Schriftgröße  Schriftart  Ausrichtung  Zeilenabstand  Zeilenbreite  Kontrast 

Zwischen Gold und Silber

Kurzbeschreibung
GeschichteLiebesgeschichte, Historisch / P16 / Het
Charles H. Lightoller Harold G. Lowe Margaret Brown OC (Own Character) Thomas Andrews William M. Murdoch
09.10.2022
30.11.2022
37
131.144
4
Alle Kapitel
3 Reviews
Dieses Kapitel
noch keine Reviews
 
14.10.2022 2.916
 
Kapitel 3

Wen die Welt zu scharf gerieben und durch alles Leid getrieben. Dem ist weiter nichts geblieben, als die Einsamkeit zu lieben. (Heinrich Martin 1818-1872, deutscher Schriftsteller)

Schweigend saßen die beiden Eheleute am Esstisch. Die Dienstmädchen kamen ab und an in das Zimmer, wurden nach einer Weile dann aber von dem Hausherren darum gebeten, ihn und seine Frau eine Weile in vollkommener Ruhe allein zu lassen. Delilah hatte die Augen auf ihren Teller gerichtet, das Besteck lag neben diesem. Es sah kaum benutzt aus, sollte wohl auch nicht mehr den eigentlichen Gebrauch erfüllen. Die braunhaarige Ehefrau genoss zu mindestens etwas ihren dunkelroten Tee, welcher sich wohlig um ihre Nase schlängelte. Von dem vorbereiteten Fleisch hatte die Blauäugige genauso wenig zu sich genommen wie von allem anderen, was auf der weißen Platte zu erkennen war. Draußen regnete es in Strömen, sodass die einzelnen Bäume und Sträucher sich wild hin und her bogen. Die Sonne war tagelang schon nicht mehr hinter den dicken Wolken hervorgekommen, wodurch ein nach draußen gehen für alle Beteiligten innerhalb von London überhaupt nicht mehr möglich wurde. Nur die Männer und Frauen, welche ihrer Arbeit nachgehen mussten, sah man vereinzelt über die Straßen laufen.

Die Welt war im allgemeinen grauer geworden, so empfand es Delilah zu mindestens. Alle Farben, die sie immer in dieser Welt erblicken durfte, verschwanden mit jeder Stunde mehr. Wie bei einem Maler, welcher die Freude an seiner Tugend verloren hatte. Die graue Monotonie spiegelte eigentlich genau das wieder, was man momentan in ihrem Herzen erkennen konnte. Ihre Hochzeit mit Jonathan Williams war nun einige Wochen her. Noch immer standen einige Geschenke des Paares hier im Haus herum, wurden nur sehr langsam von den Bediensteten in die einzelnen Schränke und Räume eingeordnet. Seit dem besagten Hochzeitstag lebte die Brünette hier mit dem Sohn der Williams-Familie. Nein… Delilah stoppte sich selbst in ihren eigenen Gedanken. Dieser Mann… Er hieß ja nun auch Winston, das hatte Delilah wahrlich verdrängt. Damit seine Möglichkeiten innerhalb der Scheinwelt steigen konnten, hatte er ihren Familiennamen angenommen. Delilah sollte es eigentlich egal sein, so wie mittlerweile alles in ihrer Umgebung. Im Grund wusste sie vieles nicht mehr. Ihr Hochzeitstag war nur eine ferne Illusion, welche keinen Platz in ihrem noch übrigen Körper fand.

