatte Inori am Telefon gesagt. „Da kannst du auch gleich einen Blauwal fragen, ob du auf ihm surfen darfst.“
Keine Ahnung, warum er mir auf die Art sagen wollte, dass es sonst Schwachsinn war. Er hatte nun mal seine eigene Art, einem Dinge mitzuteilen.
„Ich liebe dich, mein Buttercremetörtchen.“, sagte ich stattdessen, schob den Gedanken an meinen Bruder bei Seite und begegnete ihrem kritischen Blick.
„Backbleche, Will.“, erwiderte sie in einem halb belustigten und halb tadelnden Ton. „Wir haben viele davon. In allem möglichen Größen. Fordere es nicht heraus. Ich bin zwar schwanger, aber nicht unfähig, dich zu verhauen, wenn es sein muss.“
Ich lachte und stand auf. „Ist ja schon gut. Ich liebe dich trotzdem, mein Sonnenschein.“
„Schon besser.“, grinste sie. „Ich liebe dich auch, Monsterchen.“
Wir frühstückten gemeinsam, gingen den Plan für den Tag durch, besprachen die letzten Kleinigkeiten und fertigten eine Liste an, mit allem, was noch zu erledigen war, bevor wir über das Wochenende wegfahren würden, bis Henry freudestrahlend zur Tür herein kam, in der Hand einen Thermobecher und auf der Nase eine schwarze Sonnenbrille.
„Hast du 'nen Kater?“, hakte ich nach. Die Sonnenbrille war untypisch für ihn. Bisher hatte ich nur ein Mal mit angesehen, wie er eine trug. Und das nur, weil er sich komplett abgeschossen hatte, nach einem riesigen Streit mit Cassie, nachdem nicht sicher war, ob für die beiden überhaupt noch eine Chance bestand.
„Möglich.“, murmelte er. „Möglicherweise haben wir meine Schwiegermutter zu Besuch. Und möglicherweise flüchte ich über das Wochenende zu euch, bevor ich sie wie dieses Haus in dem Kinderfilm an tausenden Ballons binde und in die Luft jage, damit ich die nächsten achtundvierzig Stunden überstehe, ohne selbst in die Luft zu gehen.“
„Fühl dich wie zu Hause, Mann.“, ich klopfte ihm mitfühlend auf die Schulter und nickte in Richtung des Thermobechers. „Da ist hoffentlich Kaffee drinnen.“
„Möglicherweise.“, wiederholte er. „Tun wir einfach so, als wäre es Kaffee und denken uns den Schuss Whiskey weg, der mir „versehentlich“ reingefallen ist.“ Er malte tatsächlich Anführungszeichen in die Luft, als er „versehentlich“ sagte.
Oz rümpfte die Nase. „Ist sie...?“, der Rest ihrer Frage blieb unausgesprochen.
Mein Nachbar nicke. „Ja, ist sie! Und wie fürchterlich sie ist!“
Oz warf ihm einen mitfühlenden Blick zu, dann einen auf die Uhr an der Wand. „Ihr müsst los, ihr beiden.“.Mein Blick folgte ihrem zur Uhr. Wenn wir alle rote Ampeln mit einberechneten, sollten wir eine knappe halbe Stunde bis zur Stadt brauchen.
„Jupp! Wird Zeit.“, Henry grinste, hob seinen Becher wie zum Tost in die Luft. „Wünsch uns Glück, kleine Drachenlady. Ich warte draußen auf dich, mein geflügelter Freund.“ die letzten Worte richtete er an mich und war kurz darauf im Wohnzimmer verschwunden.
Ich wandte mich an mein Mädchen, beugte mich leicht zu ihr und wollte ihr gerade einen Abschiedskuss geben, da rief er auch schon nach mir. Ein munteres „Kommst du?“ hallte aus dem Raum nebenan und, anstatt meinem Mädchen einen Kuss zu geben, warf ich einen Blick über die Schulter zu ihm.
„Ja, schon gut.“, warf ich ein und wandte mich zum gehen. Ohne es bemerkt zu haben, hatte Oz nach meiner Krawatte gegriffen, hielt mich vom gehen ab und zog mich zurück, packte meinen Kragen, drehte sich mit mir, drückte mich zur Wand und gab mir einen ordentlichen Abschiedskuss, der mir die Sprache verschlug.
„Pass auf dich auf, Monsterchen.“, hauchte sie zart an meine Lippen. „Ich liebe dich.“
„Großer Gott, und ich dich erst!“, murmelte ich sprachlos.
Sie biss sich spielerisch auf die Unterlippe, lächelte ganz schwach und raunte mir ein samtweiches „Du gefällst mir im Anzug.“ zu. Ich schmolz wie Schokolade in der Sonne bei diesem Anblick. „Komm mir heile wieder nach Hause.“
„Hey, Aushilfs-Tinkerbell! Die Zeit drängt!“, rief Henry wieder.
„Na los, geh schon!“, sie strich mir den Kragen glatt, dann entließ sie mich mit einem verspielten Lächeln.
„Die sind wirklich schön.“, er betrachtete die Ringe in der kleinen Schachtel genauer, drehte sie dem Sonnenlicht entgegen, das durch die Scheiben hereinfiel, las die Inschrift zum wiederholten Mal, die ich eingravieren lassen hatte. Ein winziger Kompass, daneben die Worte „Guide me“ in meinem Ring und ein Anker, daneben die Worte „Hold me“ in ihrem Ring. „Du hast wirklich Geschmack. Also, wenn sie Nein sagt, dann liegt's daran, dass du schlecht im Bett bist, mein Freund.“
„Ich bin ein wunderbarer Liebhaber, danke der Nachfrage.“, lachte ich. „Oz hat mal gesagt, wenn sie irgendwann ein Partnertattoo haben würde, dann genau das. Ich fand die Idee eigentlich ganz schön. Ist nur leider noch nichts draus geworden. Vielleicht zum ersten Hochzeitstag.“
„Vielleicht?“, Henry ließ die Schachtel geräuschvoll zuschnappen und legte die Ringdose in den Becherhalter zwischen uns. „Hast du's dir etwa anders überlegt?“
„Scheiße, nein!“
„Aber?“
Ich atmete geräuschvoll ein, hielt die Luft an und stieß sie wieder aus. „Ich hab eine scheiß Angst vor ihrer Antwort. Davor, dass sie wirklich Nein sagt.“
„Wieso sollte sie denn? Nach dem, was da vorhin in der Küche abging, bezweifle ich das.“
„Das hast du gesehen?“
„Das WAR nicht zu übersehen.“, lachte er auf. „Jetzt mal im Ernst. Nenn mir einen guten Grund, wieso sie dich nicht heiraten sollte? Einen Guten, Will.“, warf er betont hinterher, während ich Sage über die Landstraße lenkte. Ich dachte nach, hörte Adam Lambert im Radio zu, wie er „Whataya want from me“ sang, der Radiosprecher das nächste Lied ankündigte und eine schrille hohe Stimme „Dance Monkey“ anstimmte. Dachte an meinen Traum und die Kälte, die mich erfasst hatte.
„Na, siehst du? Da ist kein Grund. Du überlegst zu lange, mein geflügelter Freund.“, er drehte das Radio ein wenig leiser, warf einen kurzen Blick aus dem Fenster und wandte sich dann wieder zu mir. „Wann willst du mir eigentlich verraten, dass sie schwanger ist?“
Ich wäre vor Schreck fast auf die Bremse gestanden, trat stattdessen aus Reflex das Gaspedal durch, faste mich aber schnell wieder und sah meinen Nachbarn wohl mit großen Augen an. Der grinste nur so breit wie ein Esel.
„Woher...?“
„Mir entgeht eben nichts, mein Glitzerbuddy.“, er lehnte sich entspannt in seinem Sitz zurück, und wenn er gekonnt hätte, hätte er jetzt bestimmt die Arme hinter dem Kopf verschränkt. „Ich hab es schon vor etwa drei Monaten bemerkt, als du dachtest, sie wäre krank. Und du mir erzählt hast, sie war so neben der Spur, dass sie sogar ihre Rezepte vergeigt hat, die sie normalerweise im Schlaf perfekt umsetzt. Deine Reaktion hat meine Vermutung nur bestätigt.“
Ich atmete tief durch und hielt vor einer roten Ampel. „Wir wollten noch warten, bis wir ganz sicher sind, dass alles in Ordnung ist. Wir haben gestern erfahren, dass es Zwillinge werden.“
Stille, dann versetzte Henry mir einen spielerischen Boxer gegen den Oberarm. „Du bist ein ausgefuchster Hund! Damit rückst du jetzt erst raus?“
„Wir wissen es ja auch erst seit ein paar Stunden.“, murmelte ich und fuhr weiter.
„Das ist aber nicht der Grund, wieso du sie heiraten willst, oder?“
„Was? Nein!“, warf ich ein. Ein bisschen zu schnell. „Ich will sie heirate, weil sie mein Lebensinhalt ist. Weil ich mit ihr alt werden will. Weil...“
„ Sie dein Sonnenschein ist.“, beendete er meinen Satz. „Keine Sorge, ich wollte nur auf Nummer Sicher gehen. So hätte ich dich auch nicht eingeschätzt. Ich werde es Cassie auch nicht sagen. Das überlasse ich ganz euch. Solange mein Schwiegermonster im Haus ist, werde ich sowieso keine anständige Unterhaltung mit ihr führen können.“
„Ist ihre Mutter wirklich so schlimm?“, hakte ich nach.
Er schnaubte ergeben. „Du hast ja keine Ahnung. Sie kam mit der Begründung vorbei, dass sie Urlaub macht und bei uns „zufällig“ in der Nähe war. Natürlich, weil man im Handgepäck auch grundsätzlich immer einen Ordner mitschleppt, in der potenzielle Partner mit ausgefülltem Bewerbungsbogen aufgelistet sind, die „Gut genug für ihre einzige Tochter“ seien.“
„In deinem Beisein?“
„In meiner verdammten Küche, während ich mir anhören durfte, dass sie noch nie so unglücklich ausgesehen habe. Und dass ihr „richtiges Zuhause“ nur auf sie wartet.“
„Holy fuck...“, fluchte ich leise.
