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Getrocknete Feigen und andere Delikatessen

Kurzbeschreibung
GeschichteAllgemein / P12 / Gen
Guy of Gisburne Nasir Robin of Loxley / Robert of Huntingdon Tuck
10.11.2022
10.11.2022
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„Warum ham wir dies Din‘ g’schleppt, Tuck?“, wollte John wissen, sobald die Truhe auf dem Boden stand, die er zusammen mit Will ins Lager getragen hatte, während Much sich noch mit einem Sack Äpfel abplagte.
Die Früchte, die der Jüngste der Gesetzlosen nun etwas atemlos abstellte, waren bereits ein Teil der neuen Ernte, denn zu dieser Zeit des Jahres – der Sommer war schon vor einigen Wochen in den Herbst übergegangen – waren die Menschen überall im Land damit beschäftigt zu ernten, was Mutter Natur ihnen zukommen lassen wollte. Das Sommergetreide befand sich bereits in den Scheunen, aber weiterhin musste gepflückt und gesammelt werden, und danach musste die Ernte auch verarbeitet und gelagert werden.
Obwohl die Menschen landauf und landab darum gebetet hatten, ihnen möge eine üppige Ernte zuteilwerden, damit sie besser durch die unwirtlichen Wintermonate kamen und auch den mageren Frühling überstehen konnten, war ihnen von vornherein klar, dass sie nicht alles für sich selbst behalten konnten. Dies brachte dann Männer wie denjenigen ins Spiel, der an diesem Tag gedacht hatte, er könne ohne Probleme Sherwood durchqueren.
Die Geldsäcke, die Marion und Tuck schleppten, zeigten wie gut das Geschäft des Kaufmanns ausgefallen war, der - von York kommend - geglaubt hatte, er könne die Große Nordstraße nutzen, weil er nur mit einem einzigen Wagen unterwegs war. Er hatte schnell lernen müssen, dass es ein Fehler war, den Rest seiner Ware durch Sherwood zu befördern, denn Robin Hood hatte ihn nur zu gerne um sein Hab und Gut gebracht.
Der Gesetzlose war ein Experte darin geworden zu erkennen, wer von den Reisenden ein lohnendes Ziel darstellte, unabhängig davon, ob er allein oder mit anderen unterwegs war, wie groß sein Wagen war oder auch wie viel er darauf geladen hatte. Für das, was er hier tat, wurde Hernes Sohn von den Dorfbewohnern in Sherwood geliebt, von den Kaufleuten gefürchtet und vom Sheriff – und dessen Soldaten – gejagt. Aber trotz aller Bemühungen erfreute sich der Gesetzlose – mitsamt seiner Bande – immer noch der Freiheit des Waldes.
Das jüngste Opfer von Robin Hood und seinen Leuten hatte dann nicht nur sein Geld verloren, sondern auch besagte Truhe, von der John eben gesprochen hatte. Es war Tucks ausdrücklicher Wunsch, dass sie sie mitnahmen, nachdem er einen Blick hineinwerfen konnte.
„Gleich, gleich“, murmelte der Mönch, aber dann verschwand er erst noch einmal mit Marion im Gebüsch. Währenddessen beschäftigten sich Nasir und Robin mit der zweiten Person, die an diesem Tag das Pech gehabt hatte Hoods Weg zu kreuzen. Aber im Gegensatz zu dem Kaufmann, der sich zu keinem Zeitpunkt in der Gefahr befand sein Leben zu verlieren – obwohl ihn der Verlust seiner Einkünfte, die er als Wegzoll abgeben musste, sicherlich ziemlich schmerzte – traf das auf den Mann, der gerade von den Gesetzlosen an einen Baum gefesselt wurde, nicht zu. Er musste immer befürchten, den Tod zu finden, wenn er – wie an diesem Tag – das Pech hatte, Hood zu begegnen.
