Das Testament
von Nahila
Kurzbeschreibung
Joko und Klaas verfassen ihr Testament. Dabei wird klar: Sie sind sich beide unglaublich wichtig und können sich ein Leben ohne den anderen nicht vorstellen. Aber was bedeutet das für sie wirklich?
GeschichteFreundschaft, Liebesgeschichte / P16 / MaleSlash
Joachim "Joko" Winterscheidt
Klaas Heufer-Umlauf
23.11.2022
21.12.2022
5
12.087
23
13.12.2022
2.342
Die Wochen bis zu Joko’s Hochzeit verstrichen schnell. Da die Entscheidung sehr spontan gefallen war, war noch sehr viel vorzubereiten. Beide wollten ihre Trauzeugen beinahe überall mit involvieren. Das machte es für Klaas nicht gerade einfach, Distanz zu seinen Gefühlen zu schaffen. Er erlebte die Zeit oft wie unter einem Schleier, abgetrennt vom Rest der Welt. Äußerlich versuchte er sich so gut es ging nichts anmerken zu lassen, innerlich fühlte er sich häufig elend. Vor allem die ersten Tage waren sehr hart gewesen. Er hatte angestrengt versucht seine Gefühle zu verdrängen. Sich mit allem möglichen abzulenken. Er hatte seinen Frust laut herausgeschrieen und zwang sich zu erinnern, wie es vorher war, als sie nur Freunde waren. Aber egal was er versuchte, es wollte ihm nicht gelingen. Jedes Mal, wenn er dachte, er hätte es endlich im Griff, wurde er eines Besseren belehrt. Sobald er Joko’s Stimme hörte, nein, es reichte schon, wenn er nur eine Nachricht von ihm bekam, machte sein Herz einen Satz und alles war umsonst gewesen. Dann hatte er angefangen zu grübeln und verschiedene Szenarien in seinem Kopf durchgespielt. Welche Optionen hatte er? Joko war glücklich mit Lisa. Das konnte man deutlich erkennen, sobald man beide zusammen sah. Klaas wollte auf keinen Fall Probleme verursachen. Wer wusste, was geschehen würde, wenn er Joko seine Gefühle gestand, der sie aber nicht erwiderte. Wie würde er reagieren? Ein bisschen Selbstschutz war sicher auch dabei. Joko würde dann bestimmt mit Lisa darüber sprechen und am Ende entstand ein Eifersuchtsdrama auf das Klaas gerne verzichten konnte. Vielleicht würde Lisa Joko sogar verbieten Klaas weiterhin privat zu treffen. Egal ob der Große das mit sich machen lassen würde – das bezweifelte Klaas stark – er wollte keinen Keil zwischen die beiden treiben. Das hatten sie nicht verdient. Joko war ihm zu wichtig, als ihm das anzutun.
Auch Doris ging es nicht gut, was die Gesamtsituation nicht besser machte. Sie war nicht böse auf ihn, aber machte auch kein Geheimnis darum, wie nah ihr die Trennung ging. Klaas fühlte sich dadurch nur noch schlechter. Der Druck auf seiner Brust schien nicht mehr weggehen zu wollen. Die Tage fühlten sich trüb und hoffnungslos an. Zu allem Überfluss machte Joko sich wirklich Sorgen um ihn und bat ihm ständig seine Unterstützung an. Egal ob durch Zuhören oder Ablenkung. Er war für ihn da. Das zeigte Klaas zwar nur noch mehr, wie wertvoll Joko war, aber zerriss ihn innerlich nur noch mehr. Ihre Verbindung war einfach einzigartig. Am liebsten wollte er seinen Freund nun natürlich ständig um sich haben, aber jede Begegnung, jedes Gespräch verursachten gleichzeitig stechende schmerzen. So fühlte es sich also an unglücklich verliebt zu sein. Sie waren sich nah und doch nicht nah genug. Nach ein paar Tagen hatte er schließlich erschöpft aufgegeben und beschlossen mit dem Schmerz zu leben. Er konnten nicht mit Joko, aber auch auf gar keinen Fall ohne ihn. Er entschied sich zu schweigen, setzte bei jeder Begegnung sein strahlendstes Lächeln auf und spielte seine Rolle.
