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Survive for your Love

Kurzbeschreibung
GeschichteRomance / P18 / Het
09.10.2022
13.02.2023
29
100.998
14
Alle Kapitel
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16.11.2022 3.378
 
Das nervt. Aber sowas von. Ich kann damit nicht umgehen. Und sollte sich das nicht langsam legen? Das ist doch mittlerweile schon unser drittes Date. Warum dann noch immer diese Nervosität? Sie hat mir eindeutig gezeigt, dass sie ebenso Interesse hat. Und von Louis und der Zukunft, die er mir gezeigt hat, will man gar nicht erst reden. Mehr Rückendeckung kann man doch gar nicht haben. Also, sei nicht so ein Feigling und steig aus dem Wagen!
Nachdem ich das endlich bewältigt habe, bleibe ich auf dem Bürgersteig vor dem Weg, der zu Vivs Haus führt, stehen und sehe mich um. Mir fällt gerade auf, dass ich das Viertel kenne und dass es zu West Perth gehört. Meinte Louis nicht, dass wir in Zukunft in West Perth leben?
Mein Blick geht auf das Haus vor mir. Ist das das Haus, in dem ich irgendwann leben werde? Eigentlich mag ich mein Haus und wüsste nicht, warum ich es aufgeben sollte. Schließlich habe ich es selbst entworfen und … Oh… vielleicht fällt mir doch ein Grund ein, warum ich da nicht mit meiner zukünftigen Frau leben will. Durch das Haus habe ich Jennifer kennengelernt, schließlich hat sie es für mich eingerichtet. Es würde sich seltsam anfühlen in dem Haus eine Familie zu gründen, das den Stil der Ex-Verlobten trägt.
Als mir auffällt, wie regungslos ich hier stehe und auf das Haus starre, zwinge ich mich, mich endlich in Bewegung zu setzen. Mit jedem Schritt zur Haustür steigt meine Nervosität weiter an. Das ist doch lächerlich.
Ich versuche mich nicht zu sehr davon einnehmen zu lassen und zögere auch nicht, sofort zu klingeln, bevor ich wieder zu viel nachdenke.
Nachdem mir geöffnet wird, kommt mir sofort ein Hund entgegen, womit ich mich etwas versteife.
„Keine Angst. Sie macht nichts.“ Vivs Stimme kriege ich nur am Rande mit, weil ich gerade von allen Seiten beschnuppert werde. Keine Ahnung wieso, aber ich gehe doch wirklich in die Knie und halte ein wenig die Hand nach vorne. Denn ich habe mal gelesen, dass man ihnen nicht von oben entgegenkommen soll, da die das wohl als Bedrohung sehen.
Ich spüre die kalte, nasse Nase an meinen Finger und muss tatsächlich lächeln.
„Sie ist hübsch“, kommt es unerwartet aus mir heraus. Aber es stimmt. Sie ist nicht so massig, wie andere Hunde in ihrer Größe, sondern hat eine zierliche, betonte Figur. Zusammen mit den schwarzen Punkten wirkt sie schon fast elegant.
„Sag das bloß nicht zu laut. Das hört sie viel zu oft. Dementsprechend divenhaft ist sie.“ Das lässt mich lachen. Ich streiche ihr vorsichtig übers Fell, was überraschend weich ist, obwohl es so strohig aussieht.
„Blue, nicht?“
„Ja, genau.“
„Hallo, Blue. Ich bin Jared.“ Sie genießt wohl meine Streicheleinheiten, denn sie setzt sich genüsslich vor mich hin, womit ich ihr weiter über den Rücken streichen kann.
„Siehst du! Ich habe doch gesagt, dass sie dich mögen wird.“ Gott sei Dank. Es wäre nicht so cool, wenn ein Hund entscheidet, wie das hier weitergeht.
Jetzt bereue ich es irgendwie etwas geplant zu haben, wo man sie nicht mitnehmen kann. Wenn sie wirklich so abenteuerlustig ist, wie Viv sagt, dann wäre es mal interessant, wie es ist, wenn man sie bei Outdooraktivitäten dabei hat.
