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Das Prinzip der maximalen Schweinerei

von Bibi77
Kurzbeschreibung
GeschichteKrimi, Liebesgeschichte / P12 / Het
Dr. Anja Licht Franz Hubert OC (Own Character) Reimund Girwidz Sabine Kaiser
24.11.2022
16.12.2022
4
6.740
6
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Dieses Kapitel
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16.12.2022 1.956
 
Hubsi ist erleichtert, als er den werdenden Opa daheim abgesetzt hat. Da kann er sich wohl auf so manches Klagelied gefasst machen in den kommenden Tagen, aber wurscht. Daran mag er noch gar nicht denken. Daran kann er auch noch gar nicht denken, denn im Moment ist in seinem Kopf nur Platz für eine andere Person: Anja.

Als er zuhause ist, muss Hubsi erst einmal in den Spiegel schauen. Er sieht die kleine, verschorfte Schramme unter seinem stoppeligen Kinn und muss grinsen. Da hat er jetzt ein hübsches Andenken, was ihn wohl noch einige Tage an das Wiedersehen erinnern wird. Er weiß, es ist komplett bescheuert, aber jetzt ist er verdammt froh, dass er auf den Putzwagen geknallt ist.
„Das geht doch gar net bei dir“, hat die Anja gesagt, als er gemeint hat, ein Pflaster hätte blöd ausgeschaut.  –  Hubsis Grinsen wird noch breiter als er wieder daran denkt. Und wie die Anja dabei gelächelt hat! Ein bissl verschmitzt, ein bissl verlegen, und dann diese kleinen Grübchen dazu…
Heißt das etwa, dass sie ihn immer noch attraktiv findet, überlegt Hubsi jetzt so. Aber das kann doch gar nicht sein! Er ist ja nicht mal rasiert und dann dieses verdammte Knittergesicht und der längst überfällige Haarschnitt. Hätte er das doch bloß vorher gewusst, dass er auf die Anja trifft, dann wäre er noch schnell zum Friseur! Aber gut, wenn die Anja das so sagt… Die muss es ja am besten wissen, was ihr gefällt und was nicht.

Herrschaft, und wie sie dann an seinem Hemdkragen herumgezuppelt hat! Wie früher, wenn sie wie beiläufig sein Krawattl gerichtet oder sein Hemd glatt gestrichen hat bei der Arbeit. Das hat sie sogar noch gemacht, wie sie längst geschieden gewesen sind.
Doch es hilft jetzt alles nichts. Er hat da heute dermaßen reingeschwitzt, dass er das Hemd unmöglich noch länger anbehalten kann und Anjas Künste leider zerstören muss. Er braucht jetzt ganz dringend eine Dusche und so warm, wie ihm immer noch ist, sind T-Shirt und Buxe einfach die bessere Wahl.

Hunger hat Hubsi heut Abend keinen. Nicht im Geringsten. Dafür macht er etwas, was er schon ewig nicht mehr gemacht hat, und öffnet eine Falsche Rotwein. Den braucht er jetzt. Doch davon dreht sich das Karussell in seinem Kopf nur noch schneller als eh schon und so belässt er es lieber bei einem Glas.
Wie benebelt liegt er auf der Couch und starrt in den Fernseher, jedoch ohne zu merken, dass das Ding überhaupt an ist.  

Später liegt er mit Herzklopfen im Bett und lässt alle Einzelheiten des Smalltalks mit Anja noch einmal Revue passieren – jedenfalls die, an die er sich noch erinnert. Im Nachhinein ist er durch das Gespräch einfach so durchgerauscht, als wäre er von einer Klippe gesprungen, ohne zu wissen, wo er landet, und erst jetzt wird ihm bewusst, was für ein Riesenglück er gehabt hat und dass er auch ganz anders hätte landen können, wenn sein Hirn es nicht irgendwie von ganz allein geschafft hätte, im richtigen Moment die richtigen Worte zu finden.

Sobald Hubsi die Augen zu macht, sieht er wieder Anja neben sich sitzen und diesen unruhigen Schatten in ihren Augen, als sie ihn gefragt hat, ob ihm denn auch ganz bestimmt nichts fehlt. Wie lieb sie war, als es um den Hansi ging! Wie sie ihre Hand auf die seine gelegt hat! Wie sie zum Schluss gesagt hat: „Pass gut auf dich auf, ja?“
Boah! Macht sie sich also Gedanken um ihn? Diese Vorstellung kitzelt so sehr, dass Hubsi sich jedes Mal auf den Bauch drehen und ins Kissen grinsen muss.

An Schlaf ist nicht zu denken. Er ist so aufgekratzt, dass er glatt aufstehen und von oben bis unten das ganze Haus putzen könnte.