Der Himmel heute war makellos. Sie standen auf dem Platz vor dem alten Rathaus der Stadt Tegernsee. Die gelbe Fassade mit den blauen Fensterläden strahlten einladend im Sonnenlicht. Das glitzernde Wasser des Tegernsees plätscherte leise gegen das Ufer und Wasserfontänen rauschten in der Ferne. Zahlreiche kleinere und größere Boote waren heute unterwegs und hauchten dem See Leben ein. Nicht weit von ihnen war eine Gruppe Enten auf Nahrungssuche. Auf einem kleinen Steg ganz in der Nähe standen Lisas Eltern mit Joko’s Tochter und unterhielten sich fröhlich mit Blick auf den See. Joko’s Vater saß mit Joko’s Schwestern auf einer Bank davor, im Schatten eines Baumes. Auch sie unterhielten sich angeregt. Er selbst fand sich neben seinem besten Freund wieder, der nervös seine Hände knete. Joko trug einen dunkelgrünen Anzug, mit gleichfarbiger Weste und weißem Hemd. Die Krawatte war rosa gemustert und er trug eine ebenfalls rosafarbene Ansteckblume. Das Outfit schrie förmlich nach Joko und er sah darin einfach umwerfend aus. Nicht zum ersten Mal, musste Klaas sich zwingen seinen Blick wieder von ihm abzuwenden.
Es hatte knapp eine Woche nach ihrem Treffen im Café angefangen. Als Klaas seine Gefühle endlich vollumfänglich akzeptierte und nicht mehr dagegen ankämpfte, viel ihm bei jedem Mal mehr auf, wie attraktiv Joko war. Nicht nur sein Charakter und seine Art, sondern Joko als Gesamtpaket. Das machte natürlich alles nicht gerade leichter. Vor zwei Wochen war Klaas vorübergehen nach München gezogen. In Berlin hielt ihn im Moment nichts und die Vorbereitungen für die Hochzeit waren so tatsächlich wesentlich einfacher mitzugestalten. Und ganz nebenbei konnte er Joko so oft wie nur möglich sehen. Also wohnte er aktuell in einem Apartmenthotel nicht weit von Joko's Wohnung. Sie waren eines Abends bei dem Großen zuhause am Küchentisch gesessen, hatten Bier getrunken, gelacht und zusammen mit Lisa nach einer Location für die kleine Feier gesucht. Es herrschte eine entspannte, feuchtfröhliche Atmosphäre, als Klaas das erste Mal von dem dringenden Bedürfnis überfallen wurde ihn zu küssen. Ihm war vorher noch nie aufgefallen, wie attraktiv Joko’s Lachen war und wie sein Gesicht zu leuchten begann, wenn er sich freute und Spaß hatte. Im ersten Moment war Klaas irritiert gewesen, aber hatte sich dann neugierig auf das Gefühl eingelassen. Mit jedem Treffen war das Bedürfnis stärker geworden. Immer häufiger ertappte er sich dabei, wie er den Großen unbemerkt anstarrte. Als er einmal zu früh bei ihm zu Hause erschien, hatte Joko ihm die Tür nur mit einem Handtuch bekleidet geöffnet. Seine Haare waren noch nass und verwuschelt gewesen und auch seine Haut glänzte feucht. „Alter, du bist zu früh, ich war gerade noch in der Dusche!“, wurde er lachend empfangen. Bei seinem Anblick stockte Klaas kurz der Atem und sein Blut wanderte das erste Mal in südlichere Regionen. Für den Bruchteil einer Sekunde wäre er am liebsten einfach über Joko hergefallen. Doch er besann sich schnell und verbannte den Gedanken energisch wieder in die hinterste Ecke seines Gehirns. Er überspielte die Situation gekonnt mit einem lachenden: „Zieh dir was an Winterscheidt!“, und hatte sich an ihm vorbei gedrängt.
