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Immer noch dieselben

von Boleyn
Kurzbeschreibung
GeschichteDrama, Liebesgeschichte / P18 / MaleSlash
20.11.2022
21.03.2023
7
28.636
4
Alle Kapitel
2 Reviews
Dieses Kapitel
1 Review
 
 
20.11.2022 4.886
 
Hallo meine Lieben,

Willkommen bei meiner Geschichte über ein paar junge Männer, die versuchen in ihrem mehr oder weniger chaotischem Leben zurecht zu kommen.

Es geht um alte Freunde, die wieder zusammenfinden und dann vielleicht alles noch mehr durcheinander bringen. Vieles hat sich verändert, das meiste jedoch nicht. Dabei spielt die Liebe, Eifersucht, Ehrgeiz, Trauer, Unentschlossenheit, Wut, Schmerz und vieles mehr eine Rolle. Aber vor allem soll es Spaß machen :)

Ich will gar nicht mehr sagen, schaut einfach rein und wenn es euch gefällt, lasst es mich wissen.

Viel Spaß mit den Jungs :)

Titel: Immer noch dieselben
Disclaimer: Alle Inhalte dieser Geschichte sind frei erfunden und niemals passiert. Die darin handelnden Personen gehören alleine mir
Rating: P- 18 Slash
Pairing: Pairing: Jede Menge
Genre: Humor, Romanze, Drama
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Kapitel 1 - Du hast dich an die Kette gelegt?!

Dónde empieza y dónde acabará
El destino que nos une
Y que nos separará

Marta, Sebas, Guille y los demás - Amaral

(Wo es beginnt und wo es enden wird
Das Schicksal, welches uns verbindet
Und welches es uns trennen wird)



„Na toll. Da kommt man her voller Vorfreude und Erwartung und fällt gleich aufs Maul. Ich hatte so gehofft, dass ihn mittlerweile einer vor einen Zug gestoßen hätte. Selbst die kleinen Freuden im Leben sind einem nicht gegönnt.“

Auf diese nicht sehr überraschende Aussage reagierte Valentín wie üblich – ein kleines Grinsen und danach rollte er die Augen. Beides war irgendwo zwischen liebevoll und genervt angesiedelt. „Vielleicht solltest du die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass er nicht bei allen dieselben Gewaltfantasien auslöst.“

Neben ihm knurrte Matias als er sich auf einen der freien Plätze fallen ließ, den Blick immer noch stur nach vorne gerichtet. Valentín amüsierte sich immer gerne über Matias‘ Fähigkeit seine Augen in Dolche zu verwandeln solange sie nicht auf ihn gerichtet waren. „Wir alle haben den Schinder gehasst. Entweder du stimmst mir zu oder ich erkenne deine Meinung nicht an, weil du sein Liebling warst.“

Ein wenig empört blies Valentín die Wangen auf ehe er neben Matias Platz nahm. „Liebling? Dein Gedächtnis lässt ja schon ziemlich nach. Ich musste nur weniger Strafrunden laufen, weil ich weiß, wann ich still sein muss.“

Matias blies glatt die Wangen auf. „Kann nicht jeder so ein Feigling sein wie du.“

„Du meinst gut erzogen.“ Valentín zwinkerte ihm zu und Matias konnte sich ja doch nicht helfen und deutete ein kleines Lächeln an. „Ich hoffe der alte Sack fährt eine gehörige Niederlage ein.“

Wiedermal typisch. Der ehemaligen Mannschaft in den Rücken fallen, weil man ein Problem mit einer einzigen Person hatte. „Oder hättest du es einfach gerne, dass niemand mehr heutzutage an deine genialen Leistungen rankommt.“

Natürlich schenkte ihm Matias jetzt diesen ‚Oh, du armer ahnungsloser Junge‘ Blick. Für seine Verhältnisse sogar nicht so herablassend. „Ach bitte, als hätte einer vor denen auch nur eine Chance mir das Wasser zu reichen.“

„Bitte, großer Meister, erzähl mir mehr darüber wie großartig du bist. Alles noch nie gehört.“ Um den Sarkasmus zu verdeutlichen, als wäre das notwendig, wandte Valentín die Augen von ihm ab und ließ sie stattdessen durch die Halle schweifen. Nostalgie konnte sich nicht so richtig einstellen, da nach einem großen Umbau vor einem Jahr nichts mehr an die Zeit erinnerte zu welcher Valentín selbst auf dem Feld gestanden war. Abgesehen von ihrem alten Trainer. Der selbst hatte sich nicht groß verändert, ein wenig mehr grau in den Haaren.