Unbewusst richtete sie die dunkelblauen Augen nach oben, fokussierte ihren Mann. Das war er laut ihren Papieren jedenfalls. Dieser las gerade eine seiner Tageszeitungen, schien anscheinend im wirtschaftlichen Teil etwas interessantes gefunden zu haben. Seine Augen flogen regelrecht über die einzelnen Zeilen, immer wieder wechselte er die Seite oder gab – verpackt in einem Monolog – Kommentare zu den Artikeln ab. Dass er dies nur tat, um vor seiner Frau anzugeben, war deutlich. Die weibliche Person innerhalb des Speisesaals wusste, dass Jonathan keine Ahnung von der Wirtschaft hatte. Delilah´s Blick fuhr ein wenig weiter nach oben. An seinem Finger glänzte sein goldener, mit Gravierungen verzierter Ehering. Das Zeichen ihrer Liebe… nein. Ein Zeichen der vollkommenen Kontrolle und Unterwerfung, das passte eindeutig besser. Delilah seufzte leise auf und musterte erneuert die dunklen Wolken. Der Regen prasselte wie Trommelschläge auf die Erde und erschuf einige mächtige, gleichzeitig sehr einnehmende Melodie. Dieser Sturm tobte auch irgendwie in ihr.

In den vergangenen Tagen war die Situation noch schlimmer geworden, wenn dies überhaupt noch möglich war. Jonathan war in der vergangenen Zeit sehr oft unterwegs gewesen. Gefühlt jeden Tag war er verschwunden, sodass dieses Haus aufgrund der präsenten Stille fast zu platzen schien. Gespräche mit einigen Geschäftspartnern oder hochrangigen Aktionären trieben ihn an die unterschiedlichsten Orte dieses Landes, manchmal sogar über die Staatsgrenzen hinaus. Delilah selbst durfte bei solchen Angelegenheiten keineswegs mit ihm gehen. Eine Frau konnte unmöglich die hochkomplexen Strukturen der Männerwelt verstehen oder gar ein Teil von politischen Diskussionen werden. Genau das hatte sich die Brünette von Jonathan vor wenigen Wochen anhören dürfen. Seitdem war sie hier gefangen, zwischen den Mauern dieses kalten Hauses. Selten ging sie hinaus, versuchte ein wenig Abstand von diesem Anwesen und den Angestellten zu bekommen. Sobald es das Wetter irgendwie gut mit ihr meinte spazierte Delilah durch den Garten des Anwesens oder unternahm eine Reise am riesigen Getreidefeld einige Kilometer weiter. Niemand hier schien Delilah zu mögen. Lediglich der Gärtner – sie kannte seinen Namen bis heute nicht – sowie ein noch sehr junges Dienstmädchen namens Mary schenkten der jungen Dame immer ein Lächeln, wenn sie sich über den Weg liefen. Es gab der brauhaarigen Frau wenigstens etwas das Gefühl, nicht vollkommen allein zu sein.

„ Delilah.“
Die Angesprochene richtete ihre Augen zum wiederholten Male auf ihren Mann. Dieser war anscheinend schon während ihres inneren Selbstgespräches und der damit einhergehenden geistigen Abwesenheit aufgestanden, sodass er nun direkt neben ihr am Tisch stand. Während seine Hand nach ihrer griff musterte er ihre dunkelblauen Augen. Delilah selbst hielt seinem Blick stand. Liebe oder Zuneigung ihr gegenüber war nicht mehr in ihnen zu sehen. Hatte sie sich an ihrer Hochzeit doch geirrt, sprach eine Stimme in dem weiblichen Geschöpf. Auch seine Berührungen waren so unglaublich falsch, dass ihr Körper eine Gänsehaut bekam. Lass mich los, schrie sie innerlich auf. Lass mich doch endlich aus diesem Käfig ausbrechen.
„ Ja, Jonathan?“, war allerdings das Einzige, was ihren Mund am Ende verließ. Der Angesprochene musterte kurz ihre Hand in seiner, hustete dann jedoch auf und sah seine Frau wieder an.
„ Hör zu, Delilah. Ich werde ab morgen wieder für eine unbegrenzte Weile unterwegs sein. Ich habe einen neuen Vertragspartner gefunden, welcher mich in meinem Unternehmen innerhalb der Wirtschaft unterstützen möchte. Seine Einladung wird mich dieses Mal nach Dublin führen. Somit bin ich einige Wochen weg. Vier an der Zahl, möglicherweise mehr, je nachdem wie die Verhandlungen laufen werden.“, begann er zu erklären und legte bereits einige Scheine auf den Tisch. Es wurden immer mehr und mehr. Es war eine stumme Antwort auf ihre unausgesprochene Frage.