In den letzten Wochen hatte er sich oft gefragt, was das für ihn und seine Sexualität bedeutete. Er hatte sich eigentlich nie als bi betrachtet. Bisher war er nur mit Frauen zusammen gewesen und hatte auch noch nie Interesse an Männern gehabt. Aber Joko löste in ihm offensichtlich ein Verlangen aus, dass er bisher nicht von sich kannte. Vielleicht war es aber auch nicht wichtig ein Label zu finden. Das Einzige was zählte war, dass er Joko liebte, mit allem was dazu gehörte. Dass er Joko liebte und es für sich behalten würde.
„Na mein Freund, machst du dir schon in die Hose?“, neckte er den Blonden und grinste. Joko lachte nervös und nickte. „Und wie!“, bestätigte er, ohne sich ärgern zu lassen. „Das wird schon.“, versuchte Klaas ihn zu beschwichtigen und legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter. „Was soll denn schon schlimmes passieren?“, fügte er hinzu. „Hm ich weiß nicht, sie könnte nein sagen vielleicht?“, erwiderte Joko lachend und fuchtelte mit den Armen. „Aaach, dann heirate ich dich halt.“, rutschte es Klaas da heraus. Für einen kurzen Augenblick erschrak er, aber als er Joko lauthals Lachen hörte, entspannte er sich sofort wieder und stimmte herzlich mit ein. Wie gut, dass sie solche Scherze schon öfter gebracht hatten. „Familie Heuferscheidt!“, setzte der Große noch einen drauf, „Die Hochzeitsnacht musst du dann aber auch durchziehen, das ist dir klar, oder?“ Klaas grinste und das Kribbeln in seinem Bauch nahm zu. ‚Einfach mitspielen‘, versuchte er sich zu beruhigen. „Kanns gar nicht abwarten.“, antwortete er deshalb herausfordernd. Joko hielt inne und sah ihn mit einem breiten Grinsen schräg von der Seite an. Dann kam er ihm mit einem Mal sehr nah. Er baute sich vor Klaas auf und beugte sich hinunter, um ihn etwas ins Ohr zu flüstern. Seine Stimme war auf einmal rau und dunkel. „Ich wusste gar nicht, dass Sie so auf mich stehen, Herr Heufer-Umlauf.“, raunte er. Mit einem Mal war für Klaas der Spaß vorbei. Ein Schauer lief ihm den Rücken hinunter und sein Blut sackte ab. Er musste sich zusammenreißen, dass ihm kein Keuchen entfuhr. „Du süße Maus.“, fügte Joko mit noch tieferer Stimme hinzu und lachte herzhaft. Fuck. „Joko, hör auf, das ist mir unangenehm.“ Plötzlich war Klaas sehr eingeschüchtert. Er konnte nicht mehr rational denken. Das Verlangen, den größeren an sich zu ziehen und ihre Lippen aufeinander zu pressen, machte sich schlagartig bemerkbar. Er hatte das Gefühl, gleich zu explodieren. Die Nähe, Jokos Stimmlage, seine Blicke. Zu gern würde er den Schmetterlingen in seinem Bauch freien Lauf lassen. Seine Knie wurden weich. Das Einzige was ihm jetzt noch blieb, um nicht die Fassung zu verlieren: Flucht. Er wich zögernd zurück, um Distanz zwischen ihn und Joko zu bekommen, aber dieser folgte ihm auf den Schritt. So oft hatte er Klaas damit schon in den Wahnsinn getrieben und heute machte es ihm wohl besonders Spaß. „Oh jetzt bekommst du also Schiss, hm?“, sagte er halblaut, während er Klaas weiter grinsend zurückdrängte. „Du machst mich geil und dann hältst du mich hin?“ „Joko ernsthaft jetzt.“, wehrte sich Klaas nun energischer. Aber dieser erkannte immer noch nicht den Ernst der Lage. Klaas spürte plötzlich die kühle Hauswand in seinem Rücken. Er war gefangen. Joko stützte sich links und rechts von seinem Kopf ab und grinste ihn frech an. Er war ihm sehr nah. Zu nah. „Joko ohne Scheiß!“, langsam verzweifelte Klaas. Wenn Joko nicht bald nachgab, dann würde er sich nicht mehr zurückhalten können. Er hatte das Gefühl gleich ohnmächtig zu werden. Er versuchte ihn weiter standhaft anzublicken, aber spürte, wie seine Fassade langsam, aber sicher bröckelte. Für eine gefühlte Ewigkeit sahen sie sich beide tief in die Augen. Klaas hoffte, Joko würde endlich aufhören. Dann wurde sein Blick plötzlich weicher. „Wenn du mich so ansiehst, kann ich nur dran denken, wie gern ich dich Küssen würde.“, etwas in Joko’s Stimme hatte sich verändert. Sie war immer noch dunkel, aber nicht mehr dominant, sondern sanft, fast liebevoll. Klaas war unfähig sich zu bewegen. Er atmete schwer und sein Blick flatterte zwischen Joko‘s Augen und seinen Lippen hin und her. Fuck, wieso zog der Blonde ihn so magisch an? Er biss sich auf die Unterlippe. Joko‘s Blick wurde nur noch weicher und es fehlte nicht viel und Klaas würde alles vergessen. „Joko. Wirklich jetzt. Alabama!“, stieß er in letzter Sekunde hervor und mit einmal war die Spannung verpufft. Der blinzelte kurz, als würde er aus einer Trance erwachen, und stieß sich sofort von der Wand ab.
