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Das Prinzip der maximalen Schweinerei

von Bibi77
Kurzbeschreibung
GeschichteKrimi, Liebesgeschichte / P12 / Het
Dr. Anja Licht Franz Hubert OC (Own Character) Reimund Girwidz Sabine Kaiser
24.11.2022
16.12.2022
4
6.740
6
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Dieses Kapitel
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02.12.2022 2.017
 
Die Anja hat sogar ein eigenes Büro in München. Nicht wie in Wolfratshausen, wo sie ihren Papierkram immer auf einem Hocker im Sektionsraum erledigen musste. Nein, es ist ein ganz richtiges kleines Büro mit Bücherregal und Schreibtisch, einem eigenen Kaffeevollautomaten und einem super bequemen Bürostuhl.

Auf dem sitzt Hubsi jetzt und muss der Anja sein angeschlagenes Kinn entgegen strecken. Sie nimmt es ganz vorsichtig zwischen Daumen und Zeigefinger und begutachtet den Schaden mit ihren großen dunklen Augen sehr aufmerksam. Weil's noch nicht peinlich genug ist, muss sie auch noch höchst amüsiert schmunzeln und sagen:
„Dafür, dass'd mich während unsrer ganzen Ehe net ein einziges Mal überrascht hast, hast du's heut ja ganz schee krachen lassen.“
Ja, wahnsinnig lustig! Hubsi zieht scharf die Luft ein. Einmal wegen der Bemerkung und dann, weil Anja ihm gerade das Kinn mit irgendeinem Desinfektionsmittel betupft, das ganz furchtbar stinkt und brennt.
„Hast Glück“, sagt sie dann, „dass es nur a Schramme is. I hab scho dacht, mia müssen dir schnell a Termin in einer Zahnklinik besorgen, so wie das g'scheppert hat. Magst trotzdem a Pflaster drauf?“
„Na“, sagt Hubsi. „Bitte koan Pflaster. Des schaut bleed aus.“
Jetzt wird aus Anjas Schmunzeln ein richtiges Lächeln. „Das geht doch gar net bei dir“, sagt sie und zwinkert ihm zu.
Herrschaftzeiten! Das hat sie jetzt nicht wirklich gesagt, oder? Hubsi schlägt das Herz bis zum Hals und auch Anja merkt anscheinend, was ihr da überhaupt herausgeflutscht ist. Jedenfalls wissen sie auf einmal beide nicht mehr so richtig, wo sie vor lauter Verlegenheit hinschauen sollen.
Hubsi bleibt aber dabei: kein Pflaster. Schließlich muss er ja nachher noch mit dem Girwidz zusammen die Heimreise antreten und je weniger offensichtlich sein kleiner Unfall ist, umso besser wird es sein.

„Was hast'n du überhaupts auf der Neugeborenenstation g'sucht?“, will die Anja jetzt wissen.
„Einen Kaffeeautomaten“, antwortet Hubsi und muss erst einmal schlucken. So so, in die Babyabteilung hat er sich also verirrt. Peinlicher geht’s jetzt wirklich nicht mehr.
„Da warst aber ganz falsch“, sagt Anja.
„Ja“, räumt Hubsi zerknirscht ein. „Das hab i ja dann a g'merkt. Und was hast du da g'macht?“
„I wollt eigentlich a Kollegin besuchen und ihr zum Nachwuchs gratuliern“, sagt Anja, „aber macht nix. Die zwoa laufen net davon.“ Sie lächelt immer noch ganz freundlich und als wäre das nicht schon unheimlich genug, fragt sie jetzt auch noch: „Wie schaut's'n aus: Magst immer noch einen Kaffee, Hubsi?“

