Apachen-Sitting
von Julie B
Kurzbeschreibung
Abahachi möchte, dass Blutsbruder Ranger etwas mit Zwillingsbruder Winnetouch unternimmt. Ob das eine gute Idee ist, die beiden allein loszuschicken? [Ein Gemeinschaftsprojekt von Lucy-Lu und mir]
OneshotHumor / P12 / Gen
Ranger
Winnetouch
06.10.2022
06.10.2022
1
1.906
6
06.10.2022
1.906
Eine weite Steppenlandschaft irgendwo im wilden Westen. Die Sonne schien von einem fast wolkenlosen Himmel auf zwei ungleiche Reiter herunter. Ranger trabte auf seinem Pferd voraus und zog ein verdrießliches Gesicht. Weit abgeschlagen hinter ihm folgte Winnetouch in einem rosafarbigen Fransenkostüm und mit einem Sonnenschirm in der Hand. Sein weißes Pony tänzelte mit vollgepackten Satteltaschen sichtlich überladen herum.
„Nimm doch den Winnetouch mit zum Angeln und pass a bissl auf ihn auf!“, äffte Ranger genervt die Stimme von Abahachi nach, der heute nicht wie sonst an seiner Seite war. „Das wird bestimmt lustig und s wär doch super, wenn ihr zwei auch mal was macht miteinander. Ich hab doch heut diese mordswichtige Stammessitzung… Stammessitzung? Pfff! Dass i ned lach!“, spottete Ranger. „Saufen wollens und in Ruhe ihr verschissenes Pfeiferl paffen! Von wegen hohe Politik! Aber klar, i versteh ja davon nix! I bin ja bloß der blöde weiße Mann! Nur wenn i dem Herrn mal wieder den Arsch retten soll, dann bin i wieder gut genug! Hätt i mich damals bloß ned auf diese G'schicht mit der Blutsbruderschaft eing'lassen! Jetz hob i a no den warmen Bruder an der Backe und derf mit dem zum Silbersee reiten! Apachen-Sitting! Na vielen Dank auch!“
So hatte Ranger sich den Ausflug nicht vorgestellt!
Er drehte sich um und dehnte sich den Rücken durch, dass die Wirbel krachten.
„Ah ge, Winnetouch!“, rief er. „Jetz schick dich! I will heut noch amal wieder runter vom Sattel!“
„Mach du halt a bissl langsamer!“, lautete die zickige Antwort. „Du weißt genau, dass es der Jaqueline immer schlecht wird von deiner Raserei!“
Ranger verdrehte die Augen in alle Richtungen. „Du brauchst unbedingt a andern Gaul! Das Viech da zieht überhaupt ned g’scheit durch!“
„Halt’s Maul!“, sagte Winnetouch trotzig und klopfte seiner Ponydame den Hals. „Mach dir nix draus, Jaqueline! Langsam is viel gemütlicher.“ Dann wollte er von Ranger wissen: „Wie weit is es’n noch? Mein Popo is schon ganz wund. Außerdem muss ich mal Puschi.“
„Herrschaftzeiten!“ Ranger stoppte sein Pferd. „Dann geh halt schnell!“
„Was, hier?“, rief Winnetouch entsetzt. „Da kann mich ja jeder sehn!“
Ranger ließ den Blick über die weite, menschenleere Prärie schweifen. „Und wer, bitt’schön?“
„Du zum Beispiel.“
Ranger schnaubte. „Hast Angst, i schau dir deinen kleinen Apachen-Zipfl weg, oder was?“
„Pah, du bist ja bloß neidisch!“
***
Zwei Puschipausen und einige schier unendliche Diskussionen später war es endlich geschafft. Ranger saß auf einem hölzernen Klappstuhl an seinem Stammplatz am Seeufer und hatte seine Angel ausgeworfen. Die Sonne schien, die Grillen zirpten. In der Nähe rauschte der Wasserfall. Er lächelte selig. Es konnte so schön sein! Wenn doch nur dieser gottverdammte Blutsbruder-Zwillingsbruder neben ihm nicht wär…
„Mei, is das langweilig!“, stöhnte Winnetouch schon nach ein paar Minuten und fuchtelte mit einer Hand um sich. „Und diese Mücken! Herrschaft! Ich bin schon ganz zerstochen! Wie haltets du und der Abahachi das bloß aus den ganzen Tag?“
Ranger seufzte. Sein Lächeln war längst wieder verschwunden.