Eigenartig war es nur die neue Volleyballmannschaft zu sehen. Wahrscheinlich war Valentín nur acht Jahre älter wie der Jüngste unter ihnen, aber es führte einem trotzdem vor Augen, dass man nicht mehr dazu gehörte. Es fühlte sich fast an als wäre Valentín Teil einer anderen Generation. Übertrieben, na klar und dennoch konnte er sich nicht gegen einen plötzlichen Anflug von Melancholie erwehren. Gut möglich, dass er deswegen in den letzten drei Jahren zu keinem Spiel gekommen. Das war wirklich der schnellste Weg um sich alt zu fühlen.

„Kennst du irgendeinen von denen?“ Valentín wandte sich an Matias, der auf seinem Handy herumtippte. Leicht desinteressiert sah er auf und Valentín nickte mit dem Kopf in Richtung des Volleyballfelds.

„Nein. Wieso sollte ich? Da liegt zu viel Zeit dazwischen.“

„Danke. Genau das wollte ich nicht hören.“

Mehr brauchte es nicht um ein Grinsen auf Matias‘ ewig schönes Gesicht zu zaubern. „Oh, fühlst du dich alt? Oder war die Studentenzeit das absolute Highlight in deinem Leben und seither geht’s nur noch bergab? Ich wollte dich ja nicht drauf ansprechen, aber wenn du es schon selber weißt…“

Valentín boxte ihn halb ernst gegen die Schulter und verzog das Gesicht. „Nicht alt, aber… Keine Ahnung. Fehlt es dir nicht manchmal bis 12 Uhr mittags zu schlafen, weil du schlimmstenfalls eine unwichtige Vorlesung versäumst. Oder einfach mal durchzumachen. Mir nämlich schon.“

Unberührt schüttelte Matias den Kopf. „Nein, dafür reichen mir die Wochenenden völlig .Außerdem konnte das Studium nicht schnell genug vorbeisein. Raus aus der abgefuckten WG. Der tropfende Wasserhahn fehlt mir keine Sekunde. Ich verstehe gar nicht wie ich ohne Handtuchwärmer leben konnte.“

„Ich frage mich wie ich mit dir leben konnte. Du hast schließlich keine Sekunde ausgelassen dich über die Wohnung zu beschweren.“

„War ja auch ein Drecksloch.“

Sicher, wenn man Ansprüche hatte wie Gott in Frankreich, dann war natürlich alles außer Schloss Versailles ein Drecksloch. Das war eine Diskussion, die sie sicher alle paar Wochen hatten, aber es halt irgendwie Valentíns Lebensaufgabe Matias immer zu sagen, wann er falschlag. Also oft. „Für unser damaliges Budget war die Wohnung der Hammer. Du bist einfach nur ein Snob.“

Darauf zuckte Matias unberührt mit den Achseln. „Ich hab halt Geschmack und mag schöne Dinge.“

„Teure Dinge.“

„Schöne Dinge sind meistens teuer. Siehe meine Klamotten. Siehe das Gegenteil. Deine Klamotten.“

„Halt die Klappe, es geht gleich los.“

Lieber sich auf das Spiel konzentrieren als auf Matias Macken. Sonst müsste sich Valentín nur über sich selbst wundern. Immerhin war von all seinen Studienfreunden und Mitbewohnern Matias übrig geblieben mit dem er jetzt noch regen Kontakt hatte. Matias war sein bester Freund, was wiederum bewies, dass Valentín zu wenig vor die Tür ging. Nein, nicht mal in Gedanken konnte er sich das vormache. Er liebte den Idioten halt.

Auf dem Feld machten ihre Nachfolger, oder die Nachfolger ihrer Nachfolger, eine gute Figur. Richtig gut. Wenn Matias sich nach vorne beugte und nicht gelangweilt die Arme vor der Brust verschränkte, bedeutete das etwas. Sie legten sich richtig rein, knallten den Ball in die andere Hälfte und warfen sich zu Boden um auch die schwierigste Angabe zu erwischen. Da war es völlig unmöglich nicht ein kleines bisschen Sehnsucht nach früher zu verspüren. Regelmäßige Schürfwunden vom unnachgiebigen Holzboden, das Herzrasen wenn man den Ball gerade noch so erwischte und dann die Euphorie. Oder eben nach dem Spiel noch eine Stunde von Matias angeschrien werden, weil man ihm und nur ihm den Sieg versaut hatte. Mieser Verlierer.