„Das kannst du laut sagen. Wenn ich Cassie nicht versprochen hätte, ruhig zu bleiben, hätte ich sie schon lange vor die Tür gesetzt. Oder sie zu Schweinefutter verarbeitet.“
„Und Cassie? Wie geht sie damit um?“
Henry lächelte, erst ein wenig verträumt, dann voller Stolz. „Großer Gott, sie ist einfach großartig! Ihr genauer Wortlaut war „Ich bin zu Hause, mit dem einzigen Menschen, der nicht gut ist, sondern perfekt.“. Hat ihr natürlich nicht gepasst, der alten Hexe. Seit dem fällt eine abfällige Bemerkung nach der nächsten, kaum dass ich anwesend bin. Als wäre ich ihr Haussklave.“
„Ich könnte dir helfen, ein paar Rachepläne zu schmieden.“
„Keine Sorge, da war ich schon weitaus schneller als du, mein geflügelter Freund.“, er grinste diabolisch, als wir auf dem Parkplatz vor meinem Haus parkten.
Henry und ich verabschiedeten uns vor der Tür, er eilte seiner Freundin zur Rettung und ich hängte im vorbeigehen meine Autoschlüssel an den Haken neben der Tür, folgte dem Klang des klingelnden Telefons und sah nach, wer sich hinter dem Anruf verbarg.
Ich holte tief Luft, starrte das Display an und ließ den Finger über dem grünen Hörer schweben.
Holy! Es war nur Caleb! Wieso war ich vor diesem Anruf so verdammt nervös?
Weil wir ihn und sein Zwerg morgen Besuchen wollten? Weil Oz es für richtig hielt, ihm persönlich die gute Nachricht zu überbringen und dass er mir vor Empörung nicht seine Tattoonadel ins Auge rammen würde?
Ich beobachtete, wie sich der Anruf im Sand verlief, starrte noch immer auf das Display, das den mittlerweile dritten verpassten Anruf in Abwesenheit anzeigte. Dachte an die Ringe in meiner Tasche, den Menschen, der in meinem Herzen tobte, wie ein Sturm. Dachte an die Worte meines Bruders und an das Versprechen, immer gut auf Oz aufzupassen, dass ich Caleb bei unserem Abschied gegeben hatte.
Ich hatte noch etwas zu erledigen. Ich hatte nicht umsonst mit ihm reden wollen. Mich drücken brachte mich auch nicht weiter. Irgendwann musste ich mit ihm sprechen. Dann lieber gleich als gar nicht.
Bevor ich es mir anders überlegen konnte, tippte ich auf die Rückruf-Taste, lief mit dem Telefon zwischen Schulter und Ohr geklemmt in die Küche und schaltete die Kaffeemaschine ein, während ich dem Freizeichen lauschte und dabei meine Krawatte lockerte. Nach dem fünften Klingeln hob er schließlich ab.
„Du bist fast noch schwerer zu erreichen als die Queen, Ozzie. Ich hab mir schon Sorgen um dich gemacht.“, meldete er sich, im Hintergrund ein plappernder Fernseher und eine kichernde Willow.
„Nah dran, mein Gummibärchen. Du musst dich vorerst mit mir vergnügen.“, begrüßte ich ihn und stellte dabei die Kaffeemaschine an.
Er schwieg einen Moment, dann hörte ich ihn leise lachen. „Na gut, mein Zimtstern, dann lass mal hören, was dir auf der Seele liegt.“ er betonte Zimtstern auf eine Art, wie er normalerweise nur mit Misha sprach, wenn er versuchte sie anzugraben.
Ich holte mir eine Tasse aus dem Schrank und füllte Kaffee hinein. „Ich möchtet dich um deinen Segen bitten.“, sagte ich gerade heraus.
„Wozu mein Segen? Hast du was verbrochen?“, fragte er skeptisch.
„Sagen wir mal, ich habe noch nichts verbrochen. Ich weiß auch noch nicht genau, wann ich etwas verbrechen werde, aber...“
„Jetzt spuck's schon aus, Randaleboy.“, unterbrach er mich fast schon gelangweilt.
„Ich möchte um Oz' Hand anhalten.“
Stille auf der anderen Leitung. Würde er nicht atmen, würde ich denken, er hätte aufgelegt. Einen kurzen Moment später atmete er hörbar aus. „Du wirst doch wohl keinen Setzling in den Blumentopf meiner Lady gepflanzt haben, oder?“
„Heilige Scheiße! Wieso fragt mich das jeder?!“
„Kann ja sein. Einen Grund muss es doch dafür geben.“
„Dass ich sie liebe ist in deinen Augen keine Option?“
„Allerhöchstens die letzte, die ich mir vorstellen könnte.“
„Großer Gott, Caleb! Ich will dich doch nur um deinen Segen bitten. Und nicht, um Willow, damit ich sie bei einem Ritual als Opfer darbieten kann.“
„Okay, und wieso fragst du dann ausgerechnet mich?“
„Ihren Vater kann ich ja wohl schlecht fragen, oder?“, ich trank einen Schluck von meinem Kaffee. „Also, theoretisch könnten wir es auch bleiben lassen. Ich werde sie auf jeden Fall fragen.“
„Wieso fragst du mich dann überhaupt?“, lachte er jetzt.
„Vielleicht, weil ich dich mag? Oder weil ich denke, dass es Oz wichtig ist, was ihr bester Freund denkt.“
„Wann wirst du sie fragen?“ fragte er etwas leiser, als wollte er nicht, dass ein anderer mit hört.
„Das weiß ich noch nicht genau. Bis ich sie frage, muss noch ein bisschen was vorbereitet werden. Wichtiger ist mir, dass ich deinen Segen kriege. Über alles andere, mache ich mir Gedanken, wenn es soweit ist.“
„Wozu seinen Segen?“, Oz tauchte neben mir auf, ihre Schürze um die Hüften gebunden, mit Schokolade und Sahne beschmiert, hauchte mir einen Kuss auf die Wange und sah von mir zum Hörer und wieder zu mir.
„Um unseren Besuch für morgen abzusegnen, mein Sonnenschein.“, redete ich mich schnell raus.
„Aber das hast du so gar nicht gesagt.“
„Dann musst du was falsch verstanden haben.“ lenkte ich ein.
„Aber, du hast...“
„Ist das jetzt wichtig? Unser Mondgesicht wollte dich sprechen.“ Ich verabschiedete mich flüchtig von ihm, reichte Oz den Hörer und kassierte einen skeptischen Blick ihrerseits. Sie nahm ihn entgegen, und war kurze Zeit später damit in ihrer Backstube verschwunden.
Eine halbe Stunde später kam sie zu mir in die Küche zurück, das Telefon in der kleinen Tasche vorne in ihre Schürze gesteckt, während ich die ersten Vorbereitungen fürs Abendessen getroffen hatte. Gemüse schälen und schneiden. Kleinstarbeit, die ich ihr abnehmen wollte, weil sie mir heute morgen beim Frühstück erzählt hatte, dass sie ausnahmsweise kein Problem hatte, dass ich ihr ein bisschen Arbeit abnehmen wollte.
Sie hauchte mir einen Kuss auf die Wange, nahm mir das Messer aus der Hand und legte es zur Seite, griff nach meinen Händen und drehte mich so, dass ich ihr gegenüber stand. Dann schlang sie die Arme fest um mich. „Erzähl mir alles! Wie ist es gelaufen? Was haben sie gesagt?“
Ich grinste. „Sie waren sehr überzeugt von uns und wollen es ernsthaft probieren. Anfang nächsten Monat wollen sie erstmals unser Obst und Gemüse anbieten. Aber dafür müssen wir eine recht hohe Stückzahl liefern. Der Oberboss von dem Laden meinte, die Leute fahren neuerdings extrem auf Bio ab, sodass es nach seiner Einschätzung gute Verkaufszahlen geben sollte. Von der Qualität unserer Ware waren sie absolut begeistert. Vor allem die Orangen haben es ihnen angetan.“
Oz quietschte vor Freude. „Das klingt super! Das heißt dann also...“
„Wir kommen unserem Traum ein weiteres Stück näher.“, beendete ich ihren Satz. Wieder ein quieken ihrerseits, dann packte sie meine Wangen und küsste mich mit der Intensität eines Erdbebens der Stufe Sieben. Ich schlang die Arme fest um sie, erwiderte ihren Kuss und hörte die Engel singen, glücklich sie bei mir zu haben. Dankbar, diesen Moment mit ihr zu teilen.
~Fortsetzung folgt...~
Das nächste Kapitel wird es in zwei Parts geben, weil es sonst einfach zu lang wäre.
Eigentlich wollte ich euch das Kapitel zusammen hochladen, schreibe allerdings noch an der zweiten Hälfte.
Es kann nur leider etwas dauern, bis Teil 2 folgt. Aber es wird kommen.
Dieses Kapitel wurde Beta gelesen von der lieben BlackyShinigami alias meine Broii <3
Du bist Zucker <3. Danke für deine Unterstützung <3
--------------------------------------------------------------------------------------------------------------
2 – So far gone (Part 1)
Will:
~ ca. 1 ½ Jahre später~
„Will! Jetzt spann mich nicht so sehr auf die Folter!“
„Du hast es doch gleich geschafft. Nur noch fünf... vier...“, ich zählte die letzten Stufen, führte sie die Treppen hinunter in den Keller, die Augen mit den Händen verdeckt, leitete sie Stück für Stück auf ihren eigenen Bereich zu, den sie sich so lange gewünscht hatte. Der Raum roch noch leicht nach Farbe. Im Hintergrund lief das Radio, das einen Song von Billy Joel spielte. Das Brummen des Kühlhauses ganz hinten im Raum drang an unsere Ohren und der Duft von Mehl hing wie ein Lockruf in der Luft. Ein paar Kippfenster waren noch geöffnet, sodass man den Klang des Regens vernehmen konnte und den Duft, der sich mit dem von Zitrusreiniger vermischte, den ich noch vor kurzem benutzt hatte, um die letzten Flecken von den Oberflächen zu bekommen.
Ich führte Oz in die Mitte des Raumes, ihre Hände wie ein Schutz auf meinen, die ihre karamellfarbigen Augen verdeckten.
Mittig der Backstube blieb ich mit ihr stehen und wartete.
„Darf ich jetzt endlich gucken?“, hakte sie neugierig nach.
„Das kommt ganz darauf an.“
„Und worauf?“
„Ob du dazu bereit bist.“
Sie lachte herzlich. „Nun lass mich schon gucken.“, rief sie aufgeregt aus. Dass sie bereit dazu war wusste ich allein daran, wie sie an meinen Fingern zupfte.