„Tut mir leid, Blue. Ich entführe dein Frauchen heute an einen Ort, wo du leider nicht dabei sein kannst. Aber vielleicht lasse ich mir für das nächste Mal etwas einfallen, was auch dir gefallen könnte.“ Ich höre Viv lachen.
„Und sie hat es mal wieder geschafft. Wenn ich mal solch eine Wirkung auf Männer hätte.“ Ich schaue irritiert zu Viv auf. „Du klangst letztens noch alles andere als hundebegeistert und jetzt kommst du nicht von ihr los.“ Ich halte inne, dann räuspere ich mich und komme wieder auf die Beine, was Viv nur noch heftiger lachen lässt. „Keine Angst, ich verrate es niemanden.“ Darauf verdrehe ich unweigerlich die Augen. „Na los, Blue. Ab ins Haus.“ Blue setzt sich auf Vivs Aufforderung tatsächlich sofort in Bewegung.
„Ich habe mich nur etwas hinreißen lassen“, nuschle ich. Oder wollte ich lediglich höflich sein?
„Das lassen sich die meisten.“ Sie greift sich eine Jacke und schließt dann die Haustür hinter sich. „Sie hat diese gewisse Wirkung, der man schwer widerstehen kann.“
„Sagt man nicht, Hunde ähneln ihren Besitzern.“ Sie schaut mich für einen Moment erstaunt an, bevor sich ein verlegenes Lächeln auf ihren Lippen ausbreitet.
„Soll das ein Kompliment sein?“
„So etwas in der Art“, gebe ich grinsend zurück.
„Na dann.“ Damit geht sie an mir vorbei. Ich folge ihr nun mit deutlich weniger Nervosität im Bauch, aber voll von Vorfreude auf den heutigen Nachmittag.

„Warum verrätst du mir nicht, wo wir hinfahren?“ Das fragt sie mich jetzt schon zum zweiten Mal und weiterhin werde ich es ihr nicht verraten.
„Warum kannst du dich nicht einfach überraschen lassen?“
„Ich mag es einfach lieber, zu wissen, was auf mich zukommt.“
„Deswegen ja auch das Dessert als Vorspeise.“ Diese Eigenart amüsiert mich noch immer.
„Ja, genau. Hast du was dagegen?“
„Absolut nicht. Es gefällt mir sogar.“
„Warum? Weil du dich somit über mich lustig machen kannst?“
„Warum glaubst du ständig, dass ich mich über dich lustig machen will?“
„Weil du das früher auch immer gemacht hast.“
„Das stimmt doch gar nicht“, antworte ich schon fast brüskiert.
„Und was war das dann mit den Sprüchen, dass ich immer alles anfassen muss?“ Die Erinnerungen, die mich bei ihren Worten einholen, lassen mich heftig auflachen.
„Machst du das heute immer noch?“ Sie nuschelt irgendetwas Unverständliches in Richtung der Seitenscheibe, was mich sehr stark vermuten lässt, dass dem wirklich so ist. Ich beiße mir auf die Zunge, um nicht wieder loszulachen.
„Um mich zu verteidigen, ich habe mich nicht über dich lustig gemacht, sondern nur stets festgehalten, wann du es wieder getan hast.“
„Du hast immer dabei gelacht.“
„Ja, weil du die unsinnigsten Sachen angefasst hast. Wer streicht denn einem ausgestopften Mammut über den Fuß?“
„Na einen echten kann man ja nicht mehr streicheln.“ Jetzt wird es langsam hart sich weiter auf den Verkehr zu konzentrieren. „Und ich wollte wissen, ob die wirklich so flauschig sind, wie sie aussehen.“
„Am Fuß?“
„Entschuldige mal! Ich war zehn und nicht besonders groß. Viel höher kam ich nun mal nicht.“ Jetzt geht mein Lachen mehr in ein Prusten über.
„Du kannst dich aber schon daran erinnern, dass wir deswegen aus dem Naturkundemuseum geflogen sind?“ Darauf schnaubt sie nur und verschränkt die Arme vor der Brust.
