Zwei Unbeugsame Krähen
von Freudentraenen
Kurzbeschreibung
Ein Junge, der seinen Platz in einer neuen Welt sucht, und ein Mädchen mit einem brennenden Verlangen, eine mächtige Hexe zu werden. Ihr zufälliges Aufeinandertreffen in der Verbotenen Abteilung an ihrem ersten Weihnachten in Hogwarts wird ihre beiden Leben auf einen anderen Pfad führen. Wird es ein Pfad in die Dunkelheit sein? Blutmagie, Korrumpierung & Mächtige Harry/Daphne
GeschichteDrama, Liebesgeschichte / P18 / Het
Daphne Greengrass
Harry Potter
28.11.2022
18.09.2023
21
142.578
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18.09.2023
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Kapitel Einundzwanzig – Ein Augenblick des Glücks
Es war der Morgen des Weihnachtsfestes, als sich Daphne in ihrem Schlafsaal, tief im Slytherin-Kerker, vor ihrem Spiegeltisch wiederfand. Vor ihr lag eine ganze Palette von Bezaubernde Hexen-Produkten, die sie per Eulenpost bestellt hatte, denn sie war gerade dabei, sich zu schminken. Hätte ihr das jemand vor einem Jahr gesagt, hätte sie ihn wahrscheinlich ausgelacht, aber die Zeiten änderten sich.
Natürlich würde sie es nicht so übertreiben wie Pansy Parkinson oder Lavender Brown, schließlich wollte sie nicht wie ein Clown aussehen. Aber Daphne konnte nicht leugnen, dass ein bisschen Make-up hier und da eine erstaunliche Wirkung entfalten konnte. Und genau das war es, was sie wollte: Wirkung entfalten. Sie wollte gut aussehen für Harry, denn sie wusste, dass es da draußen mehr als genug Mädchen gab, die sich nur zu gern auf ihn stürzen würden wie eine Krähe auf eine wehrlose Maus. Aber Harry gehörte ihr. Sie wusste, dass auch er so empfand, dass das, was sie verband, etwas Einzigartiges war, das weit über die üblichen Beziehungen junger Hexen und Zauberer hinausging. Aber das hieß ja nicht, dass sie nicht auch Wert darauf legen konnte, dass sie ihm auch äußerlich gefiel.
Und sie merkte, dass es ihr auch selbst gefiel, als sie sich im Spiegel betrachtete. Vor allem der dunkle Lidschatten, den sie aufgetragen hatte; sie mochte, wie er ihre Augen betonte. Dazu kam der schwarze Nagellack, der im grünlichen Licht der Lampen schimmerte. Schwarz war einfach ihre Farbe, und es trug perfekt zu der Ausstrahlung bei, die sie auf die Leute haben wollte. Sie war keine kleine Prinzessin, und es sollte auch niemand auf diese Idee kommen.
Daphne war gerade dabei, mit ihrem Zauberstab ein wenig magischen Lipgloss aufzutragen, der ihre Lippen glänzen ließ, als sich hinter ihr etwas bewegte. Im Spiegel sah sie, wie die Vorhänge eines der Betten zur Seite geschoben wurden und die verschlafene Gestalt ihrer Zimmergenossin Tracey Davis zum Vorschein kam. Tracey trug einen slytheringrünen Pyjama – wem auch immer sie damit etwas beweisen wollte – und ihre Haare standen ihr zu Berge. Müde rieb sie sich die Augen.
Tracey war die einzige andere Slytherin ihres Jahrgangs, die über die Ferien in Hogwarts geblieben war. Über die Gründe hatte sie sich ausgeschwiegen, und die anderen Mädchen hatten auch nicht danach gefragt. Letztendlich war es für Daphne aber auch nicht von besonderer Bedeutung, dass Tracey sich entschieden hatte, im Schloss zu bleiben. Es bedeutete nur, dass sie nachts im selben Zimmer schliefen und sich morgens kurz sahen.
Allerdings war Tracey in den Ferien viel freundlicher zu ihr. Okay, nicht unbedingt freundlich, jedenfalls wenn man darunter mehr als ein neutrales Nicken zur Begrüßung hier und da verstand, aber immerhin. Anscheinend sah Tracey, wenn sie beide allein waren, keine Notwendigkeit, es ihren anderen Zimmergenossinnen gleichzutun und Daphne mit finsteren Blicken und spöttischen Bemerkungen zu bedenken. Warum auch? Ihr gegenüber musste Tracey sicher nicht beweisen, dass sie eine der guten Halbblüterinnen war, die ihren Platz in einer von Reinblütern dominierten Welt kannten, sich unterzuordnen wussten, nicht auftrumpften und natürlich eine Verräterin wie Daphne verachteten. Welchen Sinn sollte es also haben, das alles aufrechtzuerhalten, wenn die Menschen, die sie zu überzeugen versuchte, gar nicht da waren?
Und so war in den letzten Tagen eine Art Burgfrieden zwischen den beiden Mädchen entstanden, eine Art stillschweigende Übereinkunft, sich nicht in die Quere zu kommen, sich nicht auf die Nerven zu gehen und sich ansonsten weitgehend zu ignorieren.
Umso überraschter war Daphne, als Tracey sie im nächsten Moment ansprach.
„Was machst du denn da?“, fragte Tracey.
Daphne sah sie durch den Spiegel an. „Wonach sieht es denn aus?“
„Ich meine nur, es ist ungewöhnlich, dich so zu sehen, Greengrass. Aber es passt zu dir.“ Den letzten Satz hatte Tracey so leise gesagt, dass Daphne ihn fast nicht gehört hätte.
Sie drehte sich zu ihr um. „Was hast du gesagt?“
Tracey erwiderte ihren Blick. „Weißt du, Greengrass, manchmal beneide ich dich wirklich sehr.“
Ohne weiter zu erklären, was sie damit meinte, stand Tracey auf und ging in Richtung Badezimmer. Doch jetzt war Daphnes Interesse geweckt, zumal Tracey vor einigen Monaten schon einmal etwas Ähnliches zu ihr gesagt hatte.
„Es war meine Entscheidung, Davis“, sagte sie. Tracey blieb stehen und drehte sich zu ihr um, sagte aber nichts. Und so fuhr Daphne fort. „Es waren meine eigenen Entscheidungen, die mich zu dem gemacht haben, was ich bin. Du kannst auch deine eigenen Entscheidungen treffen.“
Du musst nicht ihr Speichellecker sein. Das war es, was Daphne meinte, aber sie sprach es nicht aus.
Bei ihren Worten huschte ein Schatten über Traceys Gesicht, nur für einen kurzen Moment, bevor sie wieder ihren üblichen Gesichtsausdruck aufsetzte. Aber ihre Stimme, als sie danach sprach, verriet einen Hauch von innerer Unruhe, zumindest kam es Daphne so vor. „Ich bin keine so mächtige Hexe wie du.“
„Macht folgt nur der eigenen Entschlossenheit“, sagte Daphne. „Und ich habe deine Leistungen im Unterricht gesehen. Du bist viel begabter als Pansy und Millicent.”
Nicht, dass die beiden die Messlatte besonders hoch gelegt hätten, aber es schien Daphne nicht angebracht, das ihrem Gegenüber zu sagen.
„Ich kann es nicht mit erwachsenen Zauberern aufnehmen wie du“, sagte Tracey weiter. „Und ich habe keinen strahlenden Ritter, der meine Ehre verteidigt.“
Daphne runzelte die Stirn. Das war eine Wendung, mit der sie nicht gerechnet hatte. Redeten sie immer noch über dieselben Dinge?
„Und es hatte seinen Preis, dass du dich von deiner Familie losgesagt hast, nicht wahr?“
Jetzt verstand Daphne. Sie hatte schon vermutet, dass Tracey ein schlechtes Familienleben hatte, nach ihrem Gespräch damals auf dem Gleis Neundreiviertel, und dieser Verdacht hatte sich noch verstärkt, als sie Traceys Irrwicht in Lupins Unterricht gesehen hatte.
„Alles hat seinen Preis“, antwortete Daphne.
Tracey sah sie an, dann nickte sie kurz. Sie drehte sich wieder um und ging weiter zum Badezimmer.
„Aber manche Preise sind es wert, bezahlt zu werden“, fügte Daphne hinzu.
Wieder blieb Tracey stehen, den Rücken immer noch zu Daphne gewandt. Mehrere Sekunden vergingen, in denen keine der beiden ein Wort sprach. Dann ging Tracey weiter und betrat das Badezimmer. Sie schloss gerade die Tür hinter sich, als Daphne noch etwas Letztes sagte.
„Kannst du bitte ein Auge auf meine Schwester haben?“ Daphne blickte den Türspalt fest an. „Ich habe gesehen, dass sie jetzt mehr Zeit mit euch verbringt.“
Sie konnte Tracey nicht sehen, aber sie stellte sich vor, wie das Mädchen ihr noch einmal kurz zunickte. Dann schloss sich die Badezimmertür und Daphne war allein.
Sie schüttelte den Kopf. Das war mal eine seltsame Erfahrung gewesen, zugegebenermaßen nicht die erste, die sie mit Tracey gemacht hatte. Sie verwirrte sie. Es war offensichtlich, dass Tracey vieles umtrieb, dass sie mit sich unzufrieden war, aber warum tat sie dann nichts dagegen? So hatte sie es doch auch gemacht.
Aber sie konnte darüber grübeln, so lange sie wollte, entschied Daphne, es würde zu nichts führen. Am Ende war jede Hexe ihres Glückes Schmiedin. Tracey musste selbst wissen, wie sie sich in dieser Welt behaupten wollte, oder eben nicht.
Mit diesem Gedanken erhob sich Daphne von ihrem Schminktisch. Sie musste ihrem eigenen Glück folgen.
Und so griff sie nach dem neuen Paar Lederhandschuhe, das heute Morgen auf ihrem Bett gelegen hatte, natürlich in schwarz, was auch sonst. Harry kannte ihren Geschmack einfach zu gut. Neben den Handschuhen hatte ein zuckersüßer, vor Kitsch triefender Brief gelegen, den Daphne schon mehr als ein Dutzend Mal gelesen hatte und inzwischen auswendig kannte, zusammen mit einer Schachtel der besten Süßigkeiten aus dem Honigtopf. Ihr Freund war so ein Charmeur.
Ich frage mich, was er von meinem Aussehen halten wird, dachte sie mit einem vorfreudigen Lächeln, als sie den Schlafsaal verließ.