„Also i könnt Stunden hier sitzen“, knurrte er und ergänzte in Gedanken: wenn du ned dabei wärst…
Winnetouch machte ein missmutiges Gesicht. Er griff in eine der prall gefüllten Satteltaschen, die er Pony Jaqueline abgenommen und neben sich deponiert hatte, und zog einen Block Buntpapier daraus hervor.
„Woll mer ned lieber was Hübsches basteln?“, fragte er.
„Basteln?“ Ranger zeigte ihm den Vogel. „I glaub, du spinnst!“
„Spielen?“ Winnetouch hielt einen Karton mit dem Spiel „Bleichgesicht, ärgere dich nicht“ hoch. „I hätt auch noch einen Schminkkoffer dabei.“
„Na! I will jetz nix spieln und schminken tu i mich fei gar ned! I will einfach in Ruhe angeln! Und jetz halt g’fälligt s Maul, du verscheuchst mir ja die ganzen Fische mit deim Gequatsche!“
„Langweiler!“
Winnetouch streckte Ranger die Zunge heraus, zückte eine Nagelfeile aus seinem Strumpfband und fing an, sich energisch die Fingernägel zu feilen.
„Mir is immer noch langweilig“, nörgelte er nur wenig später.
Ranger reagierte nicht, blinzelte mit sturer Miene auf den See hinaus, dessen Oberfläche im Sonnenlicht glitzerte und ihn blendete.
Winnetouch setzte sich eine stylische Sonnenbrille mit großen Gläsern und rotem Rahmen auf und zog die Sonnenmilch aus der Satteltasche. Als er sich das Gesicht eingecremt hatte, hielt er Ranger die Tube hin.
Der rümpfte die Nase.
„Na!“
„Schmierts du und der Abahachi euch etwa nie ein?“, fragte Winnetouch. „Kein Wunder, dass ihr zwei ausschaut wie die Brathendl! Da musst aber echt aufpassen!“
„Wieso?“
„Wei's überhaupt ned gut is, grad wo du so a sensible Haut hast“, sagte Winnetouch und musterte Rangers Gesicht sehr eindringlich. „Da musst immer schön auf die Feuchtigkeit achten! Außerdem gibt das später amal ganz hässliche Altersflecken.“
„Echt?“ Verunsichert tastete Ranger mit den Fingerspitzen über seine Wange.
Winnetouch nickte eifrig. „Vom Hautkrebsrisiko ganz zu schweigen.“
„Ah ge, gib’s halt her!“
Ranger riss ihm die Sonnenmilch aus der Hand.
In kürzester Zeit hatte er sich Gesicht und Hände komplett damit eingesaut.
Winnetouch kicherte:
„Hi hi, jetz schaust wirklich aus wie a Bleichgesicht!“
„Jetz schaust wirklich aus wie a Bleichgesicht – hähähä!“, äffte Ranger ihn nach. „Jetz huif mir lieber! Des Zeug bappt wie der Deifel!“
Er hielt die verschmierten Hände hoch und guckte verzweifelt zu Winnetouch, der ihm darauf die überschüssige Creme mit ein paar mitgebrachten Feuchttüchern gewissenhaft entfernte.
„Mei, jetz hab i aber einen Hunger!“, meinte Winnetouch wieder nur ein paar Augenblicke später. „Gut, dass ich ans Catering gedacht hab!“
Ranger beobachtete skeptisch, wie sein Begleiter hoch sprang, eine Picknickdecke mit blau-weißem Rautenmuster ausbreitete und eine Tupperdose nach der nächsten aus den Satteltaschen hervor holte.
„Das is jetz ned dein Ernst?“
„Da staunst, gell?“, freute sich Winnetouch. „I hab alles dabei: herzhafte Schnittchen, Pralinen und Cupcakes für den süßen Zahn, freilich selbst gebacken, frische Möhrchen und Gürkchen und einen feinen Quark-Dipp dazu. Magst amal probieren?“
Winnetouch hielt Ranger die Dosen mit dem Quark und den Gurkenscheiben hin.
