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Umkehr (Herr der Fliegen)

von muirnel
Kurzbeschreibung
GeschichteAbenteuer / P16 / MaleSlash
09.12.2022
25.03.2023
17
32.908
2
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18.03.2023 1.875
 
Triggerwarnung:In diesem Kapitel gibt es kurze klaustrophobische Momente.


***



Ralph erwachte zum wiederholten Mal aus einem unruhigen Halbschlaf. Wie schon zuvor verwirrte ihn im ersten Augenblick Jacks sommersprossige Haut direkt vor seinem Gesicht, bis ihm alles wieder einfiel.
Was ihn jetzt daran hinderte, einfach wieder die Augen zu schließen und sich an den Freund zu schmiegen, war das veränderte Licht.
Ja, es war heller geworden. Zwei Silhouetten hoben sich vor dem Höhleneingang ab. Er setzte sich auf.

„Was machst du da?“ murmelte Jack verschlafen, während er ihm mit geschlossenen Augen die Hand um die Taille legte und versuchte, ihn wieder hinunterzuziehen.
Von Ralphs Widerstand irritiert öffnete er die Augen.
„Los, komm,“ sagte Ralph und zog ihn hoch.


Bill wurde knallrot, als er die beiden herankommen sah.
Harold blieb gelassen. „Das Unwetter scheint sich allmählich zu verziehen,“ berichtete er, „aber ich würd noch ’n bisschen warten, ehe wir rausgehen.“
Jack schaute durch den Regen über die immer noch windgepeitschte Lagune und nickte. „Hast recht.“
Er dachte einen Augenblick nach, ehe er weitersprach. „Aber wir wecken die anderen trotzdem jetzt schon. Damit wir gleich losziehen können, sobald es draußen ein bisschen sicherer ist.“


Der Regen hatte nachgelassen und die Böen waren schwächer geworden. Auf der Lagune kräuselten sich noch kleine Wellen, als alle am Höhleneingang versammelt waren.
Besorgte Vermutungen austauschend, traten sie zögernd auf das Sims hinaus. Und verstummten, als sie im blassen Morgenlicht das Werk der Zerstörung erblickten: Große Teile des Waldes waren nur noch Kleinholz.
Sam biss sich auf die Unterlippe. „Eric…“ murmelte er tonlos.
Harold legte ihm die Hand auf die Schulter. Und Roger … dachte er besorgt.
Und wie war es wohl Rob und Wilf ergangen?

Jack tastete nach Ralphs Hand und drückte sie kurz.
Dann schaute er um sich und holte tief Luft. „Ian und Maurice – ihr geht zum Feuerberg. Wenn – wenn mit Rob und Wilf alles in Ordnung ist, helft ihr ihnen, gleich wieder ein Feuer zu machen. Bill, du bleibst hier bei den Kleinen. Wir andern suchen Roger und Eric.“
Lieber hätte er Sam an Bills Stelle zurückgelassen, denn er wusste nicht was sie erwartete. Aber dann hätten sie ihn fesseln müssen.


Vorsichtig gingen sie über den nassen Damm, denn hin und wieder kam noch ein kräftiger Windstoß. Zum offenen Meer hin hatten die Brecher an einer Stelle ein Stück herausgerissen, so dass dort unvermutet der Abgrund neben ihnen gähnte. Der Damm war hier nur noch etwa einen Meter breit.
Unten nahmen Ian und Maurice den Weg nach links über den Strand, Ralph, Jack, Harold, Sam, Stan und Walt betraten den Wald, der sich erschreckend gelichtet hatte. Überall lag zersplittertes Holz, dazwischen ragten wie Halt suchende Finger die Wurzeln von Bäumen und Sträuchern empor. Sie versuchten, dem zu folgen, was vom nächsten Schweinesteig noch erkennbar war, wobei sie manchmal bis zu den Knöcheln im Schlamm einsanken.


Roger hatte seit Stunden in einer unbequemen Haltung neben Eric ausgeharrt, als endlich ein wenig Licht in ihren Unterschlupf drang.
Während es noch dunkel war, hatte es einmal ein ohrenbetäubendes Krachen gegeben, gefolgt von einer heftigen Erschütterung. Jetzt fand Roger seine Befürchtung bestätigt: ein dritter Baum war umgestürzt und blockierte die Öffnung, welche es vorher zwischen den beiden anderen Stämmen gegeben hatte.
Er drückte mit einer Hand dagegen, konnte aber aus seiner ungünstigen Position heraus nicht genug Kraft darauf ausüben. Ächzend versuchte er, sich anders hinzusetzen, gab aber bald auf, weil der Platz fehlte.
Fast war er froh, dass Eric bewusstlos war: Sie saßen in der Falle. Zusammen mit der Ungewissheit, wie es draußen aussah, und ob sie gefunden und befreit werden würden, konnte einen das leicht um den Verstand bringen.
Immerhin war sich Roger sicher, dass die andern bald eine gründliche Suche nach ihnen starten würden. Falls der Schweinesteig noch irgendwie sichtbar war, würde man sie hier wohl am ehesten finden. Es war ein Glück, dass er und Eric sich vor dem Beginn des Unwetters wieder auf diesem Pfad eingefunden hatten, denn anfangs hatten sie einzeln links und rechts davon nach Echsen gesucht.

