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Der Ketzer (Der Ketzer und sein Widersacher #1)

Kurzbeschreibung
GeschichteDrama / P16 / Gen
Guy of Gisburne König John Robert de Rainault der Sheriff of Nottingham Robin of Loxley / Robert of Huntingdon
08.12.2022
08.12.2022
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Ich konnte es nicht leugnen, ich musste zumindest mir selbst gegenüber eingestehen, dass meine jetzige Lage mir ziemlich große Angst einjagte, auch wenn ich versucht hatte, mich damit zu trösten, ich würde dies nicht mehr lange ertragen müssen. Trotzdem wollte ich – verständlicherweise, wie ich meinte - über das, was vor dem Ende kommen sollte, nicht wirklich nachdenken. Dabei wusste ich, dass ich den Tod im Allgemeinen nicht fürchtete. Ich wäre ein schlechter Soldat und Ritter, wenn ich mich nicht darauf eingestellt hätte im Kampf zu fallen. Dabei war es mir eigentlich egal, ob dies durch das Schwert eines Franzosen in der Normandie geschehen konnte oder durch den Pfeil eines Gesetzlosen in Sherwood. Mir war bewusst, dass der Tod mich jederzeit hätte ereilen können und mit dieser Erkenntnis hatte ich mich bereits in jungen Jahren abgefunden.
Schwieriger war es da für mich schon geworden, mich an den Gedanken zu gewöhnen, das Schwert des Scharfrichters könne mein Leben beenden, aber sowohl Richard Löwenherz als auch dessen Bruder John hatten dafür gesorgt, dass mir dies nicht mehr unmöglich erschien. Auch die Tatsache, dass ich im Dienst von Robert de Rainault, dem Sheriff von Nottingham, stand, hatte dazu beigetragen, denn der Mann hatte mich in manches Komplott verwickelt, einzig aus dem Grund mich im Notfall zum Sündenbock machen zu können. Und leider konnte ich nicht sagen, dass er der Einzige war, der sich meiner in dieser Hinsicht bediente. Die einzige Konstante dabei war mein eigenes Unvermögen, mich aus all dem herauszuhalten. Das war mir nie gelungen.
Die Monate nach meiner Gefangennahme, die Zeit, in der des Königs Schergen - ohne Erfolg - versuchten, mich mit Hilfe von Folter zu einem Geständnis zu bewegen, hatten mir Zeit genug gegeben, mich an den Gedanken zu gewöhnen, der König könne mir das Privileg eines Adeligen verwehren, durch die Klinge zu sterben und er würde mich stattdessen wie einen gewöhnlichen Verbrecher aufknüpfen lassen. Mir wurde aber schnell klar, dass dies am Ende keinen Unterschied mehr machen würde.
Aber diese ganzen Überlegungen fanden vor meiner Gerichtsverhandlung statt.
Natürlich war ich davon ausgegangen, dass der König über mich zu Gericht sitzen wollte. Ich hatte das bereits als gegeben angenommen, bevor Johns Schergen versuchten ein Geständnis von mir zu erzwingen. Dabei war mir nicht entgangen, wie interessiert sie daran waren zu erfahren, was die Ritter der Apokalypse geplant gehabt hatten. Es hatte mich auch nicht überrascht, dass sie nicht gerade zimperlich vorgingen, denn dies war ja ihre Aufgabe, so wie es auch früher eine meiner Aufgaben im Dienst des Sheriffs war. Die Bemühungen von des Königs Männern hatten allerdings nicht zu dem gewünschten Erfolg geführt. Schließlich war Schmerz etwas, mit dem ich bereits von klein auf vertraut gemacht worden war und daher hatten sie es nicht geschafft, mich zum Reden zu bringen.
Trotzdem gab es zwei Dinge, die mich während dieser Zeit zum Grübeln brachten. Das eine war die Erkenntnis, dass ich tatsächlich der einzige des Ordens war, der überlebt hatte – dies war etwas, was einem meiner Befrager herausgerutscht war - was mich mein verdammtes Pech hatte verfluchen lassen. Wieso hatte ich nicht auch den Tod im Kampf finden können? Das andere betraf die Art meiner Befragung, die mir den Eindruck vermittelte, man würde mich aus irgendeinem Grund nicht so hart anfassen wie es möglich gewesen wäre. Dies verwunderte mich auch deshalb, weil ich mir ziemlich sicher war, dass auch ich der Folter irgendwann nicht mehr hätte standhalten können. Aber dieser Punkt war nie erreicht worden.
Dann hatten sie von einem zum anderen Tag völlig aufgehört mich zu befragen. Stattdessen war ich in eine andere, eine saubere Zelle gebracht worden, mit Tageslicht, einem Bett, Tisch und Stuhl. Man hatte sich um meine Verletzungen gekümmert, mir saubere Kleidung zur Verfügung gestellt – wie sie mir als Ritter, aber nicht unbedingt als Gefangener des Königs, zustand - und ich bekam jeden Tag ein richtiges Essen und sogar Wein. Dies weckte natürlich sofort mein Misstrauen, wenn ich auch nicht verstehen konnte, was damit bezweckt werden sollte.