Natürlich… durfte sie wieder nicht mitkommen, dachte Delilah und musterte die Papiertücke sowie die kleinen Münzen. Andere Frauen hätten es so hingenommen ohne sich gegen ihren Mann aufzulehnen. Mit diesem Geld konnte sie sich nicht das kaufen, wonach ihr Herz sich sehnte. Höchstens neue Kleider oder Schmuck, von welchem sie aber aufgrund ihrer Hochzeit genug in diesen vier Wänden hatte. Am Ende gab sie es sowieso wieder dem Gärtner. Er hatte innerhalb eines Gespräches erwähnt, dass Jonathan ihm kaum etwas zahlte. 5 oder 6 Schilling bekam er für einen ganzen Monat Arbeit. Viel zu wenig, das empfand aber nur Delilah. Somit war das Ernähren seiner beiden kleinen Kinder sowie seiner erkrankten Frau sehr schwierig. Bereits bei dem letzten Mal hatte Delilah ihm dieses gegeben. Was sollte sie denn auch damit? Materielle Wünsche hatte die blauäugige Tochter der Winston Familie schon lange nicht mehr. Wenn diesmal der Fall sein sollte, suchte Delilah sich meistens Bücher aus. Diese waren in vielen Fällen nicht besonders teuer, sodass einige Pfunde ausreichten.

„ Ich lasse dir dieses Mal ein wenig mehr hier. Immerhin bin ich auch länger weg.“
„ Darf ich… dich dieses Mal wirklich nicht begleiten, Jonathan? Dublin soll um diese Zeit sehr schön sein…“, fragte Delilah mit sanfter Stimme und spürte wie er sanft mit seiner Hand ihre Wange umfasste. Doch das Grinsen in seinem Gesicht zerbrach diese liebevolle Geste sofort wieder. Die Tochter der Familie Winston wusste bereits welche Worte nun folgen sollten. Hätte sie doch einfach nicht gefragt, herrschte Delilah sich selbst an.
„ Delilah, du kleines Dummerchen. Wir haben darüber doch schon öfter gemeinsam darüber gesprochen. Erinnerst du dich nicht mehr an meine Worte?“, fragte er und gab ihr einen leichten Klaps auf die Wange. Delilah zuckte kaum merklich zusammen, versuchte aber ihre eigentlich sehr stolze Körperhaltung aufrechtzuerhalten.
„ Ich kann dich nicht mit mir nehmen, das weißt du. Eine Frau deines Alters… Du würdest nicht verstehen, was wir dort besprechen.“
„ Aber ich könnte es doch versuchen.“, gestand sie offen und stellte sich nun neben ihren Mann. Delilah war durchaus in der Lage, die Welt und ihre Akteure einzuschätzen. Auch von der Wirtschaft verstand sie eine Menge – verfolgte sie doch täglich die Geschehnisse an der Börse. Jonathan hustete wieder leise, schüttelte dann aber den Kopf und baute sich etwas vor seiner Frau auf. Er sollte und wollte sich nicht auf eine Diskussion mit seiner Frau einlassen. Immerhin war er der Herr im Haus! Was sollte das für Wellen schlagen, wenn herauskam, dass er solch ein Auftürmen von Delilah zuließ?
„ Delilah, ich werde nicht mit dir darüber diskutieren! Du bleibst hier und damit beenden wir diese Unterhaltung.“
„ Aber ich-“