Noch während die Gesetzlosen den Flüchen des Kaufmanns lauschten- während dieser seinen Weg nach Nottingham fortsetzte, wo er eigentlich seine verbliebenden Spezialitäten hatte verkaufen wollen - und dabei ein Grinsen nicht unterdrücken konnten – sobald sie an seinen empörten Gesichtsausdruck dachten - wurden sie von Sir Guy of Gisburne überrascht, der daraus aber keinen Vorteil ziehen konnte. Hood und seine Leute machten sich schnell ihre zahlenmäßige Überlegenheit zunutze und die Tatsache, dass ihre Langbögen ausreichend Kraft besaßen auch die Rüstung des Ritters zu durchschlagen. Dies war Gisburne durchaus bewusst. Auch wenn er keine Furcht davor hatte, im Kampf zu sterben, sah er keinen Sinn darin, sein Leben einfach so wegzuwerfen. Was ihn nicht davon abgehalten hatte, sich heftig – aber erfolglos – zur Wehr zu setzen.
Nasir hatte bereits das Feuer entzündet, als Marion und Tuck schließlich zurückkehrten. Auch der Rest der Gesetzlosen war nicht untätig geblieben, sondern hatte all die Dinge auf der Lichtung ausgebreitet, die sie ihrer Meinung nach benötigten, um es sich jetzt gemütlich machen zu können. Natürlich hatten sie Sorge dafür getragen, dass ihr Gefangener so platziert worden war, dass er nicht mitbekommen konnte, wo sie ihre Sachen aufbewahrten. Schließlich war der Ritter nicht dumm, es war nur so, dass er mit den Augen eines Stadtbewohners auf den Wald schaute und aus diesem Grund bisher noch nicht auf die Idee gekommen war, seinen Blick nach oben zu richten.
Als der Mönch und seine Begleiterin zu den anderen zurückkehrten, hatten sie sich des erbeuteten Geldes entledigt. Robin und den anderen war selbstverständlich klar, wo es hingekommen war, aber keiner käme auf die Idee, vor ihrem „Gast“ darüber zu sprechen. Stattdessen versuchten sie, vor ihm alles wie Routine aussehen zu lassen. Schließlich war der Ritter nicht zum ersten Mal gezwungen, einige Zeit bei den Gesetzlosen zu verbringen.
Aber was sich nun gleich abspielen würde, war alles andere als gewöhnlich, was einzig am Inhalt der Truhe lag, die Tuck auf keinen Fall hatte zurücklassen wollen. Seine Freunde hatten ausgiebig über diese Idee gemeckert, denn sie hatten sie tragen müssen, obwohl sie der Meinung waren, die Äpfel müssten – neben dem Geld – doch als Beute reichen.
„Wasn jetz‘?“, drängte John den Mönch noch einmal.
„Ja, Tuck, was hat es mit dieser Truhe auf sich?“, verlangte nun auch Marion zu wissen.
Der Mönch wollte das Geheimnis, welches er in ihr vermutete, allerdings nicht so einfach lüften. Ihm war aber durchaus bewusst, dass nicht alle Köstlichkeiten, die der Kaufmann anbot, auf heimischen Bäumen, Sträuchern und Feldern gewachsen waren. Ihm war bekannt, dass manches von weither gebracht worden war und nun – sorgfältig haltbar gemacht – für viel Geld in England angeboten wurde. Hätte der Kaufmann es geschafft, seine Ware dorthin zu bringen, wo es Personen gab, die es sich leisten konnten diese Delikatessen zu erwerben, hätte er gut daran verdient.
Aus diesem Grund hatte Tuck eine gute Vorstellung davon, welche Köstlichkeiten sie dem Mann abgenommen hatten. Da ihm aber auch klar war, dass sie diese Dinge nicht selbst zu Geld machen konnten, verspürte er kein schlechtes Gewissen bei seinem Entschluss, diese jetzt selbst zu verspeisen. Er hatte aber auch vor, seine Freunde dazu zu überreden, ebenfalls davon zu probieren.
„Ich werde euch jetzt ein paar Köstlichkeiten zeigen“, versprach Tuck den anderen, bevor er sich der Truhe zuwandte.