„Wenn die so spießig sind. Als ob ich bei einem drei Meter großen Exponat etwas hätte beschädigen können.“
„Ich glaube, es ging ihnen eher darum, dass du das große und sehr gut lesbare Schild ‚Bitte nicht anfassen‘ wissentlich ignoriert hast.“
„Ich war eben schlecht im Lesen“, kommt es trotzig zurück, was mich nur weiter in meinem Lachanfall hält.
„Nein, du konntest es nur nicht lassen dem Drang zu widerstehen.“ Sie zuckt als Antwort lediglich mit den Schultern, was mich grinsend den Kopf schütteln lässt.
Als ich auf den anvisierten Parkplatz abbiege, fällt mir auf, dass diese Unterhaltung sie gut genug abgelenkt hat, dass es jetzt wie geplant doch noch eine Überraschung wird. Nachdem ich halte und zu ihr herüberblicke, kann ich ihr ansehen, dass sie damit absolut nicht gerechnet hat. Denn sie lässt langsam die Arme sinken und starrt völlig ungläubig auf das Gebäude vor uns. Ich kann jetzt nur noch hoffen, dass dies eine positive Reaktion ist.
„Ich dachte mir … Naja … Da du es früher so mochtest …“ Jetzt kommt offensichtlich meine Nervosität wieder durch.
Sie dreht den Kopf langsam zu mir und ihr Honigkuchenpferd-Grinsen lässt mich innerlich aufatmen. Sie springt schon fast aus den Wagen. Ich folge ihr langsam, aber immer wieder lachend, weil sie mich gerade unheimlich an die dreizehnjährige Viv erinnert.
„Was brauchst du denn so lange?“, ruft sie mir zu, als sie bereits beim Eingang ist. Ich lege somit einen Zahn zu, um sie nicht noch länger warten zu lassen. Mal sehen, was sie dazu sagt, wenn sie sieht, dass sie die Bahn für den Nachmittag ausschließlich für sich hat.

Statt mir meine eigenen Rollschuhe anzuziehen, beobachte ich, wie Viv völlig aufgeregt von der Bank springt und auf die Bahn zusteuert. Es hat sich hier zu früher aber auch wirklich nichts verändert. Sie spiegeln noch immer den Flair der 80er wider, einschließlich Musik und dem bunten, von der Discokugel reflektiertem Licht, das sich über die Skatebahn bewegt.
Viv dreht jetzt schon die erste Runde und ich bin beeindruckt, dass sie das noch immer so einwandfrei kann. Ich werde bestimmt gleich alles andere als eine gute Figur abgeben.
„Komm schon!“, hallt es über die Musik hinweg zu mir herüber.
Tja, da muss ich jetzt wohl durch. Was macht man nicht alles, um eine Frau zu beeindrucken?! Ich kann nur hoffen, dass ich mich nicht auf die Schnauze lege.
Ich tausche nun meine Schuhe gegen die Rollschuhe und folge Viv auf die Bahn. Ich halte mich stützend an der Bande fest, denn ich bin keinesfalls so sicher darin wie noch vor 20 Jahren.
„Das macht genauso viel Spaß wie damals“, kommt es von Viv, als sie glücklich lächelnd an mir vorbei skatet. „Was machst du denn? Komm doch endlich!“
„Etwas mehr Geduld. Ich gebe mein bestes.“
„Du hattest doch damals keine Probleme damit.“
„Damals ist aber schon ein paar Jährchen her. Jetzt liegen meine Talente woanders.“
„Du willst mir zeigen, wie man sich auf einem Surfbrett hält, kannst dich aber nicht mal auf vier Rollen fortbewegen?“ Sie genießt es etwas zu sehr, sich darüber zu amüsieren.
„Das findest du wohl überaus lustig?“ Gerade jetzt verliere ich fast das Gleichgewicht. Nur mein fester werdender Griff verhindert geradeso, dass ich nicht auf den Hintern fliege.
Vivs lautes Lachen ist über die Musik hinweg eindeutig zu hören.
„Absolut! Es bringt eine gewisse Schadenfreude mit sich, wenn man den surfenden Mr. Architekt auf einer einfachen Skatebahn straucheln sieht.“ Da haben wir es wieder. Langsam sollte ich das Bild, das sie von mir hat, wieder geradebiegen.