„Ist ja schon gut!“, hob er beschwichtigend die Hände. „Alles gut. Sorry, alter.“, er wirkte etwas zerknirscht. „Ich bin wohl wirklich sehr nervös, ich wollte mich einfach nur ablenken, tut mir leid.“ Klaas schluckte und versuchte seinen Puls zu beruhigen. Er richtete sein Jackett und strich ein paar Mal nervös darüber. Schnell setzte er wieder ein Grinsen auf. „Schon gut, du weißt doch ich kann Nähe nicht so…“, versuchte er sich halbherzig zu erklären, doch in diesem Moment wurden sie einen vorfahrenden Oldtimer unterbrochen. „Oh.“, entfuhr es ihm und Joko drehte sich abrupt um. „Lisa ist da.“, stellte dieser aufgeregt fest und setzte sich augenblicklich in Bewegung. Mit schnellen Schritten war er am Auto und öffnete mit ausladender Geste die Tür. Auch die anderen Gäste hatten sich umgedreht und langsam versammelten sich vor der Eingangstür. Joko’s Vater kam auf Klaas zu und klopfte ihm kurz, aber fest auf die Schulter. „Alles gut?“, fragte er und zog eine Augenbraue in die Höhe. Verwirrt sah Klaas ihn an. „Ja, klar, mir geht’s gut, wieso fragst du?“, log er. Die Augenbraue wanderte noch höher. „Das sah gerade aber ganz anders aus.“, stellte er nüchtern fest und wandte seinen Blick seiner zukünftigen Schwiegertochter zu, die gerade mit leuchtenden Augen aus dem Auto stieg. Sie trug ein kurzes, schlichtes Brautkleid mit dezenter Spitze und sah wirklich umwerfend darin aus. Ohne Klaas wieder anzusehen, ergänzte er: „Ich bin nicht blind Klaas. War ich noch nie.“ Dann ging er lächelnd auf Lisa und Joko zu, um sie zu Umarmen.
Die nächste Stunde erlebte Klaas wie in Trance. Er verpasste so gut wie alles was der Standesbeamte sagte. Er bemerkte, wie Lisa’s Eltern schluchzten und auch Joko sah sehr gerührt aus. Er hörte, wie beide ihre Ehegelübde vortrugen, aber keines der Worte drang zu ihm durch. Ihre Tochter brachte die Ringe. Lisa war sehr emotional und weinte, Joko grinste stolz wie ein Honigkuchenpferd. Aber Klaas konnte an nichts anderes denken als an diesen kurzen Moment vor dem Rathaus. Was war das gewesen? Hatte nur er diese Spannung gespürt? Und was hatte Joko’s Vater gemeint? War da doch mehr zwischen ihnen, als Klaas angenommen hatte?