„Köstlichkeiten?“, wiederholte Will das Wort. „Du meins‘ Ess’n?“
„Nicht einfach nur Essen“, erklärte der Mönch. „Sondern etwas, was du normalerweise hier nicht bekommen kannst, mein Freund.“
„Pah“, meinte John, „ich brauch‘ kein ausländisch’s Ess’n, ich hab‘ all’s hier, was ich brauch.“
Robin und Marion warfen sich einen Blick zu und konnten dabei ein Grinsen nicht unterdrücken, denn sie konnten sich vorstellen, von was der Mönch sprach. Beide hatten schon mindestens einmal in ihrem Leben die Gelegenheit erhalten, fremdländische Delikatessen zu kosten.
In der Zwischenzeit hatte Tuck einen kleinen Sack aus der Truhe geholt und diesen aufgeschnürt. Was er aber dann herausholte, kam seinen Freunden nicht sehr appetitlich vor, denn es sah verschrumpelt aus.
„Wasn das?“, fragte Will dann auch mit einem misstrauischen Unterton.
„Getrocknete Feigen“, kam die Antwort aus einer völlig unerwarteten Richtung, denn es war Gisburne, der die Frage des ehemaligen Söldners beantwortete. Die Augen der Gesetzlosen richteten sich sofort auf ihren Gefangenen, den sie tatsächlich für einen Moment vergessen hatten.
„Feigen?“, wiederholte Robin die unbekannte Bezeichnung. „Ich glaube, mein Vater hat mal davon erzählt, Feigen gegessen zu haben, aber damals befand er sich im Heiligen Land. Von getrocknet war aber nicht die Rede.“ Auch er blickte etwas misstrauisch auf das, was Tuck aus dem Sack geholt hatte.
„Besser zu transportieren“, kam nun aus Nasirs Richtung eine Bemerkung, mit der auch keiner gerechnet hatte.
Tuck konnte sich nicht mehr zurückhalten und steckte sich eine dieser getrockneten Feigen in den Mund. Da sie nur ungefähr so groß war wie die Hälfte seiner Handfläche hatte er wohl kein Problem darin gesehen, nicht von ihr abzubeißen. Aber dann fing er an zu kauen, und hörte überhaupt nicht mehr auf damit. Die anderen behielten ihn dabei genau im Blick und daher entging ihnen nicht, dass es nicht so einfach zu sein schien, diese Feigen herunterzubekommen. Keiner gab aber einen Ton von sich, während der Mönch mit der Delikatesse kämpfte, bis völlig unerwartet ein leises Kichern zu hören war.
Es war erneut Gisburne, der die Gesetzlosen überraschte. Als sie ihren Blick von Tuck zu ihm bewegten, entging ihnen das Grinsen auf seinem Gesicht nicht.
„Was?“, bellte Will und wäre sicherlich aufgesprungen, hätte Robin ihn nicht am Arm festgehalten.
„Die können etwas zäh sein“, ließ der Ritter sich tatsächlich zu einer Antwort herab. „Und sie haben viele Kerne“. Er kicherte erneut. Offenbar amüsierte er sich über Tucks Versuch, der Feige Herr zu werden.
„Woher kennst du diese Feigen, Gisburne?“, wollte Robin Hood wissen, auch wenn er eigentlich nicht davon ausging, dass der andere sich dazu äußern würde.
In dieser Hinsicht sollte der Anführer der Gesetzlosen sich aber irren. „Normandie“, war die knappe Antwort, die dann aber noch etwas erweitert wurde. „Wir hatten mal das Glück so etwas zu erbeuten. Und es war so viel davon da, dass jeder mal probieren durfte. War nicht jedermanns Geschmack.“
„Ah“, gab Tuck nun von sich und seine Freunde gingen davon aus, dass er der Feige zumindest soweit Herr geworden war, um wieder sprechen zu können. „Ungewohnt, aber nicht schlecht. Ich würde gerne wissen, wie sie frisch schmecken.“
„Köstlich“, kam es nun von Nasir. „Und nicht so schwer zu kauen.“
„Is‘ das was aus dein’r Heimat, Nas?“, traute Much sich nun ebenfalls eine Frage zu stellen.
„Sie wachsen auch in Aquitanien“, gab der Sarazene zur Antwort.
