Sidestorys - Kurzgeschichtensammlung
von Rayne-Sunshine
Kurzbeschreibung
(Der Autor hat keine Kurzbeschreibung zu dieser Geschichte verfasst.)
KurzgeschichteRomance, Fantasy / P18 / Het
18.12.2022
24.08.2023
4
39.535
1
18.12.2022
9.993
Vorwort:
Hallo lieber Leser, hallo liebe Leserin
Ich glaube, es geht vielen Autoren so, wie mir, dass man seine Charaktere nicht gerne ad acta legt, nur weil ihre Geschichte erzählt ist. Man schließt sie nicht nur ins Herz, sie gehören auch irgendwo zum eigenen Leben dazu.
Wobei ich finde, hier muss gesagt sein, dass mir schon lange vorschwebt, einige Kurzgeschichten zu Will und Oz zu schreiben.
So möchte ich hiermit ankündigen, dass ich eine extra Spate für Bonuskapitel anlegen möchte, in der immer wieder mal zusätzliche Kapitel hochgeladen werden, die (ganz wichtig!) nach der Story von Will spielen.
Falls du „I still burn for you“ noch nicht gelesen haben solltest und Wills Geschichte noch lesen möchtest, spreche ich hier nun eine Spoilerwarnung aus. Lesen also auf eigene Gefahr.
Dazu möchte ich noch sagen, dass die Bonuskapitel alle rund um Will, Oz und ihr kleines Universum spielen. Die Kapitel haben keine bestimmte Reihenfolge und sind so gesehen, alle in sich abgeschlossen. Die Zeitangabe am Anfang eines Kapitels bezieht sich auf den Zeitraum nach dem letzten Kapitel der Originalstory. Fällt ein Kapitel aus dem Rahmen und spielt davor, gebe ich das natürlich mit an.
Sonst gilt auch hier, der Titel des Kapitels ist immer dem Lied verschuldet, welches mich zum jeweiligen Kapitel inspiriert hat. Am Ende jedes Kapitels findest du den Interpreten, falls du dir genauer Gehör verschaffen möchtet, was ich für einen seltsamen Musikgeschmack habe.
Abschließend möchte ich noch sagen:
Dankeschön an alle, die Will und Oz ihre Zeit schenken. Ohne euch Leser wäre eine Geschichte nicht lesenswert.
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Das Teststäbchen zwischen meinen Fingern schien mich von unten herab zu verhöhnen. Ganz deutlich war der zweite rote Strich in der Mitte zu erkennen, der da eigentlich nichts zu suchen hatte. Mir drehte sich der Magen um, als sich die Erkenntnis schleichend in meinem Kopf nieder ließ.
Unterbewusst hatte ich den Atem angehalten, meine Finger zitterten, brachten das Stäbchen zum beben. Langsam stieß ich den Atem wieder aus, weil mir stetig schwarz vor Augen wurde.
Als meine Lunge ihren gleichmäßigen Rhythmus fand, klärte sich auch meine Sicht wieder. Und trotzdem veränderte sich nichts an der Eindeutigkeit des Testes.
Ich hielt das klare Ergebnis in meiner Hand. In meinem Kopf hörte ich bereits die Stimmen, die mir bestätigten, was ich schon selbst in Erfahrung bringen konnte.
Herzlichen Glückwunsch, Miss Spencer. Sie sind schwanger!
Ich wusste nicht, ob ich mich darüber nun freuen sollte oder nicht. Kinder waren schon immer ein Wunsch von meiner Seite. Geplante Kinder, wohl bemerkt. Die auf Wunsch beiderseits gewollt waren, wenn wir auch dazu bereit waren, eine Familie zu gründen.
Wenn ich nicht auf dem Rand der Badewanne sitzen würde, hätte es mich spätestens jetzt auf meine vier Buchstaben gesetzt.
Ich seufzte ergeben, ließ die Hände sinken, dabei umklammerte ich das Stäbchen mit den zwei roten Strichen fester, unsicher, was ich darüber denken sollte.
Großer heiliger Drache! Wie sollte ich das nur Will erklären?
Eben dieser klopfte just in dem Moment an die Tür. Ich erschrak, auch wenn er nur leise klopfte.
„Rozie, alles okay?“, hörte ich ihn gedämpft auf der anderen Seite rufen. „Du bist fast eine halbe Stunde da drin.“
„Es geht mir gut.“, antwortete ich schnell, erhob mich viel zu hastig von meinem Platz und stopfte den Test und seine zugehörige Verpackung in den Mülleimer unter dem Waschbecken. Ich wusch mir schnell die Hände, trocknete sie nur halbherzig ab, dann eilte ich zur Tür und riss sie ein wenig zu schnell auf. Will sah mich überrascht an, als ich plötzlich vor ihm auftauchte. Keine Sekunde später wich seine Miene Besorgnis.
„Du bist blass, Rozie. Ist wirklich alles in Ordnung?“, bemerkte er. „Du wirst mir doch hoffentlich nicht krank.“
„Es ist wirklich alles gut.“, versicherte ich ihm, obwohl mir eigentlich nach fluchen zu mute war. „Das Wetter. Die Hitze der letzten Tage setzt mir etwas zu. Nichts, was man nicht mit viel Wasser und Tee wieder hinbekommt.“
Er legte skeptisch den Kopf schief, eine kleine Sorgenfalte bildete sich auf seiner Stirn, wahrscheinlich, weil meine lahme Ausrede ihn nicht überzeugen konnte. Wen wunderte es? Ich glaubte mir ja nicht einmal selbst!
„Irgendwie bereitet mir genau das noch mehr Sorgen.“, warf er ein. „Willst du dich nicht lieber hinlegen, wenn es dir schlecht geht?“
„Ich bin fit genug, um trotzdem meiner Arbeit nachzugehen, Brummbärchen.“, ich legte ihm eine Hand auf die Wange, streckte mich auf Zehenspitzen zu ihm und küsste ihn schnell, bevor ich mich in unser Schlafzimmer bewegte, um in meinen Klamotten zu wühlen. Will folgte mir mit Blicken von der Badezimmertür aus, lehnte sich mit dem Rücken an den Rahmen und beobachtete mich mit den Händen in den Hosentaschen vergraben, wie ich aus meinem Schlafanzug in eine gemütliche Leggins schlüpfte und mir eins seiner T-Shirts überwarf, das auch gut als Kleid durchgehen konnte. Für meine schmale Statur waren seine Kleider grundsätzlich viel zu groß. Meistens versank ich darin, fühlte mich aber darin so wohl, wie in unserem gemütlichen Bett.
„Rozie...“, ich hielt inne über seinen Ton, stockte in der Bewegung, als ich mir ein Paar Socken anziehen wollte. Fühlte mich sofort ertappt, als mir seine Frage ans Ohr drang. „Willst du mir irgendetwas sagen?“
Ja!, schrie es in meinem Kopf. „Nein, wieso?“, hörte ich mich stattdessen fragen, richtete mich auf und sah zu ihm hinüber. Er stieß sich vom Türrahmen ab, kam mit wenigen Schritten auf mich zu und ging vor mir in die Hocke.
„Weil du nicht nur mein T-Shirt verkehrt herum trägst, sondern auch, weil du zwei verschiedene Socken an hast. Du bist ein bisschen neben der Spur, mein Sonnenschein.“
Automatisch senkte ich den Blick auf meine Füße, musste feststellen, dass ich einen pinken und einen weißen Socken trug und es nicht einmal bemerkt hatte.
Sanft streiften seine Hände meine Oberschenkel und sofort blickte ich auf, traf direkt auf seine graublauen Augen, die mich in seinen Bann zogen. „Also? Hast du noch was zu deiner Verteidigung zu sagen, bevor ich dich ins Bett stecke?“
„Mrs. Sanders braucht für morgen in der Früh noch einen ganzen Apfelkuchen ohne Rosinen für ihre Teegesellschaft. Ich kann heute nicht im Bett bleiben. Ihr Kuchen braucht einiges an Vorbereitungszeit.“, verteidigte ich mich kleinlaut. „Mein Terminplan ist ebenso voll wie deiner, Will.“
„Dann gib mir das Rezept und ich kümmere mich darum.“
„Das Rezept ist da oben verankert.“, sagte ich und tippte mir dabei an den Kopf. „Mach dich nicht verrückt, mein Brummbärchen. Es geht mir wirklich gut.“
Will bedachte mich mit einem nachdenklichen Blick. Nach einer kurzen Pause schnaubte er ergeben. „Gut, wenn du meinst.“, er drückte mir einen flüchtigen Kuss auf die Stirn und richtete sich wieder auf, hielt mir beide Hände hin, die ich ergriff, und ließ mir von ihm auf die Füße helfen. „Lass uns frühstücken gehen.“
Ich schleppte mich die Stufen herunter in die Küche und behielt dabei die verschiedenen Socken an, während Will noch kurz im Bad verschwand. Die Sonne schlich sich wärmend durch die Scheiben, warf den Raum in wohltuendes Morgenlicht, als ich mich an die Kaffeemaschine bewegte und Kaffee vorbereitete. Ich füllte Wasser und Pulver auf und schaltete die Maschine ein, die gurgelnd und brummend zum Leben erwachte. Dann begann ich, den Tisch zu decken, stellte Frühstücksbrettchen und Tassen auf den Tisch, gefolgt von Marmelade, Butter und Milch. Dabei wichen meine Gedanken immer wieder zurück zu dem Testergebnis, das jetzt oben im Mülleimer versank.
So ganz in meinen Kopf wollte mir diese Geschichte immer noch nicht. Wir waren vorsichtig, in jeder Hinsicht. Kondome waren in unserem Sexleben das A und O. Es hätte nicht passieren sollen, dass ich nun da stand und wusste, dass neues Leben in mir heran wuchs.
Nicht, dass ich mich nicht darüber freuen würde. Wie erwähnt, wollte ich in naher Zukunft immer Kinder haben. Aber auch erst, wenn wir uns bewusst dazu entschieden hatten.
Nach allem, was Will über sich selbst sagte, dass er gar nicht mit Kinder konnte, sagte aus, dass er an dem Thema kein Interesse hatte. Auch wenn ihm jeder versuchte, das Gegenteil zu beweisen, mied er das Thema Kinder strickt.
Würde er durchdrehen, wenn ich ihm sagte, er würde Vater werden? Ob er schreien würde, stand außer Frage. Will hatte mich in dem letzten Jahren wie seine persönliche Königin behandelt. Hin und wieder verfielen wir in hitzige Diskussionen, aber wir wurden uns gegenüber nie laut. Das letzte Mal, als er mich angebrüllt hatte, war als er mit seiner Schwester nach Ewigkeiten telefoniert hatte, weil ich den Anruf gegen seinen Willen entgegen genommen hatte.
Über die Zeit, die wir uns zurück gezogen hatten, war er unglaublich ruhig geworden. Er fluchte nicht mehr so oft, wie früher. Er hatte fast gänzlich mit dem Trinken aufgehört, außer es gab einen triftigen Grund dazu. Und auch seinen Zigarettenkonsum hatte er runtergeschraubt. Er hatte nicht komplett aufgehört, aber es wurde weniger. Laut seiner Aussage, mir zuliebe, weil er wusste, ich mochte nicht, dass er wie ein Aschenbecher roch, wenn er neben mir lag.
Für Kinder, hatte er mal gesagt, würde er komplett aufhören, nicht umhin kommend, zu erwähnen, dass er sowieso keine wollte, weil er dafür nicht geeignet war.
Ich hörte seine Schritte nur entfernt, blendete sie aber aus, mit den Gedanken in meiner ganz eigenen Welt, als Will hinter mir auftauchte, mir einen Kuss auf den Hinterkopf drückte und mich aus meiner Starre hochschrecken ließ. Er griff über mir in den Schrank, nahm eine Tasse und ein Glas heraus und stellte beides auf den Tisch. Ich schnappte mir die letzten Scheiben Vollkornbrot aus dem Brotkasten, schaltete die volle Kaffeemaschine aus, zog die Kanne heraus und brachte beides zum Tisch. Dann schenkte ich ihm die Tasse mit frischem Kaffee ein, während er mir die Kanne mit Orangensaft aus dem Kühlschrank holte. Wie er mir eingeschenkt hatte, setzte er sich mir gegenüber auf seinen Platz. Die Morgenzeitung, die in seiner hinteren Hosentasche steckte, legte er neben sich auf den Tisch, griff nach Milch und Zucker und stattete seinen Kaffee mit den nötigen Extras aus, um ihn für ihn selbst genießbar zu machen. Ich holte noch Messer aus der Schublade und setzte mich dann zu Will.
Als er mir das erste Mal sagte, dass er mich liebte, hätte ich ihm genau das gleiche gesagt, wenn ich nicht zu sehr Angst vor der Vergangenheit gehabt hätte. Mein Kopf formte immer wieder die Worte „Ich liebe dich auch“. Wenn die Angst nicht zu tief in mir verankert gewesen wäre, wäre ich ihm sofort um den Hals gefallen, hätte ihm immer wieder gesagt, dass seine Gefühle nicht einseitig waren. Ich wollte sie herausschreien, ihm das Gefühl geben, dass wir zusammen gehörten.
Und so war es auch heute wieder. Ich fühlte mich genau wie an diesem Tag. Mein Kopf formte wieder und wieder die Worte „Ich bin schwanger!“, würde sie einfach gerne los werden. Auch heute wollte ich am liebsten damit herausplatzen, was mir durch den Kopf schwebte.
Mit Sicherheit sagen, ob er wütend werden würde, konnte ich nicht. Ich wusste auch nicht, ob er entsetzt darüber wäre oder sich sogar freute.
In meinem Kopf spielten sich immer wieder die verschiedensten Szenarien ab, wie seine Reaktion ausfallen würde, und jedes Mal endete sie auf eine andere Art.
"Rozie? Rozie...? Rozie, die Vorhänge brennen."
"Bitte?", unbeholfen sah ich mein Gegenüber an.
"Ich sagte, die Vorhänge brennen."
"Bitte was?!", erschrocken wandte ich mich zum Küchenfenster um, suchte die Vorgänge nach Feuer ab, aber nichts stand nur ansatzweise in Flammen. "Will, wieso sagst du mir, es brennt, wenn es das gar nicht tut?", ich wandte mich zu ihm und beobachtete ihn dabei, wie er sich in seinem Stuhl nach hinten lehnte und die Arme vor der Brust verschränkte.
"Weil ich so wenigstens deine Aufmerksamkeit bekomme. Im übrigen brennt es nicht.", gab er lässig zu.
"Das sehe ich selbst.", schimpfte ich. "Ich hätte beinahe einen Herzanfall bekommen."
"Tut mir leid, mein Sonnenschein. Aber irgendwas musste ich ja sagen, damit du mir zuhörst."
"Was ist denn so dringend, dass du sogar einen frühzeitigen Herzinfarkt meinerseits riskierst?"
"Du hast dir ein halbes Päckchen Zucker in deinen Saft geschaufelt und rührst ihn auch noch um."
Stumm blinzelnd ließ ich den Blick auf mein Glas sinken, nur um festzustellen, dass er recht hatte. Vereinzelte Zuckerflocken wirbelten in meinem Saft mit. Ich seufzte ergeben, stand auf mit dem Glas in der Hand und leerte die Zuckerpampe in den Abfluss. Ich spülte es noch zwei, drei Mal aus, als Will die Arme von hinten um mich legte und sein Kinn auf meine Schulter bettete. In meinem Kopf tobte noch immer ein Sturm, während in meiner Brust ein ganzer Stamm einen wilden Regentanz aufführte.
"Ich werde das Gefühl nicht los, dass dich irgendwas bedrückt, Roze. Rede mit mir, mein Herz. Was hast du?", seine Stimme an meinem Ohr jagte Gänsehaut über meinen Körper, der Sturm in meinem Kopf entwickelte sich zu einem Tornado, wild darauf, mein Inneres in tausend Stücke zu zerpflücken.
Wieder seufzte ich. Wie gerne wäre ich ehrlich zu ihm, würde ihm von meinen Sorgen erzählen, wenn ich nur wüsste, wie. Ich war mir nicht einmal sicher, ob ich mir das Ergebnis nicht sogar eingebildet hatte.
"Ich bin einfach müde.", redete ich mich raus. Sofort fühlte ich mich schlecht. Noch schlechter als sowieso schon. "Die Wärme, Will. Die 35° Grad, die letzten Tage setzten mir doch sehr zu."
"Dann solltest du dich hinlegen statt zu arbeiten, Rozie."
"Das geht nicht. Ich muss..."
"... deine Bestellung fertig machen. Ich weiß schon. Versprich mir bitte, dich auszuruhen, wenn du fertig bist. Ich mache mir ernsthafte Sorgen um dich."
„Wird schon, denke ich. Erstmal braucht Mrs. Sanders ihren Kuchen, sonst kann ich meine Zukunft als Bäckerin an den Nagel hängen.“, mir war alles andere als nach backen zu mute. Am liebsten hätte ich reinen Tisch gemacht. Hätte ausgepackt und Will die ganze Wahrheit gesagt. Trotzdem wusste ich, dass ich so schnell nicht mit der Wahrheit herausrücken konnte. Es bedarf in dieser Hinsicht ein wenig mehr Vorbereitung. In Momenten wie diesen wünschte ich mir meinen besten Freund zur Stelle, der einfach mit den Dingen herausrückte, ohne darüber nachzudenken, was er zu sagen hatte. Ich vermisste sein loses Mundwerk beinahe genauso sehr wie ihn selbst.
Der erste Teig verwandelte sich in eine unschöne Suppe. Der zweite Teig hatte so viele Klumpen, dass er hätte als Maulwurfshügel durchgehen können und der dritte Teig brach mir unter der Hand in viele kleine Teile. Und trotzdem hatten sie am Ende alle etwas gemeinsam: Sie fanden zusammen ein miserables Ende im Mülleimer, zu einem großen, unnützen Teigklumpen vereint.