Harrys Schritte hallten durch die leeren Korridore von Hogwarts, als er vom Gryffindor-Turm zur Eingangshalle ging. Das Schloss war wie ausgestorben, die meisten Schüler waren in den Ferien abgereist, so dass es ungewöhnlich still war und er auf dem ganzen Weg keiner Menschenseele begegnete. Aber er wusste, dass Daphne auf ihn wartete. Denn für sie beide gab es keinen anderen Ort mehr als das magische Schloss. Kein anderes Zuhause.
Als er um die letzte Ecke bog und die Treppe zur Eingangshalle hinabstieg, erblickte er sie im sanften Schein der Fackeln, die die Wände säumten. Und bei ihrem Anblick stockte ihm der Atem.
In seinen Augen war Daphne schon immer hübsch gewesen, das hübscheste Mädchen des Jahrgangs, aber heute war sie atemberaubend. Anders konnte er es nicht beschreiben.
Sie trug einen seidenen, schwarz schimmernden Umhang, der sie wie ein fließender Schatten umspielte. Ihr pechschwarzes Haar fiel ihr über Rücken und Schultern und umrahmte ihre anmutigen Gesichtszüge. Dazu trug sie ihre schwarzen Drachenlederstiefel und in ihren Händen hielt sie die Lederhandschuhe, die er ihr dieses Jahr geschenkt hatte, natürlich ebenfalls schwarz.
Was ihm aber am meisten auffiel, war ihr Make-up. Dunkler Lidschatten betonte ihre goldenen Augen und ließ sie wie kostbare Juwelen funkeln. Und ihre Fingernägel waren in einem tiefen, glänzenden Schwarz lackiert, das perfekt zu ihrem Outfit passte und ihrer Erscheinung eine Schärfe verlieh, die er so noch nie gesehen hatte. Es strahlte Selbstsicherheit und Verzauberung aus.
Ein Lächeln breitete sich auf Daphnes Gesicht aus, als sie ihn erblickte. Ihre Lippen schimmerten im Licht der Fackeln, und Harry konnte sich der Anziehungskraft, die von ihr ausging, nicht entziehen. Wäre er nicht schon seit Monaten in sie verknallt gewesen, spätestens jetzt wäre es um ihn geschehen.
„Hey“, sagte er und ging mit einer seltsamen Mischung aus Nervosität und Erregung auf sie zu.
Daphne kam ihm entgegen, die Augen fest auf ihn gerichtet. „Frohe Weihnachten, Harry.“
Sie erreichten einander, und instinktiv fanden sich ihre Lippen zu einem sanften Kuss. Daphnes Lippen waren noch weicher als sonst. Das und der Duft ihres Haares, der in seine Nase drang, und die Wärme ihres Körpers, der sich an seinen schmiegte, reichten aus, um ihm fast den Verstand zu vernebeln. Nie hätte er sich ein schöneres Weihnachtsgeschenk vorstellen können.
Als sie sich schließlich lösten, huschte ein zufriedenes Lächeln über Daphnes Gesicht. „Ich hatte auf eine solche Reaktion gehofft“, sagte sie. Sie musste seine Gefühle gespürt haben.
Harry erwiderte ihr Lächeln. Er nahm ihre Hände in seine und strich über das Leder ihrer Handschuhe. „Gefällt dir mein Geschenk?“
„Sie sind wunderschön. Weich und geschmeidig, aber auch unglaublich warm. Ich glaube, meine Finger werden nie wieder frieren, auch ohne Wärmezauber. Aber über deinen kitschigen Brief müssen wir noch mal reden. Für wen hältst du mich?“
Er lachte. „Du bist du, Daph. Niemand kommt an dich heran.“
„Ich bin ich“, stimmte sie ihm zu. „Aber sag mir, wie hat dir mein Geschenk gefallen?“
„Oh, ich war hin und weg. Jetzt muss ich nie wieder Hedwigs Käfig sauber machen, das macht er jetzt ganz automatisch“, sagte Harry und bot ihr seinen Arm an.
Daphne hakte sich bei ihm ein und gemeinsam gingen sie hinaus auf das Schlossgelände. Es war ein wunderschöner Morgen und das Licht der aufgehenden Sonne tauchte die verschneite Landschaft in ein prächtiges orangefarbenes Licht. Ein angenehmer, kühler Wind strich über ihre Gesichter und ihre Stiefel knirschten leise auf dem frisch gefallenen Schnee. Harry seufzte zufrieden. So konnte man einen Tag beginnen.
Ihre Schritte führten sie am See vorbei in Richtung Waldrand. In der Ferne stieg Rauch aus dem Schornstein von Hagrids Hütte. Ihr Freund war also auch schon auf. Vielleicht sollten sie ihn später mal besuchen, überlegte Harry, solange sie sich eine gute Ausrede einfallen ließen, warum sie seine Felsenkekse nicht essen konnten. Seine Zähne schmerzten immer noch, wenn er daran dachte, wie sie das letzte Mal bei Hagrid Kekse gegessen hatten, und das war, nachdem sie die Kekse mit einem Explosionszauber in kleine Stücke gesprengt hatten.
Während sie nebeneinander hergingen, schmiegte sich Daphne an ihn. Eine wohlige Wärme breitete sich in Harry aus. Das war nicht nur eine körperliche Reaktion, denn neben ihren Körpern berührte sich auch ihre Magie, verband und verflocht sich und umschlang sich wie die Rauchschwaden zweier lodernder Feuer.
Inzwischen geschah es ganz automatisch, ohne dass Daphne oder er etwas dafür tun mussten. Am Anfang hatte es sich ein wenig seltsam angefühlt, als würden plötzlich zwei Herzen statt einem in seiner Brust schlagen, als würde doppelt so viel Blut durch seine Adern fließen, doppelt so viel Lebenskraft. Aber mit der Zeit hatten sie sich daran gewöhnt, und inzwischen verbanden sie beide damit nur noch Geborgenheit und Sicherheit. Zumindest tat Harry das, aber er konnte durch ihr Band spüren, dass es Daphne ähnlich ging. Sie hatten bisher nie das Bedürfnis gehabt, darüber zu reden, und warum auch, wenn sie die Gefühle des anderen so unmittelbar spüren konnten?
Und noch etwas spürte Harry. Wie immer, wenn sie sich so sehr der Magie in sich und um sich herum hingaben, breitete sich ein eiserner, blutiger Geschmack auf seiner Zunge aus. Andere hätte ein solcher Geschmack wahrscheinlich angewidert, aber er begrüßte ihn und alles, wofür er stand. Es war ein Teil von ihm geworden.
Aber ... es interessierte ihn in diesem Moment schon ein wenig. Ob seine Freundin dasselbe erlebte wie er.
Er sah sie an. Ein Lächeln hatte sich auf ihr Gesicht gelegt, nicht einmal ein besonders großes, aber es zeugte von Glück und Zufriedenheit. Wer auch immer Daphne vorwarf, kühl und unnahbar zu sein, sollte sie einmal in diesem Moment sehen, dachte er. Obwohl, vielleicht lieber nicht. Sonst kämen die anderen Jungs noch auf dumme Gedanken.
„Hey, Daph“, sagte er.
Daphne sah ihn an. „Hm?“
„Was schmeckst du gerade?“
Die Frage schien Daphne zu überraschen. Sie blinzelte ihn an, einmal, zweimal. „Was ich gerade schmecke?“
Harry nickte. „Als sich unsere Magie verbunden hat, hast du da etwas geschmeckt? Oder all die anderen Male davor?“
„Geschmeckt? Nein. Aber ... mir wird immer ganz warm. Hier.“ Daphne legte die rechte Hand auf ihr Herz. „Es fühlt sich gut an. Ich mag dieses Gefühl. Sehr sogar.“ Sie sah ihn fragend an. „Du schmeckst etwas?“
„Ja. Deshalb dachte ich, deshalb dachte ich, dass es dir vielleicht auch so geht. Dass es spiegelbildlich wäre.“
Daphne hielt inne. Sie nahm ihren Arm aus seinem und stellte sich stattdessen vor ihn. Ihre Hände lagen auf seiner Brust. „Was schmeckst du denn?“
„Blut.“
Ihre goldenen Augen wurden etwas größer. „Blut?“
Harry nickte. „Ja. Aber es ist nicht eklig oder so. Ich ... ich mag den Geschmack.“ Etwas verlegen fuhr er sich durchs Haar. „Ist das komisch?“
Daphne schüttelte den Kopf. „Überhaupt nicht. Ich ...“ Sie zögerte einen Moment, als würde sie angestrengt nachdenken, dann sprach sie weiter. „Ich habe eine Vermutung, Harry. Aber um sie zu testen, müssen wir einen besonderen Kuss miteinander teilen. Bist du dazu bereit?“
Ihre Stimme hatte einen verführerischen Klang angenommen und Harry lief ein wohliger Schauer über den Rücken. „Bereit, dich zu küssen? Immer.“
Ein leichtes Lächeln spielte um Daphnes Lippen. „Es wird nicht wie unsere üblichen Küsse sein. Aber wir haben schon einmal einen solchen Kuss geteilt.“
Damit biss sie sich auf die untere Lippe. Harry zuckte zusammen, als würde er den Schmerz selbst spüren, aber Daphne verzog nicht einmal das Gesicht. In ihrer Lippe war ein tiefer Schnitt entstanden, aus dem dunkelrotes Blut quoll.
„Küss mich, Harry, und trink mein Blut.“
Sein Herz schlug wie verrückt. Für einen Moment fragte er sich, ob er das alles träumte, obwohl er sich nicht sicher war, ob es ein schöner oder ein verstörender Traum wäre. Wahrscheinlich käme es auf die Perspektive des Träumenden an, und seine Perspektive war seit einiger Zeit eine ziemlich eigenartige. Und so beugte er sich, ohne weiter darüber nachzudenken, vor und legte seine Lippen auf die von Daphne.
Zuerst fühlte es sich wie ein ganz normaler Kuss an, doch dann spürte Harry es. Daphnes Blut, warm, heiß, wie es seine Lippen berührte. Wieder lief ihm ein Schauer über den Rücken. Aber es ging nicht nur darum, ihr Blut zu spüren, das hatten sie schon einmal getan. Und so veränderte er den Winkel seiner Lippen und öffnete leicht seinen Mund.
Daphne schlang die Arme um seinen Nacken, drückte sich an ihn. Ihr Blut rann in seinen Mund, auf seine Zunge. Harry schmeckte es, schmeckte es in seiner ganzen Intensität, und der Geschmack war ihm nicht fremd. Es war köstlich wie eh und je und benebelte seinen Verstand. Er schluckte. Der Geschmack von Daphnes Magie raste durch seinen Körper und setzte seine Adern in Flammen.