Ja, den mag der Hubsi noch. Und prompt kriegt er auch einen, aus Anjas super tollem Kaffeevollautomaten. Sie tut ihm sogar einen Schluck Milch und exakt zwei Teelöffel Zucker hinein. Genau so, wie er's mag. Dann zapft sie sich auch einen, setzt sich direkt neben ihn auf die Tischkante und will wissen, was ihn denn eigentlich hier her in die Klinik verschlagen hat.
„Du hast doch nix, oder?“, fragt sie gleich noch hinterher und – irrt Hubsi sich, oder schaut sie auf einmal so ein bisschen besorgt?
„Na“, kann er ihr aber gleich versichern, „bei mir is ois okay. I bin bloß mit'm Girwidz da. Wega seiner Tochter, der Johanna. Die ham's vorhin eing'liefert.“
„Oh! Was is'n mit ihr?“
„Keine Ahnung“, sagt Hubsi und nimmt einen Schluck Kaffee. Mmh – perfekt!

So stellt sich für Hubsi überraschend schnell wieder ein bisschen alte Vertrautheit ein und da die Anja ihn auch noch nicht ein einziges Mal angefrotzelt hat oder sonst irgendwie schwierig ist, entspannt er sich allmählich und fühlt sich gar nicht so unwohl dabei, neben ihr zu sitzen, mit ihr Kaffee zu trinken und ein bisschen zu ratschen. Ganz normal halt, wie zwei ehemalige Kollegen, die sich lang nicht mehr gesehen haben. Wie geht es dir? Was machst du so? Viel los in München?
Das ist schön.
Erst, als Anja nach dem Staller fragt, wird es etwas weniger schön.
„Der is doch schon lang nimmer da“, sagt Hubsi und schaut auf den letzten Kaffeerest in seiner Tasse, schwenkt ihn hin und her und tut so, als wäre er längst durch mit dem Thema. Doch für die Anja ist das natürlich ganz was Neues und so fragt sie ihm jetzt gleich hundert Löcher auf einmal in den Bauch.

Nachdem sie das Wenige, was Hubsi weiß, aus ihm herausgequetscht hat, sagt sie ganz betroffen:
„Mei, Hubsi, das duat mer jetz aber wirklich leid für dich“, und auf einmal liegt ihre Hand auf seiner. „I weiß ja, wie viel der Hansi dir bedeutet hat.“
Hubsi zuckt bloß mit den Schultern. Mit gesenkten Lidern schaut er auf diese kleine, mollige Hand und merkt, wie sehr er sich diese Hand gewünscht hätte an jenem Tag, als der Hansi sich nach Rom verabschiedet hat. Verrückt. Nun ist sie auf einmal da. Endlich. Und er weiß gar nicht, was er sagen soll. Außer:
„Danke.“
Ihre Blicke treffen sich. Die Augen schimmern.
Anja lächelt. Hubsi lächelt – und findet, dass jetzt genau der richtige Zeitpunkt ist, um zu gehen.

Sie verabschieden sich kurz und schmerzlos und Hubsi ist schon fast an der Tür, als er hinter seinem Rücken ein zaghaftes „Hubsi?“ vernimmt.
Er dreht sich noch einmal um. „Hm?“
Anja tritt ganz nah an ihn heran. „I find's schee, dass mia uns amal wiederg'sehn ham“, sagt sie, während sie ihm nun fürsorglich den Hemdkragen richtet, den er sich bei seinem Sturz wohl etwas derangiert hat. Dabei lächelt sie ganz sanft und Hubsi wird richtig warm um's Herz, als sie noch hinzu fügt: „Pass gut auf dich auf, ja?“  
Puh, jetzt muss Hubsi aber wirklich los!

Erst draußen im Flur fällt ihm ein, dass er sich noch nicht einmal für den Kaffee bedankt oder gefragt hat, ob Anjas Handynummer noch aktuell ist. Jedenfalls kann er sich nicht erinnern, dass er es getan hätte.
Wurscht.
Er ist trotzdem super glücklich. So glücklich, dass er am liebsten die Dame in der blauen OP-Kleidung umarmt hätte, die gerade mit grimmigem Blick an ihm vorbeigeht, dann gegen die Glastür rammelt, die er in die falsche Richtung zu öffnen versucht, und im Fahrstuhl erst einmal völlig ratlos vor dem Tastenfeld steht, bis ihm wieder einfällt, auf welcher Etage er den Girwidz vorhin abgegeben hat.
Herrgottsa!
Hat die Anja ihm außer Milch und Zucker noch was in den Kaffee getan, oder was?