Valentín lehnte sich zu seinem Freund ohne die Augen vom Platz abzuwenden. „Wir sollten wieder mal spielen. Mich juckt’s in den Fingern.“

Matias schnaufte amüsiert und zuckte mit den Achseln. „Ich spiele jedes zweite Wochenende mit ein paar Jungs, aber du hast ja nie Zeit.“

Das stimmte in der Tat, aber bis jetzt hatte die Lust Valentín auch nicht so gepackt. Gut möglich, dass Nostalgie da fest mitmischte, aber der Grund war letzten Endes auch nicht sonderlich wichtig. Auf einmal war ihm danach sich bei einem Match richtig zu verausgaben.
„Sag mir nächstes Mal Bescheid und ich bin dabei.“

Daumen hoch war die Antwort, aber Matias‘ Gesicht nach zu schließen glaubte er, dass Valentín seine Meinung eh wieder ändern würde. Ein wenig zerknirscht musste Valentín sich eingestehen, dass diese Vermutung nicht von irgendwo kam. Auch zu ihrem kleinen Ausflug heute hatte Matias ihn förmlich zwingen müssen. Das wollte man bei Matias nicht herausfordern, er war sich nicht zu schade, Valentín an den Haaren aus dem Haus zu ziehen. Wenn Valentín sich das Spiel aber so ansah, war er dankbar.

Absolut zurecht zumal das Spiel unglaublich spannend wurde. Das war zwar nicht sonderlich angenehm für ihre Nachfolger, aber für den Zuschauer ein wahrer Genuss. Wie es sein sollte ging die richtige Mannschaft zum Schluss als Sieger hervor und Valentín fühle sich aufgekratzt. Ein wenig als hätte er selbst gespielt. Mit den anderen Zuschauern gemeinsam verließen sie ihre Plätze und machten sich im Strom der Menschen auf den Weg aus der Halle. Dabei legte Valentín den Arm um Matias‘ Schultern. „War ne gute Idee herzukommen.“

„Ich weiß. Ich hab nur gute Ideen.“

Es war diese wundervolle Eigenschaft der Bescheidenheit, die Valentín immer wieder in Erinnerung rief wie sympathisch sein bester Freund war. „Stimmt. Genauso wie damals als du der Meinung warst, dieses Baugerüst wäre super stabil und man könnte ganz sicher…“

Natürlich musste ihn Matias unterbrechen, damit er diese Geschichte nicht wieder aufrollen konnte. Wie schade. „Schau! Da drüben! Das ist Rafael!“

Das musste man Matias lassen, er verstand es vorzüglich von sich abzulenken. Aufgrund seiner plötzlichen Aufregung war Valentín einen Augenblick überrumpelt und hatte gar keine Ahnung was gerade passierte. Dafür war das hier ein viel zu seltener Anblick. Ein in Aufregungen versetzter Matias, der sonst nur von einer sehr kurzen Liste von Dingen dazu bewegt wurde sich zu begeistern. Diese Dinge hatten dann entweder mit Sport oder der Arbeit zu tun. Jetzt waren seine Augen jedoch weit aufgerissen, auf etwas oder jemanden fixiert und Valentín konnte den freudigen Ausdruck in ihnen seinen hübschen Augen sehen. Selbst für den besten Freund war das so ungewohnt, dass Valentín erst beim zweiten Mal begriff um was es ging. Oder um wen.

„Rafa! Hey! Hier drüben!“ Matias riss den Arm hoch und winkte, verzog dann gleich wieder das Gesicht. „Nicht du! Rafa! Rafael!“

Valentín würde ja den Kopf einziehen, wenn er es nach all den Jahren nicht gewohnt wäre, dass Matias keinerlei Schwierigkeiten damit hatte Aufmerksamkeit zu erregen. Sicher, er war selbst nicht schüchtern, aber Matias hatte eine vor Selbstbewusstsein so geschwelte Brust, dass seine T-Shirt in der ständigen Gefahr lebten irgendwann zu reißen.

Jetzt hatte Valentíns Verstand auch endlich den Rückstand aufgeholt und stellte endlich die Verbindung. Rafaels Name wurde registriert und eine Welle echter Freude fuhr durch Valentíns Körper. Intensiver als erwartet. „Wo?“

Matias nickte mit dem Kopf nach vorne, in die Menge der Leute, die sich um den Ausgang staute. „Da vorne! Offensichtlich ist er schwerhörig geworden. Rafael! Jetzt dreht dich mal um, verdammt noch mal! Na endlich!“

Gut, jetzt hätte sich Valentín vielleicht ein kleinwenig geschämt, wenn er ihn gerade nicht selbst entdeckt hätte. So schwer war er schließlich auch nicht zu finden. Sofort schlich sich ein Lächeln auf Valentíns Lippen als er diesen schlampig gefärbten Haarschopf sah. Immer noch diese blonden Spitzen, die schon seit den 90ern nicht mehr in Mode gewesen waren und der schwarze Ansatz. Verdammt, wie lange war das denn her? Anscheinend war heute der perfekte Tag um in der Vergangenheit zu schwelgen.