Langsam lösten sie sich voneinander. Daphnes Gesicht war voller Neugier, und während sie sich ansahen, heilte der Schnitt in ihrer Lippe. Nur die Blutspuren auf ihren Lippen blieben zurück. „Wie hat es geschmeckt?“, fragte sie.
„Genau so, wie wenn das mit unserer Magie passiert“, sagte Harry. „Oder wie damals in dem magischen Teich im Wald. Da habe ich es auch geschmeckt. Aber das heißt...“
„Ja, du schmeckst mein Blut, Harry.“
Ihre Worte hingen ein paar Augenblicke in der kalten Winterluft. Dann brach es aus Harry heraus. „Wow.“
Daphne nickte. „Ja, wow. Aber ich glaube, ich weiß, warum.“ Sie sah ihm jetzt direkt in die Augen, und er konnte sein eigenes Spiegelbild in ihren goldenen Iriden erkennen, als würde sie nichts anderen sehen als ihn. „Harry, ich könnte es nicht ertragen, dich sterben zu sehen.“
Er verstärkte den Griff um ihre Taille. „Ich werde nicht –“
„Du warst einmal kurz davor“, unterbrach Daphne ihn. „In der Kammer, als das Basiliskengift dich verzehrt hat.“
Harry verstand. „Als du mir das Leben gerettet hast. Du ... hast mir dein Blut zu trinken gegeben?“
„Ich musste die Lebenskraft des Basilisken irgendwie auf dich übertragen. Ich hatte keine andere Wahl. Findest du das merkwürdig?“ Ein Hauch von Verletzlichkeit huschte über Daphnes hübsches Gesicht, doch Harry würde so etwas nicht zulassen.
„Überhaupt nicht“, sagte er fest. „Es passt. Es passt zu dir und zu uns. Und irgendwie habe ich das schon immer geahnt.“ Und es stimmte. Er hatte immer gewusst, dass Daphne ihn gerettet hatte und dass die Lebenskraft des Basilisken der Schlüssel dazu gewesen war. Verdammt, der tote, verschrumpelte, fast verkohlte Körper der Riesenschlange war mehr als eindeutig gewesen. Vor allem aber kannte er eine unumstößliche Wahrheit. Er sprach sie aus. „Ich hätte dasselbe getan, wenn unsere Situation umgekehrt gewesen wäre.“
Daphne blinzelte ihn an, und sagte dann wie aus dem Nichts: „Kann ich es jetzt?“
„Was meinst du?“
„Kann ich jetzt dein Blut trinken?“
Er starrte sie an, aber ihr Gesicht war vollkommen ernst, abgesehen von einem leichten rosa Schimmer auf ihren Wangen. Für jeden anderen Menschen außer ihnen beiden wäre das wahrscheinlich eine äußerst merkwürdige Situation, aber Harry fand einfach, dass sie in diesem Moment unbeschreiblich süß aussah.
Und so lächelte er sie an und hoffte, dass sie seine Gefühle durch ihr Band spüren konnte. „Natürlich. Das ist doch nur fair, oder?“
Daphne erwiderte nichts, sondern sah ihn weiterhin intensiv an. Ihr Körper begann leicht zu zittern.
Harry atmete tief ein, bevor er seine Schneidezähne auf seine untere Lippe legte. Dann biss er zu. Seine Zähne schnitten tief ein und es tat kurz weh, aber er hatte schon Schlimmeres erlebt. Er spürte, wie das Blut aus seiner Lippe quoll.
Daphne leckte sich über die Lippen. Sie sah ihn an, als wäre er ein Stück Sahnetorte. „Darf ich?“
„Nur zu“, sagte Harry mit einem amüsierten Lächeln.
Damit schloss sie die Lücke zwischen ihnen und presste ihre Lippen auf seine. Harry wusste, dass es nicht wirklich ein romantischer Kuss war, aber er küsste sie trotzdem zurück. Dann spürte er einen Sog an seinen Lippen, als Daphne gierig sein Blut aufsaugte. Er konnte nicht anders, aber bei dem Gedanken, dass sie gerade sein Blut schmeckte und schluckte, lief ihm ein weiterer wohliger Schauer über den Rücken. Und es war ihm, als ginge in diesem Moment ein überwältigendes Glücksgefühl von Daphne aus, er war also nicht allein mit seinen Gefühlen.
Doch plötzlich zog Daphne den Kopf zurück. Harry sah sie verwirrt an und wollte gerade fragen, ob etwas nicht stimmte, als sie sich erneut auf die Lippen biss. Wieder trat dunkelrotes Blut hervor.
Harry erkannte sofort, was seine Freundin vorhatte. Im selben Moment beugten sie sich wieder zueinander und vereinten ihre Lippen in einem weiteren blutigen Kuss, der nicht nur ihre Münder, sondern auch ihre innersten Ichs miteinander verband. Zumindest kam es Harry so vor, als er wieder diesen vertrauten, wunderbaren Geschmack auf seiner Zunge spürte. Es berauschte ihn, und eine Hitzewelle nach der anderen jagte durch seinen Körper, während ihre Lippen sich liebkosten und sie sich aneinanderpressten, als könnten sie allein nicht überleben. Seine Hände glitten durch Daphnes weiches, seidiges Haar, und ihre behandschuhten Hände streichelten seinen Nacken, Gänsehaut hinterlassend.
Mehrere Minuten vergingen, bis sie sich wieder lösten. Ihre Gesichter waren gerötet, als hätten sie zu viel Butterbier getrunken. Ihre Lippen waren blutverschmiert. Aber auf beiden Gesichtern lag auch ein überschwängliches Lächeln und ihre Augen leuchten in den Farben des anderen, Grün und Gold in einem magischen Glanz. Es war gut, dass sie die einzigen Menschenseelen weit und breit waren, denn ihre Erscheinung wäre wohl nur schwer zu erklären gewesen.
„Du bist sehr lecker“, sagte Daphne.
Harry hob eine Augenbraue. „Nun, das ist ein Kompliment, das ich nicht oft höre.“
„Und das ist auch gut so, Mister. Wenn die anderen Mädchen wüssten, dass du nicht nur süß aussiehst und gut mit dem Zauberstab umgehen kannst, sondern auch noch köstlich schmeckst, hätte ich ja noch mehr Konkurrenz, die ich abwehren müsste.“
„Du hast keine Konkurrenz, Daph.“
Daphne lächelte ihn nur an, bevor sie mit einer Handbewegung die Blutreste von ihren Lippen entfernte. Dann hakte sie sich wieder bei ihm unter und sie setzten ihren Spaziergang fort, den er vorhin mit seiner Frage unterbrochen hatte. Harry beschloss, dass es wohl die beste Frage war, die er je gestellt hatte, also nach der Frage damals, ob Daphne und er Freunde werden wollten.
Er wollte sich nicht einmal vorstellen, was aus ihnen geworden wäre, wenn er sich damals nicht unter seinem Tarnumhang in die Verbotene Abteilung geschlichen hätte. Das war auf den Tag genau zwei Jahre her. So viel Wunderbares war in diesen zwei Jahren geschehen, das er nicht missen wollte, und so viel hatte er seitdem von dem Mädchen neben sich gelernt.
Als könnte Daphne seine Gedanken lesen, lächelte sie ihn sanft an. "Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber mir ist warm geworden", sagte sie. "Wie wär's mit einer Abkühlung?"
„Woran hast du gedacht?“, fragte er.
Daphne ließ ihren Blick über die Umgebung schweifen. Inzwischen hatten sie die Wiese vor dem Verbotenen Wald erreicht, und alles um sie herum war mit Unmengen von Schnee bedeckt, glitzerndes Weiß, so weit das Auge reichte.
„Ich habe schon seit Jahren keine Schneeballschlacht mehr gemacht – unser Winterduell am Anfang des Schuljahres zählt nicht. Nicht, seit Astoria und ich viel jünger waren. Bevor wir uns auseinandergelebt haben.“
„Forderst du mich etwa heraus, Greengrass?“
Daphne grinste ihn an. „Dass bei dir alles gleich ein Wettstreit sein muss. Aber ich mag es, vor allem, weil ich immer gewinne.“
„Das werden wir ja sehen“, sagte Harry so ernst wie möglich, fürchtete aber, dass er einen ziemlich schlechten Job machte, denn für keine Sekunde verschwand das amüsierte Lächeln aus Daphnes hübschem Gesicht. „Aber diesmal keine Magie, um dem Ganzen die richtige Würze zu geben. Wir werden diese Schlacht wie die Muggel schlagen.“
„Abgemacht“, sagte Daphne. Sie trat ein paar Meter von ihm weg.
Sie beäugten sich wie zwei Cowboys in einem alten Western, den Dudley einmal im Fernsehen gesehen hatte, während er die Fenster hatte putzen müssen; zumindest bis Onkel Vernon hereingekommen war und den Sender gewechselt hatte, weil er, wie er gesagt hatte, solchen Schund und solche Gesetzlosenpropaganda in seinem Haus nicht dulden würde. Aber was interessierte Harry jetzt noch die Meinung seines Onkels. Er konnte ihn mal.
Daphne zuckte als Erste, aber Harry war schneller. Noch während sie sich bückte, war er schon in die Knie gegangen und formte in seinen Händen einen Schneeball. Er schleuderte ihn auf Daphne und traf sie an der Schulter.
„Eins zu null für mich“, rief er ihr zu.
Daphne schnalzte mit der Zunge und warf nun ihren Schneeball auf ihn. Aber er war schlecht gezielt und landete mehr als einen Meter vor ihm auf dem Boden. Sofort ging Harry zum Gegenangriff über. Er formte einen weiteren Schneeball und warf ihn auf Daphne. Sie sprang zur Seite, aber genau in die Flugbahn seines nächsten Schneeballs. Er traf sie am Oberschenkel.
„Zwei zu null für mich.“
Ihre Schlacht ging weiter, während sie sich mit immer mehr Schneebällen bewarfen, aber Harry fand es nicht schwer, Daphnes schlecht gezielten Würfen auszuweichen. Es war irgendwie lustig, seine Freundin, die sonst so treffsicher mit dem Zauberstab war, so scheitern zu sehen, wenn keine Magie erlaubt war. Vor allem, weil seine Schneebälle fast alle ihr Ziel trafen. Er wäre bestimmt auch ein guter Jäger geworden, dachte er mit innerer Genugtuung.
Als Harry sie zum zehnten Mal mit einem Schneeball traf, diesmal direkt auf ihre Brust, stieß Daphne einen Fluch aus. Sie schüttelte den Kopf und wandte sich ihm zu. Eisige Entschlossenheit lag auf ihrem Gesicht, begleitet von einem Lächeln, das Rache versprach. Im nächsten Augenblick hatte sie ihren schwarzen Zauberstab in der Hand. Sie richtete ihn auf ihn.