Wieder am Ausgangspunkt seiner Klinikexpedition angekommen, ist Hubsi aber ganz fix wieder nüchtern. Eine Krankenschwester ringt gerade mit dem Girwidz, der mit hochrotem Kopf in der offenen Zimmertür steht und wild gestikulierend umeinander plärrt.
„Du wirst den Kollegen Rede und Antwort stehen, dass das klar ist!“, keift er. „Und wehe nich!“
„Raus jetz, die Patientin braucht Ruhe!“, keift die Schwester zurück und schubst und drängelt mit vollem Körpereinsatz, aber gegen den Girwidz hat sie natürlich keine Chance. Also setzt Hubsi sich mal in Trab und ist ihr ein bisschen beim Schubsen behilflich.
„Und wenn du entlassen wirst, dann kommst du erst mal mit zu mir!“, plärrt der Girwidz derweil. „So nich, mein Fräulein! So nich!“
„Ja, etz langt's, Herr Girwidz!“, sagt Hubsi und hat mittlerweile genug Ärger im Bauch, um den renitenten Kollegen mit einem kräftigen Ruck von der Tür wegzuzerren. „Geht's noch, oder was?“, scheißt er ihn dann zusammen. „Etz heern'S auf die Dame und lassen'S Ihre Tochter in Ruh! I glaub, das Letzte, was die jetz brauchen kann, is a peinlicher Auftritt von ihrm Vater!“

Das sitzt. Zumindest ist dann Ruhe, bis sie wieder im Streifenwagen sitzen. Doch der Girwidz kocht immer noch vor Wut und Hubsi könnte schwören, dass bereits Dampfwolken aus seinen Ohren und Nüstern kommen.
Er selbst ist dagegen schon wieder runtergekühlt. Sogar der Großstadtverkehr macht ihm nichts mehr aus. Ein Gedanke an die Anja langt und es ist überhaupt kein Problem mehr, dass er zweimal falsch abbiegt und beinahe noch einen Auffahrunfall verursacht. Zu schade, dass der Kollege seine 1a Stimmung nicht teilen will. Hubsi hätt' ihn nachher gern noch auf ein Bier und ein Schnitzel eingeladen. Aber gut. Dann muss er sich halt ohne Nervennahrung mit ihm unterhalten.
 
„Was war'n da los vorhin?“, will er wissen.  
„Ach!“, winkt der Girwidz bloß ab und stiert dann wieder missmutig aus dem Fenster.
Gut, dann halt nicht, denkt Hubsi. „Derf i dann weng'stens erfahrn wie's der Johanna geht?“
„Na nich so gut, nich“, lautete die mürrische Antwort. „Gehirnerschütterung, Prellungen, ein blaues Auge… Wenn ich den erwische, der das war, dann… dann...“ Er weiß aber anscheinend auch nicht, was dann ist.
Hubsi ist ohnehin der Meinung:
„Das überlassen'S dann vielleicht besser den Münchner Kollegen. Weiß die Johanna net, wer's war?“ Jedenfalls geht Hubsi mal schwer davon aus, dass sie sich nicht selbst bewusstlos geschlagen hat.
„Natürlich weiß die, wer's war!“, braust der Girwidz jetzt wieder auf. „Aber sie behauptet, sie kann sich an nichts mehr erinnern. Tssse!“
„Ja, und wenn's wirklich so is?“, gibt Hubsi zu bedenken. „Wär ja schließlich net so ungewöhnlich bei einer G'hirnerschütterung.“
„Ach, Blödsinn!“, ist Girwidz sich jedoch sicher. „Ich kenn doch Johanna. Die will den Kerl doch bloß decken! Das spür ich! Vielleicht war's sogar dieser komische Kfz-Fritze, mit dem sie mal gegangen ist!“
„Wer sagt'n eigentlich, dass es a Kerl war?“, fragt Hubsi. „I mein, wenn da zwoa so hysterische Kampfweiber… I weiß noch, wie die Anja damals auf unsrer Hochzeit den Brautstrauß g'worfen hat – mein lieber Schwan! Dagegen is Wrestling echt a Schei – “ Der Blick vom Girwidz ist nicht freundlich und so bricht er lieber ab.