Ich ließ sie nicht länger zappeln, nahm die Hände von ihrem Gesicht und legte sie ihr stattdessen auf die Hüften. Oz' Blick wanderte über die Edelstahlarbeitsflächen rüber zu den Backöfen und Gärschränken, hinüber zu den Rührschüsseln und Regalen, auf denen Backringe und Kuchenformen in verschiedenen Größen aufgestapelt waren. Sie verstecke ihren überraschten Gesichtsausdruck hinter den Handflächen, machte ein paar Schritte weiter in den Raum hinein und bewegte sich langsam auf die Arbeitsflächen zu. Ihre Finger glitten sanft über das kalte Metall. Als sie sich schließlich wieder zu mir umdrehte, strahlten ihre Augen so hell wie die Deckenlichter.
„Sie ist fertig.“, flüsterte sie voller Stolz.
„Und sie gehört ganz dir, Sonnenschein.“, bestätigte ich ihr zufrieden.
Einen Augenblick später stürmte sie auf mich zu, schlang die Arme so fest um mich, dass mir fast die Luft weg blieb, packte meine Wangen mit beiden Händen und überhäufte mich mit tausenden kleinen Küssen, quer über das ganze Gesicht, bis sie schließlich meinen Mund fand.
„Sie ist perfekt!“, hauchte sie zwischen zwei Küssen. „Du bist einfach der Beste, Will! Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich dich dafür liebe!“
Das musste sie nicht. Ihr Lächeln allein und der Glanz in ihren Augen war alles, was ich brauchte.
Und als sie mir erneut sagte, wie sehr sie mich liebte, wusste ich: Sie sollte meine Frau werden.
~ Einige Tage später ~
„Jetzt mal ganz im Ernst, kleiner Bruder.“, fing Inori an. Ich warf ein „Immer noch älter als du.“ dazwischen, doch er ignorierte mich und redete einfach weiter. „Du bist dir also zu hundert Prozent sicher, dass du ihr nicht vorher einen Song schreiben willst, der deine Liebe zu ihr noch deutlicher macht? Ich kann dir dabei wirklich helfen.“
Ich wechselte den Hörer vom einen zum anderen Ohr, konnte mir dabei gerade so einen genervten Seufzer verkneifen und antwortete ihm stattdessen mit dem selben Argument, wie schon zu Beginn unseres Gespräches. „Das ist nicht ihr Ding. Außerdem weißt du, wie unmusikalisch ich bin.“
„Nichts, was sich nicht mit ein bisschen Übung beheben lässt.“
„Inori...“, mahnte ich ihn an. Natürlich lachte er über meinen kurzen Geduldsfaden.
„Schon gut, schon gut.“, sein breites Grinsen war förmlich durch den Telefonhörer zu sehen, auch wenn er kilometerweit von mir entfernt war. „Ich meine, rein theoretisch könntest du ja auch mit ihr aufs Dach unserer Schule...“
„Würdest du das hier vielleicht mal ein bisschen ernst nehmen?“, unterbrach ich ihn.
„Ich will ja nur herausfinden, ob du es dieses Mal genauso ernst meinst.“
„Wieso „dieses Mal“? Ich hab sie ja zuvor nicht gefragt.“
„Du erinnerst dich hoffentlich, was das letzte Mal passiert ist, als du um die Hand einer Frau anhalten wolltest, kleiner Bruder.“
Ja, daran erinnerte ich mich leider nur zu gut. Und doch gehörte dieser Teil meiner Vergangenheit an. Ich hatte sie hinter mir gelassen, hatte es wie Elsa aus Frozen gemacht, und einfach los gelassen, um mir ein Leben mit dem mir wichtigsten Menschen auf dieser Welt aufzubauen. Nerena war meine Vergangenheit. Oz meine Zukunft. Wieso also noch einen weiteren unnötigen Gedanken an alte Zeiten verschwenden, wenn mir eine strahlende Zukunft bevor stand?
„Das mit Oz ist etwas komplett anderes.“, wand ich ein, „Wir haben in den zweieinhalb Jahren viel durchgemacht, sind zu einer Einheit zusammen gewachsen.“
Sie trägt mein Kind unter dem Herzen, wollte ich noch hinzufügen, besann mich aber eines besseren. Wir hatten bisher noch keinem von unserem Zuwachs erzählt, weil die gefährlichen drei Monate noch nicht überschritten waren. Oder eben, weil wir ihren Besuch beim Arzt heute Mittag abwarten wollten. Sobald wir wussten, dass alles in Ordnung war, hatten wir beschlossen, die gute Nachricht öffentlich zu machen.
„Um es mit den Worten eines kleinen blauen Außerirdischen zu sagen: Oz ist meine Ohana, Inori. Meine Familie.“
„Jetzt erzähl mir aber nicht, dass ihr ein Kind erwartet.“, lenkte er ein und lachte. Mir war definitiv nicht nach lachen. Holy Fuck! Ich hatte doch nicht etwa laut gedacht?
„Wie... kommst du den jetzt darauf?“, fragte ich, versuchte mir mein Unbehagen nicht anmerken zu lassen.
„Keine Ahnung. Vielleicht, weil du neuerdings Disney zitierst? Ist mir mal ganz was neues.“, im Hintergrund hörte ich, wie er in einem Schrank herumwühlte, etwas klimperte wie Glas, dann eine Tür, die zu fiel. „Wenn es so wäre, würdest du mir hoffentlich davon erzählen, kleiner Bruder.“
„Immer noch der Ältere von uns.“, murmelte ich meinen Einwand.
„Unwichtig. Zurück zum Thema: Wirf ihr bloß keinen Ring in den Champagner. Das ist nicht nur Old School. Das ist echt eklig. Keine Frau steht auf Sabber an ihrem Verlobungsring, wenn sie ihn zuvor auch noch halb verschluckt.“
„Du weißt, dass Oz keinen Alkohol trinkt, oder?“, Vor allem nicht in ihrem aktuellen Zustand, fügte ich in Gedanken hinzu.
„Besser für dich, glaub mir.“, schweigen auf der anderen Leitung. Dann: „Kein Antrag in aller Öffentlichkeit. Vermeide Restaurants oder Plätze wie den Stadtpark. Es gibt nichts, was einen mehr stört als Unterhaltungen anderer Leute. Oder den Geruch von Hundehaufen, die ein Tierbesitzer nicht entsorgt haben könnte. Viele Frauen fühlen sich vor Publikum unter Druck gesetzt. Oder du selbst wirst vielleicht so nervös, dass du es dir anders überlegst. Oder schlimmer, du kippst aus den Latschen. Soll ich weiter aufzählen?“
„Ist notiert.“, sagte ich und tippte mir dabei an die Schläfe, auch wenn ich wusste, dass er mich nicht sehen konnte. „Was noch?“
Ich bezweifelte zwar, dass ich ohnmächtig werden würde, aber das musste ich meinem Bruder ja nicht auf die Nase binden. So weich war ich nun auch wieder nicht.
„Schaff' eine entspannte Atmosphäre. Etwas, wo ihr euch beide wohlfühlt. Kaminfeuer, Kerzenschein, leichter Jazz... Lüfte mal die Bude durch, dass sie nicht so nach Kuhstall riecht.“
„Jetzt übertreibst du aber. Nur weil wir auf dem Land wohnen, riecht es nicht automatisch nach dem Innenleben unserer Tiere.“
„Natürlich nicht, Brüderchen.“, warf er ein. „Fang nicht an, um den heißen Brei zu reden. Und fang den Satz bloß nicht an mit „Wir müssen reden“. Damit machst du ihr eher Angst. Leg dir keine Rede zu recht. Du verhaspelst dich sonst nur. Oder es kommt vielleicht ganz falsch rüber. Hab den Ring griffbereit, aber auch nicht so, dass er dir in der Hosentasche feststecken könnte. Ohne Ring ist es nicht das Gleiche, kleiner Bruder. Da kannst du auch gleich einen Blauwal fragen, ob du auf ihm surfen darfst.“
„Du hast dir ziemlich viele Gedanken darum gemacht, wie man es richtig anstellt, kann das sein? Wie war das denn bei dir und Needy? Hast du da auch so viel nachgedacht?“
„Nö! Hab sie einfach gefragt. Ich wusste, sie ist die Richtige. Mehr musste ich dazu nicht wissen.“, ich konnte förmlich vor mir sehen, wie er ungerührt mit der Schulter zuckte. „Übertreib nicht mit zu viel drumherum. Fingerweg von Herzballons und Deko. Und um Himmels Willen, frag sie bloß nicht im Bett danach. Manch einer findet das ja romantisch. Solche Typen glauben aber auch, dass Käse auf Bäumen wächst, weil er in der Sonne reifen muss. Das ist einfach nur primitiv.“
„Jetzt mal ernsthaft, Inori, aber, hältst du mich für einen Höhlenmenschen?“, hakte ich nach, wurde im nächsten Moment jedoch hellhörig, als ich vor der Haustür einen Motor hörte, der abgeschaltet wurde, gefolgt von einer Autotür, die zufiel.
„Na ja, also Höhlenmensch würde ich jetzt nicht unbedingt sagen.“, druckste er herum. „Schwachkopf! Das trifft es eher.“
„Danke, du mich auch.“, brummte ich. „Ich muss Schluss machen. Mein Mädchen kommt zurück.“
„Das solltest du auch nicht zu ihr sagen.“, warf er ein. „Wir hören uns nochmal. Ich hab noch mehr Ratschläge für dich.“
„Natürlich. Wir hören uns. Grüß Mom und Dad von mir.“
Eine Sekunde später hatte er bereits aufgelegt. Genau zum richtigen Moment, als Oz die Wohnungstür öffnete, ihren Schlüssel an den Harken neben der Tür hängte und ihre Jacke abstreifte.
Mit wenigen Schritten war ich bei ihr, nahm ihr wortlos die Jacke ab, die anstatt an der Garderobe auf dem Türgriff landete, griff nach ihren Händen und zog sie an mich. Die Arme fest um sie geschlungen begrüßte ich sie zu erst mit einem Kuss, statt mit Worten.
Als sie ihn nur halbherzig erwiderte, schrillten in meinem Kopf alle Alarmglocken.