Wie eh und je ein Mann der Tat schnappte sich Matias Valentíns Handgelenk und zog ihn nicht sonderlich zimperlich hinter sich her. Moses hätte die Menschenmassen nicht besser vor sich teilen können. Matias marschierte schnurstracks gerade aus und Valentín ließ sich mitziehen als wäre ein kleines Kind und nicht Ende zwanzig. Ganz hinteres Ende zwanzig.

Dann wurde er ganz plötzlich losgelassen, weil Matias dem Mann mit der missratenen Haarfarbe um den Hals fiel. Was Umarmungen betraf, war das die Sorte, die man sich wünschte. Eng, freudig, begleitet von lautem Lachen. Zwei Männer, die glücklich waren sich wiederzusehen. „Rafa! Hast du immer noch diese Scheißfrisur!“

Das ruhige und vertraute Lachen drang an Valentíns Ohren. Man musste Matias‘ Charme schon lange kennen und ihn als Menschen gut leiden können, wenn man so reagierte. „Du hast mir auch gefehlt, Arschloch.“ Rafael lächelte vergnügt aber dezent und löste sich leicht von Matias, der sofort mit einer Beschwerde loslegen musste. Natürlich, man durfte sich ja nicht länger als fünf Minuten freuen. Am Ende gab das Falten. Valentín war übrigens schon im Sumpf der Vergessenheit verloren gegangen.

„Selber Arschloch.“ Schon waren die Arme vor der Brust verschränkt und Matias hob seine tadelnde Augenbraue. Das hatte Valentín schon wesentlich schlimmer erlebt, aber es kam nicht überraschend, dass Matias Rafael nicht besonders viel Verachtung in die Mimik legte.

„Hast du meine Telefonnummer verloren oder wie?“

„Tío, du kannst du mir später erklären, wieso immer nur die anderen in der Bringschuld sind und du nichts tun musst. Jetzt lass mich mal Hallo zu Val sagen.“ Ohne eine Reaktion von Matias abzuwarten drehte sich Rafael zu Valentín und seine Mundwinkel zeichneten ein weicheres Lächeln als vorhin. „Hallo Val.“

Im Gegensatz zu Matias umarmte Valentín ihn nicht ganz so überschwänglich, aber es fehlte dabei nicht an Herzlichkeit. Es entlockte ihm ein Schmunzeln als Rafael ihm einen winzigen Kuss auf die Wange drückte. „Hallo Rafael. Schön dich zu sehen. Schön zu sehen, dass du dich nicht verändert hast.“ Um die Worte zu unterstreichen zupfte Valentín an einer der blonden Haarsträhnen.

Rafael drückte seine Hand sogleich weg und zuckte lächelnd mit den Achseln. „Kann man von dir ja nicht sagen.“

Instinktiv strich sich Valentín mit der Hand über seine kurz geschorenen Haare sein einziger Gedanke war, dass es doch gar nicht so lange her sein konnte. Immerhin hatte er diese Frisur jetzt schon seit drei Jahren.

„Ja, er hat sich endlich gemustert.“ Matias und seine hilfreichen Kommentare, immer eine Freude. Valentín verzog gleich mal das Gesicht und Rafael zeigte sich ungerührt. Unverändert.

„Ich mochte deine Haare immer. Die kurzen sind aber auch okay. Lässt dich ein wenig älter wirken.“

Valentín winkte schnell ab. „Das liegt daran, dass ich älter bin. Wann haben wir uns das letzte Mal gesehen? Vier Jahre?“

„Ich glaub das kommt hin. Schon eine Schande.“

„Allerdings. Wenn du Val schneiden willst, fein, aber dass es bei uns ein gutes Jahr her ist… Wiedergutmachung ist angebracht.“ Matias reckte leicht das Kinn und Rafael nahm seine Arroganz wie eh und je gelassen hin. „Mhm und weil ich dir so gefehlt hab, konntest du auch nicht anrufen? Wiedergutmachung kannst du vergessen. Ich lade jetzt Val allerdings auf was zu trinken ein und du könntest dich ja dazu herablassen mitzukommen.“

Wie schnell man sich wieder in alte Muster einfügen konnte. Es hatte Valentín gefehlt wie Rafael Matias so gelassen den Schneid abkaufte und sich niemals von ihm hetzen, reizen oder sonst irgendwie aus der Ruhe bringen ließ. Umgekehrt hatte das Matias auch nie gestört und Valentín konnte sich an keinen einzigen Streit zwischen den beiden erinnern. Nicht mal ein bösartiges Wort. Zu Uni-Zeiten hatten sie sich auch immer näher gestanden als Valentín und Matias. Wenn er darüber nachdachte, machte Valentín Rafaels ruhiges Gemüt dafür verantwortlich. Er vermochte es Matias runterzuholen und sich nicht auf eventuelle Spielchen einzulassen. Das wusste der andere wohl auch zu schätzen. Bei der Aussicht auf ein paar gemeinsame Drinks leuchteten Matias‘ Augen auf jeden Fall auf. „Na dann, ab mit uns.“