„Hey, wir haben doch gesagt, keine Magie“, sagte Harry.
„Ich bin eine Hexe“, sagte Daphne und ließ vor sich Dutzende von Schneebällen in die Luft steigen. „Magie gehört zu mir wie die Luft zum Atmen.“
„Du bist eine Betrügerin.“
„Ich bin eine Gewinnerin.“
Damit schleuderte sie die Schneebälle auf ihn. Harry versuchte gar nicht erst auszuweichen, es war aussichtslos. Ein, zwei, drei, ein Dutzend und mehr Schneebälle trafen ihn gegen die Brust. Er stieß einen dramatischen Schrei aus und ließ sich nach hinten fallen. Der weiche Schnee fing seinen Fall auf, aber er rührte sich nicht.
Harry hielt die Augen geschlossen und unterdrückte das Lächeln, das sich auf seinem Gesicht auszubreiten drohte.
Die Stiefel seiner Freundin knirschten im Schnee, als sie auf ihn zukam. "Ist alles in Ordnung?", hörte er ihre Stimme, vielleicht ein wenig besorgt.
„N-nein“, sagte Harry schwach und tat so, als würde ihm das Sprechen wehtun. „Ich ... ich glaube, ich brauche den Kuss einer holden Maid, um mich von meinen Wunden zu erholen.“
Er konnte sich bildlich vorstellen, wie Daphne die Augenbraue hob. „Muss es eine holde Maid sein oder geht auch eine dunkle Zauberin?“
„Wird mich der Kuss dann in einen Frosch verwandeln oder so?“
„Lass es uns herausfinden.“
Daphne kniete sich neben ihn und beugte sich über ihn. Ihre Haarsträhnen strichen über sein Gesicht. Harrys Hand bewegte sich langsam durch den Schnee.
„Wie gut, dass ich nie genug davon bekommen kann, dich zu küssen“, flüsterte Daphne. „Ob blutig oder nicht. Und jetzt werde ich dich wieder gesund küssen, mein strahlender Ritter.“
Harry konnte fast spüren, wie sich ihre warmen Lippen seinen näherten. Sein Herz schlug schneller, sein Körper spannte sich an – und dann warf er ihr eine Handvoll Schnee direkt ins Gesicht.
Daphne schrie auf. Harry lachte. Seine Freundin griff nun selbst nach Schnee, um sich für seine Überraschungsattacke zu rächen, doch er packte sie an den Schultern und warf sie rücklings nach hinten. Daphne wehrte sich, ihre Finger krallten sich in seine Arme, sie stieß mit den Knien gegen ihn, aber Harry ließ nicht locker. Einige Augenblicke rangen sie so im Schnee, doch schließlich gelang es ihm, sie unter sich festzunageln. Er lag nun direkt auf ihr und sie sahen sich fest in die Augen.
Daphne atmete schwer. Ihr Atem glitt über sein Gesicht, während sich ihr Brustkorb langsam hob und senkte.
Harry lächelte sie triumphierend an. „Gibst du auf?“
Sie schnaubte. „Ja. Ja, ich gebe auf. Zufrieden?“
Sein Lächeln wurde zu einem breiten Grinsen. „Ja, sehr.“ Damit erhob er sich von ihr und streckte dann seine Hand aus, um ihr aufzuhelfen.
Daphne ergriff seine Hand. „So ritterlich, Sir Harry.“
„So hinterhältig, Sir Daphne“, erwiderte er. „Ich glaube, ich kann dir nie wieder ein Wort glauben.“
„Jetzt hör auf, die beleidigte Leberwurst zu spielen. Das ist nicht sexy.“
Harry wollte gerade zu einer schlagfertigen Antwort ansetzen, als plötzlich ein lautes Bellen an sie herandrang. Sie wirbelten herum. Ein riesiger, zotteliger, schwarzer Hund rannte auf sie zu, mit wedelndem Schwanz und hochgezogenen Lefzen, so dass seine Fangzähne blitzten, fast wie ein menschliches Lächeln.
Es war nicht irgendein Hund, wie Harry sofort erkannte, sondern der wundersame Hund, den sie zum ersten Mal an Halloween auf einer kleinen Lichtung tief im Verbotenen Wald gesehen hatten, und dann noch einmal ein paar Tage später am Waldrand. Damals war er verletzt gewesen und sie hatten ihn geheilt. Zum Dank hatte der Hund ihnen das Gesicht abgeschleckt.
Nun, diesmal schien der Hund nicht verletzt zu sein. Und seine Aura vibrierte vor Lebenskraft und etwas, das Harry als Freude interpretierte. Der Hund schien also nicht vergessen zu haben, wer sie waren. Aber was tat er hier?
Harry und Daphne tauschten einen Blick. Seine Freundin zuckte nur mit den Schultern und sagte: „Tu, was du für richtig hältst. Du bist der Tierfreund von uns beiden.“
Harry wandte sich wieder dem Hund zu. Seine Pfoten hinterließen Spuren im Schnee, als er auf sie zulief. Er stieß ein weiteres lautes Bellen aus, und Harry hatte eine Idee.
Unter Daphnes fragendem Blick hockte er sich hin und formte einen Schneeball. Der Hund hatte sie inzwischen fast erreicht.
„Mal sehen, ob er besser ausweichen kann als du“, sagte Harry und warf den Schneeball in Richtung des Hundes.
Der Schneeball flog in einem hohen Bogen durch die Luft, aber anstatt auszuweichen, sprang der Hund hoch und fing den Schneeball mit erstaunlicher Geschicklichkeit mit seinem Maul auf. Der Schnee klebte an seinem schwarzen Fell. Wieder bellte er, diesmal herausfordernd, wie Harry fand.
„Er will mit uns spielen“, sagte Daphne.
Harry griff nach einem weiteren Schneeball. Er warf ihn dem Hund zu, der ihn wieder mühelos auffing. Der Hund bellte, und sein fröhliches Bellen klang fast, als würde er lachen. Seine Zunge hing aus dem Maul und seine dunklen Augen funkelten vor Freude.
„Es scheint ihm wirklich Spaß zu machen“, sagte Harry und formte einen weiteren Schneeball, um ihn nach dem Hund zu werfen.
Daphne tat es ihm gleich und schon bald waren sie in eine fröhliche Schneeballschlacht mit dem Hund verwickelt. Der Hund rannte hin und her und hinterließ überall Pfotenabdrücke im Schnee, während er die Schneebälle mit großem Eifer auffing und manchmal sogar zurückwarf, indem er sie spielerisch aus seinem Maul fallen ließ. Nach kurzer Zeit war sein Fell komplett mit Schnee bedeckt. Und seine Freude war ansteckend.
Harry und Daphne lachten, während sie einen Schneeball nach dem anderen warfen, und ihr Lachen vermischte sich mit dem Bellen ihres neuen vierbeinigen Freundes.
Und im Gegensatz zu Daphne hielt sich der Hund auch an die Spielregeln und benutzte nicht ein einziges Mal Magie.
Es war viele Stunden später, dass sich Harry und Daphne am Abend im Raum der Wünsche wiederfanden, eng aneinander gekuschelt, in Decken gehüllt, vor ihnen ein knisterndes Kaminfeuer. In den Händen hielten sie Tassen mit heißer Schokolade, deren köstlicher Duft den Raum erfüllte.
Harry stieß einen zufriedenen Seufzer aus. Das musste eine der reinsten Formen des Glücks sein, dachte er, einen so wundervollen Tag mit dem Mädchen seiner Träume zu verbringen, gemeinsam zu lachen und Spaß zu haben und den Tag schließlich gemütlich und kuschelig miteinander ausklingen zu lassen.
Daphne bewegte sich in seinen Armen. Er warf ihr einen Blick zu und bemerkte, dass sie nach der Schachtel aus dem Honigtopf gegriffen hatte, die Teil seines Weihnachtsgeschenks für sie gewesen war. Ein Lächeln erfasste seine Lippen.
„Was hast du vor?“, fragte er sanft.
„Ich möchte etwas ausprobieren“, antwortete Daphne. „Ich frage mich, ob das schmecken wird ...“
Damit nahm sie ein langes Stück Lakritze aus der Schachtel und tat es in ihre heiße Schokolade, wo es langsam schmolz. Der Duft der Lakritze vermischte sich mit dem der Schokolade und dem des Kaminfeuers, eine seltsame Mischung, wie Harry fand.
Daphne setzte die Tasse an die Lippen und trank einen Schluck. Ihr Gesicht strahlte vor Zufriedenheit, als wollte sie sich selbst zu ihrer genialen Idee gratulieren. Für einen Moment fühlte sich Harry sich an ihr erstes gemeinsames Halloween zurückversetzt und er stellte sich vor, wie ein Paar Katzenohren auf ihrem seidenen, schwarzen Haar wackelten. Er konnte nur hoffen, dass sie diesen Gedanken nicht aufschnappte, aber er schien Glück zu haben.
„Das ist echt lecker“, sagte Daphne. „Probier mal.“
Sie hielt ihm die Tasse hin. Harry stellte seine eigene Tasse neben sich auf den Boden und nahm ihre aus ihrer Hand. Der Geruch von geschmolzenem Lakritz wurde noch intensiver, als der Dampf aus der Tasse in seine Nase stieg. Etwas skeptisch hob er die Tasse an den Mund und trank einen Schluck. Seine Lippen verzogen sich.
„Das überlasse ich lieber dir“, sagte er und gab Daphne die Tasse zurück. „Nicht ganz mein Geschmack, fürchte ich.“
„Da verpasst du etwas.“ Daphne trank noch einen tiefen Schluck. Dann lehnte sie den Kopf an seine Schulter, sich noch enger an ihn herankuschelnd.
Harry lächelte auf sie herab. Seine Finger strichen ihr eine schwarze Strähne aus dem Gesicht, Daphne gab einen zufriedenen Seufzer von sich. Ihre Blicke trafen sich, und gleichzeitig schlossen sie die Lücke zwischen ihnen. Daphnes Lippen schmeckten nach Schokolade und Lakritz, und plötzlich hatte er nichts mehr gegen diesen Geschmack.
Diesmal war es kein blutiger Kuss, es war nicht einmal ein besonders kräftiger Kuss, aber trotzdem fühlte Harry sich so glücklich wie noch nie zuvor in seinem Leben.