„Na, pfui Deifi!“, lehnte der angewidert ab. „Schau i etwa aus wie a Karnickel?“
„Dann halt ned!“, war Winnetouch beleidigt. Er biss in eine Gurke und schnurpste. „Bleibt mehr für mich, hi hi.“
Für eine Weile war nur zu hören wie Winnetouch mit den Dosen hantierte, Gemüse knusperte und genüsslich schmatzend die Schnittchen vertilgte. Erst starrte Ranger noch mit düsterer Miene auf den See hinaus und nahm sich fest vor, nicht schwach zu werden. Er war schließlich der Ernährer und dafür verantwortlich, dass er heute Abend fangfrischen Fisch in das heimische Tippi brachte! Aber heute wollte und wollte einfach keiner beißen und irgendwann fing sein Magen zu knurren an und er schielte immer öfter nach dem reichhaltigen Buffet auf der Picknickdecke neben ihm.
Als Winnetouch die Schachtel mit den Cupcakes aufmachte, grummelte sein Magen so laut, dass es auch Winnetouch hörte.
„Na nimm halt auch einen!“, sagte er und er schmunzelte versöhnlich. „Für mich allein is das doch eh viel zu viel und eh's schlecht wird bei der Wärme… Wär doch schad drum.“ Er zwinkerte Ranger zu. „Was magst'n? Nussnougattrüffel oder Rosenmarzipan mit Champagnercreme?“
Ranger schluckte. Ihm tropfte der Zahn.
„I-i glaub, i nehm das Nougat-Dingsda.“
Winnetouch freute sich. Er stand auf und schob Ranger eines der schokoladigen Küchlein in die Schnute.
„Gut, gell?“
„Hmhm“, machte Ranger mit vollen Backen. Seine Augen leuchteten. Ein Klecks Topping klebte an seiner Nasenspitze.
„Magst ned amal deine Angel beiseite tun und zu mir auf die Decke kommen?“, versuchte Winnetouch ihn von der Angel wegzulocken. „Der Klappstuhl is doch viel zu unbequem.“
„Na, lieber ned. Der Rücken is eh scho im Arsch“, meinte Ranger, während er den letzten Rest vom Cupcake verputzte.
„Hast du's mit'm Rücken?“, fragte Winnetouch bestürzt.
„Naja, mei...“, druckste Ranger herum. „Die ewige Hockerei da im Sattel. Weißt scho… und neulich beim Spurensuchen mit deim Bruder, da hob i mi irgendwie so a bissl verrenkt, oba halb so wild.“
„Warst schon beim Arzt?“
Ranger machte eine abfällige Handbewegung.
„Der Abahachi hat mich zu so eim komischen Medizinmann g'schleppt, oba – ah! Den kannst komplett vergessen. Heilpraktiker. Der kann goar nix!“
„Soll ich mal schaun? I hab amal einen Kurs g'macht.“
Ranger guckte Winnetouch skeptisch an.
„Also, du… nix Persönliches, oba… i woaß ned so...“
...
Am späten Nachmittag erreichte auch Abahachi den Silbersee. Er hatte sich früher von der Stammessitzung davon geschlichen, um nach Ranger und Winnetouch zu sehen, denn so richtig glaubte er nicht, dass die beiden ohne ihn klar kamen. Es schien, als wenn er Recht hätte, denn als Abahachi sich dem Stammplatz von ihm und Ranger näherte, hörte er plötzlich schmerzerfülltes Stöhnen hinter der Böschung.
„Um Gottes Wuin! Was is'n da los?“
Er befürchtete, dass die beiden aus dem Hinterhalt angegriffen und verletzt worden waren. Abahachi zog seine Flinte und pirschte sich an.
„Aaah jaaa, da! Genau da!“, hörte er eindeutig die Stimme seines Blutsbruders. „Noch a bissl tiefer… noch a bissl… Aaah! I könnt' dich knutschen!“
Abahachi hielt inne und runzelte die Stirn. Was beim großen Manitu trieben die denn da miteinander?
„Keine Bewegung!“, rief er und sprang mit vorgehaltener Flinte über die Böschung. „Finger weg von meinem – Ranger? Winnetouch?“ Ihm krachte die Schublade herunter.
Ranger lag mit freiem Oberkörper bäuchlings auf einer Decke. Winnetouch saß breitbeinig auf seinem Hinterteil und massierte ihm den Rücken.
Ranger hob den Kopf. Er hatte das Gesicht voll mit Quark und zwei Gurkenscheiben auf den Augen. Eine davon fiel herunter.