Erst gegen 4.00 Uhr morgens döst er endlich ein. Er schläft exakt eine Stunde und fünfzehn Minuten, dann ist er wieder wach und muss sofort prüfen, ob der Schorf unter seinem Kinn noch da ist. Er ist noch da. Schon geht das Herzklopfen wieder los und er muss lächeln. Kein Traum also. Er hat die Anja wirklich getroffen und mit ihr geredet und sie hat ganz wirklich diese vielen netten Kleinigkeiten zu ihm gesagt, die ihm nach und nach alle wieder durch den Kopf purzeln.

Punkt 6.00 Uhr klingelt der Wecker und Hubsi steht auf, macht sich zu aller erst einen Kaffee. Ein Schluck Milch, zwei Löffel Zucker. Trotzdem schmeckt er nicht so gut wie der von der Anja gestern, aber das geht ja auch gar nicht.

Mit der warmen Tasse zwischen den Händen stellt er sich an das offene Küchenfenster und schaut hinaus in den sonnigen Morgen. Ein bisschen müde fühlt er sich schon, aber dafür so glücklich wie schon lang nicht mehr. Warum eigentlich, fragt er sich. Es war doch nur ein kurzes, im Grunde völlig belangloses Gespräch. Eigentlich hat sich nichts geändert dadurch. Anja ist immer noch in München, er in Wolfratshausen. Jeder hat sein eigenes Leben, seinen Job und nicht im Entferntesten eine Andeutung gemacht, dass sich daran was ändern soll. Sie beide haben ja nicht einmal nach den Handynummern gefragt oder so. Aber irgendwas ist trotzdem anders und vielleicht, grübelt Hubsi vor sich hin, ist es deswegen:  

Als die Anja damals nach München ist, da sind sie zwar eigentlich im Guten auseinander gegangen, aber so richtig gewusst, woran er nun ist, hat er nie. Immer hat er sich gefragt, ob sie ihre letzten Worte wirklich ernst gemeint hat, dass sie ihn liebt und dass er ein „feiner Kerl“ wäre, oder ob das bloß ein schlechter Versuch war ihn irgendwie zu trösten. Denn warum hat sie nicht einfach ja gesagt, als er mit ihr abhauen wollte? Warum hat sie gesagt, sie bräuchte nur eine Auszeit und hat sich dann doch nie wieder gemeldet? Warum hat sie seine Anrufe abgewürgt? Hat sie zuletzt bloß noch mit ihm gespielt? Vielleicht sogar deswegen, um es ihm heimzuzahlen, dass er sie auch – obwohl nicht absichtlich – gefühlstechnisch immer im Ungewissen gelassen hat während ihrer Ehe? – Der Gedanke hat Hubsi immer gequält, war wie ein Stachel in seinem Stolz.

Aber nun, nach dem gestrigen Tag, hat Hubsi endlich das sichere Gefühl, dass die Anja ganz bestimmt keine bösen Absichten gehabt hat, dass sie ihn noch sehr gern hat und dass die ganzen Streitereien und Frotzeleien von damals verziehen sind. Und wenn es gestern auch das allerletzte Wiedersehen gewesen sein sollte, so wär das zwar immer noch nicht die Lösung, die er sich wirklich wünscht, aber es wär zumindest ein Abschluss – und ein sehr schöner noch dazu. Einer, an den er immer gern zurückdenken wird und – ja, der ihm wieder Kraft gibt für das, was auch immer ihn in Zukunft noch erwarten wird.

Mitten in diesen Gedanken hinein läutet plötzlich sein Telefon.
„Anja“ steht auf dem Display und Hubsi sieht die Buchstaben gleich doppelt.
Das ist jetzt ein Scherz, ist sein erster Gedanke. Soll er da wirklich drangehen?
Natürlich geht er dran.
„Jaaa?“, sagt er, so unaufgeregt es eben geht.
„Hubsi!“, ruft Anja und klingt, als hätte sie überhaupt nicht mit ihm gerechnet.
„Jaaa“, sagt er wieder.
„Ups! Hihi“, kichert sie plötzlich. „Entschuldige! Da… da hab i mich wohl verwählt.“
Hubsi runzelt die Stirn. Verwählt? So so…
„Hab i di jetz g'weckt?“, will Anja nun wissen.
„Na, s passt scho“, sagt Hubsi ganz cool. „I bin scho lang wach.“ Das ist ja auch nicht gelogen.
„Bist scho bei der Arbeit?“
„Na, aber bin quasi unterwegs“, sagt Hubsi mit Blick auf die Uhr.
„Äh, ja…“, stopselt die Anja jetzt ein bisschen umeinander. Dann, plötzlich, sagt sie: „Du, wart amal!“ Hubsi zuckt leicht zusammen. „Wo i dich jetz einmal dran hab“, sagt Anja weiter und Hubsi kann hören wie sie jetzt lächelt. „Wie geht's'n deinem Kinn? Alles gut?“
Automatisch tasten Hubsis Finger wieder nach der Schmarre. „Ja“, versichert er ihr, „is scho so gut wie weg.“
„Das freut mich!“, sagt sie.
Das freut sie? Hubsi schnaubt höchst amüsiert. Aber das freut sie wirklich. Das kann er ganz klar hören. Und das freut ihn wiederum.