„ Verdammt noch eins, ich sagte nein!“, sprach der Mann nun ein Machtwort. Zur Untermalung seiner Worte schlug er mit der Faust auf den Tisch. Einige Gläser neben seiner Hand fielen um, sodass sich der gute Wein auf der weißen Tischdecke verteilte. Auch ihr Teller kippte um, sodass das Fleisch sich auf dem Holz des Tisches wiederfand. Delilah war inzwischen zusammengezuckt und sah Jonathan mit großen Augen an. Er… Er hatte sie schon wieder angeschrien.
„ J… Jonathan…“, murmelte Delilah und spürte wie er ihre Oberarme packte. Zischend nahm die Brünette dies so hin. Mit Sicherheit sollten neue blaue Flecken nun dazu kommen. Hatte sie durch seine… Grobheit nicht schon genug davon abbekommen, fragte sie Gott im Stillen. Wenigstens schlug er ihr nicht wieder direkt ins Gesicht.
„ Jetzt ist aber mal Schluss, verdammt noch einst! Ich habe keine Kraft, mit dir über solch eine belanglose Sache zu diskutieren, Delilah! Du bist und bleibst meine Frau! Ich – und nur ich allein – bestimme, welche Aktivitäten du an meiner Seite ausführen darfst und welche nicht! Ich bin immerhin dein Mann und somit auch jener der bestimmt, wie die Dinge hier ablaufen! Hats du mich verstanden oder muss ich es dir wieder anhand von Schlägen erklären!?“

Delilah sagte dazu nichts mehr und gerade als eine der Hausdamen in den Raum hineinkam, riss sie sich von Jonathan los und ging mit pochendem Herzen sowie schmerzenden Oberarmen an ihrem Mann vorbei. Ihre schnellen dennoch zitternden Schritte trugen sie durch den langen Flur des riesigen Anwesens, der durch den grauen Himmel kaum beleuchtet wurde. Ihre Atmung ging stockend, wie ein Kolibri, der zu schnell und unkontrolliert umherflog. Innerlich hoffte die Blauäugige noch immer, dass Jonathan ihr vielleicht hinterherkam. Er hätte die Diskussion mit einer freundlichen Geste oder einem Handkuss beenden können, einmal wenigstens. Nur ein einziges Mal wünschte Delilah sich, dass der Blondhaarige doch noch ein wenig Menschlichkeit ihr gegenüber zeigen würde. Aber tat er es… nein, natürlich nicht. Die Davonlaufende bekam gerade noch so mit wie er sich wieder an den Tisch setzte und die Zeitung laß. Als wäre nichts zwischen ihnen vorgefallen, dachte seine Frau und war froh als sie endlich ihr Gemach erreichte. Jonathan hatte ihr ein eigenes Zimmer zur Verfügung gestellt, in welchem einige Bücherregale oder andere persönliche Dinge von Delilah standen.

Als die Tür endlich geschlossen war, schrie die Brünette leise auf und fuhr sich angestrengt durch die Haare. Die ersten Tränen kamen aus ihren Augen geschossen und verteilten sich auf ihrem Fußboden. Die weißen Lilien auf ihrem Tisch sahen dem jungen Mädchen dabei zu, während der Wind leicht durch das etwas geöffnete Fenster ins Zimmer drang. Immer wieder schlug sie leicht gegen ihre Zimmertür, keuchte ertrinkend auf und umfasste ihren Bauch.
„ Warum… warum tust du mir… das alles an…?“, schrie sie mit gedämpfter Stimme und erhoffte sich eine Antwort. Von irgendjemanden, der sie aus dieser eigenen Hölle retten konnte. Warum redete keiner zu ihr? Zeigte ihrer Seele einen Weg, weit fort von diesem Platz in dieser Welt? Nebenbei versuchte die Blauäugige mit ihren immer noch zitternden Händen das Kleid zu öffnen. Dieser ekelhafte Stoff musste von ihrem Körper oder sie sollte verbrennen. So fühlte es sich zu mindestens für das Mädchen an. Dazu kam nun aber auch noch, dass sie immer stärker anfing zu weinen. Alles war in diesem Augenblick eine vollkommene Überforderung, sodass Delilah sich schluchzend auf dem Boden neben ihrem Bett niederließ und ihren Tränen freien Lauf ließ. Das Kleid war kaum geöffnet worden, Lediglich ein paar Seile des Korsetts hingen an ihrem Rücken herunter, sollten ihr aber damit nicht unbedingt mehr Bewegungsfreiheit ermöglichen.