Er kam erst wieder zu sich, als der Standesbeamte in den Raum fragte: „Wenn jemand der Anwesenden etwas gegen diese Verbindung einzuwenden hat, möge er jetzt sprechen oder auf ewig schweigen.“ „Ja!“, schrie es in Klaas, „Ich! Ich liebe den Bräutigam und es könnte sein, dass er mich auch liebt!“ Aber nichts von all dem kam über seine Lippen. Er schwieg, lächelte und schüttelte wie selbstverständlich den Kopf. So kam es also, dass er wenige Sekunden später neben Joko stand und seine Unterschrift als Trauzeuge auf die Heiratsurkunde setzte. Joko blickte ihn dankend an und Klaas wurde wieder warm ums Herz. Lisa strahlte ihn ebenfalls an, ihre Augen funkelten vor Glück. Er fragte sich, wie viel Schmerz und Liebe ein Mensch gleichzeitig empfinden konnte, ohne zu platzen. Klaas lächelte ihnen ehrlich zu, klopfte Joko im Vorbeigehen auf die Schulter und setzte sich wieder. Hoffentlich war das hier bald vorbei. „Na dann“, fuhr der Standesbeamte beschwingt fort und klappte seinen Hefter zu, „Dürfen Sie beide sich nun Küssen!“ Joko strahlte seine Frau an, zog sie sogleich an der Taille zu sich und als seine Lippen auf ihren landeten, klatschten die wenigen Anwesenden freudig in die Hände und sprangen begeistert von ihren Plätzen auf. Klaas tat es ihnen gleich, wenn auch etwas verzögert, und hoffte, dass niemand bemerkte, wie sein Herz brach.
Auch Doris ging es nicht gut, was die Gesamtsituation nicht besser machte. Sie war nicht böse auf ihn, aber machte auch kein Geheimnis darum, wie nah ihr die Trennung ging. Klaas fühlte sich dadurch nur noch schlechter. Der Druck auf seiner Brust schien nicht mehr weggehen zu wollen. Die Tage fühlten sich trüb und hoffnungslos an. Zu allem Überfluss machte Joko sich wirklich Sorgen um ihn und bat ihm ständig seine Unterstützung an. Egal ob durch Zuhören oder Ablenkung. Er war für ihn da. Das zeigte Klaas zwar nur noch mehr, wie wertvoll Joko war, aber zerriss ihn innerlich nur noch mehr. Ihre Verbindung war einfach einzigartig. Am liebsten wollte er seinen Freund nun natürlich ständig um sich haben, aber jede Begegnung, jedes Gespräch verursachten gleichzeitig stechende schmerzen. So fühlte es sich also an unglücklich verliebt zu sein. Sie waren sich nah und doch nicht nah genug. Nach ein paar Tagen hatte er schließlich erschöpft aufgegeben und beschlossen mit dem Schmerz zu leben. Er konnten nicht mit Joko, aber auch auf gar keinen Fall ohne ihn. Er entschied sich zu schweigen, setzte bei jeder Begegnung sein strahlendstes Lächeln auf und spielte seine Rolle.
Der Himmel heute war makellos. Sie standen auf dem Platz vor dem alten Rathaus der Stadt Tegernsee. Die gelbe Fassade mit den blauen Fensterläden strahlten einladend im Sonnenlicht. Das glitzernde Wasser des Tegernsees plätscherte leise gegen das Ufer und Wasserfontänen rauschten in der Ferne. Zahlreiche kleinere und größere Boote waren heute unterwegs und hauchten dem See Leben ein. Nicht weit von ihnen war eine Gruppe Enten auf Nahrungssuche. Auf einem kleinen Steg ganz in der Nähe standen Lisas Eltern mit Joko’s Tochter und unterhielten sich fröhlich mit Blick auf den See. Joko’s Vater saß mit Joko’s Schwestern auf einer Bank davor, im Schatten eines Baumes. Auch sie unterhielten sich angeregt. Er selbst fand sich neben seinem besten Freund wieder, der nervös seine Hände knete. Joko trug einen dunkelgrünen Anzug, mit gleichfarbiger Weste und weißem Hemd. Die Krawatte war rosa gemustert und er trug eine ebenfalls rosafarbene Ansteckblume. Das Outfit schrie förmlich nach Joko und er sah darin einfach umwerfend aus. Nicht zum ersten Mal, musste Klaas sich zwingen seinen Blick wieder von ihm abzuwenden.