Valentín konnte auch gar nicht schnell genug zustimmen. Sie drei, die Volleyballhalle, das fühlte sich schon wieder wie früher an und davon wollte Valentín ganz sicher mehr. Jede Sekunde in Rafaels Nähe machte es ein wenig unverständlicher warum sie sich aus den Augen verloren hatten. Bereits jetzt nahm er sich vor sich wieder bei Rafael zu melden. Innerhalb einer oder zwei Woche. Nicht Jahre. Es war erschreckend wie schnell die Zeit verging, obwohl man so oft in der Arbeit oder einem langweiligem Meeting saß und die Zeiger der Uhr ewig stillstanden. Gleichzeitig rannten die Jahre dahin.

Als sie schließlich in einer gemütlichen Kneipe, nur drei Straßen weiter, saßen und Valentín Rafael nochmal genau betrachtete, beschloss er, dass sich nicht alles änderte. Würde er sein altes Handy hervorholen und eins der Photos von Rafael hochhalten, wären nicht viele Unterschiede zu finden sein. Höchstens zwei, drei Falten um die Augen, welche man aber wirklich nur mit absoluter Konzentration finden konnte.

Diese Fältchen kamen auf jeden Fall vom Lächeln. Das tat Rafael gerade auch wieder, während er die Hand hob, um der Kellnerin zu deuten. „Ich bin gerade in großzügiger Stimmung, also kannst du auch ein stilles Wasser haben, cabrón.“

Matias machte dem Spitznamen gleich mal alle Ehre und Valentín zuckte förmlich zusammen als Ersterer die Stimme erhob. „Du elender Drecksack!“

Auch Rafael schien jetzt ehrlich erschrocken, die Augen weiteten sich. Selbst wenn man an Matias ruppigen Umgangston gewöhnt war, in diese Worte hatte er gerade sehr viel Elan gelegt. Noch eigenartiger – Rafael war immer hoch im Kurs bei ihm gestanden. Höher als 98 Prozent seiner Mitmenschen. Würde er sich nicht gleich entschuldigen, müsste sich Valentín der Pflicht fühlen Matias einen Kopf kürzer zu machen. Was fiel ihm eigentlich ein so…
Valentíns Gedankengang wurde unterbrochen und seine aufkeimende Wut durch überwältigenden Schock ersetzt. Matias, chronisch darauf bedacht keine Rücksicht auf Grenzen zu nehmen, packte mal eben Rafaels Handgelenk. „Was bitteschön ist das? Ist das dein Ernst? Du hast dich an die Kette gelegt?! Und wieso erfahre ich nichts davon!?“

So viel zu Valentíns Theorie, dass sich nicht änderte. Spontan konnte er sich gar entsinnen, ob es denn größere Veränderung als den Ehering an Rafaels Finger geben konnte. Schon verrückt, da dachte man Ewigkeiten nicht an eine Person und fiel dann aus allen Wolken, wenn derjenige geheiratet hatte. Wenigstens konnte sich Valentín auf die Schulter klopfen, weil ihm nur der Mund offenstand. Er feuerte kein Feuerwerk an Vorwürfen ab. „Nicht Rui, oder?“

Mit einem sehr passiven Gesichtsausdruck, der Valentín ein wenig beunruhigte, wand Rafael seine Hand aus Matias‘ Griff. „Doch, Rui.“

Auch das, absolut unerwartet, aber Valentín hatte die Neuigkeit schnell verdaut, während Matias fast mit den Armen fuchtelte, um seine Entrüstung zu zeigen. Welche Valentín nicht so ganz einleuchtete. Immerhin waren Rafael und Rui schon im letzten Uni-Jahr zusammen gewesen. So in etwa halt. Eine oberflächliche Affäre, die wirklich jeden überrascht hatte, weil sie auf den ersten Blick so gar nicht zusammenpassten. Als ehemalige Affäre durfte Valentín das sagen. Sicher hatte er mitbekommen, dass die Geschichte ernster geworden war, aber so ernst? Der Gedanke beschämte ihn ein wenig, aber Valentín hätte nicht gedacht, dass die beiden noch zusammen waren.