Ja, das musste wirklich eine der reinsten Formen von Glück sein, dachte er. Am liebsten würde er diesen Augenblick in der Zeit festhalten, damit sie immer wieder hierher zurückkehren könnten. Doch das war leider nicht möglich. Die Welt drehte sich unaufhaltsam weiter und mit ihr die Zeit. Alles, was ihm blieb, war zu hoffen, dass auch die Zukunft so schön sein würde wie dieser Augenblick des Glücks mit Daphne in seinen Armen.
Das wünschte er sich von ganzem Herzen.
Es war der Morgen des Weihnachtsfestes, als sich Daphne in ihrem Schlafsaal, tief im Slytherin-Kerker, vor ihrem Spiegeltisch wiederfand. Vor ihr lag eine ganze Palette von Bezaubernde Hexen-Produkten, die sie per Eulenpost bestellt hatte, denn sie war gerade dabei, sich zu schminken. Hätte ihr das jemand vor einem Jahr gesagt, hätte sie ihn wahrscheinlich ausgelacht, aber die Zeiten änderten sich.
Natürlich würde sie es nicht so übertreiben wie Pansy Parkinson oder Lavender Brown, schließlich wollte sie nicht wie ein Clown aussehen. Aber Daphne konnte nicht leugnen, dass ein bisschen Make-up hier und da eine erstaunliche Wirkung entfalten konnte. Und genau das war es, was sie wollte: Wirkung entfalten. Sie wollte gut aussehen für Harry, denn sie wusste, dass es da draußen mehr als genug Mädchen gab, die sich nur zu gern auf ihn stürzen würden wie eine Krähe auf eine wehrlose Maus. Aber Harry gehörte ihr. Sie wusste, dass auch er so empfand, dass das, was sie verband, etwas Einzigartiges war, das weit über die üblichen Beziehungen junger Hexen und Zauberer hinausging. Aber das hieß ja nicht, dass sie nicht auch Wert darauf legen konnte, dass sie ihm auch äußerlich gefiel.
Und sie merkte, dass es ihr auch selbst gefiel, als sie sich im Spiegel betrachtete. Vor allem der dunkle Lidschatten, den sie aufgetragen hatte; sie mochte, wie er ihre Augen betonte. Dazu kam der schwarze Nagellack, der im grünlichen Licht der Lampen schimmerte. Schwarz war einfach ihre Farbe, und es trug perfekt zu der Ausstrahlung bei, die sie auf die Leute haben wollte. Sie war keine kleine Prinzessin, und es sollte auch niemand auf diese Idee kommen.
Daphne war gerade dabei, mit ihrem Zauberstab ein wenig magischen Lipgloss aufzutragen, der ihre Lippen glänzen ließ, als sich hinter ihr etwas bewegte. Im Spiegel sah sie, wie die Vorhänge eines der Betten zur Seite geschoben wurden und die verschlafene Gestalt ihrer Zimmergenossin Tracey Davis zum Vorschein kam. Tracey trug einen slytheringrünen Pyjama – wem auch immer sie damit etwas beweisen wollte – und ihre Haare standen ihr zu Berge. Müde rieb sie sich die Augen.
Tracey war die einzige andere Slytherin ihres Jahrgangs, die über die Ferien in Hogwarts geblieben war. Über die Gründe hatte sie sich ausgeschwiegen, und die anderen Mädchen hatten auch nicht danach gefragt. Letztendlich war es für Daphne aber auch nicht von besonderer Bedeutung, dass Tracey sich entschieden hatte, im Schloss zu bleiben. Es bedeutete nur, dass sie nachts im selben Zimmer schliefen und sich morgens kurz sahen.
Allerdings war Tracey in den Ferien viel freundlicher zu ihr. Okay, nicht unbedingt freundlich, jedenfalls wenn man darunter mehr als ein neutrales Nicken zur Begrüßung hier und da verstand, aber immerhin. Anscheinend sah Tracey, wenn sie beide allein waren, keine Notwendigkeit, es ihren anderen Zimmergenossinnen gleichzutun und Daphne mit finsteren Blicken und spöttischen Bemerkungen zu bedenken. Warum auch? Ihr gegenüber musste Tracey sicher nicht beweisen, dass sie eine der guten Halbblüterinnen war, die ihren Platz in einer von Reinblütern dominierten Welt kannten, sich unterzuordnen wussten, nicht auftrumpften und natürlich eine Verräterin wie Daphne verachteten. Welchen Sinn sollte es also haben, das alles aufrechtzuerhalten, wenn die Menschen, die sie zu überzeugen versuchte, gar nicht da waren?
Und so war in den letzten Tagen eine Art Burgfrieden zwischen den beiden Mädchen entstanden, eine Art stillschweigende Übereinkunft, sich nicht in die Quere zu kommen, sich nicht auf die Nerven zu gehen und sich ansonsten weitgehend zu ignorieren.
Umso überraschter war Daphne, als Tracey sie im nächsten Moment ansprach.
„Was machst du denn da?“, fragte Tracey.
Daphne sah sie durch den Spiegel an. „Wonach sieht es denn aus?“
„Ich meine nur, es ist ungewöhnlich, dich so zu sehen, Greengrass. Aber es passt zu dir.“ Den letzten Satz hatte Tracey so leise gesagt, dass Daphne ihn fast nicht gehört hätte.
Sie drehte sich zu ihr um. „Was hast du gesagt?“
Tracey erwiderte ihren Blick. „Weißt du, Greengrass, manchmal beneide ich dich wirklich sehr.“
Ohne weiter zu erklären, was sie damit meinte, stand Tracey auf und ging in Richtung Badezimmer. Doch jetzt war Daphnes Interesse geweckt, zumal Tracey vor einigen Monaten schon einmal etwas Ähnliches zu ihr gesagt hatte.
„Es war meine Entscheidung, Davis“, sagte sie. Tracey blieb stehen und drehte sich zu ihr um, sagte aber nichts. Und so fuhr Daphne fort. „Es waren meine eigenen Entscheidungen, die mich zu dem gemacht haben, was ich bin. Du kannst auch deine eigenen Entscheidungen treffen.“
Du musst nicht ihr Speichellecker sein. Das war es, was Daphne meinte, aber sie sprach es nicht aus.
Bei ihren Worten huschte ein Schatten über Traceys Gesicht, nur für einen kurzen Moment, bevor sie wieder ihren üblichen Gesichtsausdruck aufsetzte. Aber ihre Stimme, als sie danach sprach, verriet einen Hauch von innerer Unruhe, zumindest kam es Daphne so vor. „Ich bin keine so mächtige Hexe wie du.“
„Macht folgt nur der eigenen Entschlossenheit“, sagte Daphne. „Und ich habe deine Leistungen im Unterricht gesehen. Du bist viel begabter als Pansy und Millicent.”
Nicht, dass die beiden die Messlatte besonders hoch gelegt hätten, aber es schien Daphne nicht angebracht, das ihrem Gegenüber zu sagen.
„Ich kann es nicht mit erwachsenen Zauberern aufnehmen wie du“, sagte Tracey weiter. „Und ich habe keinen strahlenden Ritter, der meine Ehre verteidigt.“
Daphne runzelte die Stirn. Das war eine Wendung, mit der sie nicht gerechnet hatte. Redeten sie immer noch über dieselben Dinge?
„Und es hatte seinen Preis, dass du dich von deiner Familie losgesagt hast, nicht wahr?“
Jetzt verstand Daphne. Sie hatte schon vermutet, dass Tracey ein schlechtes Familienleben hatte, nach ihrem Gespräch damals auf dem Gleis Neundreiviertel, und dieser Verdacht hatte sich noch verstärkt, als sie Traceys Irrwicht in Lupins Unterricht gesehen hatte.
„Alles hat seinen Preis“, antwortete Daphne.
Tracey sah sie an, dann nickte sie kurz. Sie drehte sich wieder um und ging weiter zum Badezimmer.
„Aber manche Preise sind es wert, bezahlt zu werden“, fügte Daphne hinzu.
Wieder blieb Tracey stehen, den Rücken immer noch zu Daphne gewandt. Mehrere Sekunden vergingen, in denen keine der beiden ein Wort sprach. Dann ging Tracey weiter und betrat das Badezimmer. Sie schloss gerade die Tür hinter sich, als Daphne noch etwas Letztes sagte.
„Kannst du bitte ein Auge auf meine Schwester haben?“ Daphne blickte den Türspalt fest an. „Ich habe gesehen, dass sie jetzt mehr Zeit mit euch verbringt.“
Sie konnte Tracey nicht sehen, aber sie stellte sich vor, wie das Mädchen ihr noch einmal kurz zunickte. Dann schloss sich die Badezimmertür und Daphne war allein.
Sie schüttelte den Kopf. Das war mal eine seltsame Erfahrung gewesen, zugegebenermaßen nicht die erste, die sie mit Tracey gemacht hatte. Sie verwirrte sie. Es war offensichtlich, dass Tracey vieles umtrieb, dass sie mit sich unzufrieden war, aber warum tat sie dann nichts dagegen? So hatte sie es doch auch gemacht.
Aber sie konnte darüber grübeln, so lange sie wollte, entschied Daphne, es würde zu nichts führen. Am Ende war jede Hexe ihres Glückes Schmiedin. Tracey musste selbst wissen, wie sie sich in dieser Welt behaupten wollte, oder eben nicht.
Mit diesem Gedanken erhob sich Daphne von ihrem Schminktisch. Sie musste ihrem eigenen Glück folgen.
Und so griff sie nach dem neuen Paar Lederhandschuhe, das heute Morgen auf ihrem Bett gelegen hatte, natürlich in schwarz, was auch sonst. Harry kannte ihren Geschmack einfach zu gut. Neben den Handschuhen hatte ein zuckersüßer, vor Kitsch triefender Brief gelegen, den Daphne schon mehr als ein Dutzend Mal gelesen hatte und inzwischen auswendig kannte, zusammen mit einer Schachtel der besten Süßigkeiten aus dem Honigtopf. Ihr Freund war so ein Charmeur.
Ich frage mich, was er von meinem Aussehen halten wird, dachte sie mit einem vorfreudigen Lächeln, als sie den Schlafsaal verließ.
Harrys Schritte hallten durch die leeren Korridore von Hogwarts, als er vom Gryffindor-Turm zur Eingangshalle ging. Das Schloss war wie ausgestorben, die meisten Schüler waren in den Ferien abgereist, so dass es ungewöhnlich still war und er auf dem ganzen Weg keiner Menschenseele begegnete. Aber er wusste, dass Daphne auf ihn wartete. Denn für sie beide gab es keinen anderen Ort mehr als das magische Schloss. Kein anderes Zuhause.