„Hey, was ist los?“, hakte ich vorsichtig nach. Ihre Antwort war ein stummer Blick in meine Augen. Wortlos zuckte sie mit der Schulter und schob sich dann an mir vorbei in Richtung Küche.
Weil ich mir ihre Reaktion nicht erklären konnte, und mir nur noch mehr Sorgen machte, folgte ich ihr, blieb am Türrahmen stehen und sah ihr zu, wie sie im Schrank nach ihrer extragroßen Teetasse griff. Ein ganz klares Zeichen, wenn sie etwas beschäftigte, war genau dieses. Ihre XXL-Eulentasse nahm sie nur dann zur Hand, wenn sie ihre Sorgen in Tee ertränken wollte.
„Rozie...“, setze ich an und sie seufzte, wandte sich zu mir und sah mich mit sorgenvoller Miene an. Bevor ich fragen konnte, was ihr auf der Seele brannte, seufzte sie tief.
„Ich... brauche einfach einen Moment, Will.“
„Kann ich in der Zwischenzeit irgendwas für dich tun?“, tastete ich mich langsam heran.
Sie schüttelte den Kopf, senkte den Blick zu Boden, wandte sich von mir ab und schaltete den Wasserkocher aus. Einen Wimpernschlag später war sie auch schon in ihrer Backstube verschwunden.
Ich ließ ihr alle Zeit, die sie brauchte. Kümmerte mich stattdessen um die Dinge, die im Haus liegen geblieben waren. Feilte am Design der Speisekarten für das Café, dass wir bald eröffnen wollten, versorgte unser Pferde mit Brotstücken, die Schweine mit Obst und die Hühner mit gekeimtem Getreide und stieg sogar noch unter die Dusche. Je später es wurde, desto mehr ratterten meine Gedanken um Oz. Die Sonne war mittlerweile am Horizont verschwunden. Der Abend brach an und doch kam Oz in all der Zeit nicht aus ihrer Backstube heraus. Ihr Schweigen bereitete mir Angst. So eine Reaktion hatte ich nach ihrer Vorsorgeuntersuchung nicht erwartet. Dass mein Kopf überhaupt nicht bei der Sache war, erkannten selbst die Hühner.
Das etwas mit unserem Kind sein könnte, machte mich wahnsinnig. Ich verstand ja, dass sie das, was sie beschäftigte, erst einmal verarbeiten musste. Aber konnte sie mir dann nicht wenigstens vorher sagen, was los war? Selbst die Kühe hatten mittlerweile bemerkt, dass etwas nicht ganz stimmte. Trotzdem kam Oz nicht eine Minute aus den Kellerräumen nach oben, um mir Klarheit zu verschaffen.
Ich warf den Müll in die Tonnen, die hinter dem Haus standen, beschloss, dass es Zeit für Feierabend war, auch wenn mein Kopf noch keine Ruhe gab, und entschied mich schließlich dafür, Nägel mit Köpfen zu machen. Den ganzen Mittag stellte ich die unterschiedlichsten Theorien auf, was sie so verschreckt hatte. Langsam wurde es auch mal Zeit für eine Antwort. Ich war deshalb fast schon am durchdrehen!
Oz stand mit dem Rücken zu mir, als ich die Backstube betrat, die Hand in einer Schale versenkt, mit der sie einen Klumpen Teig bearbeitete. Um uns hatte sich der Duft von Schokolade mit dem von Vanille vermischt. Im Ofen backten mehrere Tortenböden fleißig vor sich hin und auf einem Gestell kühlten verschiedene Gebäcke ab.
Heiliger! Damit konnte sie eine ganze Armee versorgen.
Ich versuchte sie nicht zu erschrecken, während sie weiterhin den Teig bearbeitete, als ich leise auf sie zu ging. Überlegte, ob es klug war, ihr einfach die Schürze zu lösen, um mich bemerkbar zu machen. Ihre Lieblingsschürze, die Graue, mit den weißen Sternen. Ich fand sie fürchterlich, doch sie liebte sie über alles, sagte sie mir immer.
Die, die sich um die kleine Kugel an ihrem Bauch schmiegte, wie eine zweite Haut. Mir war gar nicht aufgefallen, dass ihr Bauch sich so deutlich unter dem Teil abzeichnete.
Wenn ich gekonnt hätte, hätte ich ihr schon von Tag Eins an jegliche Arbeit in der Küche oder ihrer Bachstube abgenommen, als sie mir sagte, dass sie schwanger war. Nur, wie wir mittlerweile wissen, lässt mein Mädchen sich in der Sache ganz und gar nicht rein reden. Selbst mit einer Erkältung und 40° Grad Fieber musste sie sich in die Küche stellen. Auch wenn ich mittlerweile sogar ein ganz passabler Koch war, ihre Küche blieb ganz ihr Revier, so wie der ganze Papierkram in meinem Büro mein Reich war.
Sie hatte meine Anwesenheit schon längst bemerkt. Sie seufzte tief, nahm die Hände aus der Schüssel und griff stattdessen nach dem Geschirrtuch, dass am Bändel ihrer Schürze zu ihrer Hüfte hing, um sich daran die Hände abzuwischen.
Liebevoll legte ich die Arme um sie, stützte das Kinn auf ihre Schulter und umfasste ihren Bauch ganz sanft, küsste sie auf die Wange, die Schläfe und den Hinterkopf. Schmiegte mich an sie, als wüsste ich, dass ich sie jeden Moment verlieren könnte. Das Geschirrtuch landete auf der Arbeitsplatte und eine Sekunde später lehnte sie sich mit dem Rücken gegen meine Brust.
„Bist du okay? Du hast noch nichts gesagt, seit du vom Arzt zurück bist.“, ich wählte meine Worte mit bedacht.
Oz senkte den Blick, legte ihre Hände auf meine und schwieg einen Moment. Nach einer Pause seufzte sie müde. „Ich glaube, wir müssen reden, Will.“
„Ist es etwas Schlimmes? Ist was mit dem Baby? Willst du dich setzten?“
Sie schüttelte den Kopf, löste sich aus meiner Umarmung und wandte sich zu mir um. Etwas trauriges lag in ihren Augen, die etwas in meinen zu suchen schienen. „Dem Baby geht es gut, Will. Keine Sorge.“, murmelte sie. „Es ist nur..., dass wir unsere Pläne nochmal überdenken müssen.“
„Wie genau stehen unsere Zukunftspläne mit unserem Baby in Verbindung? Was ist los?“
„Wir bekommen Zwillinge.“
Ein Moment der Stille brach über uns herein, in dem wir uns einfach nur tief in die Augen sahen.
Zwillinge...
Dieses kleine, schlichte Wort hallte in meinem Kopf wieder, wie ein Ohrwurm. Ich bekam das Gefühl nicht los, diesen Augenblick bereits erlebt zu haben.
„Aber das ist doch gut... Oder nicht? Klar, wir brauchen ein Babybett mehr und noch zusätzliche Kleidung und all das. Aber daran ist nichts schlimmes.... Denke ich.“, hörte ich mich sagen und kam mir dabei vor, als würde ich eine Wiederholung dieser Szene im Fernseher ansehen. Als hätte ich diesen Moment schon einmal erlebt.
„Nein, das ist es nicht. Ich mache mir nur ein bisschen Sorgen, ob wir das auch schaffen.“, seufzte sie müde. „Der Aufbau unseres Cafés, zwei kleine Kinder großziehen. Den Verkauf unserer Ernte.“
„Sicher werden wir das, Rozie. Wir sind doch ein Team, oder nicht?“
„Natürlich sind wir das. Es fühlt sich einfach nur so unwirklich an. Bis vor ein paar Stunden war ich einfach nur schwanger. In mir schlagen drei Herzen auf einmal. Wie verrückt klingt das?“
„Nicht mal ansatzweise so verrückt, wie du denkst.“, ich nahm ihre Wangen in beide Hände und hob ihr Gesicht leicht an, um ihr besser in die Augen sehen zu können. „Ich hab schon verrücktere Dinge aus deinem Mund gehört. Zum Beispiel, dass du mich liebst.“
Ein schwaches Lächeln schlich sich um ihre Mundwinkel. „Wie kann es sein, dass du immer solche Sachen zu mir sagst und mich damit auch noch aus meinem Dilemma holst?“
„Weil ich vielleicht genau so verrückt bin, wie die Dinge, die du zu mir sagst?“
„Wie kann es eigentlich sein, dass du so ruhig bleibst bei all dem? Mich hat die Nachricht getroffen wie eine Abrissbirne. Und du... bist so ruhig wie Spülwasser. Zeigst über meine Reaktion so viel Verständnis, dabei konnte ich dir nicht mal sofort sagen, was Sache ist.“
„Weil dich das ganze mehr betrifft als mich. Immerhin trägst du unsere Kinder unter dem Herzen, während ich nur neben dran stehen und zusehen kann. Du hast eben einen Moment für dich gebraucht, Rozie. Das verarbeitet sich nun mal nicht von selbst.“
„Ich fühle mich wie der schlechteste Mensch der Welt!“, seufzte sie tief, krallte sich in meinem Shirt fest, die Nase an meine Brust gepresst.
„Ach Rozie...“, meine Finger strichen über ihren Rücken, ich entlockte ihr ein weiteres leises Seufzen, spürte aber, dass sie sich unter meiner Berührung etwas entspannte. „Können wir es den jetzt ganz offiziell für alle machen? Ich glaube nämlich, dass wir nicht mehr lange verschweigen können, dass da etwas im Anmarsch ist.“
„Henry und Cassie kann man ja auch nichts so leicht vormachen. Trotz der weiten Kleidung.“, nuschelte sie an meiner Brust. Nur mit Mühe konnte ich verstehen, wie sie meine Frage bestätigte. „Ja, wir dürfen jetzt ganz offiziell Freunden und Familie die gute Nachricht überbringen.“
„Sehr schön. Wie sieht's aus, wollen wir dann langsam ins Bett gehen? Es geht auf Mitternacht zu.“
„Ich hab da noch etwas im Ofen.“
Ich grinste und streichelte bestätigend ihre Babykugel. „Das sehe ich, Sonnenschein.“
„Das hatte ich nicht gemeint!“, schimpfte sie belustigt. „Geh ruhig schon ins Bett. Ich brauche hier noch eine Weile.“
„Kann ich dir nicht bei irgendwas helfen? Du weißt, dass ich ohne dich sowieso nicht schlafen kann.“, sie sah zu mir auf, als ich dann noch mit spielerischem Unterton einlenkte: „Wir könnten es auch direkt hier auf der Arbeitsfläche tun.“
Sie schüttelte amüsiert den Kopf. „Manchmal frage ich mich, ob du auch noch was anderes im Kopf hast. Verschwinde aus meinem Arbeitsbereich, du Unmöglicher.“
Mich aus der Backstube werfen war Oz' Spezialgebiet. Daran hatte sie viel zu viel Spaß, wie ich immer wieder aufs neue feststellen musste.