Es hatte knapp eine Woche nach ihrem Treffen im Café angefangen. Als Klaas seine Gefühle endlich vollumfänglich akzeptierte und nicht mehr dagegen ankämpfte, viel ihm bei jedem Mal mehr auf, wie attraktiv Joko war. Nicht nur sein Charakter und seine Art, sondern Joko als Gesamtpaket. Das machte natürlich alles nicht gerade leichter. Vor zwei Wochen war Klaas vorübergehen nach München gezogen. In Berlin hielt ihn im Moment nichts und die Vorbereitungen für die Hochzeit waren so tatsächlich wesentlich einfacher mitzugestalten. Und ganz nebenbei konnte er Joko so oft wie nur möglich sehen. Also wohnte er aktuell in einem Apartmenthotel nicht weit von Joko's Wohnung. Sie waren eines Abends bei dem Großen zuhause am Küchentisch gesessen, hatten Bier getrunken, gelacht und zusammen mit Lisa nach einer Location für die kleine Feier gesucht. Es herrschte eine entspannte, feuchtfröhliche Atmosphäre, als Klaas das erste Mal von dem dringenden Bedürfnis überfallen wurde ihn zu küssen. Ihm war vorher noch nie aufgefallen, wie attraktiv Joko’s Lachen war und wie sein Gesicht zu leuchten begann, wenn er sich freute und Spaß hatte. Im ersten Moment war Klaas irritiert gewesen, aber hatte sich dann neugierig auf das Gefühl eingelassen. Mit jedem Treffen war das Bedürfnis stärker geworden. Immer häufiger ertappte er sich dabei, wie er den Großen unbemerkt anstarrte. Als er einmal zu früh bei ihm zu Hause erschien, hatte Joko ihm die Tür nur mit einem Handtuch bekleidet geöffnet. Seine Haare waren noch nass und verwuschelt gewesen und auch seine Haut glänzte feucht. „Alter, du bist zu früh, ich war gerade noch in der Dusche!“, wurde er lachend empfangen. Bei seinem Anblick stockte Klaas kurz der Atem und sein Blut wanderte das erste Mal in südlichere Regionen. Für den Bruchteil einer Sekunde wäre er am liebsten einfach über Joko hergefallen. Doch er besann sich schnell und verbannte den Gedanken energisch wieder in die hinterste Ecke seines Gehirns. Er überspielte die Situation gekonnt mit einem lachenden: „Zieh dir was an Winterscheidt!“, und hatte sich an ihm vorbei gedrängt.
In den letzten Wochen hatte er sich oft gefragt, was das für ihn und seine Sexualität bedeutete. Er hatte sich eigentlich nie als bi betrachtet. Bisher war er nur mit Frauen zusammen gewesen und hatte auch noch nie Interesse an Männern gehabt. Aber Joko löste in ihm offensichtlich ein Verlangen aus, dass er bisher nicht von sich kannte. Vielleicht war es aber auch nicht wichtig ein Label zu finden. Das Einzige was zählte war, dass er Joko liebte, mit allem was dazu gehörte. Dass er Joko liebte und es für sich behalten würde.