Neben ihm erklang ein Stöhnen.
„Eric?“
„Scheiße, mir tut alles weh,“ brummte der Zwilling und wollte sich aufrichten. Im nächsten Moment gab es einen Rums und fast gleichzeitig einen lauten Fluch.
„Au, mein Kopf! Verdammt, wo sind wir hier?“
„Im Wald, zwischen ein paar umgestürzten Bäumen. Weißt du noch – wir wollten Echsen jagen.“
„Ja – aber – “ verwirrt brach Eric ab.
Roger ließ ihm etwas Zeit, um sich zu erinnern.
„Der Sturm… ja, jetzt weiß ich’s wieder. Es hat gedonnert und geblitzt und wir wollten zum Feuerberg – aber was machen wir in dem Loch hier?“
„Du bist gestern hingefallen und hast dir an irgendwas den Kopf angeschlagen. Hast über dem Auge geblutet. Ich hab dich dann unter die Bäume gezogen.“
Eric betastete sein Gesicht. „Danke, Roger. Tut mir leid, da kann ich mich nicht mehr dran erinnern. Mit dir alles okay?“
„Ja.“
„Gut. Aber Moment mal – gestern sagst du? Waren wir die ganze Nacht hier?“
„Ja, der Sturm ging stundenlang weiter.“
„Aber jetzt hat’s aufgehört und es wird hell. Vielleicht können wir den Stamm da wegschieben.“
„Hab’s schon versucht, aber ich komm nicht richtig ran,“ sagte Roger.
Eric streckte eine Hand aus, so gut es bei der Enge ging, und merkte schnell, dass auch er nichts ausrichten konnte.
„Mann, ich werd hier verrückt, ich muss hier raus!“ keuchte er.
„Geduld, Eric. Denk ’ne Weile nur dran, ruhig zu atmen, zähl auf hundert oder stell dir irgendwas Lustiges vor. Die finden uns sicher bald.“

Rogers ruhige Stimme tat fast noch mehr ihre Wirkung als seine Ratschläge.
Eric schloss die Augen und atmete ein paarmal tief ein und aus. In Gedanken versuchte er, auf hundert zu zählen, aber ständig musste er an Sam denken – und lustig war das auch nicht grade …
„Roger,“ seufzte er, „ich frag mich, was mit den andern ist – hoffentlich ist Sam nichts passiert!“
„Ihr habt gar nicht mehr miteinander geredet in letzter Zeit, oder? War irgendwas?“
Eric zögerte. Dann stieß er hervor, „Ich bin so ein verdammter Idiot! Ich war so gemein zu ihm, ich versteh gar nicht, was in mich gefahren ist! Er muss mich hassen! Hoffentlich ist es nicht zu spät.“
„Glaub ich nicht. Er ist bestimmt in Sicherheit, und das mit dem Streit, das kriegt ihr wieder in Ordnung.“


Nur weil sie den Schweinesteig in der Inselmitte in den vergangenen Jahren so unzählige Male gegangen waren und ihre Füße ihn dabei immer mehr ausgetreten hatten, konnten die Suchenden seinen Verlauf noch erahnen.
Jack hielt an. „Walt, wo habt ihr euch getrennt?“
Walt schaute umher. „Stan, war das hier?“
Aber auch Stan war ratlos. Nichts sah mehr aus wie vorher. „Vielleicht ’n Stück weiter hinten … aber sicher bin ich nicht.“
„Und wann war das ?“ Blöde Frage, schalt sich Jack im gleichen Augenblick, als ob hier irgendwer ’ne Uhr hätte. Schnell fügte er hinzu: „Ich mein, wie weit seid ihr gegangen, ehe ihr wieder zurück seid?“
„Nur ’n kurzes Stück auf dem Steig da an der Nordseite.“
Jack überlegte. „Dann müssen sie bis zu der Stelle gekommen sein, wo – “
Ralph unterbrach ihn. „Schau dir das doch an – meinst du, wir finden hier irgend ’ne bestimmte Stelle wieder?“
„Hast recht – wir können nur versuchen, dem Steig zu folgen so gut es geht, und hoffen, dass sie nicht irgendwo mitten im Wald sind. Am besten verteilen wir uns ein bisschen.“
Jacks Worten folgte unvermittelt ein Krachen, und ein abgebrochener Ast fiel Stan vor die Füße. Erschrocken sprang er einen Schritt zurück.