Weil ich genau wusste, dass sie noch eine ganze Zeit mit backen verbrachte, schnappte ich mir im vorbeilaufen aus dem Waschkeller den Korb mit sauberer Wäsche und nahm ihn mit nach oben in unser Schlafzimmer, stellte ihn aufs Bett, schlüpfte in meine Schlafsachen, bestehend aus einer ausgewaschenen Jogginghose und einem weißen T-Shirt, dass zwei Nummern zu groß war, und machte mich daran, die frische Wäsche zusammenzulegen und aufzuräumen.
Dabei ging ich im Kopf noch einmal durch, was mein Bruder mir geraten hatte.
Keine Rede zurecht legen, hatte er gesagt. Kein „Wir müssen reden“ oder ähnliches. Und das dämliche Champagnerglas war sowieso nie eine Option.
Ich wusste ja noch immer nicht, wann ich sie überhaupt fragen sollte! Am morgigen Tag stand ein wichtiges Meeting an, mit den Leuten eines Supermarkts bei uns in der Gegend, die unsere Waren ins Sortiment aufnehmen wollten und die wir zukünftig beliefern würden. Henry und ich hatten dahingehend noch alle Hände voll zu tun. Außerdem mussten wir den Verlobungsring noch vom Juwelier holen, den ich zur Anpassung in Auftrag gegeben hatte, ohne dass sie etwas davon mitbekam. Da konnte ich einfach behaupten, das Meeting hätte länger gedauert. Aber, wie verflucht noch eins, stellte ich die ganze Sache nun an? Inori war mir zwar schon eine gute Hilfe, viel schlauer war ich allerdings immer noch nicht.
Ich seufzte müde, als ich die letzten Kleidungsstücke in den Schrank räumte, den Wäschekorb daneben stelle und mich schließlich aufs Bett fallen ließ. Als könnte sie mir eine Antwort geben, starrte ich an die Decke, hoffte auf einen Geistesblitz, der mir weiter half, bekam aber nichts der gleichen, außer das beklemmende Gefühl, mich im Kreis zu drehen.
Und dann war da auch noch Caleb!
Vor ein paar Tagen hatte ich ihm eine Nachricht zukommen lassen, dass ich ihn in einer wichtigen Angelegenheit sprechen musste. Wie zu erwarten hatte er erst einmal seine Witzchen gerissen, mir dann gedroht, mir den Kopf abzureißen, wenn ich Oz in irgendeiner Weise vor hatte, weh zu tun und mir schließlich versichert, dass er sich die Zeit nahm und mir ein offenes Ohr leihen würde, wenn er einen ruhigen Moment hatte. Das war vor etwa fünf Tagen.
Schlichtweg wollte ich nichts weiter, als ihn um seinen Segen bitten. Wenn man zurück dachte, unter welchen Umständen wir uns das letzte Mal gesehen hatten, ohne seine eigene Hochzeit mit einzuberechnen, war ich mir nicht ganz sicher, ob er meinen Plan gutheißen würde. Auch wenn er immer sagte, er würde nichts im Wege stehen, was gut für Oz war.
Wenn sie mich überhaupt heiraten wollte, ging es mir schlagartig durch den Kopf.
Was, wenn sie Nein sagte?
Daran hatte ich noch keinen Gedanken verschwendet, weil ich automatisch davon ausging, dass sie Ja sagen würde. Was würde es für uns bedeuten, wenn ihre Antwort wirklich mit Nein ausfiel? War es dann einfach noch zu früh dafür?
Etwas kaltes krallte sich um mein Herz wie die Klauen eines Wolfs, eine Welle der Angst brach über mir ein, meine Gedanken wirbelten um dieses eine kleine Wort, dass alles verändern könnte. Ich war nicht bereit dazu, Oz zu verlieren. Die Vorstellung allein reichte aus, um mich in Panik zu versetzen. Was, wenn sie mich überhaupt nicht wollte? Wenn sie mehrere Gründe hatte, nicht weiter gehen zu wollen?
Ich blinzelte mehrmals, versuchte ruhig zu bleiben, meine schlechten Gedanken zu verdrängen. Stellte mir das Gesicht meines Mädchens vor, dass wie durch Magie vor meinen Augen auftauchte. Ihr blondes Haar, dass sie mittlerweile etwas kürzer trug, umspielte ihre Wangen, ihre Stimme klang friedlich in meinen Ohren, wie sie meinen Namen sagte, wie die sanfte Melodie eines Liebeslieds. Bis mir schlagartig bewusst wurde, dass sie wirklich über mir aufragte.
Ich blinzelte ein paar Mal, realisierte viel zu spät, dass sie mit mir gesprochen und dass ich nicht wusste, was sie zu mir gesagt hatte.
„Du hast wundervolle Augen.“, antwortete ich ohne den Kontext zu kennen.
„Das.. ist nett, dass du das sagst, aber das beantwortet nicht meine Frage.“, sagte sie und richtete sich auf. Ich brachte mich in eine aufrechte Position und versuchte, nicht ganz so ertappt zu wirken, wie ich mich fühlte. Ich holte gerade Luft, als sie mir zuvor kam.
„Ich wollte eigentlich nur wissen, ob du den Wecker schon gestellt hast und wann du morgen aus dem Haus musst.“
„Aus dem Haus?“
„Das Meeting mit diesen Supermarktleuten. Hast du das etwa vergessen?“
„Ach das meinst du.“, einen Moment lang hatte ich geglaubt, sie wusste über meinen Plan Bescheid, weil ich womöglich laut gesprochen hatte. „Wecker ist gestellt. Morgen um halb elf ist der Termin.“
„Geht es dir nicht gut? Du siehst ein bisschen blass aus.“, sie hob die Hand und befühlte meine Stirn, dann meine Wangen mit dem Handrücken. „Hoffentlich brütest du mir nichts aus.“
„Ich werde nicht krank, Oz. Keine Sorge. Ich werde nie krank.“, versuchte ich mich herauszureden, nahm ihre Hand und führte sie zu einem Kuss an meine Lippen. Ich küsste jeden ihrer Fingerspitzen einzeln, fühlte mich gleich viel besser, weil ich wusste, dass sie in meiner Nähe war. Genoss die Röte auf ihren Wangen, die ich ihr allein durch meine Berührung ins Gesicht zauberte. Dass ich diese Wirkung nach all der Zeit immer noch auf sie hatte, erwärmte mir das Herz.
„Ich erinnere dich daran, wenn du mit Fieber flach liegst und dich nicht mehr rühren kannst.“, lenkte sie ein, hauchte mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange und löste sich von mir, um sich fürs Bett fertig zu machen.
„Möglicherweise sind das einfach Entzugserscheinungen.“, schlechte Ausrede, aber immerhin besser, als dass sie von meinem Plan rund um das Thema erfuhr.
Als ich erfahren hatte, dass Oz schwanger war, hörte ich von einem Moment auf den nächsten mit dem rauchen auf. Als wir noch in Shadow Cove gelebt hatten, hatte ich ihr erzählt, dass ich in dem Moment damit aufhören würde, wenn ich wusste, ich würde Vater werden. Damals glaubte ich noch, dass das niemals eintreten würde. Da war der Gedanke an Kinder und die Planung einer Zukunft mit ihr oder ohne sie, noch weit entfernt.
Zwischenzeit hatte ich das sogar fast vergessen.
Das sich aus uns mal etwas so ernstes entwickeln würde, als ich ihr vor gut zwei Jahren begegnet war, hätte ich nie erwartet. Und als sie mir vor ein paar Monaten erzählte, dass wir ein Kind bekommen würden, hatte ich die paar Zigaretten, die ich noch besaß in eine Schublade in meinem Schreibtisch verschwinden lassen und sie seit dem keines Blickes mehr gewürdigt.
Der Entzug fiel mir keinesfalls schwer. Ich verschwendete keinerlei Gedanken mehr an die Schachtel in meinem Büro. Entzugserscheinungen hatte ich erst recht keine. Aufhören fiel mir so leicht wie Wasser trinken. Eine bessere Ausrede war mir schlichtweg nicht eingefallen.
„Du weißt aber, dass ich Verständnis dafür habe, wenn du nach und nach aufhörst. Und nicht von Null auf Hundert.“
„Glaub mir, so ist es besser.“, ich schlug die Bettdecken zur Seite und bedeutete ihr, auf meine Bettseite zu kommen. Sie krabbelte zu mir herüber, kuschelte sich an mich und ich deckte uns beide bis zu den Schultern zu, legte die Arme um mein Mädchen und konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen, als sie ihren Kopf an meine Brust schmiegte.
„Schlaf schön, mein Blumentöpfchen.“
„Nennst du mich nochmal so, haue ich dir sämtliche Backbleche um die Ohren, die wir im Haus haben.“, murmelte sie gähnend. Ich lachte leise über ihre Bemerkung, küsste sie sanft ein letztes Mal aufs Haar und schnippte dann ein Mal mit den Fingern. In Sekunden war das Licht erloschen.
Ich betrat mein Jugendzimmer, erblickte Oz, die nachdenklich aus dem Fenster schaute, den weißen Vorhang zur Seite geschoben. Sie verfolgte etwas mit den Augen und ich trat an sie heran, um selbst zu sehen, was es da draußen interessantes zu sehen gab. Ich berührte sie an den Schultern und sie löste ihren Blick, um mir ihre volle Aufmerksamkeit zu schenken. Meine Hände glitten über ihre Schultern die Oberarme hinab, bis ich ihre Finger an meinen spürte, sie miteinander verschränkte, sie an mich zog, um sie in die Arme zu schließen. Behutsam hauchte ich ihr einen Kuss aufs Haar, glücklich über ihre Nähe, um im nächsten Moment festzustellen, dass sie am ganzen Leib zitterte.
Mein erster Gedanke war, dass etwas mit den Babys sei. Dass es ihr nicht gut ging.