Matias hielt sich mit diesen Überlegungen gar erst auf. „Wann denn um Himmels Willen?!“

„Halt die Klappe, Matias.“ Valentín trat ihm ohne jegliche Kraft unter dem Tisch ins Schienbein. „Du demonstrierst die falsche Reaktion.“ Er schenkte Rafael ein breites Lächeln, stand auf, ging um den Tisch herum und umarmte ihn. Fester als bei der Begrüßung und der andere erwiderte den Zuneigungsbeweis gleichermaßen. „Gratuliere! Ich freu mich für euch.“

„Danke, Val. Ist lieb von dir.“

Sie grinsten sich kurz an bevor sich Valentín Matias zuwandte. „So reagierte man auf solche Neuigkeiten. Leg los. Gratuliere ihm.“

Natürlich war es sinnlos Matias etwas zu befehlen, ganz besonderes wenn er offenbar schlechte Laune hatte. Warum auch immer. Beinahe wie ein schmollendes Kind verschränkte er die Arme vor der Brust. „Und wieso hab ich keine Einladung bekommen, wenn du heiratest?“

Valentín war schon dabei die Augen zu rollen als er bemerkte, dass Rafael in der Tat ein wenig zerknirscht aussah. Soweit dass bei ihm möglich war. „Wahrscheinlich hat er dich nicht eingeladen, weil du wie ein Gefühlskrüppel bist und gerade unmöglich reagiert hast?“
„Halt dich bitte kurz raus, Val. Rafa? Wenn ich schon keine Einladung kriege, was scheiße ist, dann hättest du mir wohl Bescheid sagen können?“

Hatte jemand Valentín eins mit einer Bratpfanne übergezogen oder sah Matias gerade ernsthaft verletzt aus? Wann war denn das das letzte Mal vorgekommen? Wahrscheinlich als die Sache mit Juandi zu Ende ging und das war wirklich ewig her. Nach so vielen Jahren schätzte ihn Valentín immer noch teilweise falsch ein, er war davon ausgegangen, dass Matias das ganze Konzept der Ehe für Idiotie hielt.

Rafael versuchte sich indessen an einem entschuldigenden Lächeln. „Darf ich eine kurze Erklärung über meine persönlichen Lebensentscheidungen geben bevor du mich an den Pranger stellst?“

„Wenn die Erklärung gut ist.“

Zweites Mal Augen rollen für Valentin.

„Okay.“ Rafaels Lächeln veränderte sich. Es wurde regelrecht selig und Valentín schluckte ein Seufzen. „Die Hochzeit war vor drei Wochen und du hast keine Einladung gekriegt, weil niemand eine Einladung gekriegt hat. Nicht mal meine Mutter, wofür sie mich killen wird, wenn sie erfährt, dass wir geheiratet haben. Es war spontan. Wir hatten die Idee und ein paar Stunden später waren wir beim Standesamt. Es weiß niemand und ich trag den Ring erst seit zwei Tagen. Wie ist das als Erklärung?“

Jetzt hatte Matias auch noch die Dreistigkeit nachdenklich zu wirken. Gott sei Dank musste Valetín nicht zu Gewalt greifen, da der andere doch noch zu grinsen anfing. „Ist ne gute Erklärung.“ Als hätte man einen Schalter umgelegt wurde Matias wieder ernst. „Und bist du zufrieden damit? Mit der Kette? Ich meine mit der Ehe, sorry.“

Valentín wurde von einem Gefühl der Zufriedenheit erfüllt als er Rafaels Gesichtsausdruck sah. Das färbte wohl ab. „Ja. Kann nicht klagen.“

„Dann freut es mich für dich. Hauptsache es passt für dich.“ Matias deutete noch mal der Kellnerin, die sich auf aufgrund von gesunder Menschenkenntnis von ihrem Tisch ferngehalten hatte. „Du zahlst heute nichts, ist das klar? Wenn ich schon keinen Junggesellenabschied ausrichten durfte, dann mach ich wenigstens das.“

„Danke, Mota.“

Matias verzog das Gesicht als er den Spitznamen hörte, beschwerte sich aber nicht, sondern sah wirklich zufrieden aus. Bei solchen Ausnahmeereignissen konnte sich Valentín ja auch mal hinreißen lassen. Also lehnte sich Valentín quer über den Tisch und drückte einen Kuss auf Matias‘ Wange, der darauf nochmal das Gesicht verzog und sich nicht anmerken lassen wollte, dass es ihn gar nicht so sehr störte. „Manchmal muss man sich ja gar nicht so sehr für dich schämen.“

„Oh, halt doch den Mund.“

Da Matias sich nie lumpen ließ und nicht geizig war, kamen sie in den Genuss eines Single Malts und sie stießen darauf an, dass Rafael nun unter der Haube war. Für Valentín kam das immer noch einer Parallelwelt gleich. Hatten sie sich noch gestern in der WG betrunken und Gummibärchen aus dem Fenster geworfen und versucht die ewig flackernde Laterne zu treffen? Da waren sie nun, tranken nicht mehr das billige Zeug von der Tankstelle, sondern exquisiten schottischen Whiskey und einer von ihnen hatte einen Ring am Finger. Und es war nicht Valentín.