„Madame ist schwanger, verdammt!“, schreit sein Beifahrer jetzt. „Also kommen Sie mir nicht auch noch mit irgendwelchen Brautsträußen daher!“
Ouh!
„Schwanger? Echt?“
„Ja! Echt! Was sagt man dazu!“
Da ist Hubsi überfragt. „Glückwunsch?“, riskiert er mal einen vorsichtigen Schuss ins Blaue.
Das ist aber offensichtlich nicht das, was der Girwidz hören wollte.
„Das ist eine Katastrophe!“, ruft er aus.
„Weil der werdende Vater koan Verwandter vom Polizeipräsidenten is?“, vermutet Hubsi.
„Sehr witzig, Hubert! Ich kann da nich drüber lachen! Überhaupt nich! Ich mein, das Mädchen kommt doch nicht mal mit sich selber klar, nich. Kein abgeschlossenes Studium, keine vernünftige Wohnung, keine Arbeit. Aber Partys und Weltreisen und alle möglichen anderen Flitze im Kopf! Und jetzt auch noch das! U-und sie merkt's nicht mal! Wahrscheinlich weiß sie nicht mal, wer überhaupt der Vater is! Das geht gar nich, Hubert! Das geht einfach nich...“
Hubsi schnaubt amüsiert. „Da können'S jetz aber a nix gegen machen, Herr Girwidz.“
„Das werden wir ja sehen, nich! Ab jetzt ist jedenfalls Schluss mit dem Lotterleben! Dafür werde ich höchstpersönlich sorgen!“
„Ah geh, Schmarrn!“, sagt Hubsi und, weil er nicht weiß, was er sonst sagen soll: „Sehn'S es doch amal positiv. I mein, Sie werden Opa. Das is doch…“, er holt tief Luft, „schön.“ Genau! Hubsi ist erleichtert, dass ihm dieser hübsche terminus technicus eingefallen ist. „I mein“, sagt er weiter, „in Ihrm Alter, da is das ja net sooo ung'wöhnlich. Und“, fällt ihm außerdem noch ein, „da erleben'S vielleicht sogar die Einschulung von Ihrm Enkel noch.“
„Hrmpf“, macht der Girwidz nur. „Sie sind mir ja vielleicht wieder ein Herzchen! Sie haben wirklich überhaupt keine Ahnung!“

Nein, die hat Hubsi tatsächlich nicht. Er will ja auch gar nicht den Familientherapeuten und Tochter-Versteher spielen, aber eine Sache muss er dann doch noch loswerden:
„Herr Girwidz“, sagt er, so einfühlsam er kann, „i kann ja verstehn, dass das jetz ois a bissl bleed is für Sie, oba... vielleicht sollten'S auch amal an die Johanna denken. I mein, die liegt da verletzt im Krankenhaus umeinander, anscheinend hat's Probleme mit irgendwem, jetz is' a noch schwanger… Meinen'S net, der geht’s grad a bissl b'schissener als Ihnen?“
„Hrmpf“, macht der Girwidz wieder, aber wenigstens hört er jetzt auf, gegen sein Töchterchen zu wettern.
Auf Bier und Schnitzel hat er aber trotzdem keine Lust.
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