Wimmernd zog sie ihre Beine so gut es ging an den Körper und platzierte ihren Kopf mit dem Gesicht nach unten auf diesen. Dabei hob und senkten sich ihre Schultern, fanden genauso wie der Rest ihrer Statur keine Ruhe mehr. Heftige Krampfanfälle schüttelten ihren Körper durch und nahmen ihr dadurch die wenige, noch vorhandene Kraft in ihrem Körper. Was machte sie nur hier? Warum hatte Gott ihr dies nur angetan? Warum war sie nicht einfach tot und konnte endlich ihren Frieden finden? Wimmernd fuhr sie sich durch die Haare und löste die dort eingeflochtenen Zöpfe. Eine Bedienstete hatte diese zu Beginn des Tages angefertigt. Aber nun störten sie Delilah zusätzlich. Mit ihren Händen entfernte die Blauäugige jedes einzelne Gummiband, dass ihre braunen Locken zusammenhielt. Auch die kleinen Spangen folgten, landeten dabei erst an der Wand und glitten wenige Sekunden später danach langsam zu Boden. Nach diesen endlosen Minuten des pausenlosen Weinens holte die braunhaarige Tochter der Winston Familie irgendwie Luft und begann sich aufzurichten. Als wäre sie kilometerweit gewandert und ohne eine Pause zitterte Delilah und schaffte es nur mit dem Festhalten an ihrem Bett, vollkommen wieder aufzustehen.

Emotionslos ging sie auf die Kommode des Raumes zu, holte sich die Schere aus dieser heraus und begann damit, die einzelnen Stoffe ihres Kleides zu zerschneiden. Erst jede Faser an ihren Beinen, dann der Bauch und die Brust. Schlussendlich folgten die Arme. Auf Hilfe konnte sie hier lange warten, waren die Hausmädchen eher weniger gut auf sie zu sprechen. Warum? Delilah konnte es sich nicht erklären. Seit ihrem ersten Tag hier spürte die Dame alle Blicke auf sich. Prüfend, verachtend, fragend vielleicht sogar etwas unerwünscht. Aber wem sollte sie denn von ihrem Leid berichten? Ihre Eltern schrieben ihr auf die gestellten Briefe nicht mehr zurück. Es war fast so als wäre Delilah nicht mehr ein Teil ihres Lebens, was nur noch mehr in dem Herzen der Frau schmerzte. Freundinnen und Bekannte hatte sie wenn überhaupt zwei Frauen in ihrem Alter. Allerdings waren sie vollkommen anders als Delilah selbst. Dazu kam, dass diese überall in ganz England verteilt waren. Diese jungen Damen lebten auch in ihren errichteten goldenen Schlössern, zusammen mit ihren Ehemännern und sogar den ersten gezeugten Kindern. Somit… blieb nur noch Mister Andrews. Kurz hielt Delilah inne, musterte die goldene Kette um ihren Hals. Sie funkelte noch immer so schön wie an jenem Tag, als er ihr diese schenkte.