Als er um die letzte Ecke bog und die Treppe zur Eingangshalle hinabstieg, erblickte er sie im sanften Schein der Fackeln, die die Wände säumten. Und bei ihrem Anblick stockte ihm der Atem.
In seinen Augen war Daphne schon immer hübsch gewesen, das hübscheste Mädchen des Jahrgangs, aber heute war sie atemberaubend. Anders konnte er es nicht beschreiben.
Sie trug einen seidenen, schwarz schimmernden Umhang, der sie wie ein fließender Schatten umspielte. Ihr pechschwarzes Haar fiel ihr über Rücken und Schultern und umrahmte ihre anmutigen Gesichtszüge. Dazu trug sie ihre schwarzen Drachenlederstiefel und in ihren Händen hielt sie die Lederhandschuhe, die er ihr dieses Jahr geschenkt hatte, natürlich ebenfalls schwarz.
Was ihm aber am meisten auffiel, war ihr Make-up. Dunkler Lidschatten betonte ihre goldenen Augen und ließ sie wie kostbare Juwelen funkeln. Und ihre Fingernägel waren in einem tiefen, glänzenden Schwarz lackiert, das perfekt zu ihrem Outfit passte und ihrer Erscheinung eine Schärfe verlieh, die er so noch nie gesehen hatte. Es strahlte Selbstsicherheit und Verzauberung aus.
Ein Lächeln breitete sich auf Daphnes Gesicht aus, als sie ihn erblickte. Ihre Lippen schimmerten im Licht der Fackeln, und Harry konnte sich der Anziehungskraft, die von ihr ausging, nicht entziehen. Wäre er nicht schon seit Monaten in sie verknallt gewesen, spätestens jetzt wäre es um ihn geschehen.
„Hey“, sagte er und ging mit einer seltsamen Mischung aus Nervosität und Erregung auf sie zu.
Daphne kam ihm entgegen, die Augen fest auf ihn gerichtet. „Frohe Weihnachten, Harry.“
Sie erreichten einander, und instinktiv fanden sich ihre Lippen zu einem sanften Kuss. Daphnes Lippen waren noch weicher als sonst. Das und der Duft ihres Haares, der in seine Nase drang, und die Wärme ihres Körpers, der sich an seinen schmiegte, reichten aus, um ihm fast den Verstand zu vernebeln. Nie hätte er sich ein schöneres Weihnachtsgeschenk vorstellen können.
Als sie sich schließlich lösten, huschte ein zufriedenes Lächeln über Daphnes Gesicht. „Ich hatte auf eine solche Reaktion gehofft“, sagte sie. Sie musste seine Gefühle gespürt haben.
Harry erwiderte ihr Lächeln. Er nahm ihre Hände in seine und strich über das Leder ihrer Handschuhe. „Gefällt dir mein Geschenk?“
„Sie sind wunderschön. Weich und geschmeidig, aber auch unglaublich warm. Ich glaube, meine Finger werden nie wieder frieren, auch ohne Wärmezauber. Aber über deinen kitschigen Brief müssen wir noch mal reden. Für wen hältst du mich?“
Er lachte. „Du bist du, Daph. Niemand kommt an dich heran.“
„Ich bin ich“, stimmte sie ihm zu. „Aber sag mir, wie hat dir mein Geschenk gefallen?“
„Oh, ich war hin und weg. Jetzt muss ich nie wieder Hedwigs Käfig sauber machen, das macht er jetzt ganz automatisch“, sagte Harry und bot ihr seinen Arm an.
Daphne hakte sich bei ihm ein und gemeinsam gingen sie hinaus auf das Schlossgelände. Es war ein wunderschöner Morgen und das Licht der aufgehenden Sonne tauchte die verschneite Landschaft in ein prächtiges orangefarbenes Licht. Ein angenehmer, kühler Wind strich über ihre Gesichter und ihre Stiefel knirschten leise auf dem frisch gefallenen Schnee. Harry seufzte zufrieden. So konnte man einen Tag beginnen.
Ihre Schritte führten sie am See vorbei in Richtung Waldrand. In der Ferne stieg Rauch aus dem Schornstein von Hagrids Hütte. Ihr Freund war also auch schon auf. Vielleicht sollten sie ihn später mal besuchen, überlegte Harry, solange sie sich eine gute Ausrede einfallen ließen, warum sie seine Felsenkekse nicht essen konnten. Seine Zähne schmerzten immer noch, wenn er daran dachte, wie sie das letzte Mal bei Hagrid Kekse gegessen hatten, und das war, nachdem sie die Kekse mit einem Explosionszauber in kleine Stücke gesprengt hatten.
Während sie nebeneinander hergingen, schmiegte sich Daphne an ihn. Eine wohlige Wärme breitete sich in Harry aus. Das war nicht nur eine körperliche Reaktion, denn neben ihren Körpern berührte sich auch ihre Magie, verband und verflocht sich und umschlang sich wie die Rauchschwaden zweier lodernder Feuer.
Inzwischen geschah es ganz automatisch, ohne dass Daphne oder er etwas dafür tun mussten. Am Anfang hatte es sich ein wenig seltsam angefühlt, als würden plötzlich zwei Herzen statt einem in seiner Brust schlagen, als würde doppelt so viel Blut durch seine Adern fließen, doppelt so viel Lebenskraft. Aber mit der Zeit hatten sie sich daran gewöhnt, und inzwischen verbanden sie beide damit nur noch Geborgenheit und Sicherheit. Zumindest tat Harry das, aber er konnte durch ihr Band spüren, dass es Daphne ähnlich ging. Sie hatten bisher nie das Bedürfnis gehabt, darüber zu reden, und warum auch, wenn sie die Gefühle des anderen so unmittelbar spüren konnten?
Und noch etwas spürte Harry. Wie immer, wenn sie sich so sehr der Magie in sich und um sich herum hingaben, breitete sich ein eiserner, blutiger Geschmack auf seiner Zunge aus. Andere hätte ein solcher Geschmack wahrscheinlich angewidert, aber er begrüßte ihn und alles, wofür er stand. Es war ein Teil von ihm geworden.
Aber ... es interessierte ihn in diesem Moment schon ein wenig. Ob seine Freundin dasselbe erlebte wie er.
Er sah sie an. Ein Lächeln hatte sich auf ihr Gesicht gelegt, nicht einmal ein besonders großes, aber es zeugte von Glück und Zufriedenheit. Wer auch immer Daphne vorwarf, kühl und unnahbar zu sein, sollte sie einmal in diesem Moment sehen, dachte er. Obwohl, vielleicht lieber nicht. Sonst kämen die anderen Jungs noch auf dumme Gedanken.
„Hey, Daph“, sagte er.
Daphne sah ihn an. „Hm?“
„Was schmeckst du gerade?“
Die Frage schien Daphne zu überraschen. Sie blinzelte ihn an, einmal, zweimal. „Was ich gerade schmecke?“
Harry nickte. „Als sich unsere Magie verbunden hat, hast du da etwas geschmeckt? Oder all die anderen Male davor?“
„Geschmeckt? Nein. Aber ... mir wird immer ganz warm. Hier.“ Daphne legte die rechte Hand auf ihr Herz. „Es fühlt sich gut an. Ich mag dieses Gefühl. Sehr sogar.“ Sie sah ihn fragend an. „Du schmeckst etwas?“
„Ja. Deshalb dachte ich, deshalb dachte ich, dass es dir vielleicht auch so geht. Dass es spiegelbildlich wäre.“
Daphne hielt inne. Sie nahm ihren Arm aus seinem und stellte sich stattdessen vor ihn. Ihre Hände lagen auf seiner Brust. „Was schmeckst du denn?“
„Blut.“
Ihre goldenen Augen wurden etwas größer. „Blut?“
Harry nickte. „Ja. Aber es ist nicht eklig oder so. Ich ... ich mag den Geschmack.“ Etwas verlegen fuhr er sich durchs Haar. „Ist das komisch?“
Daphne schüttelte den Kopf. „Überhaupt nicht. Ich ...“ Sie zögerte einen Moment, als würde sie angestrengt nachdenken, dann sprach sie weiter. „Ich habe eine Vermutung, Harry. Aber um sie zu testen, müssen wir einen besonderen Kuss miteinander teilen. Bist du dazu bereit?“
Ihre Stimme hatte einen verführerischen Klang angenommen und Harry lief ein wohliger Schauer über den Rücken. „Bereit, dich zu küssen? Immer.“
Ein leichtes Lächeln spielte um Daphnes Lippen. „Es wird nicht wie unsere üblichen Küsse sein. Aber wir haben schon einmal einen solchen Kuss geteilt.“
Damit biss sie sich auf die untere Lippe. Harry zuckte zusammen, als würde er den Schmerz selbst spüren, aber Daphne verzog nicht einmal das Gesicht. In ihrer Lippe war ein tiefer Schnitt entstanden, aus dem dunkelrotes Blut quoll.
„Küss mich, Harry, und trink mein Blut.“
Sein Herz schlug wie verrückt. Für einen Moment fragte er sich, ob er das alles träumte, obwohl er sich nicht sicher war, ob es ein schöner oder ein verstörender Traum wäre. Wahrscheinlich käme es auf die Perspektive des Träumenden an, und seine Perspektive war seit einiger Zeit eine ziemlich eigenartige. Und so beugte er sich, ohne weiter darüber nachzudenken, vor und legte seine Lippen auf die von Daphne.
Zuerst fühlte es sich wie ein ganz normaler Kuss an, doch dann spürte Harry es. Daphnes Blut, warm, heiß, wie es seine Lippen berührte. Wieder lief ihm ein Schauer über den Rücken. Aber es ging nicht nur darum, ihr Blut zu spüren, das hatten sie schon einmal getan. Und so veränderte er den Winkel seiner Lippen und öffnete leicht seinen Mund.
Daphne schlang die Arme um seinen Nacken, drückte sich an ihn. Ihr Blut rann in seinen Mund, auf seine Zunge. Harry schmeckte es, schmeckte es in seiner ganzen Intensität, und der Geschmack war ihm nicht fremd. Es war köstlich wie eh und je und benebelte seinen Verstand. Er schluckte. Der Geschmack von Daphnes Magie raste durch seinen Körper und setzte seine Adern in Flammen.
Langsam lösten sie sich voneinander. Daphnes Gesicht war voller Neugier, und während sie sich ansahen, heilte der Schnitt in ihrer Lippe. Nur die Blutspuren auf ihren Lippen blieben zurück. „Wie hat es geschmeckt?“, fragte sie.