Das wars! Mrs. Sanders würde sich ihren Apfelkuchen selbst backen müssen! Außer einen großen Haufen Müll brachte ich absolut nichts mehr zu Stande, was halbwegs ansehnlich wirkte. Dass mich der Gedanke schwanger zu sein, ohne dass Will etwas davon wusste, so aus dem Konzept brachte, ließ mich innerlich aufstöhnen. Immer wieder kreisten meine Gedanken um die beiden roten Striche auf dem Teststäbchen. Ich sah sie vor mir, wie ein schlechtes Omen, konnte an nichts anderes mehr denken, als daran, wie sich der zweite, kleine Strich immer kräftiger einfärbte. Wie sich mir der Magen umdrehte, als er immer sichtbarer wurde. Die Erkenntnis, die sich langsam in meinem Kopf ausbreitete, als die Neuigkeit Raum fand.
Ich atmete tief durch, den Kopf in den Nacken gelegt und die Augen geschlossen, schickte ein stummes „Fang dich endlich!“ in meine sich drehenden Gedanken. Ich gab mir die größte Mühe an nichts zu denken, verbannte jeden weiteren Gedanken in die hinterste Ecke meines Gehirns und schnappte, als endlich Stille einkehrte, nach dem Mehl und der grünen Schüssel, stellte diese auf die Küchenwaage und füllte so viel Mehl ein, bis ich bei zweihundertfünfzig Gramm ankam. Gefolgt von Backpulver, Zucker und Puddingpulver, jeweils die gewünschte Menge, mischte ich alles zusammen. Kaum hatten sich die Zutaten zusammen gefunden, wichen meine Gedanken wieder zurück zu dem roten Strich. Als hätte er sich gedacht, mich rund um die Uhr zu nerven, ging mir der Anblick nicht aus dem Sinn, wie sich die Farbe immer deutlicher verstärkte und nach guten fünfzehn Minuten immer noch nicht verblasste.
So plötzlich, wie sich das Paar Hände auf meine Hüften legte, so heftig schreckte ich hoch, als Wills Gesicht zu meiner Rechten auftauchte. Ich schrie ertappt auf, zuckte deutlich zusammen, die Kanne mit Milch, die ich in meinem halb anwesenden Zustand in die Hand genommen hatte, schoss in die Höhe und mit einer wuchtigen Geschwindigkeit landete der Inhalt quer über meiner Arbeitsfläche, meiner Kleidung und zu allem Überfluss auch noch in meinem Gesicht.
„Tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken.“, entschuldigte sich Will eilig, gab mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange, schnappte sich sofort ein Geschirrtuch und reichte es mir.
„Das hast du aber!“, schimpfte ich ein wenig zu spitz, während ich mir die Milchspritzer aus dem Gesicht wischte. Dann wischte ich über die Arbeitsfläche, versuchte seinem Blicken auszuweichen. „Was machst du überhaupt hier?“
Er ließ sich einen Moment Zeit mit seiner Antwort, suchte meine Augen, die ihm vehement auswichen, weil ich mich schuldig fühlte, dank des kleinen Geheimnis, das sich in meinem Bauch versteckte.
„Kaffee...“, sagte er nur. „Die ersten Geräte sind angeschlossen. Wir wollten kurz Pause machen und dann direkt wieder an die Arbeit gehen.“
Ich warf das nasse Geschirrtuch in den Wäschekorb, wich weiterhin seinem Blick aus, weil ich ihn beim besten Willen nicht ansehen konnte. Wir hatten uns versprochen ehrlich zueinander zu sein, an dem Tag, als ich mit ihm auf dem Dach seiner Schule saß. Ihm jetzt auch noch zu verschweigen, dass er Vater wird, fühlte sich an, als hätte ich ihn jahrelang belogen und mit seinem Bruder betrogen. Dabei wusste ich selbst grade mal ein paar Stunden davon. Ein paar Stunden, die sich anfühlten wie dreißig Jahre. Mindestens!
Ich versuchte, so gut wie möglich, nicht an den Test zu denken, schob stattdessen meine restlichen Zutaten, die nicht nass geworden waren bei Seite und wandte mich dann zu ihm. Ich öffnete den Mund, um ihm endlich zu sagen, was los ist, als er mir mit einem besorgten „Was ist los, Rozie?“ den Wind aus den Segeln nahm.
In mir verkrampfte sich alles, in meinem Kopf schrien die Stimmen durcheinander „Sie ist schwanger!“ immer und immer wieder, wie ein widerhallendes Echo in einer dunklen, feuchten Höhle. Es musste einfach nur raus. Drei kleine Worte, die gesagt werden wollten, nein, gesagt werden mussten! Und, als hätte mir jemand einen Apfel in den Mund gestopft, blieben mir die Worte im Halse stecken. Stattdessen hörte ich mich selbst, mit viel zu hoher Stimme quaken: „Mir ist die Hitze zu viel.“
Er seufzte ergeben, stützte sich an die Arbeitsfläche neben mir, bedachte mich mit ernster Miene, als könnte er mir so aus der Klemme helfen. „Rozie...“
„Doch, wirklich!“, verteidigte ich mich und meine Stimme stieg um eine Oktave höher. „Es ist heiß, draußen sind mittlerweile 36° Grad und die Küche ist auch nicht viel kühler durch den erhitzen Backofen...“
„Der Backofen ist aus, Oz.“, warf er ein, seine Miene wurde skeptisch. „Ich werde einfach das Gefühl nicht los, dass dir irgendetwas auf der Seele brennt.“
„Ach! Was weißt du schon!“, schimpfte ich und wedelte mit einem Messbecher vor seiner Nase herum. Ich wusste nicht, wann ich dazu gegriffen hatte, aber als ich ihn bewusst bemerkte, starrte ich ihn an, stellte ihn mit einem genervten Schnauben auf die Arbeitsfläche und kämpfte mich aus meiner Schürze, die ich unbeherrscht auf den nächsten Stuhl warf. Ich gab einen müden Seufzer von mir und schnaubte dann ein mattes: „Ich lege mich besser hin.“
„Besser ist es.“, meinte er nur. Bevor ich mich an ihm vorbei schieben konnte, packte er mich am Handgelenk, zog mich sanft in eine Umarmung und gab mir dann einen liebevollen Kuss auf die Stirn. Seine Wärme tat mir gut, half mir ein wenig, wieder runter zu kommen. Ich legte den Kopf an seine Brust und sofort, als sein Herzschlag mein Gehörgang erreichte, ging auch mein Puls herunter. Das, was ich an Will so sehr liebte, war genau das hier. Er musste nur in meiner Nähe sein, damit ich mich besser fühlte. Seine Umarmung allein reichte um einen ganze Krieg zu stoppen. Er musste mir nur die Hand reichen und der Sturm in meinem Inneren verwandelte sich in einen leichtes, wohltuendes Lüftchen, dass mir um die Wangen wehte. Er war das rettende Boot in meinem Leben, das mich daran hinderte zu ertrinken. Wie konnte ich ihm also weiterhin verschweigen, was los war, wenn er so viel für mich tat? Ich musste es ihm einfach sagen! Am besten noch heute.
„Ich liebe dich, Roze. Erhol' dich. Ich schaue später nach dir.“
„Ich liebe dich auch, Will.“, murmelte ich leise, erwiderte endlich seine Umarmung und schmiegte mich fester an ihn. „Mach dir keine Sorgen um mich. Ich komm schon wieder auf die Beine.“
„Hoffentlich.“, er hob mein Kinn mit zwei Fingern an und sah mir tief in die Augen. „Ruf mich, wenn was ist. Ich sollte dann auch in zwei Sekunden bei dir.“
„Wird schwierig, wenn ich schlafe.“, ich lächelte ein halbherziges Lächeln und streckte mich ihm zu einem Kuss entgegen. Er küsste mich so sanft, wie er mich auch in die Arme geschlossen hatte und entließ mich kurz darauf aus der Küche, begleitet von den Geräuschen der Kaffeemaschine, die er eingeschaltet hatte, während ich mich die Treppe ins Schlafzimmer hoch schleppte.
Ich hatte mich rückwärts nach hinten fallen lassen, kaum dass die Tür hinter mir zugefallen war. Die Matratze gab federnd unter mir nach, Decke und Kissen fühlten sich wie Wolken unter meinem schweren Körper an. Es war noch nicht mal Mittag und schon lag ich wieder im Bett. Nichts, aber auch absolut gar nichts war schlimmer, als einen Tag lang vollkommen unproduktiv zu sein. Ich verfluchte mich dafür, dass ich Will nicht die Wahrheit sagen konnte. Ich verfluchte mich noch mehr, dass ich diesen dämlichen Kuchen nicht auf die Reihe bekam und ich hasste mich am allermeisten dafür, dass ich immer noch dieses kleine Geheimnis mit mir herum trug, dass in meinem Bauch heran wuchs. Dieses kleine, zierliche Wesen, dass bald unser ganzes Leben auf den Kopf stellen würde. Es kam ganz und gar nicht in Frage, es weg machen zu lassen. Ich war ja nicht lebensmüde! Das würde ich meinem Baby unter Garantie nicht antun. Auch wenn es im Moment nicht zu unserer Zukunftsplanung gehörte, würde es trotzdem seinen Weg in diese Welt finden. Und wenn ich dafür meinen Plan von einem Café in den Wind schießen müsste, nichts, wirklich gar nichts, würde sich zwischen mich und mein Würmchen stellen.
Wir Drachen waren, was das Thema anging, absolute Muttertiere. Dass das klar auf der Hand lag, musste ich niemandem erklären. Wir würden lieber sterben, als irgendetwas an unser Kleines kommen zu lassen. Auch wenn das bedeuten sollte, dass ich es vielleicht alleine großziehen musste. Mit keinem Wort konnte ich sagen, ob Will begeistert oder wütend über diese kleine Neuigkeit sein würde. Klein traf es in der Hinsicht wie den Nagel auf den Kopf.
Ich musste über meine Grübeleien hinweg eingeschlafen sein, ohne es bemerkt zu haben. Dass ich träumte, merkte ich vor allem daran, dass unser kleines Zuhause mit mehreren Kinderwägen vollgestopft und mein Bauch um das dreifache gewachsen war. Um meine Füße tanzten mindestens zwei dutzend kleine Kinder herum, jedes zweite hatte die dunklen Haare von Will und die andere Hälfte hatte meine blonde Mähne geerbt. Caleb saß zusammen mit Wills Schwester Tiziana auf der Couch, beide mit einer edlen Tasse in der Hand, in eine hitzige Unterhaltung über Windelhersteller vertieft. Kurrios wurde es, als sie die verschiedenen Hersteller an einem Whiteboard auflisteten und mit Magneten die verschiedenen Arten von Windeln anhefteten.
Das war schließlich auch der Moment, in dem ich wach wurde. Windeln auf einer Tafel waren mir eindeutig eine Nummer zu viel.
Draußen ging bereits die Sonne unter, so lange hatte ich geschlafen, ohne es zu wollen. Der Tag war definitiv gelaufen! Ich hatte weder meinen Kuchen fertig bekommen, noch hatte ich Will die kleine Neuigkeit übermittelt.
Apropos Will. Er musste in der Zeit, in der ich geschlafen hatte, bei mir gewesen sein, wie er es mir zugesagt hatte. Über mich hatte er eine dünne Fleecedecke ausgebreitet, auf dem Nachttisch stand neben einem vollen Glas Wasser eine schmale, blaue Vase, in die er buntgemischte Wildblumen gestellt hatte. Mein Herz erfreute sich viel zu sehr über seine fürsorgliche Art, sackte aber auch genau so schnell wieder in die Knie, weil ich ihn in dem Glauben gelassen hatte, krank zu sein, nur weil ich nicht mit der Wahrheit herausrückte. Verflucht noch eins! Ich musste das endlich aus der Welt schaffen!
Ich griff nach dem Glas auf dem Nachttisch und trank einen kräftigen Schluck, als die Tür aufging und Will mit einer dampfenden Schüssel herein kam. Mein Herz sprengte mir eine Delle in den Brustkorb, als er auftauchte und meinem Blick begegnete. Ich musste ihn angesehen haben, als hätte ich ihn zum ersten Mal in meinem Leben gesehen, denn er legte den Kopf schief.
„Du bist ja wach.“, bemerkte er.
Nervös drehte ich das Glas in meiner Hand, fuhr mit dem Zeigefinger über den Rand und verfluchte mich innerlich dafür, dass ich ohne Grund auch noch rot wurde. Das hier war immer noch mein Will. Der einzige Mensch, der mich besser kannte als ich mich selbst. Warum wurde ich denn bei seinem Anblick rot? „Grade wach geworden.“, murmelte ich mit gesenktem Kopf, weil ich nicht wollte, dass er die Farbe auf meinen Wangen bemerkte.
Er bemerkte sie trotzdem. Wäre ja auch gelacht, wenn er es nicht sehen könnte. Man konnte ein verlegenes Gesicht ja auch so von jetzt auf gleich verschwinden lassen.
Behutsam nahm er mir das Glas aus der Hand, reichte mir die Schüssel mit Suppe, stellte das Wasser zurück auf den Nachttisch und setzte sich dann zu mir auf den Bettrand. Ich hielt den Blick weiterhin gesenkt, nicht umhin kommend, mir ein Lächeln verkneifen zu können. „Du hast mir eine Suppe gekocht.“
„Und das, ohne dass die Küche in Flammen steht.“
„Mit Buchstabennudeln.“
„Mit Buchstabennudeln, so wie du sie am liebsten hast.“
„Du bist zu gut zu mir, weißt du das eigentlich?“, endlich schaffte ich es auch mal, mein Gegenüber anzusehen. Ich hob den Kopf und schaute ihm direkt in die Augen, brachte aber auch nicht mehr zu Stande. Er hatte wieder diesen sorgenvollen Ausdruck im Gesicht, der mein Innerstes durchbohrte. Will machte sich meinetwegen immer noch Gedanken, nur weil ich den Mund nicht auf bekam.
„Geht es dir denn wenigstens ein bisschen besser?“, fragte er vorsichtig. „Oder muss ich doch in Erwägung ziehen, einen Arzt anzurufen?“
„Der Schlaf hat mir ganz gut getan.“, versicherte ich ihm, klang dabei allerdings nicht so überzeugend, wie ich wollte. „Ich werde keinen Arzt brauchen. Bei deiner liebevollen Pflege bin ich ganz schnell wieder auf den Beinen.“
„Dann iss, mein Sonnenschein.“, er beugte sich vor und drückte mir einen weichen Kuss auf die Stirn. Als er wieder aufstand, durchfuhr mich eine Welle der Panik. „Ich schau später noch mal nach dir. Iss und ruh' dich aus.“
„Will, warte kurz!“, fiel ich ein. Er hatte kaum die Tür erreicht, da hielt er in der Bewegung inne. „Hast du einen Moment Zeit zum reden?“ Mir raste das Herz, ich war mir sicher, dass er meinen beschleunigten Herzschlag hören konnte. Meine Hände fingen an zu schwitzen, und das nicht, weil ich immer noch meine Suppenschüssel in der Hand hielt. Mir drehte sich der Magen wie ein Kettenkarussell.
Du redest jeden Tag mit ihm! Du teilst dir mit diesem Mann das Bett... Sogar viel mehr als das! So schwer kann es doch nicht sein, verflucht!, schimpfte eine Stimme in meinem Kopf mit mir. Die selbe, die auch schon heute Morgen schreien wollte, aber kein Wort heraus bekam.
„Lass uns später reden, Rozie. Henry müsste wieder zurück sein. Er wollte nur kurz sein Werkzeug holen, damit wir weiter arbeiten können.“
„Ihr werkelt immer noch?“, fragte ich überrascht. Ich dachte eigentlich, sie seien schon eine ganze Weile fertig für heute, wenn man bedachte, dass bereits die Sonne unterging. Wie spät war es überhaupt, wenn sie jetzt noch fleißig waren?
Als hätte er meine Gedanken gelesen, sah Will erst zum Fenster und dann wieder zu mir. „Wir sind mit dem Wichtigsten fertig geworden, wollen aber zusehen, dass wir heute noch so viel erreichen, wie möglich. Es ist fast Acht, Rozie. Wenn wir unseren Plan einhalten, werden wir heute mit den letzten Elektrogeräten fertig.“
„Oh... Ach so...“, murmelte ich. Möglicherweise konnte er mir meine Enttäuschung ansehen.
„Ist es wirklich so dringend?“
„Nein,“, ich schüttelte den Kopf und rang mir ein Lächeln ab. „Das kann warten. Geh ruhig deiner Arbeit nach. Wir können später reden.“
Er schwieg einen Moment, gab sich aber wenige Sekunden später geschlagen. „Heute Abend haben wir ganz viel Zeit, glaub mir. Dann sind die schlimmsten Arbeiten erledigt und deine Backstube ein ganzes Stück näher.“
Wieder lächelte ich. Natürlich, als wäre die Küche unsere größte Sorge. Wenn ich nicht so feige wäre, müsste ich mir nicht erst überlegen, wie ich dieses Gespräch über die Bühne bringen sollte.
„Na los, geh und sei fleißig.“, ermutigte ich ihn, versuchte dabei nicht zu viel nachzudenken. Wir würden schon unsere Chance bekommen, über alles zu reden. Innerlich machte ich mich zwar schon auf das Schlimmste gefasst, weil ich seine Reaktion ganz und gar nicht einschätzen konnte, gab mir dabei allerdings die größte Mühe meine Bedenken nicht nach außen zu tragen.
Er warf mir zwischen Tür und Angel noch ein „Ich liebe dich.“ zu, dann war er auch schon im Flur verschwunden und hatte die Tür hinter sich zugezogen.
„Ja.... ich dich auch...“, sagte ich zu mir selbst. Ich sah den winzigen Buchstaben dabei zu, wie sie in der klaren Brühe schwammen, sich hin und her jagten und zusammenhanglose Worte bildeten. Mit dem Löffel rührte ich kleine Wirbel auf, sah zu, wie sich die Buchstaben im Kreis zu fangen versuchten, und nahm schließlich einen Löffel voll, pustete gut, um mir nicht die Zunge zu verbrennen, musste aber feststellen, dass sie auch ohne pusten weitestgehend heruntergekühlt war.