„Was is'n jetz eigentlich mit der Johanna?“, fragt Anja dann wie beiläufig. „Gibt's da schon was Neues?“
„Na, net wirklich“, sagt Hubsi. Und er hat auch nicht wirklich Lust, mit der Anja jetzt darüber zu reden, aber weil er so wenigstens noch ein bisschen ihre Stimme hören kann, gibt er brav Auskunft: „Anscheinend is' z'sammeng'schlagen worden, aber s is nix Ernstes.“
„Zusammengeschlagen? Oh Gott, das is ja furchtbar! Weiß man schon, wer's war?“
„Na“, sagt Hubsi. „Das Fräulein Girwidz is wohl net besonders auskunftsfreudig.“
Für einen Moment ist es jetzt still in der Leitung. Dann fragt die Anja zögerlich: „Du, i weiß, das is jetz vielleicht a bissl blöd und wenn's dir net recht is, dann sag's mir ruhig, aber: könntest mir vielleicht Bescheid geben, wennst was Neues weißt?“
Das überrascht Hubsi. Warum interessiert die sich denn auf einmal so für den Girwidz' seine Tochter? Er überlegt, kann sich aber nicht erinnern, dass die Anja jemals groß irgendwas mit der zu tun gehabt hat. Eigentlich noch viel weniger als er. Aber gut, denkt er sich, hat er wenigstens einen Grund, um die Anja anzurufen. Das ist natürlich super.

So super findet Hubsi das, dass gleich am Abend er derjenige ist, der sich verwählt, obwohl es da noch gar nichts Neues von der Johanna gibt – außer vielleicht, dass ihr der Telefonterror vom Herrn Papa gehörig auf die Nerven gegangen ist, aber das ist ja nicht wirklich was Neues.
Jedenfalls habe er ja eigentlich den „Antonio“ anrufen und sich eine Pizza bestellen wollen, erklärt Hubsi der Anja und tritt sich innerlich vor's Scheinbein. Dümmer geht’s schon gar nicht mehr! Aber sein Anruf ist so oder so nicht schlimm, weil – sagt die Anja –, der beinamputierte Motorradlfahrer, den sie gerade auf dem Sektionstisch liegen hat, könne ihr ja nicht mehr davonlaufen, gell.

Ihre seltsamen Telefonspielchen spielen sie dann auch am Mittwoch und am Donnerstag weiter. Dann fällt Anja auf einmal ein, dass sie am Samstag mit einer ehemaligen Kollegin in Wolfratshausen zum Mittagessen verabredet wäre und sie zufällig erfahren habe, dass gerade Kirmes wär im Ort. Und sie würde ja so gern mal wieder Autoscooter fahren und ob Hubsi nicht vielleicht auch Lust auf Autoscooter hätte. Nur eine Runde und ganz unverbindlich natürlich. Allein traue sie sich nicht und das wär doch außerdem früher immer ganz lustig gewesen zu zweit.
Stimmt, das war's. Da ist Hubsi allerdings noch ein paar Jährchen jünger gewesen und Krach und Action und Menschenmassen haben ihm noch nicht so viel ausgemacht wie heute, aber – wurscht. Wenn die Anja sich halt unbedingt ein Schleudertrauma einfangen will, dann soll sie das wenigstens nicht allein tun müssen.
Gut, sagt Hubsi also. Bis Zwölf habe er Bereitschaftsdienst, aber dann könne man sich ja mal treffen und schauen, was so los ist, und ja, er freue sich auch.

Das tut er natürlich nicht wirklich. Nicht auf die Kirmes zumindest. Auf die Anja schon – auch wenn ihm dabei ein bisschen flau ist im Magen, weil er nicht weiß, ob das jetzt ein gutes oder kein gutes Zeichen ist. Aber, sagt er sich dann, was soll schon verkehrt sein daran, nochmal ein bisschen die Jugend aufleben zu lassen? Wer weiß, was kommt. Vielleicht liegt er schon nächste Woche auch auf einem Sektionstisch, wie Anjas beinamputierter Motorradlfahrer, und dann ärgert er sich vielleicht, dass er vorher nicht noch ein letztes Mal mit ihr Autoscooter gefahren ist?
Er will ja auch gar nichts von ihr und erwartet nichts. Wirklich nicht. Er will sie einfach nur noch mal wiedersehen.  

Erst einmal wollen dann aber die Münchner was von ihm und den Kollegen.
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