„Servus, Abahachi“, sagte er. „Is dei Stammessitzung scho aus?“
„Wos machts'n ihr da?“, fragte Abahachi ungläubig.
„Das sigst doch.“
„Unser Cowboy hat a ganz fiese Muskelverspannung“, erklärte Winnetouch, während er noch etwas Massageöl auf Rangers braungebranntem Rücken verteilte. „Das habt's ihr jetz von euerm ewigen Umherreiten. Den ganzen Tag im Sattel sitzen oder auf'm Klappstuhl beim Angeln, das is überhaupt ned gut. Und mit dem Spurenlesen hat's jetz auch erst amal ein Ende!“
„Ganz genau!“, sagte Ranger und jammerte: „Immer dieses Herumkriechen auf'm Boden und das sinnlose Umherreiten! I kann das nimmer! I werd a ned jünger!“
„Wohoho!“ Abahachi riss in Abwehrhaltung die Hände hoch. „Ned scho wieder die alte Leier! Sag amal, Winnetouch, was soll'n das? I war froh, dass endlich a Ruhe war, jetz setzt du dem Ranger wieder solche Flausen ins Ohr und hetzt meinen Blutsbruder gegen mich auf!“
„Aber wenn's so is!“, sagte Winnetouch. „Der Ranger braucht unbedingt a bissl Entspannung. Auf den musst echt besser aufpassen, Abahachi, sonst geht er am Ende noch kaputt, unser fescher Revolverheld.“
„Was heißt'n da unser?“, fuhr Abahachi eifersüchtig auf. „Das is immer noch mein Blutsbruder! Such dir gefälligst deinen eigenen!“
„Naaa! Was deins is, is auch meins, schon vergessen? Wir sind schließlich Zwillingsbrüder.“
„Ach leckt mich doch am Arsch! Alle zwei! Aber eines sag' ich euch!“ Abahachi zeigte drohend auf die beiden herab. „Das war das erste und auch das letzte Mal, dass ich euch miteinander allein lass!“
Wütend stapfte er davon.
Winnetouch und Ranger atmeten auf und freuten sich wie aus einem Mund:
„Poah, Gott sei Dank, nie wieder angeln!“ und „Endlich hob i wieder mei Ruh am See!“
„Aber du, Winnetouch?“ Ranger schielte über seine Schulter. „Die Massage is echt supa! Machst no a bissl weiter?“
„Au ja!“, strahlte Winnetouch. Er beugte sich nach vorn und hielt Ranger eine Pralinenschachtel vor die Nase. „Noch was Süßes dazu?“
Ranger langte zu und musste zugeben:
Eigentlich war Apachen-Sitting gar nicht so übel.
„Nimm doch den Winnetouch mit zum Angeln und pass a bissl auf ihn auf!“, äffte Ranger genervt die Stimme von Abahachi nach, der heute nicht wie sonst an seiner Seite war. „Das wird bestimmt lustig und s wär doch super, wenn ihr zwei auch mal was macht miteinander. Ich hab doch heut diese mordswichtige Stammessitzung… Stammessitzung? Pfff! Dass i ned lach!“, spottete Ranger. „Saufen wollens und in Ruhe ihr verschissenes Pfeiferl paffen! Von wegen hohe Politik! Aber klar, i versteh ja davon nix! I bin ja bloß der blöde weiße Mann! Nur wenn i dem Herrn mal wieder den Arsch retten soll, dann bin i wieder gut genug! Hätt i mich damals bloß ned auf diese G'schicht mit der Blutsbruderschaft eing'lassen! Jetz hob i a no den warmen Bruder an der Backe und derf mit dem zum Silbersee reiten! Apachen-Sitting! Na vielen Dank auch!“
So hatte Ranger sich den Ausflug nicht vorgestellt!
Er drehte sich um und dehnte sich den Rücken durch, dass die Wirbel krachten.
