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Autoren - Bootcamp

Kurzbeschreibung
SammlungAllgemein / P16 / Het
02.12.2022
24.04.2023
127
77.513
8
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Dieses Kapitel
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17.12.2022 603
 
Kloster St. Ulrich, Schwarzwald

Heinrich von Speichen schreckte auf. Er war eingeschlafen. Schlaftrunken rieb er sich die Augen. Das Komplet war längst vorbei. Silbriges Mondlicht fiel durch das Fenster in die Kammer, die ihm als Arbeitszimmer diente. Wie lange hatte er geschlafen? Sein Blick glitt zu der Kerze, die vor ihm auf dem Tisch stand. Sie war zur Hälfte heruntergebrannt. Es musste demzufolge kurz vor Mitternacht sein.
Der Abt von St. Ulrich erhob sich und streckte die steifen Glieder. Heinrich erstarrte in der Bewegung. War da nicht ein Geräusch? Er kniff die Lider zusammen und spähte in die Dunkelheit. Da war es wieder. Ein leises Rascheln. Dann war alles still. Heinrich stand an seinem Platz. Starr wie eine Säule. Er hielt den Atem an. Doch alles, was er hörte, war sein eigener Herzschlag. Sicher nur eine Maus, die über den Holzboden gehuscht war. Er schaute auf das Buch, das aufgeschlagen neben der Kerze lag. Sein Puls beschleunigte sich. Kälte umschloss sein Herz. Ihm war, als würde eine Aura der Verderbtheit von dem in schwarzes Leder eingeschlagenen Folianten ausgehen. Er überflog die rote Schrift. Fühlte, wie das Gift der Worte sich langsam in seine Seele zu fressen begann. Hastig bekreuzigte er sich und klappte den Deckel zu. Je eher es im Skriptorium war, umso besser.
Verschlossen vor dem Zugriff der Brüder. Dieses Buch war böse. Und doch war es der Schlüssel bei seinen Nachforschungen gewesen. Er wusste nun, was nötig war, um Satans Priester aufzuhalten. Wie er dessen Diener der weltlichen und göttlichen Gerechtigkeit zuführen konnte. Holz knarrte. Sein Kopf ruckte zur Tür, die derzeit im Dunkeln lag. Er kannte den Laut. Er erzeugte ihn jedes Mal, wenn er über den alten Dielenboden ging. Sein Magen zog sich zusammen.
»Ist da jemand? Walther, bist du das?«
Er lauschte in die Nacht. Nichts. Seine Hände wurden feucht und ein heißer Stein begann langsam in seine Eingeweide zu sinken.
»Gottfried, bist du das?«
Stille.
»Tritt ins Licht, damit ich dich sehen kann.« Er hörte das Zittern der eigenen Stimme und mahnte sich zur Ruhe. An diesem heiligen Ort gab es nichts, wovor er sich fürchten musste. Sein Blick streifte das schwere goldene Kreuz, das neben dem zugeklappten Buch stand. Heinrich griff nach der Kerze und hielt sie in die Dunkelheit. Die Schatten wichen widerspenstig zurück. Drängten sich in die Ecken, um dort lauernd zu verweilen. Schemenhaft konnte er die schwere Eichentür erkennen. Sie war verschlossen. Er atmete erleichtert aus.
Die viele Arbeit schien ihren Tribut zu fordern. Er wollte sich abwenden, als er eine Bewegung in den Schatten bemerkte. Ein erstickter Schrei entfuhr seiner Kehle. Dort im Umriss einer Säule stand ein Mönch. Der Bruder hatte die schwarze Kapuze tief in das Gesicht gezogen. Heinrichs angespannte Muskeln begannen sich zu lösen. Selbstsicherheit kehrte zurück.
»Weshalb drückst du dich in der Dunkelheit herum wie ein Dieb?«
Der Bruder blieb, wo er war. Heinrich hob die Kerze und blinzelte in das Halbdunkel.
»Wer bist du? Ich befehle dir zu antworten.« Festen Schrittes ging er auf den Mann zu. »Hörst du nicht? Was willst du hier?«
»Deinen Tod.« Die Stimme klang tief und heiser. Bevor Heinrich etwas erwidern konnte, packten zwei kräftige Hände seine Oberarme und hielten ihn fest. Panik stieg in ihm empor. Er wollte schreien. Eine Hand legte sich fest über seinen Mund. Presste ihm die Luft ab. In Todesangst wand sich Heinrich unter dem stählernen Griff. Er stieß einen verzweifelten Laut aus, der durch die Handfläche nahezu unterdrückt wurde. Die unheimliche Gestalt kam langsam auf ihn zu. Heinrich erstarrte, als er mit geweiteten Augen sah, was der vermeintliche Bruder in seiner Hand hielt. Eine Schlinge.
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