„Na mein Freund, machst du dir schon in die Hose?“, neckte er den Blonden und grinste. Joko lachte nervös und nickte. „Und wie!“, bestätigte er, ohne sich ärgern zu lassen. „Das wird schon.“, versuchte Klaas ihn zu beschwichtigen und legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter. „Was soll denn schon schlimmes passieren?“, fügte er hinzu. „Hm ich weiß nicht, sie könnte nein sagen vielleicht?“, erwiderte Joko lachend und fuchtelte mit den Armen. „Aaach, dann heirate ich dich halt.“, rutschte es Klaas da heraus. Für einen kurzen Augenblick erschrak er, aber als er Joko lauthals Lachen hörte, entspannte er sich sofort wieder und stimmte herzlich mit ein. Wie gut, dass sie solche Scherze schon öfter gebracht hatten. „Familie Heuferscheidt!“, setzte der Große noch einen drauf, „Die Hochzeitsnacht musst du dann aber auch durchziehen, das ist dir klar, oder?“ Klaas grinste und das Kribbeln in seinem Bauch nahm zu. ‚Einfach mitspielen‘, versuchte er sich zu beruhigen. „Kanns gar nicht abwarten.“, antwortete er deshalb herausfordernd. Joko hielt inne und sah ihn mit einem breiten Grinsen schräg von der Seite an. Dann kam er ihm mit einem Mal sehr nah. Er baute sich vor Klaas auf und beugte sich hinunter, um ihn etwas ins Ohr zu flüstern. Seine Stimme war auf einmal rau und dunkel. „Ich wusste gar nicht, dass Sie so auf mich stehen, Herr Heufer-Umlauf.“, raunte er. Mit einem Mal war für Klaas der Spaß vorbei. Ein Schauer lief ihm den Rücken hinunter und sein Blut sackte ab. Er musste sich zusammenreißen, dass ihm kein Keuchen entfuhr. „Du süße Maus.“, fügte Joko mit noch tieferer Stimme hinzu und lachte herzhaft. Fuck. „Joko, hör auf, das ist mir unangenehm.“ Plötzlich war Klaas sehr eingeschüchtert. Er konnte nicht mehr rational denken. Das Verlangen, den größeren an sich zu ziehen und ihre Lippen aufeinander zu pressen, machte sich schlagartig bemerkbar. Er hatte das Gefühl, gleich zu explodieren. Die Nähe, Jokos Stimmlage, seine Blicke. Zu gern würde er den Schmetterlingen in seinem Bauch freien Lauf lassen. Seine Knie wurden weich. Das Einzige was ihm jetzt noch blieb, um nicht die Fassung zu verlieren: Flucht. Er wich zögernd zurück, um Distanz zwischen ihn und Joko zu bekommen, aber dieser folgte ihm auf den Schritt. So oft hatte er Klaas damit schon in den Wahnsinn getrieben und heute machte es ihm wohl besonders Spaß. „Oh jetzt bekommst du also Schiss, hm?“, sagte er halblaut, während er Klaas weiter grinsend zurückdrängte. „Du machst mich geil und dann hältst du mich hin?“ „Joko ernsthaft jetzt.“, wehrte sich Klaas nun energischer. Aber dieser erkannte immer noch nicht den Ernst der Lage. Klaas spürte plötzlich die kühle Hauswand in seinem Rücken. Er war gefangen. Joko stützte sich links und rechts von seinem Kopf ab und grinste ihn frech an. Er war ihm sehr nah. Zu nah. „Joko ohne Scheiß!“, langsam verzweifelte Klaas. Wenn Joko nicht bald nachgab, dann würde er sich nicht mehr zurückhalten können. Er hatte das Gefühl gleich ohnmächtig zu werden. Er versuchte ihn weiter standhaft anzublicken, aber spürte, wie seine Fassade langsam, aber sicher bröckelte. Für eine gefühlte Ewigkeit sahen sie sich beide tief in die Augen. Klaas hoffte, Joko würde endlich aufhören. Dann wurde sein Blick plötzlich weicher. „Wenn du mich so ansiehst, kann ich nur dran denken, wie gern ich dich Küssen würde.“, etwas in Joko’s Stimme hatte sich verändert. Sie war immer noch dunkel, aber nicht mehr dominant, sondern sanft, fast liebevoll. Klaas war unfähig sich zu bewegen. Er atmete schwer und sein Blick flatterte zwischen Joko‘s Augen und seinen Lippen hin und her. Fuck, wieso zog der Blonde ihn so magisch an? Er biss sich auf die Unterlippe. Joko‘s Blick wurde nur noch weicher und es fehlte nicht viel und Klaas würde alles vergessen. „Joko. Wirklich jetzt. Alabama!“, stieß er in letzter Sekunde hervor und mit einmal war die Spannung verpufft. Der blinzelte kurz, als würde er aus einer Trance erwachen, und stieß sich sofort von der Wand ab.