Aber ich war mir ganz sicher, dass es nur etwas mit der Gerichtsverhandlung zu tun haben konnte, die mich erwartete. Ich konnte mir nur nicht erklären, welchen Vorteil der König sich von dieser Vorgehensweise versprach und dies war dann etwas, was mir schon etwas Sorgen bereitete. Über all das andere hinaus, das mir sowieso Sorgen machte. Aber auf der anderen Seite war ich mir ganz sicher bereits zu wissen, wie das alles enden würde und daher konnte ich nicht ganz verstehen, wieso ich überhaupt noch derart angestrengt über meine Zukunft nachdachte. Wieso war ich nicht in der Lage, mit dem Grübeln aufzuhören? Das war schon fast komisch zu nennen, hatte de Rainault mir doch immer vorgeworfen, ich hätte das Denken nicht erfunden.
Und dann kam der Tag heran, auf den ich gewartet hatte – und der König wahrscheinlich auch – aber den ich auch mehr als alles andere gefürchtet hatte.

Als die Tür zu meiner Zelle geöffnet wurde und ich erkannte, dass sich ein ganzer Trupp königlicher Soldaten davor eingefunden hatte, da wusste ich, dass dies nun endlich der Tag der Gerichtsverhandlung war. Aber ich war mir auch sicher, dass die gute Behandlung, die mir in den letzten Wochen zuteilgeworden war, damit ein Ende finden würde. Ich war mir aber auch sicher, dass sich für meine Meinung niemand interessieren würde, denn aus welchem Grund sollte sich daran etwas geändert haben.
Mehrere der Soldaten kamen zu mir in die Zelle, die ich nun schon seit geraumer Zeit nicht mehr hatte verlassen dürfen. Meine Handgelenke wurden hinter meinem Rücken zusammengekettet, aber so etwas hatte ich erwartet. Auch dass man meine Fußknöchel ebenfalls zusammenkettete, kam nicht als eine Überraschung für mich. Schließlich betrachtete mich der König – und wahrscheinlich nicht nur er –als einen Verräter. Da musste die Sicherheit der Anwesenden bedacht werden, aber darüber hinaus musste mir auch gezeigt werden, was man von mir hielt. Ich selbst hätte das auch nicht anders gemacht.
Aber was dann noch geschah, verunsicherte mich dann doch etwas, denn ich hatte auf keinen Fall erwartet, einen Knebel angelegt zu bekommen. Dies war keine übliche Prozedur und ich hatte es noch bei keiner Verhandlung, vor keinem Gericht, beobachtet. Das jagte mir dann doch etwas Angst ein, weil ich es nicht verstehen konnte. So war ich doch nicht imstande Fragen des Gerichts zu beantworten. Oder bedeutete dies vielleicht, dass mir niemand Fragen stellen wollte? Wollte der König nicht einmal so tun, als ob nicht schon alles im Vorhinein feststand? Auch wenn ich bereits davon ausgegangen war, dass diese Verhandlung nur eine Farce darstellte, verwunderte mich das, weil ich wirklich nicht erwartet hatte, man würde dies so offen zeigen.
Obwohl mich mit einem Mal ziemliche Ängste plagten, setzte ich alles daran zwischen den Soldaten erhobenen Hauptes in die Große Halle der Burg von Newark zu marschieren, in der der König über mich zu Gericht sitzen wollte. Ich bemühte mich ebenfalls, dass sich auf meinem Gesicht nichts von den unterschiedlichen Emotionen zeigte, die mich gerade überfielen. Das wurde in dem Moment ziemlich schwierig, als ich außer dem König und Ranulf de Blondeville - dem Earl of Chester - und dem Earl of Gloucester – dies war nicht mein alter Lehnsherr, sondern dessen Enkel Gilbert de Clare, der ihm nachgefolgt war – auch Eustace, den Bischof von Ely, William of Sainte-Mère-Église, den Bischof von London sowie Peter des Roches - der sowohl Bischof von Winchester als auch Oberster Justitiar von England war -  als meine Richter entdeckte.
Ich war mir sicher, dass die Anwesenheit von drei Bischöfen und dazu die von de Clare - der mir immer feindselig gegenübergetreten war – für mich nichts Gutes bedeutete. Aber was wollte ich mir vormachen? Es hatte auch zuvor schon nicht gut um mich gestanden und dies war mir ja auch schon bewusst geworden. Trotzdem kam mir die Zusammensetzung des Gerichts sonderbar vor und brachte mich erneut zum Grübeln. Mal davon abgesehen, dass ich ja ganz offensichtlich nicht sehr viel anderes tun konnte, da man es mir verwehrte mich mit eigenen Worten einzubringen.
König John hatte es offenbar nicht sonderlich eilig und so zog sich der Tag mit Aussagen der verschiedenen Personen hin, sowohl denen, die mir erst begegnet waren, nachdem ich mich als Ritter der Apokalypse zu erkennen gegeben hatte als auch jenen, die mich bereits aus meiner Zeit als Stellvertreter des Sheriffs von Nottingham kannten. Selbstverständlich kam der Sheriff selbst auch zu Wort, genauso wie sein Bruder, der so „ehrenwerte“ Hugo de Rainault. Ihn in den Kerker werfen zu lassen hatte mir eine große Genugtuung verschafft. Die Erinnerung an diesen Vorfall veranlasste den Abt von St. Mary’s vielleicht dazu, mir während seiner Aussage immer wieder finstere Blicke zuzuwerfen. Dies interessierte mich aber an diesem Tag nicht mehr als es früher der Fall war.