„Wer möchte?“, wollte Tuck nun von den anderen wissen.
„Später“, meinte Marion etwas ausweichend. „Was ist denn sonst noch in der Truhe, Tuck?“
Bevor der Mönch auf ihre Frage reagieren konnte, wandte Robin sich allerdings an ihren „Gast“. „Was ist mit dir, Gisburne? Eine getrocknete Feige?“
Der Ritter starrte ihn verblüfft an, kriegte sich dann aber relativ schnell wieder ein – wenn man bedachte, in welcher Situation er sich befand - und nickte, woraufhin der Gesetzlose ihm eine der Früchte in die Hand drückte und dann beobachtete, wie Gisburne ein Stück davon abbiss, auf dem er dann herumkaute. Auf diese Weise hatte er sehr viel weniger Schwierigkeiten als der Mönch, die Feige zu verspeisen.
Währenddessen hatte Tuck eine kleine, metallene Kiste aus der Truhe geholt, diese auf den Boden gestellt und geöffnet.
„Datteln!“, rief Robin erfreut aus.
„Warum glänz’n de so?“, wollte Will wissen.
„Die sind kandiert“, erklärte der Mönch.
„Kan … was?“
„Mit Zucker überzogen, um sie haltbar zu machen.“ Nasir hatte sich bereits eine der kandierten Datteln genommen.
Diesmal konnte Much sich überwinden und nahm sich ebenfalls eine. Das Wort Zucker hatte wohl den Ausschlag dafür gegeben. Aber nachdem er sie dann in den Mund gesteckt hatte, verzog er doch das Gesicht. „Süß“, brachte er heraus, was ihn allerdings nicht veranlasste, die Dattel wieder auszuspucken.
In der Zwischenzeit hatte sich auch jeder der anderen eine Dattel aus der Kiste genommen. Süß war das ausschlaggebende Wort, denn so etwas bekamen sie normalerweise nicht so oft in die Hände.
„Ja, ich erinnere mich“, bestätigte Robin. „Als Kind habe ich das geliebt, aber es gab sie nur sehr selten. Sie sind teuer.“
Er hatte sich ebenfalls eine der Früchte genommen, aber diese war nicht etwa für sich selbst gedacht, denn er gab sie nun an Gisburne weiter, der ihn erneut verblüfft anstarrte, sich aber nicht weigerte sie anzunehmen.
„Niemand soll uns nachsagen, wir würden nicht mit unseren Gästen teilen.“ Robin lächelte den Ritter an, bevor er sich dann selbst auch eine der Datteln nahm.
Einen Augenblick lang blieb es völlig still auf der kleinen Lichtung, da sich jeder der Süße der Datteln hingab, aber dann war es erneut der Ritter, der die Gesetzlosen überraschte. „Ich kann wohl davon ausgehen, dass sich das Teilen nicht auf das Geld bezieht, oder? Ich könnte etwas davon gut gebrauchen“, gab er von sich, ohne das Gesicht zu verziehen.
Nun war es an den Gesetzlosen, den Ritter verblüfft anzustarren, bis Robin sich nicht mehr zurückhalten konnte und anfing schallend zu lachen. Nachdem er erst einmal damit begonnen hatte, konnte er auch für eine ganze Zeitlang nicht mehr aufhören. Der Rest hatte auch keine Chance, denn sie wurden alle von seinem Lachen angesteckt, Gisburne eingeschlossen.
Schließlich schaffte der Anführer der Gesetzlosen es, sich wieder zu beruhigen. Er wischte sich mit den Fingern die Tränen aus den Augen, schnappte nach Luft und antwortete dann: „Ich setze dich auf die Liste. Sobald du bedürftig genug bist, Gisburne, kannst du etwas davon haben.“
Seine Worte sorgten dafür, dass alle erneut lachen mussten und es dauerte auch wieder, bis sie sich beruhigt hatten.
„Wenn du wüsstest, wie bedürftig ich bin“, murmelte Sir Guy, aber seine Worte gingen im Lachen der anderen unter, worauf er allerdings auch gehofft hatte, denn dies war nichts, wovon die Gesetzlosen etwas mitbekommen durften. Dies wäre einfach zu demütigend.