„Genau so, wie wenn das mit unserer Magie passiert“, sagte Harry. „Oder wie damals in dem magischen Teich im Wald. Da habe ich es auch geschmeckt. Aber das heißt...“
„Ja, du schmeckst mein Blut, Harry.“
Ihre Worte hingen ein paar Augenblicke in der kalten Winterluft. Dann brach es aus Harry heraus. „Wow.“
Daphne nickte. „Ja, wow. Aber ich glaube, ich weiß, warum.“ Sie sah ihm jetzt direkt in die Augen, und er konnte sein eigenes Spiegelbild in ihren goldenen Iriden erkennen, als würde sie nichts anderen sehen als ihn. „Harry, ich könnte es nicht ertragen, dich sterben zu sehen.“
Er verstärkte den Griff um ihre Taille. „Ich werde nicht –“
„Du warst einmal kurz davor“, unterbrach Daphne ihn. „In der Kammer, als das Basiliskengift dich verzehrt hat.“
Harry verstand. „Als du mir das Leben gerettet hast. Du ... hast mir dein Blut zu trinken gegeben?“
„Ich musste die Lebenskraft des Basilisken irgendwie auf dich übertragen. Ich hatte keine andere Wahl. Findest du das merkwürdig?“ Ein Hauch von Verletzlichkeit huschte über Daphnes hübsches Gesicht, doch Harry würde so etwas nicht zulassen.
„Überhaupt nicht“, sagte er fest. „Es passt. Es passt zu dir und zu uns. Und irgendwie habe ich das schon immer geahnt.“ Und es stimmte. Er hatte immer gewusst, dass Daphne ihn gerettet hatte und dass die Lebenskraft des Basilisken der Schlüssel dazu gewesen war. Verdammt, der tote, verschrumpelte, fast verkohlte Körper der Riesenschlange war mehr als eindeutig gewesen. Vor allem aber kannte er eine unumstößliche Wahrheit. Er sprach sie aus. „Ich hätte dasselbe getan, wenn unsere Situation umgekehrt gewesen wäre.“
Daphne blinzelte ihn an, und sagte dann wie aus dem Nichts: „Kann ich es jetzt?“
„Was meinst du?“
„Kann ich jetzt dein Blut trinken?“
Er starrte sie an, aber ihr Gesicht war vollkommen ernst, abgesehen von einem leichten rosa Schimmer auf ihren Wangen. Für jeden anderen Menschen außer ihnen beiden wäre das wahrscheinlich eine äußerst merkwürdige Situation, aber Harry fand einfach, dass sie in diesem Moment unbeschreiblich süß aussah.
Und so lächelte er sie an und hoffte, dass sie seine Gefühle durch ihr Band spüren konnte. „Natürlich. Das ist doch nur fair, oder?“
Daphne erwiderte nichts, sondern sah ihn weiterhin intensiv an. Ihr Körper begann leicht zu zittern.
Harry atmete tief ein, bevor er seine Schneidezähne auf seine untere Lippe legte. Dann biss er zu. Seine Zähne schnitten tief ein und es tat kurz weh, aber er hatte schon Schlimmeres erlebt. Er spürte, wie das Blut aus seiner Lippe quoll.
Daphne leckte sich über die Lippen. Sie sah ihn an, als wäre er ein Stück Sahnetorte. „Darf ich?“
„Nur zu“, sagte Harry mit einem amüsierten Lächeln.
Damit schloss sie die Lücke zwischen ihnen und presste ihre Lippen auf seine. Harry wusste, dass es nicht wirklich ein romantischer Kuss war, aber er küsste sie trotzdem zurück. Dann spürte er einen Sog an seinen Lippen, als Daphne gierig sein Blut aufsaugte. Er konnte nicht anders, aber bei dem Gedanken, dass sie gerade sein Blut schmeckte und schluckte, lief ihm ein weiterer wohliger Schauer über den Rücken. Und es war ihm, als ginge in diesem Moment ein überwältigendes Glücksgefühl von Daphne aus, er war also nicht allein mit seinen Gefühlen.
Doch plötzlich zog Daphne den Kopf zurück. Harry sah sie verwirrt an und wollte gerade fragen, ob etwas nicht stimmte, als sie sich erneut auf die Lippen biss. Wieder trat dunkelrotes Blut hervor.
Harry erkannte sofort, was seine Freundin vorhatte. Im selben Moment beugten sie sich wieder zueinander und vereinten ihre Lippen in einem weiteren blutigen Kuss, der nicht nur ihre Münder, sondern auch ihre innersten Ichs miteinander verband. Zumindest kam es Harry so vor, als er wieder diesen vertrauten, wunderbaren Geschmack auf seiner Zunge spürte. Es berauschte ihn, und eine Hitzewelle nach der anderen jagte durch seinen Körper, während ihre Lippen sich liebkosten und sie sich aneinanderpressten, als könnten sie allein nicht überleben. Seine Hände glitten durch Daphnes weiches, seidiges Haar, und ihre behandschuhten Hände streichelten seinen Nacken, Gänsehaut hinterlassend.
Mehrere Minuten vergingen, bis sie sich wieder lösten. Ihre Gesichter waren gerötet, als hätten sie zu viel Butterbier getrunken. Ihre Lippen waren blutverschmiert. Aber auf beiden Gesichtern lag auch ein überschwängliches Lächeln und ihre Augen leuchten in den Farben des anderen, Grün und Gold in einem magischen Glanz. Es war gut, dass sie die einzigen Menschenseelen weit und breit waren, denn ihre Erscheinung wäre wohl nur schwer zu erklären gewesen.
„Du bist sehr lecker“, sagte Daphne.
Harry hob eine Augenbraue. „Nun, das ist ein Kompliment, das ich nicht oft höre.“
„Und das ist auch gut so, Mister. Wenn die anderen Mädchen wüssten, dass du nicht nur süß aussiehst und gut mit dem Zauberstab umgehen kannst, sondern auch noch köstlich schmeckst, hätte ich ja noch mehr Konkurrenz, die ich abwehren müsste.“
„Du hast keine Konkurrenz, Daph.“
Daphne lächelte ihn nur an, bevor sie mit einer Handbewegung die Blutreste von ihren Lippen entfernte. Dann hakte sie sich wieder bei ihm unter und sie setzten ihren Spaziergang fort, den er vorhin mit seiner Frage unterbrochen hatte. Harry beschloss, dass es wohl die beste Frage war, die er je gestellt hatte, also nach der Frage damals, ob Daphne und er Freunde werden wollten.
Er wollte sich nicht einmal vorstellen, was aus ihnen geworden wäre, wenn er sich damals nicht unter seinem Tarnumhang in die Verbotene Abteilung geschlichen hätte. Das war auf den Tag genau zwei Jahre her. So viel Wunderbares war in diesen zwei Jahren geschehen, das er nicht missen wollte, und so viel hatte er seitdem von dem Mädchen neben sich gelernt.
Als könnte Daphne seine Gedanken lesen, lächelte sie ihn sanft an. "Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber mir ist warm geworden", sagte sie. "Wie wär's mit einer Abkühlung?"
„Woran hast du gedacht?“, fragte er.
Daphne ließ ihren Blick über die Umgebung schweifen. Inzwischen hatten sie die Wiese vor dem Verbotenen Wald erreicht, und alles um sie herum war mit Unmengen von Schnee bedeckt, glitzerndes Weiß, so weit das Auge reichte.
„Ich habe schon seit Jahren keine Schneeballschlacht mehr gemacht – unser Winterduell am Anfang des Schuljahres zählt nicht. Nicht, seit Astoria und ich viel jünger waren. Bevor wir uns auseinandergelebt haben.“
„Forderst du mich etwa heraus, Greengrass?“
Daphne grinste ihn an. „Dass bei dir alles gleich ein Wettstreit sein muss. Aber ich mag es, vor allem, weil ich immer gewinne.“
„Das werden wir ja sehen“, sagte Harry so ernst wie möglich, fürchtete aber, dass er einen ziemlich schlechten Job machte, denn für keine Sekunde verschwand das amüsierte Lächeln aus Daphnes hübschem Gesicht. „Aber diesmal keine Magie, um dem Ganzen die richtige Würze zu geben. Wir werden diese Schlacht wie die Muggel schlagen.“
„Abgemacht“, sagte Daphne. Sie trat ein paar Meter von ihm weg.
Sie beäugten sich wie zwei Cowboys in einem alten Western, den Dudley einmal im Fernsehen gesehen hatte, während er die Fenster hatte putzen müssen; zumindest bis Onkel Vernon hereingekommen war und den Sender gewechselt hatte, weil er, wie er gesagt hatte, solchen Schund und solche Gesetzlosenpropaganda in seinem Haus nicht dulden würde. Aber was interessierte Harry jetzt noch die Meinung seines Onkels. Er konnte ihn mal.
Daphne zuckte als Erste, aber Harry war schneller. Noch während sie sich bückte, war er schon in die Knie gegangen und formte in seinen Händen einen Schneeball. Er schleuderte ihn auf Daphne und traf sie an der Schulter.
„Eins zu null für mich“, rief er ihr zu.
Daphne schnalzte mit der Zunge und warf nun ihren Schneeball auf ihn. Aber er war schlecht gezielt und landete mehr als einen Meter vor ihm auf dem Boden. Sofort ging Harry zum Gegenangriff über. Er formte einen weiteren Schneeball und warf ihn auf Daphne. Sie sprang zur Seite, aber genau in die Flugbahn seines nächsten Schneeballs. Er traf sie am Oberschenkel.
„Zwei zu null für mich.“
Ihre Schlacht ging weiter, während sie sich mit immer mehr Schneebällen bewarfen, aber Harry fand es nicht schwer, Daphnes schlecht gezielten Würfen auszuweichen. Es war irgendwie lustig, seine Freundin, die sonst so treffsicher mit dem Zauberstab war, so scheitern zu sehen, wenn keine Magie erlaubt war. Vor allem, weil seine Schneebälle fast alle ihr Ziel trafen. Er wäre bestimmt auch ein guter Jäger geworden, dachte er mit innerer Genugtuung.
Als Harry sie zum zehnten Mal mit einem Schneeball traf, diesmal direkt auf ihre Brust, stieß Daphne einen Fluch aus. Sie schüttelte den Kopf und wandte sich ihm zu. Eisige Entschlossenheit lag auf ihrem Gesicht, begleitet von einem Lächeln, das Rache versprach. Im nächsten Augenblick hatte sie ihren schwarzen Zauberstab in der Hand. Sie richtete ihn auf ihn.
„Hey, wir haben doch gesagt, keine Magie“, sagte Harry.