Robert de Rainault hingegen war viel mehr damit beschäftigt, sich in seinem neuen Ruhm zu baden als mir Aufmerksamkeit zu schenken. Das Wohlwollen des Königs hatte er der Tatsache zu verdanken, dass er es fertiggebracht hatte dem Herrscher Unterlagen des Ordens zu übergeben, unter anderen die Listen mit den Namen der Brüder. Allerdings konnte von den Männern, die dort aufgeführt waren, außer mir selbst niemand vom König zur Rechenschaft gezogen werden. Sie waren entweder in St. John’s gestorben oder befanden sich außerhalb seiner Reichweite in Frankreich und genossen den Schutz des französischen Königs, auch wenn ihr Vorhaben den englischen Herrscher zu überwerfen gescheitert war. Nur ein einziger Ritter hatte das Pech gehabt John lebend in die Hände zu fallen.
Obwohl ich es vorzog, meine jetzige Situation als eine Gelegenheit für mich anzusehen, den Orden voller Stolz zu repräsentieren. Dies hatte ich mir vorgenommen, ungeachtet der Zweifel an den Zielen und dem Vorgehen des Ordens, die mir bereits vor dem Kampf in St. John’s gekommen waren. Dies war allerdings nichts, was ich jemandem anderen zeigen würde. Außerdem würde das an meinem Schicksal auch nichts ändern und ich wollte den Menschen auf keinen Fall als Zauderer in Erinnerung bleiben. Lieber sollten sie sich an mich als einen zu allem entschlossenen Verräter erinnern, der auch nach seiner Gefangennahme zu seinen Überzeugungen stand.
Der Sheriff von Nottingham war der letzte Zeuge, der gehört wurde, bevor der König bekanntgab, dass er - und die anderen Richter – jetzt erst einmal ihr mitttägliches Mahl zu sich nehmen würden. Sie blieben dann für ungefähr zwei Stunden weg, währenddessen der Gefangene, also ich, in der Großen Halle verweilen und darauf warten musste, dass die Richter zurückkehrten.

Auch jetzt ließ der König mich wieder warten. Ich versuchte mir einzureden, dass mich das nicht weiter stören sollte, aber ich wusste, dies entsprach nicht der Wahrheit. Zumindest nicht der ganzen. Einerseits war ich geneigt jeden mir verbleibenden Moment als einen kostbaren Teil meines restlichen Lebens anzusehen, andererseits wäre ich sehr froh, wenn alles endlich vorbei war. Und dies lag zum Tal auch daran, dass ich so fürchterlich fror.
Natürlich hatte ich nicht erwarten können, dass ich zu dieser Zeit des Jahres von Wärme verwöhnt werden würde – bei dem Gedanken an die Vorstellung von Wärme konnte ich nicht verhindern, dass sich mein Gesicht zu einer Grimasse verzog, die ich bestimmt niemandem als Grinsen verkaufen konnte – aber ich hatte die Wachen belauschen können, die bereits seit Wochen von ungewöhnlich sonnigem Wetter sprachen. Daher hatte ich mich tatsächlich darauf gefreut, die Sonne noch einmal zu sehen zu bekommen, denn von ihr hatte ich in meiner feuchten und kalten Zelle nichts mitbekommen.
Aber das sollte mir wohl nicht vergönnt sein, denn sobald ich ins Freie geführt wurde, zogen Wolken auf, die mit einer erschreckend hohen Geschwindigkeit den ganzen Himmel bedeckten und der Sonne keine Chance mehr ließen, sie zu durchdringen. Der Burghof, auf dem sich an diesem Tag alles abspielen würde, war in kürzester Zeit in ein düsteres Zwielicht getaucht. Dazu war auch noch ein unangenehmer, kalter und böiger Wind aufgekommen, der vor allem daran schuld war, dass ich so fürchterlich fror, während ich gezwungen war auf den König zu warten.
So schlecht war es mir am Tag meiner Gerichtsverhandlung nicht ergangen, denn in der Großen Halle hatte eine durchaus angenehme Temperatur geherrscht. Das einzige, was mich störte, war die Tatsache, dass ich die ganze Zeit über stehen musste. Aber auch das würde irgendwann ein Ende finden, denn zum Schluss würde ich mich in einer Zelle wiederfinden, wo ich mich niederlegen konnte.

„Lasst uns dies nun zu Ende bringen!“ Der Tonfall, der sich John bei diesen Worten bediente, war durchaus jovial zu nennen und er ließ damit nicht erkennen, dass es an diesem Tag eigentlich um das Schicksal, um das Leben, eines Mannes ging. Wahrscheinlich dachte aber auch keiner der Anwesenden, der König wäre über seinen Wunsch hinaus, allen zu zeigen, wer hier das Sagen hätte, an irgendetwas anderem wirklich interessiert. Schließlich stand ja schon fest, was am Ende herauskommen würde.
„Wir haben nur noch zwei Aussagen, mein König“, ließ sich Peter des Roches, der Oberste Justitiar, vernehmen.
„Dann sollten wir jetzt schleunigst damit fortfahren.“ Es war nicht zu leugnen, dass der König ausnehmend guter Laune war. Vielleicht lag dies daran, dass er ja bereits wusste, wie das Urteil ausfallen würde. Selbst nach meiner eigenen Ansicht in meiner Rolle als Angeklagter konnte es für diese Verhandlung nur einen möglichen Ausgang geben.
„Der Earl of Huntingdon möge vortreten“, verkündete des Roches.
Bei diesen Worten verlagerte ich mein Gewicht, damit ich die Gelegenheit hatte mich etwas zu drehen, denn ich war durchaus daran interessiert, wie der bereits ältere David of Huntingdon die Gefangenschaft in St. John’s überstanden hatte. Es hatte mich überrascht, wie entsetzt ich darüber war, als ich nach meiner Rückkehr in die Festung feststellen musste, dass der Earl vom Konstabler seiner eigenen Burg verraten worden war und sich nun als Gefangener bei den Rittern der Apokalypse befand. Ich konnte mir nicht vorstellen, welchem Zweck dies dienen sollte, denn ich war mir sicher, er würde sich niemals davon überzeugen lassen, sich dem Orden anzuschließen. Er war aber meiner Meinung nach ein zu wichtiger Spieler in der Politik und um die Macht, um ihn einfach verschwinden zu lassen. Dies wäre nicht zum Vorteil des Ordens.