Als wir vor einem guten Jahr bei seiner Familie waren, bat er mich darum, ihm ein paar Sachen bezüglich des Kochens beizubringen und ich versprach ihm, dass ich mit Freuden mein Wissen mit ihm teilen würde.
Wir hatten nach unserem Einzug ein paar Tage gebraucht, um uns einzufinden, hatten unsere Pläne für die Zukunft, den Aufbau unserer Farm und unseres Cafés, in allen Einzelheiten durchgeplant, und als auch die kleinste Kleinigkeit besprochen war, machte ich mich daran, mein Versprechen in die Tat umzusetzen.
In den paar Monaten, die wir hier nun zusammen lebten, hatte er schon einiges gelernt, allem voran, die Küche nicht in die Luft zu sprengen, weil er möglicherweise vergaß, den Herd auszuschalten. Er war manchmal etwas neben der Spur, aber er machte seine Sache sehr gut. Einen besseren Lehrling als Will konnte ich mir wirklich nicht wünschen. Er hörte zu, nahm jeden Ratschlag an, setzte diesen meist auch direkt in die Tat um und machte nur ganz wenige zweideutige Bemerkungen, die mich aus dem Konzept bringen sollten. Ab und an bekam er zwar dafür ein Geschirrtuch ins Gesicht, aber auch das schreckte ihn nicht davor ab zuzuhören.
Er hatte sich in den letzten Wochen wirklich gesteigert, die Suppe schmeckte unglaublich gut und war so schnell leer, dass ich mich einen Moment fragte, ob irgendwo ein Loch im Boden meiner Schüssel war, von dem ich nichts wusste. Mein Magen knurrte, als Symbol dafür, wie groß mein Hunger eigentlich war. Also schnappe ich mir die leere Schüssel und trug sie und meinen müden Körper die Stufen runter in unsere kleine gemütliche Küche. Ich war zwar etwas spät dran, aber längst nicht zu spät, um mein Kuchenproblem aus der Welt zu schaffen, das mir wieder in den Sinn kam, als ich das nicht vorhandene Chaos in meiner Küche vorfand.
Ein weiteres Lob, dass ich meinem Freund zusprechen durfte. Er hasste es mehr als Fernsehen, wenn irgendetwas herumstand. Aufräumen fiel ihm leichter von der Hand als mir, mich für ein Gericht zu entscheiden, dass wir gemeinsam kochen konnten.Und das hieß schon was. Eigentlich hatte ich immer recht schnell einen Plan, konnte zur Not auch spontan etwas aus dem Hut zaubern, dass nicht nach zusammengewürfelt aussah und wie englischer Vorgarten schmeckte.
Memo an mich: Ihm unbedingt dafür danken, dass er mein wildes Durcheinander beseitigt hatte.
Ich stellte die schmutzige Schüssel ins Spülbecken, sammelte aus den Schränken das gröbste Material zusammen, stellte die nötigen Zutaten dazu und verbannte die Gedanken an das kleine Wesen in meinem Bauch fürs erste in die hinterste Ecke meines Gehirns. Ich musste mich unbedingt konzentrieren. Dieser verfluchte Kuchen musste heute noch fertig werden! Mrs. Sanders brauchte ihn gleich morgens in der Früh, was bedeutete, er musste backen, auskühlen und lieferfertig sein, sodass er morgens um Sechs auch bei ihr bereit stand. Auch wenn das bedeutete, dass ich vielleicht eine kleine Nachtschicht einlegen musste.
Also warf ich mir meine Schürze um, die auf einem Harken neben der Tür zur Backstube hing, schloss kurz die Augen und holte tief Luft, um Kraft für die nächsten zwei Stunden zu sammeln. Begleitet von dem Lärm, der aus der offenen Tür zu meiner Rechten drang, machte ich mich daran den Teig für den Boden vorzubereiten. Eine gute halbe Stunde schaffte ich es sogar, meine Arbeit zu erledigen, ohne an rote Striche und Windeln zu denken.
Als ich mich daran machte Äpfel zu schälen und zu vierteln, und ich so meinen Gedanken wieder Raum gab, um sich selbstständig zu machen, wanderten diese wie von selbst zu dem Test von heute Morgen und die Frage, wie ich Will am besten davon erzählen sollte, nahm innerhalb von Sekunden meine gesamte Welt ein. Automatisch fing ich an, mir eine Rede zusammen zustellen, die immer wirrer wurde, je mehr ich dazudichtete, verwarf jede Version daran genauso schnell wieder, um mir dann eine neue zusammen zu basteln, die schlimmer war als die Variante davor. Einmal überlegte ich sogar ihm ein Whiteboard aufzustellen und ihm einen Vortrag über den besten Windelhersteller vorzutragen. Großer Drache, das war doch absurd! Dieser Traum war genauso verrückt, wie die Tatsache, dass ich nicht wusste, wie ich drei kleine Worte über die Lippen bringen konnte.
Als ich Schritte vernahm, die sich aus dem Zwischenraum von Backstube zu Küche näherten, gab ich mir selbst einen innerlichen Tritt, schüttelte die Gedanken an meine schlechte Rede ab und riss mich mit größter Mühe zusammen.
Ich erblickte Henrys nussbraunes Haar als erstes im Türrahmen, gefolgt von meinem Partner, der unserem Nachbarn ein breites Grinsen entgegen brachte und mein Herz zum Überschlag trieb.
„Du wirst dich noch wundern, mein Freund.“, sagte Will noch zu ihm, dann tauchten beide in voller Größe in der Küche auf. „Dich schaff ich sogar mit verbundenen Augen.“
„Wie willst du denn dann deine Karten sehen?“, lachte er. „Wusste gar nicht, dass Feen den Durchblick haben. Hey Rozie, so spät noch fleißig?“
Ich schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln, legte das Messer weg, dass ich zum teilen der Apfelstücke in der Hand hielt und wandte mich den beiden zu. „Was soll ich dazu sagen? Die Arbeit schläft nicht. Ihr wart ja auch noch sehr lange dabei.“
„Und hoffentlich nicht zu laut. Dir geht’s besser?“
Ich nickte, dankbar um diese Ablenkung. „Ja, auf jeden Fall. Danke der Nachfrage. Wie geht’s dir? Bleibt es morgen bei unserem gemeinsamen Abend?“
„Na sicher doch!“, antwortete er sofort. „Cassie freut sich schon sehr auf euch. Sie hat erst gestern gesagt, dass der letzte Spieleabend viel zu lange her ist.“
„Ja, das ist er wirklich.“, übernahm Will das Wort, reichte unserem Nachbarn eine Flasche Bier und stieß mit ihm an. „Was aber auch ganz sicher ist, ist dass du morgen haushoch untergehen wirst.“
„Abwarten, mein treuer, geflügelter Freund. Ich habe eine Taktik, die dich blass werden lässt.“
„Willst du die Karten heimlich verschwinden lassen?“, lachte Will.
Schweigen von Seiten unseres Freundes. Dann: „Okay, ich brauche einen neuen Plan!“, er lachte über seinen Spruch und wir fielen mit ein. Ich verbarg mein Lachen hinter vorgehaltener Hand.
Ein Mal im Monat veranstalteten wir einen Pärchenabend mit unserem Nachbarn und seiner Freundin Cassie, an denen wir entweder auf Gesellschaftsspiele zurück griffen oder auch mal gemeinsam ausgingen um Billard zu spielen. Wenn etwas anständiges zu sehen war, verirrten wir uns auch mal ins Kino. Natürlich unter mangelndem Interesse seitens meines Partners, der immer noch alles verfluchte, was Hollywood produzierte. In der Hinsicht hatte er sich nicht verändert.
Im Wechsel fanden unsere Abende mal bei uns und mal bei ihnen statt. Unsere gemeinsame Zeit war immer etwas besonders, vor allem, da ich in Cassie eine treue und liebenswerte Freundin gefunden hatte, die, seit wir Shadow Cove verlassen hatten, neben Misha immer ein offenes Ohr für mich hatte.
Henry war ebenfalls durch die Obhut von Wills Vater vor Jahren, wahrscheinlich noch lange bevor es Will gab, hier an den Hof gekommen. Sie hatten sich auf Anhieb verstanden, etwas, dass ich für fast unmöglich gehalten hatte, als wir ihn kennenlernten, und mittlerweile war er nicht nur ein enger Freund, sondern auch Teil unseres kleinen Unternehmens geworden. Wir bauten nicht nur Obst und Gemüse an, dass wir in unseren Waren verarbeiteten, sondern zogen uns gegenseitig hoch, brachten aller Art Getreide an den Mann, dass wiederum Henry auf seinem Stück Land anbaute. Als wir dachten, wir würden uns zusammen etwas aufbauen, nur Will und ich, hatten wir nicht damit gerechnet, dass wir einen der besten Geschäftspartner direkt nebenan wohnen hatten.
Wir weihten ihn und Cassie in unsere Pläne ein und er stimmte sofort zu, dass er die Sache mit uns durchziehen würde, was wiederum bedeutete, dass er mehr Zeit hatte, Will ein bisschen wegen seines Feenblutes aufzuziehen. Dafür durfte er sich schlechte Scherze anhören, über die Tierarten, in die er sich verwandeln konnte. Henry war nämlich ein Gestaltwandler.
Während sich die beiden Männer noch eine Weile über Kartenspiele und die Pläne der nächsten Umbauarbeiten unterhielten, wobei der ein oder andere Feenwitz fiel, machte ich mich daran, meine Bestellung fertig zu kriegen. Die Beiden unterhielten sich noch eine ganze Zeit, verlegten ihr Gespräch ins Wohnzimmer und ließen mich meiner Arbeit nachgehen. Ich nahm Gesprächsfetzen auf, die sich um Kabelschellen und Stromleitungen drehten, verfolgte diese aber nicht sonderlich lange. Wobei ich um diese Art von Abwechslung sehr dankbar war. Ich spitzte nicht mit Absicht die Ohren, schnappte nur beiläufig ein paar Worte auf, die meine Gedanken in eine andere Richtung lenkten. Bis mein Kuchen schließlich im Ofen war, dachte ich nicht über meinen kleinen Bauchbewohner und die Nachricht, die ich Will noch übermitteln musste, nach.
Eine gute halbe Stunde später, nachdem meine kleine Eieruhr in Form eines Hahns mit Schürze und Schneebesen im Flügel, klingelte, durfte auch der fertige Kuchen endlich aus dem Ofen.
Ich setzte ihn auf ein Kuchengitter und stellte ihn zum Abkühlen auf die Seite, räumte mein letztes bisschen Chaos in die Spülmaschine und wischte mir mit einem Stück Küchenrolle den Schweiß von der Stirn. Zwischenzeitig hatte sich unser Nachbar von uns verabschiedet und war gegangen. Will war oben verschwunden. Ich nahm an, dass er unter der Dusche stand, während ich meiner Arbeit nachgegangen war. Bevor ich mich aus der Küche zurück zog, schnappte ich mir aus unserem Vorrats- und Lagerraum einen Kuchenkarton, einen Pappteller und eine Seite Tortenspitze, richtete den aufgefalteten Karton für den morgigen Transport auf den Küchentisch und verließ dann für diesen Tag meine Küche.
Es ärgerte mich noch immer, dass ich den halben Tag mit Schlafen vergeudet hatte. Dass sich Will um das Abendessen kümmern musste. Dass ich immer noch nicht wusste, wie ich nun mit der Wahrheit herausgerückt sollte. Warum war es einfacher, sich irgendwelche Geschichten auszudenken, statt das zu sagen, was einem auf dem Herzen lag?
Ich hörte das Wasser aus dem Duschkopf, welches gegen den Duschvorhang prasselte, als ich ins Schlafzimmer trat und meinen Freund nicht sofort vorfand. Der Duft von Shampoo und der Wasserdampf von nebenan verteilte sich in leichten Wolken und zogen durch den offenen Spalt in der Badezimmertür zu mir. Während Will unter der Dusche blieb, streifte ich mir meine Kleidung ab, wühlte unter meinem Kissen nach meinen Schlafsachen und machte mich ohne weiteres fürs Bett fertig.
Als ich mich umgezogen hatte, strich ich mir das Haar zur Seite, flocht mir einen lockeren Zopf zusammen und wühlte in meiner Nachttischschublade nach einem Haargummi, dass ich mir am Ende um die Haare wickelte. Ich hatte den ganzen Tag nicht viel getan, vor allem, da ich die meiste Zeit verschlafen hatte, und trotzdem fühlte ich mich völlig fertig, richtig müde, dabei hätte ich das gar nicht sein dürfen. Neben dem Aufbau der Backstube, nahmen wir immer wieder kleinere Aufträge an, wie eben den, den ich morgen ausführen sollte. Normalerweise war ich von einem Kuchen, den ich backen durfte, nicht so ausgelaugt, dass ich mich nicht mehr auf den Füßen halten konnte. Aber die Tatsache, dass in mir ein neues Leben heranwuchs und Will keine Ahnung davon hatte, war so anstrengend, als würde ich wieder drei Vollzeitjobs gleichzeitig nachgehen.
In meinem Kopf begannen sich erneut die ersten Szenarien zusammenzufügen, wie ich ein Gespräch anfangen, es in die richtige Richtung lenken konnte, aber nichts von all dem, machte einen Sinn.
Eins der Gespräche begann mit „Weißt du, ich wurde gestern Nacht von Außerirdischen entführt, die mir ein Baby eingepflanzt haben und wollen, dass ich deshalb ihre neue Königin werde.“
Aber diesen Gedanken verwarf ich sofort wieder. Ich überlegte, ob ich ihm etwas von Bienen und Blumen erzählen sollte, fand die Variante aber noch gruseliger als die Alien-Version.
Mit einem müden Seufzer warf ich mich aufs Bett, die Arme zu beiden Seiten ausgestreckt, den Blick stumm an die Decke gerichtet. Das konnte doch nicht so schwer sein. Drei kleine Worte, verflucht! Die würde ich wohl irgendwie über die Lippen bekommen. Immerhin hatte ich ihm bereits weitaus schlimmere Dinge erzählt.
Seltsamerweise setzte sich in meinem Kopf eine weitaus dämlichere Szenerie zusammen, nämlich eine, die ihm in einem indischen Bollywoodtanz die Nachricht auf musikalische Art übermittelte. Großer Drache! Dann doch lieber die Alien-Geschichte! Die ergab wenigstens irgendeinen Sinn, auch wenn ich noch nicht ganz sicher war, welchen.
Nebenan wurde das Wasser abgestellt, ich vernahm ein paar gedämpfte Hintergrundgeräusche, blieb aber weiterhin liegen und starrte Löcher in die Luft. Irgendwann schloss ich einfach die Augen, lauschte den Geräuschen aus dem Bad und versuchte dabei an absolut nichts zu denken. Was leichter war gesagt als getan. Immer wieder sah ich die roten Striche vor meinen inneren Augen, Kinderwägen und Windeln, kleine Kinder, die wild umher krabbelten. Ich sah mich mit kugelrundem Bauch, mal mit und mal ohne Schürze um den Körper gebunden.
Die Tür zum Bad öffnete sich mit einem leisen Quietschen, Schritte folgten und wenig später bewegte sich etwas am Fußende des Bettes. Die Matratze senkte sich leicht, ich spürte den Hauch einer Bewegung an meinem Bauch und zuckte zusammen, als sich Hände unter mein Top schoben, meine nackte Haut entblößte und sich etwas weiches über meine Bauchdecke nach oben bewegte. Ganz sanft und zart verteilte Will Küsse erst unter, dann über meinem Bauchnabel, bahnte sich einen Weg weiter nach oben, bis er zwischen meinen Brüsten angelangt war. Gänsehaut breitete sich auf meinem Körper aus, ich öffnete die Augen und versuchte das Kribbeln in meinem Magen zu ignorieren, kämpfte gegen die aufkommende Panik an, die sich durch meine Eingeweide fraß.
„Rozie, was ist los?“, Wills Stimme klang tiefer als sonst, als sein Mund neben meinem Ohr auftauchte. Er küsste mich am Hals entlang, knabbere an der empfindlichen Haut unterhalb meines Ohrläppchens, die mich normalerweise vollkommen willenlos machte. Ich konnte nichts weiteres tun, als an die Decke zu starren. „Du bist gar nicht bei der Sache. Normalerweise stöhnst du, wenn ich dich beiße.“
„Nicht aufhören... Mach weiter... genau da...“, murmelte ich wenig überzeugend und eine Spur zu monoton, mehr zur Decke als sonst wo hin. Wenigstens war er über meinen traurigen Versuch, mitzumachen, amüsiert. Er lachte leise.
„Das trägt nicht gerade zur Stimmung bei, mein Sonnenschein.“, er hatte ein schiefes Grinsen auf den Lippen, als er sich neben mich auf den Ellenbogen stützte und zu mir herunter sah. Ich wandte den Kopf zu ihm, sah ihn an, verzog dabei aber keine Miene. Mir stand gerade überhaupt nicht der Sinn nach Vorspiel oder irgendwas in die Richtung. Ich würde jetzt am liebsten im Boden versinken. Ein riesiges Leuchtschild in die Höhe halten, auf dem in fetten Buchstaben „Herzlichen Glückwunsch, Papa!“ steht. Ich würde gerne meinen Frust aus meinem Körper in eine Backzutat verwandeln und sie in einen Nacked-Cake verarbeiten.
Ich schnaubte müde. „Ich bin einfach nicht in Stimmung, Will.“
„Kann ich denn irgendetwas für dich tun?“, er strich mir eine lose Haarsträhne aus der Stirn, ließ sie langsam zwischen seinen Fingern hindurch gleiten, dann fanden diese einen Platz auf meiner Wange, die er zärtlich zu streicheln begann. Es kribbelte, wo er mich berührte. Er beugte sich vor und gab mir einen Kuss, der kaum meinen Mund berührte. „Dir zuhören, vielleicht? Du wolltest doch mit mir reden.“
„Ich möchte nicht reden.“, nuschelte ich ertappt.