Die Stimmung um das Feuer herum war inzwischen ziemlich gelöst und alle beobachteten Tuck, der noch einmal in die Truhe griff. Diesmal holte er einen versiegelten Krug heraus. Als er diesen schüttelte, erwartete er das Gluckern einer Flüssigkeit zu hören, aber stattdessen vernahm er ein rasselndes Geräusch, woraufhin er erstaunt die Augen aufriss.
Nun war er sich eindeutig nicht mehr sicher, ob er das Siegel wirklich erbrechen sollte und so saß er mit dem Krug in Händen regungslos da, bis Nasir sich seiner erbarmte und sich des Gefäßes bemächtigte. Dann entfernte er mit geübten Handgriffen den Verschluss und schüttete sich etwas vom Inhalt auf die Hand. Die anderen starrten mit fragendem Blick auf die dunklen Kerne, die nun dort lagen.
„Granatapfelkerne“, gab der Sarazene von sich.
„Kerne?“ Diesmal war es Marion, die erstaunt nachfragte.
„Granatapfel?“, kam gleichzeitig von Robin. „Ich weiß, dass unser Koch manchmal Granatäpfel bei Banketten verwendet hat, um Speisen zu verfeinern, aber was macht man mit den Kernen? Einpflanzen?“
„Die sind auch essbar“, erklärte Nasir. „Und besser haltbar als die Früchte. Geschmackssache.“ Er zuckte mit den Schultern.
„Ich würde mir überlegen, davon zu essen, wenn ich nicht weiß, wo sie gewachsen sind“, mischte sich erneut Gisburne ein, so zwanglos, als wäre er nur ein weiteres Mitglied von Hoods Bande.
Robin konnte sich eines „Wieso das?“ nicht enthalten, während Tuck grinste und Nasir eine Augenbraue hob. Alle anderen waren viel zu verblüfft, um irgendetwas von sich zu geben.
„Was haben dir deine Lehrer beigebracht, Huntingdon?“, erwiderte der Ritter. „Offenbar nichts über die alten Griechen.“
„Alte Griechen?“ Will war so verwirrt, dass er noch nicht einmal Ärger über die Einmischung des Normannen empfand.
„Wer hätte gedacht, dass unser Gast so gelehrt ist“, gab Tuck von sich, während er immer noch vor sich hin kicherte.
Gisburne verzog das Gesicht, als ob er die Bezeichnung „gelehrt“ als Beleidigung empfand, antwortete überraschender Weise aber dann doch. „Ich habe nur gerne die alten Geschichten gehört.“
„Alte Geschichten?“ Offenbar wusste Robin immer noch nicht, worum es hier ging.
„Die alten Götter in Griechenland“, erläuterte Nasir. „Die Göttin der Pflanzen wurde vom Gott der Unterwelt verschleppt, um seine Frau zu werden. Sie hätte zurückkehren können, wenn sie in der Totenwelt nichts gegessen hätte. Aber sie hatte Hunger und aß den dritten Teil eines Granatapfels und vier seiner Kerne. Deshalb musste sie danach für vier Monate im Jahr unter der Erde bleiben.“
Tuck hatte wissend genickt, während er Nasirs Erklärung lauschte. „So haben die alten Griechen wohl versucht, sich zu erklären, wieso im Winter nichts wächst“, führte er dann aus.
„Davon hab ich noch nie was gehört“, musste Robin zugeben. „Aber ich habe nie gut aufgepasst, wenn Geschichten erzählt wurden. Ich wollte nach draußen in den Wald oder zum Bogenschießen“, bekannte er dann.
„Der Earl of Gloucester hat eine riesige Bibliothek und manchmal hat einer der Männer, die für die Bücher zuständig waren, sich der Pagen erbarmt und uns daraus vorgelesen. Einer von ihnen mochte die alten Sagen und ich …“ Plötzlich brach Gisburne ab, als wäre er sich gerade erst bewusst geworden, dass er laut gesprochen hatte.