„Ah ge, Winnetouch!“, rief er. „Jetz schick dich! I will heut noch amal wieder runter vom Sattel!“
„Mach du halt a bissl langsamer!“, lautete die zickige Antwort. „Du weißt genau, dass es der Jaqueline immer schlecht wird von deiner Raserei!“
Ranger verdrehte die Augen in alle Richtungen. „Du brauchst unbedingt a andern Gaul! Das Viech da zieht überhaupt ned g’scheit durch!“
„Halt’s Maul!“, sagte Winnetouch trotzig und klopfte seiner Ponydame den Hals. „Mach dir nix draus, Jaqueline! Langsam is viel gemütlicher.“ Dann wollte er von Ranger wissen: „Wie weit is es’n noch? Mein Popo is schon ganz wund. Außerdem muss ich mal Puschi.“
„Herrschaftzeiten!“ Ranger stoppte sein Pferd. „Dann geh halt schnell!“
„Was, hier?“, rief Winnetouch entsetzt. „Da kann mich ja jeder sehn!“
Ranger ließ den Blick über die weite, menschenleere Prärie schweifen. „Und wer, bitt’schön?“
„Du zum Beispiel.“
Ranger schnaubte. „Hast Angst, i schau dir deinen kleinen Apachen-Zipfl weg, oder was?“
„Pah, du bist ja bloß neidisch!“
***
Zwei Puschipausen und einige schier unendliche Diskussionen später war es endlich geschafft. Ranger saß auf einem hölzernen Klappstuhl an seinem Stammplatz am Seeufer und hatte seine Angel ausgeworfen. Die Sonne schien, die Grillen zirpten. In der Nähe rauschte der Wasserfall. Er lächelte selig. Es konnte so schön sein! Wenn doch nur dieser gottverdammte Blutsbruder-Zwillingsbruder neben ihm nicht wär…
„Mei, is das langweilig!“, stöhnte Winnetouch schon nach ein paar Minuten und fuchtelte mit einer Hand um sich. „Und diese Mücken! Herrschaft! Ich bin schon ganz zerstochen! Wie haltets du und der Abahachi das bloß aus den ganzen Tag?“
Ranger seufzte. Sein Lächeln war längst wieder verschwunden.
„Also i könnt Stunden hier sitzen“, knurrte er und ergänzte in Gedanken: wenn du ned dabei wärst…
Winnetouch machte ein missmutiges Gesicht. Er griff in eine der prall gefüllten Satteltaschen, die er Pony Jaqueline abgenommen und neben sich deponiert hatte, und zog einen Block Buntpapier daraus hervor.
„Woll mer ned lieber was Hübsches basteln?“, fragte er.
„Basteln?“ Ranger zeigte ihm den Vogel. „I glaub, du spinnst!“
„Spielen?“ Winnetouch hielt einen Karton mit dem Spiel „Bleichgesicht, ärgere dich nicht“ hoch. „I hätt auch noch einen Schminkkoffer dabei.“
„Na! I will jetz nix spieln und schminken tu i mich fei gar ned! I will einfach in Ruhe angeln! Und jetz halt g’fälligt s Maul, du verscheuchst mir ja die ganzen Fische mit deim Gequatsche!“
„Langweiler!“
Winnetouch streckte Ranger die Zunge heraus, zückte eine Nagelfeile aus seinem Strumpfband und fing an, sich energisch die Fingernägel zu feilen.
„Mir is immer noch langweilig“, nörgelte er nur wenig später.
Ranger reagierte nicht, blinzelte mit sturer Miene auf den See hinaus, dessen Oberfläche im Sonnenlicht glitzerte und ihn blendete.
Winnetouch setzte sich eine stylische Sonnenbrille mit großen Gläsern und rotem Rahmen auf und zog die Sonnenmilch aus der Satteltasche. Als er sich das Gesicht eingecremt hatte, hielt er Ranger die Tube hin.
Der rümpfte die Nase.
„Na!“
„Schmierts du und der Abahachi euch etwa nie ein?“, fragte Winnetouch. „Kein Wunder, dass ihr zwei ausschaut wie die Brathendl! Da musst aber echt aufpassen!“
„Wieso?“
„Wei's überhaupt ned gut is, grad wo du so a sensible Haut hast“, sagte Winnetouch und musterte Rangers Gesicht sehr eindringlich. „Da musst immer schön auf die Feuchtigkeit achten! Außerdem gibt das später amal ganz hässliche Altersflecken.“
„Echt?“ Verunsichert tastete Ranger mit den Fingerspitzen über seine Wange.
Winnetouch nickte eifrig. „Vom Hautkrebsrisiko ganz zu schweigen.“
„Ah ge, gib’s halt her!“
Ranger riss ihm die Sonnenmilch aus der Hand.