Doch! Will ich!, brüllte es in meinem Kopf. Ich will dir schon den ganzen Tag sagen, dass da etwas Kleines unser ganzes Leben verändern wird!
„Ganz sicher?“, hakte er nach. „Irgendwas sagt mir, dass dich etwas beschäftigt. Sollte ich etwas wissen? Oder ist das, was du mir nicht sagen möchtest nicht für meine Ohren bestimmt?“
Es machte mich wahnsinnig, dass er so ruhig blieb, obwohl in mir ein drei Tage andauernder Sturm tobte. Gott, dieser Mann las in mir, wie in einem offenen Buch! War ich wirklich so schlecht darin, etwas vor ihm zu verbergen? Ich wollte ja gar nichts vor ihm geheim halten. Er sollte es ja wissen. Wieso schaffte ich es dann nicht, überhaupt darüber nachzudenken, den Mund aufzumachen?
Ich seufzte frustriert, schob ihn von mir und stieß einen Fluch aus. „Weißt du, es dreht sich nicht immer alles um dich!“, maulte ich ihn an und kämpfte mich aus dem Bett. Er setzte sich sofort auf, als ich am Fuße des Bettes angekommen war.
„Rozie...“, er wirkte teilnahmslos, als würde er mich nicht ernst nehmen. Keine Ahnung wieso, aber alleine, dass er mich beim Namen nannte, machte mich nur noch wütender. Wütend auf mich selbst. Er konnte ja gar nichts dafür. Nein, ihn traf keinerlei Schuld an meinem Verhalten, an meiner Feigheit. An der Tatsache, dass ich den Mund nicht auf bekam.
„Du gehst mir gehörig auf den Geist, Will! Weißt du eigentlich, dass du eine unerträgliche Nervensäge sein kannst?“, fluchte ich angefressen von nichts.
Ich hörte ihn erneut meinen Namen rufen, doch da fiel die Tür bereits hinter mir mit einem lauten Knall zu. Erschöpft von meinem eigenen künstlichen Drama, lehnte ich mich mit dem Rücken dagegen, froh über den Abstand, den ich gewinnen konnte. Mir stieg meine eigene Laune zu Kopf, ich war genervt von mir selbst und der Tatsache, dem Grund meiner Probleme aus dem Weg gegangen zu sein, statt reinen Tisch zu machen.
In dem kleinen Raum, lief ich auf und ab, riss das Fenster neben der Dusche auf, um frische Luft hereinzulassen. Dann ging ich zum Waschbecken, drehte den Wasserhahn auf und spritze mir kaltes Wasser ins Gesicht.
Das hätte ich vielleicht früher tun sollen. Das kalte Wasser, dass in meinem Gesicht landete, war wie ein nötiger Weckruf, den ich dringend gebraucht hatte. Mein überhitztes Gemüt kühlte sofort runter, ich bekam wieder richtig Luft, konnte meine Gedanken sortieren, die sich kreisend und fluchend durch meinen Schädel jagten.
Ich sammelte mich, atmete ein paar Mal tief durch, dann drehte ich den Wasserhahn zu und trocknete meine Hände und mein Gesicht ab, betrachtete meine geröteten Wangen im Spiegel.
Es war wirklich Zeit, die Fakten auf den Tisch zu legen. Ich musste es ihm sagen, sonst würde ich noch in tausend Teile explodieren.
Also gab ich mir innerlich eine kräftige Ohrfeige, sammelte mein letztes bisschen Kraft zusammen, was ich noch aufbringen konnte und ging zur Tür, die ich, wie ich feststellte, viel zu langsam öffnete.
Als ich ins Schlafzimmer trat, lag Will der Länge nach auf dem Bett, die Arme unter dem Kopf verschränkt. Zu meiner Überraschung hatte er sich ein Shirt übergezogen. Was wohl ganz gut so war. Wäre es schräg, ihm zu sagen, dass er Vater wird, wenn er nur Boxershorts trug?
Wenn mich mein Kind irgendwann fragte, wie wir von ihm oder ihr erfahren hatten, wollte ich nicht unbedingt mit „Ich hab es deinem Vater gesagt, nachdem ich vollkommen durchgedreht bin und ihn zusammengestaucht habe, dass er eine unerträgliche Nervensäge ist, obwohl er nichts getan hat. Ach ja, dabei war er so gut wie nackt!“ antworten. Das war der Stoff, aus dem Traumata gemacht wurden. Oder so etwas ähnliches zumindest.
Beim rausgehen schaltete ich das Licht im Badezimmer noch aus und trat dann ans Fußende. Will blieb die Ruhe selbst und einen Moment lang wünschte ich mir, dass ich das auch konnte. Die Ruhe bewahren, mich nicht zu sehr in die Situation hinein steigern.
„Geht's dir besser?“, fragte er ruhig. Ich hatte den Moment im Bad wirklich gebraucht, wollte aber nichts dazu sagen, also verkniff ich mir ein Nicken und biss mir auf die Unterlippen, um nichts blödes zu sagen oder um mich wieder aus der Sache herauszureden.
„Kannst du...“, ich stockte, unsicher wie ich den Satz beenden sollte, weil ich nicht wusste, was ich eigentlich hätte sagen können. Stattdessen streckte ich die Hände nach ihm aus. „Kommst du zu mir?“
Er hob eine Braue, setzte sich aber gleich auf und rutschte zu mir nach vorne, um nach meinen Händen zu greifen. Ich half ihm auf, machte ihm soweit Platz, damit er aufstehen konnte und verschränkte meine Finger mit seinen. Ihn jetzt loszulassen, kam gar nicht in Frage. Möglicherweise wäre ich sonst schreiend davon gelaufen. Das wollten wir um jeden Preis vermeiden.
„Okay...“, ich versuchte es erneut mit tief durchatmen. Will wartete geduldig auf mich, womöglich auf eine Erklärung meiner übertriebenen Reaktion. „Ich muss vielleicht doch mit dir reden.“
„Nur zu.“, ermutigte er mich. „Ich hab die ganze Nacht Zeit.“
Die hatten wir beide und trotzdem wollte ich die Sache so schnell wie möglich über die Bühne bringen. Mühsam hielt ich den Blick auf unsere ineinander verschränkten Finger gerichtet, gab mir einen Schubs, um endlich den Mund zu öffnen.
„Will... es...tut mir leid, dass ich dich grundlos angeschnauzt habe.“
„Schon gut. Ich stehe drauf, wenn du deine dominante Seite raus lässt. Du weißt gar nicht, wie sehr mich das anmacht.“
„Nimm das hier bitte mal ein bisschen ernst.“, tadelte ich ihn sofort und sah ihm in die Augen.
Er grinste schelmisch. „Schon gut, ich höre ja schon auf.“
„Danke...“, murmelte ich, gab mir einen Ruck, um jetzt bloß keinen weiteren Rückzieher zu machen. „Es ist nur...in meinem Kopf gehen ein paar Dinge herum, die mich zu sehr beschäftigen, die mir sogar ein bisschen Angst machen. Die ich...“ ich hatte den Faden verloren. Großer Drache, das konnte doch nicht wahr sein!
Weil ich nicht wusste, wo mir der Kopf stand, legte ich seine Hände auf meinen Bauch, legte meine vorsichtig darüber, wartete einen Moment, ob er etwas zu sagen hatte. Ich nutzte den Moment des Schweigens, um nach den richtigen Worten zu suchen und sah ihm schließlich tief in die Augen. So wie es auch sein sollte, wenn er die Wahrheit erfuhr. „Will... in der nächsten Zeit wird sich hier ein bisschen etwas verändern. Zwischen dir und mir... wird ein ganz neues Leben entstehen.“
Er schwieg, blinzelte ein paar Mal, öffnete den Mund um etwas zu sagen, brachte aber kein Wort über die Lippen. Er brauchte kurz, um diese Information zu verarbeiten.
Irgendwann brachte er ein fast flüsterndes „Du bist schwanger...“ hervor. Ich konnte nicht deuten, was seine Miene zu verraten hatte. Er reagierte so gut wie gar nicht, als ich schließlich doch nickte.
„Wir... werden Eltern?“ fragte er ruhig.
Ich nickte. Zu einer verbalen Antwort war ich nicht im Stande.
„Wir werden Eltern...“, wiederholte er murmelnd, mehr zu sich selbst. Wieder konnte ich nur ein Nicken hervorbringen.
Er bewegte sich nicht, ließ seine Hände auf meinem Bauch ruhen, schaute mir so tief in die Augen, dass ich das Gefühl verspürte, wie Butter in der Sonne zu schmelzen. Meine Beine zitterten, meine Hände fingen an zu schwitzen.
„Heiliger!“, stieß er plötzlich aus. „Wir werden Eltern!“
„Ja, Will, das bedeutet es, wenn man ein Baby erwartet. Dann wird man ganz automatisch dazu.“, bestätigte ich seinen plötzlichen Ausbruch.
„Scheiße, Rozie!“, ich glaubte einen Moment, er würde anfangen zu schreien, mir den Kopf abreißen, zornig werden oder, was auch immer. Als er im nächsten Moment mein Gesicht packte und mich zu einem stürmischen Kuss an sich zog, der mir den Atem verschlug, wusste ich immer noch nicht ganz, was das zu bedeuten hatte. Ich blinzelte nur, als hätte ich Staub in die Augen bekommen. Konnte nicht denken oder gar atmen. In meinem Bauch tobte noch immer ein heftiger Sturm aus Laubblättern, Schmetterlingen und Dingen, die einem Übelkeit erregten.
Irgendwann ließ er meine Wangen los, schlang stattdessen die Arme fest um mich und hob mich sogar ein Stück weit vom Boden hoch. Ich schrie überrascht auf, weil ich mit einem derartigen Gefühlsausbruch nicht gerechnet hatte. Eigentlich hatte ich gar nichts erwartet, außer Theater und Geschrei. „Wie lange weißt du schon davon?“, fragte er und setzte mich wieder auf den Boden.
„Ähm... seit heute morgen. Bist du denn gar nicht sauer?“
„Wieso sollte ich sauer sein? Ich meine, ich habe damit gerechnet, dass wir... Mir war klar, dass wir irgendwann so weit sind, und eine Familie gründen, aber, dass das so schnell passiert.... Ich freue mich darüber. Ich habe keinen Grund wütend zu sein.“
„Aber, ich dachte, du kannst Kinder nicht ausstehen.“, sagte ich und legte den Kopf schief.
„Ich habe nie gesagt, dass ich sie nicht ausstehen kann. Ich sagte nur, dass ich nicht mit Kindern umgehen kann. Das wird eine ziemliche Herausforderung für uns, das ist dir bewusst, oder?“
„Schon... ich bin nur... verwirrt.“
„Wieso denn verwirrt?“
„Weil ich nicht weiß, wohin mit meinen Gefühlen.“, gestand ich. Ich kämpfte gegen die Tränen an, die sich einen Weg in meine Augen bahnten, schluckte sie aber mit größter Mühe irgendwie herunter. „Ich weiß einfach nicht, ob wir schon soweit sind, den nächsten Schritt zu gehen, Will. Der Aufbau unseres Cafés steht noch an. Die ersten Schritte zur kommenden Eröffnung sind schon in Planung. Wir haben täglich Bestellungen, die ausgeliefert werden müssen... und...“
„Hey, sieh mich an.“, er packte erneut mein Gesicht, zwang mich dazu, ihn direkt anzusehen. Ich hatte einen Kloß im Hals, mein Magen rebellierte wie verrückt. Will brachte mich mit einer einzigen Berührung dazu, mich zu beruhigen. „Wir kriegen das hin, okay? Wir schaffen das, egal, wie anstrengend und chaotisch die nächsten Wochen oder Monate auch werden. Millionen anderer Leute haben vor uns Kinder bekommen, und die haben es, mehr oder weniger, auch geschafft. Dann schaffen wir das mit Sicherheit. Natürlich wird sich in der nächsten Zeit viel verändern, aber das heißt nicht, dass wir nicht auch das hinbekommen, was wir uns für die kommenden Jahre vorgenommen haben.“
„Weißt du, dass du wirklich eine unerträgliche Nervensäge sein kannst?“, nuschelte ich, den Tränen nahe. Er grinste und zog mich dann wieder zu einem vorsichtigen Kuss an sich heran.
„Das bin ich liebend gerne für dich, Oz. Solange ich dich dadurch auf dem Boden der Tatsachen halten kann, mache ich das auch sofort gegen körperliche Bezahlung.“
Okay, bei allen Drachen dieser Welt, aber dieser Mann brachte mich noch um den Verstand! Auf eine positive Art und Weise, natürlich.
„Du weißt hoffentlich auch, dass du ein Idiot bist, oder?“, ich konnte mir ein Schmunzeln über seine letzte Aussage nicht verkneifen. Meine Wangen ließ er nun los, zog mich stattdessen in eine sanfte Umarmung und hielt mich einfach nur fest. Ich legte die Arme um ihn, bettete meinen Kopf an seine Brust und erlaubte mir, tief durchzuatmen.
„Ich weiß schon, Rozie.“, er streichelte mir behutsam über den Rücken. „Aber, sag mal: Hast du mich deshalb heute Mittag mit einem Messbecher bedroht?“
„Kann man so sagen.“, gestand ich verlegen. „Eben deshalb habe ich heute morgen so lange das Bad blockiert. Und sämtliche Kuchenversuche in die Tonne geworfen. Weil ich nicht wusste, wohin mit mir. Wir begeben uns auf eine komplett neue Ebene unserer Beziehung, Will. Kinder waren so nie ein Thema für uns.“
„Dann wird es eben jetzt zu einem.“, warf er ein. Er hauchte mir noch einen weichen Kuss auf die Nase, packte meine Taille fester und ließ sich im nächsten Moment vor mir auf die Knie sinken. Als er dann noch mein Oberteil hoch schob und meinen nackten Bauch freilegte, wusste ich nicht, was ich noch denken sollte. Mein Herz klopfte wie wild, als er anfing, gegen meine Bauchdecke zu sprechen. „Hey, du da drin,“, sagte er leise. „Falls du mich hören kannst, lass mich dir sagen, Mama ist verrückt. Du wirst es gut bei uns haben. Egal, wie viel Chaos hier noch ausbricht, dir wird es an nichts fehlen. Dein alter Herr wird schon dafür sorgen. Wir schaffen das, hörst du?“
Unwillkürlich musste ich kichern. „Ich glaube nicht, dass unser Baby dich schon hören kann.“
„Man weiß ja nie. In dem Fall ist es nie zu früh, mit seinem Kind zu reden.“, erwiderte er, hauchte mir einen weichen Kuss über meinen Bauchnabel und flüsterte ein letztes Mal etwas gegen meinen Bauch, was ich jedoch nicht verstehen konnte. Schließlich richtete er sich wieder auf, zog mich an sich und hielt mich einfach nur fest.
So verweilten wir eine ganze Weile. Es fühlte sich wunderbar an, einfach nur gehalten zu werden. Es war verrückt zu glauben, dass Will über diese Nachricht fluchen würde. Mit einer Reaktion dieser Art hatte ich allerdings auch nicht gerechnet. Vielleicht, dass er, wie ich, ein wenig an sich zweifeln würde. Oder auf und abgehen würde, wie wir damit nun umgehen würden. Ich musste ihn wirklich schlecht kennen, auszuschließen, dass er sich über Nachwuchs freuen würde.
„Wir...sollten allerdings ein bisschen damit warten, bis wir es jemandem erzählen.“, brach ich unser schweigen. „In der ersten Zeit kann noch so viel schief gehen. Wir werden einen Arzt aufsuchen müssen, um zu sehen, ob alles gut ist. Wir wissen ja nicht, ob unser Baby gesund ist.“
„Darüber können wir morgen in aller Ruhe nachdenken. Wichtig ist, dass es euch zwei gut geht und ihr eine ordentliche Mütze Schlaf bekommt. Alles andere läuft uns nicht weg. Und morgen früh sieht die Welt auch schon wieder ganz anders aus.“
„Du wirst aber hoffentlich nicht einer dieser Eltern, die überfürsorglich auf jede Kleinigkeit achten, oder? Ich bin noch ganz am Anfang, Will.“, warf ich ein.
„Ich will nur, dass es euch an nichts fehlt. Das hat nichts mit übertriebener Fürsorge zu tun, mein Sonnenschein.“
„Natürlich nicht.“, erwiderte ich mit sarkastischem Ton. „Du bist dir also ganz sicher, dass wir das schaffen werden?“
Er sah mir tief in die Augen und allein an seinem Blick wusste ich, dass unserer kleinen Familie nichts im Wege stehen würde.
„Wir schaffen das ganz sicher.“, bestätigte er und grinste dann spitzbübisch. „Wobei ich nicht glaube, dass wir diese Neuigkeit lange vor Henry geheim halten können. Du kennst ihn und seine Spürnase. Er wird es wahrscheinlich heute Mittag schon lange vor mir erahnt haben. Spaßig wird es allerdings erst, wenn du Caleb davon erzählen wirst.“
Schlagartig hatte ich wieder das Bild vor Augen, wie mein bester Freund mit Wills Schwester einen Lageplan über Windeln ausarbeitete. Das war so schräg, wie der Gedanke, Will schonend beizubringen, dass er Vater werden würde. Er würde ganz sicher nicht so locker reagieren, wie Will es getan hatte. Vielleicht sollte ich ihm die Alien-Geschichte auftischen, damit er es besser verkraftete? Oder doch lieber Bienchen und Blümchen?
„Oh großer Drache!“, fluchte ich über meine wirren Gedanken. Will lachte herzlich über meine Reaktion. Er hatte ja keine Ahnung mit welchen wirren Gedanken ich mich befasste.