Zaghaft hob ich ihr Kinn an, sah ihr in die Augen, legte eine Hand an ihren Bauch und musste feststellen, dass da keine Rundung war.
Kälte durchfuhr meinen Körper, Gänsehaut breitete sich aus. Panik erfasste mich und ich blickte Oz in die Augen, die fernab ihres natürlichen Karamelltons waren. Stattdessen war da ein sattes grün, eine schwarze Brille. Ihr blondes Haar war mit einem Mal schokoladenbraun. Ich blickte nicht in das Gesicht meiner Rozie. Ich blickte in das Gesicht einer Vampirin, die mir schon vor Jahren das Herz gebrochen hatte.
„Will... ich kann dich nicht heiraten. Versteh doch...“, Nerena sah mir tief in die Augen. Ihre Worte hinterließen einen bitteren Beigeschmack in meiner Kehle, die sich wie zugeschnürt anfühlte. „Ich... ich habe keinerlei Gefühle mehr für dich.“
Mein Mund fühlte sich trocken an. Kein Ton kam mir über die Lippen. Stattdessen hob ich unsere Hände an meine Brust, ein schwacher Versuch sie zu halten. Sie daran zu hindern, mich zu verlassen, wie sie es schon einmal getan hatte.
„Sag das nicht... wirf das nicht einfach alles weg. Bitte, gib nicht all das auf, was wir zusammen erlebt haben, wofür wir gekämpft haben!“
Und im nächsten Moment teilte sich Nerena in zwei, spiegelte sich in ihr komplettes Gegenteil. Sie standen beide vor mir, Oz und Nerena, beide mit tränenüberströmten Wangen, die Augen rot vom weinen. Oz die Hände auf ihren flachen Bauch gelegt.
„Wann wirst du endlich verstehen, dass das hier niemals funktionieren wird?“, sprachen beide Frauen wie aus einem Mund. „Du bist blind, Will. Blind für die Wahrheit. Blind für das Leben. Hast du immer noch nicht verstanden, dass es für dich kein Happy End geben wird?“
Ihre Tränen färbten sich pechschwarz, fielen wie Beton zu Boden und formten daraus eine Gestalt, drahtig und lang, wie ein Schatten mit ovalen, gelben Augen, einem breiten Mund und scharfen Zähnen. Sein Blick war eisig, tauchte mein Zimmer in eine kalte, verlassene Höhle.
Von meinem Jugendzimmer war jetzt nichts mehr zu erkennen. Oz und Nerena standen hinter meinem Dämon mit glasigem, leeren Blick, als hätte man ihnen die Seele aus dem Körper gesaugt und nur noch eine leere Hülle übrig gelassen.
„Hast du es immer noch nicht verstanden?“, zischte das Wesen, umkreiste mich dabei wie eine Schlange seine Beute. Ich konnte mich nicht bewegen, bekam nur mit größter Mühe Luft. Seine kalten Klauen legten sich um meine Schultern, glitten hinauf zu meinem Kopf, um mich zu packen, damit ich ja den Blick nicht von den beiden Frauen abwandte. „Sieh sie dir genau an. Sieh dir an, was du niemals haben wirst. Sie werden niemals dir gehören. Sie werden dir niemals Liebe schenken. Du bist es nicht wert, Willis. Du bist ein Nichts!“
Nichts!
Nichts...
Nichts...
Lauter Donner ließ mich kerzengerade hochschrecken. Dicke Schweißperlen liefen mir kalt den Rücken herunter. Mein ganzer Körper wurde von Panik erfasst und ließ mich erzittern wie eine Baumkrone bei starkem Sturm.
Nichts!, echote es in meinem Kopf, packte meinen bebenden Körper. Mir wurde kälter und kälter, als hätte ich mich nackt in einen gefrorenen See gestürzt. Etwas krallte sich an mir fest, versuchte mich in seinen eisigen Bann zu ziehen, wie Fesseln, die sich immer straffer um meine Gelenke wanden. Mich hinabreißen wollten, in seinen tiefen Abgrund.
Atmen wurde zur Last, ich bekam kaum noch Luft. Presste die Augen fest zu, um den Anblick der Schattengestalt zu vertreiben. Bullshit, das machte es nur noch schlimmer!
Diese Augen... Diese stechend gelben Augen, erfüllt mit Schadenfreude und Gewissheit. Und diese tiefe blecherne Stimme, wie sie unheilverkündend und selbstzufrieden in meinen Kopf eindrang.
"Wann wirst du es endlich verstehen?"
Ich wollte mir die Hände gegen die Schläfen pressen, die Stimme vertreiben, die lauter dröhnte als alles andere, konnte es aber nicht, weil mich etwas packte, meine Hände nach unten drückte.
Wenig später spürte ich eine Bewegung neben mir, etwas... Jemand, der auf meinen Schoß kletterte, dann meine Wangen packte und mich zwang, den Kopf zu heben.
Wärme strömte in meinen Schädel, erleuchtete mir die Sicht, wie eine Laterne auf dem Nachhauseweg, vertrieb den Schatten und die kalten Augen aus meinem Traum.
"Will, ich bin da. Hörst du?", als würde jemand einen Lautsprecher langsam wieder aufdrehen, erreichte mich Oz' Stimme wie ein seichter Wind. "Sieh mich an. Mach die Augen auf."
Und ich tat, was sie sagte, kämpfte gegen meine Angst an und öffnete blinzelnd die Augen, sah tief in die ihren, die vor Sorge betrübt waren.
"Du bist hier...", ich erkannte meine eigene Stimme nicht mehr, so rau und schwach.
Oz nickte, streichelte mit den Daumen über meine Wangen.
"Ich bin immer hier. Ich lasse dich nicht allein.", wisperte sie zaghaft.
Langsam ließ die Anspannung nach, ich lockerte die Finger, die sich in die Matratze verkrallt hatten und schlang die Arme fest um sie, stieß einen erleichterten Seufzer aus, als sich der Schleier aus Angst und Verlust löste. Ich sah nur noch sie. Ihre goldenen Locken, ihre schimmernden Augen in der Farbe von flüssigem Karamell. Ihre geschwungenen, zarten Lippen und ihre niedliche Stupsnase.
"Was ist passiert?", fragte sie vorsichtig.
"Es ist wieder da. Das Monster in mir drin, Oz. Mein Dämon, er..."
"Schsch...", unterbrach sie mich, ließ ihre Finger beruhigend durch mein Haar gleiten. "Er kann dir nichts tun, Will. Solange ich hier bei dir bin, wird er nicht an dich heran kommen."
Schweigen durchzog die Stille im Raum. Begleitet von stürmischem Regenschauer und fernem Gewitter klammerte ich mich an ihr fest, hielt sie, atmete ihren Duft ein und fühlte mich fast schon wieder ein bisschen normal.
„Es war ein Traum, Will.“, Oz' Flüstern vermischte sich mit dem Prasseln des Regens an der Fensterscheibe. Ein Traum... Holy fuck, und was für einer!
Von dem Unwetter der letzten Nacht, war am nächsten Morgen nichts zu sehen. Die Sonne ging über den Feldern auf, tauchte den Tag in wohlige Wärme. Der Frühling zeigte sich von seiner schönsten Seite, weckte die ersten Osterglocken aus ihrem Tiefschlaf und verlieh der Morgenluft diesen blumigen Duft nach Weichspüler.
Ich betrachtete mich und meine Augenringe im Spiegel, richtete mir den Kragen meines Hemdes, rückte die Krawatte zurecht, die einen farblichen Kontrast zu meinem weißen Oberteil und der schwarzen Tinte auf meiner Haut bot.
Trotz der tröstenden Worte meiner Freundin hatte ich in der Nacht noch lange über meinen Traum nachdenken müssen. Fand dadurch weniger Schlaf als gewollt und war hinterher keinen Deut schlauer.
Mom hatte mir mal erklärt, dass sich das Virus, dass wir beide in uns tragen, von Angst ernährt. Sie hätte es in ihrer Jungend beinahe in den Tod getrieben. „Hätte dein Vater mich nicht rechtzeitig weggezerrt, wäre ich den Balkon in meinem Zimmer herunter gesprungen.“, hatte sie mir erklärt, da machten sich die ersten Anzeichen der Stimme in meinem Kopf bemerkbar. Die Angst wuchs noch weiter an. Ich fütterte meinen Venom nur noch mehr und er freute sich, wuchs und wurde stärker, weil ich nicht sterben wollte. Weil ich noch ein Junge war, der sein ganzes Leben vor sich hatte. Der etwas von der Welt sehen und seine eigene Zukunft gestalten wollte.
Wenn ich an die Zeit zurück dachte, die ich damit verbrachte, meinem Dämon gerecht zu werden, wie ich ihn immer und immer mehr in mein Leben eingreifen ließ, und wie er immer mehr die Oberhand gewann, stellte sich in mir die Frage, wie ich bis heute überleben konnte.
Hätte er auch zu mir gesprochen? Mir dazu geraten, mich vom Dach zu stürzen? Oder hatte er in mir etwas ganz anderes gefunden? Wieso brachte er mich nicht soweit, wie er Mom gebracht hatte?
Seit Oz in mein Leben getreten war, wurde er ruhiger, verschwand fast gänzlich, meldete sich nicht weiter zu Wort. Gab nur hin und wieder eine dämliche Bemerkung von sich.
Seit wir Shadow Cove verlassen hatten, war dies das erste Mal, seit er sich zeigte. Und ich meine, sich in irgendeiner Form zeigte. Bisher hörte ich nur seine Stimme. Ihn jetzt zu sehen, wie einen Horrorclown, der dir gleich die Haut vom Gesicht fressen wollte, machte etwas mit einem.
Ich wollte nicht über ihn nachdenken, und doch tat ich es, weil ich nicht wusste, was das zu bedeuten hatte. Ein schlechtes Zeichen vielleicht?
Ich drängte die Gedanken an ihn in die hinterste Ecke in meinem Kopf, versuchte mich auf heute zu konzentrieren. Das Gespräch mit diesen Vertreterleuten, die Ringe beim Juwelier abholen, dann nach Hause zurück fahren, die Tiere versorgen und schließlich ein paar Sachen packen, um übers Wochenende bei Mondgesicht und seinem Zwerg vorbei zu schauen. Das sollte zu machen sein. Und wenn nicht, würde ich mir einen Notfallplan einfallen lassen müssen.