„Ist ja schon gut!“, hob er beschwichtigend die Hände. „Alles gut. Sorry, alter.“, er wirkte etwas zerknirscht. „Ich bin wohl wirklich sehr nervös, ich wollte mich einfach nur ablenken, tut mir leid.“ Klaas schluckte und versuchte seinen Puls zu beruhigen. Er richtete sein Jackett und strich ein paar Mal nervös darüber. Schnell setzte er wieder ein Grinsen auf. „Schon gut, du weißt doch ich kann Nähe nicht so…“, versuchte er sich halbherzig zu erklären, doch in diesem Moment wurden sie einen vorfahrenden Oldtimer unterbrochen. „Oh.“, entfuhr es ihm und Joko drehte sich abrupt um. „Lisa ist da.“, stellte dieser aufgeregt fest und setzte sich augenblicklich in Bewegung. Mit schnellen Schritten war er am Auto und öffnete mit ausladender Geste die Tür. Auch die anderen Gäste hatten sich umgedreht und langsam versammelten sich vor der Eingangstür. Joko’s Vater kam auf Klaas zu und klopfte ihm kurz, aber fest auf die Schulter. „Alles gut?“, fragte er und zog eine Augenbraue in die Höhe. Verwirrt sah Klaas ihn an. „Ja, klar, mir geht’s gut, wieso fragst du?“, log er. Die Augenbraue wanderte noch höher. „Das sah gerade aber ganz anders aus.“, stellte er nüchtern fest und wandte seinen Blick seiner zukünftigen Schwiegertochter zu, die gerade mit leuchtenden Augen aus dem Auto stieg. Sie trug ein kurzes, schlichtes Brautkleid mit dezenter Spitze und sah wirklich umwerfend darin aus. Ohne Klaas wieder anzusehen, ergänzte er: „Ich bin nicht blind Klaas. War ich noch nie.“ Dann ging er lächelnd auf Lisa und Joko zu, um sie zu Umarmen.
Die nächste Stunde erlebte Klaas wie in Trance. Er verpasste so gut wie alles was der Standesbeamte sagte. Er bemerkte, wie Lisa’s Eltern schluchzten und auch Joko sah sehr gerührt aus. Er hörte, wie beide ihre Ehegelübde vortrugen, aber keines der Worte drang zu ihm durch. Ihre Tochter brachte die Ringe. Lisa war sehr emotional und weinte, Joko grinste stolz wie ein Honigkuchenpferd. Aber Klaas konnte an nichts anderes denken als an diesen kurzen Moment vor dem Rathaus. Was war das gewesen? Hatte nur er diese Spannung gespürt? Und was hatte Joko’s Vater gemeint? War da doch mehr zwischen ihnen, als Klaas angenommen hatte?
Er kam erst wieder zu sich, als der Standesbeamte in den Raum fragte: „Wenn jemand der Anwesenden etwas gegen diese Verbindung einzuwenden hat, möge er jetzt sprechen oder auf ewig schweigen.“ „Ja!“, schrie es in Klaas, „Ich! Ich liebe den Bräutigam und es könnte sein, dass er mich auch liebt!“ Aber nichts von all dem kam über seine Lippen. Er schwieg, lächelte und schüttelte wie selbstverständlich den Kopf. So kam es also, dass er wenige Sekunden später neben Joko stand und seine Unterschrift als Trauzeuge auf die Heiratsurkunde setzte. Joko blickte ihn dankend an und Klaas wurde wieder warm ums Herz. Lisa strahlte ihn ebenfalls an, ihre Augen funkelten vor Glück. Er fragte sich, wie viel Schmerz und Liebe ein Mensch gleichzeitig empfinden konnte, ohne zu platzen. Klaas lächelte ihnen ehrlich zu, klopfte Joko im Vorbeigehen auf die Schulter und setzte sich wieder. Hoffentlich war das hier bald vorbei. „Na dann“, fuhr der Standesbeamte beschwingt fort und klappte seinen Hefter zu, „Dürfen Sie beide sich nun Küssen!“ Joko strahlte seine Frau an, zog sie sogleich an der Taille zu sich und als seine Lippen auf ihren landeten, klatschten die wenigen Anwesenden freudig in die Hände und sprangen begeistert von ihren Plätzen auf. Klaas tat es ihnen gleich, wenn auch etwas verzögert, und hoffte, dass niemand bemerkte, wie sein Herz brach.