Das letzte Mal hatte sie ihn auf ihrer Hochzeit gesehen, danach nicht mehr. Kein Wunder, immerhin hatte sich der Dunkelhaarige vorgenommen, es in dieser Welt weit zu bringen. Arbeit und nochmals Arbeit waren dabei besonders notwendig. Wie oft wollte Delilah ihm bereits einen Brief schreiben, hatte dieses Vorhaben dann aber unterbunden. Wie sollte er ihr denn helfen können? Laut den Erzählungen ihres Mannes Jonathan wurde Mister Andrews immer gefragter, besonders in der Wirtschaft und dem Schiffsbau. Er arbeitete dadurch immer mehr, hatte kaum noch eine freie Minute für sich selbst. Dazu kam seine eigene Frau, die er über alles verehrte und mit welcher anscheinend auch schon über die kommenden Jahre philosophierte. Jonathan hatte einmal während eines Dinners erwähnt, dass beide sich ein Haus gekauft hatten und nun dort in diesem ihr Leben genossen. Er hatte ein Leben, welches er nicht bereute. Eine sehr nette Frau an seiner Seite, welche die Liebe ihm gegenüber jeden Tag aufs Neue erwidert bekam. Wieso… Wieso konnte Delilah nicht genau das gleiche Glück in dieser Welt finden?

„ Was soll ich nur tun…?“, fragte Delilah in die Stille hinein, bevor sie endlich das Kleid mitsamt der unsagbar festen Korsage von ihrem Körper entfernt hatte. Zu mindestens bekam die Brünette nun endlich wieder ordentlich Luft. Es landete unbeachtet auf dem Boden, sollte höchstwahrscheinlich bis morgen dort seinen Platz nicht mehr verlassen.
„ Jonathan bringt mich um…“, murmelte sie und betrachtete die einzelnen Striemen und blauen Flecke an ihrem Körper. Ja… Jonathan nahm sich das, was er wollte, im Notfall auch mit Gewalt. Das hatte Delilah leider zu oft schon spüren und erleben müssen. Ihre Haare waren vollkommen durcheinander, sollten mit einer Bürste bestimmt erst nach einer langen Behandlung wieder ordentlich sitzen. Die Brünette mit dem dunkelblauen Augen ging wenige Sekunden später geradewegs zu ihrem Kleiderschrank, holte sich ein einfaches Kleid hervor und zog dieses an. Dieses hatte sie nach ihrem letzten Besuch in ihrem Haus heimlich mitnehmen können. Es handelte sich um eine langärmlige weiße Bluse und ein grünes Stoffkleid. Hierbei bemächtigte sie keine Hilfe, dieses anzuziehen. Ihr Mann hätte jetzt folgendes gesagt: Solch ein Kleid tragen nur Konkubinen oder die Frauen der untersten Schicht, Delilah! Aber sie mochte diese. In diesen gab es wenigsten etwas Bewegungsfreiheit und keine lästigen Schnüre, welche ihr die Luft zum Atmen nahmen. Die dunkelbraunen Haare ließ sie offen, machte sich aber daran, die ganzen Knoten aus den Strähnen zu entfernen. Als auch diese anstrengende Aufgabe endlich der Vergangenheit angehörte, blieb sie an ihrem Fenster sitzen. Dadurch flogen ihre Haare ein wenig umher, während auch ihre Tränen durch die Windkinder vertrieben wurden. Erneut kam ihr Mister Andrews in den Sinn. Sollte sie ihm einfach einen Brief schreiben? Vollkommen erschöpft lehnte Delilah sich zurück und schloss ihre Augen. Erneut betete sie still und hoffte darauf, dass die Götter ihr Flehen endlich erhören sollten. Somit kam sie an diesem Abend auch nicht mehr dazu, sich aufzurichten und ihren Wunsch, einen Brief zu schreiben in die Tat umzusetzen. Irgendwann, Delilah wusste nicht genau wie spät es war, schlief sie ein. Allein in diesem Käfig, der sie wieder einmal gefangen hielt. Ohne einen Ausweg und ohne die Möglichkeit, ihre Flügel auszubreiten.


---------------------------------------------------------------------------------------------------------

Mit freundlichen Grüßen

Eure Elli :)
Review schreiben
 Schriftgröße  Schriftart  Ausrichtung  Zeilenabstand  Zeilenbreite  Kontrast