Ich ging in die Küche, schnappte mir beim rausgehen noch mein Jackett vom Türgriff, streifte es im laufen über und trat zu Oz, die meine stillen Gebete nach Kaffee schon aus der Ferne erhört haben musste. In der Küche duftete es bereits herb nach gemahlenen Kaffeebohnen und süß nach Pancakes, die sie zum Frühstück auftischte.
Oz schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln, als sie mich in die Küche kommen hörte. Ich hauchte ihr einen Kuss auf den Mund und setzte mich dann ihr gegenüber an den Tisch. Ich musste gar nicht nach Milch und Zucker fragen, weil mein Mädchen mir das schon abgenommen hatte. Also trank ich einen großen Schluck, seufzte zufrieden über meinen Lebensretter und danke dem heiligen Batman, dass er mir den Weg zu ihr gezeigt hatte.
„Habe ich schon mal erwähnt, dass du wundervoll bist?“, fragte ich glückselig, stellte meine Tasse wieder ab und grinste aufmunternd.
Sie lächelte liebevoll. „Mehr als ein Mal, mein Monsterchen. Sag das ruhig noch öfter.“
„Du bist wundervoll.“, wiederholte ich und sie lächelte. „Habe ich dir heute schon gesagt, wie sehr ich dich liebe?“
„Nein, tatsächlich hast du das noch nicht.“, kicherte sie über den Rand ihrer Teetasse. Ich ließ mein Frühstück Frühstück sein, lief zu ihr herüber und kniete mich vor sie, legte sanft die Hände an ihre Hüften und küsste ihren Bauch, ein Mal und noch ein zweites Mal, bevor ich zu ihr aufsah. Und ich schwöre bei Gott, hätte ich diese verdammten Ringe schon hier, hätte ich sie in diesem Moment gefragt, ob sie meine Frau werden wollte.
„Ohne Ring ist es nicht das gleiche, kleiner Bruder.“, hatte Inori am Telefon gesagt. „Da kannst du auch gleich einen Blauwal fragen, ob du auf ihm surfen darfst.“
Keine Ahnung, warum er mir auf die Art sagen wollte, dass es sonst Schwachsinn war. Er hatte nun mal seine eigene Art, einem Dinge mitzuteilen.
„Ich liebe dich, mein Buttercremetörtchen.“, sagte ich stattdessen, schob den Gedanken an meinen Bruder bei Seite und begegnete ihrem kritischen Blick.
„Backbleche, Will.“, erwiderte sie in einem halb belustigten und halb tadelnden Ton. „Wir haben viele davon. In allem möglichen Größen. Fordere es nicht heraus. Ich bin zwar schwanger, aber nicht unfähig, dich zu verhauen, wenn es sein muss.“
Ich lachte und stand auf. „Ist ja schon gut. Ich liebe dich trotzdem, mein Sonnenschein.“
„Schon besser.“, grinste sie. „Ich liebe dich auch, Monsterchen.“
Wir frühstückten gemeinsam, gingen den Plan für den Tag durch, besprachen die letzten Kleinigkeiten und fertigten eine Liste an, mit allem, was noch zu erledigen war, bevor wir über das Wochenende wegfahren würden, bis Henry freudestrahlend zur Tür herein kam, in der Hand einen Thermobecher und auf der Nase eine schwarze Sonnenbrille.
„Hast du 'nen Kater?“, hakte ich nach. Die Sonnenbrille war untypisch für ihn. Bisher hatte ich nur ein Mal mit angesehen, wie er eine trug. Und das nur, weil er sich komplett abgeschossen hatte, nach einem riesigen Streit mit Cassie, nachdem nicht sicher war, ob für die beiden überhaupt noch eine Chance bestand.
„Möglich.“, murmelte er. „Möglicherweise haben wir meine Schwiegermutter zu Besuch. Und möglicherweise flüchte ich über das Wochenende zu euch, bevor ich sie wie dieses Haus in dem Kinderfilm an tausenden Ballons binde und in die Luft jage, damit ich die nächsten achtundvierzig Stunden überstehe, ohne selbst in die Luft zu gehen.“
„Fühl dich wie zu Hause, Mann.“, ich klopfte ihm mitfühlend auf die Schulter und nickte in Richtung des Thermobechers. „Da ist hoffentlich Kaffee drinnen.“
„Möglicherweise.“, wiederholte er. „Tun wir einfach so, als wäre es Kaffee und denken uns den Schuss Whiskey weg, der mir „versehentlich“ reingefallen ist.“ Er malte tatsächlich Anführungszeichen in die Luft, als er „versehentlich“ sagte.
Oz rümpfte die Nase. „Ist sie...?“, der Rest ihrer Frage blieb unausgesprochen.
Mein Nachbar nicke. „Ja, ist sie! Und wie fürchterlich sie ist!“
Oz warf ihm einen mitfühlenden Blick zu, dann einen auf die Uhr an der Wand. „Ihr müsst los, ihr beiden.“.Mein Blick folgte ihrem zur Uhr. Wenn wir alle rote Ampeln mit einberechneten, sollten wir eine knappe halbe Stunde bis zur Stadt brauchen.
„Jupp! Wird Zeit.“, Henry grinste, hob seinen Becher wie zum Tost in die Luft. „Wünsch uns Glück, kleine Drachenlady. Ich warte draußen auf dich, mein geflügelter Freund.“ die letzten Worte richtete er an mich und war kurz darauf im Wohnzimmer verschwunden.
Ich wandte mich an mein Mädchen, beugte mich leicht zu ihr und wollte ihr gerade einen Abschiedskuss geben, da rief er auch schon nach mir. Ein munteres „Kommst du?“ hallte aus dem Raum nebenan und, anstatt meinem Mädchen einen Kuss zu geben, warf ich einen Blick über die Schulter zu ihm.
„Ja, schon gut.“, warf ich ein und wandte mich zum gehen. Ohne es bemerkt zu haben, hatte Oz nach meiner Krawatte gegriffen, hielt mich vom gehen ab und zog mich zurück, packte meinen Kragen, drehte sich mit mir, drückte mich zur Wand und gab mir einen ordentlichen Abschiedskuss, der mir die Sprache verschlug.
„Pass auf dich auf, Monsterchen.“, hauchte sie zart an meine Lippen. „Ich liebe dich.“
„Großer Gott, und ich dich erst!“, murmelte ich sprachlos.
Sie biss sich spielerisch auf die Unterlippe, lächelte ganz schwach und raunte mir ein samtweiches „Du gefällst mir im Anzug.“ zu. Ich schmolz wie Schokolade in der Sonne bei diesem Anblick. „Komm mir heile wieder nach Hause.“
„Hey, Aushilfs-Tinkerbell! Die Zeit drängt!“, rief Henry wieder.
„Na los, geh schon!“, sie strich mir den Kragen glatt, dann entließ sie mich mit einem verspielten Lächeln.
„Die sind wirklich schön.“, er betrachtete die Ringe in der kleinen Schachtel genauer, drehte sie dem Sonnenlicht entgegen, das durch die Scheiben hereinfiel, las die Inschrift zum wiederholten Mal, die ich eingravieren lassen hatte. Ein winziger Kompass, daneben die Worte „Guide me“ in meinem Ring und ein Anker, daneben die Worte „Hold me“ in ihrem Ring. „Du hast wirklich Geschmack. Also, wenn sie Nein sagt, dann liegt's daran, dass du schlecht im Bett bist, mein Freund.“
„Ich bin ein wunderbarer Liebhaber, danke der Nachfrage.“, lachte ich. „Oz hat mal gesagt, wenn sie irgendwann ein Partnertattoo haben würde, dann genau das. Ich fand die Idee eigentlich ganz schön. Ist nur leider noch nichts draus geworden. Vielleicht zum ersten Hochzeitstag.“
„Vielleicht?“, Henry ließ die Schachtel geräuschvoll zuschnappen und legte die Ringdose in den Becherhalter zwischen uns. „Hast du's dir etwa anders überlegt?“
„Scheiße, nein!“
„Aber?“
Ich atmete geräuschvoll ein, hielt die Luft an und stieß sie wieder aus. „Ich hab eine scheiß Angst vor ihrer Antwort. Davor, dass sie wirklich Nein sagt.“
„Wieso sollte sie denn? Nach dem, was da vorhin in der Küche abging, bezweifle ich das.“
„Das hast du gesehen?“
„Das WAR nicht zu übersehen.“, lachte er auf. „Jetzt mal im Ernst. Nenn mir einen guten Grund, wieso sie dich nicht heiraten sollte? Einen Guten, Will.“, warf er betont hinterher, während ich Sage über die Landstraße lenkte. Ich dachte nach, hörte Adam Lambert im Radio zu, wie er „Whataya want from me“ sang, der Radiosprecher das nächste Lied ankündigte und eine schrille hohe Stimme „Dance Monkey“ anstimmte. Dachte an meinen Traum und die Kälte, die mich erfasst hatte.
„Na, siehst du? Da ist kein Grund. Du überlegst zu lange, mein geflügelter Freund.“, er drehte das Radio ein wenig leiser, warf einen kurzen Blick aus dem Fenster und wandte sich dann wieder zu mir. „Wann willst du mir eigentlich verraten, dass sie schwanger ist?“
Ich wäre vor Schreck fast auf die Bremse gestanden, trat stattdessen aus Reflex das Gaspedal durch, faste mich aber schnell wieder und sah meinen Nachbarn wohl mit großen Augen an. Der grinste nur so breit wie ein Esel.
„Woher...?“
„Mir entgeht eben nichts, mein Glitzerbuddy.“, er lehnte sich entspannt in seinem Sitz zurück, und wenn er gekonnt hätte, hätte er jetzt bestimmt die Arme hinter dem Kopf verschränkt. „Ich hab es schon vor etwa drei Monaten bemerkt, als du dachtest, sie wäre krank. Und du mir erzählt hast, sie war so neben der Spur, dass sie sogar ihre Rezepte vergeigt hat, die sie normalerweise im Schlaf perfekt umsetzt. Deine Reaktion hat meine Vermutung nur bestätigt.“
Ich atmete tief durch und hielt vor einer roten Ampel. „Wir wollten noch warten, bis wir ganz sicher sind, dass alles in Ordnung ist. Wir haben gestern erfahren, dass es Zwillinge werden.“
Stille, dann versetzte Henry mir einen spielerischen Boxer gegen den Oberarm. „Du bist ein ausgefuchster Hund! Damit rückst du jetzt erst raus?“
„Wir wissen es ja auch erst seit ein paar Stunden.“, murmelte ich und fuhr weiter.