Titelgebender Song: Lauren Babic, Eric Groot, Tempered Lion - Have Faith in Me (A Day to Remember Cover)
Hallo lieber Leser, hallo liebe Leserin
Ich glaube, es geht vielen Autoren so, wie mir, dass man seine Charaktere nicht gerne ad acta legt, nur weil ihre Geschichte erzählt ist. Man schließt sie nicht nur ins Herz, sie gehören auch irgendwo zum eigenen Leben dazu.
Wobei ich finde, hier muss gesagt sein, dass mir schon lange vorschwebt, einige Kurzgeschichten zu Will und Oz zu schreiben.
So möchte ich hiermit ankündigen, dass ich eine extra Spate für Bonuskapitel anlegen möchte, in der immer wieder mal zusätzliche Kapitel hochgeladen werden, die (ganz wichtig!) nach der Story von Will spielen.
Falls du „I still burn for you“ noch nicht gelesen haben solltest und Wills Geschichte noch lesen möchtest, spreche ich hier nun eine Spoilerwarnung aus. Lesen also auf eigene Gefahr.
Dazu möchte ich noch sagen, dass die Bonuskapitel alle rund um Will, Oz und ihr kleines Universum spielen. Die Kapitel haben keine bestimmte Reihenfolge und sind so gesehen, alle in sich abgeschlossen. Die Zeitangabe am Anfang eines Kapitels bezieht sich auf den Zeitraum nach dem letzten Kapitel der Originalstory. Fällt ein Kapitel aus dem Rahmen und spielt davor, gebe ich das natürlich mit an.
Sonst gilt auch hier, der Titel des Kapitels ist immer dem Lied verschuldet, welches mich zum jeweiligen Kapitel inspiriert hat. Am Ende jedes Kapitels findest du den Interpreten, falls du dir genauer Gehör verschaffen möchtet, was ich für einen seltsamen Musikgeschmack habe.
Abschließend möchte ich noch sagen:
Dankeschön an alle, die Will und Oz ihre Zeit schenken. Ohne euch Leser wäre eine Geschichte nicht lesenswert.
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1 – Have Faith in Me
Oz:
~1 Jahr später~
Das Teststäbchen zwischen meinen Fingern schien mich von unten herab zu verhöhnen. Ganz deutlich war der zweite rote Strich in der Mitte zu erkennen, der da eigentlich nichts zu suchen hatte. Mir drehte sich der Magen um, als sich die Erkenntnis schleichend in meinem Kopf nieder ließ.
Unterbewusst hatte ich den Atem angehalten, meine Finger zitterten, brachten das Stäbchen zum beben. Langsam stieß ich den Atem wieder aus, weil mir stetig schwarz vor Augen wurde.
Als meine Lunge ihren gleichmäßigen Rhythmus fand, klärte sich auch meine Sicht wieder. Und trotzdem veränderte sich nichts an der Eindeutigkeit des Testes.
Ich hielt das klare Ergebnis in meiner Hand. In meinem Kopf hörte ich bereits die Stimmen, die mir bestätigten, was ich schon selbst in Erfahrung bringen konnte.
Herzlichen Glückwunsch, Miss Spencer. Sie sind schwanger!
Ich wusste nicht, ob ich mich darüber nun freuen sollte oder nicht. Kinder waren schon immer ein Wunsch von meiner Seite. Geplante Kinder, wohl bemerkt. Die auf Wunsch beiderseits gewollt waren, wenn wir auch dazu bereit waren, eine Familie zu gründen.
Wenn ich nicht auf dem Rand der Badewanne sitzen würde, hätte es mich spätestens jetzt auf meine vier Buchstaben gesetzt.
Ich seufzte ergeben, ließ die Hände sinken, dabei umklammerte ich das Stäbchen mit den zwei roten Strichen fester, unsicher, was ich darüber denken sollte.
Großer heiliger Drache! Wie sollte ich das nur Will erklären?
Eben dieser klopfte just in dem Moment an die Tür. Ich erschrak, auch wenn er nur leise klopfte.
„Rozie, alles okay?“, hörte ich ihn gedämpft auf der anderen Seite rufen. „Du bist fast eine halbe Stunde da drin.“
„Es geht mir gut.“, antwortete ich schnell, erhob mich viel zu hastig von meinem Platz und stopfte den Test und seine zugehörige Verpackung in den Mülleimer unter dem Waschbecken. Ich wusch mir schnell die Hände, trocknete sie nur halbherzig ab, dann eilte ich zur Tür und riss sie ein wenig zu schnell auf. Will sah mich überrascht an, als ich plötzlich vor ihm auftauchte. Keine Sekunde später wich seine Miene Besorgnis.
„Du bist blass, Rozie. Ist wirklich alles in Ordnung?“, bemerkte er. „Du wirst mir doch hoffentlich nicht krank.“
„Es ist wirklich alles gut.“, versicherte ich ihm, obwohl mir eigentlich nach fluchen zu mute war. „Das Wetter. Die Hitze der letzten Tage setzt mir etwas zu. Nichts, was man nicht mit viel Wasser und Tee wieder hinbekommt.“
Er legte skeptisch den Kopf schief, eine kleine Sorgenfalte bildete sich auf seiner Stirn, wahrscheinlich, weil meine lahme Ausrede ihn nicht überzeugen konnte. Wen wunderte es? Ich glaubte mir ja nicht einmal selbst!
„Irgendwie bereitet mir genau das noch mehr Sorgen.“, warf er ein. „Willst du dich nicht lieber hinlegen, wenn es dir schlecht geht?“
„Ich bin fit genug, um trotzdem meiner Arbeit nachzugehen, Brummbärchen.“, ich legte ihm eine Hand auf die Wange, streckte mich auf Zehenspitzen zu ihm und küsste ihn schnell, bevor ich mich in unser Schlafzimmer bewegte, um in meinen Klamotten zu wühlen. Will folgte mir mit Blicken von der Badezimmertür aus, lehnte sich mit dem Rücken an den Rahmen und beobachtete mich mit den Händen in den Hosentaschen vergraben, wie ich aus meinem Schlafanzug in eine gemütliche Leggins schlüpfte und mir eins seiner T-Shirts überwarf, das auch gut als Kleid durchgehen konnte. Für meine schmale Statur waren seine Kleider grundsätzlich viel zu groß. Meistens versank ich darin, fühlte mich aber darin so wohl, wie in unserem gemütlichen Bett.
„Rozie...“, ich hielt inne über seinen Ton, stockte in der Bewegung, als ich mir ein Paar Socken anziehen wollte. Fühlte mich sofort ertappt, als mir seine Frage ans Ohr drang. „Willst du mir irgendetwas sagen?“
Ja!, schrie es in meinem Kopf. „Nein, wieso?“, hörte ich mich stattdessen fragen, richtete mich auf und sah zu ihm hinüber. Er stieß sich vom Türrahmen ab, kam mit wenigen Schritten auf mich zu und ging vor mir in die Hocke.
„Weil du nicht nur mein T-Shirt verkehrt herum trägst, sondern auch, weil du zwei verschiedene Socken an hast. Du bist ein bisschen neben der Spur, mein Sonnenschein.“
Automatisch senkte ich den Blick auf meine Füße, musste feststellen, dass ich einen pinken und einen weißen Socken trug und es nicht einmal bemerkt hatte.
Sanft streiften seine Hände meine Oberschenkel und sofort blickte ich auf, traf direkt auf seine graublauen Augen, die mich in seinen Bann zogen. „Also? Hast du noch was zu deiner Verteidigung zu sagen, bevor ich dich ins Bett stecke?“
„Mrs. Sanders braucht für morgen in der Früh noch einen ganzen Apfelkuchen ohne Rosinen für ihre Teegesellschaft. Ich kann heute nicht im Bett bleiben. Ihr Kuchen braucht einiges an Vorbereitungszeit.“, verteidigte ich mich kleinlaut. „Mein Terminplan ist ebenso voll wie deiner, Will.“
„Dann gib mir das Rezept und ich kümmere mich darum.“
„Das Rezept ist da oben verankert.“, sagte ich und tippte mir dabei an den Kopf. „Mach dich nicht verrückt, mein Brummbärchen. Es geht mir wirklich gut.“
Will bedachte mich mit einem nachdenklichen Blick. Nach einer kurzen Pause schnaubte er ergeben. „Gut, wenn du meinst.“, er drückte mir einen flüchtigen Kuss auf die Stirn und richtete sich wieder auf, hielt mir beide Hände hin, die ich ergriff, und ließ mir von ihm auf die Füße helfen. „Lass uns frühstücken gehen.“
Ich schleppte mich die Stufen herunter in die Küche und behielt dabei die verschiedenen Socken an, während Will noch kurz im Bad verschwand. Die Sonne schlich sich wärmend durch die Scheiben, warf den Raum in wohltuendes Morgenlicht, als ich mich an die Kaffeemaschine bewegte und Kaffee vorbereitete. Ich füllte Wasser und Pulver auf und schaltete die Maschine ein, die gurgelnd und brummend zum Leben erwachte. Dann begann ich, den Tisch zu decken, stellte Frühstücksbrettchen und Tassen auf den Tisch, gefolgt von Marmelade, Butter und Milch. Dabei wichen meine Gedanken immer wieder zurück zu dem Testergebnis, das jetzt oben im Mülleimer versank.
So ganz in meinen Kopf wollte mir diese Geschichte immer noch nicht. Wir waren vorsichtig, in jeder Hinsicht. Kondome waren in unserem Sexleben das A und O. Es hätte nicht passieren sollen, dass ich nun da stand und wusste, dass neues Leben in mir heran wuchs.
Nicht, dass ich mich nicht darüber freuen würde. Wie erwähnt, wollte ich in naher Zukunft immer Kinder haben. Aber auch erst, wenn wir uns bewusst dazu entschieden hatten.
Nach allem, was Will über sich selbst sagte, dass er gar nicht mit Kinder konnte, sagte aus, dass er an dem Thema kein Interesse hatte. Auch wenn ihm jeder versuchte, das Gegenteil zu beweisen, mied er das Thema Kinder strickt.
Würde er durchdrehen, wenn ich ihm sagte, er würde Vater werden? Ob er schreien würde, stand außer Frage. Will hatte mich in dem letzten Jahren wie seine persönliche Königin behandelt. Hin und wieder verfielen wir in hitzige Diskussionen, aber wir wurden uns gegenüber nie laut. Das letzte Mal, als er mich angebrüllt hatte, war als er mit seiner Schwester nach Ewigkeiten telefoniert hatte, weil ich den Anruf gegen seinen Willen entgegen genommen hatte.
Über die Zeit, die wir uns zurück gezogen hatten, war er unglaublich ruhig geworden. Er fluchte nicht mehr so oft, wie früher. Er hatte fast gänzlich mit dem Trinken aufgehört, außer es gab einen triftigen Grund dazu. Und auch seinen Zigarettenkonsum hatte er runtergeschraubt. Er hatte nicht komplett aufgehört, aber es wurde weniger. Laut seiner Aussage, mir zuliebe, weil er wusste, ich mochte nicht, dass er wie ein Aschenbecher roch, wenn er neben mir lag.
Für Kinder, hatte er mal gesagt, würde er komplett aufhören, nicht umhin kommend, zu erwähnen, dass er sowieso keine wollte, weil er dafür nicht geeignet war.
Ich hörte seine Schritte nur entfernt, blendete sie aber aus, mit den Gedanken in meiner ganz eigenen Welt, als Will hinter mir auftauchte, mir einen Kuss auf den Hinterkopf drückte und mich aus meiner Starre hochschrecken ließ. Er griff über mir in den Schrank, nahm eine Tasse und ein Glas heraus und stellte beides auf den Tisch. Ich schnappte mir die letzten Scheiben Vollkornbrot aus dem Brotkasten, schaltete die volle Kaffeemaschine aus, zog die Kanne heraus und brachte beides zum Tisch. Dann schenkte ich ihm die Tasse mit frischem Kaffee ein, während er mir die Kanne mit Orangensaft aus dem Kühlschrank holte. Wie er mir eingeschenkt hatte, setzte er sich mir gegenüber auf seinen Platz. Die Morgenzeitung, die in seiner hinteren Hosentasche steckte, legte er neben sich auf den Tisch, griff nach Milch und Zucker und stattete seinen Kaffee mit den nötigen Extras aus, um ihn für ihn selbst genießbar zu machen. Ich holte noch Messer aus der Schublade und setzte mich dann zu Will.
Als er mir das erste Mal sagte, dass er mich liebte, hätte ich ihm genau das gleiche gesagt, wenn ich nicht zu sehr Angst vor der Vergangenheit gehabt hätte. Mein Kopf formte immer wieder die Worte „Ich liebe dich auch“. Wenn die Angst nicht zu tief in mir verankert gewesen wäre, wäre ich ihm sofort um den Hals gefallen, hätte ihm immer wieder gesagt, dass seine Gefühle nicht einseitig waren. Ich wollte sie herausschreien, ihm das Gefühl geben, dass wir zusammen gehörten.
Und so war es auch heute wieder. Ich fühlte mich genau wie an diesem Tag. Mein Kopf formte wieder und wieder die Worte „Ich bin schwanger!“, würde sie einfach gerne los werden. Auch heute wollte ich am liebsten damit herausplatzen, was mir durch den Kopf schwebte.
Mit Sicherheit sagen, ob er wütend werden würde, konnte ich nicht. Ich wusste auch nicht, ob er entsetzt darüber wäre oder sich sogar freute.
In meinem Kopf spielten sich immer wieder die verschiedensten Szenarien ab, wie seine Reaktion ausfallen würde, und jedes Mal endete sie auf eine andere Art.
"Rozie? Rozie...? Rozie, die Vorhänge brennen."
"Bitte?", unbeholfen sah ich mein Gegenüber an.
"Ich sagte, die Vorhänge brennen."
"Bitte was?!", erschrocken wandte ich mich zum Küchenfenster um, suchte die Vorgänge nach Feuer ab, aber nichts stand nur ansatzweise in Flammen. "Will, wieso sagst du mir, es brennt, wenn es das gar nicht tut?", ich wandte mich zu ihm und beobachtete ihn dabei, wie er sich in seinem Stuhl nach hinten lehnte und die Arme vor der Brust verschränkte.
"Weil ich so wenigstens deine Aufmerksamkeit bekomme. Im übrigen brennt es nicht.", gab er lässig zu.
"Das sehe ich selbst.", schimpfte ich. "Ich hätte beinahe einen Herzanfall bekommen."
"Tut mir leid, mein Sonnenschein. Aber irgendwas musste ich ja sagen, damit du mir zuhörst."
"Was ist denn so dringend, dass du sogar einen frühzeitigen Herzinfarkt meinerseits riskierst?"
"Du hast dir ein halbes Päckchen Zucker in deinen Saft geschaufelt und rührst ihn auch noch um."
Stumm blinzelnd ließ ich den Blick auf mein Glas sinken, nur um festzustellen, dass er recht hatte. Vereinzelte Zuckerflocken wirbelten in meinem Saft mit. Ich seufzte ergeben, stand auf mit dem Glas in der Hand und leerte die Zuckerpampe in den Abfluss. Ich spülte es noch zwei, drei Mal aus, als Will die Arme von hinten um mich legte und sein Kinn auf meine Schulter bettete. In meinem Kopf tobte noch immer ein Sturm, während in meiner Brust ein ganzer Stamm einen wilden Regentanz aufführte.
"Ich werde das Gefühl nicht los, dass dich irgendwas bedrückt, Roze. Rede mit mir, mein Herz. Was hast du?", seine Stimme an meinem Ohr jagte Gänsehaut über meinen Körper, der Sturm in meinem Kopf entwickelte sich zu einem Tornado, wild darauf, mein Inneres in tausend Stücke zu zerpflücken.
Wieder seufzte ich. Wie gerne wäre ich ehrlich zu ihm, würde ihm von meinen Sorgen erzählen, wenn ich nur wüsste, wie. Ich war mir nicht einmal sicher, ob ich mir das Ergebnis nicht sogar eingebildet hatte.
"Ich bin einfach müde.", redete ich mich raus. Sofort fühlte ich mich schlecht. Noch schlechter als sowieso schon. "Die Wärme, Will. Die 35° Grad, die letzten Tage setzten mir doch sehr zu."
"Dann solltest du dich hinlegen statt zu arbeiten, Rozie."
"Das geht nicht. Ich muss..."
"... deine Bestellung fertig machen. Ich weiß schon. Versprich mir bitte, dich auszuruhen, wenn du fertig bist. Ich mache mir ernsthafte Sorgen um dich."
„Wird schon, denke ich. Erstmal braucht Mrs. Sanders ihren Kuchen, sonst kann ich meine Zukunft als Bäckerin an den Nagel hängen.“, mir war alles andere als nach backen zu mute. Am liebsten hätte ich reinen Tisch gemacht. Hätte ausgepackt und Will die ganze Wahrheit gesagt. Trotzdem wusste ich, dass ich so schnell nicht mit der Wahrheit herausrücken konnte. Es bedarf in dieser Hinsicht ein wenig mehr Vorbereitung. In Momenten wie diesen wünschte ich mir meinen besten Freund zur Stelle, der einfach mit den Dingen herausrückte, ohne darüber nachzudenken, was er zu sagen hatte. Ich vermisste sein loses Mundwerk beinahe genauso sehr wie ihn selbst.
Der erste Teig verwandelte sich in eine unschöne Suppe. Der zweite Teig hatte so viele Klumpen, dass er hätte als Maulwurfshügel durchgehen können und der dritte Teig brach mir unter der Hand in viele kleine Teile. Und trotzdem hatten sie am Ende alle etwas gemeinsam: Sie fanden zusammen ein miserables Ende im Mülleimer, zu einem großen, unnützen Teigklumpen vereint.