Schon war die Traurigkeit dabei die Arme um ihn zu legen und Valentín versuchte sich aus ihrem Klammergriff zu winden. Wieder einmal war Matias die Rettung.

„Hast du dir doch wirklich den portugiesischen Disneyprinzen für immer und ewig angelacht… Respekt, Rafa. Er spielt schließlich eineinhalb Ligen über dir. Nein, zwei.“

Eindeutig zu früh gelobt. Valentín stöhnte auf, aber Rafael zeigte nur das Grinsen eines Mannes, der tatsächlich regelmäßig mit einem Typen ins Bett steigen durfte, nachdem sich so ziemlich jeder auf der Straße umdrehte. „Oh ja. Wenn du ihn im Anzug siehst, sind es sogar drei Ligen. Aber ich würde ihn nicht als Disneyprinzen bezeichnen. Disneyprinzen machen im Schlafzimmer nicht solche Sachen wie er.“

Valentín schüttelte entschieden den Kopf. „Zu viel Information, Rafa.“

„Hör nicht auf Val. Immer raus mit den schmutzigen Details.“

„Nah.“ Rafael nahm einen Schluck von seinem Whiskey und zuckte mit den Achseln. „Ich rede nicht über Rui, wenn er nicht da ist. Du weißt doch, dass du von mir keine Details kriegst. Nicht über Rui. Nicht über Val. Die Frage kommt nämlich als nächstes, ich seh’s dir an.“ Dabei zwinkerte Rafael Valentín zu und es nervte ihn gewaltig, dass er darauf sogar etwas rot wurde. Das war nun wirklich sehr lange her.

„Langweiler.“ Matias seufzte übertrieben ehe er dann doch selbst das Thema wechselte.
„Genug von der Hochzeit und euren Jugendsünden. Wie läuft’s bei der Arbeit? Ist der Idiot immer noch in deiner Abteilung, der nichts zustande kriegt?“

Während der nächsten halben Stunde wurde Valentín auf den neusten Stand bezüglich Rafaels Leben gebracht, die meisten Dinge wusste Matias schon und Valentín bereute es gleich noch ein wenig mehr, dass er Rafael seit der Uni nicht mehr gesehen hatte. Hier und jetzt verflog die Zeit wie im Flug, sie scherzten, lachten, plauderten über alte Geschichten und darüber was gerade in ihrem Leben los war. Deswegen war es absolut keine Überraschung, dass Rafael diese Frage stellte. Beiläufig, interessiert, ohne auch nur die leistete Vermutung zu haben, dass er eine Wunde aufriss. Da war die Traurigkeit auch schon wieder. Sie klopfte Valentín auf die Schulter, um ihn zu erinnern. So einfach wirst du mich nicht los.

„Val, wie geht’s Pau?“

Die Muskeln in seinem Oberkörper spannten sich an, wurden unangenehm hart und sein nächster Atemzug dadurch schmerzhaft. Valentín vermied es Rafael direkt anzusehen und studierte deshalb den Rand seines Glases. Auch wenn er die Worte mehr als einmal gesagt hatte, fühlten sie sich immer noch nicht richtig auf seiner Zunge an. Wie ein Fremdkörper, den man loswerden musste. „Pau und ich sind nicht mehr zusammen.“

Es war nicht nötig Rafael anzusehen, um zu wissen, dass ihm gerade die Augen übergingen. Wie jedem anderen, der jemals von ihrer Trennung erfahren hatte. Das Traumpaar schlechthin. Zerbrochen. Aus der Traum.

Trotzdem, Valentín sollte doch schon weiter sein. Rafael ins Gesicht zu sehen war doch wohl das Mindeste. Also tat er es, um festzustellen, dass Rafael einen ungläubigen Blick in Richtung Matias gesandt hatte. Der schüttelte leicht den Kopf. Dann wandte sich Rafael wieder Valentín zu und was er da sah, war einfach nur Schock. „Val, das tut mir leid.“

Darauf konnte Valentín nichts sagen. Er hatte es wirklich schon oft gehört und es sorgte nur dafür, dass er seinen ständigen Gefährten noch weniger abschütteln konnte. Wenn einen anderen bemitleideten, dann musste man doch traurig sein. Oder daran erinnert werden, dass man etwas verdammt Gutes hatte. Etwas, worum einen so viele Leute beneidet hatten.
Rafael sah ihn an und Valentín konnte sehen, dass er Fragen hatte. Sehr viele. Doch er stellte keine einzige. Er überließ Valentín die Entscheidung, ob er darüber reden wollte und das wollte er nicht. Doch Valentín wusste es zu schätzen. „Ja, mir auch…“