Robin schüttelte noch einmal den Kopf, aber der Blick, den er seinem Halbbruder nun zuwarf, zeigte so etwas wie Verwunderung, denn so etwas hatte er bei dem Ritter nicht vermutet. Sir Guy hatte nie den Eindruck erweckt, er habe gerne alten Geschichten zugehört.
„Gibt es in der Truhe vielleicht auch so etwas Normales wie einen Apfel“, brachte der Ritter auf einmal in dem von ihm üblicherweise benutzten arroganten Tonfall hervor, vielleicht um die Stille nach seinen eigenen Worten zu durchbrechen.
„In der Truhe nicht.“ Es war Marion, die darauf antwortete, aber gleichzeitig in den Sack griff, den Much geschleppt hatte. „Aber hier drin.“ Sie reichte einen Apfel an den Gefangenen weiter, während sie sich gleichzeitig daran erinnerte, dass der Ritter auch früher schon dieses Obst allem anderen vorgezogen hatte. Die de Rainault Brüder hatten gerne Witze darüber gerissen.
„Erinnert dich das an deine Heimat, Nas?“, wollte Robin auf einmal wissen, als er seinen Freund dabei erwischte, wie dieser mit einem sehnsuchtsvollen Blick auf die Truhe starrte.
Der andere zuckte aber nur mit den Schultern.
„Es gibt bestimmt noch viele Dinge, die bei uns hier fast unbekannt sind, aber bei dir zum Alltäglichen gehören“, fuhr Hernes Sohn fort.
„Stimmt“, antwortete Nasir. „Aber auch bei uns gab es Exotisches. Dinge, die den Weg bis zu euch niemals geschafft haben.“
„Erzähl uns mehr!“, forderte Much den Älteren auf.
Nasir lächelte. „Das wäre zu viel.“
„Dann nur von ein‘m“, bat der junge Mann ihn.
Nasir lächelte Much nachsichtig an und kam dann seiner Bitte nach. „Da war eine Frucht. Sie heißt Mauz, aber manchmal auch Paradiesfeige. Sie war aus dem Süden, kam aus einem Land jenseits von Ägypten. Sie ist bei uns so selten, wie frische Feigen und Datteln es hier sind. Länglich vom Aussehen, grün und ähnlich wie die Feige mit vielen Kernen. Und weil sie so teuer ist, gilt sie natürlich als Delikatesse.“
„So wie Feigen und Datteln bei uns“, ergänzte Marion.
„Oder Granatäpfel“, meinte Robin.
Nasir nickte, genauso wie Tuck.
„De Rainault hätte dem Kaufmann den Inhalt dieser Truhe sicherlich abgenommen“, ließ Gisburne sich auf einmal vernehmen. „Aber er hätte ihm nie das Geld bezahlt, was dieser dafür hätte haben wollen. Der Sheriff hat da so seine Mittel und Wege, um günstig an solche Dinge zu kommen. Aber dann muss er sie vor seinem Bruder verstecken oder Hugo nimmt sie mit nach St. Mary’s.“
Nicht zum ersten Mal an diesem Tag blickten alle Gesetzlosen voller Verblüffung auf den Stellvertreter des Sheriffs und in diesem Moment stellte Robin Hood sich die Frage, ob es mit ihm noch mehr Überraschungen geben würde.
Dann jedoch schob er diesen Gedanken schnell wieder zur Seite, denn er wollte sich jetzt nicht mit so etwas beschäftigen, weil er sich schon lange nicht mehr so gut gefühlt hatte. Und das Seltsame war, dass sein Bruder daran nicht ganz unschuldig war. Robin konnte das Grinsen, das sich deswegen auf sein Gesicht schleichen wollte, gerade noch unterdrücken, aber er wollte seinen Freunden gegenüber nicht erklären müssen, worüber er nachgedacht hatte. Trotzdem musste er sich selbst gegenüber zugeben, dass der Ritter ihnen heute eine Seite von sich gezeigt hatte, die er niemals an ihm vermutet hätte. Vielleicht war in Hinsicht auf seinen Bruder doch noch nicht alles verloren. Hernes Sohn wollte die Hoffnung zumindest noch nicht aufgeben.
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