Das wars! Mrs. Sanders würde sich ihren Apfelkuchen selbst backen müssen! Außer einen großen Haufen Müll brachte ich absolut nichts mehr zu Stande, was halbwegs ansehnlich wirkte. Dass mich der Gedanke schwanger zu sein, ohne dass Will etwas davon wusste, so aus dem Konzept brachte, ließ mich innerlich aufstöhnen. Immer wieder kreisten meine Gedanken um die beiden roten Striche auf dem Teststäbchen. Ich sah sie vor mir, wie ein schlechtes Omen, konnte an nichts anderes mehr denken, als daran, wie sich der zweite, kleine Strich immer kräftiger einfärbte. Wie sich mir der Magen umdrehte, als er immer sichtbarer wurde. Die Erkenntnis, die sich langsam in meinem Kopf ausbreitete, als die Neuigkeit Raum fand.
Ich atmete tief durch, den Kopf in den Nacken gelegt und die Augen geschlossen, schickte ein stummes „Fang dich endlich!“ in meine sich drehenden Gedanken. Ich gab mir die größte Mühe an nichts zu denken, verbannte jeden weiteren Gedanken in die hinterste Ecke meines Gehirns und schnappte, als endlich Stille einkehrte, nach dem Mehl und der grünen Schüssel, stellte diese auf die Küchenwaage und füllte so viel Mehl ein, bis ich bei zweihundertfünfzig Gramm ankam. Gefolgt von Backpulver, Zucker und Puddingpulver, jeweils die gewünschte Menge, mischte ich alles zusammen. Kaum hatten sich die Zutaten zusammen gefunden, wichen meine Gedanken wieder zurück zu dem roten Strich. Als hätte er sich gedacht, mich rund um die Uhr zu nerven, ging mir der Anblick nicht aus dem Sinn, wie sich die Farbe immer deutlicher verstärkte und nach guten fünfzehn Minuten immer noch nicht verblasste.
So plötzlich, wie sich das Paar Hände auf meine Hüften legte, so heftig schreckte ich hoch, als Wills Gesicht zu meiner Rechten auftauchte. Ich schrie ertappt auf, zuckte deutlich zusammen, die Kanne mit Milch, die ich in meinem halb anwesenden Zustand in die Hand genommen hatte, schoss in die Höhe und mit einer wuchtigen Geschwindigkeit landete der Inhalt quer über meiner Arbeitsfläche, meiner Kleidung und zu allem Überfluss auch noch in meinem Gesicht.
„Tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken.“, entschuldigte sich Will eilig, gab mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange, schnappte sich sofort ein Geschirrtuch und reichte es mir.
„Das hast du aber!“, schimpfte ich ein wenig zu spitz, während ich mir die Milchspritzer aus dem Gesicht wischte. Dann wischte ich über die Arbeitsfläche, versuchte seinem Blicken auszuweichen. „Was machst du überhaupt hier?“
Er ließ sich einen Moment Zeit mit seiner Antwort, suchte meine Augen, die ihm vehement auswichen, weil ich mich schuldig fühlte, dank des kleinen Geheimnis, das sich in meinem Bauch versteckte.
„Kaffee...“, sagte er nur. „Die ersten Geräte sind angeschlossen. Wir wollten kurz Pause machen und dann direkt wieder an die Arbeit gehen.“
Ich warf das nasse Geschirrtuch in den Wäschekorb, wich weiterhin seinem Blick aus, weil ich ihn beim besten Willen nicht ansehen konnte. Wir hatten uns versprochen ehrlich zueinander zu sein, an dem Tag, als ich mit ihm auf dem Dach seiner Schule saß. Ihm jetzt auch noch zu verschweigen, dass er Vater wird, fühlte sich an, als hätte ich ihn jahrelang belogen und mit seinem Bruder betrogen. Dabei wusste ich selbst grade mal ein paar Stunden davon. Ein paar Stunden, die sich anfühlten wie dreißig Jahre. Mindestens!
Ich versuchte, so gut wie möglich, nicht an den Test zu denken, schob stattdessen meine restlichen Zutaten, die nicht nass geworden waren bei Seite und wandte mich dann zu ihm. Ich öffnete den Mund, um ihm endlich zu sagen, was los ist, als er mir mit einem besorgten „Was ist los, Rozie?“ den Wind aus den Segeln nahm.
In mir verkrampfte sich alles, in meinem Kopf schrien die Stimmen durcheinander „Sie ist schwanger!“ immer und immer wieder, wie ein widerhallendes Echo in einer dunklen, feuchten Höhle. Es musste einfach nur raus. Drei kleine Worte, die gesagt werden wollten, nein, gesagt werden mussten! Und, als hätte mir jemand einen Apfel in den Mund gestopft, blieben mir die Worte im Halse stecken. Stattdessen hörte ich mich selbst, mit viel zu hoher Stimme quaken: „Mir ist die Hitze zu viel.“
Er seufzte ergeben, stützte sich an die Arbeitsfläche neben mir, bedachte mich mit ernster Miene, als könnte er mir so aus der Klemme helfen. „Rozie...“
„Doch, wirklich!“, verteidigte ich mich und meine Stimme stieg um eine Oktave höher. „Es ist heiß, draußen sind mittlerweile 36° Grad und die Küche ist auch nicht viel kühler durch den erhitzen Backofen...“
„Der Backofen ist aus, Oz.“, warf er ein, seine Miene wurde skeptisch. „Ich werde einfach das Gefühl nicht los, dass dir irgendetwas auf der Seele brennt.“
„Ach! Was weißt du schon!“, schimpfte ich und wedelte mit einem Messbecher vor seiner Nase herum. Ich wusste nicht, wann ich dazu gegriffen hatte, aber als ich ihn bewusst bemerkte, starrte ich ihn an, stellte ihn mit einem genervten Schnauben auf die Arbeitsfläche und kämpfte mich aus meiner Schürze, die ich unbeherrscht auf den nächsten Stuhl warf. Ich gab einen müden Seufzer von mir und schnaubte dann ein mattes: „Ich lege mich besser hin.“
„Besser ist es.“, meinte er nur. Bevor ich mich an ihm vorbei schieben konnte, packte er mich am Handgelenk, zog mich sanft in eine Umarmung und gab mir dann einen liebevollen Kuss auf die Stirn. Seine Wärme tat mir gut, half mir ein wenig, wieder runter zu kommen. Ich legte den Kopf an seine Brust und sofort, als sein Herzschlag mein Gehörgang erreichte, ging auch mein Puls herunter. Das, was ich an Will so sehr liebte, war genau das hier. Er musste nur in meiner Nähe sein, damit ich mich besser fühlte. Seine Umarmung allein reichte um einen ganze Krieg zu stoppen. Er musste mir nur die Hand reichen und der Sturm in meinem Inneren verwandelte sich in einen leichtes, wohltuendes Lüftchen, dass mir um die Wangen wehte. Er war das rettende Boot in meinem Leben, das mich daran hinderte zu ertrinken. Wie konnte ich ihm also weiterhin verschweigen, was los war, wenn er so viel für mich tat? Ich musste es ihm einfach sagen! Am besten noch heute.
„Ich liebe dich, Roze. Erhol' dich. Ich schaue später nach dir.“
„Ich liebe dich auch, Will.“, murmelte ich leise, erwiderte endlich seine Umarmung und schmiegte mich fester an ihn. „Mach dir keine Sorgen um mich. Ich komm schon wieder auf die Beine.“
„Hoffentlich.“, er hob mein Kinn mit zwei Fingern an und sah mir tief in die Augen. „Ruf mich, wenn was ist. Ich sollte dann auch in zwei Sekunden bei dir.“
„Wird schwierig, wenn ich schlafe.“, ich lächelte ein halbherziges Lächeln und streckte mich ihm zu einem Kuss entgegen. Er küsste mich so sanft, wie er mich auch in die Arme geschlossen hatte und entließ mich kurz darauf aus der Küche, begleitet von den Geräuschen der Kaffeemaschine, die er eingeschaltet hatte, während ich mich die Treppe ins Schlafzimmer hoch schleppte.
Ich hatte mich rückwärts nach hinten fallen lassen, kaum dass die Tür hinter mir zugefallen war. Die Matratze gab federnd unter mir nach, Decke und Kissen fühlten sich wie Wolken unter meinem schweren Körper an. Es war noch nicht mal Mittag und schon lag ich wieder im Bett. Nichts, aber auch absolut gar nichts war schlimmer, als einen Tag lang vollkommen unproduktiv zu sein. Ich verfluchte mich dafür, dass ich Will nicht die Wahrheit sagen konnte. Ich verfluchte mich noch mehr, dass ich diesen dämlichen Kuchen nicht auf die Reihe bekam und ich hasste mich am allermeisten dafür, dass ich immer noch dieses kleine Geheimnis mit mir herum trug, dass in meinem Bauch heran wuchs. Dieses kleine, zierliche Wesen, dass bald unser ganzes Leben auf den Kopf stellen würde. Es kam ganz und gar nicht in Frage, es weg machen zu lassen. Ich war ja nicht lebensmüde! Das würde ich meinem Baby unter Garantie nicht antun. Auch wenn es im Moment nicht zu unserer Zukunftsplanung gehörte, würde es trotzdem seinen Weg in diese Welt finden. Und wenn ich dafür meinen Plan von einem Café in den Wind schießen müsste, nichts, wirklich gar nichts, würde sich zwischen mich und mein Würmchen stellen.
Wir Drachen waren, was das Thema anging, absolute Muttertiere. Dass das klar auf der Hand lag, musste ich niemandem erklären. Wir würden lieber sterben, als irgendetwas an unser Kleines kommen zu lassen. Auch wenn das bedeuten sollte, dass ich es vielleicht alleine großziehen musste. Mit keinem Wort konnte ich sagen, ob Will begeistert oder wütend über diese kleine Neuigkeit sein würde. Klein traf es in der Hinsicht wie den Nagel auf den Kopf.
Ich musste über meine Grübeleien hinweg eingeschlafen sein, ohne es bemerkt zu haben. Dass ich träumte, merkte ich vor allem daran, dass unser kleines Zuhause mit mehreren Kinderwägen vollgestopft und mein Bauch um das dreifache gewachsen war. Um meine Füße tanzten mindestens zwei dutzend kleine Kinder herum, jedes zweite hatte die dunklen Haare von Will und die andere Hälfte hatte meine blonde Mähne geerbt. Caleb saß zusammen mit Wills Schwester Tiziana auf der Couch, beide mit einer edlen Tasse in der Hand, in eine hitzige Unterhaltung über Windelhersteller vertieft. Kurrios wurde es, als sie die verschiedenen Hersteller an einem Whiteboard auflisteten und mit Magneten die verschiedenen Arten von Windeln anhefteten.
Das war schließlich auch der Moment, in dem ich wach wurde. Windeln auf einer Tafel waren mir eindeutig eine Nummer zu viel.
Draußen ging bereits die Sonne unter, so lange hatte ich geschlafen, ohne es zu wollen. Der Tag war definitiv gelaufen! Ich hatte weder meinen Kuchen fertig bekommen, noch hatte ich Will die kleine Neuigkeit übermittelt.
Apropos Will. Er musste in der Zeit, in der ich geschlafen hatte, bei mir gewesen sein, wie er es mir zugesagt hatte. Über mich hatte er eine dünne Fleecedecke ausgebreitet, auf dem Nachttisch stand neben einem vollen Glas Wasser eine schmale, blaue Vase, in die er buntgemischte Wildblumen gestellt hatte. Mein Herz erfreute sich viel zu sehr über seine fürsorgliche Art, sackte aber auch genau so schnell wieder in die Knie, weil ich ihn in dem Glauben gelassen hatte, krank zu sein, nur weil ich nicht mit der Wahrheit herausrückte. Verflucht noch eins! Ich musste das endlich aus der Welt schaffen!
Ich griff nach dem Glas auf dem Nachttisch und trank einen kräftigen Schluck, als die Tür aufging und Will mit einer dampfenden Schüssel herein kam. Mein Herz sprengte mir eine Delle in den Brustkorb, als er auftauchte und meinem Blick begegnete. Ich musste ihn angesehen haben, als hätte ich ihn zum ersten Mal in meinem Leben gesehen, denn er legte den Kopf schief.
„Du bist ja wach.“, bemerkte er.
Nervös drehte ich das Glas in meiner Hand, fuhr mit dem Zeigefinger über den Rand und verfluchte mich innerlich dafür, dass ich ohne Grund auch noch rot wurde. Das hier war immer noch mein Will. Der einzige Mensch, der mich besser kannte als ich mich selbst. Warum wurde ich denn bei seinem Anblick rot? „Grade wach geworden.“, murmelte ich mit gesenktem Kopf, weil ich nicht wollte, dass er die Farbe auf meinen Wangen bemerkte.
Er bemerkte sie trotzdem. Wäre ja auch gelacht, wenn er es nicht sehen könnte. Man konnte ein verlegenes Gesicht ja auch so von jetzt auf gleich verschwinden lassen.
Behutsam nahm er mir das Glas aus der Hand, reichte mir die Schüssel mit Suppe, stellte das Wasser zurück auf den Nachttisch und setzte sich dann zu mir auf den Bettrand. Ich hielt den Blick weiterhin gesenkt, nicht umhin kommend, mir ein Lächeln verkneifen zu können. „Du hast mir eine Suppe gekocht.“
„Und das, ohne dass die Küche in Flammen steht.“
„Mit Buchstabennudeln.“
„Mit Buchstabennudeln, so wie du sie am liebsten hast.“
„Du bist zu gut zu mir, weißt du das eigentlich?“, endlich schaffte ich es auch mal, mein Gegenüber anzusehen. Ich hob den Kopf und schaute ihm direkt in die Augen, brachte aber auch nicht mehr zu Stande. Er hatte wieder diesen sorgenvollen Ausdruck im Gesicht, der mein Innerstes durchbohrte. Will machte sich meinetwegen immer noch Gedanken, nur weil ich den Mund nicht auf bekam.
„Geht es dir denn wenigstens ein bisschen besser?“, fragte er vorsichtig. „Oder muss ich doch in Erwägung ziehen, einen Arzt anzurufen?“
„Der Schlaf hat mir ganz gut getan.“, versicherte ich ihm, klang dabei allerdings nicht so überzeugend, wie ich wollte. „Ich werde keinen Arzt brauchen. Bei deiner liebevollen Pflege bin ich ganz schnell wieder auf den Beinen.“
„Dann iss, mein Sonnenschein.“, er beugte sich vor und drückte mir einen weichen Kuss auf die Stirn. Als er wieder aufstand, durchfuhr mich eine Welle der Panik. „Ich schau später noch mal nach dir. Iss und ruh' dich aus.“
„Will, warte kurz!“, fiel ich ein. Er hatte kaum die Tür erreicht, da hielt er in der Bewegung inne. „Hast du einen Moment Zeit zum reden?“ Mir raste das Herz, ich war mir sicher, dass er meinen beschleunigten Herzschlag hören konnte. Meine Hände fingen an zu schwitzen, und das nicht, weil ich immer noch meine Suppenschüssel in der Hand hielt. Mir drehte sich der Magen wie ein Kettenkarussell.
Du redest jeden Tag mit ihm! Du teilst dir mit diesem Mann das Bett... Sogar viel mehr als das! So schwer kann es doch nicht sein, verflucht!, schimpfte eine Stimme in meinem Kopf mit mir. Die selbe, die auch schon heute Morgen schreien wollte, aber kein Wort heraus bekam.
„Lass uns später reden, Rozie. Henry müsste wieder zurück sein. Er wollte nur kurz sein Werkzeug holen, damit wir weiter arbeiten können.“
„Ihr werkelt immer noch?“, fragte ich überrascht. Ich dachte eigentlich, sie seien schon eine ganze Weile fertig für heute, wenn man bedachte, dass bereits die Sonne unterging. Wie spät war es überhaupt, wenn sie jetzt noch fleißig waren?
Als hätte er meine Gedanken gelesen, sah Will erst zum Fenster und dann wieder zu mir. „Wir sind mit dem Wichtigsten fertig geworden, wollen aber zusehen, dass wir heute noch so viel erreichen, wie möglich. Es ist fast Acht, Rozie. Wenn wir unseren Plan einhalten, werden wir heute mit den letzten Elektrogeräten fertig.“
„Oh... Ach so...“, murmelte ich. Möglicherweise konnte er mir meine Enttäuschung ansehen.
„Ist es wirklich so dringend?“
„Nein,“, ich schüttelte den Kopf und rang mir ein Lächeln ab. „Das kann warten. Geh ruhig deiner Arbeit nach. Wir können später reden.“
Er schwieg einen Moment, gab sich aber wenige Sekunden später geschlagen. „Heute Abend haben wir ganz viel Zeit, glaub mir. Dann sind die schlimmsten Arbeiten erledigt und deine Backstube ein ganzes Stück näher.“
Wieder lächelte ich. Natürlich, als wäre die Küche unsere größte Sorge. Wenn ich nicht so feige wäre, müsste ich mir nicht erst überlegen, wie ich dieses Gespräch über die Bühne bringen sollte.
„Na los, geh und sei fleißig.“, ermutigte ich ihn, versuchte dabei nicht zu viel nachzudenken. Wir würden schon unsere Chance bekommen, über alles zu reden. Innerlich machte ich mich zwar schon auf das Schlimmste gefasst, weil ich seine Reaktion ganz und gar nicht einschätzen konnte, gab mir dabei allerdings die größte Mühe meine Bedenken nicht nach außen zu tragen.
Er warf mir zwischen Tür und Angel noch ein „Ich liebe dich.“ zu, dann war er auch schon im Flur verschwunden und hatte die Tür hinter sich zugezogen.
„Ja.... ich dich auch...“, sagte ich zu mir selbst. Ich sah den winzigen Buchstaben dabei zu, wie sie in der klaren Brühe schwammen, sich hin und her jagten und zusammenhanglose Worte bildeten. Mit dem Löffel rührte ich kleine Wirbel auf, sah zu, wie sich die Buchstaben im Kreis zu fangen versuchten, und nahm schließlich einen Löffel voll, pustete gut, um mir nicht die Zunge zu verbrennen, musste aber feststellen, dass sie auch ohne pusten weitestgehend heruntergekühlt war.