„Hältst du mich wirklich für diesen abgehobenen Typen, der nur Gefallen an seiner Karriere findet?“ Sie kommt auf mich zu gerollt und bleibt vor mir stehen, ebenfalls auf die Bande gestützt. Bei ihr sieht es jedoch cool und lässig aus und nicht so verkrampft wie bei mir.
„Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, für welchen Typen ich dich halten soll. Mal bist du der Jared von früher und dann mal wieder nicht. Und genau das ist der Grund, warum ich hier bin. Ich versuche herauszufinden, wer du heute bist.“
„Ich habe den Eindruck, dass dir der heutige Jared weniger gefällt als der von früher.“
„Das würde ich nicht behaupten. Ich kann ihn bloß noch nicht so richtig einschätzen.“ Ich sehe über die Skatebahn und verfolge die Lichter der Discokugel.
„Ich auch nicht“, hauche ich.
„Solltest du dich nicht am besten kennen?“
„Bis vor kurzem dachte ich, ich tue es. Aber jetzt …“ Es bleibt für einige Augenblicke still und lediglich die Musik vermittelt den Eindruck, als würde noch beste Stimmung herrschen.
„Hat es mit deiner erst kürzlich gescheiterten Beziehung zu tun, dass du jetzt so denkst?“ Ich sehe wieder zu ihr und will eigentlich sofort das Thema wechseln, doch in ihrem Blick liegt diese Wärme von früher, die einen dazu verleitet ihr seine Sorgen anzuvertrauen. Obwohl es alles andere als klug ist, nicke ich.
„Dann hat es böse geendet?“
„Eigentlich nicht. Nur … sehr abrupt und unerwartet.“ Ihr Blick verändert sich und jetzt meidet sie meinen Blick.
„Vielleicht ist das hier dann noch nicht das Richtige für dich. Ich weiß, man redet sich ein, dass es das Beste wäre, sich so schnell wie möglich wieder zu verabreden, aber in der Regel ist es genau das Falsche. Ich kann verstehen, dass man sich ablenken und wieder sein Selbstwertgefühl steigern will, nachdem man verlassen wurde, doch man sollte auch an diejenigen denken, die man für diesen Zweck …“
„Was? Nein!“ So, wie sie zusammenzuckt, muss ich das fast geschrien habe. Ich rolle ein Stück auf sie zu, soweit es mir souverän möglich ist. „Ich habe sie verlassen. Und das aus dem Grund, weil mir klar wurde, dass wir absolut nichts gemeinsam haben. Was mich nur dabei stört, ist, dass mir das noch nicht einmal selbst aufgefallen ist, sondern mir erst regelrecht demonstriert werden musste, bis ich es sah.“ Gott, ich bete, dass sie jetzt nicht wirklich glaubt, nur ein Lückenfüller zu sein.
„Und deswegen glaubst du, nicht zu wissen, wer du bist?“
„Wenn man jahrelang mit der falschen Person zusammenlebt, bei der man offensichtlich nie so sein konnte, wie man ist?! Ja, irgendwie schon.“ Und noch aus einem anderen Grund, den ich ihr aber unmöglich sagen kann.
„Ich glaube, das interpretierst du etwas fehl.“
„Ist das so? Wie sollte ich es denn sonst …“ Ich werde plötzlich im Nacken gegriffen und kaum dass ich mich versehe, liegen ihre Lippen auf meinen. Ich brauche einen Moment, um zu begreifen, doch dann reagiert mein Körper instinktiv. Als wüsste er, von wen er hier gerade geküsst wird.
Ich schaffe es lediglich für eine Sekunde sie zurückzuküssen, als sie sich schon wieder von mir löst. Obwohl es ein sehr kurzer und unschuldiger Kuss war, habe ich das Gefühl unglaublich schwer zu atmen.
„Und? Glaubst du, jetzt, wo du von einer alten Schulfreundin geküsst wurdest, wieder der dreizehnjährige Junge von früher zu sein?“ Was?
Sie fängt an zu grinsen und läuft ohne ein weiteres Wort an mir vorbei. Ich sehe ihr völlig perplex hinterher und sie skatet die nächste Runde, als wäre überhaupt nichts passiert.