In kürzester Zeit hatte er sich Gesicht und Hände komplett damit eingesaut.
Winnetouch kicherte:
„Hi hi, jetz schaust wirklich aus wie a Bleichgesicht!“
„Jetz schaust wirklich aus wie a Bleichgesicht – hähähä!“, äffte Ranger ihn nach. „Jetz huif mir lieber! Des Zeug bappt wie der Deifel!“
Er hielt die verschmierten Hände hoch und guckte verzweifelt zu Winnetouch, der ihm darauf die überschüssige Creme mit ein paar mitgebrachten Feuchttüchern gewissenhaft entfernte.
„Mei, jetz hab i aber einen Hunger!“, meinte Winnetouch wieder nur ein paar Augenblicke später. „Gut, dass ich ans Catering gedacht hab!“
Ranger beobachtete skeptisch, wie sein Begleiter hoch sprang, eine Picknickdecke mit blau-weißem Rautenmuster ausbreitete und eine Tupperdose nach der nächsten aus den Satteltaschen hervor holte.
„Das is jetz ned dein Ernst?“
„Da staunst, gell?“, freute sich Winnetouch. „I hab alles dabei: herzhafte Schnittchen, Pralinen und Cupcakes für den süßen Zahn, freilich selbst gebacken, frische Möhrchen und Gürkchen und einen feinen Quark-Dipp dazu. Magst amal probieren?“
Winnetouch hielt Ranger die Dosen mit dem Quark und den Gurkenscheiben hin.
„Na, pfui Deifi!“, lehnte der angewidert ab. „Schau i etwa aus wie a Karnickel?“
„Dann halt ned!“, war Winnetouch beleidigt. Er biss in eine Gurke und schnurpste. „Bleibt mehr für mich, hi hi.“
Für eine Weile war nur zu hören wie Winnetouch mit den Dosen hantierte, Gemüse knusperte und genüsslich schmatzend die Schnittchen vertilgte. Erst starrte Ranger noch mit düsterer Miene auf den See hinaus und nahm sich fest vor, nicht schwach zu werden. Er war schließlich der Ernährer und dafür verantwortlich, dass er heute Abend fangfrischen Fisch in das heimische Tippi brachte! Aber heute wollte und wollte einfach keiner beißen und irgendwann fing sein Magen zu knurren an und er schielte immer öfter nach dem reichhaltigen Buffet auf der Picknickdecke neben ihm.
Als Winnetouch die Schachtel mit den Cupcakes aufmachte, grummelte sein Magen so laut, dass es auch Winnetouch hörte.
„Na nimm halt auch einen!“, sagte er und er schmunzelte versöhnlich. „Für mich allein is das doch eh viel zu viel und eh's schlecht wird bei der Wärme… Wär doch schad drum.“ Er zwinkerte Ranger zu. „Was magst'n? Nussnougattrüffel oder Rosenmarzipan mit Champagnercreme?“
Ranger schluckte. Ihm tropfte der Zahn.
„I-i glaub, i nehm das Nougat-Dingsda.“
Winnetouch freute sich. Er stand auf und schob Ranger eines der schokoladigen Küchlein in die Schnute.
„Gut, gell?“
„Hmhm“, machte Ranger mit vollen Backen. Seine Augen leuchteten. Ein Klecks Topping klebte an seiner Nasenspitze.
„Magst ned amal deine Angel beiseite tun und zu mir auf die Decke kommen?“, versuchte Winnetouch ihn von der Angel wegzulocken. „Der Klappstuhl is doch viel zu unbequem.“
„Na, lieber ned. Der Rücken is eh scho im Arsch“, meinte Ranger, während er den letzten Rest vom Cupcake verputzte.
„Hast du's mit'm Rücken?“, fragte Winnetouch bestürzt.
„Naja, mei...“, druckste Ranger herum. „Die ewige Hockerei da im Sattel. Weißt scho… und neulich beim Spurensuchen mit deim Bruder, da hob i mi irgendwie so a bissl verrenkt, oba halb so wild.“
„Warst schon beim Arzt?“
Ranger machte eine abfällige Handbewegung.
„Der Abahachi hat mich zu so eim komischen Medizinmann g'schleppt, oba – ah! Den kannst komplett vergessen. Heilpraktiker. Der kann goar nix!“
„Soll ich mal schaun? I hab amal einen Kurs g'macht.“
Ranger guckte Winnetouch skeptisch an.