Als wir vor einem guten Jahr bei seiner Familie waren, bat er mich darum, ihm ein paar Sachen bezüglich des Kochens beizubringen und ich versprach ihm, dass ich mit Freuden mein Wissen mit ihm teilen würde.
Wir hatten nach unserem Einzug ein paar Tage gebraucht, um uns einzufinden, hatten unsere Pläne für die Zukunft, den Aufbau unserer Farm und unseres Cafés, in allen Einzelheiten durchgeplant, und als auch die kleinste Kleinigkeit besprochen war, machte ich mich daran, mein Versprechen in die Tat umzusetzen.
In den paar Monaten, die wir hier nun zusammen lebten, hatte er schon einiges gelernt, allem voran, die Küche nicht in die Luft zu sprengen, weil er möglicherweise vergaß, den Herd auszuschalten. Er war manchmal etwas neben der Spur, aber er machte seine Sache sehr gut. Einen besseren Lehrling als Will konnte ich mir wirklich nicht wünschen. Er hörte zu, nahm jeden Ratschlag an, setzte diesen meist auch direkt in die Tat um und machte nur ganz wenige zweideutige Bemerkungen, die mich aus dem Konzept bringen sollten. Ab und an bekam er zwar dafür ein Geschirrtuch ins Gesicht, aber auch das schreckte ihn nicht davor ab zuzuhören.
Er hatte sich in den letzten Wochen wirklich gesteigert, die Suppe schmeckte unglaublich gut und war so schnell leer, dass ich mich einen Moment fragte, ob irgendwo ein Loch im Boden meiner Schüssel war, von dem ich nichts wusste. Mein Magen knurrte, als Symbol dafür, wie groß mein Hunger eigentlich war. Also schnappe ich mir die leere Schüssel und trug sie und meinen müden Körper die Stufen runter in unsere kleine gemütliche Küche. Ich war zwar etwas spät dran, aber längst nicht zu spät, um mein Kuchenproblem aus der Welt zu schaffen, das mir wieder in den Sinn kam, als ich das nicht vorhandene Chaos in meiner Küche vorfand.
Ein weiteres Lob, dass ich meinem Freund zusprechen durfte. Er hasste es mehr als Fernsehen, wenn irgendetwas herumstand. Aufräumen fiel ihm leichter von der Hand als mir, mich für ein Gericht zu entscheiden, dass wir gemeinsam kochen konnten.Und das hieß schon was. Eigentlich hatte ich immer recht schnell einen Plan, konnte zur Not auch spontan etwas aus dem Hut zaubern, dass nicht nach zusammengewürfelt aussah und wie englischer Vorgarten schmeckte.
Memo an mich: Ihm unbedingt dafür danken, dass er mein wildes Durcheinander beseitigt hatte.
Ich stellte die schmutzige Schüssel ins Spülbecken, sammelte aus den Schränken das gröbste Material zusammen, stellte die nötigen Zutaten dazu und verbannte die Gedanken an das kleine Wesen in meinem Bauch fürs erste in die hinterste Ecke meines Gehirns. Ich musste mich unbedingt konzentrieren. Dieser verfluchte Kuchen musste heute noch fertig werden! Mrs. Sanders brauchte ihn gleich morgens in der Früh, was bedeutete, er musste backen, auskühlen und lieferfertig sein, sodass er morgens um Sechs auch bei ihr bereit stand. Auch wenn das bedeutete, dass ich vielleicht eine kleine Nachtschicht einlegen musste.
Also warf ich mir meine Schürze um, die auf einem Harken neben der Tür zur Backstube hing, schloss kurz die Augen und holte tief Luft, um Kraft für die nächsten zwei Stunden zu sammeln. Begleitet von dem Lärm, der aus der offenen Tür zu meiner Rechten drang, machte ich mich daran den Teig für den Boden vorzubereiten. Eine gute halbe Stunde schaffte ich es sogar, meine Arbeit zu erledigen, ohne an rote Striche und Windeln zu denken.
Als ich mich daran machte Äpfel zu schälen und zu vierteln, und ich so meinen Gedanken wieder Raum gab, um sich selbstständig zu machen, wanderten diese wie von selbst zu dem Test von heute Morgen und die Frage, wie ich Will am besten davon erzählen sollte, nahm innerhalb von Sekunden meine gesamte Welt ein. Automatisch fing ich an, mir eine Rede zusammen zustellen, die immer wirrer wurde, je mehr ich dazudichtete, verwarf jede Version daran genauso schnell wieder, um mir dann eine neue zusammen zu basteln, die schlimmer war als die Variante davor. Einmal überlegte ich sogar ihm ein Whiteboard aufzustellen und ihm einen Vortrag über den besten Windelhersteller vorzutragen. Großer Drache, das war doch absurd! Dieser Traum war genauso verrückt, wie die Tatsache, dass ich nicht wusste, wie ich drei kleine Worte über die Lippen bringen konnte.
Als ich Schritte vernahm, die sich aus dem Zwischenraum von Backstube zu Küche näherten, gab ich mir selbst einen innerlichen Tritt, schüttelte die Gedanken an meine schlechte Rede ab und riss mich mit größter Mühe zusammen.
Ich erblickte Henrys nussbraunes Haar als erstes im Türrahmen, gefolgt von meinem Partner, der unserem Nachbarn ein breites Grinsen entgegen brachte und mein Herz zum Überschlag trieb.
„Du wirst dich noch wundern, mein Freund.“, sagte Will noch zu ihm, dann tauchten beide in voller Größe in der Küche auf. „Dich schaff ich sogar mit verbundenen Augen.“
„Wie willst du denn dann deine Karten sehen?“, lachte er. „Wusste gar nicht, dass Feen den Durchblick haben. Hey Rozie, so spät noch fleißig?“
Ich schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln, legte das Messer weg, dass ich zum teilen der Apfelstücke in der Hand hielt und wandte mich den beiden zu. „Was soll ich dazu sagen? Die Arbeit schläft nicht. Ihr wart ja auch noch sehr lange dabei.“
„Und hoffentlich nicht zu laut. Dir geht’s besser?“
Ich nickte, dankbar um diese Ablenkung. „Ja, auf jeden Fall. Danke der Nachfrage. Wie geht’s dir? Bleibt es morgen bei unserem gemeinsamen Abend?“
„Na sicher doch!“, antwortete er sofort. „Cassie freut sich schon sehr auf euch. Sie hat erst gestern gesagt, dass der letzte Spieleabend viel zu lange her ist.“
„Ja, das ist er wirklich.“, übernahm Will das Wort, reichte unserem Nachbarn eine Flasche Bier und stieß mit ihm an. „Was aber auch ganz sicher ist, ist dass du morgen haushoch untergehen wirst.“
„Abwarten, mein treuer, geflügelter Freund. Ich habe eine Taktik, die dich blass werden lässt.“
„Willst du die Karten heimlich verschwinden lassen?“, lachte Will.
Schweigen von Seiten unseres Freundes. Dann: „Okay, ich brauche einen neuen Plan!“, er lachte über seinen Spruch und wir fielen mit ein. Ich verbarg mein Lachen hinter vorgehaltener Hand.
Ein Mal im Monat veranstalteten wir einen Pärchenabend mit unserem Nachbarn und seiner Freundin Cassie, an denen wir entweder auf Gesellschaftsspiele zurück griffen oder auch mal gemeinsam ausgingen um Billard zu spielen. Wenn etwas anständiges zu sehen war, verirrten wir uns auch mal ins Kino. Natürlich unter mangelndem Interesse seitens meines Partners, der immer noch alles verfluchte, was Hollywood produzierte. In der Hinsicht hatte er sich nicht verändert.
Im Wechsel fanden unsere Abende mal bei uns und mal bei ihnen statt. Unsere gemeinsame Zeit war immer etwas besonders, vor allem, da ich in Cassie eine treue und liebenswerte Freundin gefunden hatte, die, seit wir Shadow Cove verlassen hatten, neben Misha immer ein offenes Ohr für mich hatte.
Henry war ebenfalls durch die Obhut von Wills Vater vor Jahren, wahrscheinlich noch lange bevor es Will gab, hier an den Hof gekommen. Sie hatten sich auf Anhieb verstanden, etwas, dass ich für fast unmöglich gehalten hatte, als wir ihn kennenlernten, und mittlerweile war er nicht nur ein enger Freund, sondern auch Teil unseres kleinen Unternehmens geworden. Wir bauten nicht nur Obst und Gemüse an, dass wir in unseren Waren verarbeiteten, sondern zogen uns gegenseitig hoch, brachten aller Art Getreide an den Mann, dass wiederum Henry auf seinem Stück Land anbaute. Als wir dachten, wir würden uns zusammen etwas aufbauen, nur Will und ich, hatten wir nicht damit gerechnet, dass wir einen der besten Geschäftspartner direkt nebenan wohnen hatten.
Wir weihten ihn und Cassie in unsere Pläne ein und er stimmte sofort zu, dass er die Sache mit uns durchziehen würde, was wiederum bedeutete, dass er mehr Zeit hatte, Will ein bisschen wegen seines Feenblutes aufzuziehen. Dafür durfte er sich schlechte Scherze anhören, über die Tierarten, in die er sich verwandeln konnte. Henry war nämlich ein Gestaltwandler.
Während sich die beiden Männer noch eine Weile über Kartenspiele und die Pläne der nächsten Umbauarbeiten unterhielten, wobei der ein oder andere Feenwitz fiel, machte ich mich daran, meine Bestellung fertig zu kriegen. Die Beiden unterhielten sich noch eine ganze Zeit, verlegten ihr Gespräch ins Wohnzimmer und ließen mich meiner Arbeit nachgehen. Ich nahm Gesprächsfetzen auf, die sich um Kabelschellen und Stromleitungen drehten, verfolgte diese aber nicht sonderlich lange. Wobei ich um diese Art von Abwechslung sehr dankbar war. Ich spitzte nicht mit Absicht die Ohren, schnappte nur beiläufig ein paar Worte auf, die meine Gedanken in eine andere Richtung lenkten. Bis mein Kuchen schließlich im Ofen war, dachte ich nicht über meinen kleinen Bauchbewohner und die Nachricht, die ich Will noch übermitteln musste, nach.
Eine gute halbe Stunde später, nachdem meine kleine Eieruhr in Form eines Hahns mit Schürze und Schneebesen im Flügel, klingelte, durfte auch der fertige Kuchen endlich aus dem Ofen.
Ich setzte ihn auf ein Kuchengitter und stellte ihn zum Abkühlen auf die Seite, räumte mein letztes bisschen Chaos in die Spülmaschine und wischte mir mit einem Stück Küchenrolle den Schweiß von der Stirn. Zwischenzeitig hatte sich unser Nachbar von uns verabschiedet und war gegangen. Will war oben verschwunden. Ich nahm an, dass er unter der Dusche stand, während ich meiner Arbeit nachgegangen war. Bevor ich mich aus der Küche zurück zog, schnappte ich mir aus unserem Vorrats- und Lagerraum einen Kuchenkarton, einen Pappteller und eine Seite Tortenspitze, richtete den aufgefalteten Karton für den morgigen Transport auf den Küchentisch und verließ dann für diesen Tag meine Küche.
Es ärgerte mich noch immer, dass ich den halben Tag mit Schlafen vergeudet hatte. Dass sich Will um das Abendessen kümmern musste. Dass ich immer noch nicht wusste, wie ich nun mit der Wahrheit herausgerückt sollte. Warum war es einfacher, sich irgendwelche Geschichten auszudenken, statt das zu sagen, was einem auf dem Herzen lag?
Ich hörte das Wasser aus dem Duschkopf, welches gegen den Duschvorhang prasselte, als ich ins Schlafzimmer trat und meinen Freund nicht sofort vorfand. Der Duft von Shampoo und der Wasserdampf von nebenan verteilte sich in leichten Wolken und zogen durch den offenen Spalt in der Badezimmertür zu mir. Während Will unter der Dusche blieb, streifte ich mir meine Kleidung ab, wühlte unter meinem Kissen nach meinen Schlafsachen und machte mich ohne weiteres fürs Bett fertig.
Als ich mich umgezogen hatte, strich ich mir das Haar zur Seite, flocht mir einen lockeren Zopf zusammen und wühlte in meiner Nachttischschublade nach einem Haargummi, dass ich mir am Ende um die Haare wickelte. Ich hatte den ganzen Tag nicht viel getan, vor allem, da ich die meiste Zeit verschlafen hatte, und trotzdem fühlte ich mich völlig fertig, richtig müde, dabei hätte ich das gar nicht sein dürfen. Neben dem Aufbau der Backstube, nahmen wir immer wieder kleinere Aufträge an, wie eben den, den ich morgen ausführen sollte. Normalerweise war ich von einem Kuchen, den ich backen durfte, nicht so ausgelaugt, dass ich mich nicht mehr auf den Füßen halten konnte. Aber die Tatsache, dass in mir ein neues Leben heranwuchs und Will keine Ahnung davon hatte, war so anstrengend, als würde ich wieder drei Vollzeitjobs gleichzeitig nachgehen.
In meinem Kopf begannen sich erneut die ersten Szenarien zusammenzufügen, wie ich ein Gespräch anfangen, es in die richtige Richtung lenken konnte, aber nichts von all dem, machte einen Sinn.
Eins der Gespräche begann mit „Weißt du, ich wurde gestern Nacht von Außerirdischen entführt, die mir ein Baby eingepflanzt haben und wollen, dass ich deshalb ihre neue Königin werde.“
Aber diesen Gedanken verwarf ich sofort wieder. Ich überlegte, ob ich ihm etwas von Bienen und Blumen erzählen sollte, fand die Variante aber noch gruseliger als die Alien-Version.
Mit einem müden Seufzer warf ich mich aufs Bett, die Arme zu beiden Seiten ausgestreckt, den Blick stumm an die Decke gerichtet. Das konnte doch nicht so schwer sein. Drei kleine Worte, verflucht! Die würde ich wohl irgendwie über die Lippen bekommen. Immerhin hatte ich ihm bereits weitaus schlimmere Dinge erzählt.
Seltsamerweise setzte sich in meinem Kopf eine weitaus dämlichere Szenerie zusammen, nämlich eine, die ihm in einem indischen Bollywoodtanz die Nachricht auf musikalische Art übermittelte. Großer Drache! Dann doch lieber die Alien-Geschichte! Die ergab wenigstens irgendeinen Sinn, auch wenn ich noch nicht ganz sicher war, welchen.
Nebenan wurde das Wasser abgestellt, ich vernahm ein paar gedämpfte Hintergrundgeräusche, blieb aber weiterhin liegen und starrte Löcher in die Luft. Irgendwann schloss ich einfach die Augen, lauschte den Geräuschen aus dem Bad und versuchte dabei an absolut nichts zu denken. Was leichter war gesagt als getan. Immer wieder sah ich die roten Striche vor meinen inneren Augen, Kinderwägen und Windeln, kleine Kinder, die wild umher krabbelten. Ich sah mich mit kugelrundem Bauch, mal mit und mal ohne Schürze um den Körper gebunden.
Die Tür zum Bad öffnete sich mit einem leisen Quietschen, Schritte folgten und wenig später bewegte sich etwas am Fußende des Bettes. Die Matratze senkte sich leicht, ich spürte den Hauch einer Bewegung an meinem Bauch und zuckte zusammen, als sich Hände unter mein Top schoben, meine nackte Haut entblößte und sich etwas weiches über meine Bauchdecke nach oben bewegte. Ganz sanft und zart verteilte Will Küsse erst unter, dann über meinem Bauchnabel, bahnte sich einen Weg weiter nach oben, bis er zwischen meinen Brüsten angelangt war. Gänsehaut breitete sich auf meinem Körper aus, ich öffnete die Augen und versuchte das Kribbeln in meinem Magen zu ignorieren, kämpfte gegen die aufkommende Panik an, die sich durch meine Eingeweide fraß.
„Rozie, was ist los?“, Wills Stimme klang tiefer als sonst, als sein Mund neben meinem Ohr auftauchte. Er küsste mich am Hals entlang, knabbere an der empfindlichen Haut unterhalb meines Ohrläppchens, die mich normalerweise vollkommen willenlos machte. Ich konnte nichts weiteres tun, als an die Decke zu starren. „Du bist gar nicht bei der Sache. Normalerweise stöhnst du, wenn ich dich beiße.“
„Nicht aufhören... Mach weiter... genau da...“, murmelte ich wenig überzeugend und eine Spur zu monoton, mehr zur Decke als sonst wo hin. Wenigstens war er über meinen traurigen Versuch, mitzumachen, amüsiert. Er lachte leise.
„Das trägt nicht gerade zur Stimmung bei, mein Sonnenschein.“, er hatte ein schiefes Grinsen auf den Lippen, als er sich neben mich auf den Ellenbogen stützte und zu mir herunter sah. Ich wandte den Kopf zu ihm, sah ihn an, verzog dabei aber keine Miene. Mir stand gerade überhaupt nicht der Sinn nach Vorspiel oder irgendwas in die Richtung. Ich würde jetzt am liebsten im Boden versinken. Ein riesiges Leuchtschild in die Höhe halten, auf dem in fetten Buchstaben „Herzlichen Glückwunsch, Papa!“ steht. Ich würde gerne meinen Frust aus meinem Körper in eine Backzutat verwandeln und sie in einen Nacked-Cake verarbeiten.
Ich schnaubte müde. „Ich bin einfach nicht in Stimmung, Will.“
„Kann ich denn irgendetwas für dich tun?“, er strich mir eine lose Haarsträhne aus der Stirn, ließ sie langsam zwischen seinen Fingern hindurch gleiten, dann fanden diese einen Platz auf meiner Wange, die er zärtlich zu streicheln begann. Es kribbelte, wo er mich berührte. Er beugte sich vor und gab mir einen Kuss, der kaum meinen Mund berührte. „Dir zuhören, vielleicht? Du wolltest doch mit mir reden.“
„Ich möchte nicht reden.“, nuschelte ich ertappt.