Ich versuche mir irgendetwas plausibles zusammenzureimen, aber ich komme nicht drauf. War der Kuss jetzt nur eine Demonstration oder wollte sie mich küssen? So, wie ich sie die letzten Male küssen wollte, aber nicht den Mut dazu aufbrachte?
Ach, verdammt! Was soll mir das denn jetzt sagen?
„Willst du da jetzt die ganze Zeit so herumstehen oder schließt du dich mir endlich an?“ Es schwingt schon wieder dieser amüsierte Tonfall mit.
Diese Frau macht mich fertig.
Ich setze mich etwas widerwillig in Bewegung und gebe mir einen innerlichen Schubs endlich die Bande loszulassen, um das zu tun, warum ich eigentlich hier bin. Um mit ihr, wie früher, Rollschuhe zu fahren.

Nachdem wir die Rollschuhbahn verlassen, steuern wir das nahegelegene Hungry Jack’s Burgers an. Obwohl ich mich die letzte Stunde nun ebenso viel bewegt habe, schreit mein Magen nicht mal annähernd so laut nach etwas Essbarem wie ihrer. Ob das daran liegt, dass ich seit einer Stunde nur noch an eins denke und mein Kopf immer wieder die gleichen Fragen auf und ab spult?
„Was hältst du davon?“ Vivs Frage reißt mich aus meinen Gedankenstrudel.
„Was?“ Sie bleibt stehen und sieht mich mit einem Blick an, der mir genau zeigt, dass sie weiß, dass ich gerade abwesend war.
„Ich langweile dich!“ Das ist keine Frage, sondern eine Feststellung, was mich sofort bereuen lässt, dass ich wieder zu viel nachdachte.
„Nein, absolut nicht!“
„Es ist okay, wenn …“
„Du langweilst mich nicht“, betone ich noch einmal stärker.
„Und warum habe ich das Gefühl, dass du mir nicht zuhörst?“ Oh je! Déja vu! Nur dieses Mal geht es in die völlig falsche Richtung.
„Ehrlich gesagt, habe ich dir auch nicht zugehört.“ Sie weitet mal wieder die Augen, wie beim letzten Mal, als ich zu ehrlich war.
„Bisher habe ich Ehrlichkeit immer geschätzt, aber bei dir ist es irgendwie immer wie ein Stich ins Herz.“ Ich mache einen Schritt auf sie zu. Ich zögere für einen Moment, doch dann lege ich meine Hand auf ihre Wange.
„Du kannst mich nicht einfach auf die Weise küssen, wie du es getan hast, und dann von mir erwarten, so zu tun als wäre nichts gewesen. Hast du eine Ahnung, wie oft ich damals von dem Moment geträumt habe? Und dann ist es endlich so weit und du nimmst es mir wieder, bevor ich überhaupt dazu komme es zu realisieren, geschweige denn es zu genießen.“ Sie denkt wohl einen Moment über meine Worte nach, bevor sich tiefe Falten auf ihrer Stirn bilden.
„Du hast mir bisher nicht das Gefühl gegeben mich küssen zu wollen.“ Ich schließe kurz gequält die Augen. „Ich habe das nur gemacht, weil ich dir was demonstrieren wollte. Und weil ich dachte, das wäre meine einzige Chance selbst zu erfahren, wie es ist. Denn ich habe mir damals ebenso gewünscht, dass du es tust.“ Obwohl Louis bereits so etwas angedeutet hat, ist es etwas ganz anderes, es von ihr selbst zu hören. Denn es verschlägt mir wortwörtlich den Atem. Ich kriege langsam immer mehr den Eindruck, dass ich das hier schon alles viel früher hätte haben können. Wenn ich nur nicht so feige gewesen wäre. Doch jetzt werde ich nicht mehr feige sein. Und vor allem werde ich meinem Verstand keine Möglichkeit geben, sich auf irgendetwas anderes zu konzentrieren als auf sie und das, was ich jetzt vorhabe.