Zu dem Zeitpunkt hatte ich allerdings auch noch nicht gewusst, was de Montbalm mit des Earls Sohn, mit Robin Hood, vorhatte. Ich hatte den Gesetzlosen in die Festung gebracht, weil mir zuvor versprochen worden war, er würde hingerichtet werden, aber stattdessen unternahm man den Versuch, ihn ebenfalls zu einem Mitglied des Ordens zu machen. Niemand hatte auf mich hören wollen, als ich versuchte ihnen klarzumachen, dass dies keine gute Idee war. Niemand wollte mir glauben, als ich davon sprach, dass Hood als Hernes Sohn vor ihrer Einflussnahme geschützt war. Jeder war davon überzeugt, dass … derjenige, der unserem Orden Schutz bot und ihm Macht und Stärke verlieh, nicht gegen einen alten sächsischen Aberglauben verlieren konnte. Ich musste allerdings zugeben, dass ich selbst auch dieser Meinung war, als ich mich dem Orden anschloss. Dieses Vorgehen der Verantwortlichen verstärkte aber meine Unzufriedenheit weiter und schürte meine Zweifel.
Wieder einmal hatte ich aber zu spät damit begonnen über die Situation nachzudenken, in die ich mich hineinmanövriert hatte. Der Zeitpunkt, an dem ich mich noch hätte retten können, lag bereits in der Vergangenheit. In dem Zusammenhang brachte es auch nichts mehr, dass ich es bedauerte den Earl als Gefangenen wiederzufinden. Dies war allerdings der Grund, wieso ich daran interessiert war zu sehen, wie er diese Zeit überstanden hatte.
Aber statt David of Huntingdon, der sich für viele Jahre als einer der mächtigsten Barone des Reiches hervorgetan hatte – was bestimmt auch damit zu tun hatte, dass er Bruder und Enkel eines schottischen Königs war – trat ein sehr viel jüngerer Mann nach vorne. Ein Mann, der mir allerdings sehr gut bekannt war, aber den ich hier – außer als Gefangener des Königs – niemals erwartet hätte. Und ganz bestimmt nicht als Earl of Huntingdon.
Bei dem Mann, der jetzt vor die Richter trat, handelte es sich nämlich um niemanden anderen als Robin Hood, den selbsternannten „König von Sherwood“ und Sohn von Herne. Und ganz offensichtlich war er jetzt auch ganz offiziell wieder Sohn und Erbe des Earl of Huntingdon. Oder besser gesagt: er war der Nachfolger von David of Huntingdon.
Ich erwischte mich dabei, dass ich beinahe den Kopf geschüttelt hätte, weil ich so verblüfft darüber war, dass der König offenbar ernsthaft vorhatte diesen Mann als Zeugen anzuhören. Was konnte nur geschehen sein, dass John ihm erlaubt hatte seinem Vater nachzufolgen. Und wann war der alte Earl gestorben? Hoffentlich doch nicht in der Gefangenschaft beim Orden, denn das hatte er sicherlich nicht verdient.
Es war schon seltsam, dass ich Mitleid für einen Mann empfand, der mich niemals wohlwollend betrachtet hatte. Im Gegenteil, er hatte nie einen Zweifel daran gelassen, dass er nichts als Verachtung für den Mann empfand, der dem Sheriff von Nottingham als Stellvertreter diente. Trotzdem musste ich jetzt feststellen, dass ich nicht umhinkam den Earl für seine Ansichten und seine Bestimmtheit Bewunderung entgegenzubringen. Sein Tod war sicherlich ein Verlust für das Reich. Das konnte selbst ich nicht leugnen, ungeachtet der Tatsache, dass ich wissentlich an einem Umsturz mitgewirkt hatte.
„My Lord Earl“, sprach des Roches den ehemaligen – ehemaligen? – Gesetzlosen an. „Eure Gemahlin und Ihr habt bereits vor einiger Zeit über die Ereignisse, die zu dem Kampf in St. John’s führten und über den Kampf selbst eine Aussage gemacht. Diese wurde auch bereits niedergeschrieben und beglaubigt, daher glaube ich, es ist im Interesse dieses Gerichts und auch in seinem Sinn, wenn wir diese Aufzeichnung nun einfach verlesen werden. Damit müsst Ihr Euer Gedächtnis nicht bemühen.“
„Das ist sehr zuvorkommend von Euch, My Lord“, erwiderte der Jüngere, während er sich etwas zur Seite bewegte, als würde er sich direkt vor den Richtern nicht wirklich wohl fühlen.