Kaum öffnete Rafael den Mund wurde er von Matias unterbrochen. „Nein. Themawechsel. Sofort. Wir reden da jetzt nicht darüber. Wir freuen uns für dich, wir sehen uns endlich mal wieder und uns geht’s gut. Dir auch, Val. Dir geht’s gut. Klar?“

Da war der eindringliche Blick und Valentín kam das Bild in den Kopf wie Matias einfach mal die Traurigkeit schnappte, zu Boden warf und auf sie einschlug. Wenn das halt so einfach ging. Aber Matias hatte es oft genug versucht und das alleine brachte Valentín dazu zu lächeln. „Ja. Alles gut.“

Nicht alles, aber schon viel besser.

Sie schafften es einigermaßen diese Klippe zu umschiffen und die gute Stimmung von vorher kam ohne größeren Dämpfer zurück. Das lag vielleicht auch daran, dass jetzt tunlichst vermieden wurde über Liebe, Sex oder Beziehungen zu reden. Dennoch konnte Valentín diesen Abend nur als fantastisch beschreiben. Das teilte er den beiden auch mit. „Ich find super, dass wir wieder zusammensitzen. Wir müssen das öfters machen.“

„Ausnahmsweise eine gute Idee, Val.“ Matias bestätigte seine Aussage und Valentín streckte ihm die Zunge raus.

Rafael war auch Feuer und Flamme. „Oh ja. Wir sollten uns alle mal zusammensetzen. Wir drei und die anderen Jungs von früher. Wir drei, Pablo, Francisco, das Dreieck…“ Rafael stockte, Valentín konnte förmlich spüren wie Matias sich neben ihm verkrampfte und er selbst hatte plötzlich einen Knoten in der Kehle. Das kurze Gespräch über seine Trennung hatte einen Schatten über ihren Tisch geworfen, die bloße Erwähnung des Gruppennamens ihrer drei Studienfreunde tauchte ihn in tiefe Nacht. Auf Valentíns Seite war da auch ein wenig Scham. Andere Leute hatte es wirklich schlimm erwischt.

„Habt ihr…“ Rafael räusperte sich unsicher. „Habt ihr seither was von Cayetano gehört?“

Matias trommelte nervös mit den Fingern auf der Tischplatte herum. „Ich hab einmal mit ihm telefoniert und schreib unregelmäßig mit ihm. Ich hab gesagt das Übliche gesagt. Ich bin für ihn da, er kann sich jederzeit melden, aber ich will mich nicht aufdrängen. Er meldet sich nicht von allein. Ich… bin richtig schlecht in sowas. Ich hab keine Ahnung was ich sagen soll.“

Das ging Valentín nicht anders. „Wir waren einmal kurz Kaffee trinken. Es geht ihm den Umständen entsprechend, denk ich. Ich glaube er will noch nicht so richtig unter Leute.“

„Verstehe…“ Rafael nickte langsam.

Schweres Schweigen kehrte ein und keiner wusste so recht wie sie jetzt weitermachen sollten. Aus der Nacht herausfinden. Überraschenderweise war es dann Matias. „Ich werde ihm schreiben, dass wir mal was gemeinsam machen wollen. Dann kann er ja entscheiden, ob er darauf Lust hat. Ob er das kann.“

Ja, das klang nach einer guten Idee. Valentín glaubte, dass Cayetano sich freuen würde. Wenn er denn bereit war.

Es fühlte sich an als wäre der Abend vorbei und es dauerte nur noch wenige Minuten bis sie sich verabschiedeten. Küsse auf die Wangen und Umarmungen. Valentín bekam auch gleich Rafaels neue Telefonnummer. Vor der Bar gingen sie alle in verschiedene Richtungen und Valentín fühlte sich gut. Es wäre schön alle wiederzusehen, Zeit mit alten Freunden zu verbringen.

Er war noch nicht mal zu Hause angekommen als er eine Nachricht aufs Handy bekam. Rafael.

Das mit Pau tut mir wirklich leid. Falls du mal drüber reden willst, jederzeit. Ist wirklich schön dich wiederzusehen

Valentín lächelte und Sekunden später trudelte eine Nachricht von Matias ein. Anderer Wortlaut aber mindestens genauso liebevoll.

Wenn du auf die Idee kommst heute noch Trübsal zu blasen komm ich vorbei trete dir in den Arsch

Nein, das hatte Valentín nicht vor. Dafür war es ein zu guter Tag gewesen.
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