Mir fällt auf, dass jener Moment, der einem Kuss vorausgeht, bei mir noch nie so traurig war. Bisher beschlich einem mindestens eine gewisse Vorfreude, Aufregung oder Erregung. Doch hier? Hier werde ich das Gefühl nicht los, dass dieser Moment noch nie emotionaler war. Dass er noch nie so viel in mir ausgelöst hat.
„Jared, ich …“ Nein! Schluss mit dem Reden! Ich nehme ihr Gesicht jetzt in beide Hände, beuge mich zu ihr herunter und bringe sie zum Schweigen.
Ich lege alles in den Kuss, was ich ihr schon immer sagen wollte, aber einfach nie bewältigt bekam. Wie sehr sie meine Jugend prägte, wie sie mir jeden Tag mit ihrer bloßen Erscheinung ein Lächeln auf die Lippen zauberte, wie sie mir stets das Gefühl gab normal zu sein und dazuzugehören und wie allein ihre Anwesenheit den grausten Tag im hellsten Licht erscheinen ließ.
Es dauert nicht lange, bis ich jedoch davon abkomme, weil sie mich so sehr in diesen Kuss versinken lässt, dass ich das Bedürfnis kriege, nie wieder von ihr abzulassen. Das ist noch tausendmal schöner als ich es mir je ausgemalt habe, denn sie fordert all meine Sinne gleichzeitig. Sie riecht wie üblich betörend. Sie küsst mich mit diesen traumhaft weichen Lippen genauso sehnsüchtig zurück, wie man es sich nur wünschen kann. Und mit ihren Händen, die auf meinem Bauch liegen, bilde ich mir ein, dass sie sich an mir und diesen Kuss festhält. Sie soll sich an mir festhalten können. Ich will ihr Fels in der Brandung sein. Der Mann, der dafür sorgt, dass es ihr an nichts fehlt.
Woah! Wo kommt das denn jetzt her?
Ich löse mich langsam von ihr, weil mich das alles irgendwie zu übermannen droht. Jedoch schaffe ich es nicht viel von ihr zu weichen. Ich lehne meine Stirn an ihre, kneife die Augen zusammen und versuche diesen Schwall an Gefühlen irgendwie Herr zu werden.
Ich höre, wie ihr Atem dieses Mal genauso schwer geht wie meiner, was noch nachträglich zu dieser inneren Aufruhr beiträgt.
„Das war …“ Den Satz, den sie mir entgegen haucht, lässt sie offen, womit ich ihr nur zustimmen kann. Dafür gibt es keine Worte. Jedenfalls keine, die es allumfassend beschreiben.
„Ja“, hauche ich nur zurück und schaffe es endlich die Augen zu öffnen. Sie sieht in diesem Moment einfach atemberaubend aus. In meinen Augen strahlt sie förmlich, mit den geröteten Wangen, den leicht feucht schimmernden Lippen und diesen Augen, in denen man sich verlieren kann.
Ich streiche ihr durch die Haare, die einfach so wunderschön lang und seidig sind. Gibt es irgendetwas an ihr, das nicht perfekt ist?
„Ich glaube, ich habe mich geirrt.“ Sie zieht fragend die Augenbrauen zusammen. „Du bist heute sogar noch hinreißender als damals.“ Ihr verwirrter Ausdruck weicht einem Schmunzeln, was mich am liebsten dazu verleiten würde, da weiterzumachen, wo ich, warum auch immer, aufgehört habe.
„Die Schiene brauchst du jetzt auch nicht mehr fahren. Wenn du mich nochmal küssen willst, dann tue es einfach.“ Für den ersten Augenblick kann ich sie nur erstaunt ansehen, bevor ich darüber lachen muss. Wenn sie mir dieses verlockende Angebot macht, werde ich einen Teufel tun und es ablehnen. Und dabei verschwende ich nicht mal einen Gedanken daran, dass ich mich hier inmitten einer Fußgängerzone befinde. Eigentlich bin ich ja nicht so der Typ dafür, der solche Momente so öffentlich auslebt, aber gerade geht es nicht anders. In mir drin sehnt sich einfach alles danach den Moment zu wiederholen, schließlich muss ich einiges nachholen. Daher ziehe ich sie wieder an mich und gebe mich dieser süßen Versuchung erneut hin.
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