„Ich hatte mich darauf gefreut, den Anblick Eurer reizenden Gemahlin genießen zu dürfen“, ließ der König sich noch einmal vernehmen. „Sie hat Euch nicht begleitet?“
„Meine Gemahlin bedauert es sehr nicht hier sein zu können, aber angesichts der Tatsache, dass sie meinen Sohn unter dem Herzen trägt, wollten wir kein Risiko eingehen und sie den Strapazen einer Reise nicht aussetzen.“
Ich stellte fest, dass Hood nichts von seiner Fähigkeit verloren hatte unverfroren Lügen zu verbreiten und es amüsierte mich sogar etwas, dass er dies sogar hier wagte. Auf der anderen Seite musste dem König eigentlich auch bewusst sein, dass diese Worte nicht der Wahrheit entsprechen konnten und trotzdem reagierte er nicht darauf. War John wirklich nicht an Hoods Antwort interessiert? Wenn der König die Abwesenheit einer schönen Frau nicht als Verlust betrachtete, dann sollten alle Anwesenden vorsichtig sein. Und dann fiel mir ein, dass ich mich in dieser Hinsicht nicht in Acht nehmen musste. Mein Schicksal stand ja schon fest.
Dann wurde zuerst die Aussage von „Lady“ Marion verlesen, bei der nur der Teil für mich neu war, der sich mit der Zeitspanne beschäftigte, nachdem ich Nottingham wieder verlassen hatte. Aber zumindest war jetzt die Frage geklärt, wie de Rainault nach St. John’s gekommen war. Es hatte ihm bestimmt nicht besonders gefallen, von den Gesetzlosen als Köder mitgeschleppt worden zu sein. Er war daran gewöhnt, andere zu nutzen und nicht selbst benutzt zu werden.
Die Aussage des neuen Earls war da für das Gericht bestimmt sehr viel entscheidender. Hood hatte sich offensichtlich tatsächlich an alles erinnert, was mit ihm beim Orden geschehen war. Aber wirklich interessant wurde es erst, als er über seinen Kampf gegen de Montbalm berichtete. Und er hatte sich auch nicht gescheut darüber zu sprechen, dass der Großmeister bei diesem Kampf vom Patron des Ordens besessen war. Ich konnte nicht glauben, als ich zu hören bekam, dass er allen Ernstes davon sprach, was es mit dem Dämon auf sich gehabt hatte, dem die Ritter in Form eines goldenen Idols huldigten. Ich selbst hatte dies auch getan und auf diese Weise von den Vorteilen profitiert, die mir Baphomet verschaffte. Zu dem Zeitpunkt war ich den Ausführungen des Ordens noch gefolgt, Gott gebe sich nicht mit der materiellen Welt ab und daher bliebe uns nichts anderes über, als den sogenannten „Herrn der Welt“ anzubeten. Erst sehr viel später war mir die Absurdität dieser Doktrin aufgegangen und noch später erst die Blasphemie. Wieder einmal war ich zu spät darauf gekommen, dass nicht alles so war, wie ich mir das gewünscht hatte.
Aber konnte Hood tatsächlich annehmen, die Barone des Reiches würden glauben, ein Dämon sei daran beteiligt den König zu überwerfen. Und was war mit John selbst, der doch ansonsten an nichts glaubte? Wie sah er diese Aussage? Obwohl mir natürlich auch klar war, dass der König sich alles zu Eigen machen würde, was ihm einen Erfolg versprach. Aber ein leibhaftiger Dämon?
Erst dann wurde mir auf einmal bewusst, dass sich unter den Richtern drei Bischöfe befanden und die Kirche sicherlich einen völlig anderen Blick auf die Ereignisse in St. John’s hatte. Mit einem Mal dachte ich daran, dass die Kirche die Aussage Hoods wahrscheinlich ganz anders sehen würde als die Earls und der König. Und als ich mit meinem Gedankengang so weit gekommen war, lief mir mit einem Mal ein kalter Schauder den Rücken hinunter, denn ich dachte auch an die Konsequenzen für mich selbst.
Ich hatte mich damit abgefunden, mein Leben zu verlieren. Ich hatte mich auch darauf vorbereitet, dass der König mich als Verräter verurteilen und mir als Folge davon eventuell das Privileg der Adeligen vorenthalten würde, durch das Schwert des Scharfrichters zu sterben. Ich hatte damit rechnen müssen, wie ein gewöhnlicher Verbrecher am Galgen zu baumeln.
Aber was mir jetzt auf einmal drohte, stellte sich als noch etwas ganz anderes dar. Auf einmal sah ich die Anwesenheit der drei Bischöfe als ein Zeichen dafür, dass ich die Halle nicht als verurteilter Verräter verlassen würde, sondern als überführter Ketzer. Und sollte dies tatsächlich geschehen, dann würde ich mit Sicherheit auf dem Scheiterhaufen brennen und nicht meinen Kopf auf den Block des Scharfrichters legen dürfen. Dies war nun nichts, worauf ich mich eingestellt hatte und dies war auch nichts, von dem ich glaubte, es so akzeptieren zu können wie das Schicksal, was mich nach meinen bisherigen Vermutungen erwartete. Ich konnte aber mit Sicherheit sagen, dass mir diese Vorstellung sehr große Angst einflößte und ich wusste nicht, ob ich noch über ausreichend Stärke verfügte, um dies niemandem zu zeigen.

Mich schauderte, nicht nur wegen des kalten Windes, dem ich ungeschützt ausgesetzt war, sondern auch wegen der Erinnerung an die Verzweiflung, die mich bereits überkommen hatte, bevor das Gericht überhaupt sein Urteil fällte. Zu diesem Zeitpunkt war ich mir sicher zu wissen, was auf mich zukam.
Ich hätte mich allerdings gefreut, wenn meine Vermutungen sich als falsch herausgestellt hätten, aber natürlich war dies ausgerechnet eines der wenigen Male, an denen ich ausnahmsweise einmal recht behalten sollte.