„Ich bin eine Hexe“, sagte Daphne und ließ vor sich Dutzende von Schneebällen in die Luft steigen. „Magie gehört zu mir wie die Luft zum Atmen.“
„Du bist eine Betrügerin.“
„Ich bin eine Gewinnerin.“
Damit schleuderte sie die Schneebälle auf ihn. Harry versuchte gar nicht erst auszuweichen, es war aussichtslos. Ein, zwei, drei, ein Dutzend und mehr Schneebälle trafen ihn gegen die Brust. Er stieß einen dramatischen Schrei aus und ließ sich nach hinten fallen. Der weiche Schnee fing seinen Fall auf, aber er rührte sich nicht.
Harry hielt die Augen geschlossen und unterdrückte das Lächeln, das sich auf seinem Gesicht auszubreiten drohte.
Die Stiefel seiner Freundin knirschten im Schnee, als sie auf ihn zukam. "Ist alles in Ordnung?", hörte er ihre Stimme, vielleicht ein wenig besorgt.
„N-nein“, sagte Harry schwach und tat so, als würde ihm das Sprechen wehtun. „Ich ... ich glaube, ich brauche den Kuss einer holden Maid, um mich von meinen Wunden zu erholen.“
Er konnte sich bildlich vorstellen, wie Daphne die Augenbraue hob. „Muss es eine holde Maid sein oder geht auch eine dunkle Zauberin?“
„Wird mich der Kuss dann in einen Frosch verwandeln oder so?“
„Lass es uns herausfinden.“
Daphne kniete sich neben ihn und beugte sich über ihn. Ihre Haarsträhnen strichen über sein Gesicht. Harrys Hand bewegte sich langsam durch den Schnee.
„Wie gut, dass ich nie genug davon bekommen kann, dich zu küssen“, flüsterte Daphne. „Ob blutig oder nicht. Und jetzt werde ich dich wieder gesund küssen, mein strahlender Ritter.“
Harry konnte fast spüren, wie sich ihre warmen Lippen seinen näherten. Sein Herz schlug schneller, sein Körper spannte sich an – und dann warf er ihr eine Handvoll Schnee direkt ins Gesicht.
Daphne schrie auf. Harry lachte. Seine Freundin griff nun selbst nach Schnee, um sich für seine Überraschungsattacke zu rächen, doch er packte sie an den Schultern und warf sie rücklings nach hinten. Daphne wehrte sich, ihre Finger krallten sich in seine Arme, sie stieß mit den Knien gegen ihn, aber Harry ließ nicht locker. Einige Augenblicke rangen sie so im Schnee, doch schließlich gelang es ihm, sie unter sich festzunageln. Er lag nun direkt auf ihr und sie sahen sich fest in die Augen.
Daphne atmete schwer. Ihr Atem glitt über sein Gesicht, während sich ihr Brustkorb langsam hob und senkte.
Harry lächelte sie triumphierend an. „Gibst du auf?“
Sie schnaubte. „Ja. Ja, ich gebe auf. Zufrieden?“
Sein Lächeln wurde zu einem breiten Grinsen. „Ja, sehr.“ Damit erhob er sich von ihr und streckte dann seine Hand aus, um ihr aufzuhelfen.
Daphne ergriff seine Hand. „So ritterlich, Sir Harry.“
„So hinterhältig, Sir Daphne“, erwiderte er. „Ich glaube, ich kann dir nie wieder ein Wort glauben.“
„Jetzt hör auf, die beleidigte Leberwurst zu spielen. Das ist nicht sexy.“
Harry wollte gerade zu einer schlagfertigen Antwort ansetzen, als plötzlich ein lautes Bellen an sie herandrang. Sie wirbelten herum. Ein riesiger, zotteliger, schwarzer Hund rannte auf sie zu, mit wedelndem Schwanz und hochgezogenen Lefzen, so dass seine Fangzähne blitzten, fast wie ein menschliches Lächeln.
Es war nicht irgendein Hund, wie Harry sofort erkannte, sondern der wundersame Hund, den sie zum ersten Mal an Halloween auf einer kleinen Lichtung tief im Verbotenen Wald gesehen hatten, und dann noch einmal ein paar Tage später am Waldrand. Damals war er verletzt gewesen und sie hatten ihn geheilt. Zum Dank hatte der Hund ihnen das Gesicht abgeschleckt.
Nun, diesmal schien der Hund nicht verletzt zu sein. Und seine Aura vibrierte vor Lebenskraft und etwas, das Harry als Freude interpretierte. Der Hund schien also nicht vergessen zu haben, wer sie waren. Aber was tat er hier?
Harry und Daphne tauschten einen Blick. Seine Freundin zuckte nur mit den Schultern und sagte: „Tu, was du für richtig hältst. Du bist der Tierfreund von uns beiden.“
Harry wandte sich wieder dem Hund zu. Seine Pfoten hinterließen Spuren im Schnee, als er auf sie zulief. Er stieß ein weiteres lautes Bellen aus, und Harry hatte eine Idee.
Unter Daphnes fragendem Blick hockte er sich hin und formte einen Schneeball. Der Hund hatte sie inzwischen fast erreicht.
„Mal sehen, ob er besser ausweichen kann als du“, sagte Harry und warf den Schneeball in Richtung des Hundes.
Der Schneeball flog in einem hohen Bogen durch die Luft, aber anstatt auszuweichen, sprang der Hund hoch und fing den Schneeball mit erstaunlicher Geschicklichkeit mit seinem Maul auf. Der Schnee klebte an seinem schwarzen Fell. Wieder bellte er, diesmal herausfordernd, wie Harry fand.
„Er will mit uns spielen“, sagte Daphne.
Harry griff nach einem weiteren Schneeball. Er warf ihn dem Hund zu, der ihn wieder mühelos auffing. Der Hund bellte, und sein fröhliches Bellen klang fast, als würde er lachen. Seine Zunge hing aus dem Maul und seine dunklen Augen funkelten vor Freude.
„Es scheint ihm wirklich Spaß zu machen“, sagte Harry und formte einen weiteren Schneeball, um ihn nach dem Hund zu werfen.
Daphne tat es ihm gleich und schon bald waren sie in eine fröhliche Schneeballschlacht mit dem Hund verwickelt. Der Hund rannte hin und her und hinterließ überall Pfotenabdrücke im Schnee, während er die Schneebälle mit großem Eifer auffing und manchmal sogar zurückwarf, indem er sie spielerisch aus seinem Maul fallen ließ. Nach kurzer Zeit war sein Fell komplett mit Schnee bedeckt. Und seine Freude war ansteckend.
Harry und Daphne lachten, während sie einen Schneeball nach dem anderen warfen, und ihr Lachen vermischte sich mit dem Bellen ihres neuen vierbeinigen Freundes.
Und im Gegensatz zu Daphne hielt sich der Hund auch an die Spielregeln und benutzte nicht ein einziges Mal Magie.
Es war viele Stunden später, dass sich Harry und Daphne am Abend im Raum der Wünsche wiederfanden, eng aneinander gekuschelt, in Decken gehüllt, vor ihnen ein knisterndes Kaminfeuer. In den Händen hielten sie Tassen mit heißer Schokolade, deren köstlicher Duft den Raum erfüllte.
Harry stieß einen zufriedenen Seufzer aus. Das musste eine der reinsten Formen des Glücks sein, dachte er, einen so wundervollen Tag mit dem Mädchen seiner Träume zu verbringen, gemeinsam zu lachen und Spaß zu haben und den Tag schließlich gemütlich und kuschelig miteinander ausklingen zu lassen.
Daphne bewegte sich in seinen Armen. Er warf ihr einen Blick zu und bemerkte, dass sie nach der Schachtel aus dem Honigtopf gegriffen hatte, die Teil seines Weihnachtsgeschenks für sie gewesen war. Ein Lächeln erfasste seine Lippen.
„Was hast du vor?“, fragte er sanft.
„Ich möchte etwas ausprobieren“, antwortete Daphne. „Ich frage mich, ob das schmecken wird ...“
Damit nahm sie ein langes Stück Lakritze aus der Schachtel und tat es in ihre heiße Schokolade, wo es langsam schmolz. Der Duft der Lakritze vermischte sich mit dem der Schokolade und dem des Kaminfeuers, eine seltsame Mischung, wie Harry fand.
Daphne setzte die Tasse an die Lippen und trank einen Schluck. Ihr Gesicht strahlte vor Zufriedenheit, als wollte sie sich selbst zu ihrer genialen Idee gratulieren. Für einen Moment fühlte sich Harry sich an ihr erstes gemeinsames Halloween zurückversetzt und er stellte sich vor, wie ein Paar Katzenohren auf ihrem seidenen, schwarzen Haar wackelten. Er konnte nur hoffen, dass sie diesen Gedanken nicht aufschnappte, aber er schien Glück zu haben.
„Das ist echt lecker“, sagte Daphne. „Probier mal.“
Sie hielt ihm die Tasse hin. Harry stellte seine eigene Tasse neben sich auf den Boden und nahm ihre aus ihrer Hand. Der Geruch von geschmolzenem Lakritz wurde noch intensiver, als der Dampf aus der Tasse in seine Nase stieg. Etwas skeptisch hob er die Tasse an den Mund und trank einen Schluck. Seine Lippen verzogen sich.
„Das überlasse ich lieber dir“, sagte er und gab Daphne die Tasse zurück. „Nicht ganz mein Geschmack, fürchte ich.“
„Da verpasst du etwas.“ Daphne trank noch einen tiefen Schluck. Dann lehnte sie den Kopf an seine Schulter, sich noch enger an ihn herankuschelnd.
Harry lächelte auf sie herab. Seine Finger strichen ihr eine schwarze Strähne aus dem Gesicht, Daphne gab einen zufriedenen Seufzer von sich. Ihre Blicke trafen sich, und gleichzeitig schlossen sie die Lücke zwischen ihnen. Daphnes Lippen schmeckten nach Schokolade und Lakritz, und plötzlich hatte er nichts mehr gegen diesen Geschmack.
Diesmal war es kein blutiger Kuss, es war nicht einmal ein besonders kräftiger Kuss, aber trotzdem fühlte Harry sich so glücklich wie noch nie zuvor in seinem Leben.
Ja, das musste wirklich eine der reinsten Formen von Glück sein, dachte er. Am liebsten würde er diesen Augenblick in der Zeit festhalten, damit sie immer wieder hierher zurückkehren könnten. Doch das war leider nicht möglich. Die Welt drehte sich unaufhaltsam weiter und mit ihr die Zeit. Alles, was ihm blieb, war zu hoffen, dass auch die Zukunft so schön sein würde wie dieser Augenblick des Glücks mit Daphne in seinen Armen.
Das wünschte er sich von ganzem Herzen.