„Nicht ganz ungefährlich hier…“ bemerkte Ralph stirnrunzelnd, „aber trotzdem – wir müssen die beiden finden!“

Erneut setzten sie sich in Bewegung, wobei sie immer wieder riefen „Eric!“ „Roger!“ „Wo seid ihr?“
„Haltet auch die Augen offen!“ sagte Jack.
Harold nickte sorgenvoll. „Ja – schlimmstenfalls können sie uns gar nicht hören oder selber rufen …“

Es war ein mühsames Fortkommen. Immer wieder mussten sie über umgestürzte Bäume klettern oder sich zwischen ihnen und den stehengebliebenen Bäumen und Sträuchern hindurchzwängen.
Nach einiger Zeit kamen sie an einem toten Schwein vorbei.
„Hat sich wohl das Genick gebrochen,“ sagte Jack. „Wir nehmen ’s nachher mit, es sei denn …“
Alle ahnten, was er nicht gesagt hatte: es sei denn, sie mussten ihre vermissten Freunde tragen.


Die beiden harrten währenddessen in ihrem unbequemen Unterschlupf aus und lauschten.
Der Wald war erwacht, und die gewohnten Geräusche waren zurückgekehrt: der Ruf eines Vogels, das Sirren und Summen von Insekten, hier leises Zwitschern, dort lautes Gezeter.
Doch ohne den dichten Pflanzenbewuchs hallten die Klänge ins Leere, nur ab und zu unterbrochen vom Krachen herabfallender Äste.

„Ich hab was gehört,“ sagte Eric aufgeregt.
„Ja – da sind irgendwo Stimmen!“
Im nächsten Moment johlten und brüllten beide: „Hierher!“ „Hier sind wir!“
Dazwischen lachten sie wie die Idioten. „Sie sind da!“ „Wir kommen hier raus!“
Die Stimmen näherten sich, und Eric erkannte auch die seines Bruders. „Sam! Hier bin ich!“
„Eric!“ Sam wäre gerannt, wenn es irgendwo ein Durchkommen gegeben hätte.
„Da muss es sein!“ rief Jack und zeigte auf einen umgestürzten Baum, über dem zwei weitere lagen.

Bald standen sie vor dem unfreiwilligen Gefängnis ihrer Freunde. Von draußen und von drinnen riefen alle durcheinander: „Endlich!“ „Seid ihr okay?“ „Roger!“ „Eric!“ „Sam!“
Jack spähte durch einen Spalt zwischen den Stämmen und erkannte, wie eingequetscht die beiden dort saßen. Erics linke Gesichtshälfte war mit getrocknetem Blut verunstaltet. „Eric – was ist mit dir?“
„Hab mir den Kopf angeschlagen, aber sonst ist alles in Ordnung.“
„Und Roger?“
„Keine Sorge, noch alles dran.“
Jack drehte sich zu Sam um. „Eric sieht übel aus, aber es ist wohl nichts Schlimmes.“

Sam beugte sich über die Baumstämme und schluckte. „Eric, du siehst vielleicht scheiße aus … bist du wirklich okay?“
„Alles in Ordnung, Sam!“
„Du auch, Roger?“
„Ja, alles gut!“
„Eric, ich war so ’n Idiot!“
„Nee, ich war ’n Idiot!“
„Also gut, Bruderherz, wir sind beide die größten Deppen des Universums.“
Harold kam an Sams Seite. „Roger, Eric! Wir holen euch da raus!“

Sie sahen sich die Lage der Stämme an. Einer der beiden oberen war vorn und hinten zwischen anderen stehenden oder liegenden Bäumen eingekeilt, der andere lag frei.
„Den müssen wir irgendwie wegkriegen! He, ihr da drinnen, duckt euch ’n bisschen, wir schieben den einen Baum weg.“
„Sonst noch was?“ tönte es sarkastisch zwischen den Stämmen hervor.
Aber irgendwie schafften es die Eingeschlossenen, sich unter zusätzlichen Verrenkungen zu ducken.

Die Jäger stemmten sich mit vereinten Kräften gegen den Baumstamm und schoben, bis es einen Ruck gab: er saß an einem Ast des darunterliegenden Stammes fest. Fluchend und schwitzend hackte und säbelte Jack mit seinem Dolch daran herum.
Als er ihn erschöpft sinken ließ, streckte Ralph die Hand danach aus. „Gib her. Am besten wechseln wir uns ab!“
Sam löste Ralph ab, Harold Sam, und kurz nachdem Walt Stan abgelöst hatte, gab der Ast endlich nach und sie konnten ihn wegdrücken und den obenliegenden Baumstamm über den Aststumpf schieben.

Eric und Roger waren frei.
Von der Sonne geblendet, die inzwischen wieder vom Himmel brannte, kniffen sie die Augen zusammen. Auf ihren steifen und eingeschlafenen Beinen konnten sie erstmal kaum stehen.
Beide waren schlammverschmiert. Eric hatte bei seinem Sturz auch einige Kratzer abgekriegt. Am auffälligsten aber war die blutverkrustete Platzwunde über seinem linken Auge.
Noch ganz benommen betrachteten sie die Verheerung um sich herum.
Harold klopfte Roger grinsend auf die Schulter. „Ihr habt so ein verdammtes Glück gehabt!“

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