Ich konnte wirklich nicht sagen, wie ich es geschafft hatte nicht zusammenzubrechen. Es könnte etwas mit der Anwesenheit meines Erzfeindes in der Halle zu tun gehabt haben, denn ich wollte mir ganz bestimmt nicht die Blöße geben Hood meine Schwäche zu zeigen.

Vom König zum Tode verurteilt zu werden kam nicht als Überraschung für mich. Aber niemals hätte ich damit gerechnet, dass John darauf verzichtete mich zum Verräter abzustempeln, sondern es den Kirchenvertretern überließ mich als Ketzer zu verurteilen. Und die drei Bischöfe ließen es sich nicht nehmen, den Anwesenden – einschließlich meiner selbst – in unmissverständlichen Worten klarzumachen, auf welche Art und Weise dieser Ketzer von seinen Sünden gereinigt werden musste.
Ich war mir sicher, mein Gesicht habe jegliche Farbe verloren, denn darauf konnte ich keinen Einfluss nehmen. Die beiden Earls unter den Richtern machten einen erstaunten Eindruck, als hätten sie mit diesem Ausgang der Verhandlung nicht gerechnet, während die drei Bischöfe sehr zufrieden wirkten. Allerdings nicht in dem gleichen Ausmaß wie der König. Nur Robert de Rainault kam in dieser Hinsicht einigermaßen an John heran. Auf jeden Fall verbarg der Sheriff seine Genugtuung darüber nicht, seinen ehemaligen Stellvertreter endlich losgeworden zu sein. Wann war die Verachtung, die der Sheriff immer für mich empfunden hatte, eigentlich in eine solche Abneigung umgeschlagen? Wann hatte ich meine Nützlichkeit für de Rainault verloren und was hatte dazu geführt? Hatte es etwas damit zu tun, dass ich nur an meine Rache gedacht hatte, Rache an den Menschen, die ich für mein Unglück verantwortlich machte. Rache an Robin Hood und Robert de Rainault. Oder war es bereits zuvor geschehen?
Dann ging mir durch den Kopf, dass der neue Earl of Huntingdon doch auch sehr zufrieden sein musste. Aber als ich Robin Hood zu Gesicht bekam, während ich – immer noch benommen – aus der Halle geführt wurde, war ich sehr verwundert, weil der Mann eher den Eindruck machte, als wäre er hier gerade verurteilt worden. Es war auf keinen Fall möglich, dass ich bleicher aussah als der ehemalige Gesetzlose.
Über diese Reaktion von Robert of Huntingdon grübelte ich - der letzte Ritter der Apokalypse auf englischem Boden - den gesamten Weg zu meiner Zelle und vielleicht war dies der Grund dafür, nicht sofort mitzubekommen, dass ich nicht wieder dorthin zurückgebracht wurde, wo man mich am Morgen abgeholt hatte. Offensichtlich war mir eine andere Zelle zugewiesen worden, womit ich eigentlich hätte rechnen müssen. Ich wusste doch, wie so etwas vor sich ging.

Bei dem Gedanken daran, was mit mir in den Wochen nach der Urteilsverkündung geschah, schauderte es mich erneut, denn nun erinnerte ich mich daran, dass der Tag, den ich in der Großen Halle verbringen musste, der letzte war, an dem ich nicht gefroren hatte.
Hatte man mich in der Zeit vor der Gerichtsverhandlung viel zu gut behandelt – zumindest war dies mein Eindruck, schließlich war mir zu diesem Zeitpunkt schon klar, dass ich als Gefangener des Königs, als jemand, der England verraten hatte, eigentlich eine andere Behandlung zu erwarten hatte – so hatte sich das nun grundlegend geändert.
Die Zelle, in der ich mich wiederfand, war fensterlos, klamm und zugig. Auch die Kleidung, die man mir zuvor zur Verfügung gestellt hatte, war mir wieder abgenommen worden. Aber dies war erst der Beginn einer anderen Art von Martyrium, denn die Kirche hatte es sich offensichtlich zur Aufgabe gemacht, meine Seele vielleicht doch noch vor der ewigen Verdammnis bewahren zu können. Zumindest vermittelte man mir diesen Eindruck.
Nun kam ich mir eher wie ein Mönch vor, der gegen seinen Willen zur Buße gezwungen wurde, als ein Ritter, der auf seine Hinrichtung wartete. Vielleicht hätte mich das nicht verwundern sollen, nachdem ich nicht als Verräter, sondern als Ketzer verurteilt worden war. Und vielleicht hätte ich dem Ganzen auch nicht so ablehnend gegenüberstehen sollen, denn der Gedanke an die Ewigkeit, die mich in der Hölle erwartete, trieb mir schon den Angstschweiß auf die Stirn. Mir selbst gegenüber konnte ich nämlich nicht leugnen, große Furcht zu empfinden.
Und doch gefiel mir die Art und Weise, wie die Kirche vorging, überhaupt nicht und auch nicht die Erkenntnis, dass es niemanden interessierte, ob ich überhaupt gerettet werden sollte. Weder die Mönche, die in meine Zelle kamen, um mir den Kopf zu scheren, noch diejenigen, die mir – fast schon gewaltsam – eine Art Mönchskutte überstreiften – aus einem kratzigen Stoff, der mich noch nicht einmal wärmte – hatten sich ein einziges Mal danach erkundigt, was ich von der ganzen Sache hielt. Offenbar hatte ich in der Angelegenheit meiner Seelenrettung keine eigene Meinung zu haben.