„Das ist aber nicht der Grund, wieso du sie heiraten willst, oder?“
„Was? Nein!“, warf ich ein. Ein bisschen zu schnell. „Ich will sie heirate, weil sie mein Lebensinhalt ist. Weil ich mit ihr alt werden will. Weil...“
„ Sie dein Sonnenschein ist.“, beendete er meinen Satz. „Keine Sorge, ich wollte nur auf Nummer Sicher gehen. So hätte ich dich auch nicht eingeschätzt. Ich werde es Cassie auch nicht sagen. Das überlasse ich ganz euch. Solange mein Schwiegermonster im Haus ist, werde ich sowieso keine anständige Unterhaltung mit ihr führen können.“
„Ist ihre Mutter wirklich so schlimm?“, hakte ich nach.
Er schnaubte ergeben. „Du hast ja keine Ahnung. Sie kam mit der Begründung vorbei, dass sie Urlaub macht und bei uns „zufällig“ in der Nähe war. Natürlich, weil man im Handgepäck auch grundsätzlich immer einen Ordner mitschleppt, in der potenzielle Partner mit ausgefülltem Bewerbungsbogen aufgelistet sind, die „Gut genug für ihre einzige Tochter“ seien.“
„In deinem Beisein?“
„In meiner verdammten Küche, während ich mir anhören durfte, dass sie noch nie so unglücklich ausgesehen habe. Und dass ihr „richtiges Zuhause“ nur auf sie wartet.“
„Holy fuck...“, fluchte ich leise.
„Das kannst du laut sagen. Wenn ich Cassie nicht versprochen hätte, ruhig zu bleiben, hätte ich sie schon lange vor die Tür gesetzt. Oder sie zu Schweinefutter verarbeitet.“
„Und Cassie? Wie geht sie damit um?“
Henry lächelte, erst ein wenig verträumt, dann voller Stolz. „Großer Gott, sie ist einfach großartig! Ihr genauer Wortlaut war „Ich bin zu Hause, mit dem einzigen Menschen, der nicht gut ist, sondern perfekt.“. Hat ihr natürlich nicht gepasst, der alten Hexe. Seit dem fällt eine abfällige Bemerkung nach der nächsten, kaum dass ich anwesend bin. Als wäre ich ihr Haussklave.“
„Ich könnte dir helfen, ein paar Rachepläne zu schmieden.“
„Keine Sorge, da war ich schon weitaus schneller als du, mein geflügelter Freund.“, er grinste diabolisch, als wir auf dem Parkplatz vor meinem Haus parkten.
Henry und ich verabschiedeten uns vor der Tür, er eilte seiner Freundin zur Rettung und ich hängte im vorbeigehen meine Autoschlüssel an den Haken neben der Tür, folgte dem Klang des klingelnden Telefons und sah nach, wer sich hinter dem Anruf verbarg.
Ich holte tief Luft, starrte das Display an und ließ den Finger über dem grünen Hörer schweben.
Holy! Es war nur Caleb! Wieso war ich vor diesem Anruf so verdammt nervös?
Weil wir ihn und sein Zwerg morgen Besuchen wollten? Weil Oz es für richtig hielt, ihm persönlich die gute Nachricht zu überbringen und dass er mir vor Empörung nicht seine Tattoonadel ins Auge rammen würde?
Ich beobachtete, wie sich der Anruf im Sand verlief, starrte noch immer auf das Display, das den mittlerweile dritten verpassten Anruf in Abwesenheit anzeigte. Dachte an die Ringe in meiner Tasche, den Menschen, der in meinem Herzen tobte, wie ein Sturm. Dachte an die Worte meines Bruders und an das Versprechen, immer gut auf Oz aufzupassen, dass ich Caleb bei unserem Abschied gegeben hatte.
Ich hatte noch etwas zu erledigen. Ich hatte nicht umsonst mit ihm reden wollen. Mich drücken brachte mich auch nicht weiter. Irgendwann musste ich mit ihm sprechen. Dann lieber gleich als gar nicht.
Bevor ich es mir anders überlegen konnte, tippte ich auf die Rückruf-Taste, lief mit dem Telefon zwischen Schulter und Ohr geklemmt in die Küche und schaltete die Kaffeemaschine ein, während ich dem Freizeichen lauschte und dabei meine Krawatte lockerte. Nach dem fünften Klingeln hob er schließlich ab.
„Du bist fast noch schwerer zu erreichen als die Queen, Ozzie. Ich hab mir schon Sorgen um dich gemacht.“, meldete er sich, im Hintergrund ein plappernder Fernseher und eine kichernde Willow.
„Nah dran, mein Gummibärchen. Du musst dich vorerst mit mir vergnügen.“, begrüßte ich ihn und stellte dabei die Kaffeemaschine an.
Er schwieg einen Moment, dann hörte ich ihn leise lachen. „Na gut, mein Zimtstern, dann lass mal hören, was dir auf der Seele liegt.“ er betonte Zimtstern auf eine Art, wie er normalerweise nur mit Misha sprach, wenn er versuchte sie anzugraben.
Ich holte mir eine Tasse aus dem Schrank und füllte Kaffee hinein. „Ich möchtet dich um deinen Segen bitten.“, sagte ich gerade heraus.
„Wozu mein Segen? Hast du was verbrochen?“, fragte er skeptisch.
„Sagen wir mal, ich habe noch nichts verbrochen. Ich weiß auch noch nicht genau, wann ich etwas verbrechen werde, aber...“
„Jetzt spuck's schon aus, Randaleboy.“, unterbrach er mich fast schon gelangweilt.
„Ich möchte um Oz' Hand anhalten.“
Stille auf der anderen Leitung. Würde er nicht atmen, würde ich denken, er hätte aufgelegt. Einen kurzen Moment später atmete er hörbar aus. „Du wirst doch wohl keinen Setzling in den Blumentopf meiner Lady gepflanzt haben, oder?“
„Heilige Scheiße! Wieso fragt mich das jeder?!“
„Kann ja sein. Einen Grund muss es doch dafür geben.“
„Dass ich sie liebe ist in deinen Augen keine Option?“
„Allerhöchstens die letzte, die ich mir vorstellen könnte.“
„Großer Gott, Caleb! Ich will dich doch nur um deinen Segen bitten. Und nicht, um Willow, damit ich sie bei einem Ritual als Opfer darbieten kann.“
„Okay, und wieso fragst du dann ausgerechnet mich?“
„Ihren Vater kann ich ja wohl schlecht fragen, oder?“, ich trank einen Schluck von meinem Kaffee. „Also, theoretisch könnten wir es auch bleiben lassen. Ich werde sie auf jeden Fall fragen.“
„Wieso fragst du mich dann überhaupt?“, lachte er jetzt.
„Vielleicht, weil ich dich mag? Oder weil ich denke, dass es Oz wichtig ist, was ihr bester Freund denkt.“
„Wann wirst du sie fragen?“ fragte er etwas leiser, als wollte er nicht, dass ein anderer mit hört.
„Das weiß ich noch nicht genau. Bis ich sie frage, muss noch ein bisschen was vorbereitet werden. Wichtiger ist mir, dass ich deinen Segen kriege. Über alles andere, mache ich mir Gedanken, wenn es soweit ist.“
„Wozu seinen Segen?“, Oz tauchte neben mir auf, ihre Schürze um die Hüften gebunden, mit Schokolade und Sahne beschmiert, hauchte mir einen Kuss auf die Wange und sah von mir zum Hörer und wieder zu mir.
„Um unseren Besuch für morgen abzusegnen, mein Sonnenschein.“, redete ich mich schnell raus.
„Aber das hast du so gar nicht gesagt.“
„Dann musst du was falsch verstanden haben.“ lenkte ich ein.
„Aber, du hast...“
„Ist das jetzt wichtig? Unser Mondgesicht wollte dich sprechen.“ Ich verabschiedete mich flüchtig von ihm, reichte Oz den Hörer und kassierte einen skeptischen Blick ihrerseits. Sie nahm ihn entgegen, und war kurze Zeit später damit in ihrer Backstube verschwunden.
Eine halbe Stunde später kam sie zu mir in die Küche zurück, das Telefon in der kleinen Tasche vorne in ihre Schürze gesteckt, während ich die ersten Vorbereitungen fürs Abendessen getroffen hatte. Gemüse schälen und schneiden. Kleinstarbeit, die ich ihr abnehmen wollte, weil sie mir heute morgen beim Frühstück erzählt hatte, dass sie ausnahmsweise kein Problem hatte, dass ich ihr ein bisschen Arbeit abnehmen wollte.
Sie hauchte mir einen Kuss auf die Wange, nahm mir das Messer aus der Hand und legte es zur Seite, griff nach meinen Händen und drehte mich so, dass ich ihr gegenüber stand. Dann schlang sie die Arme fest um mich. „Erzähl mir alles! Wie ist es gelaufen? Was haben sie gesagt?“
Ich grinste. „Sie waren sehr überzeugt von uns und wollen es ernsthaft probieren. Anfang nächsten Monat wollen sie erstmals unser Obst und Gemüse anbieten. Aber dafür müssen wir eine recht hohe Stückzahl liefern. Der Oberboss von dem Laden meinte, die Leute fahren neuerdings extrem auf Bio ab, sodass es nach seiner Einschätzung gute Verkaufszahlen geben sollte. Von der Qualität unserer Ware waren sie absolut begeistert. Vor allem die Orangen haben es ihnen angetan.“
Oz quietschte vor Freude. „Das klingt super! Das heißt dann also...“
„Wir kommen unserem Traum ein weiteres Stück näher.“, beendete ich ihren Satz. Wieder ein quieken ihrerseits, dann packte sie meine Wangen und küsste mich mit der Intensität eines Erdbebens der Stufe Sieben. Ich schlang die Arme fest um sie, erwiderte ihren Kuss und hörte die Engel singen, glücklich sie bei mir zu haben. Dankbar, diesen Moment mit ihr zu teilen.
~Fortsetzung folgt...~
Dieser Autor möchte Reviews nur von registrierten Nutzern erhalten. Bitte melde dich an, um einen Review für diese Geschichte zu schreiben.