„Also, du… nix Persönliches, oba… i woaß ned so...“
...
Am späten Nachmittag erreichte auch Abahachi den Silbersee. Er hatte sich früher von der Stammessitzung davon geschlichen, um nach Ranger und Winnetouch zu sehen, denn so richtig glaubte er nicht, dass die beiden ohne ihn klar kamen. Es schien, als wenn er Recht hätte, denn als Abahachi sich dem Stammplatz von ihm und Ranger näherte, hörte er plötzlich schmerzerfülltes Stöhnen hinter der Böschung.
„Um Gottes Wuin! Was is'n da los?“
Er befürchtete, dass die beiden aus dem Hinterhalt angegriffen und verletzt worden waren. Abahachi zog seine Flinte und pirschte sich an.
„Aaah jaaa, da! Genau da!“, hörte er eindeutig die Stimme seines Blutsbruders. „Noch a bissl tiefer… noch a bissl… Aaah! I könnt' dich knutschen!“
Abahachi hielt inne und runzelte die Stirn. Was beim großen Manitu trieben die denn da miteinander?
„Keine Bewegung!“, rief er und sprang mit vorgehaltener Flinte über die Böschung. „Finger weg von meinem – Ranger? Winnetouch?“ Ihm krachte die Schublade herunter.
Ranger lag mit freiem Oberkörper bäuchlings auf einer Decke. Winnetouch saß breitbeinig auf seinem Hinterteil und massierte ihm den Rücken.
Ranger hob den Kopf. Er hatte das Gesicht voll mit Quark und zwei Gurkenscheiben auf den Augen. Eine davon fiel herunter.
„Servus, Abahachi“, sagte er. „Is dei Stammessitzung scho aus?“
„Wos machts'n ihr da?“, fragte Abahachi ungläubig.
„Das sigst doch.“
„Unser Cowboy hat a ganz fiese Muskelverspannung“, erklärte Winnetouch, während er noch etwas Massageöl auf Rangers braungebranntem Rücken verteilte. „Das habt's ihr jetz von euerm ewigen Umherreiten. Den ganzen Tag im Sattel sitzen oder auf'm Klappstuhl beim Angeln, das is überhaupt ned gut. Und mit dem Spurenlesen hat's jetz auch erst amal ein Ende!“
„Ganz genau!“, sagte Ranger und jammerte: „Immer dieses Herumkriechen auf'm Boden und das sinnlose Umherreiten! I kann das nimmer! I werd a ned jünger!“
„Wohoho!“ Abahachi riss in Abwehrhaltung die Hände hoch. „Ned scho wieder die alte Leier! Sag amal, Winnetouch, was soll'n das? I war froh, dass endlich a Ruhe war, jetz setzt du dem Ranger wieder solche Flausen ins Ohr und hetzt meinen Blutsbruder gegen mich auf!“
„Aber wenn's so is!“, sagte Winnetouch. „Der Ranger braucht unbedingt a bissl Entspannung. Auf den musst echt besser aufpassen, Abahachi, sonst geht er am Ende noch kaputt, unser fescher Revolverheld.“
„Was heißt'n da unser?“, fuhr Abahachi eifersüchtig auf. „Das is immer noch mein Blutsbruder! Such dir gefälligst deinen eigenen!“
„Naaa! Was deins is, is auch meins, schon vergessen? Wir sind schließlich Zwillingsbrüder.“
„Ach leckt mich doch am Arsch! Alle zwei! Aber eines sag' ich euch!“ Abahachi zeigte drohend auf die beiden herab. „Das war das erste und auch das letzte Mal, dass ich euch miteinander allein lass!“
Wütend stapfte er davon.
Winnetouch und Ranger atmeten auf und freuten sich wie aus einem Mund:
„Poah, Gott sei Dank, nie wieder angeln!“ und „Endlich hob i wieder mei Ruh am See!“
„Aber du, Winnetouch?“ Ranger schielte über seine Schulter. „Die Massage is echt supa! Machst no a bissl weiter?“
„Au ja!“, strahlte Winnetouch. Er beugte sich nach vorn und hielt Ranger eine Pralinenschachtel vor die Nase. „Noch was Süßes dazu?“
Ranger langte zu und musste zugeben:
Eigentlich war Apachen-Sitting gar nicht so übel.