Ab diesem Zeitpunkt befand sich immer jemand bei mir in der Zelle, der mit mir betete, immer wieder nicht nur den ganzen Tag über, sondern auch die gesamte Nacht. Die Gebete wurden durch intensives Fasten unterstützt, bis ich das Gefühl hatte meine gesamte Stärke wäre mir abhandengekommen. Und natürlich kam jeden Tag ein Priester, der mir die Beichte abnahm. Es dauerte nicht lange, bis ich nicht mehr wusste, was ich denn nun alles beichten sollte, denn auch ich hatte ja nur ein Leben zur Verfügung gehabt, um zu sündigen.
Dabei gab es auch noch das Problem, dass ich diesem Mann nicht alles erzählen wollte, weil ich mir ziemlich sicher war, dass ihn das Beichtgeheimnis nicht sonderlich interessierte. Dafür zog ich aber eine gewisse Genugtuung aus der Tatsache, dass ich zumindest all die Dinge gebeichtet hatte, die den Sheriff, aber auch seinen Bruder, den Abt, ebenfalls belasten würden. Ich hatte auch nichts von dem verschwiegen, was mein Lehnsherr von mir verlangt hatte, auch wenn der Mann inzwischen bereits tot war. Seiner Familie würde trotzdem noch schaden können, was ich gesagt hatte, zudem ich mir sehr sicher war, dass die Informationen in diesem Sinn verwendet werden würden. Allerdings sollte dies für eine ganze Zeitlang das einzige bleiben, welches mir eine gewisse Freude bereitete, denn ansonsten taten die Mönche und Priester alles, um mir bereits während der letzten Tage meines Lebens den Eindruck zu vermitteln, ich wäre schon in der Hölle.
Ich hatte allerdings nichts von dem gebeichtet, was mein Stiefvater mir als Kind angetan hatte, aber auch einige der Dinge nicht, die ich aus eigenem Antrieb in den Diensten des Sheriffs getan hatte. Vor allem aber nichts von dem, was ich tatsächlich über den ersten Robin Hood gedacht hatte, weil dies etwas war, was ich jahrelang auch vor mir selbst verbarg. Dies war allerdings nicht wirklich verwunderlich, hatte ich diese Gedanken doch immer als eine größere Sünde angesehen als alles, was ich jemals verbrochen hatte. Nun aber wünschte ich mir, ich hätte die Gelegenheit, sie beichten zu können, aber ich hatte sofort gewusst, dass der Priester, der mich jeden Tag peinigte, dafür nicht geeignet war.
Meine Rettung kam dann - sehr zu meiner Verwunderung - aus einer Richtung, aus der ich sie niemals erwartet hatte, aber eines Tages stand ein Besucher vor meiner Zelle, von dem ich ausgegangen war, dass ich ihn bestimmt nicht sehen wollte. Aber er war nicht allein gekommen, denn er hatte einen Priester an seiner Seite, dem ich – so seltsam das auch erscheinen musste – abnahm, alles für sich zu behalten, was ich ihm beichten würde.
Ich hatte Bruder Tuck seit dem verhängnisvollen Tag in St. John’s nicht mehr gesehen, aber die inzwischen verstrichene Zeit hatte nicht dazu geführt, dass er sich verändert hatte. Ich konnte aber von seinem Gesicht ablesen, dass dies auf mich selbst nicht zutraf, denn er war nicht in der Lage, seinen Schrecken zu verbergen. Dem Mann, der ihn hierhergebracht hatte, erging es genauso.
„Lasst uns mit dem Gefangenen allein“, befahl der Earl of Huntingdon dem Mönch, der sich bei mir in der Zelle befand. Für mich völlig unerwartet kam dieser sofort der Aufforderung nach die Zelle zu verlassen und ich konnte ihm nur entgeistert hinterherstarren, denn ansonsten ging er nur dann, wenn einer der anderen Mönche ihn ablöste. Seit Wochen hatte ich deren Anwesenheit ohne Unterbrechung ertragen müssen, nur um jetzt festzustellen, dass er sich völlig widerspruchslos dem Earl fügte.
„Ich weiß, dass ich der letzte Mensch bin, den du sehen möchtest, Guy, aber Bruder Tuck hätte ohne mich keine Erlaubnis erhalten, deine Zelle zu betreten“, erklärte Hood mir.
‚Du bist bestimmt nicht der letzte, denn ich sehen möchte, aber du bist nahe dran, Hood!‘ Meinen Einwand behielt ich allerdings für mich, denn ich hatte nichts dagegen, dass der Gesetzlose in dem Glauben blieb, seine Anwesenheit wäre mir so zuwider.
Der Mann sah fast so schlecht aus wie das letzte Mal, als ich ihn gesehen hatte. War er vielleicht krank? Eine andere Erklärung für sein Erscheinungsbild konnte ich nicht finden, aber ich war mir sicher, wenn hier jemand leidend aussehen sollte, dann müsste ich das sein. Und wenn ich das Mienenspiel dieser beiden richtig interpretierte, dann war ich das auch. Trotzdem fragte ich mich, wieso Hood dann so wirkte, als wäre er derjenige, der auf seine Hinrichtung wartete. Dabei müsste es ihm doch eigentlich jetzt, nachdem er wieder seinen angestammten Platz eingenommen hatte, richtig gut gehen.
Aber aus welchem Grund zerbrach ich mir den Kopf über Hood, war der doch auf keinen Fall mehr mein Problem. Sollten Sheriff und König sich mit ihm herumschlagen. Hoffentlich bereitete er den beiden haufenweise Probleme.