Doch! Will ich!, brüllte es in meinem Kopf. Ich will dir schon den ganzen Tag sagen, dass da etwas Kleines unser ganzes Leben verändern wird!
„Ganz sicher?“, hakte er nach. „Irgendwas sagt mir, dass dich etwas beschäftigt. Sollte ich etwas wissen? Oder ist das, was du mir nicht sagen möchtest nicht für meine Ohren bestimmt?“
Es machte mich wahnsinnig, dass er so ruhig blieb, obwohl in mir ein drei Tage andauernder Sturm tobte. Gott, dieser Mann las in mir, wie in einem offenen Buch! War ich wirklich so schlecht darin, etwas vor ihm zu verbergen? Ich wollte ja gar nichts vor ihm geheim halten. Er sollte es ja wissen. Wieso schaffte ich es dann nicht, überhaupt darüber nachzudenken, den Mund aufzumachen?
Ich seufzte frustriert, schob ihn von mir und stieß einen Fluch aus. „Weißt du, es dreht sich nicht immer alles um dich!“, maulte ich ihn an und kämpfte mich aus dem Bett. Er setzte sich sofort auf, als ich am Fuße des Bettes angekommen war.
„Rozie...“, er wirkte teilnahmslos, als würde er mich nicht ernst nehmen. Keine Ahnung wieso, aber alleine, dass er mich beim Namen nannte, machte mich nur noch wütender. Wütend auf mich selbst. Er konnte ja gar nichts dafür. Nein, ihn traf keinerlei Schuld an meinem Verhalten, an meiner Feigheit. An der Tatsache, dass ich den Mund nicht auf bekam.
„Du gehst mir gehörig auf den Geist, Will! Weißt du eigentlich, dass du eine unerträgliche Nervensäge sein kannst?“, fluchte ich angefressen von nichts.
Ich hörte ihn erneut meinen Namen rufen, doch da fiel die Tür bereits hinter mir mit einem lauten Knall zu. Erschöpft von meinem eigenen künstlichen Drama, lehnte ich mich mit dem Rücken dagegen, froh über den Abstand, den ich gewinnen konnte. Mir stieg meine eigene Laune zu Kopf, ich war genervt von mir selbst und der Tatsache, dem Grund meiner Probleme aus dem Weg gegangen zu sein, statt reinen Tisch zu machen.
In dem kleinen Raum, lief ich auf und ab, riss das Fenster neben der Dusche auf, um frische Luft hereinzulassen. Dann ging ich zum Waschbecken, drehte den Wasserhahn auf und spritze mir kaltes Wasser ins Gesicht.
Das hätte ich vielleicht früher tun sollen. Das kalte Wasser, dass in meinem Gesicht landete, war wie ein nötiger Weckruf, den ich dringend gebraucht hatte. Mein überhitztes Gemüt kühlte sofort runter, ich bekam wieder richtig Luft, konnte meine Gedanken sortieren, die sich kreisend und fluchend durch meinen Schädel jagten.
Ich sammelte mich, atmete ein paar Mal tief durch, dann drehte ich den Wasserhahn zu und trocknete meine Hände und mein Gesicht ab, betrachtete meine geröteten Wangen im Spiegel.
Es war wirklich Zeit, die Fakten auf den Tisch zu legen. Ich musste es ihm sagen, sonst würde ich noch in tausend Teile explodieren.
Also gab ich mir innerlich eine kräftige Ohrfeige, sammelte mein letztes bisschen Kraft zusammen, was ich noch aufbringen konnte und ging zur Tür, die ich, wie ich feststellte, viel zu langsam öffnete.
Als ich ins Schlafzimmer trat, lag Will der Länge nach auf dem Bett, die Arme unter dem Kopf verschränkt. Zu meiner Überraschung hatte er sich ein Shirt übergezogen. Was wohl ganz gut so war. Wäre es schräg, ihm zu sagen, dass er Vater wird, wenn er nur Boxershorts trug?
Wenn mich mein Kind irgendwann fragte, wie wir von ihm oder ihr erfahren hatten, wollte ich nicht unbedingt mit „Ich hab es deinem Vater gesagt, nachdem ich vollkommen durchgedreht bin und ihn zusammengestaucht habe, dass er eine unerträgliche Nervensäge ist, obwohl er nichts getan hat. Ach ja, dabei war er so gut wie nackt!“ antworten. Das war der Stoff, aus dem Traumata gemacht wurden. Oder so etwas ähnliches zumindest.
Beim rausgehen schaltete ich das Licht im Badezimmer noch aus und trat dann ans Fußende. Will blieb die Ruhe selbst und einen Moment lang wünschte ich mir, dass ich das auch konnte. Die Ruhe bewahren, mich nicht zu sehr in die Situation hinein steigern.
„Geht's dir besser?“, fragte er ruhig. Ich hatte den Moment im Bad wirklich gebraucht, wollte aber nichts dazu sagen, also verkniff ich mir ein Nicken und biss mir auf die Unterlippen, um nichts blödes zu sagen oder um mich wieder aus der Sache herauszureden.
„Kannst du...“, ich stockte, unsicher wie ich den Satz beenden sollte, weil ich nicht wusste, was ich eigentlich hätte sagen können. Stattdessen streckte ich die Hände nach ihm aus. „Kommst du zu mir?“
Er hob eine Braue, setzte sich aber gleich auf und rutschte zu mir nach vorne, um nach meinen Händen zu greifen. Ich half ihm auf, machte ihm soweit Platz, damit er aufstehen konnte und verschränkte meine Finger mit seinen. Ihn jetzt loszulassen, kam gar nicht in Frage. Möglicherweise wäre ich sonst schreiend davon gelaufen. Das wollten wir um jeden Preis vermeiden.
„Okay...“, ich versuchte es erneut mit tief durchatmen. Will wartete geduldig auf mich, womöglich auf eine Erklärung meiner übertriebenen Reaktion. „Ich muss vielleicht doch mit dir reden.“
„Nur zu.“, ermutigte er mich. „Ich hab die ganze Nacht Zeit.“
Die hatten wir beide und trotzdem wollte ich die Sache so schnell wie möglich über die Bühne bringen. Mühsam hielt ich den Blick auf unsere ineinander verschränkten Finger gerichtet, gab mir einen Schubs, um endlich den Mund zu öffnen.
„Will... es...tut mir leid, dass ich dich grundlos angeschnauzt habe.“
„Schon gut. Ich stehe drauf, wenn du deine dominante Seite raus lässt. Du weißt gar nicht, wie sehr mich das anmacht.“
„Nimm das hier bitte mal ein bisschen ernst.“, tadelte ich ihn sofort und sah ihm in die Augen.
Er grinste schelmisch. „Schon gut, ich höre ja schon auf.“
„Danke...“, murmelte ich, gab mir einen Ruck, um jetzt bloß keinen weiteren Rückzieher zu machen. „Es ist nur...in meinem Kopf gehen ein paar Dinge herum, die mich zu sehr beschäftigen, die mir sogar ein bisschen Angst machen. Die ich...“ ich hatte den Faden verloren. Großer Drache, das konnte doch nicht wahr sein!
Weil ich nicht wusste, wo mir der Kopf stand, legte ich seine Hände auf meinen Bauch, legte meine vorsichtig darüber, wartete einen Moment, ob er etwas zu sagen hatte. Ich nutzte den Moment des Schweigens, um nach den richtigen Worten zu suchen und sah ihm schließlich tief in die Augen. So wie es auch sein sollte, wenn er die Wahrheit erfuhr. „Will... in der nächsten Zeit wird sich hier ein bisschen etwas verändern. Zwischen dir und mir... wird ein ganz neues Leben entstehen.“
Er schwieg, blinzelte ein paar Mal, öffnete den Mund um etwas zu sagen, brachte aber kein Wort über die Lippen. Er brauchte kurz, um diese Information zu verarbeiten.
Irgendwann brachte er ein fast flüsterndes „Du bist schwanger...“ hervor. Ich konnte nicht deuten, was seine Miene zu verraten hatte. Er reagierte so gut wie gar nicht, als ich schließlich doch nickte.
„Wir... werden Eltern?“ fragte er ruhig.
Ich nickte. Zu einer verbalen Antwort war ich nicht im Stande.
„Wir werden Eltern...“, wiederholte er murmelnd, mehr zu sich selbst. Wieder konnte ich nur ein Nicken hervorbringen.
Er bewegte sich nicht, ließ seine Hände auf meinem Bauch ruhen, schaute mir so tief in die Augen, dass ich das Gefühl verspürte, wie Butter in der Sonne zu schmelzen. Meine Beine zitterten, meine Hände fingen an zu schwitzen.
„Heiliger!“, stieß er plötzlich aus. „Wir werden Eltern!“
„Ja, Will, das bedeutet es, wenn man ein Baby erwartet. Dann wird man ganz automatisch dazu.“, bestätigte ich seinen plötzlichen Ausbruch.
„Scheiße, Rozie!“, ich glaubte einen Moment, er würde anfangen zu schreien, mir den Kopf abreißen, zornig werden oder, was auch immer. Als er im nächsten Moment mein Gesicht packte und mich zu einem stürmischen Kuss an sich zog, der mir den Atem verschlug, wusste ich immer noch nicht ganz, was das zu bedeuten hatte. Ich blinzelte nur, als hätte ich Staub in die Augen bekommen. Konnte nicht denken oder gar atmen. In meinem Bauch tobte noch immer ein heftiger Sturm aus Laubblättern, Schmetterlingen und Dingen, die einem Übelkeit erregten.
Irgendwann ließ er meine Wangen los, schlang stattdessen die Arme fest um mich und hob mich sogar ein Stück weit vom Boden hoch. Ich schrie überrascht auf, weil ich mit einem derartigen Gefühlsausbruch nicht gerechnet hatte. Eigentlich hatte ich gar nichts erwartet, außer Theater und Geschrei. „Wie lange weißt du schon davon?“, fragte er und setzte mich wieder auf den Boden.
„Ähm... seit heute morgen. Bist du denn gar nicht sauer?“
„Wieso sollte ich sauer sein? Ich meine, ich habe damit gerechnet, dass wir... Mir war klar, dass wir irgendwann so weit sind, und eine Familie gründen, aber, dass das so schnell passiert.... Ich freue mich darüber. Ich habe keinen Grund wütend zu sein.“
„Aber, ich dachte, du kannst Kinder nicht ausstehen.“, sagte ich und legte den Kopf schief.
„Ich habe nie gesagt, dass ich sie nicht ausstehen kann. Ich sagte nur, dass ich nicht mit Kindern umgehen kann. Das wird eine ziemliche Herausforderung für uns, das ist dir bewusst, oder?“
„Schon... ich bin nur... verwirrt.“
„Wieso denn verwirrt?“
„Weil ich nicht weiß, wohin mit meinen Gefühlen.“, gestand ich. Ich kämpfte gegen die Tränen an, die sich einen Weg in meine Augen bahnten, schluckte sie aber mit größter Mühe irgendwie herunter. „Ich weiß einfach nicht, ob wir schon soweit sind, den nächsten Schritt zu gehen, Will. Der Aufbau unseres Cafés steht noch an. Die ersten Schritte zur kommenden Eröffnung sind schon in Planung. Wir haben täglich Bestellungen, die ausgeliefert werden müssen... und...“
„Hey, sieh mich an.“, er packte erneut mein Gesicht, zwang mich dazu, ihn direkt anzusehen. Ich hatte einen Kloß im Hals, mein Magen rebellierte wie verrückt. Will brachte mich mit einer einzigen Berührung dazu, mich zu beruhigen. „Wir kriegen das hin, okay? Wir schaffen das, egal, wie anstrengend und chaotisch die nächsten Wochen oder Monate auch werden. Millionen anderer Leute haben vor uns Kinder bekommen, und die haben es, mehr oder weniger, auch geschafft. Dann schaffen wir das mit Sicherheit. Natürlich wird sich in der nächsten Zeit viel verändern, aber das heißt nicht, dass wir nicht auch das hinbekommen, was wir uns für die kommenden Jahre vorgenommen haben.“
„Weißt du, dass du wirklich eine unerträgliche Nervensäge sein kannst?“, nuschelte ich, den Tränen nahe. Er grinste und zog mich dann wieder zu einem vorsichtigen Kuss an sich heran.
„Das bin ich liebend gerne für dich, Oz. Solange ich dich dadurch auf dem Boden der Tatsachen halten kann, mache ich das auch sofort gegen körperliche Bezahlung.“
Okay, bei allen Drachen dieser Welt, aber dieser Mann brachte mich noch um den Verstand! Auf eine positive Art und Weise, natürlich.
„Du weißt hoffentlich auch, dass du ein Idiot bist, oder?“, ich konnte mir ein Schmunzeln über seine letzte Aussage nicht verkneifen. Meine Wangen ließ er nun los, zog mich stattdessen in eine sanfte Umarmung und hielt mich einfach nur fest. Ich legte die Arme um ihn, bettete meinen Kopf an seine Brust und erlaubte mir, tief durchzuatmen.
„Ich weiß schon, Rozie.“, er streichelte mir behutsam über den Rücken. „Aber, sag mal: Hast du mich deshalb heute Mittag mit einem Messbecher bedroht?“
„Kann man so sagen.“, gestand ich verlegen. „Eben deshalb habe ich heute morgen so lange das Bad blockiert. Und sämtliche Kuchenversuche in die Tonne geworfen. Weil ich nicht wusste, wohin mit mir. Wir begeben uns auf eine komplett neue Ebene unserer Beziehung, Will. Kinder waren so nie ein Thema für uns.“
„Dann wird es eben jetzt zu einem.“, warf er ein. Er hauchte mir noch einen weichen Kuss auf die Nase, packte meine Taille fester und ließ sich im nächsten Moment vor mir auf die Knie sinken. Als er dann noch mein Oberteil hoch schob und meinen nackten Bauch freilegte, wusste ich nicht, was ich noch denken sollte. Mein Herz klopfte wie wild, als er anfing, gegen meine Bauchdecke zu sprechen. „Hey, du da drin,“, sagte er leise. „Falls du mich hören kannst, lass mich dir sagen, Mama ist verrückt. Du wirst es gut bei uns haben. Egal, wie viel Chaos hier noch ausbricht, dir wird es an nichts fehlen. Dein alter Herr wird schon dafür sorgen. Wir schaffen das, hörst du?“
Unwillkürlich musste ich kichern. „Ich glaube nicht, dass unser Baby dich schon hören kann.“
„Man weiß ja nie. In dem Fall ist es nie zu früh, mit seinem Kind zu reden.“, erwiderte er, hauchte mir einen weichen Kuss über meinen Bauchnabel und flüsterte ein letztes Mal etwas gegen meinen Bauch, was ich jedoch nicht verstehen konnte. Schließlich richtete er sich wieder auf, zog mich an sich und hielt mich einfach nur fest.
So verweilten wir eine ganze Weile. Es fühlte sich wunderbar an, einfach nur gehalten zu werden. Es war verrückt zu glauben, dass Will über diese Nachricht fluchen würde. Mit einer Reaktion dieser Art hatte ich allerdings auch nicht gerechnet. Vielleicht, dass er, wie ich, ein wenig an sich zweifeln würde. Oder auf und abgehen würde, wie wir damit nun umgehen würden. Ich musste ihn wirklich schlecht kennen, auszuschließen, dass er sich über Nachwuchs freuen würde.
„Wir...sollten allerdings ein bisschen damit warten, bis wir es jemandem erzählen.“, brach ich unser schweigen. „In der ersten Zeit kann noch so viel schief gehen. Wir werden einen Arzt aufsuchen müssen, um zu sehen, ob alles gut ist. Wir wissen ja nicht, ob unser Baby gesund ist.“
„Darüber können wir morgen in aller Ruhe nachdenken. Wichtig ist, dass es euch zwei gut geht und ihr eine ordentliche Mütze Schlaf bekommt. Alles andere läuft uns nicht weg. Und morgen früh sieht die Welt auch schon wieder ganz anders aus.“
„Du wirst aber hoffentlich nicht einer dieser Eltern, die überfürsorglich auf jede Kleinigkeit achten, oder? Ich bin noch ganz am Anfang, Will.“, warf ich ein.
„Ich will nur, dass es euch an nichts fehlt. Das hat nichts mit übertriebener Fürsorge zu tun, mein Sonnenschein.“
„Natürlich nicht.“, erwiderte ich mit sarkastischem Ton. „Du bist dir also ganz sicher, dass wir das schaffen werden?“
Er sah mir tief in die Augen und allein an seinem Blick wusste ich, dass unserer kleinen Familie nichts im Wege stehen würde.
„Wir schaffen das ganz sicher.“, bestätigte er und grinste dann spitzbübisch. „Wobei ich nicht glaube, dass wir diese Neuigkeit lange vor Henry geheim halten können. Du kennst ihn und seine Spürnase. Er wird es wahrscheinlich heute Mittag schon lange vor mir erahnt haben. Spaßig wird es allerdings erst, wenn du Caleb davon erzählen wirst.“
Schlagartig hatte ich wieder das Bild vor Augen, wie mein bester Freund mit Wills Schwester einen Lageplan über Windeln ausarbeitete. Das war so schräg, wie der Gedanke, Will schonend beizubringen, dass er Vater werden würde. Er würde ganz sicher nicht so locker reagieren, wie Will es getan hatte. Vielleicht sollte ich ihm die Alien-Geschichte auftischen, damit er es besser verkraftete? Oder doch lieber Bienchen und Blümchen?
„Oh großer Drache!“, fluchte ich über meine wirren Gedanken. Will lachte herzlich über meine Reaktion. Er hatte ja keine Ahnung mit welchen wirren Gedanken ich mich befasste.
~Ende~
Titelgebender Song: Lauren Babic, Eric Groot, Tempered Lion - Have Faith in Me (A Day to Remember Cover)
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