„Ich bin gekommen, Euch die Beichte abzunehmen, falls Ihr das so wünscht, Sir Guy“, unterbrach der Mönch auf einmal meinen Gedankengang und verblüffte mich nicht nur mit seinem Vorschlag, sondern auch mit der höflichen Anrede. Schon lange hatte mich niemand mehr als Sir Guy angesprochen. Das brachte mich tatsächlich etwas aus dem Gleichgewicht, auch weil es sich nicht so angehört hatte, als würde er mich verspotten. Er hatte im Gegenteil mit großer Ernsthaftigkeit gesprochen und das beraubte mich für einen Augenblick der Fähigkeit zu sprechen. Verblüfft konnte ich nur nicken.
„Dann werde ich euch allein lassen, Tuck“, ließ Hood sich vernehmen und schlug mit der Faust gegen die Tür, die sofort geöffnet wurde. Der Gesetzlose verließ die Zelle und ich war auf einmal mit dem Mönch allein.
Dies sollte nicht das letzte Mal sein, dass Bruder Tuck mich in meiner Zelle aufsuchte, aber die nächsten Male kam er allein, wenn Hood auch vor der Tür wartete. Auch am heutigen Morgen war der Mönch noch einmal zu mir gekommen, um mir die letzte meiner Beichten abzunehmen, obwohl ich ihm eigentlich nichts mehr zu sagen hatte. Ich hatte ihm bereits von allem erzählt, was ich dem anderen Priester niemals hätte anvertrauen können. Und dies hatte sich in der Tat sehr gut angefühlt. Ich hätte nur gerne gewusst, wieso Hood mir das ermöglichte, aber natürlich hatte ich diese Frage nicht gestellt. Und nachdem Tuck gegangen war, musste ich erneut die Anwesenheit der anderen Kirchenvertreter ertragen, die es nicht besonders gut aufgenommen hatten, dass noch jemand anderer zu mir gekommen war. Zum Glück dauerte es danach nicht mehr sehr lange, bis man mich nach draußen führte.
Und hier war ich nun, an dem Ort, an dem mein Leben bald zu Ende gehen würde und wartete darauf, dass der König uns endlich mit seiner Anwesenheit beehren würde. Er hatte sich wahrlich lange genug Zeit gelassen, bevor er sich dann doch auf seinem Thronsessel niederließ und ich hoffte, es würde jetzt nicht mehr zu lange dauern.
Als ich meinen Blick auf den König richtete, konnte ich in seiner unmittelbaren Nähe auch Hood erkennen, der wieder genauso bleich aussah wie nach der Urteilsverkündung. ‚Warum erfreust du dich nicht des Anblicks deines besiegten Feindes, du Bastard!‘ fuhr es mir durch den Kopf, bevor mir klar wurde, dass dieser Gedanke nur dadurch ausgelöst worden war, dass ich mir seinen Zustand nicht erklären konnte. Ich hatte nämlich nicht vergessen, dass ich ihm durchaus dankbar für das war, was er in den letzten Wochen für mich getan hatte.
Meine Grübelei über Hood hatte mich allerdings abgelenkt, sodass ich die Männer nicht bemerkte, die sich mit Fackeln näherten, aber das Geräusch, mit dem der Reisig zwischen den größeren Holzstücken im Feuer aufging, konnte mir nicht entgehen. Sofort spürte ich, wie sich mein Herzschlag enorm beschleunigte und mir der Schweiß ausbrach, obwohl ich gerade eben noch im kalten Wind gefroren hatte.
Aber der Wind war noch nicht fertig mit mir. Jetzt fuhr er mit Wucht in die Lücken zwischen den Holzstücken und fachte auf diese Weise die Flammen an, aber seltsamerweise vor allem hinter meinem Rücken. Dort schlugen die Flammen ziemlich schnell hoch, aber der dicke Pfahl, an den ich gekettet worden war, schirmte mich in diesem Moment noch vom Feuer ab. Dafür erwärmten sich die Ketten, die sich um meine Fußknöchel wanden, ziemlich rasch, wenn auch der Schmerz noch auszuhalten war. Der Geruch meines eigenen, verbrannten Fleisches war da schon schwerer zu ertragen, brachte er doch auch Erinnerungen an eine andere Situation mit sich, in der ich einem Feuer ausgesetzt war. Zum Glück trug der Wind den Gestank dann schnell in Richtung der Zuschauer, zusammen mit dem Rauch vom Feuer. Und dann sorgte eine weitere Bö dafür, dass die Flammen erneut niedergedrückt wurden. Voller Entsetzen stellte ich fest, dass es auf diese Weise noch ewig dauern konnte, bis diese Qual endlich vorbei war.
Doch dann fachte auf einmal ein kräftiger Windstoß die Flammen an und sie schossen nun auch vor mir hoch. Bevor ich mich darauf einstellen konnte, fing das härene Büßergewand - das wie ein Sack an meinem ausgemergelten Körper hing und in das man mich mehr oder weniger gewaltsam gesteckt hatte - sofort Feuer. Dies hatte ich nun nicht erwartet und daher gelang es mir nicht den Schmerzensschrei zu unterdrücken, der meine Kehle dann auch in einer Lautstärke verließ, dass er von niemandem überhört werden konnte, obwohl auch das Feuer mit einem lauten Fauchen so richtig zum Leben erwacht war. In dem Moment war meine Verzweiflung so groß, dass ich mein Gesicht gen Himmel wandte und – zu welchem Gott auch immer - flehte, mir ein schnelles Ende zu gewähren. Für einen kurzen Augenblick glaubte ich eine zärtliche Berührung an meiner Wange zu verspüren, aber dann ging meine Welt in Dunkelheit unter.
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